Leseprobe_Der junge Metastasio
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Vorwort<br />
Trauerspiel Atreus vorlesen. „Darauf soll Pacuvius sich dahin ausgesprochen haben,<br />
dass das verfasste Werk zwar schwungvoll klinge und edle, erhabene Gedanken enthalte,<br />
jedoch scheine ihm die Ausdrucksweise zu derb und hart.“ Voller Demut erwiderte<br />
Accius, die Bemerkungen des alten Dichters seien ganz zutreffend, machten<br />
ihm aber keinen Kummer, denn er hoffe, dass das, was er künftig schreiben werde,<br />
besser ausfallen solle. Und er fügte hinzu: „Wie es sich mit den Früchten im Allgemeinen<br />
verhält, ebenso, sagt man, verhält es sich mit den geistigen Erzeugnissen;<br />
denn Früchte, die bei ihrem Entstehen hart und herbe sind, werden später um so<br />
schmackhafter und süßer; die Früchte aber, die bei ihrem Entstehen gleich mürbe<br />
und weich und gleich im Anfange saftig sind, werden nicht nur sobald reif, sondern<br />
sie fangen auch sofort an zu faulen. Ebenso muss man es auch den geistigen Erzeugnissen<br />
überlassen, dass sie Zeit und Stunde mild machen.“<br />
Die klassische Anekdote unterstreicht die Wichtigkeit einer Ausbildungsphase<br />
bei jedem Künstler und in jeder Form der Kreativität: Experimentieren – auf der<br />
Suche nach Erfolg und Konsens – ist ein wesentlicher Schritt in jedem poetischen<br />
und intellektuellen Wachstumsprozess. <strong>Metastasio</strong> scheint diesen Betrachtungen zu<br />
widersprechen. Seine literarischen Anfänge besitzen die Perfektion des bekannten<br />
Poeten: die ersten Kantaten beweisen seine außerordentliche Beherrschung der antiken<br />
und modernen Modelle, sowie eine deutliche Inklination zur theatralischen<br />
Lebendigkeit; das Werk seines Operndebüts, Didone abbandonata, gehört dank der<br />
thematischen Komplexität und der faszinierenden Behandlung zu den meistvertonten<br />
Libretti im 18. Jahrhundert; sein Dienst als „poeta di teatro“ in Neapel, Rom und<br />
Venedig gab ihm Anlass, Meisterwerke wie Siroe, Catone in Utica, Semiramide und<br />
Artaserse zu verfassen, bevor er nach Wien als Hofpoet berufen wurde. Die „giovinezza“<br />
<strong>Metastasio</strong>s in einem stilistischen Sinn existiert nicht – seine intensive Tätigkeit<br />
in den italienischen Jahren gilt als eine permanente Werkstattbühne, in der nicht<br />
nach der Stil- oder Inhaltsverbesserung gestrebt wird, sondern nach einer höheren<br />
Anerkennung der theatralischen Dichtung in der Welt des ancien régime. Durch diese<br />
zehnjährige Erfahrung gelang es <strong>Metastasio</strong>, sich als Protagonist im Opernmilieu<br />
durchzusetzen, in dem die Theaterpoesie endlich im Zentrum des Kulturlebens<br />
stand: diese – und die zukünftigen – Libretti zählen zu den subtilsten Ausdrücken<br />
der politisch-ideologischen Debatte ihrer Zeit, und beeinflussten nachhaltig die<br />
Musik- und Theaterwelt in ganz Europa.<br />
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