07.02.2013 Views

Recenzo - Plansprachen.ch

Recenzo - Plansprachen.ch

Recenzo - Plansprachen.ch

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

(wo z.B. von der „Aggressivität des Imperialismus“ die Rede ist – dieser obligate Ausfall war wohl als<br />

Formalität für die Zensur bestimmt). Denno<strong>ch</strong> ist die ‚materialistis<strong>ch</strong>e’ Geisteshaltung des Autors, von dem<br />

Blankes Arbeit im Allgemeinen dur<strong>ch</strong>drungen ist, au<strong>ch</strong> in dieser Habilitationss<strong>ch</strong>rift natürli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu<br />

übersehen oder gar zu verleugnen. Allerdings su<strong>ch</strong>t man in dem Bu<strong>ch</strong> eine marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>e<br />

Konzeption der Interlinguistik vergebli<strong>ch</strong>. Dies ist do<strong>ch</strong> ziemli<strong>ch</strong> erstaunli<strong>ch</strong>, handelt es si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> um einen<br />

DDR-Autor, der bei anderen Gelegenheiten nie müde wurde, erstens die Bedeutung der Lehren des<br />

Marxismus-Leninismus zu betonen und zweitens sowohl eine marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>e Theorie der<br />

Interlinguistik wie au<strong>ch</strong> die marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>e Aufarbeitung der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Esperanto-Bewegung<br />

zu fordern. Typis<strong>ch</strong> für ein wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Bu<strong>ch</strong>, das im Ostblock ers<strong>ch</strong>ien, war das Problem, dass<br />

gewisse Themen wie der Stalinismus ausgeklammert wurden und so halt ni<strong>ch</strong>t aufgearbeitet werden konnten.<br />

So wurden etwa die Theorieansätze, wie sie in den 20er und 30er Jahren von E.K. Drezen und anderen in der<br />

Sowjetunion vertreten wurden, nur gestreift, obwohl sie für die damalige sowjetis<strong>ch</strong>e Interlinguistik von<br />

zentraler Bedeutung gewesen waren. Vom Beitrag N. Ja. Marrs zur Diskussion über die Zukunft der<br />

Spra<strong>ch</strong>en im Allgemeinen und die Entwicklung der künftigen Welt(einheits)spra<strong>ch</strong>e im Kommunismus im<br />

Besonderen erfährt der Leser fast gar ni<strong>ch</strong>ts, ebenso wenig von der diesbezügli<strong>ch</strong>en Einmis<strong>ch</strong>ung Stalins in<br />

die spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Debatte des Jahres 1950. Nun ist es dur<strong>ch</strong>aus mögli<strong>ch</strong>, dass Blanke neben dem<br />

Umstand, dass es in der DDR damals ni<strong>ch</strong>t opportun gewesen war, Drezen, Marr und Stalin als Autoren für<br />

(spra<strong>ch</strong>)wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Zwecke aufzuwärmen, diese absonderli<strong>ch</strong>en Themen für den modernen<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>diskurs au<strong>ch</strong> für ni<strong>ch</strong>t mehr sehr bea<strong>ch</strong>tenswert hielt, zumal sie pseudowissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e und<br />

utopistis<strong>ch</strong>e Züge erkennen liessen und mehr oder weniger dem Müllhaufen der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Linguistik<br />

anvertraut werden durften. Denno<strong>ch</strong> fiel der Name Stalins in Blankes Bu<strong>ch</strong> an mehreren Stellen explizit.<br />

Aber etwa der Hinweis Trotzkis, dass Stalin um 1910 Esperanto gelernt haben soll, wurde ni<strong>ch</strong>t erwähnt.<br />

Ni<strong>ch</strong>t zuletzt fällt auf, dass Blanke den „soziolinguistis<strong>ch</strong>en“ Arbeiten M.I. Isaevs aus den 70er und 80er<br />

Jahren in seinem Bu<strong>ch</strong> ebenfalls nur eine geringe Aufmerksamkeit s<strong>ch</strong>enkte. Mag sein, dass er all diese<br />

ziemli<strong>ch</strong> deformierten Theorien aus der SU zur Propaganda des Russis<strong>ch</strong>en als „mežnacional’nyj jazyk“ für<br />

die interlinguistis<strong>ch</strong>e Diskussion (in der DDR) für irrelevant hielt. Was die Leistungen der sowjetis<strong>ch</strong>en<br />

Interlinguisten und Soziolinguisten anbelangt, wurde hö<strong>ch</strong>stens no<strong>ch</strong> auf die Beiträge im Berei<strong>ch</strong> der<br />

Spra<strong>ch</strong>planung, Spra<strong>ch</strong>förderung und Spra<strong>ch</strong>politik, auf die Theorie von der Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung der Völker<br />

und auf die Anerkennung der Spra<strong>ch</strong>e als gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Ers<strong>ch</strong>einung als Teil der marxistis<strong>ch</strong>leninistis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>soziologie hingewiesen, ohne diese Theorien jedo<strong>ch</strong> im Einzelnen no<strong>ch</strong> einmal<br />

ausführli<strong>ch</strong> darzustellen oder kritis<strong>ch</strong> zu bespre<strong>ch</strong>en. Irgendwo ist no<strong>ch</strong> von den zonalen Spra<strong>ch</strong>en, die Stalin<br />

vors<strong>ch</strong>webten, die Rede. Charakteristis<strong>ch</strong> war au<strong>ch</strong> die Art und Weise der Behandlung des Englis<strong>ch</strong>en, die<br />

von Blanke an mehreren Stellen s<strong>ch</strong>lagwortartig zwar kurz vorgenommen wurde; als Weltspra<strong>ch</strong>e erfuhr das<br />

Englis<strong>ch</strong>e aber keine eigentli<strong>ch</strong>e Würdigung, obwohl es do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> zu DDR-Zeiten s<strong>ch</strong>on längst den Status<br />

einer Weltspra<strong>ch</strong>e erlangt hatte und im Ostblock flä<strong>ch</strong>endeckend gelehrt und verwendet wurde. Dabei ist<br />

eigenartig, dass Blanke etwa im Kapitel über die Lingua franca weder das Englis<strong>ch</strong>e (ausser Pidgin-English)<br />

no<strong>ch</strong> das Russis<strong>ch</strong>e erwähnt, hingegen aber das Französis<strong>ch</strong>e, Arabis<strong>ch</strong>e und Chinesis<strong>ch</strong>e als sol<strong>ch</strong>e<br />

Spra<strong>ch</strong>en anführte. Ausgere<strong>ch</strong>net an dieser Stelle ers<strong>ch</strong>ien ein englis<strong>ch</strong>es UNESCO-Zitat aus dem Jahr 1953,<br />

das die Lingua franca definieren soll. Unter Bezugnahme auf einen gewissen Avram Karlinskij wurde an<br />

anderer Stelle behauptet, das Englis<strong>ch</strong>e, das von ihm als „Mikroverkehrsspra<strong>ch</strong>e“ bezei<strong>ch</strong>net wurde, habe<br />

„mit den Veränderungen der sozialpolitis<strong>ch</strong>en Situation“ seine „gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Funktion (...) in der<br />

kapitalistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft“ „in vielen Staaten Asiens und Afrikas“ aber „verloren“. Den Status einer<br />

„Makroverkehrsspra<strong>ch</strong>e“ hatte gemäss Karlinskij hingegen das Russis<strong>ch</strong>e inne. Sol<strong>ch</strong>e Ansätze waren<br />

freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t weniger unsinnig als gewisse eins<strong>ch</strong>lägige Theoreme Marrs und Stalins und dienten ledigli<strong>ch</strong><br />

zur politis<strong>ch</strong>en Bekämpfung des Englis<strong>ch</strong>en als Weltspra<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> die Kommunisten des Ostblocks. Es ist<br />

hö<strong>ch</strong>st bedenli<strong>ch</strong> und bedauerli<strong>ch</strong>, dass ein Linguist wie Blanke, der ernstgenommen zu werden wüns<strong>ch</strong>te,<br />

diesem Mainstream folgte, bzw. folgen musste. Im Allgemeinen zitierte Blanke in seinem Bu<strong>ch</strong> neben<br />

einigen sowjetis<strong>ch</strong>en Autoren rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> westli<strong>ch</strong>e Quellen, die bei der interlinguistis<strong>ch</strong>en Diskussion in der<br />

Überzahl sind; so konnte die westli<strong>ch</strong>e Vorherrs<strong>ch</strong>aft in der <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>disziplin mit oder ohne Absi<strong>ch</strong>t,<br />

bewusst oder unbewusst na<strong>ch</strong>gewiesen werden. Wenn einerseits die Sa<strong>ch</strong>kritik an sowjetis<strong>ch</strong>en Autoren<br />

fehlte, fiel andererseits die ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong> motivierte Polemik gegen gewisse Westautoren<br />

entspre<strong>ch</strong>end kompromisslos aus. Auf theoretis<strong>ch</strong>er Ebene wurde etwa gegen den Strukturalismus, gegen die<br />

Sapir-Whorf-Hypothese (und damit au<strong>ch</strong> gegen Gode und gegen sein Interlingua) und vor allem gegen den<br />

pazifistis<strong>ch</strong>en Mystizismus (v.a. die ‚interna ideo’) L.L. Zamenhofs gepoltert. Dessen „progressives<br />

bürgerli<strong>ch</strong>-humanistis<strong>ch</strong>es Ideengut“ sei „marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong> aufzubereiten“, hiess es im entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Kapitel über den Begründer des Esperanto. Keine Gnade fanden bei überzeugten Atheisten, Marxisten und<br />

Materialisten natürli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die „religiös verbrämten pazifistis<strong>ch</strong>-kosmopolitis<strong>ch</strong>en Ideale“ eines<br />

71

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!