Auf Medeas Spuren - Theater an der Wien

FREMDE IM FREMDEN LAND
so steht es nun einmal: der Mensch weiß nichts von Recht;
eh er des nächsten art zu kennen sich bemüht,
ist er verärgert, ob ihm gleich kein leid geschah.
drum füge sich der Fremde rasch dem landesbrauch;
doch schelt’ ich auch den Bürger, der Mitbürger kränkt,
weil er in seinem dünkel nur sich selber sieht.
Euripides, Medea
Ein Text, der trotz seines hohen Alters nichts an Aktualität verloren hat, der gerade in einer Gesellschaft
wie der österreichischen, die seit Jahrhunderten geprägt ist vom Zusammentreffen von Menschen
verschiedener Kulturen und Anschichten, gültig ist wie eh und je. Menschen aus dem Osten
– damals Kolchis, heute vielleicht der Balkan, die Türkei, der Orient -, dunkel und verdächtig, anders,
daher verdächtig.
Wie steht es mit Herrn und Frau Österreicher und ihrem Bemühen, „des Nächsten Art zu kennen“?
Wie steht es mit der Bereitschaft der Fremden, „sich rasch dem Landesbrauch zu fügen“? Wie sehr
ist er/sie – Eingeborene(r) oder Zugereiste(r) – „verärgert über des Nächsten Art, ob ihm gleich kein
Leid geschah“?
„In seinem Dünkel nur sich selber sehen“ macht auch heute das Zusammenleben vieler Menschen
im Großen wie im Kleinen, in Österreich und Anderswo zum Problem. Die Medea des Euripides
fordert hier die Toleranz von beiden Seiten ein.
ORG1 Hegelgasse 12
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