Auf Medeas Spuren - Theater an der Wien
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Medea vor Gericht<br />
eifersuchtsdrama nimmt blutiges ende<br />
Mutter schneidet Kin<strong>der</strong>n die Kehle auf<br />
Vor wenigen Jahren schien die Welt noch in Ordnung. M. und J., ein glückliches Paar, lebten mit ihren<br />
beiden Söhnen in Korinth. Doch jetzt ist von dieser scheinbaren Idylle nichts mehr übrig.<br />
Vor wenigen Tagen musste die Polizei einen grausamen Fund machen. Der Nachbar <strong>der</strong> „4-köpfigen“<br />
Familie alarmierte die Rettung, da er den Familienvater im Schockzust<strong>an</strong>d und nicht <strong>an</strong>sprechbar vor<br />
dem Haus vorf<strong>an</strong>d. Nach dem Eintreffen <strong>der</strong> Rettung wurde sofort die Mordkommission gerufen.<br />
„Beim Betreten des Hauses f<strong>an</strong>den wir die beiden Söhne mit aufgeschnittenen Kehlen vor!“, berichtet<br />
<strong>der</strong> Polizeiinspektor fassungslos. Alle Indizien weisen darauf hin, dass die Mutter, die zurzeit unauffindbar<br />
ist, für den Mord ver<strong>an</strong>twortlich ist. Hauptursache dieser schrecklichen Tat dürfte ein großes<br />
Eifersuchtsdrama zwischen M. und J. sein, das bis jetzt aber noch nicht aufgeklärt werden konnte.<br />
Weitere Beweggründe für den Mord könnten aber auch die fehlende Integration <strong>der</strong> Mutter gewesen<br />
sein. J. befindet sich zurzeit in psychologischer Betreuung und wird nicht verdächtigt.<br />
* Namen <strong>der</strong> Eltern v. d. Red. geän<strong>der</strong>t.<br />
MEDEAS AMME<br />
Ich hätte es wissen müssen. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen, um meine Herrin,<br />
Medea, zu warnen. Hätte sie doch nur nicht für Jason ihre Heimat verlassen. Sie wäre nie zu so einer<br />
kaltblütigen Mör<strong>der</strong>in geworden. Aber Jason war selbst Schuld. Er war schließlich <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> sie<br />
kaum noch erblickte. Verstoßen hatte er sie, verstoßen hatte er sie. Und plötzlich st<strong>an</strong>d sie völlig<br />
allein in <strong>der</strong> Welt, zurückgeblieben mit den Söhnen. Noch dazu als Fremde in Griechenl<strong>an</strong>d. Alles nur<br />
wegen <strong>der</strong> Tochter des Königs, Glauke. Ich versuchte, sie zu beruhigen. Aber nichts half mehr, ihre<br />
Wut wurde immer größer und sie nahm Rache. Sie musste ihre Rivalin auslöschen und töten. Noch<br />
dazu konnte sie ihre eigenen Kin<strong>der</strong> schon bald nicht mehr erblicken. Ihm konnte sie sie nicht geben,<br />
denn warum solle er nun das Recht <strong>der</strong> Erziehung erl<strong>an</strong>gen? Sie erzählte mir oft, dass sie in ihnen<br />
nur noch den Vater sah und dass sie den Schmerz nicht mehr l<strong>an</strong>ge aushielte. Schließlich waren es<br />
auch SEINE Kin<strong>der</strong> und sie wollte mit IHM absolut nichts mehr zu tun haben. Jason hat sie verletzt.<br />
Warum hat denn überhaupt ein M<strong>an</strong>n das Recht zu bestimmen, dass es vorbei ist? Sie war am R<strong>an</strong>de<br />
ihrer Kräfte. Sie wollte zu viel und konnte nicht <strong>an</strong><strong>der</strong>s, als alles, was er liebte zu beseitigen. Somit<br />
mussten auch die Leben <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> ein Ende nehmen. Ich hätte es voraussehen müssen.<br />
ZEUGENAUSSAGE<br />
Mein Name ist Gaius Maximus, ich möchte gerne aussagen, da ich am Tag <strong>der</strong> Hochzeit von Jason<br />
und Glauke gesehen habe, wie sich <strong>der</strong> schreckliche Vorfall ereignet hat. Als ich mir gerade am Buffet<br />
einen Wein gönnte, hörte ich plötzlich laute Hilfeschreie und sah alle Gäste zu einem Fenster laufen.<br />
Natürlich folgte ich ihnen, um zu sehen was geschehen ist. Durch ein Fenster konnte m<strong>an</strong> in einen<br />
Raum hineinsehen. Alle drängten sich davor und waren entsetzt. Als ich mich d<strong>an</strong>n zum Fenster<br />
vorgeschoben hatte, konnte ich sehen, dass Glaucke in Flammen st<strong>an</strong>d. Plötzlich fingen die Leute um<br />
sie herum auch Feuer. Es war schrecklich! Ihre komplette Haut hatte sich durchgebr<strong>an</strong>nt und sie s<strong>an</strong>k<br />
tot zu Boden, genau wie alle <strong>an</strong><strong>der</strong>en um sie. Die Leiber umzog eine schwarze Kruste. Der Gest<strong>an</strong>k<br />
von versengter Haut lag in <strong>der</strong> Luft.<br />
AUGENZEUGENBERICHT<br />
Mein Name ist Oktavius Suprimus. Ich möchte gegen Medea aussagen, weil ich ihre Untaten beweisen<br />
will. Es ist schlimm genug, was sie Jason <strong>an</strong>get<strong>an</strong> hat.<br />
Hier mein Bericht:<br />
Am 27. Tag des März diesen Jahres, war ich meine Schafe in <strong>der</strong> Nähe des Zentaurenwaldes hüten,<br />
als ich diese Frau sah. Sie war nicht alleine, es waren noch sechs bewaffnete Männer bei ihr. Ich<br />
versteckte mich, so schnell es ging, als ich die Schwerter in den Händen <strong>der</strong> Männer sah. Die Gruppe<br />
ging in den Wald hinein. So neugierig wie ich bin, folgte ich ihnen. Medea und ihre Gefolgsmänner<br />
gingen g<strong>an</strong>z schön tief in den Wald hinein, ich hatte schon Ged<strong>an</strong>ken umzukehren, weil meine Schafe<br />
vielleicht wegrennen könnten, doch d<strong>an</strong>n hörte ich Medea schreien: Da ist einer!<br />
Ich wusste nicht, was sie meinte. In Dist<strong>an</strong>z bleibend, näherte ich mich <strong>der</strong> Gruppe und sah was ihr<br />
Ansehen erregt hatte: ein Zentaur.<br />
Die Männer r<strong>an</strong>nten voller Wut auf den Zentauren los und töteten ihn mit ein paar Schlägen. Ich<br />
wollte sie schon zurückhalten, doch ich hatte Angst, dass sie mich d<strong>an</strong>n auch <strong>an</strong>greifen würden. So<br />
blieb ich in meinem Versteck und beobachtete, was Medea machte. Sie zog ein weißes Kleid aus ihrer<br />
Tasche, ein wun<strong>der</strong>schönes Kleid und ging damit zum Toten Zentauren. Was sie d<strong>an</strong>n tat, konnte ich<br />
gar nicht fassen. Sie bückte sich hinunter, zum Toten Wesen und tränkte das Kleid in dessen Blut.<br />
Ich wusste, was dies zu bedeuten hatte, und fragte mich, warum sie das tat. Schnell versuchte ich,<br />
unbemerkt zu meinen Schafen zurückzukehren und schaffte dies auch.<br />
Zwei Tage nach diesem Vorfall f<strong>an</strong>d die Hochzeit von Jason und Glauke statt. Das g<strong>an</strong>ze Volk war<br />
eingeladen und uns wurde versichert, dass es für alle ein Festmahl geben würde. Also machte ich<br />
mich gemeinsam mit meinem Sohn davon, um die Hochzeit <strong>der</strong> beiden zu feiern. Wir waren schon<br />
eine g<strong>an</strong>ze Weile vor Beginn <strong>an</strong>gekommen, als wir grausliche Schreie aus einer Kammer im inneren<br />
des Gebäudes hörten. Wir r<strong>an</strong>nten so schnell wie möglich <strong>an</strong> das Fenster, weil wir den Eing<strong>an</strong>g nicht<br />
finden konnten, um zu sehen, was los war. Sobald ich durchs Fenster schaute, war ich geschockt. Vor<br />
mir br<strong>an</strong>nte Glauke in einem roten Kleid, und alle um sie Stehenden fingen ebenfalls <strong>an</strong> zu brennen.<br />
Es war grausam. Als ich mir die Situation genauer <strong>an</strong>schaute, stellte ich fest, dass Glaukes Hoch-<br />
AHS Heustadelgasse<br />
Pädagogisch-psychologisches<br />
Gutachten<br />
1. Persönliche Daten<br />
Name des Prob<strong>an</strong>den (Pb): M.<br />
Geschlecht: weiblich<br />
Alter (Zeitpunkt <strong>der</strong> Untersuchung): 17<br />
Nationalität: Griechisch<br />
Status: verheiratet, Mör<strong>der</strong>in<br />
Namen <strong>der</strong> Gutachterinnen (GA): Muffat F.<br />
Untersuchungszeitraum: 3.5.-27.5, 400 v. Chr.<br />
2. Untersuchungs<strong>an</strong>lass<br />
Die Untersuchung wurde ver<strong>an</strong>lasst durch das<br />
Gerichtsverfahren, über ein von Frau M. beg<strong>an</strong>genes<br />
Morddelikt. St<strong>an</strong>dardisiertes Verfahren bei einem<br />
Gerichtsprozess.<br />
3. Fragestellung<br />
M. heiratete einen gewissen J., von dem sie von<br />
einer Insel „entführt“ wurde, wobei zur Annahme<br />
steht, dass diese Entführung nur vorgetäuscht war.<br />
Der Vater von M. verfolgte diese mit einem Schiff<br />
(M. und J. flohen ebenfalls mit einem Schiff), dieser<br />
ver<strong>an</strong>lasste M. zu einem grausamen Mord und in<br />
weiterer Folge auch zu 2 Kin<strong>der</strong>morden. War Frau<br />
M. zu dieser Zeit bei vollem Bewusstsein? Wäre dies<br />
nicht <strong>der</strong> Fall, d<strong>an</strong>n wäre die Anklage hinfällig.<br />
Vorgehensweise und verwendete Verfahren:<br />
Gespräch mit Herrn J. am 3. 5. 400 v. Chr. von 16:00-<br />
17:00 Uhr<br />
Beobachtung in <strong>der</strong> Gruppe (Inkludierung in die<br />
Gefängnisstruktur) am 13. 5. 400 v. Chr. von 9:00-<br />
10:30 Uhr<br />
Testdurchführung ET 6-6 am 22. 5. 400 v. Chr. von<br />
10:00-11:00 Uhr<br />
Beobachtung zur Testdurchführung am 22. 5. 400 v.<br />
Chr. von 10:00-11:00<br />
Test AF Reaktion auf die ständige Beobachtung am<br />
24. 5. 400 v. Chr. von 10:00-13:00 Uhr<br />
4. Ergebnisse<br />
Familiäre Situation, Freizeit und Interessen:<br />
Die Person weist eine unerklärliche Liebe zu Herrn J.<br />
auf. Da <strong>der</strong> Begriff Liebe nicht erklärbar ist, nennen<br />
wir das Geltungsbedürfnis. Also ihr unerklärliches<br />
Geltungsbedürfnis ver<strong>an</strong>lasste sie zu ihrem ersten<br />
Mord <strong>an</strong> Herrn K., <strong>der</strong> ihr Bru<strong>der</strong> war. Sie ist aus<br />
diesem Grund auch mit ihrem Vater in einem Zwist,<br />
da er es nicht gern sah, dass sein Sohn zerstückelt<br />
wurde. Die familiäre Situation <strong>der</strong> Frau M. ist also<br />
äußerst schlecht. Womit sie ihre Freizeit verbringt,<br />
war lei<strong>der</strong> nicht herauszufinden, aber es muss etwas<br />
sehr Persönliches sein, da sie sich so gegen die<br />
Veröffentlichung sträubte.<br />
5. Entwicklungsst<strong>an</strong>d<br />
Ihr Entwicklungsst<strong>an</strong>d ist, wi<strong>der</strong> Erwarten, eigentlich<br />
dem eines „weisen Menschen “ gleichzusetzen, da<br />
sie ihre Instinkte unterdrückte, um Menschenleben<br />
zu retten, wobei dies eig. auch ein Instinkt ist:<br />
nämlich <strong>der</strong> größte, dem <strong>der</strong> Mensch jemals folgte.<br />
Wieso weise? Sie tötete ihren Bru<strong>der</strong>, um das Leben<br />
ihres M<strong>an</strong>nes zu retten, ist dies mit <strong>Auf</strong>opferung<br />
gleichzusetzen? O<strong>der</strong> ist das mehr ein Austausch<br />
von Menschenleben? Schlussendlich ist das psychologisch<br />
gesehen eine Überwindung (also das Töten<br />
ihres Bru<strong>der</strong>s) für eine <strong>an</strong><strong>der</strong>e Person. Außerdem<br />
ist das mit Notwehr gleichzusetzen. Töten um nicht<br />
getötet zu werden.<br />
Wobei die Kin<strong>der</strong>morde nicht mit dieser These<br />
erklärbar sind. Diese verschließen sich je<strong>der</strong> Logik.<br />
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