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Auf Medeas Spuren - Theater an der Wien

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Gespräch mit Torsten Fischer am 05. März 2008<br />

Und wofür sind sie eigentlich zuständig?<br />

Torsten Fischer: Aus dem Nähkästchen geplau<strong>der</strong>t<br />

Eigentlich war er ja Lehrer. Für Chemie und Naturwissenschaften. In einem Gefängnis in<br />

Berlin. Und d<strong>an</strong>n? D<strong>an</strong>n hat es ihn zufällig in die Regie verschlagen, so läuft es eben im<br />

Leben.<br />

G<strong>an</strong>z lässig sitzt Torsten Fischer vorne auf dem kleinen Podest, worauf ein Kaffeehaustisch<br />

mit zwei Stühlen und zwei Mikros platziert sind, neben ihm Nora Schmid, die<br />

Chefdramaturgin des Hauses. Lieber hätte er sich mit den SchülerInnen auf Augenhöhe<br />

unterhalten, doch d<strong>an</strong>n würde m<strong>an</strong> ihn von den letzten Reihen aus nicht mehr sehen können.<br />

Er trägt eine Adidas-Trainingsjacke, Je<strong>an</strong>s, braune Freizeitschuhe und eine Le<strong>der</strong>jacke,<br />

die er gleich zu Anf<strong>an</strong>g auszieht. Ob sich die SchülerInnen des Musikgymnasiums<br />

einen erfolgreichen Opernregisseur so vorgestellt hatten?<br />

Torsten Fischer benimmt sich, wie er sich präsentiert: Lässig, unkompliziert und ohne<br />

jegliche Starallüren. Er erzählt von sich, seinem Werdeg<strong>an</strong>g, von Medea und „Médée“<br />

und bemüht sich, jede Frage <strong>der</strong> SchülerInnen ausführlich und befriedigend zu be<strong>an</strong>tworten.<br />

Trotz Erfolgs und Gefragt-Seins ist er geblieben wie er ist, in seinen Inszenierungen<br />

geht es ihm einzig und allein um die Sache selbst, nicht um sich o<strong>der</strong> um eigene Profilierung.<br />

Ständig im Mittelpunkt zu stehen liegt ihm fern.<br />

„Anf<strong>an</strong>gs wollte ich „Médée“ spont<strong>an</strong> absagen“, gibt <strong>der</strong> Regisseur zu, aber im Laufe <strong>der</strong><br />

Zeit sei es immer sp<strong>an</strong>nen<strong>der</strong> geworden, sich mit dem Stoff ausein<strong>an</strong><strong>der</strong> zu setzen und<br />

er habe die Aktualität <strong>der</strong> Geschichte erst mit <strong>der</strong> Zeit begriffen. Medea sei für ihn ein<br />

zeitloses Märchen. Seine erste Idee war, die Oper <strong>an</strong> einem Flughafen <strong>an</strong>zusiedeln, im<br />

Niem<strong>an</strong>dsl<strong>an</strong>d, wo niem<strong>an</strong>d für die Menschen zuständig ist und Fremde bei Problemen<br />

we<strong>der</strong> zurück in ihr eigens L<strong>an</strong>d können, noch <strong>an</strong>genommen werden – wie Medea.<br />

Es ist still in <strong>der</strong> „Hölle“, die siebzig SchülerInnen hören geb<strong>an</strong>nt zu und stellen jede<br />

Menge interessierter Fragen, ihr Lehrer M<strong>an</strong>fred Hörzinger kommt mit dem Herumreichen<br />

des Mikros gar nicht nach. Nur das Murmeln einer Schülerin, die ihrer jap<strong>an</strong>ischen<br />

Kollegin ins Englische übersetzt, schwirrt mit.<br />

„Als erstes höre ich die Musik, meistens im Auto“, <strong>an</strong>twortet Torsten Fischer auf die<br />

Frage, wie er sich denn einer Oper nähere. Bis zur Idee und Realisierung <strong>der</strong> Inszenierung<br />

sei es d<strong>an</strong>n viel Arbeit, die ebenfalls nie am Schreibtisch stattfinde, „ich habe gar keinen<br />

Schreibtisch“, sagt <strong>der</strong> Regisseur leicht grinsend dazu. Der Weg zu Médée sei ein bitterer<br />

gewesen, meint er d<strong>an</strong>n, „Medea war richtig hart“. Er hätte enorme Angst gehabt, <strong>an</strong> dem<br />

Werk zu scheitern. Nicht am Publikum, son<strong>der</strong>n am Werk.<br />

„Mit Anf<strong>an</strong>g <strong>der</strong> Proben war d<strong>an</strong>n auch die Angst plötzlich weg“, erzählt er, da hätte er<br />

Menschen gefunden, mit denen er gemeinsam etwas erschaffen konnte. Er lege sehr viel<br />

Wert darauf, mit den SängerInnen zusammen zu arbeiten, ihnen nicht Ton für Ton alles<br />

vorzugeben, son<strong>der</strong>n das Geschehen aus dem Leben heraus entstehen zu lassen, fügt er<br />

nachher hinzu.<br />

„Und wofür sind Sie eigentlich zuständig?“ fragt plötzlich eine Schülerin in <strong>der</strong> fünften<br />

Reihe, was erstmal Gelächter im Publikum und am Podium auslöst. „Gute Frage“, meint<br />

Torsten Fischer, „ich k<strong>an</strong>n nichts richtig aber alles ein bisschen. Ich erzähle die Geschichte,<br />

gemeinsam mit Menschen, die ihre eigene Geschichte mitbringen.“<br />

Mittlerweile ist die Atmosphäre im Raum sehr locker und <strong>an</strong>genehm, Torsten Fischer hat<br />

es geschafft, sich den SchülerInnen auf sympathische und authentische Art zu nähern. Er<br />

wirkt nicht wie eine Autoritätsperson o<strong>der</strong> wie eine dist<strong>an</strong>zierte Berühmtheit, im Gegenteil,<br />

m<strong>an</strong> hat das Gefühl, ihn alles fragen zu können.<br />

Medea ist für Torsten Fischer eine durchschnittliche Frau, die in eine Männerwelt<br />

gepresst und politisch bedrängt wird: das Opfer und <strong>der</strong> Sündenbock <strong>der</strong> Masse, des<br />

Volkes. Er will in seiner Inszenierung zeigen, wie bedrohlich ein Kollektiv sein k<strong>an</strong>n, dass<br />

eine Gruppe von Menschen viel gefährlicher ist als einzelne.<br />

Jason sei für ihn eine Vollflasche, meint er mit einem Augenzwinkern und erntet dafür<br />

das Gelächter des Publikums, wird aber gleich wie<strong>der</strong> ernst. Jason nähme den Kin<strong>der</strong>n<br />

die Mutter weg und sei trotzdem nie bei ihnen, kritisiert er. Die Kin<strong>der</strong> ahnten seiner

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