BASTIAN BAKER - Finanz Und Wirtschaft
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| INTERVIEW |<br />
Beim Slalom und beim Riesenslalom hat<br />
sich die Equipe infolge des Abgangs einiger<br />
Fahrerinnen, die sich unter den ersten<br />
dreissig hätten positionieren können,<br />
verkleinert. Es wird schwierig sein, das<br />
Steuer herumzureissen. Aber es ist auch<br />
nicht unmöglich, dass bis zu den Olympischen<br />
Spielen 2014 eine Siegerfahrerin<br />
im Team ist.<br />
Können Sie uns in diesem Zusammenhang<br />
etwas über Ihre Trainer sagen?<br />
Patrice Morisod verdanke ich viel, denn<br />
dank ihm bin ich zum Schweizer Rennkader<br />
gestossen. In der letzten Zeit arbeitete<br />
ich mit Roland Platzer, der ein riesiges Potenzial<br />
besitzt.<br />
Was ist für Sie ein guter Trainer?<br />
Es gibt Trainer, die zu viel wollen, die zu<br />
sehr ins Detail gehen. Der Trainer darf<br />
den Kopf des Sportlers nicht vollstopfen,<br />
er muss das Hauptproblem in der<br />
Fahrertechnik fi nden, wodurch sich andere<br />
Schwierigkeiten von selbst lösen. Man<br />
wirft zum Beispiel einem Athleten vor,<br />
dass er in der Kurve den Arm immer oben<br />
behält. Dies hat einen bestimmten Grund,<br />
und gute Trainer fi nden die Ursache.<br />
Im März 2011 hatten Sie mit Günter Hujara<br />
(FIS-Renndirektor Herren) Diff erenzen wegen<br />
eines gefährlich weiten Sprungs auf der<br />
Piste von Kvitfjell. Waren Ihre Beziehungen<br />
immer etwas gespannt?<br />
Günter ist ein Mann mit einem starken<br />
Charakter. Er hat einen schwierigen Posten,<br />
den ich um nichts in der Welt haben<br />
möchte. Ich habe ihn stets respektiert, und<br />
er mich ebenfalls. Der einzige Vorwurf,<br />
den ich ihm mache, ist, dass er etwas stur<br />
ist, dass er Entscheidungen gefällt hat, unbesehen<br />
von den Einwänden, die ich im<br />
Namen mehrerer Athleten und als Mitglied<br />
des Athletenkomitees gemacht habe.<br />
Es gibt nichts Tragischeres als einen Unfall,<br />
der im Vorfeld geäusserte Befürchtungen<br />
bestätigt. Ich denke an das Unglück<br />
von Daniel Albrecht im Jahr 2009. 2011 in<br />
Kvitfj ell machte ich Günter auf eine Kante<br />
aufmerksam, die einige Zentimeter zu<br />
hoch war, um nach dem Sprung eine sichere<br />
Landung zu gewährleisten.<br />
Weshalb wurde die Diskussion zur Polemik?<br />
Günter war nicht bereit, auf seine Entscheidung<br />
zurückzukommen. Ich sagte<br />
ihm: «Mach, was du willst, aber erwarte<br />
nicht von mir, dass ich am Ziel nichts sagen<br />
werde.» In Wirklichkeit hätte der Satz<br />
gelautet: «Erwarte nicht von mir, dass ich<br />
nichts sage, falls ein Fahrer an dieser Stelle<br />
stürzt.» Günter empfand meinen Satz<br />
als Drohung, dass ich mich an die Medien<br />
wenden würde. <strong>Und</strong> so wurde die Sache<br />
hinaufgeschaukelt und ich mit 5000 Fr.<br />
gebüsst. Die Busse wurde dann aber von<br />
der FIS rückgängig gemacht. Wichtig ist,<br />
dass die Geschichte Bewegung in die Dinge<br />
gebracht hat und die Kante schliesslich<br />
um einige Zentimeter abgetragen wurde.<br />
Das Engagement für mehr Sicherheit ist<br />
bestimmt legitim, vor allem weil im Skisport<br />
das Unfallrisiko enorm ist. Immerhin werden<br />
in einer Abfahrt Geschwindigkeiten von bis<br />
zu 140 km/h erreicht.<br />
Ein Unfall kann eine Karriere beenden.<br />
Ich habe glücklicherweise nur drei<br />
schwere Verletzungen erlitten, die zudem<br />
keine körperlichen Folgen hatten. Als<br />
19-Jähriger brach ich den Oberschenkel,<br />
mit 21 das Schienbein, 2005 erlitt ich einen<br />
Kreuzbandriss. Die Unfälle waren<br />
stets die Folge einer Unachtsamkeit, passierten<br />
nie während einer schwierigen<br />
Passage oder bei einem Sprung.<br />
« Wenn man jung<br />
ist, muss man<br />
sich und der Welt<br />
beweisen, dass man<br />
am richtigen<br />
Ort ist. »<br />
Ein Unfall kann das Leben des Athleten<br />
völlig verändern, eine Tatsache, deren man<br />
sich sicher immer bewusst ist. Können sich<br />
Zwangspausen günstig auf die sportliche<br />
Entwicklung auswirken?<br />
Ja, bei mir war dies 2005 der Fall, als ich<br />
mich am Knie verletzte. Ich war schon 31<br />
Jahre alt, und es war klar, dass dies die<br />
letzte Verletzung vor Karriereende sein<br />
würde. Ich beschloss, von nun an ganz<br />
von meinem Beruf zu profi tieren. Wenn<br />
man jung ist, muss man sich und der ganzen<br />
Welt beweisen, dass man am richtigen<br />
Ort ist. Man schaut nicht rechts oder<br />
links, man liebt das Risiko und ist total<br />
auf Leistung fokussiert. Der Unfall hat<br />
mir geholfen, Abstand zu gewinnen und<br />
mir auch mehr Zeit für mich zu nehmen.<br />
Ich erlaubte mir, statt um 22 Uhr erst um<br />
Mitternacht zu Bett zu gehen und ab und<br />
zu mit Trainern oder Freunden ein Glas<br />
zu trinken. So konnte ich mich entspannen<br />
und war dafür nachher noch konzentrierter.<br />
Am Fernsehen wurden wir jeweils Zeugen<br />
Ihrer Siegeseuphorie, die Sie mit dem<br />
legendären Skifl ip zeigten. Es gab bestimmt<br />
auch weniger grossartige Momente.<br />
Wenn die Resultate gut sind, ist man mit<br />
dem Publikum eins, und es ist grossartig,<br />
diese Feststimmung zu erleben. Im umgekehrten<br />
Fall, vor allem wenn die Medien<br />
noch eins draufgeben, kann es wirklich<br />
unangenehm sein. Es ist dann schon<br />
mal vorgekommen, dass die Menschen<br />
einen schief ansehen oder dem Blick ausweichen.<br />
Anfang der 2000er Jahre erbrachte<br />
das Schweizer Team keine guten<br />
Leistungen. Da wurde es uns bewusst,<br />
wie anspruchsvoll und fordernd das Publikum<br />
ist. Als wir uns wegen der Anzüge<br />
beklagten, wurde dies als faule Ausreden<br />
aufgenommen.<br />
Schliesslich ist es Ihnen gelungen, sich<br />
Gehör zu verschaff en.<br />
Wir erkannten, dass die Hierarchie der<br />
verschiedenen sportlichen Niveaus respektiert<br />
wurde, allerdings nicht in den<br />
Starträngen 1 bis 15, sondern 10 bis 40. Bei<br />
verschiedenen Skis und Serviceleuten,<br />
unterschiedlichem Körperbau und Fähigkeiten<br />
musste dann und wann einer in die<br />
vorderen Ränge gelangen. Unser einziger<br />
gemeinsamer Nenner war der Anzug. Wir<br />
haben deshalb selbst Tests durchgeführt,<br />
indem ein Athlet den offi ziellen Dress<br />
trug, während zwei andere die Anzüge<br />
immer wieder wechselten. Wir konnten<br />
auch die Anzüge der Österreicher und der<br />
Kanadier testen. Auf mehreren Strecken<br />
stellten wir eine Diff erenz von 7/10 Sekunden<br />
pro Minute fest. Mit diesem Beweis<br />
Hand gelang es uns schliesslich, die<br />
Dinge zu bewegen. Wir trugen die neuen<br />
Anzüge erstmals am 24. Januar 2004<br />
in Kitzbühel. Ambrosi Hoff mann wurde<br />
Dritter, ich fuhr unter die ersten zehn.<br />
Eine Woche später wurde ich in Garmisch<br />
Erster. Die Konsequenz: Ab diesem Moment<br />
wurden die Tests im Windkanal und<br />
der Ausrüstung wieder aufgenommen.<br />
Was denken Sie von den neuen Skis, die ab<br />
der nächsten Saison eingeführt werden?<br />
Da sie länger und weniger tailliert sind,<br />
muss man sich anders positionieren. Es<br />
wird eine Anpassung nötig sein, aber bei<br />
den Schnelligkeitsdisziplinen wird es<br />
keine Unterschiede geben. Einen grossen<br />
Schritt rückwärts gibt es im Riesenslalom,<br />
denn die längeren, schmaleren Skis<br />
machen das Fahren von Kurven schwieriger.<br />
Einmal mehr hat die FIS überstürzt<br />
gehandelt und darauf verzichtet, die Meinung<br />
der Athleten einzuholen. Statt diesen<br />
Extremen wäre eine Zwischenlösung<br />
bestimmt möglich gewesen. Anfang der<br />
nächsten Saison wird es unzweifelhaft<br />
Kommentare und Kritiken absetzen – und<br />
ab Mitte Saison sind die neuen Skis kein<br />
Thema mehr.<br />
Natürlich würden wir gerne mehr wissen,<br />
wie es hinter den Kulissen des Skizirkus<br />
zu- und hergeht. Beispielsweise unter den<br />
Athleten – gibt es Rituale?<br />
Auch wenn man nicht unbedingt abergläubisch<br />
ist, hat jeder Sportler sein<br />
eigenes Ritual. Manchmal sind es gar<br />
Ticks, die im Fernsehen zu sehen sind,<br />
manchmal ist die Kamera nicht dabei. Ich<br />
erinnere mich an einen Fahrer, der die<br />
Schnallen wie im Fieber immer wieder<br />
öff nete und schloss. Dieses Gebaren war<br />
schon etwas extrem. Natürlich sage ich<br />
Ihnen nicht, wer es war. So oder so, Rituale<br />
helfen, im Kopf zu starten, damit der<br />
Körper begreift, dass es bald losgeht.<br />
Welches war Ihr Startritual?<br />
Ich glaube, es waren die Stöcke. Der linke<br />
Körperteil wird von der rechten Hirnhälfte<br />
gesteuert und umgekehrt. Es gibt eine<br />
Mentalübung, die darin besteht, sich diese<br />
Kreuzung auf verschiedene Weisen zu visualisieren.<br />
Man kann sich zum Beispiel<br />
eine Buchstaben- und eine Zahlenreihe<br />
vorstellen und versuchen, A mit 2, B mit 1<br />
usw. zu verbinden. Mit der Zeit gelang es<br />
mir, dieses Kreuz in Sekundenbruchteilen<br />
abzurufen, das Kreuzen der Stöcke verstärkte<br />
die Konzentration. Mit diesem Signal<br />
versetzte ich mich sofort in Rennkondition,<br />
auch schon vor dem offi ziellen Start.<br />
Wenn von Ihren letzten Saisons 2007 bis<br />
2012 die Rede ist, sprechen viele Menschen<br />
von den «Jahren der Off enbarung».<br />
Die ganze Arbeit der Vorjahre hat<br />
schliesslich Früchte getragen. Die Siege<br />
fi elen mit dem Wechsel zu einer andern<br />
Skimarke zusammen, aber auch in die<br />
Zeit nach dem Bänderriss im Jahr 2005,<br />
als ich wieder Lust auf Karriere hatte und<br />
diese wirklich geniessen wollte.<br />
Mit 67 Podiumsplätzen blicken Sie auf<br />
eine beeindruckende Karriere zurück. Das<br />
Einzige, das in Ihrem Palmarès fehlt, ist<br />
Olympiagold, dem sie mehrmals ganz nahe<br />
waren. Bedauern ?<br />
Natürlich wäre es schön gewesen, eine<br />
Goldmedaille zu gewinnen. Aber ich<br />
freue mich über meine Silbermedaille.<br />
Noch heute, wenn ich die Bilder dieses<br />
Siegs sehe, erlebe ich die Freude und das<br />
Glück erneut. Obwohl ich in der Abfahrt<br />
das beste Trainingsrennen absolvierte,<br />
verpasste ich das Podest. Im Super G liess<br />
ich dann meine ganze Frustration los.<br />
Deshalb macht mich dieser Sieg besonders<br />
stolz. Man muss Niederlagen akzeptieren<br />
können. Das schlimmste Erlebnis<br />
war, die Kugel in einer Disziplin zu verlieren,<br />
in der ich 99 Punkte mehr hatte als<br />
der Sieger. Es war eine weitere Lektion,<br />
immer das Beste zu geben. |<br />
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