Die KPD in Bremen. 1945-1968 - hbxt.org
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Hendrik Bunke<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong><br />
Ursprünglich veröffentlicht als:<br />
Hendrik Bunke, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>, Köln: Papyrossa-Verlag<br />
2001<br />
(ISBN 3-89438-230-9; http:/ / w w w.papyrossa.de /kpd.htm )<br />
<strong>Die</strong> vorliegende Datei steht unter folgender Creative-Commons- Lizenz:<br />
http:/ /creativecommons.<strong>org</strong>/licenses/by- nc-nd/2.0/de /legalcode<br />
<strong>Die</strong> Buchveröffentlichung im Papyrossa-Verlag ist hiervon ausdrücklich<br />
nicht berührt.<br />
Layout und Seitenzahlen s<strong>in</strong>d identisch mit der gedruckten<br />
Veröffentlichung. Letzere sollte für Zitate und Literaturangaben verwendet<br />
werden.
Inhalt<br />
E<strong>in</strong>leitung 7�<br />
Kapitel 1: Der kurze Prolog <strong>1945</strong>-1948 15�<br />
1.� Re<strong>org</strong>anisation und E<strong>in</strong>heitsbestrebungen 16�<br />
2.� <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Senat und Bürgerschaft 36�<br />
3.� Der Beg<strong>in</strong>n der Isolation 45�<br />
Kapitel 2: Organisation und Struktur 54�<br />
1.� <strong>Die</strong> Neugliederung der Partei 56�<br />
2.� Struktur und Entwicklung der Parteie<strong>in</strong>heiten 61�<br />
3.� Mitgliederzahlen und -struktur 74�<br />
4.� Sub- und Neben<strong>org</strong>anisationen 83�<br />
Kapitel 3: <strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 94�<br />
1.� H<strong>in</strong>tergründe auf Bundesebene 94�<br />
2.� <strong>Die</strong> Säuberungskampagne <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 98�<br />
3.� <strong>Die</strong> Ablösung des Sekretariats 109�<br />
4.� <strong>Die</strong> »umfassende Säuberung der Partei«.<br />
Ausschlussverfahren gegen prom<strong>in</strong>ente Mitglieder 1951/52 115�<br />
Kapitel 4: Politik und Programmatik 149�<br />
1.� Das Primat der »Nationalen Politik« 149�<br />
2.� <strong>Die</strong> »Nationale Politik« <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 154�<br />
3.� <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bremischen Bürgerschaft 177�
Kapitel 5: Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 194�<br />
1.� Überblick: <strong>Die</strong> Radikalisierung der <strong>KPD</strong>-Gewerkschaftspolitik 194�<br />
2.� Betriebs- und Gewerkschaftspolitik der Bremer <strong>KPD</strong> 201�<br />
3.� <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppen: Drei Bremer Beispiele 222�<br />
Kapitel 6: Politische Justiz und Verbot 282�<br />
1.� Verfolgung vor dem Verbot 282�<br />
2.� Das Verbot und die Folgen <strong>in</strong> der BRD 286�<br />
3.� Das Verbot <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 289�<br />
Kapitel 7: <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 304�<br />
1.� Überblick: Zur Entwicklung der illegalen <strong>KPD</strong> auf Bundesebene 304�<br />
2.� <strong>Die</strong> Umstellung der Bremer <strong>KPD</strong>-Organisation nach dem Verbot 313�<br />
3.� <strong>Die</strong> politische Arbeit bis 1960 317�<br />
4.� Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 1956-<strong>1968</strong> 333�<br />
5.� Der Wandel der illegalen Arbeit <strong>in</strong> den 1960er Jahren 344�<br />
6.� Aktivitäten gegen das Verbot und die Gründung der DKP 357�<br />
Schluss 364�<br />
Quellen- und Literaturverzeichnis 368�<br />
1.� Quellen 368�<br />
2.� Primär- und Sekundärliteratur 371�
E<strong>in</strong>leitung<br />
<strong>Die</strong> Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands <strong>in</strong> Westdeutschland von<br />
<strong>1945</strong> bis zur Gründung der DKP <strong>1968</strong> kann <strong>in</strong>sgesamt ohne Zweifel als »political<br />
disaster« 1 bezeichnet werden. Es ist die Geschichte des Niedergangs e<strong>in</strong>er traditionsreichen<br />
und ehemals - <strong>in</strong> der Weimarer Republik wie auch <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren<br />
- bedeutsamen (Massen-)Partei, der <strong>in</strong> die politische und gesellschaftliche<br />
Isolation führte. <strong>Die</strong>se fand <strong>in</strong> dem Verbot von 1956 ihren juristischen Ausdruck<br />
und zwang die <strong>KPD</strong> nur elf Jahre nach dem Ende der brutalen Verfolgung durch<br />
das nationalsozialistische Regime zur erneuten Illegalität. Was spricht heute - zehn<br />
Jahre nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung und dem Ende des Kalten Krieges <strong>in</strong> Deutschland,<br />
<strong>in</strong> dessen Kontext die Nachkriegs-<strong>KPD</strong> betrachtet werden muss - für e<strong>in</strong>e Beschäftigung<br />
mit dieser isolierten und im bundesweiten Maßstab politisch bedeutungslosen<br />
Partei, noch dazu aus der lokalhistorischen Perspektive des kle<strong>in</strong>sten<br />
Bundeslandes <strong>Bremen</strong>?<br />
<strong>Die</strong> Gründe liegen zunächst gerade im Ende des Kalten Krieges. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> wurde<br />
bis 1989 vornehmlich unter dem Gesichtspunkt aktueller politischer Interessen<br />
analysiert. <strong>Die</strong> Konfrontationsl<strong>in</strong>ie zwischen Kritik und Bekämpfung des Kommunismus<br />
e<strong>in</strong>erseits und apologetischer Verherrlichung der <strong>KPD</strong>-Geschichte andererseits<br />
entsprach weitgehend der des Ost-West-Konfliktes. In der Bundesrepublik<br />
waren Gesamtdarstellungen der <strong>KPD</strong>-Geschichte nach <strong>1945</strong> äußerst rar, sie behandelten<br />
außerdem nahezu ausschließlich die legale Phase bis 1956. 2 <strong>Die</strong>s war auch<br />
begründet <strong>in</strong> der ebenfalls der Konfrontation des Kalten Krieges geschuldeten<br />
Quellenlage: <strong>Die</strong> orig<strong>in</strong>ären Materialien der <strong>KPD</strong> lagen <strong>in</strong> Archiven der DDR, die<br />
westlichen Wissenschaftlern nur <strong>in</strong> Ausnahmefällen E<strong>in</strong>blick gestattete. <strong>Die</strong> meisten<br />
im Westen zugänglichen Quellen boten lediglich offizielles, d.h. vor allem propagandistisch<br />
geprägtes Material wie Zeitungen, Flugblätter, Broschüren u.ä., aber<br />
nur wenige partei<strong>in</strong>terne Protokolle, Berichte und Analysen. 3<br />
Mit dem Ende des Kalten Krieges und der realsozialistischen Staaten, besonders<br />
der DDR, s<strong>in</strong>d diese zwei wesentlichen Determ<strong>in</strong>anten der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />
1 Patrick Major, The Death of the <strong>KPD</strong>. Communism and Anti-Communism <strong>in</strong> West-Germany, <strong>1945</strong>-<br />
1956, Oxford 1997.<br />
2 Vor allem Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik. Ihre politische Tätigkeit und Organisation<br />
<strong>1945</strong>-1956, Köln und Opladen 1959; <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, <strong>in</strong>: Richard<br />
Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. <strong>Die</strong> Parteien der Bundesrepublik Deutschland <strong>1945</strong>-1980,<br />
Band 2: FDP bis WAV, S. 1663-1809, Opladen 1983.<br />
3 <strong>Die</strong> spärlichen <strong>in</strong>ternen Quellen stammten vor allem aus Beschlagnahmungen im Zuge des Verbotsantrages<br />
von 1951.
8<br />
E<strong>in</strong>leitung<br />
der Geschichte der <strong>KPD</strong> entfallen. <strong>Die</strong> Archive der DDR, und damit die dort gelagerten<br />
Primärquellen der <strong>KPD</strong>, s<strong>in</strong>d nunmehr zugänglich. Gleichzeitig s<strong>in</strong>d die politischen<br />
Bed<strong>in</strong>gungen entfallen, die zuvor die Behandlung der <strong>KPD</strong>-Geschichte<br />
nach <strong>1945</strong> hauptsächlich <strong>in</strong> den Kontext der Systemause<strong>in</strong>andersetzung stellten. Es<br />
bietet sich damit heute die Chance e<strong>in</strong>er differenzierteren wissenschaftlichen Analyse<br />
und Aufarbeitung dieses Themas.<br />
Im Zuge der neuen politischen und archivarischen Bed<strong>in</strong>gungen hat die Beschäftigung<br />
mit dem Kommunismus und den realsozialistischen Staaten <strong>in</strong> den<br />
letzten zehn Jahren durchaus Konjunktur. Leider haben sich große Teile der westlichen<br />
Geschichtswissenschaft dabei vor allem auf die ›Aufarbeitung‹ der Geschichte<br />
der DDR und - im globalen Kontext - des Kommunismus im 20. Jahrhundert konzentriert.<br />
Dabei wurden häufig die alten Interpretationen aus der Zeit der Systemause<strong>in</strong>andersetzung<br />
nicht e<strong>in</strong>er kritischen Prüfung unterzogen, sondern vielmehr<br />
versucht diese neu zu legitimieren. 4<br />
Dennoch erfuhr auch die westliche <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>ige neue Aufmerksamkeit. Waren es<br />
zunächst Autoren aus dem Umfeld der DKP, die 1989/90 versuchten, die <strong>KPD</strong>-<br />
Geschichte auf der Grundlage der veränderten Bed<strong>in</strong>gungen, jedoch noch ohne Berücksichtigung<br />
der neu zugänglichen Quellen zu analysieren, 5 gab es ab 1993 e<strong>in</strong>e<br />
Reihe von Veröffentlichungen - vor allem Dissertationen -, die umfassendere Darstellungen<br />
der <strong>KPD</strong> boten und dabei - größtenteils unter E<strong>in</strong>beziehung der neuen<br />
Quellen - die Chance e<strong>in</strong>er differenzierteren Analyse und Neubewertung nutzten. 6<br />
<strong>Die</strong> vorliegende Studie sieht sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ie mit diesen Arbeiten und möchte<br />
sie <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht ergänzen. <strong>Die</strong> bislang vorliegenden Gesamtdarstellungen<br />
bieten nur wenig E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die partei<strong>in</strong>ternen Entscheidungsstrukturen. Widersprüche<br />
und Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong>nerhalb der Leitungsebene wie auch zwischen<br />
Parteibasis und -führung wurden zwar verschiedentlich benannt, aber nur<br />
wenig detailliert dargestellt und analysiert. Nur vere<strong>in</strong>zelt thematisiert wurde auch<br />
4 Internationale und auch <strong>in</strong> der nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit stark beachtete Beispiele hierfür<br />
waren u.a. die umstrittenen Veröffentlichungen von François Furet (Das Ende der Illusion. Der Kommunismus<br />
im 20. Jahrhundert, München 1996) sowie Stéphane Courtois u.a. (Das Schwarzbuch des<br />
Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München 1998 [Erweiterte Studienausgabe<br />
2000]).<br />
5 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP <strong>1945</strong> - 1990. Zwei kommunistische Parteien <strong>in</strong> der vierten Periode kapitalistischer<br />
Entwicklung, Heilbronn 1990; Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung:<br />
Zu e<strong>in</strong>igen Fragen der Nachkriegsgeschichte der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, herausgegeben<br />
und e<strong>in</strong>geleitet von Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus, 2 Bände, Neuss 1989,<br />
Band 1, S. 13 - 134.<br />
6 Patrick Major, The Death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O.; Jens-Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament. <strong>Die</strong><br />
<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Regierungen und Parlamenten der westdeutschen Besatzungszonen und der Bundesrepublik<br />
Deutschland (<strong>1945</strong>-1956), Bonn 1993; Volker Sieger, <strong>Die</strong> Wirtschafts- und Sozialpolitik der <strong>KPD</strong> von<br />
<strong>1945</strong> bis 1956, Frankfurt a. M. 2000. Letzteres Werk konnte aufgrund des Veröffentlichungszeitpunktes<br />
für diese Arbeit leider nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden. Neben diesen drei Dissertationen<br />
zu nennen s<strong>in</strong>d außerdem zwei umfangreiche Aufsätze von Herbert Mayer (Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den,<br />
Agenten, Verbrechern...? Zu den Parteisäuberungen <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> [1948 - 1952] und der Mitwirkung<br />
der SED, Berl<strong>in</strong> 1995; Nur e<strong>in</strong>e Wahlniederlage? Zum Verhältnis zwischen SED und <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den<br />
Jahren 1948/49, <strong>in</strong>: Hefte zur DDR-Geschichte 12, Berl<strong>in</strong> 1993).
E<strong>in</strong>leitung 9<br />
die konkrete Umsetzung der zentralistisch bestimmten Parteil<strong>in</strong>ie auf lokalpolitischer<br />
und betrieblicher Ebene sowie die dabei auftretenden Widersprüche und<br />
Konflikte. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> musste aufgrund dieser fehlenden <strong>in</strong>ternen E<strong>in</strong>blicke im wesentlichen<br />
als e<strong>in</strong> von außen angeleiteter monolithischer Block ersche<strong>in</strong>en, dessen<br />
<strong>in</strong>nere Widersprüche und Entwicklungen <strong>in</strong>klusive deren Wechselwirkung mit den<br />
äußeren Bed<strong>in</strong>gungen nur wenig differenziert behandelt werden konnten. E<strong>in</strong>e kritische<br />
Neubewertung der Geschichte des Kalten Krieges <strong>in</strong> beiden deutschen Staaten<br />
setzt jedoch e<strong>in</strong>e solche Differenzierung auch h<strong>in</strong>sichtlich der <strong>KPD</strong> voraus. Derartige<br />
Analysen für den gesamten Zeitraum der Nachkriegsgeschichte der <strong>KPD</strong> s<strong>in</strong>d<br />
s<strong>in</strong>nvollerweise nur auf lokaler Landesebene möglich und liegen bislang nicht vor. 7<br />
Mit der Untersuchung der Bremer <strong>KPD</strong> soll auf der Basis der nunmehr zugänglichen<br />
Orig<strong>in</strong>alquellen versucht werden, wenigstens e<strong>in</strong>en Teil dieser Lücke zu<br />
schließen.<br />
Für e<strong>in</strong>e solche lokalhistorische Studie als Bestandteil e<strong>in</strong>er fundierten Analyse<br />
und Neubewertung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik eignet sich <strong>Bremen</strong> aus mehreren<br />
Gründen. Generell besitzt die Arbeiterbewegung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong>e bedeutende<br />
Tradition. Seit der Revolution 1918/19 wie auch bereits vor dem Ersten Weltkrieg<br />
war die Stadt häufig e<strong>in</strong> exemplarischer Schauplatz der politischen und sozialen<br />
Kämpfe der Arbeiterschaft sowie der theoretischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong>nerhalb<br />
der sozialistischen Bewegung, wobei oft die l<strong>in</strong>ken Strömungen überwogen.<br />
Auch die <strong>KPD</strong> baute <strong>in</strong> der Hansestadt auf e<strong>in</strong>e starke Tradition: <strong>Die</strong> im Ersten<br />
Weltkrieg von der SPD abgespalteten »Bremer L<strong>in</strong>ksradikalen« um den Lehrer Johann<br />
Knief und die aus dieser Gruppe entstandene parteiförmige Organisation »Internationale<br />
Kommunisten Deutschlands« (IKD) waren geme<strong>in</strong>sam mit dem Spartakusbund<br />
entscheidend an der Gründung der <strong>KPD</strong> 1918/19 beteiligt. 8<br />
Für die Entwicklung nach <strong>1945</strong> und vor allem seit 1948 lässt sich am Bremer<br />
Landesverband exemplarisch die Entwicklung der Gesamtpartei ablesen. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong><br />
war hier pr<strong>in</strong>zipiell den gleichen <strong>in</strong>haltlichen und <strong>org</strong>anisatorischen Isolations- und<br />
Erosionsprozessen ausgesetzt, die sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> aufgrund der relativ kle<strong>in</strong>en und<br />
damit überschaubaren Partei- und Entscheidungsstrukturen sowie der ›kurzen politischen<br />
Wege‹ des Stadtstaates vor allem h<strong>in</strong>sichtlich der partei<strong>in</strong>ternen Prozesse<br />
detaillierter nachvollziehen lassen. Ähnliches gilt für die Untersuchung der Arbeit<br />
<strong>in</strong> den Betrieben, deren konkrete Ausformungen und Zusammenhänge mit den<br />
7 Es existiert lediglich e<strong>in</strong>e frühe Studie über die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, die sich aber zum e<strong>in</strong>en<br />
aufgrund der damaligen Quellenlage vor allem auf offizielle Parteimaterialien stützt und somit <strong>in</strong>terne<br />
Prozesse nicht erfasst, zum anderen nur den Zeitraum bis 1956 berücksichtigt (Gudrun Schädel, <strong>Die</strong><br />
Kommunistische Partei Deutschlands <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen von <strong>1945</strong>-1956, Diss. Bochum o.J. [1974],<br />
Typoscript).<br />
8 Peter Kuckuk, Bremer L<strong>in</strong>ksradikale bzw. Kommunisten von der Militärrevolte im November 1918 bis<br />
zum Kapp-Putsch im März 1920. Ihre Politik <strong>in</strong> der Hansestadt und <strong>in</strong> den Richtungskämpfen <strong>in</strong>nerhalb<br />
der <strong>KPD</strong>. Phil.Diss. Hamburg 1970; Peter Kuckuk, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der deutschen Revolution 1918-1919.<br />
Revolution, Räterepublik, Restauration, Hrsg. von Karl-Ludwig Sommer, <strong>Bremen</strong> 1986, S. 26ff.; Arne<br />
Andersen, »Lieber im Feuer der Revolution sterben, als auf dem Misthaufen der Demokratie verrecken!«.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> von 1928-1933. E<strong>in</strong> Beitrag zur Bremer Sozialgeschichte, München 1987, S.<br />
25ff.
10<br />
E<strong>in</strong>leitung<br />
Entscheidungen der Parteiführung nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em regional begrenzten Untersuchungsfeld<br />
differenziert zu erfassen ist.<br />
Daneben kam der Bremer <strong>KPD</strong> aber auch e<strong>in</strong>e bundesweit herausragende Stellung<br />
zu. Im Vergleich zur Entwicklung der anderen Landesverbände sowie der gesamten<br />
Partei konnte die <strong>KPD</strong> hier e<strong>in</strong>e relativ starke Position behaupten und blieb<br />
bis zum Verbot 1956 e<strong>in</strong> politisch relevanter Faktor. <strong>Die</strong>se Sonderstellung der Bremer<br />
Landes<strong>org</strong>anisation manifestierte sich vor allem <strong>in</strong> den Wahlergebnissen. Während<br />
die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> allen vorausgegangenen Landtagswahlen und 1953 auch bei der<br />
Bundestagswahl an der Fünfprozent-Hürde gescheitert war und dabei teilweise<br />
dramatische Stimmenverluste h<strong>in</strong>nehmen musste, konnte sie <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> noch 1955<br />
mit vier Abgeordneten <strong>in</strong> die Bürgerschaft e<strong>in</strong>ziehen. Nach dem Verbot 1956 ermöglichte<br />
e<strong>in</strong>e Entscheidung des Staatsgerichtshofes diesen Abgeordneten den Verbleib<br />
<strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft, wodurch die Sonderstellung der Bremer <strong>KPD</strong> auch<br />
<strong>in</strong> der Illegalität zunächst erhalten blieb.<br />
<strong>Die</strong> genannten Gründe lassen die Bremer <strong>KPD</strong> als geeignet ersche<strong>in</strong>en für e<strong>in</strong>e<br />
regional begrenzte Fallstudie, die <strong>in</strong> vielerlei H<strong>in</strong>sicht exemplarisch für die Gesamtpartei<br />
stehen kann, darüber h<strong>in</strong>aus aber auch e<strong>in</strong>e Reihe lokaler Spezifika und<br />
deren Bedeutung für die Parteigeschichte aufzeigt.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus gibt es gute lokalhistorische Gründe für e<strong>in</strong>e detaillierte Untersuchung<br />
der Bremer <strong>KPD</strong>, die bislang <strong>in</strong> der ansonsten vielfältigen Literatur über<br />
die Bremer Arbeiterbewegung schlicht e<strong>in</strong> Desiderat darstellte. Lediglich <strong>in</strong> thematisch<br />
anderen oder größeren Zusammenhängen fanden auch Teilaspekte der Geschichte<br />
und Politik der <strong>KPD</strong> Berücksichtigung. In größerem Umfang ist dies der<br />
Fall bei Renate Meyer-Braun, 9 die die <strong>KPD</strong> vor allem im H<strong>in</strong>blick auf das Verhältnis<br />
zur SPD erwähnt, der Dissertation von Peter Brandt, 10 die auf die unmittelbare<br />
Nachkriegszeit beschränkt ist, hier allerd<strong>in</strong>gs auch die Re<strong>org</strong>anisation und Politik<br />
der <strong>KPD</strong> ausführlich behandelt, sowie <strong>in</strong> der auf e<strong>in</strong>en Stadtteil begrenzten Lokalstudie<br />
von Joachim Oltmann 11. Daneben existieren e<strong>in</strong>ige Publikationen, e<strong>in</strong>zelne<br />
Beiträge <strong>in</strong> Sammelbänden, Zeitzeugenberichte sowie Biographien, die allesamt auf<br />
Teilaspekte begrenzt bleiben oder die <strong>KPD</strong> nur am Rande thematisieren. 12 <strong>Die</strong> ille-<br />
9 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949 - 1959. E<strong>in</strong>e lokal- und parteigeschichtliche Studie, Frankfurt<br />
a. M.; New York 1982.<br />
10 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung. Aufbau, Ausprägung, Politik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>1945</strong>/46, Hamburg 1976.<br />
11 Joachim Oltmann, Kalter Krieg und kommunale Integration. Arbeiterbewegung im Stadtteil <strong>Bremen</strong>-<br />
Vegesack, Marburg 1987.<br />
12 Horst Adamietz, Das erste Kapitel. Bremer Parlamentarier <strong>1945</strong>-1950, <strong>Bremen</strong> 1975; ders., <strong>Die</strong> Fünfziger<br />
Jahre. Bremer Parlamentarier 1951-1959, <strong>Bremen</strong> 1978; Arne Andersen und Uwe Kiupel, IG Metall<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. <strong>Die</strong> ersten 100 Jahre, herausgegeben von der IG Metall <strong>Bremen</strong>, <strong>Bremen</strong> 1991; Christoph<br />
Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nach dem Zweiten Weltkrieg, <strong>Bremen</strong> 1989; Wilhelm Eberwe<strong>in</strong><br />
und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall. Arbeit im Wirtschaftswunder (B<strong>org</strong>ward, Goliath, Lloyd) <strong>Bremen</strong><br />
1987; Wolfgang Merkel und Beernhard Oldigs, M<strong>org</strong>en Rot! 80 Jahre Bremer Arbeiterjugendbewegung,<br />
40 Jahre Landesjugendr<strong>in</strong>g, herausgegeben vom Landesjugendr<strong>in</strong>g <strong>Bremen</strong>, <strong>Bremen</strong> 1987; Christoph<br />
Butterwegge u.a. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg. Zeitzeug<strong>in</strong>nen berichten aus den 50er und 60er Jahren:<br />
West<strong>in</strong>tegration-Wiederbewaffnung-Friedensbewegung, <strong>Bremen</strong> 1991; He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und<br />
Almut Schwerd (Hrsg.), Zeitzeugen berichten: <strong>Die</strong> Bremer Arbeiterbewegung <strong>in</strong> den fünfziger Jahren.
E<strong>in</strong>leitung 11<br />
gale Phase der Bremer <strong>KPD</strong> bis <strong>1968</strong> wurde bislang lediglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er eigenen Studie<br />
zusammenhängend dargestellt, für die jedoch die neuen Quellen noch nicht zur<br />
Verfügung standen. 13<br />
Der relativ große Untersuchungszeitraum sowie die Art und besonders der Umfang<br />
des zugrunde gelegten Quellenmaterials machen auch im Rahmen der hier <strong>in</strong>tendierten<br />
Gesamtdarstellung e<strong>in</strong>e Schwerpunktsetzung und Akzentuierung unumgänglich.<br />
<strong>Die</strong> Arbeit konzentriert sich deshalb zum e<strong>in</strong>en chronologisch auf den<br />
Zeitraum 1948 bis 1956, der für die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>erseits die Phase des Niedergangs sowie<br />
zunehmender politischer Isolation und staatlicher Verfolgung bis h<strong>in</strong> zum Verbot<br />
markierte, andererseits <strong>in</strong>nerparteilich begleitet war von <strong>org</strong>anisatorischen Umgestaltungen,<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzungen und massiven Mitgliederverlusten. <strong>Die</strong>se <strong>in</strong>nerparteilichen<br />
Prozesse wiederum bilden den <strong>in</strong>haltlichen Schwerpunkt der gesamten<br />
Arbeit.<br />
Zur Erläuterung der Gliederung sei kurz auf die Schwerpunkte der e<strong>in</strong>zelnen<br />
Kapitel verwiesen. Als e<strong>in</strong>leitendes Kapitel zu verstehen ist die Darstellung der ersten<br />
Nachkriegsjahre bis 1948, <strong>in</strong> denen die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zunächst zu e<strong>in</strong>er wichtigen<br />
gesellschaftlichen Kraft wurde und auch an der Landesregierung beteiligt<br />
war. <strong>Die</strong>se Phase ist <strong>in</strong> der Literatur bereits ausführlich geschildert. Besonders Peter<br />
Brandt hat sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er als Standardwerk zu betrachtenden Dissertation behandelt,<br />
wobei er auch auf <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> gelagerte Quellen der <strong>KPD</strong> bzw. SED zurückgreifen<br />
konnte. 14 In diesem Kapitel wird deshalb lediglich überblicksartig auf diese bisher<br />
vorliegenden Erkenntnisse Bezug genommen und wo möglich durch die neu vorliegenden<br />
Quellen aus den <strong>KPD</strong>-Beständen ergänzt.<br />
Der Hauptteil der Arbeit über die Phase zwischen 1948 und 1956 wird <strong>in</strong> Kapitel<br />
2 e<strong>in</strong>geleitet mit e<strong>in</strong>er Darstellung der Organisationsstrukturen der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>.<br />
Den oben genannten <strong>in</strong>haltlichen Schwerpunkt vertieft dann das dritte Kapitel<br />
über die ›Säuberungen‹ und <strong>in</strong>nerparteilichen Ause<strong>in</strong>andersetzungen. Hier wird<br />
deutlich, wie massiv der <strong>in</strong>nere Wandlungsprozess der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> diesen Jahren war<br />
und welche Folgen er <strong>in</strong> der Partei auf lokaler Ebene hatte. Kapitel 4 (Politik und<br />
Programmatik) schildert die Umsetzung der ›Nationalen Politik‹ der <strong>KPD</strong> auf<br />
kommunal- und landespolitischer Ebene sowie die Arbeit und Funktion der kommunistischen<br />
Bürgerschaftsfraktion. Kapitel 5 behandelt ausführlich die Betriebsgruppen<br />
und die Gewerkschaftspolitik. <strong>Die</strong> bei der Umsetzung der Parteil<strong>in</strong>ie entstehenden<br />
Widersprüche und Probleme können hier besonders gut beobachtet werden.<br />
Bremer Vorträge zur politischen Bildung, Schriftenreihe der Bremer Volkshochschule und der Bildungsvere<strong>in</strong>igung<br />
Arbeit und Leben (DGB/VHS) e.V., Band 2, Marburg 1989; Karl-Ludwig Sommer<br />
(Hrsg.), <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> den fünfziger Jahren: Politik, Wirtschaft, Kultur, <strong>Bremen</strong> 1989; Käthe Popall, E<strong>in</strong><br />
schwieriges politisches Leben. Erzählte Geschichte, bearbeitet von Peter Alheit und Jörg Wollenberg,<br />
Fischerhude 1985; Johann Re<strong>in</strong>ers, Erlebt und nicht vergessen. E<strong>in</strong>e politische Biographie, Fischerhude<br />
1982.<br />
13 Hendrik Bunke, <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong> 1956 - <strong>1968</strong>. Verbot, Organisation, Politik, <strong>in</strong>: Bremisches Jahrbuch. In<br />
Verb<strong>in</strong>dung mit der Historischen Gesellschaft <strong>Bremen</strong> herausgegeben vom Staatsarchiv <strong>Bremen</strong>, Band<br />
73, <strong>Bremen</strong> 1994, S. 202 - 279.<br />
14 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O.
12<br />
E<strong>in</strong>leitung<br />
In allen Kapiteln wird auch die Ausgrenzung der <strong>KPD</strong> durch die anderen Parteien,<br />
die Gewerkschaften sowie die staatlichen Organe deutlich. Kapitel 6 schildert<br />
noch e<strong>in</strong>mal überblicksartig das Ausmaß der juristischen Verfolgung bis zum Verbot<br />
1956, das die <strong>KPD</strong> schließlich endgültig aus dem legalen politischen Spektrum<br />
verdrängte. <strong>Die</strong> nachfolgende illegale Arbeit und Existenz der Partei bis zur Gründung<br />
der DKP <strong>1968</strong> ist Thema des siebten Kapitels. Aufgrund der ger<strong>in</strong>geren <strong>in</strong>haltlichen<br />
Relevanz und des wesentlich spärlicher vorliegenden Quellenmaterials<br />
kann im Rahmen e<strong>in</strong>er Gesamtdarstellung die Schilderung dieser immerh<strong>in</strong> zwölf<br />
Jahre währenden Phase nicht so ausführlich geschehen wie die der Jahre von 1948<br />
bis 1956. 15<br />
Quellen<br />
Wesentliche Grundlage der Arbeit s<strong>in</strong>d die ehemals im »Institut für Marxismus-<br />
Len<strong>in</strong>ismus beim ZK der SED« (IML) gelagerten und lange nicht zugänglichen Materialien<br />
der West-<strong>KPD</strong>, die entweder im Laufe der 1950er Jahre aus Sicherheitsgründen<br />
nach Ost-Berl<strong>in</strong> geschafft worden waren oder aber aus anderen Beständen<br />
der SED stammen. Nach dem Zusammenbruch der DDR und der deutschen E<strong>in</strong>igung<br />
wurde das umfangreiche SED-Archiv beim IML <strong>in</strong> die 1993 e<strong>in</strong>gerichtete<br />
»Stiftung Archiv der Parteien und Massen<strong>org</strong>anisationen der DDR im Bundesarchiv«<br />
(SAPMO) überführt. <strong>Die</strong> sehr umfangreichen Bestände der West-<strong>KPD</strong> waren<br />
davon jedoch <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>es Rechtsstreites ausgenommen und verblieben zunächst<br />
beim Parteivorstand der PDS <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, wo sie für diese Arbeit e<strong>in</strong>gesehen werden<br />
konnten. Inzwischen s<strong>in</strong>d auch diese Bestände <strong>in</strong> die SAPMO e<strong>in</strong>gegliedert worden<br />
und wieder zugänglich für die Forschung. 16 SiewurdenimRahmendieserArbeit<br />
erstmals für die Untersuchung e<strong>in</strong>er regionalen <strong>KPD</strong>-Organisation ausgewertet. 17<br />
Innerhalb der zwei großen <strong>KPD</strong>-Bestände (I 10 und I 11) betreffen zwei Sammlungen<br />
explizit die Bremer Landes<strong>org</strong>anisation (I 10/20 und I 11/20). <strong>Die</strong>se wurden<br />
komplett e<strong>in</strong>gesehen und bearbeitet. Das umfangreiche Material ist vor allem h<strong>in</strong>sichtlich<br />
der zahlreichen <strong>in</strong>ternen Protokolle und Berichte von grundlegender Bedeutung<br />
für die vorliegende Arbeit. Im E<strong>in</strong>zelnen s<strong>in</strong>d unter anderem enthalten:<br />
die Sitzungsprotokolle, Arbeitspläne und Tätigkeitsberichte des Landessekretariats<br />
von 1949 bis 1956; Protokolle der Landesleitung und von Parteitagen bzw. Landesdelegiertenkonferenzen;<br />
Materialien der e<strong>in</strong>zelnen Abteilungen der Landesleitung;<br />
für den Parteivorstand der <strong>KPD</strong> sowie die entsprechenden Abteilungen der SED<br />
15 Das Kapitel basiert zum Teil auf me<strong>in</strong>er Staatsexamensarbeit von 1993, die 1994 leicht überarbeitet als<br />
Aufsatz veröffentlicht wurde (Hendrik Bunke, <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong> 1956 - <strong>1968</strong>, a.a.O.). Für die vorliegende<br />
Arbeit wurden auf der Basis der neuen Quellen wesentliche Teile überarbeitet und ergänzt.<br />
16 Für die vorliegende Arbeit werden die Signaturen verwendet, mit denen die Bestände zum Zeitpunkt<br />
der E<strong>in</strong>sichtnahme bei der PDS ausgezeichnet waren. <strong>Die</strong>se s<strong>in</strong>d weitgehend identisch mit denen der<br />
SAPMO. Um die E<strong>in</strong>heitlichkeit zu gewährleisten, werden die <strong>KPD</strong>-Bestände deshalb mit »SAPMO<br />
« zitiert.<br />
17 Patrick Major hat den SAPMO-Bestand der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen benutzt. Se<strong>in</strong> Schwerpunkt ist<br />
jedoch nicht die Landes<strong>org</strong>anisation, sondern die Gesamtpartei, für die er Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen lediglich<br />
als »empirical focus« heranzieht (Patrick Major, The Death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 18, 311).
E<strong>in</strong>leitung 13<br />
bestimmte Instrukteursberichte; 18 zahlreiche Flugblätter, Aufrufe und andere Veröffentlichungen<br />
der Partei wie Betriebs- oder Stadtteilzeitungen. Neben diesen für<br />
die Bremer <strong>KPD</strong> zentralen Materialien wurden aus dem <strong>KPD</strong>-Gesamtbestand e<strong>in</strong>zelne<br />
Akten e<strong>in</strong>gesehen, die relevante Informationen enthielten.<br />
Zweiter grundlegender Quellenbestand waren Akten des Arbeitsbüros und der<br />
Westkommission des ZK der SED, die sich ebenfalls <strong>in</strong> der »Stiftung Archiv der<br />
Parteien und Massen<strong>org</strong>anisationen der DDR im Bundesarchiv« bef<strong>in</strong>den (IV<br />
2/10.02, IV 2/10.03 und IV A2/10.02). 19 Besonders relevant waren diese Materialien<br />
für die illegale Phase der <strong>KPD</strong> von 1956-<strong>1968</strong>. Sie enthalten <strong>in</strong> Bezug auf <strong>Bremen</strong><br />
Berichte der Bezirksleitung, Instrukteursberichte, Berichte zu E<strong>in</strong>zelproblemen<br />
(Mauerbau, Ostermärsche, Betriebsfragen, Parteizeitung, Gründung der DKP etc.)<br />
sowie Informationen zu Aufbau und Struktur der Partei <strong>in</strong> der Illegalität. Enthalten<br />
s<strong>in</strong>d außerdem die Protokolle der Sitzungen des Zentralkomitees und des Politbüros<br />
der illegalen <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong> denen sich ebenfalls Beschlüsse und Stellungnahmen zu<br />
Bremer Problemen f<strong>in</strong>den.<br />
E<strong>in</strong>gesehen und teilweise verwertet wurden aus den SAPMO-Beständen außerdem<br />
die Nachlässe von Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Otto Grothewohl, die<br />
auch Berichte über die <strong>KPD</strong> - u.a. <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> - <strong>in</strong> der unmittelbaren Nachkriegszeit<br />
enthalten.<br />
E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>erer Bestand von Materialien der Bremer <strong>KPD</strong> bef<strong>in</strong>det sich im Bundesarchiv<br />
<strong>in</strong> Koblenz (B 118/29). <strong>Die</strong>ser Bestand enthält allerd<strong>in</strong>gs weniger grundlegendes,<br />
sondern lediglich ergänzendes Material. Es handelt sich um nach 1951 im<br />
Zuge des Verbotsantrages der Bundesregierung beschlagnahmte Unterlagen, die<br />
teilweise auch <strong>in</strong> den bereits genannten Beständen zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d und größtenteils<br />
aus Publikations- oder <strong>in</strong>ternem Informationsmaterial bestehen.<br />
Neben diesen zentralen <strong>KPD</strong>-Beständen wurden Quellen im Staatsarchiv <strong>Bremen</strong><br />
sowie e<strong>in</strong>zelne Dokumente und Materialien im Statistischen Landesamt <strong>Bremen</strong><br />
und dem »Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung« <strong>in</strong><br />
Bonn benutzt. Hilfreich waren außerdem e<strong>in</strong>ige mir dankenswerterweise zur Verfügung<br />
gestellten Privatarchive. Intensiv ausgewertet wurde die Presse der Bremer<br />
<strong>KPD</strong>: die bis 1956 ersche<strong>in</strong>ende Tribüne der Demokratie sowie die ab 1959 faktisch<br />
von der illegalen Partei herausgebrachte, aber legal und bis 1969 ersche<strong>in</strong>ende Zeitung<br />
Neues Echo.<br />
E<strong>in</strong>e wichtige Quelle zur Ergänzung des Akten-, Presse- und Literaturmaterials<br />
waren die Interviews mit Zeitzeugen, <strong>in</strong>sbesondere mit damaligen <strong>KPD</strong>-<br />
Führungsmitgliedern. Bei aller gebotenen Skepsis gegenüber dem re<strong>in</strong> wissen-<br />
18 <strong>Die</strong> Instrukteursberichte bieten e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>en guten externen E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Bremer Partei<strong>org</strong>anisation,<br />
der oft auch die Sicht der Parteileitungen von SED und <strong>KPD</strong> reflektiert. Sie s<strong>in</strong>d andererseits - mehr<br />
noch als auch den übrigen Quellen gegenüber geboten ist - mit besonderer S<strong>org</strong>falt zu benutzen, da gerade<br />
der ›Blick von außen‹ oftmals zu Verfälschungen (Personen, Orte, Zeit) oder auch Übertreibungen<br />
führte (vgl. auch Jochen Staadt, <strong>Die</strong> geheime Westpolitik der SED 1960-1970. Von der gesamtdeutschen<br />
Orientierung zur sozialistischen Nation, Berl<strong>in</strong> 1993, S. 19f.).<br />
19 <strong>Die</strong> Westkommission und das Arbeitsbüro waren für die Koord<strong>in</strong>ation und Anleitung der <strong>KPD</strong> zuständig.<br />
Siehe z. B. Jochen Staadt, <strong>Die</strong> geheime Westpolitik der SED, a.a.O., S. 27ff.
14<br />
E<strong>in</strong>leitung<br />
schaftlichen Erkenntniswert solcher oftmals durch Verzerrungen und Er<strong>in</strong>nerungslücken<br />
geprägter Interviews, konnten sie dennoch viele ergänzende und veranschaulichende<br />
Informationen bieten, die für das Verständnis der <strong>KPD</strong> und ihrer<br />
handelnden Akteure sehr wertvoll waren. Allen Interviewpartnern sei hiermit herzlich<br />
gedankt für die Gesprächsbereitschaft und die Überlassung von Dokumenten.<br />
<strong>Die</strong> vorliegende Arbeit wurde am 7. Februar 2001 vom Promotionsausschuss<br />
Dr.phil. der Universität <strong>Bremen</strong> als Dissertation angenommen. Das Promotionscolloquium<br />
fand am 18. Juni 2001 statt.<br />
Abschließend möchte der Verfasser all denen sehr herzlich danken, die die Entstehung<br />
der Arbeit vielfältig unterstützt und begleitet haben. Ganz besonders gilt<br />
der Dank dem Betreuer Prof. Dr. Wolfgang Schäfer für die <strong>in</strong>tensive Förderung,<br />
Geduld und persönliche Verbundenheit, sowie Dr. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Prof.<br />
Dr. Dr. Peter Alheit, die mich mehr als kollegial unterstützt haben und von denen<br />
ich viel lernen konnte.
Kapitel 1<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
<strong>Die</strong> Jahre <strong>1945</strong> bis Anfang 1948 markieren für die Geschichte der Bremer <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Periode, <strong>in</strong> der die Kommunisten, wie <strong>in</strong> den gesamten westlichen Besatzungszonen<br />
und - unter anderen Vorzeichen - <strong>in</strong> der sowjetisch besetzten Ostzone, nach<br />
zwölf Jahren der Illegalität und Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime<br />
zunächst zu e<strong>in</strong>er wichtigen gesellschaftlichen und politischen Kraft wurden. <strong>Die</strong><br />
Bremer <strong>KPD</strong> war <strong>in</strong> Senat und Bürgerschaft vertreten und damit erstmals Regierungspartei<br />
<strong>in</strong> der Hansestadt. Auch außerparlamentarisch und gesellschaftlich<br />
spielte die Partei e<strong>in</strong>e tragende Rolle bei der Bewältigung der Nachkriegssituation<br />
sowie der Planung und Diskussion der politischen Neuordnung. Kommunisten<br />
waren maßgeblich beteiligt an der Gründung und Arbeit der »Kampfgeme<strong>in</strong>schaft<br />
gegen den Faschismus« (KGF), die sich unmittelbar nach Kriegsende konstituierte<br />
und vor der Legalisierung der beiden Arbeiterparteien im Oktober <strong>1945</strong> zunächst<br />
zur geme<strong>in</strong>samen Plattform aller Strömungen der Arbeiterbewegung wurde. Sehr<br />
früh aktiv waren Kommunisten beim Wiederaufbau der Betriebe und Gewerkschaften,<br />
so dass sich die <strong>KPD</strong> auch hier zunächst e<strong>in</strong>en großen E<strong>in</strong>fluss sichern konnte<br />
und <strong>in</strong> vielen der ersten Betriebsräte die Mehrheit stellte. Begleitet war diese politische<br />
und gesellschaftliche Stellung von e<strong>in</strong>em relativ pragmatischen Regierungsund<br />
Konsenswillen und e<strong>in</strong>er entsprechenden Programmatik der <strong>KPD</strong>, die e<strong>in</strong>en<br />
antifaschistisch-demokratischen Neuaufbau zum Ziel hatte und sozialistischrevolutionäre<br />
Vorstellungen zunächst <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund stellte. <strong>Die</strong>se starke Stellung<br />
der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren hatte durchaus historische Grundlagen.<br />
Arbeiterbewegung und Arbeiterparteien, »sowohl die reformistische als auch<br />
die revolutionäre Richtung«, 1 bauten <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> auf e<strong>in</strong>e starke Tradition auf, und<br />
die Stadt kann zu Recht auch als Hochburg der <strong>KPD</strong> bezeichnet werden. 2<br />
1 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 9.<br />
2 Zur (Vor-)Geschichte der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bis <strong>1945</strong> siehe ausführlich: Arne Andersen, »Lieber im Feuer<br />
der Revolution sterben, als auf dem Misthaufen der Demokratie verrecken!«, a.a.O.; Peter Kuckuk,<br />
<strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der deutschen Revolution 1918-1919, a.a.O.; Peter Kuckuk, Bremer L<strong>in</strong>ksradikale bzw.<br />
Kommunisten von der Militärrevolte im November 1918 bis zum Kapp-Putsch im März 1920, a.a.O.;<br />
Hansge<strong>org</strong> Conert, Reformismus und Radikalismus <strong>in</strong> der bremischen Sozialdemokratie vor 1914. <strong>Die</strong><br />
Herausbildung der »Bremer L<strong>in</strong>ken« zwischen 1904 und 1914, Universität <strong>Bremen</strong> 1985; Hartmut Müller<br />
(Hrsg.), Bremer Arbeiterbewegung 1918-<strong>1945</strong> - »Trotz alledem«, Katalogbuch zur gleichnamigen<br />
Ausstellung im Rathaus <strong>Bremen</strong>, Berl<strong>in</strong> 1983; Jörg Wollenberg, Lore Heer-Kle<strong>in</strong>ert, Mechthild Müser<br />
und <strong>Die</strong>ter Pfliegensdörfer, Von der Krise zum Faschismus. Bremer Arbeiterbewegung 1929-33, Frankfurt<br />
a.M. 1983. Zum kommunistischen Widerstand <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zwischen 1933 und <strong>1945</strong> vor allem Inge
16<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
1. Re<strong>org</strong>anisation und E<strong>in</strong>heitsbestrebungen<br />
Der Wiederaufbau der <strong>KPD</strong> nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft<br />
begann <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> sehr früh. Unmittelbar nach der Besetzung der Stadt durch britische<br />
und kanadische Truppen (27. April <strong>1945</strong>) 3 konstituierte sich illegal e<strong>in</strong>e Leitung<br />
für das Gebiet des früheren Parteibezirks <strong>Bremen</strong>/Nordwest. Etwa vier Wochen<br />
nach der Besetzung fand e<strong>in</strong>e Wiedergründungsversammlung der Bremer<br />
<strong>KPD</strong> statt, noch im Mai konnte auch der Kontakt zum Zentralkomitee <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> hergestellt<br />
werden. 4<br />
Ebenfalls bereits im Mai <strong>1945</strong> wurde das erste Rundschreiben der Bezirksleitung<br />
an die Mitglieder verteilt. 5 Das Schreiben begann mit e<strong>in</strong>er kurzen, aber von der<br />
Dramatik der Situation gekennzeichneten Bilanz der nationalsozialistischen Herrschaft:<br />
»Nach 12-jähriger brutaler Terror-Herrschaft ist der Zusammenbruch des Nazifaschismus zur<br />
Tatsache geworden. Unter den gewaltigen Schlägen der Roten Armee und den Heeren der<br />
westlichen Demokratien wird e<strong>in</strong> Mordsystem beseitigt, welches von dem werktätigen Volke<br />
ungeheuerliche Opfer gefordert hat. Was diese faschistischen Banditen an Elend, Verwüstung<br />
und Vernichtung h<strong>in</strong>terlassen haben, lässt sich kaum beschreiben. Erschüttert denken wir an<br />
Hundertausende der Unsrigen, der besten Söhne der Arbeiterklasse, die unter dem Terror des<br />
braunen Regimes ihr Blut für die Welteroberungspläne e<strong>in</strong>es Hitler vergossen. In diesen Tagen<br />
öffneten sich die Tore vieler Konzentrationslager für die besten Funktionäre der Arbeiterklasse,<br />
die seit 10 und mehr Jahren der Barbarei und dem faschistischen Terror getrotzt haben.<br />
Nur aufrechterhalten durch das Feuer ihrer revolutionären Erkenntnis, durch den Glauben an<br />
die historisch unabwendbare Zertrümmerung des Faschismus. Zum ersten Mal seit 12 Jahren<br />
können wir wieder freier atmen. <strong>Die</strong> Freiheit, die <strong>in</strong> diesem Zuchthausstaate im Blute erstickt<br />
wurde, muss erst wieder neu geboren werden.«<br />
Der Rest des Schreibens beschäftigte sich mit den ersten zu ergreifenden Maßnahmen<br />
sowie e<strong>in</strong>igen partei<strong>org</strong>anisatorischen Richtl<strong>in</strong>ien und nannte als vorran-<br />
Marßolek und René Ott, <strong>Bremen</strong> im Dritten Reich. Anpassung, Widerstand, Verfolgung, <strong>Bremen</strong> 1986,<br />
S. 245-288 und S. 374-384.<br />
3 Hartmut Müller, Günther Rohdenburg (Hrsg.), Kriegsende <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Er<strong>in</strong>nerungen, Berichte, Dokumente,<br />
<strong>Bremen</strong> 1995. <strong>Bremen</strong> wurde trotz der Besetzung durch die Briten e<strong>in</strong>e Enklave des amerikanischen<br />
Besatzungsgebietes (siehe z.B. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S.<br />
68ff.).<br />
4 Siehe dazu Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 179ff. Brandts Angaben basieren<br />
auf Zeitzeugen<strong>in</strong>terviews. Nach Angaben von Wilhelm Meyer-Buer kam der erste Kontakt mit<br />
dem Zentralkomitee durch den späteren Vorsitzenden der Hamburger <strong>KPD</strong> und dortigen Gesundheitssenator<br />
Friedrich (»Fiete«) Dettmann zustande (Interview Wilhelm Meyer-Buer, 2). Wilhelm Meyer-<br />
Buer (1911-1997): Kaufmännische Lehre. Seit 1931 <strong>KPD</strong>, 1933 illegale Arbeit, Herbst 1933 verhaftet,<br />
Zuchthaus bis Januar 1936, März 1936 erneute Verhaftung, KZ und Zuchthaus bis 1940, schwere Misshandlungen<br />
und gesundheitliche Schäden. 1940 <strong>Bremen</strong>, <strong>1945</strong> KGF und <strong>KPD</strong>, Mitglied der Landesleitung,<br />
1952 Sekretär Schulung, 1946-1959 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, seit 1951 Fraktionsvorsitzender<br />
der <strong>KPD</strong>, nach dem Verbot 1956 Sprecher der Gruppe der »Unabhängigen Sozialisten« (US),<br />
1963 wegen illegaler Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> zu acht Monaten Haft mit Bewährung verurteilt. Seit <strong>1968</strong><br />
DKP.<br />
5 K.P.D. -Bezirk Nordwest -, Rundschreiben Nr. 1, <strong>Bremen</strong>, im Mai <strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/1.
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 17<br />
gige Aufgaben »die sofortige Mobilisierung der Partei« sowie »die Schaffung e<strong>in</strong>er<br />
gewaltigen, alle antifaschistischen Bevölkerungskreise erfassende antifaschistische<br />
Massenbewegung und Aktion«.<br />
Das Rundschreiben betonte mehrfach die E<strong>in</strong>schätzung der britischen und amerikanischen<br />
Besatzungsmacht als »Klassenfe<strong>in</strong>de«. Man mache sich »ke<strong>in</strong>e Illusionen<br />
über den Charakter« der Besetzung: »Der anglo-amerikanische Imperialismus<br />
ist <strong>in</strong> allen grundsätzlichen Fragen für die Aufrechterhaltung des bürgerlichen Privateigentums<br />
an den Produktionsmitteln, für die Restaurierung des bürgerlichen<br />
Klassenstaates, also der Herrschaft der Bourgeoisie über die Arbeiterklasse.«<br />
Trotz dieser Vorbehalte empfahl die Bezirksleitung e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit mit<br />
den Besatzungsmächten, da diese »e<strong>in</strong> zeitweiliger Verbündeter im Kampf für die<br />
Liquidierung des Faschismus <strong>in</strong> Deutschland« seien. »<strong>Die</strong> revolutionären Arbeiter<br />
unterstützen daher alle Maßnahmen der Besatzungsbehörden, die im Interesse der<br />
Arbeiterklasse liegen.«<br />
<strong>Die</strong> Charakterisierung der Besatzungsmacht diente auch als Begründung für die<br />
Richtl<strong>in</strong>ien zum Parteiaufbau. »<strong>Die</strong> Genossen dürfen bei ihrer Arbeit nicht vergessen,<br />
dass die Anglo-Amerikaner unsere Klassenfe<strong>in</strong>de s<strong>in</strong>d, dass trotz aller Aktivität,<br />
die wir als Antifaschisten nach außen zu entwickeln haben, die Partei e<strong>in</strong>e geschickte<br />
konspirative Tätigkeit durchzuführen hat.« <strong>Die</strong> Bezirksleitung sei »nach<br />
e<strong>in</strong>gehender Beratung« zur Auffassung gekommen, »die Partei nur <strong>in</strong> den halblegalen<br />
Zustand zurückzuführen«. <strong>Die</strong> Besatzungsmächte, so die Begründung, »s<strong>in</strong>d an<br />
der legalen Wiederherstellung der K.P. nicht nur des<strong>in</strong>teressiert, sondern werden<br />
[...] unsere Bewegung mit allen Mitteln bekämpfen und verfolgen. <strong>Die</strong> Partei, welche<br />
aber vor gewaltigen Aufgaben steht, hat ihre Organisation so aufzubauen, dass<br />
sie sich dem Zugriff ihrer Klassenfe<strong>in</strong>de entzieht und doch e<strong>in</strong> schlagkräftiges Instrument<br />
im Klassenkampf wird.«<br />
Das Rundschreiben nannte drei Kriterien für die Aufnahme von Mitgliedern:<br />
»I. Er muss unbed<strong>in</strong>gt Aktivist se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>wandfreie charakterliche Haltung gezeigt haben.<br />
II. Se<strong>in</strong>e politische Haltung während des Naziregimes als Antifaschist und Klassenkämpfer<br />
muss tadelsfrei se<strong>in</strong>.<br />
III. Jeder Genosse muss die Fähigkeiten besitzen, als Kommunist die gestellten Aufgaben zu<br />
erfüllen, also im len<strong>in</strong>istischen S<strong>in</strong>ne Berufsrevolutionär se<strong>in</strong>. Ohne Bürgen und Kontrolle über<br />
Vergangenheit, Haltung und Fähigkeit darf ke<strong>in</strong>er <strong>in</strong> die Partei aufgenommen werden.«<br />
<strong>Die</strong> Kriterien sollten für gleichermaßen für ehemalige <strong>KPD</strong>- wie auch SPD-<br />
Mitglieder gelten. »<strong>Die</strong> Tatsache, dass e<strong>in</strong> Arbeiter e<strong>in</strong>mal im System der bürgerlichen<br />
Demokratie Parteigenosse war, bedeutet noch nichts. Viele Arbeiter, die zum<br />
Teil früher SPD- oder Reichsbannermitglieder waren, haben unter dem Naziterror<br />
ihre Eignung unter Beweis gestellt und haben e<strong>in</strong> Anrecht auf die Mitgliedschaft<br />
der Partei.«<br />
Abschließend g<strong>in</strong>g das Rundschreiben kurz auf die politischen Aufgaben und<br />
die Schaffung e<strong>in</strong>er antifaschistischen Massenbewegung e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Bezirksleitung<br />
forderte die »Wiederherstellung der demokratischen Grundrechte (Koalitionsfrei-
18<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
heit, Versammlungsrecht, Pressefreiheit usw.)«, da diese »der bessere Kampfboden<br />
für die Verwirklichung unserer Ziele« seien.<br />
»Von entscheidender Bedeutung ist, dass die Partei als die Vorhut der Arbeiterklasse von<br />
vornhere<strong>in</strong> die breitesten Massen für die Verwirklichung dieser elementarsten Forderungen<br />
mobilisiert. <strong>Die</strong> wichtigste und vordr<strong>in</strong>glichste Aufgabe der Partei nach dem Zusammenbruch<br />
des Nazi-Regimes ist also e<strong>in</strong>e gewaltige Mobilisierung der antifaschistischen Massen. Mit<br />
ungeheurer Kühnheit und gewaltigem Elan muss e<strong>in</strong>e Massenaktion entfaltet werden, welche<br />
die Antifaschisten aller Bevölkerungsschichten und von den Nazis verfolgten Antifasch. Organisationen<br />
erfasst.«<br />
<strong>Die</strong> »Kampfgeme<strong>in</strong>schaft gegen den Faschismus« (KGF)<br />
Bereits zu diesem Zeitpunkt war e<strong>in</strong>e solche antifaschistische Massen<strong>org</strong>anisation<br />
im Pr<strong>in</strong>zip realisiert und hatte e<strong>in</strong>e <strong>org</strong>anisatorische Form gefunden. <strong>Die</strong> »Kampfgeme<strong>in</strong>schaft<br />
gegen den Faschismus« (KGF), auf die sich das Rundschreiben auch<br />
ausdrücklich bezog, hatte sich schon am 3. Mai <strong>1945</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> konstituiert. 6 <strong>Die</strong><br />
Mitglieder der Gründungsversammlung kamen aus den Parteien der Arbeiterbewegung<br />
von vor 1933. Dem gewählten zehnköpfigen Vorstand gehörten Mitglieder<br />
von SPD und <strong>KPD</strong> wie auch der kle<strong>in</strong>eren Parteien und Splittergruppen KPO, SAP<br />
und ISK an. 7 Aus der <strong>KPD</strong> kamen Hermann Wolters 8 und Ge<strong>org</strong> Buckendahl 9.<br />
Auch Adolf Ehlers 10 und Franz Cavier 11 waren vor 1933 zeitweilig <strong>KPD</strong>-Mitglieder<br />
gewesen, aber im Zuge der Säuberungen von 1924 und 1929 ausgeschlossen worden<br />
(Ehlers sogar zweimal) und zur KPO, Ehlers später auch zur SAP übergetreten.<br />
Alle vier schlossen sich <strong>1945</strong> zunächst wieder der <strong>KPD</strong> an und gehörten zur Bezirksleitung.<br />
12<br />
6 Zur Entstehung, Geschichte und Bedeutung der KGF siehe ausführlich Peter Brandt, Antifaschismus<br />
und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 100ff. Außerdem He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, »Zum ersten Male nach<br />
zwölf Jahren der Knechtung können wir wieder frei atmen«. Bremer Antifaschisten und der Neuaufbau<br />
<strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: Hartmut Müller, Günther Rohdenburg (Hrsg.), Kriegsende <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 161-175.<br />
7 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 108.<br />
8 Hermann Wolters (1911-1974): Matrose. <strong>KPD</strong>-Mitglied seit 1930, nach 1933 Haft, 1939 Anstellung bei<br />
B<strong>org</strong>ward, <strong>1945</strong> KGF-Vorstand und <strong>KPD</strong>-Bezirksleitung, 1946 zusammen mit Adolf Ehlers Übertritt<br />
zur SPD, <strong>1945</strong>-1959 Mitglied des Senats.<br />
9 Ge<strong>org</strong> Buckendahl (1899-1958): Schlosser. Hauptamtlicher <strong>KPD</strong>-Funktionär seit 1927, <strong>in</strong> der NS-Zeit<br />
sechs Jahre Zuchthaus, Mai-Oktober <strong>1945</strong> Organisationssekretär der Bremer <strong>KPD</strong>, danach aus der Partei<br />
ausgeschlossen, E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die SPD, seit 1951 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft.<br />
10 Adolf Ehlers (1898-1978): Kaufmännische Lehre, Werftarbeiter, seit 1919 führende Positionen <strong>in</strong> der<br />
Bremer <strong>KPD</strong>, 1923-1924 Mitglied der Bürgerschaft, 1924 aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen, 1926 wieder aufgenommen,<br />
Rote Hilfe, 1930 erneut aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen, Übertritt zur KPO, 1932 SAP, nach<br />
1933 illegale Arbeit, <strong>1945</strong> KGF-Vorstand und Bezirksleitung der <strong>KPD</strong>, 1946 Übertritt zur SPD, Mitglied<br />
des Senats <strong>1945</strong>-1966, ab 1948 Innensenator, 1959-1963 zweiter Bürgermeister. Siehe zu Ehlers auch<br />
Horst Adamietz, Freiheit und B<strong>in</strong>dung. Adolf Ehlers, <strong>Bremen</strong> 1978.<br />
11 Franz Cavier (geb. 11.4.1903 - ?): Schlosser, 1919-1929 <strong>KPD</strong>, dann KPO. <strong>1945</strong> <strong>KPD</strong>, Redakteur beim Weser-Kurier,<br />
1948 »Gruppe Arbeiterpolitik«.<br />
12 Alle vier verließen später wieder die <strong>KPD</strong>. Ehlers und Wolters traten als Senatoren im Frühjahr 1946<br />
zur SPD über, Buckendahl wurde bereits im Oktober <strong>1945</strong> aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen und trat eben-
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 19<br />
<strong>Die</strong> schnelle Gründung nach der Besetzung der Stadt war ke<strong>in</strong> Zufall. Bereits<br />
seit Mai 1944 hatten Adolf Ehlers und He<strong>in</strong>rich Busch regelmäßige Zusammenkünfte<br />
von ehemaligen Funktionären der verschiedenen Parteien und Gruppen <strong>org</strong>anisiert,<br />
die programmatische Überlegungen für die Zeit nach der Befreiung entwarfen<br />
und aus denen schließlich die KGF herv<strong>org</strong><strong>in</strong>g. 13 Tragende Kräfte dieser Zusammenkünfte<br />
waren vor allem Vertreter der kle<strong>in</strong>en Parteien SAP und KPO wie Adolf<br />
Ehlers, dessen Tätigkeit auf der Werft AG »Weser« - bei der viele Arbeiterfunktionäre<br />
beschäftigt waren - die illegale Organisation erleichterte. 14<br />
Adolf Ehlers und Hermann Wolters - zwischen denen sich seit ihrem Kennenlernen<br />
Ende 1944 e<strong>in</strong>e enge persönliche und politische Freundschaft entwickelt hatte<br />
- 15 waren es auch, die am 29. April <strong>1945</strong> die Initiative ergriffen, den Kommandanten<br />
der britischen Besatzungstruppen aufsuchten und sich als »Führer der Arbeiterbewegung<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>« vorstellten. Sie kündigten e<strong>in</strong> »Sofortprogramm der<br />
Werktätigen« an, das sie zusammen mit Ge<strong>org</strong> Buckendahl am folgenden Tag übersandten,<br />
und erhielten schließlich die Genehmigung zur Gründung der KGF. 16<br />
Das angekündigte Sofortprogramm, das Ehlers schon vor der Besetzung entworfen<br />
hatte, wurde am 6. Mai <strong>1945</strong> <strong>in</strong> der ersten Ausgabe des Organs der KGF,<br />
dem »Aufbau«, veröffentlicht. 17 Das Programm sollte »nicht das Programm e<strong>in</strong>er<br />
Partei, sondern Grundlage der Verständigung aller Antifaschisten ohne Unterschied<br />
ihrer früheren Parteizugehörigkeit zum geme<strong>in</strong>samen Kampf gegen den Faschismus«<br />
se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Forderungen be<strong>in</strong>halteten mehrere Aspekte. An erster Stelle<br />
stand die »Auflösung der NSDAP und aller ihrer Gliederungen«, die Entfernung<br />
von Nationalsozialisten aus dem Polizei-, Staats- und Verwaltungsapparates sowie<br />
die »völlige Überw<strong>in</strong>dung der nationalsozialistischen Ideologie«. E<strong>in</strong> zweiter<br />
Schwerpunkt waren Forderungen, die sich aus der Situation des Zusammenbruchs<br />
und der Notlage der Bevölkerung ergaben (u.a. Wohnraumbeschlagnahmungen,<br />
Instandsetzung der Gas-, Wasser- und Stromvers<strong>org</strong>ung, Wiederherstellung der öffentlichen<br />
Verkehrsmittel). Weiteres zentrales Anliegen war die politische (Wiederherstellung<br />
der demokratischen Grundrechte, Wahl e<strong>in</strong>er Stadtverordnetenversammlung)<br />
und wirtschaftliche Demokratisierung. <strong>Die</strong> KGF forderte die »sofortige<br />
Wahl von Arbeiter-, Angestellten- und Betriebsräten« nach dem Betriebsrätegesetz<br />
falls der SPD bei, Cavier schloss sich der 1948 der <strong>in</strong> der Tradition der KPO stehenden »Gruppe Arbeiterpolitik«<br />
an.<br />
13 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 56.<br />
14 Vgl. Horst Adamietz, Freiheit und B<strong>in</strong>dung, a.a.O., S. 59ff.; Horst Adamietz, Das erste Kapitel. Bremer<br />
Parlamentarier <strong>1945</strong>-1950, <strong>Bremen</strong> 1975, S. 30.<br />
15 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 56.<br />
16 Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 32; Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />
a.a.O., S. 107.<br />
17 Der Aufbau, Organ der Kampfgeme<strong>in</strong>schaft gegen den Faschismus, Nr. 1 - <strong>Bremen</strong>, 6. Mai <strong>1945</strong>, <strong>in</strong>:Geme<strong>in</strong>sam<br />
begann es <strong>1945</strong>. Der »Aufbau« schrieb das erste Kapitel. Orig<strong>in</strong>algetreuer Nachdruck des »Aufbau«,<br />
Organ der Kampfgeme<strong>in</strong>schaft gegen den Faschismus (KGF), <strong>Bremen</strong> <strong>1945</strong>/46, Frankfurt a.M.<br />
1978. Siehe zur Analyse des Sofortprogramms und der weiteren Programmatik der KGF auch Peter<br />
Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 114ff.
20<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
von 1920 und deren Zusammenfassung zu e<strong>in</strong>em Vollzugs<strong>org</strong>an für ganz <strong>Bremen</strong><br />
sowie die »Wiederherstellung der Freien Gewerkschaften«.<br />
<strong>Die</strong> KGF, »möglicherweise die entwickeltste Antifa-Organisation überhaupt«, 18<br />
wuchs <strong>in</strong> der Folgezeit schnell an. Bereits zwei Wochen nach der Gründung hatten<br />
sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 14 Ortsgruppen mit 4.265 Mitgliedern gebildet. H<strong>in</strong>zu kamen 14<br />
Ortsgruppen aus Stadtrand- und Umlandgeme<strong>in</strong>den, so dass die KGF nach diesen<br />
eigenen, aufgrund des Legitimationszwangs gegenüber der Besatzungsmacht aber<br />
vermutlich übertriebenen Angaben bereits im Mai <strong>1945</strong> knapp 6.500 Mitglieder hatte.<br />
19<br />
<strong>Die</strong> praktische Politik der KGF orientierte sich an den im Sofortprogramm genannten<br />
Aspekten. Besonders bei der Entnazifizierung, der Bewältigung der Nachkriegsnot<br />
und dem Wiederaufbau der Betriebe, Betriebsräte und Gewerkschaften<br />
war sie aktiv. Sie wurde damit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zu e<strong>in</strong>em wichtigen politischen Faktor <strong>in</strong><br />
den ersten Nachkriegsmonaten und arbeitete zum Teil eng, zum Teil auch konfliktbeladen<br />
mit der britischen und amerikanischen Besatzungsmacht zusammen. 20<br />
Für die wiedergegründete <strong>KPD</strong> war die KGF zunächst die wichtigste politische<br />
Basis. 21 Das war schon <strong>in</strong> dem ersten Rundschreiben deutlich geworden, <strong>in</strong> dem -<br />
zum Teil wörtlich - Formulierungen des Sofortprogramms der KGF übernommen<br />
worden waren, und das die Schaffung e<strong>in</strong>er »antifaschistischen Massenaktion« neben<br />
der Mobilisierung der Partei zum primären Ziel erhoben hatte. <strong>Die</strong> Übere<strong>in</strong>stimmungen<br />
waren nicht zufällig, sondern schon wegen der personellen Überschneidungen<br />
naheliegend. Das Sofortprogramm der KGF war von Adolf Ehlers<br />
verfasst worden, der - trotz se<strong>in</strong>er KPO- und SAP-Vergangenheit - 22 maßgeblich an<br />
der <strong>KPD</strong>-Gründung beteiligt und Mitglied der Bezirksleitung war. Auch Hermann<br />
Wolters und Ge<strong>org</strong> Buckendahl waren <strong>KPD</strong>-Führungsmitglieder, so dass das erste<br />
Rundschreiben der Partei mit e<strong>in</strong>igem Recht behaupten konnte, die KGF habe sich<br />
»auf Initiative unserer Genossen« 23 gebildet. 24<br />
18 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 106. Zu ähnlichen Antifa-<br />
Organisationen <strong>in</strong> anderen Städten siehe vor allem Lutz Niethammer, Ulrich Borsdorff und Peter<br />
Brandt (Hrsg.), Arbeiter<strong>in</strong>itiative <strong>1945</strong>. Antifaschistische Ausschüsse und Re<strong>org</strong>anisation der Arbeiterbewegung<br />
<strong>in</strong> Deutschland, Wuppertal 1976.<br />
19 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 110f.<br />
20 Dazu ausführlich ebenda, S. 121ff. sowie He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, »Zum ersten Male...«, a.a.O., S. 164ff.<br />
21 Ge<strong>org</strong> Buckendahl bezeichnete auf der ersten geme<strong>in</strong>samen Konferenz der <strong>KPD</strong>-Bezirkssekretäre <strong>in</strong><br />
der britischen Besatzungszone im September <strong>1945</strong> die KGF als »die Basis unserer späteren Arbeit. Wir<br />
hatten die Initiative.« (Bericht über die erste Sitzung der Sekretäre der britischen Zone, <strong>in</strong>: Günter Benser,<br />
H.J. Krusch [Hrsg.], Dokumente zur Geschichte der kommunistischen Bewegung <strong>in</strong> Deutschland. Reihe<br />
<strong>1945</strong>/46, Band 3: Protokoll der Reichsberatung der <strong>KPD</strong> 8./9. Januar 1946, München/New Providence/London/Paris<br />
1995, S. 208-213, hier S. 211.).<br />
22 Ehlers war 1944 von e<strong>in</strong>em Kurier für e<strong>in</strong>e erneute Mitgliedschaft <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> nach Kriegsende geworben<br />
worden (Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 179 und S. 375f., Fußnote<br />
62).<br />
23 K.P.D. -Bezirk Nordwest -, Rundschreiben Nr. 1, <strong>Bremen</strong>, im Mai <strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/1.<br />
24 <strong>Die</strong> genannten Kommunisten unter den führenden Funktionären der KGF kamen allerd<strong>in</strong>gs mehrheitlich<br />
aus der KPO oder/und SAP. Ähnliches galt für die sozialdemokratischen und parteilosen Mitglieder,<br />
die größtenteils vom l<strong>in</strong>ken Flügel der SPD kamen und zeitweise der SAP oder dem ISK angehört<br />
hatten. Es lässt sich also »von e<strong>in</strong>er Vorherrschaft der L<strong>in</strong>kssozialisten und oppositionellen <strong>in</strong> der KGF-
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 21<br />
Auch auf der Funktionärsebene der KGF war »e<strong>in</strong>e kommunistische Dom<strong>in</strong>anz<br />
nicht zu übersehen«. 102 Delegierte der ersten KGF-Bezirkskonferenz im Juli <strong>1945</strong><br />
hatten vor 1933 der <strong>KPD</strong> angehört, 45 kamen aus der SPD, <strong>in</strong>sgesamt zwölf aus<br />
SAP, KPO und ISK, und 26 Delegierte bezeichneten sich als parteilos. 25 Ob diese<br />
Dom<strong>in</strong>anz auch für die übrige Mitgliedschaft galt, lässt sich nicht genau feststellen.<br />
Brandt vermutet für die Basis der KGF e<strong>in</strong>en größeren sozialdemokratischen Anteil.<br />
26<br />
E<strong>in</strong>heitsbestrebungen<br />
<strong>Die</strong> Zusammenarbeit <strong>in</strong> der KGF war auch Ausdruck der E<strong>in</strong>igungsbestrebungen<br />
der Arbeiterbewegung nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur.<br />
27 Es besteht kaum e<strong>in</strong> Zweifel daran, »dass die Mehrheit der Bremer Sozialdemokraten<br />
und Kommunisten zunächst e<strong>in</strong>e sozialistische E<strong>in</strong>heitspartei wollte«,<br />
auch wenn sowohl dieser Wunsch wie auch die durch ihn getragene KGF dem sofortigen<br />
Wiederaufbau von <strong>KPD</strong> und SPD nicht entgegenwirken konnte. 28 Für die<br />
<strong>KPD</strong> war die Rolle der KGF als Verkörperung der E<strong>in</strong>igungsbestrebungen neben<br />
der Schaffung e<strong>in</strong>es antifaschistisch-demokratischen Blocks, wie er später programmatisch<br />
propagiert wurde, e<strong>in</strong>e zentrale. Der erste vorliegende Bericht der Bezirksleitung<br />
Weser-Ems an das Zentralkomitee <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> vermerkte unter der Überschrift<br />
»Entwicklung des Verhältnisses von <strong>KPD</strong> zu SPD: Stand der e<strong>in</strong>heitsfrontmäßigen<br />
Zusammenarbeit«:<br />
»Es entstand [durch die Zusammenarbeit <strong>in</strong> der KGF; HB] e<strong>in</strong> sehr enges Verhältnis mit den<br />
sozialdemokratischen Arbeitern und die Diskussion über die zu schaffende E<strong>in</strong>heitspartei und<br />
der Wunsch der breitesten Schichten der Arbeiterschaft hierzu kam immer wieder zum Ausdruck.<br />
[...] Wenn am Anfang <strong>in</strong>nerhalb der SPD-Führung e<strong>in</strong>e gewisse E<strong>in</strong>stellung gegen die<br />
E<strong>in</strong>heit vorhanden war, so hat sich später durch die Zusammenarbeit <strong>in</strong> der KGF zwischen<br />
den Sozialdemokraten und kommunistischen Arbeitern die SPD-Führung davon überzeugen<br />
Spitze sprechen« (Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 108). In dieser H<strong>in</strong>sicht<br />
muss die Dom<strong>in</strong>anz der <strong>KPD</strong> also relativiert werden.<br />
25 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 112.<br />
26 Ebenda, S. 113.<br />
27 Vgl. zur Frage der E<strong>in</strong>heitspartei <strong>in</strong> anderen Gebieten und Städten der westlichen Besatzungszonen:<br />
Holger Christier, Sozialdemokratie und Kommunismus. <strong>Die</strong> Politik der SPD und der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Hamburg<br />
<strong>1945</strong>-1949, Hamburg 1975; Gerhard Fisch und Fritz Krause, SPD und <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>/1946. E<strong>in</strong>heitsbestrebungen<br />
der Arbeiterparteien. Dargestellt am Beispiel Südhessen, Frankfurt a.M. 1978; Gerhard Mannschatz<br />
und Josef Seider, Zum Kampf der <strong>KPD</strong> im Ruhrgebiet für die E<strong>in</strong>igung der Arbeiterklasse und<br />
die Entmachtung der Monopolherren <strong>1945</strong>-1947, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1962; Gert Meyer, E<strong>in</strong>igungsbestrebungen<br />
zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten <strong>in</strong> Südbaden nach <strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: Heiko Haumann<br />
(Hrsg.): Vom Hotzenwald bis Whyl. Demokratische Traditionen <strong>in</strong> Baden, Köln 1977, S. 176-197; Werner<br />
Müller, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> und die »E<strong>in</strong>heit der Arbeiterklasse«, Frankfurt a.M. / New York 1979; Lutz Niethammer,<br />
Ulrich Borsdorff und Peter Brandt (Hrsg.), Arbeiter<strong>in</strong>itiative <strong>1945</strong>, a.a.O.; Detlef Siegfried,<br />
Zwischen E<strong>in</strong>heitspartei und »Bruderkampf«. SPD und <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Schleswig-Holste<strong>in</strong> <strong>1945</strong>-46, Kiel 1992<br />
(Diss. Uni Kiel 1991).<br />
28 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 179.
22<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
lassen müssen, dass sie dem Wunsch der übergroßen Mehrheit der Arbeiterschaft Rechnung<br />
tragen müsste.« 29<br />
In der Tat kam es <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bis zur Legalisierung von SPD und <strong>KPD</strong> im Oktober<br />
<strong>1945</strong> bereits zu Kooperationen auf verschiedenen Ebenen, und es waren vor allem<br />
führende SPD-Funktionäre, die sowohl der KGF, als auch der <strong>KPD</strong> und e<strong>in</strong>er<br />
E<strong>in</strong>heitspartei zunächst eher skeptisch gegenüber standen. <strong>Die</strong> Zusammenarbeit an<br />
der Basis fand <strong>in</strong> den örtlichen KGF-Komitees wie auch vor allem - <strong>in</strong> enger Verzahnung<br />
mit der KGF - <strong>in</strong> den Betrieben und bei der Neugründung von Gewerkschaften<br />
statt. 30<br />
Außerhalb der KGF und der Betriebe kam es auf der Funktionärsebene ebenfalls<br />
zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>stitutionalisierten Kooperation. Je vier Vertreter der Bezirksleitungen<br />
von SPD und <strong>KPD</strong> unterzeichneten am 14. August <strong>1945</strong> e<strong>in</strong>en »E<strong>in</strong>heits-Aktions-<br />
Vertrag«. 31 Der E<strong>in</strong>igung war etwa zwei Wochen zuvor e<strong>in</strong>e erste Besprechung vorausgegangen,<br />
die - nach Darstellung der <strong>KPD</strong> - auf Initiative der SPD zustande gekommen<br />
war. 32 An dieser Besprechung hatten je vier Vertreter von <strong>KPD</strong> (Ge<strong>org</strong><br />
Buckendahl, He<strong>in</strong>z Schramm, Adolf Ehlers, Hermann Wolters) und SPD teilgenommen.<br />
33 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Bezirksleitung berichtete, dass diese ersten Verhandlungen<br />
vor allem an der Frage nach der Zukunft der KGF gescheitert seien. <strong>Die</strong><br />
SPD-Vertreter hätten das Bestehen der KGF »beanstandet« und gefordert, sie nach<br />
der Legalisierung von <strong>KPD</strong> und SPD aufzulösen. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> lehnte dies ab mit der<br />
Begründung,<br />
»dass es nicht nur genüge, e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heitsbasis zwischen <strong>KPD</strong> und SPD zu schaffen, sondern<br />
darüber h<strong>in</strong>aus es notwendig sei, e<strong>in</strong>en festen antifaschistischen Block aller antifaschistischdemokratischen<br />
Parteien zu schaffen. <strong>Die</strong>ses sei <strong>in</strong> der KGF möglich und daher müsse sie<br />
noch weiter ausgebaut werden, um auch vor allen D<strong>in</strong>gen auf dem bürgerlichen Sektor verstärkt<br />
zu werden.« 34<br />
<strong>Die</strong> Argumentation macht e<strong>in</strong> weiteres Motiv der <strong>KPD</strong>, zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>es Teils<br />
ihrer Führung, für die Unterstützung der KGF deutlich, die spätestens seit der Veröffentlichung<br />
des Aufrufs des Zentralkomitees <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> vom 11. Juni <strong>1945</strong> wirksam<br />
geworden se<strong>in</strong> dürfte. Das ZK hatte den programmatischen Aufruf ausdrücklich als<br />
29 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/19/1. Auch <strong>in</strong> späteren Berichten wurde immer wieder die Rolle der KGF als Ausdruck des E<strong>in</strong>heitswunsches<br />
betont.<br />
30 Vgl. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 146f.; Peter Brandt, Betriebsräte,<br />
Neuordnungsdiskussion und betriebliche Mitbestimmung <strong>1945</strong>-1948. Das Beispiel <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: Internationale<br />
wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 20. Jg., Juni<br />
1984, H. 2, S. 156-202.<br />
31 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 184.<br />
32 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/19/1. Nach Darstellung Peter Brandts hatte es zuvor »längere Verhandlungen« gegeben (Peter<br />
Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 184).<br />
33 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/19/1.<br />
34 Ebenda.
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 23<br />
»Grundlage zur Schaffung e<strong>in</strong>es Blocks der antifaschistischen, demokratischen Parteien«<br />
v<strong>org</strong>eschlagen, was den politischen Forderungen des Aufrufs entsprach. 35<br />
<strong>Die</strong> nicht e<strong>in</strong>deutige Formulierung h<strong>in</strong>sichtlich der Form e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit<br />
mit der SPD (Schaffung e<strong>in</strong>er »E<strong>in</strong>heitsbasis«) könnte e<strong>in</strong> Indiz für e<strong>in</strong>e zurückhaltende<br />
Position der Bremer <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Bezug auf die sofortige Bildung e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heitspartei<br />
se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong>s hätte der L<strong>in</strong>ie des Zentralkomitees <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> entsprochen. Dort<br />
war zwar am 19. Juni <strong>1945</strong> e<strong>in</strong> Ausschuss von SPD und <strong>KPD</strong> mit e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen<br />
Aktionsprogramm gebildet worden. Während jedoch der SPD-<br />
Zentralausschuss um Otto Grothewohl e<strong>in</strong>er sofortigen Vere<strong>in</strong>igung zu diesem<br />
Zeitpunkt aufgeschlossen gegenüberstand, lehnte das <strong>KPD</strong>-Zentralkomitee dies<br />
zunächst noch unter der Parole »Erst Klarheit, dann E<strong>in</strong>heit« ab. Erst ab etwa Mitte<br />
September <strong>1945</strong> änderte die <strong>KPD</strong> diesen Kurs und begann nun ihrerseits, die Bildung<br />
e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heitspartei zu forcieren. 36<br />
Es ist wahrsche<strong>in</strong>lich, dass die Bremer <strong>KPD</strong>-Führung diese Position übernahm.<br />
<strong>Die</strong> Initiative der Bezirksleitung der SPD für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>stitutionalisierte Kooperation<br />
mit der <strong>KPD</strong> geschah wohl vor allem aufgrund des Drucks von der Parteibasis, <strong>in</strong><br />
der sich e<strong>in</strong>e deutliche Pro-E<strong>in</strong>heit-Stimmung zeigte. Bei den führenden Funktionären<br />
war eher Skepsis gegen e<strong>in</strong>e schnelle Vere<strong>in</strong>igung festzustellen, die aber - so Peter<br />
Brandt - aufgrund der Stimmung an der Basis nicht offen artikuliert werden<br />
konnte. 37 E<strong>in</strong>e weitere Rolle dürfte auch gespielt haben, dass sich die Bremer Sozialdemokraten<br />
zunächst noch an dem Zentralausschuss <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> orientierten. <strong>Die</strong><br />
Position Kurt Schuhmachers - der strikt gegen e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>igung mit der <strong>KPD</strong> war,<br />
<strong>in</strong> den Westzonen bereits entsprechend agitierte und begonnen hatte, se<strong>in</strong>e Position<br />
durchzusetzen - war <strong>in</strong> der Bremer SPD zu diesem Zeitpunkt noch nicht dom<strong>in</strong>ierend<br />
und <strong>in</strong> ihrer Gegensätzlichkeit zur Gruppe um Otto Grothewohl <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
noch nicht bewusst. 38<br />
Das zweite Zusammentreffen der acht <strong>KPD</strong>- und SPD-Funktionäre <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
führte schließlich zur E<strong>in</strong>igung über e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Aktionsabkommen. Es wurde<br />
e<strong>in</strong> Arbeitsausschuss aus je vier Vertretern der beiden Parteien gebildet, dessen<br />
Aufgabenformulierung wörtlich der des Berl<strong>in</strong>er Ausschusses entsprach. SPD und<br />
<strong>KPD</strong> bekundeten den Willen, »die unglückliche Spaltung der Arbeiterklasse im Interesse<br />
unseres ganzen Volkes endgültig zu überw<strong>in</strong>den« und die Absicht der Bildung<br />
e<strong>in</strong>es antifaschistisch-demokratischen Blocks nach dem Muster der Berl<strong>in</strong>er<br />
35 Vgl. Aufruf der <strong>KPD</strong>, 11.6.<strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente. Herausgegeben und e<strong>in</strong>geleitet von<br />
Günther Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus, 2 Bände, Neuss 1989, Band 1, S. 135-143, hier S. 142.<br />
36 Vgl. ausführlich Werner Müller, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> und die »E<strong>in</strong>heit der Arbeiterklasse«, a.a.O.<br />
37 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 185. Auch der Bericht der <strong>KPD</strong>-<br />
Bezirksleitung hatte so argumentiert und e<strong>in</strong>igen SPD-Funktionären e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heits- und kommunistenfe<strong>in</strong>dliche<br />
Haltung unterstellt. (Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September<br />
<strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1).<br />
38 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 173ff und S. 185. <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong> g<strong>in</strong>g<br />
ebenfalls davon aus, dass die SPD-Verhandlungsführer »den ZA [Zentralausschuss; HB] anerkennen<br />
und sich dessen Politik zu eigen machen« (Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der<br />
Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1).
24<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
Entwicklungen. 39 Ferner wurde die Bildung ähnlicher Ausschüsse <strong>in</strong> den Untergliederungen<br />
der Parteien beschlossen, die <strong>in</strong> der Folgezeit auch entstanden, 40 sowie<br />
- nach Angaben der <strong>KPD</strong> - e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Personalpolitik bei der Besetzung<br />
von Behörden und die Bildung e<strong>in</strong>er paritätisch besetzten »illegalen Bürgerschaft«<br />
41.<br />
Mit diesen Vere<strong>in</strong>barungen und der Gründung des geme<strong>in</strong>samen Aktionsausschusses<br />
war der Höhepunkt der E<strong>in</strong>heitsbestrebungen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bereits erreicht.<br />
In der SPD begann sich <strong>in</strong> der Folgezeit die Position Schuhmachers durchzusetzen,<br />
gleichzeitig forcierten beide Parteien weiter ihren Organisationsaufbau, der schließlich<br />
<strong>in</strong> die offizielle Zulassung durch die Besatzungsmacht im Oktober <strong>1945</strong> mündete.<br />
Parteiaufbau der <strong>KPD</strong> bis zur Legalisierung<br />
<strong>Die</strong> sofort nach der Besetzung <strong>Bremen</strong>s konstituierte <strong>KPD</strong>-Bezirksleitung bestand<br />
im wesentlichen aus vier Personen. Als Sekretäre fungierten Ge<strong>org</strong> Buckendahl und<br />
He<strong>in</strong>rich Schramm 42. Beide waren seit 1944 an dem von Adolf Ehlers <strong>in</strong>itiierten<br />
Kreis beteiligt, aus dem schließlich die KGF entstand. Gleiches galt für Hermann<br />
Wolters, der neben den drei Genannten ebenfalls zu dieser ersten Bezirksleitung<br />
gehörte. Im September <strong>1945</strong> kam Wilhelm Knigge 43 nach <strong>Bremen</strong> zurück und übernahm<br />
im Oktober <strong>1945</strong> die Funktion des von den Militärbehörden zum Rücktritt<br />
gezwungenen und schließlich aus der <strong>KPD</strong> ausgetretenen Ge<strong>org</strong> Buckendahl.<br />
Knigge leitete den Bezirk Weser-Ems, später den Bremer Landesverband der <strong>KPD</strong><br />
geme<strong>in</strong>sam mit He<strong>in</strong>rich Schramm bis 1951.<br />
<strong>Die</strong> Arbeit des Organisationsaufbaus der Partei <strong>in</strong> der Phase zwischen Kriegsende<br />
und Legalisierung der Partei im Oktober <strong>1945</strong> lag vor allem <strong>in</strong> den Händen<br />
von Buckendahl und Schramm. Wolters’ und Ehlers’ Aktivitäten konzentrierten<br />
sich auf die politische und <strong>org</strong>anisatorische Arbeit <strong>in</strong> der KGF und später im Senat.<br />
Politische Anleitungen durch die beiden vor allem mit dem Aufbau der Partei beschäftigten<br />
hauptamtlichen Sekretäre gab es dabei kaum, auch sollen nur selten Sitzungen<br />
der Bezirksleitung stattgefunden haben, »so dass die kommunistischen<br />
39 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 184.<br />
40 Ebenda, S. 184f.<br />
41 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/19/1.<br />
42 He<strong>in</strong>rich »He<strong>in</strong>z« Schramm (1901-1963): Hafenarbeiter. Vor 1933 Mitglied der Bezirksleitung der <strong>KPD</strong>,<br />
1933/34 <strong>in</strong>haftiert, Flucht nach Amsterdam, Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, <strong>1945</strong>-1951 2. Sekretär<br />
der <strong>KPD</strong>. Ab 1951 verschiedene Funktionen <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>, u.a. wieder als Mitglied des Sekretariats.<br />
43 Wilhelm »Willy« Knigge (1906-1995): Maurer. 1927 Mitglied der <strong>KPD</strong>, bis Ende 1933 illegale Arbeit, danach<br />
Emigration nach Holland, Belgien und Frankreich, dort Org-Sekretär der <strong>KPD</strong>-Landesleitung,<br />
Verb<strong>in</strong>dungsmann zur KPF, führender Funktionär der <strong>KPD</strong>-Westleitung, Angehöriger der Résistance<br />
<strong>in</strong> Südfrankreich. <strong>1945</strong> Rückkehr nach <strong>Bremen</strong>, stellvertretender Sekretär der Bezirksleitung, bis 1951 1.<br />
Landessekretär der <strong>KPD</strong>, 1946-1951 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. 1951 Übersiedlung <strong>in</strong> die<br />
DDR, dort verschiedene Funktionen, u.a. Präsidiumsmitglied und Sekretär des FDGB, Kaderleiter im<br />
Staatssekretariat für westdeutsche Fragen, stellvertretender Abteilungsleiter im ZK der SED.
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 25<br />
Mitglieder des Senats und des KGF-Vorstandes weitgehend nach eigenem Gutdünken<br />
Politik betreiben konnten«. 44<br />
<strong>Die</strong> Bezirksleitung <strong>org</strong>anisierte bereits im Juni <strong>1945</strong> e<strong>in</strong>e achttägige Parteischule<br />
<strong>in</strong> der Nähe von <strong>Bremen</strong>, an der 30 Mitglieder aus dem gesamten Bezirk teilnahmen.<br />
45<br />
Für die lokale Bremer Ebene konstituierte sich am 15. Oktober <strong>1945</strong> e<strong>in</strong>e <strong>KPD</strong>-<br />
Stadtleitung. 46 Ihr gehörten als Politischer Leiter Rudolf Rafoth und als Organisations-Leiter<br />
He<strong>in</strong>rich Reichel an. 47 Beide waren, wie Buckendahl, Schramm und<br />
Knigge <strong>in</strong> der Bezirksleitung, hauptamtlich beschäftigte Funktionäre. 48<br />
<strong>Die</strong> Re<strong>org</strong>anisierung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Ortsgruppen gelang <strong>in</strong> den ersten Monaten<br />
bis zur Legalisierung offenbar ebenfalls sehr schnell. In e<strong>in</strong>em Bericht vom 1.<br />
September <strong>1945</strong> schrieb die Bezirksleitung:<br />
»<strong>Die</strong> Partei rekonstruierte sich aus e<strong>in</strong>zelnen kle<strong>in</strong>en, von e<strong>in</strong>ander unabhängig arbeitenden<br />
illegalen Gruppen, die die Partei gleichzeitig mit dem Inslebenrufen der K.G.F. zusammenfassten<br />
und <strong>org</strong>anisierten. <strong>Die</strong> Partei ist <strong>in</strong> der Zwischenzeit durch verschiedene Genossen, die<br />
aus den Zuchthäusern resp. K.Z. zurückkehrten verstärkt. [...] Es s<strong>in</strong>d im Augenblick <strong>in</strong> den<br />
e<strong>in</strong>zelnen Betrieben sowie Stadtteilen Listen im Umlauf mit der Frage, wer will Mitglied der<br />
K.P.D. werden und gleichzeitig e<strong>in</strong>e Sammelliste.« 49<br />
Nach Angaben des Berichts waren zu diesem Zeitpunkt im Stadtgebiet <strong>Bremen</strong>s<br />
bereits rund 2.000 Mitglieder erfasst. 50 <strong>Die</strong> Zahl war vermutlich zu hoch e<strong>in</strong>geschätzt.<br />
Brandt nennt unter Bezugnahme auf andere Quellen e<strong>in</strong>e Mitgliederzahl<br />
von 1.000 im Januar 1946. 51 E<strong>in</strong>e <strong>KPD</strong>-Quelle schätzte die Mitgliederzahlen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Ende November <strong>1945</strong> auf 2.000, 52 die gleiche Zahl gab He<strong>in</strong>z Schramm auf ei-<br />
44 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 180.<br />
45 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/19/1. Siehe auch Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 180. Themen waren<br />
nach Angaben des <strong>KPD</strong>-Berichts: »1.) Probleme des Len<strong>in</strong>ismus und Marxismus 2.) Politökonomie<br />
3.) Historischer Materialismus 4.) Gewerkschaftsfragen 5.) Geschichte der Arbeiterbewegung 6.) Org.-<br />
Fragen«.<br />
46 Stadtleitung der <strong>KPD</strong>, <strong>Bremen</strong>. Organisationsbericht des Sekretariats [24.11.<strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/16.<br />
47 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 181. Rudolf Rafoth (1911-1964): Kaufmännischer<br />
Angestellter. Vor 1933 RGO, <strong>1945</strong> Syndikus der Angestelltenkammer, <strong>1945</strong> Politischer Leiter<br />
der <strong>KPD</strong>-Kreisleitung, 1946-1951 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, <strong>KPD</strong>-<br />
Fraktionsvorsitzender, 1951 Ausschluss aus der <strong>KPD</strong>, danach hauptamtliche Gewerkschaftstätigkeit <strong>in</strong><br />
Braunschweig und Frankfurt. He<strong>in</strong>rich Reichel (1907-1980): Masch<strong>in</strong>enschlosser. 1925 KJVD, 1928 <strong>KPD</strong>.<br />
Nach 1933 mehrfach verhaftet, KZ. <strong>1945</strong> KGF und <strong>KPD</strong>. <strong>1945</strong>-1948 Orgleiter der <strong>KPD</strong>-Kreisleitung<br />
<strong>Bremen</strong>. <strong>1968</strong> Gründungsmitglied der Bremer DKP.<br />
48 Stadtleitung der <strong>KPD</strong>, <strong>Bremen</strong>. Organisationsbericht des Sekretariats [24.11.<strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/16.<br />
49 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/19/1.<br />
50 Ebenda. Über die Mitgliedszahl im Bezirk lagen noch ke<strong>in</strong>e Angaben vor.<br />
51 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 188 und Fußnote 118, S. 381.<br />
52 Übersicht über die Mitgliederzahlen der Bezirke <strong>in</strong> der E.A.F.-Zone, <strong>in</strong>: Günter Benser, H.J. Krusch [Hrsg.],<br />
Dokumente zur Geschichte der kommunistischen Bewegung <strong>in</strong> Deutschland. Reihe <strong>1945</strong>/46, Band 1:<br />
Protokolle des Sekretariats des Zentralkomitees der <strong>KPD</strong> Juli <strong>1945</strong> bis April 1946, bearbeitet von Günter<br />
Benser und Hans-Joachim Krusch, unter Mitarbeit von Hans Meusel, München/New Providence/London/Paris<br />
1993, S. 492.
26<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
ner Mitgliederversammlung noch im April 1946 für die Stadt <strong>Bremen</strong> an 53. <strong>Die</strong>unterschiedlichen<br />
Angaben über die erfassten <strong>KPD</strong>-Mitglieder beruhen vermutlich<br />
auch darauf, dass zunächst offenbar nur, wie <strong>in</strong> dem Bericht der Bezirksleitung erwähnt,<br />
Absichtserklärungen bzw. Aufnahmeanträge verteilt wurden, mit denen die<br />
tatsächliche erfasste Mitgliedschaft nur sehr ungenau beziffert werden konnte. <strong>Die</strong><br />
Stadtleitung <strong>Bremen</strong> schrieb am 24. November <strong>1945</strong>, es seien »ca. 900 Mitglieder registriert.<br />
<strong>Die</strong> tatsächliche Mitgliederzahl liegt bedeutend höher, da e<strong>in</strong> großer Prozentsatz<br />
Neuanträge noch durch die verschiedenen Prüfungsstellen läuft«. 54<br />
Legalisierung und Programmatik<br />
<strong>KPD</strong> und SPD wurden <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 20. Oktober <strong>1945</strong> von den Besatzungsbehörden<br />
wieder zugelassen. 55 Am selben Tag traten beide Parteien erstmals mit programmatischen<br />
Erklärungen an die Öffentlichkeit 56 und hielten e<strong>in</strong>en Tag später<br />
e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Versammlung ab 57.<br />
Der Aufruf der <strong>KPD</strong> nannte <strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt 14 Punkten die »erste(n) und dr<strong>in</strong>gendste(n)<br />
Aufgaben zum Aufbau unseres Landes«. Auf allgeme<strong>in</strong> politischer Ebene<br />
wurde die »vollständige Liquidierung des Nazismus und Militarismus«, die<br />
»Schaffung lokaler Selbstverwaltungen nach demokratischen Grundätzen«, die<br />
»Säuberung des gesamten Erziehungs- und Bildungswesens vom faschistischen<br />
und reaktionären Unrat« gefordert. Auf wirtschaftlicher Ebene forderte die <strong>KPD</strong> die<br />
»Enteignung der Nazibonzen und Hauptkriegsverbrecher«, die »Überführung lebenswichtiger<br />
Betriebe [...] <strong>in</strong> kommunale oder prov<strong>in</strong>ziale Regie« und den Aufbau<br />
von Konsumgenossenschaften und E<strong>in</strong>heitsgewerkschaften. Weiterh<strong>in</strong> enthielt der<br />
Aufruf Forderungen zur Bewältigung der akuten Nachkriegsnot (Ernährung, Bauwesen)<br />
sowie zur gesellschafts- und kulturpolitischen Aspekten (e<strong>in</strong>heitliche Jugend<strong>org</strong>anisation,<br />
E<strong>in</strong>beziehung der Frauen, »Schaffung e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen Sportund<br />
Kulturbewegung«).<br />
Als anzustrebende Staatsform propagierte die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e »antifaschistischdemokratische<br />
Republik«:<br />
»Wir s<strong>in</strong>d der Auffassung, dass der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzw<strong>in</strong>gen,<br />
falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbed<strong>in</strong>gungen<br />
Deutschlands. Wir s<strong>in</strong>d vielmehr der Auffassung, dass die entscheidenden Interessen des<br />
deutschen Volkes <strong>in</strong> der gegenwärtigen Lage e<strong>in</strong>en anderen Weg vorschreiben und zwar der<br />
Aufrichtung e<strong>in</strong>es antifaschistischen demokratischen Regimes, e<strong>in</strong>er parlamentarischen demokratischen<br />
Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk.« 58<br />
53 Protokoll der Mitgliederversammlung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong>-Gröpel<strong>in</strong>gen, 30. April 1946, abgedruckt <strong>in</strong> Peter<br />
Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 276-279, hier S. 278.<br />
54 Stadtleitung der <strong>KPD</strong>, <strong>Bremen</strong>. Organisationsbericht des Sekretariats [24.11.<strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/16.<br />
55 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 186f.<br />
56 Was will die Sozialdemokratie und Ziel und Weg der <strong>KPD</strong>, Weser-Kurier 20. Oktober <strong>1945</strong>.<br />
57 SPD und <strong>KPD</strong> rufen das Volk, Weser-Kurier 24. Oktober <strong>1945</strong>.<br />
58 Ziel und Weg der <strong>KPD</strong>, Weser-Kurier 20. Oktober <strong>1945</strong>.
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 27<br />
<strong>Die</strong>se Formulierung war wörtlich dem Aufruf des Zentralkomitees der <strong>KPD</strong><br />
vom 11. Juni <strong>1945</strong> entnommen, an dem sich der Aufruf der Bremer Partei auch<br />
sonst weitgehend orientierte. 59 Mit der programmatischen Erklärung vom 11. Juni<br />
hatte die <strong>KPD</strong> auf die Formulierung e<strong>in</strong>es sozialistischen Endziels verzichtet. Es<br />
gelte nun, »die Sache der Demokratisierung Deutschlands, die Sache der bürgerlich-demokratischen<br />
Umbildung, die 1848 begonnen wurde, zu Ende zu führen«. 60<br />
<strong>Die</strong>se Programmatik war für e<strong>in</strong>e kommunistische Partei zwar aufsehenerregend,<br />
basierte aber weitgehend auf der bereits seit dem VII. Weltkongress der<br />
Kommunistischen Internationalen 1935 sowie der anschließenden Brüsseler Konferenz<br />
der <strong>KPD</strong> entwickelten Volksfront-Konzeption und den programmatischen Überlegungen<br />
der Moskauer Exilführung der <strong>KPD</strong> seit 1944. 61<br />
Der Aufruf der Bremer <strong>KPD</strong> übernahm die Grundsätze des Zentralkomitees<br />
weitgehend, wies aber dennoch e<strong>in</strong>en bemerkenswerten Unterschied auf. Der Berl<strong>in</strong>er<br />
Aufruf verzichtete auf die Propagierung e<strong>in</strong>es wie auch immer gearteten sozialistischen<br />
Ziels, das Wort »Sozialismus« tauchte <strong>in</strong> dem Dokument nicht e<strong>in</strong>mal<br />
auf. <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong> dagegen sah <strong>in</strong> ihrem Aufruf vom 20. Oktober die parlamentarische<br />
Demokratie als Vorbereitung e<strong>in</strong>es sozialistischen Systems: »Wir wollen e<strong>in</strong>e<br />
kämpferische Demokratie, die rücksichtslos alle Fe<strong>in</strong>de der Demokratie vernichtetundunsdenWegzumSozialismusvorbereitet.«<br />
62<br />
Derartige »taktische Nuancen« 63 hatten ke<strong>in</strong>e praktischen Folgen für die Politik<br />
der Partei und wurden <strong>in</strong> der Folgezeit vermutlich auch nicht weiter verbreitet. 64<br />
Sie waren aber zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> Indiz für die Diskussionen und auch Irritationen, die<br />
der Aufruf des Zentralkomitees <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft auslöste. E<strong>in</strong> im Februar<br />
59 Aufruf der <strong>KPD</strong>, 11.6.<strong>1945</strong>, a.a.O.<br />
60 Ebenda, S. 139.<br />
61 Vgl. dazu ausführlich Arnold Sywottek, Deutsche Volksdemokratie. Studien zur politischen Konzeption<br />
der <strong>KPD</strong> 1935-1946, Düsseldorf 1971. Zur Exilprogrammatik außerdem Peter Erler, Horst Laude,<br />
Manfred Wilke (Hrsg.), »Nach Hitler kommen wir«. Dokumente zur Programmatik der Moskauer<br />
<strong>KPD</strong>-Führung 1944/45 für Nachkriegsdeutschland, Berl<strong>in</strong> 1994; Günter Benser, Das <strong>in</strong> Moskau erarbeitete<br />
Nachkriegskonzept der <strong>KPD</strong>-Führung, <strong>in</strong>: Re<strong>in</strong>hard Kühnl und Eckart Spoo (Hrsg.): Was aus<br />
Deutschland werden sollte. Konzepte des Widerstands, des Exils und der Alliierten, Heilbronn 1995, S.<br />
103-126.<br />
62 Ziel und Weg der <strong>KPD</strong>, Weser-Kurier 20. Oktober <strong>1945</strong>.<br />
63 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 380, Fußnote 112.<br />
64 In den vorliegenden Quellen f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> undatiertes Flugblatt mit dem Aufruf der Bremer <strong>KPD</strong>, der<br />
<strong>in</strong>haltlich weitgehend dem im Weser-Kurier veröffentlichten entsprach, die Formulierungen zur künftigen<br />
Staatsform jedoch modifizierte und wie der Berl<strong>in</strong>er Aufruf auf die Propagierung des Sozialismus<br />
als Endziel der parlamentarischen Republik verzichtete. <strong>Die</strong> Formulierung lautete hier: »Wir Kommunisten<br />
s<strong>in</strong>d der Auffassung, dass es sowohl der Arbeiterschaft als auch dem ganzen Volke nichts nützt,<br />
schöne Worte zu machen oder Losungen zu propagieren, die den gegenwärtigen Entwicklungsbed<strong>in</strong>gungen<br />
<strong>in</strong> Deutschland nicht entsprechen. Wir Kommunisten s<strong>in</strong>d vielmehr der Auffassung, dass die<br />
entscheidenden Interessen des gesamten Volkes <strong>in</strong> der gegenwärtigen Lage es verlangen, e<strong>in</strong>e antifaschistisch-parlamentarisch-demokratische<br />
Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten<br />
für das deutsche Volk zu schaffen«. (Aufruf der Kommunistischen Partei <strong>Bremen</strong> Stadt und Land, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 10/20/16; vgl. auch <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, <strong>in</strong>: Richard<br />
Stöss [Hrsg.]: Parteien-Handbuch. <strong>Die</strong> Parteien der Bundesrepublik Deutschland <strong>1945</strong>-1980, Band 2:<br />
FDP bis WAV, Opladen 1983, S. 1663-1809, hier S. 1683f.).
28<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
1946 vermutlich von He<strong>in</strong>z Schramm verfasster Bericht an das Zentralkomitee<br />
sprach von »Unklarheiten« unter den Mitgliedern. <strong>Die</strong>se bestünden<br />
»besonders über die Fragen der Demokratie, unsere frühere E<strong>in</strong>stellung gegenüber der heutigen,<br />
sowie <strong>in</strong> unserer Stellungnahme zum Privateigentum. Hieran ist me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach<br />
das ZK nicht ganz unschuldig, das <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Formulierung im Juni-Aufruf unsere Stellungnahme<br />
zum Privateigentum nicht scharf und klar genug präzisiert hat. <strong>Die</strong> Formulierung ist<br />
im Aufruf zu allgeme<strong>in</strong> und hat <strong>in</strong> unserer Partei, besonders bei den unteren Funktionären<br />
und darüber h<strong>in</strong>aus auch <strong>in</strong> der Arbeiterschaft Verwirrung angerichtet«. 65<br />
E<strong>in</strong>e Mitgliederversammlung der Bremer <strong>KPD</strong> verabschiedete im März 1946 e<strong>in</strong>e<br />
Resolution, <strong>in</strong> der zwar der Berl<strong>in</strong>er Aufruf grundsätzlich bejaht , die parlamentarische<br />
Republik aber als »M<strong>in</strong>imalprogramm« bezeichnet wurde. »Über die<br />
Durchführung des M<strong>in</strong>imalprogramms h<strong>in</strong>aus muss dieser Weg vorbereiten zur<br />
Durchführung des Maximalprogramms, d.h. des Sozialismus.« 66<br />
<strong>Die</strong> Schwierigkeiten der <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft mit den Grundaussagen des ZK-<br />
Aufrufs waren also <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wie <strong>in</strong> der gesamten <strong>KPD</strong> durchaus bemerkbar. 67<br />
Zurückzuführen waren sie auch auf die Isolation während der NS-Zeit, durch die<br />
vielen Kommunisten die strategischen Konzepte der Parteiführung seit 1935 nicht<br />
bekannt waren. 68 Nach Ansicht von Wilhelm Meyer-Buer war das die Mehrheit der<br />
Partei:<br />
»E<strong>in</strong> Großteil der Mitgliedschaft der Kommunistischen Partei war abgeschnitten von den Ereignissen,<br />
Berichten etc., abgeschnitten von den wichtigen Informationen. Als wir <strong>1945</strong> mit der<br />
Neuordnung begannen, stand natürlich im Mittelpunkt der 11. Juni. Aber es stand auch im<br />
Mittelpunkt der VII. Weltkongress und die Brüsseler Parteikonferenz, die bereits den Weg<br />
festgelegt hatten, der nachher e<strong>in</strong>mündete <strong>in</strong> den 11. Juni. Dass es so nicht weitergehen konnte<br />
und durfte, war den meisten Funktionären, die z.B. Zugang zu illegaler Literatur gehabt<br />
hatten, klar. Aber die Mehrheit unserer Genossen hat das nicht verstanden, was unter antifaschistischer<br />
parlamentarischer Demokratie eigentlich verstanden werden soll. Dass sie die<br />
demokratische und relativ friedliche Umgestaltung als e<strong>in</strong>en wichtigen Bestandteil der Revolution,<br />
die notwendig war nach <strong>1945</strong>, aufgefasst haben, war nicht dr<strong>in</strong>. <strong>Die</strong>se Genossen hatten<br />
sich ihr Weltbild <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er verlängerten L<strong>in</strong>ie von 1933 gemacht. <strong>Die</strong>se Auffassung war unerhört<br />
stark bei den alten Genossen damals.« 69<br />
Generell aber fand der Aufruf Zustimmung, und die Kritik, auf die er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />
Punkten stieß, war wohl <strong>in</strong> der Regel ke<strong>in</strong> Ausdruck von Opposition. 70 H<strong>in</strong>zu<br />
kam, dass <strong>in</strong> der Nachkriegssituation des Jahres <strong>1945</strong> die primären Probleme der<br />
65 Bericht aus dem Bezirk Weser-Ems [21.2.1946], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1.<br />
66 Resolution [31.3.1946], <strong>in</strong> SAPMO I 10/20/19.<br />
67 Siehe auch <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1684f.<br />
68 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1684f.<br />
69 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 2.<br />
70 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1684. Zur Reaktion auf den Aufruf<br />
aus der Sicht der DDR-Geschichtsschreibung siehe Günter Benser, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> im Jahre der Befreiung.<br />
Vorbereitung und Aufbau der legalen kommunistischen Massenpartei (Jahreswende 1944/45 bis<br />
Herbst <strong>1945</strong>), Berl<strong>in</strong> (DDR) 1985, S. 165f.
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 29<br />
Partei vor Ort nicht programmatischer Art waren, wie auch der damals <strong>in</strong> die <strong>KPD</strong><br />
e<strong>in</strong>getretene Hermann Gautier 71 hervorhebt:<br />
»Es g<strong>in</strong>g ja erst mal um ganz konkrete Probleme. Es g<strong>in</strong>g darum Wohnraum zu schaffen, Arbeitsplätze<br />
zu schaffen, den Menschen die Ernährung zu sichern, Bekleidung zu sichern. [...]<br />
Wenn ich mich an die ersten zwei Jahre <strong>in</strong> der Partei hier er<strong>in</strong>nere, dann waren das zunächst<br />
mal die Probleme, die den Hauptteil der Arbeit <strong>in</strong> Anspruch genommen haben. Natürlich<br />
wurden damit im Zusammenhang auch auf den Mitgliederversammlungen oder Bildungsabenden<br />
usw. auch die programmatischen Grundsätze diskutiert, aber nach me<strong>in</strong>em Empf<strong>in</strong>den<br />
aus der damaligen Zeit gab es da ke<strong>in</strong>e Frustrationen, etwa, weil der Aufruf nicht revolutionär<br />
genug war oder weil Vorstellungen, die manche vor '33 gehabt haben, sich <strong>in</strong> dem Aufruf<br />
nicht <strong>in</strong> der Weise widergespiegelt haben. Ich glaube, man kann zunächst mal davon ausgehen,<br />
dass er doch <strong>in</strong> wesentlichen die Zustimmung der überwiegenden Mehrheit der alten<br />
und vor allem natürlich der jungen Genossen gefunden hat.« 72<br />
Nach der Legalisierung der <strong>KPD</strong> wurde der bis dah<strong>in</strong> bereits etablierte Parteiapparat<br />
weiter ausgebaut. <strong>Die</strong> Mitgliederzahlen stiegen schnell an. Ende 1946 konnte<br />
die Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> etwa 2.700 Mitglieder verzeichnen. 73 Der Höhepunkt des<br />
Anstiegs der Mitgliederzahlen war 1948 mit <strong>in</strong>sgesamt etwa 3.000 Mitgliedern <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> und <strong>Bremen</strong>-Nord erreicht. 74 Über die Zusammensetzung der Mitgliedschaft<br />
gibt es nur vere<strong>in</strong>zelte H<strong>in</strong>weise. <strong>Die</strong> Bezirksleitung berichtete im Februar<br />
1946, der Funktionärskader setze »sich zum großen Teil aus jüngeren bis mittleren<br />
Altersklassen zusammen«, Frauen seien »noch wenig vertreten«. 75 <strong>Die</strong> Überalterung<br />
der Kader war offenbar zu diesem Zeitpunkt noch ke<strong>in</strong> so großes Problem wie<br />
für die SPD. 76 <strong>Die</strong> Mehrzahl der aktiven Funktionäre auf Leitungsebene dürfte jedoch<br />
vor allem aus den mittleren Alterskohorten gekommen se<strong>in</strong>, die bereits während<br />
der Weimarer Republik <strong>in</strong> die Partei e<strong>in</strong>getreten waren. 77 Daneben stellte aber<br />
vermutlich die Gruppe der vor 1900 Geborenen den größten Anteil der Mitglied-<br />
71 Hermann Gautier (1920): Kaufmännischer Angestellter. Seit <strong>1945</strong> <strong>KPD</strong>, 1946 Kassierer im Kreisvorstand<br />
<strong>Bremen</strong>, 1947-1949 Jugendsekretär beim Parteivorstand <strong>in</strong> Frankfurt, danach verschiedene Tätigkeiten<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Ab 1951 1. Landessekretär der <strong>KPD</strong>, 1951-1959 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. Nach<br />
dem Verbot Kandidat des Politbüros der <strong>KPD</strong>, beteiligt an der Gründung der DFU auf Bundesebene.<br />
Juli 1961 bis Mai 1962 Untersuchungshaft, 1966 Verurteilung durch den Bundesgerichtshof zu acht<br />
Monaten Gefängnis. Seit 1962 Vollmitglied des Politbüros, <strong>1968</strong> Mitbegründer der DKP auf Bundesebene,<br />
ab 1973 stellvertretender Bundesvorsitzender.<br />
72 Interview Hermann Gautier, 2.<br />
73 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 231.<br />
74 Zahlen nach Organisationsberichten der Bremer <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/15.<br />
75 Bericht aus dem Bezirk Weser-Ems [21.2.1946], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1.<br />
76 Vgl. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 231f. In den 1950er Jahren wurde<br />
das hohe Durchschnittsalter der Mitgliedschaft auch für die <strong>KPD</strong> zum Problem.<br />
77 <strong>Die</strong>se Vermutung wird durch die Betrachtung von Bezirks- und Stadtleitung gestützt. <strong>Die</strong> beiden Sekretäre<br />
der Bezirksleitung waren 1946 45 (He<strong>in</strong>z Schramm) und 40 (Willy Knigge) Jahre alt, ähnlich sah<br />
es bei den Sekretären der Stadtleitung Rudolf Rafoth (Jahrgang 1911) und He<strong>in</strong>rich Reichel (Jahrgang<br />
1907) aus. Das Durchschnittsalter der <strong>KPD</strong>-Fraktion <strong>in</strong> der ersten (von der Militärregierung ernannten)<br />
Bremischen Bürgerschaft betrug 1946 42,5 Jahre (Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />
a.a.O., S. 232).
30<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
schaft, wie spätere Mitgliederstatistiken belegen. 78 Zu dieser Mehrheit, die zum<br />
größten Teil bereits vor 1933 der <strong>KPD</strong> angehört hatte, kamen Neue<strong>in</strong>tritte von unter<br />
30-Jährigen, die zum Teil von den Antifa-Schulen <strong>in</strong> sowjetischen Kriegsgefangenenlagern<br />
geprägt wurden oder aus kommunistischen Familien stammten. Neue<br />
Mitglieder kamen auch aus ehemals partei- oder milieufremden Schichten. <strong>Die</strong> Bezirksleitung<br />
schrieb im oben genannten Bericht: »Und zwar kommen aus allen<br />
Kreisen der Bevölkerung Menschen zu uns, die uns bisher ablehnend gegenüber<br />
standen. Wir haben Parteigruppen, die fast zu 90% aus neuen Mitgliedern bestehen.«<br />
79 Der Gesamtanteil dieser neuen Mitgliedergruppen ist aber nicht zu quantifizieren.<br />
Betriebe und Gewerkschaften<br />
Der Aufbau der Partei<strong>org</strong>anisation nach der Legalisierung konzentrierte sich vor allem<br />
auf die Betriebsgruppen. 80 In den Betrieben hatten sich Kommunisten bereits<br />
seit Mai <strong>1945</strong> starke Stellungen erarbeiten können. Dabei war beim Wiederaufbau<br />
der Betriebe, der Bildung von Betriebsräten und der Neugründung der Gewerkschaften<br />
die Parteizugehörigkeit zunächst zweitrangig. Bereits im Mai und Juni<br />
<strong>1945</strong> entstanden <strong>in</strong> vielen Betrieben unabhängige Betriebsausschüsse. 81 <strong>Die</strong>se ei-<br />
78 Im Juli 1949 betrug der Anteil der über 50-Jährigen auf Bremer Landesebene über 46 Prozent (Organisationsberichte<br />
der Bremer <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/15; vgl. Kapitel 2).<br />
79 Bericht aus dem Bezirk Weser-Ems [21.2.1946], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1. Hermann Gautier vermutet, dass<br />
der starke Mitgliederanstieg <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren vor allem zurückzuführen war auf diese<br />
›milieufremden‹ Parteie<strong>in</strong>tritte, deren Motivation wohl <strong>in</strong> der Tat oft auch e<strong>in</strong>e opportunistische war<br />
und die demzufolge nach dem Beg<strong>in</strong>n des Kalten Krieges die Partei auch schnell wieder verließen: »Es<br />
gab ja Tausende, die <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> mit e<strong>in</strong>mal alle Mitglieder der Partei werden wollten. Nur, wenn man<br />
es nüchtern sieht, dann dauerte das alles gar nicht lange. Nach e<strong>in</strong>, zwei oder drei Jahren, waren alle<br />
die, die aus irgendwelchen opportunistischen Gründen glaubten, jetzt muss man sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kommunistischen<br />
Partei <strong>org</strong>anisieren, Trittbrettfahrer, die geglaubt haben, mit der Kommunistischen Partei<br />
kann man alles erreichen, wieder ausgetreten. [...] <strong>Die</strong>ser ›Run‹ auf die Partei <strong>1945</strong> war also nur e<strong>in</strong><br />
ganz kurzes Aufflackern.« (Interview Hermann Gautier, 2). Andere Interviewpartner argumentieren<br />
ähnlich (Interview Herbert Breidbach, 2; Interview Willy Hundertmark, 2).<br />
80 <strong>Die</strong>s wurde von der Bezirksleitung explizit so benannt und gefordert. Auf e<strong>in</strong>er Bezirkskonferenz im<br />
November <strong>1945</strong> sagte He<strong>in</strong>z Schramm <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat, der Aufbau der Partei habe »vornehmlich <strong>in</strong><br />
den Betriebsgruppen« zu erfolgen. »<strong>Die</strong> vornehmste Aufgabe ist, <strong>in</strong> den Betrieben das Fundament der<br />
Partei zu legen, weil dort durch praktische Arbeit die größte Möglichkeit gegeben ist zur Herstellung<br />
der E<strong>in</strong>heit der Arbeiterklasse.« (Bezirkskonferenz <strong>Bremen</strong>, den 24. Nov. <strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/3). Wilhelm<br />
Knigge berichtete Anfang Januar 1946 auf e<strong>in</strong>er Funktionärskonferenz <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, »dass wir unsere<br />
Organisation <strong>in</strong> den letzten Wochen <strong>in</strong>sbesondere auf Betriebsgruppen umstellen. Das trifft besonders<br />
für <strong>Bremen</strong>-Stadt zu.« (Stenographische Niederschrift über die Funktionärskonferenz am Sonnabend, dem 5.<br />
Januar 1946, 12 Uhr, im <strong>KPD</strong>-Hause zu Berl<strong>in</strong>, Wallstrasse 76, <strong>in</strong>: Günter Benser, H.J. Krusch [Hrsg.], Dokumente<br />
zur Geschichte der kommunistischen Bewegung <strong>in</strong> Deutschland. Reihe <strong>1945</strong>/46, Band 2: Protokolle<br />
der erweiterten Sitzungen des Sekretariats des Zentralkomitees der <strong>KPD</strong> Juli <strong>1945</strong> - Februar<br />
1946, bearbeitet von Günter Benser und Hans-Joachim Krusch, München/New Providence/London/Paris<br />
1994, S. 491).<br />
81 Vgl. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 146f.; Peter Brandt, Betriebsräte,<br />
Neuordnungsdiskussion und betriebliche Mitbestimmung <strong>1945</strong>-1948. Das Beispiel <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: Internationale<br />
wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 20. Jg., Juni
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 31<br />
genständige Initiative der Arbeiter, von denen viele auch Mitglied der KGF waren,<br />
floss zusammen mit zentralen Bemühungen der Kampfgeme<strong>in</strong>schaft, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>e eigene<br />
Abteilung »Betrieb und Gewerkschaft« gegründet worden war. 82 Aus den Betriebsausschüssen<br />
bildete sich im Juni <strong>1945</strong> e<strong>in</strong> »Zentralausschuss der Betriebsvertreter<br />
der Bremer Enclave« mit 35 Mitgliedern, die e<strong>in</strong>en siebenköpfigen Koord<strong>in</strong>ationsausschuss<br />
wählten. <strong>Die</strong>ser verstand sich »gleichzeitig als Organ der KGF«. 83 In<br />
dem Gremium waren vier Kommunisten und drei Sozialdemokraten vertreten, 84<br />
Vorsitzender wurde Max Schimmeck, ehemals Sozialdemokrat, nun <strong>KPD</strong>-Mitglied<br />
und Leiter der Wirtschaftsabteilung der <strong>KPD</strong>-Bezirksleitung. 85 »<strong>Die</strong>se Mehrheitsverhältnisse<br />
verdeutlichten den großen E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Betrieben zu diesem<br />
Zeitpunkt.« 86<br />
Parallel zum Zentralausschuss der Betriebsräte war e<strong>in</strong> sogenannter »Dreizehner-Ausschuss«<br />
entstanden, den vorrangig ehemalige ADGB-Funktionäre bildeten.<br />
In diesem Gremium stellte die <strong>KPD</strong> lediglich zwei Mitglieder. 87 Zwischen den bei-<br />
1984, H. 2, S. 156-202. Das Beispiel der Atlas-Werke, wo sich e<strong>in</strong> Betriebsausschuss bereits im Mai <strong>1945</strong><br />
bildete, schildert Johann Re<strong>in</strong>ers, Erlebt und nicht vergessen. E<strong>in</strong>e politische Biographie, Fischerhude<br />
1982, S. 169-175. Der Kommunist Re<strong>in</strong>ers wurde Vorsitzender des Ausschusses. Johann Re<strong>in</strong>ers (1907-<br />
1995): Maler. 1931 <strong>KPD</strong>, 1932 politische Arbeit <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, Ende 1932 bis 1939 Malergeschäft <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />
1939 dienstverpflichtet als Werksmeister <strong>in</strong> den Atlas-Werken. <strong>1945</strong> <strong>KPD</strong> und KGF, 1946-1970 Kassierer<br />
und Geschäftsführer der IG Metall <strong>Bremen</strong>. 1956 Austritt aus der <strong>KPD</strong>, 1957 SPD.<br />
82 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 144ff.<br />
83 Ebenda, S. 149.<br />
84 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/19/1. Der <strong>KPD</strong>-Bericht schrieb, auch die SPD-Mitglieder im Siebener-Ausschuss stünden »sehr eng<br />
zu uns«. Vgl. auch Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 156, der schreibt,<br />
der Ausschuss habe sich »mehrheitlich aus Kommunisten, teilweise auch aus SAP-Mitgliedern« zusammengesetzt.<br />
85 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 150; Hans Jansen und Renate Meyer-<br />
Braun, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, <strong>Bremen</strong> 1990, S. 68.<br />
86 <strong>Die</strong> Bezirksleitung schrieb im September <strong>1945</strong>, man habe »<strong>in</strong> den meisten Fällen« <strong>in</strong> den Bremer Betriebsräten<br />
»unbed<strong>in</strong>gt die Führung« (Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei<br />
[1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1). E<strong>in</strong>e ähnliche E<strong>in</strong>schätzung äußert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Autobiographie<br />
auch Johann Re<strong>in</strong>ers, zu diesem Zeitpunkt Mitglied im Zentralausschuss und <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>: »In den<br />
ersten Monaten nach Kriegsende waren besonders <strong>in</strong> den Bremer Großbetrieben die Kommunisten<br />
führend. Sie hatten sich, ohne das Risiko zu scheuen, an die Arbeit gemacht, während die früheren Sozialdemokraten<br />
sich vorsichtiger verhielten, abwarteten, um zu sehen, woh<strong>in</strong> der Hase laufen würde.«<br />
(Johann Re<strong>in</strong>ers, Erlebt und nicht vergessen, a.a.O., S. 193f.). Nach Re<strong>in</strong>ers' Angaben war dementsprechend<br />
auch der Zentralausschuss »stark mit Altkommunisten durchsetzt«.<br />
87 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/19/1. <strong>Die</strong> Bezirksleitung schrieb, die ehemaligen Gewerkschaftsführer seien an die KGF mit der<br />
Aufforderung herangetreten, »2 Genossen zu benennen«, die <strong>in</strong> dem zu bildenden Ausschuss mitarbeiten<br />
sollten. »Sie boten der von ihnen sogenannten ›Opposition‹ 2 Sitze <strong>in</strong> diesem Ausschuss an. Wir erklärtennun,wennmanvon›Opposition‹überhauptsprechenkönne,soseiennichtwir,sondernsiedie<br />
Oppositionellen. E<strong>in</strong> jeder habe die Möglichkeit, <strong>in</strong>nerhalb der Kampfgeme<strong>in</strong>schaft am Wiederaufbau<br />
der freien Gewerkschaften mitzuarbeiten. In den größten Teilen der Bremer Betriebe seien durch die<br />
KGF die Betriebsräte auf der Basis der E<strong>in</strong>heit geschaffen und diese Betriebsräte nehmen für sich <strong>in</strong><br />
Anspruch, den Aufbau der Gewerkschaften vorzunehmen. Da e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>igung nicht erzielt werden<br />
konnte, g<strong>in</strong>gen unsere beiden Genossen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en 13er Ausschuss, bestehend aus 11 ehemaligen Gewerkschaftssekretären<br />
und 2 Genossen von uns.«
32<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
den Ausschüssen wurden schnell Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten und »Rivalitäten« 88<br />
deutlich, die die Form e<strong>in</strong>er neu zu gründenden Gewerkschaft sowie die E<strong>in</strong>beziehung<br />
der Betriebsrätebewegung betrafen. Während Vertreter der KGF und die <strong>KPD</strong><br />
auf der Gründung e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heitsgewerkschaft unter maßgeblicher E<strong>in</strong>beziehung<br />
der Betriebsräte bestanden, planten die ehemaligen Gewerkschaftsfunktionäre zunächst<br />
die Wiederherstellung der alten Industrieverbände. Trotz der Differenzen<br />
bildete sich schließlich am 30. Juli <strong>1945</strong> e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer »25er-Ausschuss«, der<br />
fortan die Gewerkschaftsgründung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vorbereitete. 89 Das Gremium setzte<br />
sich aus den beiden Ausschüssen sowie zusätzlich fünf Betriebsräten bzw. Vertretern<br />
der KGF zusammen. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> stellte - anders als <strong>in</strong> dem »Siebener-Ausschuss«<br />
- mit <strong>in</strong>sgesamt neun Mitgliedern nicht die Mehrheit. 90 Als gleichberechtigte Vorsitzende<br />
des 25er-Ausschusses wurden Oskar Schulze (SPD) und August Raschen<br />
(<strong>KPD</strong>) gewählt. 91<br />
Obwohl sich im 25er-Ausschuss zunächst die Vertreter der E<strong>in</strong>heitsgewerkschaft<br />
durchsetzten, 92 scheiterte <strong>in</strong> der Folgezeit dieses Konzept aufgrund der ablehnenden<br />
Haltung der Militärregierung. 93 Der 25er-Ausschuss löste sich im März<br />
1946 auf. Im Herbst <strong>1945</strong> kam es zur Gründung und Zulassung mehrerer E<strong>in</strong>zelgewerkschaften.<br />
94<br />
Zur stärksten E<strong>in</strong>zelgewerkschaft wurde der Deutsche Metallarbeiterverband<br />
(DMV, ab 1947 IG Metall). In der Metallarbeitergewerkschaft war die <strong>KPD</strong> bis Anfang<br />
der 1950er Jahre stark vertreten. <strong>Die</strong> erste Vertreterversammlung im April<br />
1946 wählte zwar Oskar Schulze zum Vorsitzenden der Ortsverwaltung, angeblich<br />
stellte die <strong>KPD</strong> aber »zusammen mit ihren Sympathisanten 40 Prozent der Delegierten«.<br />
95 Zweiter Vorsitzender wurde August Raschen (<strong>KPD</strong>), zum Kassierer wurde<br />
Johann Re<strong>in</strong>ers (<strong>KPD</strong>) gewählt und unter den übrigen Mitgliedern der Ortsverwaltung<br />
waren <strong>KPD</strong>-Mitglieder ebenfalls <strong>in</strong> der Mehrheit. 96 In den anderen E<strong>in</strong>zelgewerkschaften<br />
dom<strong>in</strong>ierten dagegen <strong>in</strong> der Regel sofort die Sozialdemokraten. 97<br />
88 Johann Re<strong>in</strong>ers, Erlebt und nicht vergessen, a.a.O., S. 193.<br />
89 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 158.<br />
90 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/19/1. Wilhelm Knigge sprach im Januar 1946 von zwölf Kommunisten und 13 Sozialdemokraten im<br />
Ausschuss (Stenographische Niederschrift über die Funktionärskonferenz am Sonnabend, dem 5. Januar 1946,<br />
a.a.O., S. 488). In e<strong>in</strong>em später verfassten Bericht an das Zentralkomitee hieß es, die Zusammensetzung<br />
habe »e<strong>in</strong>e gründliche Diskussion <strong>in</strong> der illegalen Partei« ausgelöst. »<strong>Die</strong> Parteileitung stellte ohne Bedenken<br />
mit diesen alten Gewerkschaftsfunktionären diesen [...] Ausschuss her. E<strong>in</strong> Teil unserer Genossen<br />
hatte Bedenken, und zwar deshalb, weil die alten Funktionäre der Gewerkschaften unbeliebt bei<br />
den Arbeitern waren« (Bericht über unsere Arbeiten <strong>in</strong> den Betrieben und beim Aufbau und der Ausrichtung<br />
der neuen freien Gewerkschaften, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/8).<br />
91 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/19/1.<br />
92 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 158f.<br />
93 Ebenda, S. 161ff.<br />
94 Ebenda, S. 165ff.<br />
95 Arne Andersen und Uwe Kiupel, IG Metall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. <strong>Die</strong> ersten 100 Jahre, herausgegeben von der IG<br />
Metall <strong>Bremen</strong>, mit e<strong>in</strong>em Vorwort von He<strong>in</strong>z Me<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g, <strong>Bremen</strong> 1991, S. 49.<br />
96 Ebenda, S. 49; Jörg Wollenberg: »Wir wollen mitbestimmen, was aus der Wirtschaft werden soll«. Zum<br />
Wiedergründungsprozess der Gewerkschaften nach <strong>1945</strong> am Beispiel <strong>Bremen</strong>s. In: Werden. Jahrbuch
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 33<br />
Ab Oktober <strong>1945</strong> fanden <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die ersten Betriebsratswahlen statt. 98 <strong>Die</strong><br />
<strong>KPD</strong> konnte hier ihre <strong>in</strong> den ersten Monaten nach Kriegsende deutlich gewordene<br />
Dom<strong>in</strong>anz <strong>in</strong> der Betriebsrätebewegung bestätigen. 99 Der kommunistische E<strong>in</strong>fluss<br />
konzentrierte sich allerd<strong>in</strong>gs vor allem auf die Großbetriebe. In den meisten dieser<br />
»Schlüsselbetriebe« konnte die Partei gegenüber der SPD die Mehrheit err<strong>in</strong>gen.<br />
Am deutlichsten war die Dom<strong>in</strong>anz, betrachtet man die größeren Betriebe, bei dem<br />
Schiffbaubetrieb Atlas-Werke (7 <strong>KPD</strong>, 2 SPD und 2 Parteilose), beim Automobil-<br />
Werk B<strong>org</strong>ward (6 <strong>KPD</strong>, 2 SPD, 2 Parteilose), bei der Norddeutschen Hütte (7 <strong>KPD</strong>,<br />
2 SPD) und der Fahrzeug- und Gerätebau (6 <strong>KPD</strong>, 0 SPD und 1 Parteiloser). Im Hafen<br />
stellten die Kommunisten fünf Betriebsräte (4 SPD, 3 Parteilose), bei der Werft<br />
AG »Weser« hatte die SPD mit 6 Sitzen e<strong>in</strong>e knappe Mehrheit gegenüber der <strong>KPD</strong><br />
(5). 100 Nach E<strong>in</strong>schätzung der <strong>KPD</strong> waren die kle<strong>in</strong>eren Betriebe dagegen eher von<br />
Sozialdemokraten dom<strong>in</strong>iert. 101<br />
<strong>Die</strong> anfänglich starke Stellung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Großbetrieben basierte nicht nur<br />
auf dem stärkeren persönlichen E<strong>in</strong>satz von Kommunisten beim Aufbau der Betriebe<br />
und Betriebsräte, 102 sondern auch auf dem <strong>org</strong>anisatorischen Vorsprung der<br />
<strong>KPD</strong> gegenüber der SPD beim Aufbau der Betriebsgruppen. <strong>Die</strong> Parteileitung hatte<br />
im November <strong>1945</strong> den Schwerpunkt des Organisationsaufbaus auf die Betriebe gelegt.<br />
Zuvor waren bereits auf Eigen<strong>in</strong>itiative der Kommunisten zahlreiche Betriebsgruppen<br />
entstanden. 103 E<strong>in</strong>e etwa Anfang 1946 verfasste Aufstellung nannte 18 Betriebsgruppen<br />
im Bremer Stadtgebiet mit <strong>in</strong>sgesamt 391 Mitgliedern. 104 <strong>Die</strong> mitgliederstärksten<br />
Betriebsgruppen gab es bei der AG »Weser« (43 Mitglieder), dem<br />
Arbeitsamt (41), B<strong>org</strong>ward (41) und im Hafen (38). 105<br />
der Gewerkschaften 1985, Köln 1985, S. 21-31, hier S. 24.; Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />
a.a.O., S. 206.<br />
97 Jörg Wollenberg, »Wir wollen mitbestimmen...«, a.a.O., S. 24.; Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />
a.a.O., S. 206f.<br />
98 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 165f.<br />
99 Siehe die Angaben bei Peter Brandt, der sich auf e<strong>in</strong>e kommunistische Quelle beruft (Ebenda, S. 201).<br />
100 Tätigkeitsbericht und Aufstellung unserer Betriebsgruppen, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/8. Vgl. auch Peter Brandt,<br />
Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 201f.<br />
101 »Im ganzen kann man sagen, dass <strong>in</strong> den Großbetrieben e<strong>in</strong>e absolute Mehrheit für unsere Partei vorhanden<br />
ist. [...]. 70% der gewählten Betriebsräte <strong>in</strong> den Großbetrieben s<strong>in</strong>d unsere Genossen. Anders ist<br />
es <strong>in</strong> den Kle<strong>in</strong>betrieben, wo die sozialdem. Genossen die absolute Mehrheit erreicht haben«, so Wilhelm<br />
Knigge Anfang Januar 1946 (Stenographische Niederschrift über die Funktionärskonferenz am Sonnabend,<br />
dem 5. Januar 1946, a.a.O., S. 487f.). Peter Brandt vermutet, dass die SPD trotz der Dom<strong>in</strong>anz der<br />
<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> vielen Großbetrieben <strong>in</strong>sgesamt schon zu diesem Zeitpunkt stärker <strong>in</strong> den Betriebsräten repräsentiert<br />
war (Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 201f.).<br />
102 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 166 und S. 202. Brandt weist zwar zu<br />
Recht auf diesen Aspekt h<strong>in</strong>, überbetont ihn aber.<br />
103 Ebenda, S. 202.<br />
104 Tätigkeitsbericht und Aufstellung unserer Betriebsgruppen, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/8. Vgl. auch Peter Brandt,<br />
Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 202.<br />
105 Tätigkeitsbericht und Aufstellung unserer Betriebsgruppen, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/8. Als weitere Betriebsgruppen<br />
wurden genannt: Atlas-Werke (18 Mitglieder), Eickemeyer (19), E-Werk F<strong>in</strong>dorff (25), Fahrzeug<br />
& Gerätebau (23), Francke-Werke (28), Norddeutsche Hütte (20), Reichsbahnausbesserungswerk
34<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
<strong>Die</strong> SPD hatte zu diesem Zeitpunkt ke<strong>in</strong>e vergleichbaren Organisationsstrukturen<br />
<strong>in</strong> den Betrieben und begann erst im Verlaufe des Jahres 1946 mit dem Aufbau<br />
von Betriebsgruppen. 106 <strong>Die</strong> Motivation hierfür war offensichtlich die Zurückdrängung<br />
des kommunistischen E<strong>in</strong>flusses <strong>in</strong> den Betrieben. 107 <strong>Die</strong>s gelang <strong>in</strong> größerem<br />
Maße erst <strong>in</strong> den 1950er Jahren, bereits 1946 aber waren gegenüber den ersten Wahlen<br />
vom Herbst <strong>1945</strong> leichte Kräfteverschiebungen <strong>in</strong> den Betriebsräten festzustellen.<br />
So verlor die <strong>KPD</strong> bei B<strong>org</strong>ward die Mehrheit (5 <strong>KPD</strong>, 6 SPD), ebenso bei den<br />
Atlas-Werken, wo sich die Mehrheitsverhältnisse von <strong>1945</strong> komplett zugunsten der<br />
SPD umgedreht hatten (2 <strong>KPD</strong>, 9 SPD). 108 1947 verlor die <strong>KPD</strong> hier auch ihre letzten<br />
zwei Sitze, <strong>in</strong>sgesamt konnte <strong>in</strong> diesem Jahr auch erstmals von e<strong>in</strong>er sozialdemokratischen<br />
Dom<strong>in</strong>anz <strong>in</strong> den Betriebsräten gesprochen werden. 109 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> behielt<br />
aber <strong>in</strong> vielen Großbetrieben e<strong>in</strong>en starken E<strong>in</strong>fluss (besonders B<strong>org</strong>ward, AG<br />
»Weser«, Hafen), der noch während der 1950er Jahre bemerkbar war und sich vere<strong>in</strong>zelt<br />
<strong>in</strong> Betriebsratsmehrheiten niederschlug.<br />
Das Scheitern der E<strong>in</strong>heit<br />
<strong>Die</strong> 1946 e<strong>in</strong>setzenden Versuche der SPD, die anfängliche kommunistische Dom<strong>in</strong>anz<br />
<strong>in</strong> vielen Betrieben und Betriebsräten zurückzudrängen, signalisierten auch<br />
das Aufbrechen der Gegensätze zwischen SPD und <strong>KPD</strong>.<br />
Trotz der anfänglichen Weigerung der <strong>KPD</strong> hatten die beiden Arbeiterparteien<br />
bereits anlässlich des Aktionse<strong>in</strong>heitsabkommens im August die Auflösung der<br />
KGF gefordert. 110 Spätestens mit der Legalisierung von SPD und <strong>KPD</strong> und dem<br />
weiteren Ausbau ihrer Organisationsstrukturen wurde der Spielraum für e<strong>in</strong>e überparteiliche<br />
Antifa-Organisation zunehmend enger. <strong>Die</strong> KGF löste sich schließlich<br />
auf ihrer zweiten Bezirkskonferenz am 16. Dezember <strong>1945</strong> auf.<br />
In ihrer Entschließung forderte die KGF noch e<strong>in</strong>mal vehement die sofortige<br />
Bildung der E<strong>in</strong>heitspartei. 111 Gerade dieses Ziel aber, das die KGF <strong>in</strong> den Wochen<br />
vor ihrer Auflösung verstärkt gefordert und zu e<strong>in</strong>em zentralen Programmpunkt<br />
gemacht hatte, war zunehmend unwahrsche<strong>in</strong>licher geworden aufgrund der Vorbehalte<br />
von SPD und <strong>KPD</strong>. <strong>Die</strong> Zurückhaltung der beiden Parteileitungen gegenüber<br />
e<strong>in</strong>er sofortigen Vere<strong>in</strong>igung wurde deutlich auf e<strong>in</strong>er Diskussionsversammlung<br />
am 6. Dezember <strong>1945</strong>, zu der das E<strong>in</strong>heits-Aktionskomitee, der Betriebsrat und<br />
die kommunistische Betriebsgruppe der Atlas-Werke je e<strong>in</strong>en Vertreter von <strong>KPD</strong>,<br />
Sebaldsbrück (18), Rolandmühle (22), Schellhaas & Druckemüller (22) sowie fünf kle<strong>in</strong>ere Gruppen mit<br />
fünf bis acht Mitgliedern.<br />
106 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 202. E<strong>in</strong> systematischer Aufbau auf<br />
Landesebene begann erst 1948 (Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959. E<strong>in</strong>e lokal- und parteigeschichtliche<br />
Studie, Frankfurt a.M./New York 1982, S. 100).<br />
107 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 202 und Fußnote 189, S. 387f.<br />
108 Teilergebnisse der Betriebsrätewahlen im August <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/8. Vgl. auch Peter Brandt,<br />
Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 222f.<br />
109 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 223.<br />
110 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 191.<br />
111 Aufbau Nr. 11, Januar 1946, S. 5ff.
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 35<br />
SPD und KGF e<strong>in</strong>geladen hatten. Hermann Osterloh als Vertreter der SPD begrüßte<br />
die Initiative der Belegschaft, wandte sich aber gegen die sofortige Gründung e<strong>in</strong>er<br />
E<strong>in</strong>heitspartei. Man müsse sich »darüber im klaren se<strong>in</strong>, dass die E<strong>in</strong>heit nicht e<strong>in</strong>fach<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bestimmt werde, sondern dass das e<strong>in</strong>e Reichsangelegenheit« sei<br />
und »dass entscheidend eben die Amerikaner seien«. Für die <strong>KPD</strong> äußerte sich<br />
Wilhelm Knigge ähnlich und verwies auf die bislang mit dem Aktionse<strong>in</strong>heitsabkommen<br />
und der Kooperation auf anderen Gebieten erfolgten Schritte. »In der Aktionse<strong>in</strong>heit<br />
zwischen den Kommunisten und Sozialdemokraten werden wir alle<br />
ideologischen Fragen klären, und es ist die wichtigste Voraussetzung, um zur E<strong>in</strong>heitspartei<br />
zu kommen, die wir als Kommunisten begrüßen und uns immer dafür<br />
e<strong>in</strong>setzen«. 112<br />
Offensichtlich wollte auch die <strong>KPD</strong> der reichsweiten Entwicklung nicht v<strong>org</strong>reifen.<br />
<strong>Die</strong>se hatte jedoch <strong>in</strong>zwischen zunehmende Differenzierungen gezeigt. Mit der<br />
»Wennigsener Konferenz« Anfang Oktober <strong>1945</strong> hatte sich Kurt Schuhmacher und<br />
damit auch se<strong>in</strong>e antikommunistische L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> der Führung der westdeutschen Sozialdemokratie<br />
durchgesetzt. In der Ost-Zone dagegen wurden auf der sogenannten<br />
»Sechziger-Konferenz« am 20. und 21. Dezember <strong>1945</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> die Voraussetzungen<br />
geschaffen für e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>igung von SPD und <strong>KPD</strong>, die schließlich am 21.<br />
und 22. April mit der Gründung der SED erfolgte. 113<br />
Spätestens nach der Sechziger-Konferenz war zur Jahreswende <strong>1945</strong>/46 die<br />
Mehrheit der Bremer Sozialdemokraten auf die L<strong>in</strong>ie von Kurt Schuhmacher e<strong>in</strong>geschwenkt.<br />
E<strong>in</strong>e Delegiertenversammlung des Ortsvere<strong>in</strong>s <strong>Bremen</strong> lehnte am 6. Januar<br />
1946 nahezu e<strong>in</strong>stimmig die Entschließung der Sechziger-Konferenz ab. <strong>Die</strong><br />
<strong>in</strong>stitutionalisierte Aktionse<strong>in</strong>heit war schließlich nach scharfen Angriffen der SPD<br />
gegen die <strong>KPD</strong> im Februar 1946 beendet. 114 Ohneh<strong>in</strong> war, so die kritische E<strong>in</strong>schätzung<br />
der <strong>KPD</strong>-Bezirksleitung wenige Tage vor der Auflösung des Aktionse<strong>in</strong>heitsausschusses,<br />
»die bisherige E<strong>in</strong>heit nicht über Besprechungen, geme<strong>in</strong>same Funktionär-,<br />
Mitglieder und öffentliche Versammlungen h<strong>in</strong>ausgekommen«. 115<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wie <strong>in</strong> den übrigen Westzonen betrachtete sich nach der<br />
Gründung der SED als Teil derselben 116 und versuchte weiter, die E<strong>in</strong>heitspartei<br />
112 E<strong>in</strong> Protokoll der Besprechung f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> SAPMO I 10/20/16 (ohne Titel). Vgl. auch Peter Brandt,<br />
Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 192ff. und Johann Re<strong>in</strong>ers, Erlebt und nicht vergessen,<br />
a.a.O., S. 198ff. Re<strong>in</strong>ers fasst die Enttäuschung der Belegschaft und der KGF-Vertreter über die zurückhaltenden<br />
Aussagen der beiden Parteienvertreter mit den Worten »So war es: Alle bekannten sich<br />
zur E<strong>in</strong>heit, ohne sie zu wollen« zusammen (ebenda, S. 200).<br />
113 Siehe zur Sechziger-Konferenz Gert Gruner, Manfred Wilke (Hrsg.), Sozialdemokraten im Kampf um<br />
die Freiheit. <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen SPD und <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>1945</strong>/46. Stenographische<br />
Niederschrift der Sechziger-Konferenz am 20./21. Dezember <strong>1945</strong>, München 1981; E<strong>in</strong>heitsdrang oder<br />
Zwangsvere<strong>in</strong>igung? <strong>Die</strong> Sechziger Konferenzen von <strong>KPD</strong> und SPD <strong>1945</strong> und 1946. Mit e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>führung<br />
von Hans-Joachim Krusch und Andreas Malycha, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1990.<br />
114 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 197ff. Siehe auch Bericht über die Aktionsausschuss-Sitzung<br />
am 28.1.1946, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/16.<br />
115 Bericht aus dem Bezirk Weser-Ems [21.2.1946], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1.<br />
116 Am Vere<strong>in</strong>igungsparteitag nahmen auch Delegierte aus den Westzonen teil, aus <strong>Bremen</strong> waren u.a.<br />
He<strong>in</strong>rich Schramm, der auch im Präsidium des Parteitags saß, und Käthe Popall anwesend (Protokoll<br />
des Vere<strong>in</strong>igungsparteitages der SPD und <strong>KPD</strong>, Berl<strong>in</strong> 1946, S. 6ff.; Popall ist im Protokoll unter dem
36<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
auch außerhalb der Ostzone durchzusetzen. 1947 wurde die Kooperation zwischen<br />
<strong>KPD</strong> und SED mit der Gründung e<strong>in</strong>er »Sozialistischen Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft« formalisiert,<br />
gefolgt von e<strong>in</strong>er zweiten <strong>in</strong>tensiven Kampagne zur Gründung e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heitspartei<br />
<strong>in</strong> den Westzonen. 117 Beides scheiterte, auch aufgrund der ablehnenden<br />
Haltung der Besatzungsmächte. 118 Zu e<strong>in</strong>er eigenständigen und formell von der<br />
SED unabhängigen Partei wurde die <strong>KPD</strong> schließlich Anfang 1949. 119<br />
2. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Senat und Bürgerschaft<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war <strong>1945</strong>/46 <strong>in</strong> nahezu allen <strong>in</strong> den Westzonen ernannten Länderregierungen<br />
vertreten. 120 In <strong>Bremen</strong> erhielt zunächst nur e<strong>in</strong> Kommunist e<strong>in</strong>en Platz im<br />
Senat. Hermann Wolters wurde im Senat des Deutschnationalen Erich Vagts der für<br />
Ernährung und Arbeitse<strong>in</strong>sätze zuständige Senator. 121 Am 1. August <strong>1945</strong> musste<br />
Vagts aus dem Amt ausscheiden. Se<strong>in</strong> Nachfolger als Präsident des Senats wurde<br />
der Sozialdemokrat Wilhelm Kaisen, der <strong>Bremen</strong> schließlich bis 1965 regierte und<br />
prägte. 122 Wolters blieb auch unter Kaisen Senator, h<strong>in</strong>zu kam von der <strong>KPD</strong> Adolf<br />
Ehlers, der auf Vorschlag von Kaisen dessen Amt als Senator für Wohlfahrt übernahm.<br />
123<br />
Nachnamen ihres ersten Ehemannes Hans Lübeck genannt. Käthe Popall (1907-1984): Kontorist<strong>in</strong>, zeitweilig<br />
Textilarbeiter<strong>in</strong>. 1922 SAJ und SPD, 1930 <strong>KPD</strong>, 1930-31 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft,<br />
nach 1933 illegale Arbeit, 1935 als Mitarbeiter<strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>-Inlandsleitung verhaftet, bis <strong>1945</strong> Haft, <strong>1945</strong>-<br />
1951 Mitglied der Bürgerschaft, zeitweise deren Vizepräsident<strong>in</strong>, 1946-1948 als erste Frau Mitglied des<br />
Senats, 1956 Austritt aus der <strong>KPD</strong>.<br />
117 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1756ff.<br />
118 Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wurde die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft nicht genehmigt. Ihre Tätigkeit als solche war zwar<br />
nicht verboten, es durften aber ke<strong>in</strong>e Veranstaltungen unter ihrem Namen abgehalten werden (Schreiben<br />
OMGUS an <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong>, 18. November 1947, Betrifft: <strong>KPD</strong>-Versammlung »Brot, Kohle, Frieden,<br />
Gerechtigkeit«, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/4).<br />
119 Siehe dazu ausführlich Kapitel 2.<br />
120 Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Regierungen und Parlamenten der<br />
westdeutschen Besatzungszonen und der Bundesrepublik Deutschland (<strong>1945</strong>-1956), Bonn 1993, S. 79ff.;<br />
<strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1767f.<br />
121 Gegen Wolters bestanden von Seiten der bürgerlichen und konservativen Senatoren zunächst »erhebliche<br />
Vorbehalte, die wesentlich auf se<strong>in</strong> überschäumendes Temperament und se<strong>in</strong>e damit e<strong>in</strong>hergehende<br />
Neigung zurückzuführen waren, sich sowohl im Senat als auch <strong>in</strong> öffentlichen Äußerungen mit<br />
starken Worten als ›Volkstribun‹ der Bremer Arbeiterschaft zu profilieren«. (Karl-Ludwig Sommer,<br />
Wilhelm Kaisen. E<strong>in</strong>e politische Biographie. Hrsg. von der Wilhelm und Helene Kaisen-Stiftung <strong>Bremen</strong>,<br />
Bonn 2000, S. 150).<br />
122 Zur Person Wilhelm Kaisens: Karl-Ludwig Sommer, Wilhelm Kaisen, a.a.O.; Wilhelm Kaisen, Me<strong>in</strong>e<br />
Arbeit, me<strong>in</strong> Leben, München 1967; Zuversicht und Beständigkeit. Wilhelm Kaisen. E<strong>in</strong>e Dokumentation,<br />
herausgegeben und e<strong>in</strong>geleitet von Hans Koschnick unter Mitarbeit von Wilhelm Lührs, Hartmut<br />
Müller, Re<strong>in</strong>hard Patemann, Eugen De Porre und Klaus Schwarz (Staatsarchiv <strong>Bremen</strong>), <strong>Bremen</strong> 1977.<br />
123 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte angeblich vor Ehlers mehrere andere Mitglieder für das Amt v<strong>org</strong>eschlagen, die Kaisen<br />
aber alle abgelehnt hatte. Erst dann wurde Ehlers zu Kaisen geschickt, der ihn mit den Worten »Op Di’
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 37<br />
Mit diesen beiden Ämtern hatte die <strong>KPD</strong> zunächst wichtige Stellungen im Senat<br />
<strong>in</strong>ne. Das Wohlfahrtsamt wie das Ernährungs- und Arbeitsamt waren zentrale Positionen<br />
bei der Wiederherstellung und Organisation des öffentlichen Lebens. 124<br />
Außerdem wurden viele Stellen <strong>in</strong> diesem Bereich von Kommunisten besetzt. »Es<br />
ist uns gelungen«, so Willy Knigge Anfang Januar 1946, »im Wohnungsamt, Ernährungsamt<br />
und Arbeitsamt e<strong>in</strong>e ganze Anzahl unserer Genossen unterzubr<strong>in</strong>gen.<br />
Entscheidende Funktionen z.B. im Landesarbeitsamt, <strong>in</strong>sbesondere der Arbeitse<strong>in</strong>satz<br />
wird von e<strong>in</strong>em unserer Genossen e<strong>in</strong>genommen.« 125<br />
Wie im Zusammenhang mit der KGF bereits erwähnt, blieben die beiden kommunistischen<br />
Senatoren <strong>in</strong> ihrer Amtsausübung weitgehend auf sich gestellt und<br />
ohne Unterstützung oder gar Anleitung von der Parteileitung. Es kann davon ausgegangen<br />
werden, dass Wolters und Ehlers diese »Arbeitsteilung« wohl ganz recht<br />
war, als eher belastend empfand Käthe Popall, die 1946 Gesundheitssenator<strong>in</strong> wurde,<br />
die mangelnde Unterstützung durch die Partei. Nach ihrer Aussage g<strong>in</strong>g es<br />
deutschlandweit allen Regierungsmitgliedern der <strong>KPD</strong> ähnlich:<br />
»Von der <strong>KPD</strong>, unserer Partei, haben wir während der Regierungstätigkeit ke<strong>in</strong>erlei Unterstützung<br />
gehabt. Ich b<strong>in</strong> ja damals durch ganz Deutschland gekommen und habe auf den<br />
Konferenzen andere <strong>KPD</strong>-Regierungsmitglieder getroffen. Sie sagten alle dasselbe: ›Man hat<br />
uns da re<strong>in</strong>geschmissen und schwimmen lassen‹. [...] Willy Meyer-Buer hat mir später gesagt:<br />
›Mensch, was haben wir dir Unrecht getan. Du hast geredet und gebettelt, de<strong>in</strong>e Probleme<br />
vortragen zu können; hast immer wieder gesagt: Ihr müsst mir doch helfen! Aber man dachte<br />
gar nicht daran. ‹« 126<br />
hätt ick all lange tööft! « (Auf Dich hatte ich schon lange gewartet) empfangen haben soll (Horst Adamietz,<br />
Freiheit und B<strong>in</strong>dung, Adolf Ehlers, <strong>Bremen</strong> 1978, S. 66f.).<br />
124 <strong>Die</strong> Schwerpunkte Arbeit, Soziales und Infrastruktur lassen sich bei allen Regierungsbeteiligungen der<br />
<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Westzonen feststellen (Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 81).<br />
125 Stenographische Niederschrift über die Funktionärskonferenz am Sonnabend, dem 5. Januar 1946, a.a.O., S. 488.<br />
<strong>Die</strong> Konzentration von Kommunisten auf das Arbeitsamt wurde aber auch kritisch betrachtet. So bemängelte<br />
Hermann Wolters auf e<strong>in</strong>er Bezirkskonferenz am 24. November die Vernachlässigung der<br />
anderen Ämter und e<strong>in</strong>e gewisse Vers<strong>org</strong>ungsmentalität: »Wir haben e<strong>in</strong>e falsche Personalpolitik ge<br />
trieben, als wir glaubten aus dem Arbeitsamt e<strong>in</strong>e kommunistische Vers<strong>org</strong>ungsstätte zu machen. Wir<br />
hätten lieber dafür S<strong>org</strong>e tragen sollen, die Personalansprüche auf alle verschiedenen Ämter zu verteilen,<br />
denn diese brauchen wir. Alle bewerben sich beim Arbeitsamt und sehen die ganze Frage nur vom<br />
Standpunkt e<strong>in</strong>er persönlichen Vers<strong>org</strong>ung. E<strong>in</strong>e Frau kam zu mir, sie war Mitglied der RGO. Wenn<br />
ich diese Bewerbungsschreiben sehe, es steht e<strong>in</strong>em am Halse. Wenn unsere Genossen nicht begreifen,<br />
dass es nicht darauf ankommt das Amt als Vers<strong>org</strong>ung zu haben, sondern darauf ankommt, <strong>in</strong> engster<br />
Verb<strong>in</strong>dung mit den Massen zu bleiben, dann werden wir als Partei ke<strong>in</strong>en Boden f<strong>in</strong>den. Der Genosse,<br />
der nicht ganz gleich wo er steht bereit ist, se<strong>in</strong>e Position aufzugeben, den brauchen wir nicht. [...]<br />
wenn wir die Partei des Volkes se<strong>in</strong> wollen, dürfen wir uns nicht auf Plätze setzen, die jetzt frei geworden<br />
s<strong>in</strong>d, sondern müssen im lebenden Kontakt mit den Massen bleiben.« (Bezirkskonferenz <strong>Bremen</strong>, den<br />
24. Nov. <strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/3). <strong>Die</strong> Mehrzahl der im Arbeitsamt beschäftigten Kommunisten trat<br />
spätestens 1950 im Zuge e<strong>in</strong>es Erlasses der Bundesregierung, <strong>in</strong> dem die Mitgliedschaft <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> oder<br />
e<strong>in</strong>er ihr nahestehenden Organisation als unvere<strong>in</strong>bar mit e<strong>in</strong>er Beschäftigung im Öffentlichen<br />
<strong>Die</strong>nst erklärt worden war, aus der Partei aus.<br />
126 Käthe Popall - E<strong>in</strong> schwieriges politisches Leben. Erzählte Geschichte, bearbeitet von Peter Alheit und<br />
Jörg Wollenberg, Fischerhude 1985, S. 114.
38<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
Am 17. April tagte erstmals die von der amerikanischen Militärregierung ernannte<br />
Bremische Bürgerschaft. 127 Es handelte sich um ke<strong>in</strong> gewähltes Parlament,<br />
das außerdem ke<strong>in</strong>erlei Gesetzgebungsgewalt oder Kontrollfunktion gegenüber<br />
dem Senat hatte. <strong>Die</strong> Senatoren waren ebenfalls Mitglieder der Bürgerschaft, der<br />
Präsident des Senats Wilhelm Kaisen war gleichzeitig Parlaments-Präsident. <strong>Die</strong><br />
<strong>KPD</strong> war mit neun Abgeordneten <strong>in</strong> dieser Bürgerschaft vertreten. 128 H<strong>in</strong>zu kamen<br />
die beiden Senatoren Hermann Wolters und Adolf Ehlers, die schon kurz darauf<br />
die <strong>KPD</strong> verließen und der SPD beitraten.<br />
Der Übertritt von Wolters und Ehlers zur SPD im Mai 1946 erregte überregionales<br />
Aufsehen und stellte die Bremer <strong>KPD</strong> vor e<strong>in</strong>e verme<strong>in</strong>tliche Zerreißprobe. 129<br />
Bereits zuvor war das Verhältnis zwischen den beiden <strong>KPD</strong>-Vertretern im Senat e<strong>in</strong>erseits<br />
und der Parteileitung beziehungsweise der politischen L<strong>in</strong>ie der Partei andererseits<br />
e<strong>in</strong> gespanntes und ambivalentes. Wolters und Ehlers »waren seit der<br />
Neugründung der <strong>KPD</strong> der Parteil<strong>in</strong>ie nur mit Vorbehalten gefolgt«, angeblich hatten<br />
SPD-Vertreter bereits <strong>1945</strong> bei Gesprächen mit den beiden »den E<strong>in</strong>druck gewonnen,<br />
diese würden nicht lange <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> bleiben«. 130<br />
<strong>Die</strong> offene Ause<strong>in</strong>andersetzung begann mit e<strong>in</strong>em Referat Hermann Wolters auf<br />
e<strong>in</strong>er Parteiarbeiterversammlung der Bremer <strong>KPD</strong> am 17. März 1946. 131 Wolters<br />
griff die Bremer Parteileitung wie auch das Berl<strong>in</strong>er Zentralkomitee scharf an und<br />
warf ihnen die Aufgabe sozialistischer Pr<strong>in</strong>zipien vor. Im Zentrum der Kritik standen<br />
der Aufruf des ZK vom 11. Juni <strong>1945</strong> und das darauf basierende Sofortprogramm<br />
der Bremer <strong>KPD</strong>. <strong>Die</strong> Partei habe »mit diesem rückhaltlosen Bekenntnis zur<br />
bürgerlichen Gesellschaftsordnung und zum Manchestertum [...], wie es <strong>in</strong> ähnlich<br />
weitgehender Form von ke<strong>in</strong>er anderen Partei Deutschlands zum Ausdruck gebracht<br />
wurde, sich jedes Rechtes begeben, als Träger<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es sozialistischen oder<br />
kommunistischen Zukunfts- und Gestaltungswillens aufzutreten.« 132<br />
<strong>Die</strong> sich daraus ergebenden <strong>in</strong>neren Widersprüche und »die grundsätzliche<br />
Unklarheit, die <strong>in</strong> die Politik der <strong>KPD</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen wird«, zeigten sich, so Wolters,<br />
auch auf lokaler Ebene:<br />
»Während die Führung der Partei die ›ungehemmte Entfaltung der Unternehmer<strong>in</strong>itiative‹<br />
proklamiert, fordern unsere lokalen Organisationen planwirtschaftliche Maßnahmen, verlangen<br />
Beschlagnahme von Rohstoffen und Waren, beanspruchen für die Betriebsräte und Belegschaftsvertretungen<br />
das Mitbestimmungsrecht über die Produktion, kurz, vertreten Forde-<br />
127 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, herausgegeben vom Vorstand der Bremischen Bürgerschaft,<br />
<strong>Bremen</strong> 1950, S. 7. Zum Verlauf der Sitzung Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 125ff.<br />
128 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, a.a.O., S. 7. <strong>Die</strong> Abgeordneten waren He<strong>in</strong>z Schramm, Willy<br />
Knigge, Käthe Popall, He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich, Rudolf Rafoth, Albert Häusler, Willy Meyer-Buer, Max<br />
Schimmeck und Albert Krohn . E<strong>in</strong>er von zwei Vizepräsidenten war Albert Häusler (<strong>KPD</strong>), ferner kamen<br />
drei <strong>KPD</strong>-Abgeordnete <strong>in</strong> den Verfassungsausschuss und zwei <strong>in</strong> den Geschäftsordnungsausschuss<br />
(<strong>Die</strong> Bremer Bürgerschaft, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/8).<br />
129 Vgl. zu dem Austritt von Ehlers und Wolters ausführlich Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />
a.a.O., S. 207ff., dessen Ergebnisse hier zusammengefasst und lediglich durch e<strong>in</strong>ige neue<br />
Dokumente ergänzt werden.<br />
130 Ebenda, S. 207.<br />
131 Ebenda, S. 207f. und Dokument 8, S. 269ff.<br />
132 Ebenda, S. 270f.
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 39<br />
rungen, mit denen genau das Gegenteil e<strong>in</strong>er ›ungehemmten Entfaltung der Unternehmer<strong>in</strong>itiative‹<br />
erreicht wird.« 133<br />
<strong>Die</strong> von der Partei propagierte bürgerliche Demokratie dürfe nicht als Selbstzweck<br />
erstrebt werden, sondern müsse als »beste Basis für den proletarischen Freiheitskampf«<br />
verstanden werden. 134<br />
Mit dieser grundlegenden Kritik hatte erstmals e<strong>in</strong> exponiertes Führungsmitglied<br />
der Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die aus der Programmatik von <strong>1945</strong> resultierenden <strong>in</strong>nerparteilichen<br />
Widersprüche thematisiert. Angeblich war die Rede »<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kreis<br />
ehemaliger SAP-/KPO-Mitglieder erarbeitet worden«, 135 was der <strong>in</strong>haltlichen Ausrichtung<br />
entspricht. <strong>Die</strong> Haltung von Wolters und Ehlers war allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong>eswegs<br />
als so e<strong>in</strong>deutig l<strong>in</strong>ksoppositionell zu charakterisieren, sondern sche<strong>in</strong>t »von<br />
Anbeg<strong>in</strong>n an sehr ambivalent gewesen zu se<strong>in</strong>«. 136 Brandt verweist auf e<strong>in</strong>e im Senat<br />
von Wolters abgegebene Erklärung, »die <strong>in</strong> der Betonung der Zusammenarbeit<br />
mit anderen politischen Kräften m<strong>in</strong>destens ebenso weit g<strong>in</strong>g wie die offiziellen<br />
Verlautbarungen der <strong>KPD</strong>«. 137 Auch partei<strong>in</strong>tern hatte sich Wolters ähnlich geäußert.<br />
138<br />
E<strong>in</strong>en Tag nach der Parteiarbeiterkonferenz tagte die Bezirksleitung und beschäftigte<br />
sich mit den Äußerungen Wolters, der später wie auch Adolf Ehlers zu<br />
der Sitzung h<strong>in</strong>zustieß. 139 Wilhelm Knigge schlug zunächst vor, »dass W.[olters]<br />
nicht mehr <strong>in</strong> öffentlichen Versammlungen sprechen darf« und ihn vorläufig aus<br />
der Arbeit der Bezirksleitung zurückzustellen. 140 Knigge bezeichnete Wolters als<br />
»Opfer e<strong>in</strong>er bestimmten Klique« ehemaliger SAP-Mitglieder <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>, die die<br />
Partei spalten wollten. Auch die übrige Bezirksleitung zeigte sich »empört« über<br />
den Auftritt von Wolters und bezeichnete ihn als »großen Diszipl<strong>in</strong>bruch«. »Wenn<br />
e<strong>in</strong> unterer Funktionär sich das herausnimmt, ist das noch was anderes, aber hier<br />
liegt es anders«. Wolters hätte <strong>in</strong> der Bezirksleitung, so He<strong>in</strong>rich Schramm,<br />
»Gelegenheit gehabt, zu all diesen Fragen Stellung zu nehmen und dann hätte man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Parteiarbeiterkonferenz Stellung nehmen können. Man braucht nicht immer mit dem Kopf zu<br />
nicken, um se<strong>in</strong>e Zustimmung zu bekunden. Hier wäre die Zeit gewesen, aber die Parteimitgliedschaft<br />
e<strong>in</strong>fach zu überfallen, das ist nicht <strong>in</strong> Ordnung [...] Ich habe bis jetzt immer zu Dir<br />
133 Ebenda, S. 271.<br />
134 Ebenda, S. 273f.<br />
135 Ebenda, S. 269 und 389. <strong>Die</strong> Autorenschaft des Dokuments ist demnach ungeklärt.<br />
136 Ebenda, S. 208.<br />
137 Ebenda.<br />
138 »Wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Schicksalsgeme<strong>in</strong>schaft geworden, ob wir Kommunisten s<strong>in</strong>d oder nicht, das spielt ke<strong>in</strong>e<br />
Rolle, sondern wir müssen versuchen, die günstigsten und besten Möglichkeiten<br />
herauszuwirtschaften, die im Gesamt<strong>in</strong>teresse des Volkes liegen.« (Bezirkskonferenz <strong>Bremen</strong>, den 24.Nov.<br />
<strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/3).<br />
139 B.L. Sitzung am 18. März 1946, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5. Das Dokument wird hier ausführlicher wiedergegeben,<br />
da zum e<strong>in</strong>en der Verlauf dieser Sitzung bislang nicht bekannt war, und zum anderen noch<br />
e<strong>in</strong>mal die <strong>in</strong>haltlichen Positionen <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung deutlich werden. Das Protokoll ist offensichtlich<br />
nicht immer wörtlich.<br />
140 Das Redeverbot wurde beschlossen (vgl. auch Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />
a.a.O., S. 208).
40<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
[Wolters] gestanden, aber heute m<strong>org</strong>en b<strong>in</strong> ich wankend geworden. Immer haben die Leute<br />
gesagt: Pass auf den Wolters auf! Jetzt sagen sie: Was sagst du denn nun?«<br />
Wolters selbst rechtfertigte se<strong>in</strong>e V<strong>org</strong>ehensweise. Er habe sich »verpflichtet gefühlt,<br />
über e<strong>in</strong>ige D<strong>in</strong>ge etwas zu sagen«, nachdem er bis dah<strong>in</strong> gegen se<strong>in</strong>e eigene<br />
Auffassung die strittigen Programmpunkte öffentlich vertreten habe. Angeblich<br />
waren auch se<strong>in</strong>e und Ehlers Unterschriften unter das Sofortprogramm vom Oktober<br />
<strong>1945</strong> »verwendet worden, ohne dass wir gefragt wurden«. 141 Inhaltlich wiederholte<br />
Wolters se<strong>in</strong>e Kritik an der Programmatik der Partei, die den Kampf um den<br />
Sozialismus <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund gestellt habe. In den westlichen Besatzungszonen<br />
sei e<strong>in</strong>e andere Politik erforderlich als im Osten:<br />
»Der eiserne Vorhang wird bleiben. <strong>Die</strong> Frage der Besatzungszone ist e<strong>in</strong>e Frage imperialistischer<br />
Machtgeltung, und zwar staatenmäßige Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischen Russland und<br />
den Westmächten. <strong>Die</strong> Verhältnisse <strong>in</strong> der Ostzone werden fest, sie werden stärker werden,<br />
sozialistische Maßnahmen unter Initiative der Russen wirklich nach sozialistischen Grundsätzen<br />
vollziehen. Der Westen aber hat e<strong>in</strong>e andere Orientierung [...]. <strong>Die</strong> Partei muss e<strong>in</strong>e ganz<br />
andere Politik machen, weil die D<strong>in</strong>ge sich grundsätzlich unterscheiden. Ich glaube, dass die<br />
E<strong>in</strong>heitspartei <strong>in</strong> der westlichen Zone nicht <strong>in</strong> 5 Monaten se<strong>in</strong> wird, dass die Westmächte das<br />
größte Interesse haben werden, die Entfaltung der E<strong>in</strong>heit zu h<strong>in</strong>dern.«<br />
He<strong>in</strong>rich Schramm wies die Kritik zurück und fasste se<strong>in</strong>erseits den Standpunkt<br />
der Bezirksleitung und die Parteil<strong>in</strong>ie zusammen:<br />
»Du urteilst von falschen Voraussetzungen und deshalb musst du zu falschen Schlussfolgerungen<br />
kommen. [...]. Der kapitalistische Staatsapparat ist zerschlagen! <strong>Die</strong>sen neuen Staatsapparat<br />
so zu formen, e<strong>in</strong>e neue Art der Demokratie zu formen, Schritt für Schritt nach Seiten<br />
der Arbeiterschaft zu verlagern, was früher bei den Kapitalisten war, um so zum Sozialismus<br />
zu kommen. Deshalb haben wir nicht die Frage des Sozialismus <strong>in</strong> den Vordergrund gestellt,<br />
sondern die Demokratie. [...]. Wir denken gar nicht daran, unser sozialistisches Ziel aufzugeben,<br />
sondern wir schaffen nur die Voraussetzungen dazu, <strong>in</strong> diesem Kampf um die E<strong>in</strong>heit,<br />
um die Errichtung der kämpferischen Demokratie wollen wir große Kräfte des Bürgertums<br />
zu uns herüberziehen, den übrigen Rest neutralisieren und die Arbeiterschaft gew<strong>in</strong>nen<br />
[...]. So unblutig wie nur möglich wollen wir zum Sozialismus gehen.«<br />
Adolf Ehlers hielt sich <strong>in</strong> der Diskussion weitgehend zurück und vermied auch<br />
e<strong>in</strong>e direkte <strong>in</strong>haltliche Stellungnahme. Er habe das Referat Wolters' auf der Konferenz<br />
lediglich als »e<strong>in</strong>en Beitrag zur Diskussion« gewertet. Ehlers wandte sich allerd<strong>in</strong>gs<br />
scharf gegen den Umgang der Parteileitung mit der Kritik: »Seit wann ist<br />
es denn üblich, dass man nicht auch [etwas] gegen das Z.K. haben kann?«<br />
Angesichts der im Referat von Wolters und auf der Sitzung der Bezirksleitung<br />
deutlich gewordenen <strong>in</strong>haltlichen Differenzen war zum<strong>in</strong>dest der Austritt von<br />
Hermann Wolters wahrsche<strong>in</strong>lich geworden. Noch im selben Monat wurden erstmals<br />
Gerüchte laut, nach denen der kommunistische Senator zur SPD übertreten<br />
wolle, und angeblich bestanden Kontakte von Wolters und Ehlers zum »Büro<br />
Schuhmacher«. 142<br />
141 Anlässlich ihres Parteiaustritts wiederholten Wolters und Ehlers noch e<strong>in</strong>mal, sie hätten das Sofortprogramm<br />
nicht unterschrieben (Weser-Kurier, 18. Mai 1946).<br />
142 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 208f.
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 41<br />
Zum Bruch zwischen der <strong>KPD</strong> und den beiden Senatoren kam es schließlich<br />
zwei Monate später. Nach e<strong>in</strong>er Reise <strong>in</strong> die sowjetische Besatzungszone erklärten<br />
Wolters und Ehlers am 17. Mai 1946 ihren Austritt aus der <strong>KPD</strong> und den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong><br />
die SPD. <strong>Die</strong> beiden hatten nach Gesprächen mit führenden Funktionären der gerade<br />
gegründeten SED den E<strong>in</strong>druck gewonnen, diese sei »nur e<strong>in</strong> Organ der sowjetischen<br />
Besatzungsmacht«. 143 <strong>Die</strong> Kritik an der Abhängigkeit von der Sowjetunion<br />
sowie die Forderung nach mehr <strong>in</strong>nerparteilicher Demokratie wurde schließlich zur<br />
Grundlage der im Weser-Kurier veröffentlichten Austrittserklärung von Ehlers und<br />
Wolters. 144 <strong>Die</strong>s entsprach <strong>in</strong> der Tendenz noch den Äußerungen der Beiden auf<br />
der Sitzung der Bezirksleitung, von der »l<strong>in</strong>ksoppositionellen Opposition«, wie sie<br />
Hermann Wolters auf der Parteiarbeiterkonferenz gezeigt hatte, war dagegen, so<br />
Peter Brandt treffend, »kaum noch etwas zu spüren«. 145 <strong>Die</strong> Erklärung warf zwar<br />
der <strong>KPD</strong> »e<strong>in</strong>e Politik der nationalen Beschränktheit, e<strong>in</strong>er völligen Abkehr vom Internationalen<br />
Sozialismus« vor, ließ aber gleichzeitig die Frage e<strong>in</strong>es künftigen Gesellschaftssystems<br />
offen und proklamierte ke<strong>in</strong> sozialistisches Endziel, wie es Wolters<br />
zuvor getan hatte.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> betonte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gleichzeitig veröffentlichten Erklärung, dass Wolters<br />
und Ehlers dem Sofortprogramm wie der gesamten politischen L<strong>in</strong>ie der Partei als<br />
Mitglieder der Bezirksleitung zugestimmt hätten. Der wahre Grund des Austritts<br />
sei der bevorstehende Ausschluss aufgrund »der wachsenden Unzufriedenheit <strong>in</strong><br />
den Kreisen der sozialistischen Arbeiterschaft und der Mitgliedschaft der Kommunistischen<br />
Partei [...]. Der Ausschluss wurde gefordert, weil zwischen ihren Worten<br />
und Taten e<strong>in</strong> unüberbrückbarer Widerspruch besteht.« 146<br />
Tatsächlich war der Ausschluss von der Parteileitung bereits vorbereitet worden,<br />
seitdem Wolters aus der SBZ zurückgekehrt war und begonnen hatte, öffentlich<br />
gegen die SED und die Sowjetunion zu agitieren. Angeblich sollte der formelle<br />
Beschluss auf dem ersten Bezirksparteitag nach dem Krieg am 18./19. Mai erfolgen.<br />
147 E<strong>in</strong> Mitglied der <strong>KPD</strong>-Zonenleitung für die britische Zone bezweifelte allerd<strong>in</strong>gs,<br />
dass die Bezirksleitung den Ausschluss hätte durchsetzen können. He<strong>in</strong>z<br />
Schramm habe auf e<strong>in</strong>er Sitzung der Pol-Leiter der britischen Zone am 8. Mai 1946<br />
darauf aufmerksam gemacht, »dass die BL alles getan hätte, was zu tun gewesen<br />
wäre, dass aber e<strong>in</strong> Ausschluss der beiden Senatoren nicht möglich war, weil e<strong>in</strong><br />
Teil der Mitgliedschaft noch an sie gebunden sei. Für die BL stand die Aufgabe, die<br />
Mitglieder von den beiden zu trennen, was ihnen aber sche<strong>in</strong>bar nicht gelungen<br />
ist«. 148<br />
143 Ebenda, S. 209. Siehe zur Reise der beiden auch Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 56ff.<br />
144 Austritt aus der <strong>KPD</strong>, Weser-Kurier 18. Mai 1946.<br />
145 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 209.<br />
146 <strong>Die</strong> Antwort der <strong>KPD</strong>, Weser-Kurier 18. Mai 1946.<br />
147 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 209 und Fußnote 232, S. 390.<br />
148 Brief Paul Wojtkowski, 17.5.46, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1. Nach den Quellen Peter Brandts war der Ausschluss<br />
durch die britische Zonenleitung der <strong>KPD</strong> beschlossen worden (Peter Brandt, Antifaschismus<br />
und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 390).
42<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
<strong>Die</strong> Befürchtungen waren offensichtlich unbegründet. <strong>Die</strong> Vermutung, der Austritt<br />
könne zur Spaltung der <strong>KPD</strong> führen, bestätigte sich nicht. Wolters und Ehlers<br />
blieben mit ihrem Schritt weitgehend isoliert. 149 He<strong>in</strong>z Schramm berichtete am 1.<br />
Juni 1946 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit führenden SED-Funktionären, der Übertritt habe<br />
»der Partei ke<strong>in</strong>en Schaden zugefügt«, auch der Bezirksparteitag habe e<strong>in</strong>e ablehnende<br />
Stellungnahme verabschiedet. 150<br />
Nach dem Übertritt von Wolters und Ehlers zur SPD erhielt die <strong>KPD</strong> im August<br />
1946 zwei neue Senatoren-Posten. 151 Käthe Popall wurde Gesundheitssenator<strong>in</strong>,<br />
Albert Häusler erhielt das Ressort für Wohnungswesen und Brennstoffbeschaffung.<br />
»Käthe Popall war mit Elfriede Paul, der hannoveraner M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> für Arbeit und<br />
Aufbau, die e<strong>in</strong>zige Kommunist<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Regierungsamt und die erste dem Bremer<br />
Senat angehörende Frau überhaupt.« 152 Während Häusler offenbar bei der Leitung<br />
des Wohnungsamtes ke<strong>in</strong>e Schwierigkeiten hatte und Unterstützung erhielt,<br />
stieß Käthe Popall auf erheblichen Widerstand beim Gesundheitsamt und bei der<br />
Bremer Ärzteschaft. 153<br />
Kurze Zeit nach dem Amtsantritt von Popall und Häusler fanden am 13. Oktober<br />
1946 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die ersten Bürgerschaftswahlen statt. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte der SPD<br />
bereits im Mai v<strong>org</strong>eschlagen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Wahlkreisen geme<strong>in</strong>same Kandidaten<br />
aufzustellen, um e<strong>in</strong>en Sieg bürgerlicher Kandidaten zu verh<strong>in</strong>dern. 154 <strong>Die</strong> SPD<br />
lehnte den Vorschlag jedoch ab, lediglich e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit - darunter Hermann Wolters<br />
und Adolf Ehlers - befürwortete e<strong>in</strong> Wahlbündnis. 155 Nachdem CDU und BDV<br />
im September 1946 e<strong>in</strong> ähnliches Wahlabkommen geschlossen hatten, erneuerte die<br />
<strong>KPD</strong> das Angebot. Das Bürgertum erkenne, so der Brief der Stadtleitung, »den<br />
Ernst der Lage und zugleich die Chance, die das geltende Wahlgesetz bietet«. Das<br />
Abkommen der bürgerlichen Parteien könne zur Folge haben, »dass 60 - 65<br />
Kandidaten der rechts von Euch stehenden Parteien gewählt werden«.<br />
Demgegenüber müsse e<strong>in</strong> »Gegengewicht« geschaffen werden, »um die<br />
Bürgerschaftswahlen zu e<strong>in</strong>em Erfolg für die Werktätigen und Schaffenden<br />
<strong>Bremen</strong>s zu machen«. Beide Parteien könnten dabei ihre Selbständigkeit wahren<br />
und es sei »von ger<strong>in</strong>gerer Bedeutung [...], wieviel mehr SP oder KP Abgeordnete<br />
<strong>in</strong> der Bürgerschaft se<strong>in</strong> werden«. 156 <strong>Die</strong> SPD nahm den Vorschlag wiederum nicht<br />
149 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 210.<br />
150 Mitteilungen des Gen. Schramm, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Besprechung am 1.6.46, <strong>in</strong>: SAPMO NY 4036/645 [Nachlass<br />
Wilhelm Pieck].<br />
151 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte zunächst die Ressorts von Wolters und Ehlers verlangt (Bürgerschaftsprotokolle, 20. Juni<br />
1946, S. 64ff.).<br />
152 Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 92. Zur Person Käthe Popalls siehe: Käthe<br />
Popall, E<strong>in</strong> schwieriges politisches Leben, a.a.O.; Elisabeth Meyer-Renschhausen, Käthe Popall. Frau.<br />
Kommunist<strong>in</strong>. In: Bremer Blatt (Hrsg.): Scenen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Illustriertes StadtBuch, <strong>Bremen</strong> 1986; Inge<br />
Buck (unter Mitarbeit von Elisabeth Meyer-Renschhausen), Käthe Popall. In: Renate Meyer-Braun<br />
(Hrsg.): Frauen <strong>in</strong>s Parlament! Porträts weiblicher Abgeordneter <strong>in</strong> der Bremischen Bürgerschaft, <strong>Bremen</strong><br />
1991, S. 193-216.<br />
153 Käthe Popall - E<strong>in</strong> schwieriges politisches Leben, a.a.O., S. 110ff.<br />
154 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 227f. Grundlage der Überlegungen<br />
war das v<strong>org</strong>esehene Wahlsystem, e<strong>in</strong>e Art »modifiziertes Mehrheitswahlrecht« (Brandt).<br />
155 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 228.
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 43<br />
den«. 156 <strong>Die</strong> SPD nahm den Vorschlag wiederum nicht an. Der Bremer Ortsvorstand<br />
lehnte auf e<strong>in</strong>er Sondersitzung am 25. September 1946 »nach anfänglich positiver<br />
Diskussion« e<strong>in</strong> Wahlbündnis mit 14 zu sechs Stimmen bei sechs Enthaltungen<br />
ab. 157<br />
Nach e<strong>in</strong>em »relativ nüchtern« geführten Wahlkampf 158 g<strong>in</strong>g die SPD schließlich<br />
als deutlicher Sieger aus den Wahlen hervor. <strong>Die</strong> Sozialdemokraten erhielten<br />
47,6 Prozent der Stimmen und 51 von <strong>in</strong>sgesamt 80 Sitzen <strong>in</strong> der Bürgerschaft. <strong>Die</strong><br />
<strong>KPD</strong> erzielte 11,5 Prozent und konnte <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Wahlkreis e<strong>in</strong> Direktmandat err<strong>in</strong>gen.<br />
Aufgrund des Wahlrechts kam die Partei lediglich auf drei Sitze <strong>in</strong> der Bürgerschaft.<br />
CDU (18,9 Prozent) und BDV (18,3 Prozent) kamen auf jeweils zwölf Mandate,<br />
die ebenfalls dem bürgerlichen Block zuzurechnenden unabhängigen Kandidaten<br />
erhielten zwei Sitze. 159<br />
<strong>Die</strong> kommunistischen Abgeordneten <strong>in</strong> der neuen Bürgerschaft waren Rudolf<br />
Rafoth, He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich 160 und Max Schimmeck, der auch als Schriftführer <strong>in</strong> den<br />
Vorstand des Parlaments gewählt wurde. 161 Im Februar 1947 wurde die Bürgerschaft<br />
um 20 Abgeordnete aus Bremerhaven erweitert, 162 die <strong>KPD</strong> erhielt e<strong>in</strong> weiteres<br />
Mandat, das von Richard Podzus besetzt wurde.<br />
Nach längeren Diskussionen 163 setzte sich der neue Senat aus Vertretern von<br />
SPD, BDV, <strong>KPD</strong> und e<strong>in</strong>em Unabhängigen zusammen. <strong>Die</strong> SPD stellte sechs, die<br />
BDV drei Senatoren. Für die <strong>KPD</strong> war nur noch Käthe Popall vertreten. 164 Popall<br />
bekam allerd<strong>in</strong>gs nicht wieder die Leitung des Gesundheitsressorts übertragen,<br />
sondern wurde dem neuen Gesundheits- und Wohlfahrtsressort (das von Adolf Ehlers<br />
geleitet wurde) lediglich beigeordnet. Sie behielt aber ihren Senatorenstatus.<br />
156 An den Parteivorstand der SPD, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/16. Vgl. auch Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />
a.a.O., S. 228. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte e<strong>in</strong> Kandidatenverhältnis von 45 für die SPD und 19 für<br />
die <strong>KPD</strong> v<strong>org</strong>eschlagen (Britische Besatzungszone, Bezirk Weser-Ems: Erweiterte Bezirksleitungssitzung am<br />
28.9. 1946, <strong>in</strong>: SAPMO NY 4036/645 [Nachlass Wilhelm Pieck]).<br />
157 Das berichtete Rudolf Rafoth wenige Tage später auf e<strong>in</strong>er <strong>KPD</strong>-Bezirksleitungssitzung (Britische Besatzungszone,<br />
Bezirk Weser-Ems: Erweiterte Bezirksleitungssitzung am 28.9. 1946, <strong>in</strong>: SAPMO NY 4036/645<br />
[Nachlass Wilhelm Pieck]). Rafoth me<strong>in</strong>te »es stand sehr auf der Schneide«. Angeblich zählte auch<br />
Wilhelm Kaisen zu den Befürwortern e<strong>in</strong>es Wahlbündnisses, und fast alle anderen maßgeblichen<br />
Vorstandsmitglieder hätten <strong>in</strong> vorangegangenen Gesprächen mit der <strong>KPD</strong> »unseren Argumenten Gehör<br />
geschenkt« und wären der Auffassung gewesen, »man müsse das ernsthaft überlegen«. Kaisen war<br />
auf der Vorstandsvorsitzung nicht anwesend, worauf Rafoth die Ablehnung unter anderem zurückführte.<br />
Vgl. auch Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 401 (Fußnote 108).<br />
158 Siehe dazu Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 228f.; Hans Jansen und Renate<br />
Meyer-Braun, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 84.<br />
159 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, <strong>Bremen</strong> 1950, S. 9; Peter Brandt, Antifaschismus und<br />
Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 229.<br />
160 He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich (1907-1966): Maurerpolier. 1930 <strong>KPD</strong>, RGO und Rote Hilfe, 1933 <strong>in</strong>haftiert, <strong>1945</strong> <strong>KPD</strong>,<br />
1946-1959 mit Unterbrechungen Mitglied der Bremischen Bürgerschaft.<br />
161 Norbert Korfmacher, Mitgliederverzeichnis der Bremischen Bürgerschaft 1946 bis 1996, Münster 1997,<br />
passim; Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, a.a.O., S. 11.<br />
162 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, <strong>Bremen</strong> 1950, S. 9f.<br />
163 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 230; Hans Jansen und Renate Meyer-<br />
Braun, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 85.<br />
164 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, a.a.O., S. 11.
44<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
<strong>Die</strong> Versetzung kam nach Popalls eigenen Angaben auf Initiative von Wilhelm Kaisen<br />
zustande, der sie nach den Schwierigkeiten mit der Ärzteschaft offensichtlich<br />
aus der ›Schussl<strong>in</strong>ie‹ nehmen wollte. 165<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Führung wertete das Ergebnis der Wahlen verhalten und versuchte,<br />
pessimistischen Rückschlüssen auf den Massene<strong>in</strong>fluss der Partei entgegenzuwirken.<br />
Auf der dem Wahlterm<strong>in</strong> folgenden Sitzung der Bezirksleitung sprach lediglich<br />
e<strong>in</strong> Leitungsmitglied von e<strong>in</strong>er »Niederlage« für die »sozialistische Bewegung«.<br />
Das Ergebnis sei aber »ke<strong>in</strong> Anlass <strong>in</strong> unserer Politik zu verzweifeln. Wir werden<br />
noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Massenpartei werden«. Andere Leitungsmitglieder wollten gar<br />
nicht von e<strong>in</strong>er Niederlage sprechen und machten das Wahlsystem für die wenigen<br />
Mandate der <strong>KPD</strong> verantwortlich. Albert Oltmanns 166 kritisierte Vergleiche mit den<br />
Ergebnissen von vor 1933:<br />
»Ich habe so den E<strong>in</strong>druck, als wenn e<strong>in</strong>ige Genossen schon vor den Wahlen sich Bleistifte bes<strong>org</strong>t<br />
haben, e<strong>in</strong>en mathematischen Kursus durchmachten und nun <strong>in</strong> Prozenten ausrechnen,<br />
wie es vor 1933 war. Dabei kommen sie teilweise zu sogenannten Niederlagen. [...] Wir können<br />
nicht Verhältnisse zum Vergleich heranziehen, die absolut abwegig s<strong>in</strong>d. Man kann z.B.<br />
nicht e<strong>in</strong>en Vergleich ziehen zu den Wahlen vor 1933, denn wir haben heute e<strong>in</strong>e grundsätzlich<br />
andere Situation, wirtschaftlich und vor allen D<strong>in</strong>gen auch außenpolitisch. Unter diesem<br />
Gesichtsw<strong>in</strong>kel muss man feststellen, ohne irgendwelche Überhebung, dass wir als Partei unter<br />
den gegebenen Voraussetzungen wirklich gut abgeschnitten haben.«<br />
Wilhelm Meyer-Buer argumentierte ähnlich, machte außerdem aus dem Faschismus<br />
stammende antikommunistische Ressentiments <strong>in</strong> der Bevölkerung für<br />
das Ergebnis verantwortlich und me<strong>in</strong>te gar, e<strong>in</strong>en »großen Wahlsieg« wäre die<br />
<strong>KPD</strong> gar »nicht <strong>in</strong> der Lage gewesen [...] zu verdauen«. 167<br />
Von e<strong>in</strong>er ›Niederlage‹ der <strong>KPD</strong> bei diesen Wahlen zu sprechen, sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> der<br />
Tat übertrieben, zumal die beiden Arbeiterparteien zusammen knapp 60 Prozent<br />
der Stimmen erhalten hatten - im Bewusstse<strong>in</strong> der die E<strong>in</strong>heitspartei anstrebenden<br />
Kommunisten e<strong>in</strong> wichtiger Faktor. <strong>Die</strong> Partei war nach wie vor im Senat vertreten,<br />
bekundete weiter ihren politischen Mitwirkungswillen und setzte diesen im Senat<br />
und <strong>in</strong> der Bürgerschaft um. 168 Dennoch waren offenbar e<strong>in</strong>ige Erwartungen <strong>in</strong> der<br />
Mitgliedschaft enttäuscht worden, und auch <strong>in</strong> den Interpretationen der Füh-<br />
165 »Kaisen nahm mich dann weg aus dem Gesundheitswesen. Er sagte: ›<strong>Die</strong> spielen mit dir Fußball. <strong>Die</strong><br />
machen dich kaputt.‹ Ich war nicht e<strong>in</strong>verstanden. Ich wäre am liebsten noch geblieben und hätte bewiesen,<br />
dass auch ich mich durchsetzen konnte. Doch ich kam zum Wohlfahrtsamt. Wilhelm Kaisen<br />
hat mich immer wieder unterstützt. Und ich habe viel von ihm lernen können.« (Käthe Popall - E<strong>in</strong><br />
schwieriges politisches Leben, a.a.O., S. 112).<br />
166 Albert Oltmanns (1907-1985): Vor 1933 <strong>KPD</strong>. Während des Krieges bei B<strong>org</strong>ward, dort Widerstand.<br />
Nach <strong>1945</strong> Bezirksleitung <strong>KPD</strong>, ab 1949 Mitglied der Landesleitung, ab 1951 Mitglied des Landessekretariats.<br />
167 Erweiterte BL-Sitzung am 19.10.1946, <strong>in</strong>: SAPMO NY 4036/645 [Nachlass Wilhelm Pieck].<br />
168 Anlässlich der Wahl der neuen Senatoren im November 1946 erklärte Rudolf Rafoth <strong>in</strong> der Bürgerschaft:<br />
»Trotzdem die Kommunistische Partei nur mit e<strong>in</strong>em Senatsmitglied vertreten ist, haben wir<br />
uns zur Mitarbeit und Verantwortung entschlossen. Da die vor uns stehenden Aufgaben so riesenhaft<br />
s<strong>in</strong>d, dass unseres Erachtens alle Parteien, denen das Wohl <strong>Bremen</strong>s am Herzen liegt, an der Überw<strong>in</strong>dung<br />
vorhandener Schwierigkeiten und dem Bau e<strong>in</strong>er glücklicheren Zukunft mithelfen müssen.«<br />
(Bürgerschaftsprotokolle, 28. November 1946, S. 33).
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 45<br />
rungsmitglieder war durchaus e<strong>in</strong> gewisses ›Unbehagen‹ spüren. <strong>Die</strong> Entwicklung<br />
der kommenden zwei Jahre zeigte dann, dass für die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wie <strong>in</strong> allen<br />
westlichen Besatzungszonen bereits zu diesem Zeitpunkt die Weichen für den Weg<br />
<strong>in</strong> die politische Isolation gestellt waren. In <strong>Bremen</strong> markierten die Diskussion um<br />
die neue Landesverfassung sowie das Ausscheiden der <strong>KPD</strong> aus dem Senat den<br />
Beg<strong>in</strong>n dieser Isolation, die sich <strong>in</strong> den geschilderten Entwicklungen des Jahres<br />
1946 - das Scheitern der E<strong>in</strong>igungsbestrebungen, der Übertritt von Wolters und Ehlers,<br />
das Wahlergebnis und die Machtreduzierung im Senat - lediglich angedeutet<br />
hatten.<br />
3. Der Beg<strong>in</strong>n der Isolation<br />
<strong>Die</strong> Legislaturperiode der am 13. Oktober 1946 gewählten Bürgerschaft dauerte lediglich<br />
e<strong>in</strong> Jahr. Bereits am 12. Oktober 1947 fanden die nächsten Wahlen statt, verbunden<br />
mit e<strong>in</strong>er Volksabstimmung über die neue Bremische Verfassung, deren<br />
Ausarbeitung und Diskussion die politische Arbeit der Bürgerschaft und der Parteien<br />
im Laufe des Jahres 1947 maßgeblich bestimmte. 169<br />
<strong>Die</strong> Bürgerschaft wählte am 6. März 1947 e<strong>in</strong>e 15-köpfige Verfassungsdeputation,<br />
<strong>in</strong> der <strong>in</strong> den folgenden Monaten der vom Parlament zu verabschiedende und<br />
dem Volk im Oktober 1947 zur Abstimmung vorzulegende Verfassungsentwurf erarbeitet<br />
wurde. 170 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war mit zwei Abgeordneten <strong>in</strong> der Deputation vertreten,<br />
Rudolf Rafoth und Max Schimmeck. Käthe Popall nahm als Senator<strong>in</strong> an e<strong>in</strong>igen<br />
Sitzungen teil. 171 <strong>Die</strong> SPD stellte sechs, die CDU drei, FDP und BDV je zwei<br />
Mitglieder. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte zunächst die Wahl e<strong>in</strong>er verfassungsgebenden Versammlung<br />
gefordert, erklärte sich dann aber nach Gesprächen mit der SPD-<br />
169 Im Bewusstse<strong>in</strong> der Bevölkerung dagegen spielte die Verfassungsdebatte nur e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Rolle, vgl.<br />
Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 233; Hans Jansen und Renate Meyer-<br />
Braun, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 118.<br />
170 Siehe zur Entstehung der Bremer Verfassung ausführlich: Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese. <strong>Die</strong><br />
Entstehung der Landesverfassung der Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong> vom 21. Oktober 1947, Frankfurt a.<br />
M./Berl<strong>in</strong>/Bern/New York/Paris/Wien 1993. Kr<strong>in</strong>ge untersucht auch die Positionen der <strong>KPD</strong> ausführlich.<br />
Eher aus staatsrechtlicher Sicht: Alexander Kessler, <strong>Die</strong> Entstehung der Landesverfassung der<br />
Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong> vom 21. Oktober 1947. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der rechtswissenschaftlichen<br />
Doktorwürde der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität<br />
Freiburg, <strong>Bremen</strong> 1996. Zusammenfassend: Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />
a.a.O., S. 232ff.; Hans Jansen und Renate Meyer-Braun, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 118ff.;<br />
Inge Marßolek, Entstehung der bremischen Landesverfassung vom 21. Oktober 1947, <strong>in</strong>: Volker Krön<strong>in</strong>g,<br />
Günter Pottschmidt, Ulrich K. Preuß, Alfred R<strong>in</strong>ken (Hrsg.): Handbuch der Bremischen Verfassung,<br />
Baden-Baden 1991, S. 43-65.<br />
171 Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese, a.a.O., S. 68.
46<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
Führung bereit, die Wahl durch die Bürgerschaft nach e<strong>in</strong>em durch den Stimmenanteil<br />
der Parteien bestimmten Schlüssel zu akzeptieren. 172<br />
Der Deputation lagen, als sie ihre Beratungen am 2. April 1947 aufnahm, <strong>in</strong>sgesamt<br />
vier Verfassungsentwürfe von SPD, CDU, <strong>KPD</strong> und des Senats vor. 173 <strong>Die</strong><br />
<strong>KPD</strong> hatte ihren Entwurf bereits Ende Februar 1947 v<strong>org</strong>elegt. 174 Er basierte weitgehend<br />
auf der von der SED im November 1946 v<strong>org</strong>eschlagenen gesamtdeutschen<br />
Verfassung und wies nur unwesentliche Unterschiede zu den von der Partei <strong>in</strong> anderen<br />
Ländern und Besatzungszonen v<strong>org</strong>elegten Entwürfen auf. 175 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> betonte<br />
im Vorwort, »dass die Bildung selbständiger Länder von uns nicht befürwortet<br />
wird, weil wir dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Gefahr für die E<strong>in</strong>heit des Reiches sehen« 176 und betrachtete<br />
ihren Verfassungsentwurf als »unvermeidlichen Tribut an die politische<br />
Realität« 177. Entsprechend der Prämisse der »Reichse<strong>in</strong>heit« bestimmte gleich der<br />
erste Artikel des Entwurfs das Land <strong>Bremen</strong> als »e<strong>in</strong> Glied der Deutschen Demokratischen<br />
Republik«. 178<br />
Als Staats- und Regierungsform strebte die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e parlamentarische Demokratie<br />
an, mit dem Volk als obersten Souverän, dessen Willen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mit großer<br />
Machtfülle ausgestatteten Landesparlament zum Ausdruck kommen sollte. 179 <strong>Die</strong><br />
Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive sollte aufgehoben werden,<br />
»das Parlament übt alle Hoheitsrechte im Auftrage des Volkes aus und ist die<br />
höchste Körperschaft des Landes«. 180 <strong>Die</strong>s betraf auch die Judikative: Berufs- und<br />
Laienrichter sollten durch das Parlament gewählt und auch entlassen werden kön-<br />
172 So die Darstellung von Willy Knigge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Org- und Polleitersitzung am 6. August 1947 (<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong><br />
zur neuen Bremer Verfassung, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/6). <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> begründete die Forderung nach der Wahl<br />
e<strong>in</strong>er verfassungsgebenden Versammlung mit dem »Interesse der Demokratisierung unseres Volkes«.<br />
»<strong>Die</strong> Schaffung e<strong>in</strong>er Verfassung ist von so e<strong>in</strong>schneidender Bedeutung für unsere weitere Zukunft,<br />
dass wir es für gefährlich halten, so etwas <strong>in</strong> Eile durchzupeitschen«, hieß es <strong>in</strong> dem Brief an die SPD<br />
mit der E<strong>in</strong>ladung zu der Aussprache. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> vermutete e<strong>in</strong>e beabsichtigte Beschleunigung der Bildung<br />
e<strong>in</strong>es westlichen, föderalistischen Separatstaates durch die amerikanische Militärregierung (Brief<br />
<strong>KPD</strong> an das Sekretariat der SPD, Ortsvere<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>: Geme<strong>in</strong>same Aussprache, 28. Februar 1947, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 10/20/16). <strong>Die</strong> SPD lehnte e<strong>in</strong>e Wahl unter H<strong>in</strong>weis auf die <strong>org</strong>anisatorischen und logistischen<br />
Schwierigkeiten ab. »Des weiteren erklärten uns die SPD-Genossen«, so Knigge, »wir brauchen<br />
nicht daran zu zweifeln, die neue Verfassung wird e<strong>in</strong>e sozialistische se<strong>in</strong>«.<br />
173 Siehe zu den e<strong>in</strong>zelnen Verfassungsentwürfen ausführlich Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese,<br />
a.a.O., S. 113ff. Der Entwurf des Senats - der schließlich die Grundlage der Beratungen <strong>in</strong> der Verfassungsdeputation<br />
bildete - stammte von Justizsenator Theodor Spitta (BDV), der schon die Bremer Verfassung<br />
von 1920 ausgearbeitet hatte.<br />
174 Verfassungsentwurf der <strong>KPD</strong> für das Land <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/6. Der Entwurf war zuvor zum<strong>in</strong>dest<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Stadtteil<strong>org</strong>anisationen der Partei diskutiert worden. Von den Stadtteilen Oslebshausen<br />
und Mitte liegen Änderungsvorschläge vor (<strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/19).<br />
175 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1689ff.<br />
176 Verfassungsentwurf der <strong>KPD</strong> für das Land <strong>Bremen</strong>, a.a.O., Vorwort.<br />
177 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 233.<br />
178 Verfassungsentwurf der <strong>KPD</strong> für das Land <strong>Bremen</strong>, a.a.O., Artikel 1.<br />
179 Siehe zur Zusammenfassung und Analyse des Verfassungsentwurfs die Darstellungen bei Wolfgang<br />
Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese, a.a.O., S. 122ff. und Alexander Kessler, <strong>Die</strong> Entstehung der Landesverfassung,<br />
a.a.O., S. 215.<br />
180 Verfassungsentwurf der <strong>KPD</strong> für das Land <strong>Bremen</strong>, a.a.O., Vorwort.
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 47<br />
nen. 181 Auf wirtschaftspolitischem Gebiet forderte der Entwurf e<strong>in</strong>e weitgehende<br />
Verstaatlichung vor allem von Großkonzernen, Banken und Energievers<strong>org</strong>ungsunternehmen<br />
sowie die Enteignung von »Kriegsverbrechern, Kriegstreibern und<br />
Kriegsgew<strong>in</strong>nlern«. 182 Sonstige Kle<strong>in</strong>- und Handelswirtschaft sollte »<strong>in</strong> der Entfaltung<br />
ihrer privaten Initiative frei im Rahmen der Gesetze« se<strong>in</strong>. 183 Zentral und »äußerst<br />
wichtig« 184 war für die <strong>KPD</strong> die E<strong>in</strong>führung der paritätischen Mitbestimmung<br />
für Betriebsräte und Gewerkschaften <strong>in</strong> den Betrieben 185 sowie die Schaffung e<strong>in</strong>er<br />
paritätisch besetzten geme<strong>in</strong>samen Wirtschaftskammer 186. Gesellschaftspolitisch<br />
standen das Schulsystem, das Verhältnis zwischen Staat und Religion sowie die<br />
Forderung nach voller Gleichberechtigung der Frauen im Mittelpunkt. 187<br />
In vielen dieser Punkte stimmte die <strong>KPD</strong> mit den Vorstellungen der SPD übere<strong>in</strong>,<br />
188 und es waren schließlich nur die beiden Arbeiterparteien, die den am 23. Juli<br />
1947 <strong>in</strong> der Verfassungsdeputation verabschiedeten und der Bürgerschaft v<strong>org</strong>elegten<br />
Entwurf unterstützten. CDU und BDV lehnten ihn ab, die FDP enthielt sich der<br />
Stimme. 189 <strong>Die</strong> Ablehnung der bürgerlichen Parteien basierte im wesentlichen auf<br />
dem Dissens über das Verhältnis von öffentlichen Schulen und Religion sowie über<br />
die Frage der Mitbestimmung <strong>in</strong> den Betrieben. <strong>KPD</strong> und SPD hatten im Deputationsentwurf<br />
den Artikel 47 durchgesetzt, der den Betriebsräten die volle paritätische<br />
Mitbestimmung »<strong>in</strong> allen wirtschaftlichen, sozialen und personellen Fragen des Betriebes«<br />
garantierte.<br />
<strong>Die</strong> Bürgerschaft behandelte den Entwurf am 31. Juli und 1. August 1947. 190 <strong>Die</strong><br />
<strong>KPD</strong> hatte <strong>in</strong>zwischen ihre Zustimmung zu dem vorliegenden Entwurf wieder <strong>in</strong><br />
Zweifel gezogen. In e<strong>in</strong>em nach Darstellung von Wilhelm Knigge angeblich e<strong>in</strong>en<br />
Tag vor der Bürgerschaftssitzung an die SPD geschickten Brief hieß es, man sei<br />
»nach e<strong>in</strong>gehenden Beratungen unserer Partei und der Bürgerschaftsfraktion [...] zu<br />
dem Entschluss gekommen, dass e<strong>in</strong>ige Punkte geändert werden müssen«. Man<br />
dürfe »gewisse Kompromissvorschläge nicht aufrechterhalten, die nur vertretbar<br />
gewesen wären, wenn e<strong>in</strong>ige der bürgerlichen Parteien ihre Zustimmung gegeben<br />
hätten«. Der Brief nannte mehrere Änderungsvorschläge, die unter anderem das<br />
Verbot der Bildung von Monopolen, die Streikrechte der Arbeiter und die Aufhebung<br />
der Gewaltenteilung festschreiben sollten. Sollte die SPD-Fraktion diesen<br />
181 Ebenda, Artikel 45-47.<br />
182 Ebenda, Artikel 59.<br />
183 Ebenda, Artikel 56.<br />
184 Ebenda, Vorwort.<br />
185 Ebenda, Artikel 58.<br />
186 Ebenda, Artikel 55.<br />
187 Ebenda, Artikel 64-76 und 4.6.<br />
188 Zum Entwurf der SPD Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese, a.a.O., S. 127ff.; Abdruck ebenda, S. 215ff.<br />
189 Siehe zum Verlauf der Diskussionen <strong>in</strong> der Verfassungsdeputation ebenda, S. 133ff.; Alexander Kessler,<br />
<strong>Die</strong> Entstehung der Landesverfassung, a.a.O., S. 221ff.; Hans Jansen und Renate Meyer-Braun,<br />
<strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 120ff.<br />
190 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 31. Juli 1947, S. 253ff.; Verhandlungen der Bremischen<br />
Bürgerschaft, 1. August 1947, S. 285ff. Zusammenfassend Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese, a.a.O.,<br />
S. 163ff., Alexander Kessler, Entstehung der Landesverfassung, a.a.O., S. 251ff.
48<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
Vorschlägen nicht zustimmen, »müssen wir das Abstimmungsergebnis <strong>in</strong> der Verfassungsdeputation<br />
als unverb<strong>in</strong>dlich betrachten und s<strong>in</strong>d gezwungen, dem bisher<br />
vorliegenden Entwurf unsere Zustimmung zu versagen«. 191<br />
Tatsächlich stimmte die <strong>KPD</strong> schließlich <strong>in</strong> der Bürgerschaft gegen die Verfassung.<br />
192 Vorausgegangen waren zweitägige <strong>in</strong>tensive Verhandlungen, <strong>in</strong> deren<br />
Verlauf die SPD den bürgerlichen Parteien Zugeständnisse h<strong>in</strong>sichtlich des Mitbestimmungsartikels<br />
47 machte, der nun nur noch e<strong>in</strong>e paritätische Mitbestimmung<br />
<strong>in</strong> sozialen Fragen festschrieb. <strong>Die</strong> Erweiterung um personelle und wirtschaftliche<br />
Bereiche sollte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mit der Volksabstimmung verbundenen Sondervotum entschieden<br />
werden. Gleichzeitig waren aber mit Unterstützung der SPD auch e<strong>in</strong>ige<br />
Änderungsanträge der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Entwurf aufgenommen worden, u.a. <strong>in</strong> Artikel<br />
41 das Verbot von Wirtschaftsmonopolen. 193 <strong>Die</strong><strong>KPD</strong>warabergescheitertmitihren<br />
Forderungen zur Aufhebung der Gewaltenteilung und zum Streikrecht bzw.<br />
Aussperrungsverbot. Beides führte Rudolf Rafoth zur Begründung der Ablehnung<br />
der gesamten Verfassung an. Er warf der SPD vor, »<strong>in</strong> diesen wesentlichen Punkten«<br />
trotz gegenteiliger Zusagen Konzessionen an die bürgerlichen Parteien gemacht<br />
zu haben.<br />
»Wir glauben nicht, diese Konzessionen mitmachen zu können. Wir s<strong>in</strong>d davon überzeugt,<br />
dass die Rechte der Bevölkerung im Parlament <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie gewahrt werden müssen, und<br />
wir können diese Gewaltenteilung, die den Senat außerhalb der Bürgerschaft stellt, nicht<br />
mitmachen, genau so wenig, wie wir etwa e<strong>in</strong> Aussperrungsrecht der Unternehmer gegenüber<br />
den Arbeitnehmern vertreten können [...].« 194<br />
Der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Carl Stockh<strong>in</strong>ger warf der <strong>KPD</strong><br />
daraufh<strong>in</strong> vor, nur auf Anweisung von »höherer Stelle« ihre Zustimmung zum Verfassungsentwurf<br />
zurückgezogen zu haben. <strong>Die</strong> Änderungsvorschläge seien nicht<br />
auf »sozialistische Grundsätze« zurückzuführen, »sondern re<strong>in</strong> taktische Manöver«.<br />
195<br />
191 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> zur neuen Bremer Verfassung, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/6.<br />
192 Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese, a.a.O., S. 163ff.<br />
193 Ebenda, S. 164.<br />
194 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 1. August 1947, S. 294f. Siehe auch die ausführliche Begründung<br />
der Ablehnung <strong>in</strong> Verfassungsfragen s<strong>in</strong>d Machtfragen, Tribüne der Demokratie, 1. Jahrgang<br />
Nr. 28, Erste August-Woche 1947.<br />
195 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 1. August 1947, S. 296. E<strong>in</strong> ähnlicher Vorwurf kam aus<br />
den Reihen der Gewerkschaften. E<strong>in</strong> Bericht der Industriegewerkschaft für das graphische Gewerbe<br />
und Papierverarbeitung behauptete, die Rücknahme der Zustimmung der <strong>KPD</strong> zur Verfassung sei dadurch<br />
zu erklären, »dass e<strong>in</strong> ›Fachmann‹ aus Berl<strong>in</strong> im Zuhörerraum der Bürgerschaft anwesend war,<br />
und von hier aus die <strong>KPD</strong>-Fraktion zwang, gegen ihre Überzeugung zu stimmen«. (Der Kampf um die<br />
Verfassung, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/6). In der Tat war der Me<strong>in</strong>ungsumschwung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>nerhalb von<br />
nur e<strong>in</strong>er Woche nicht gänzlich nachvollziehbar. Auch wenn die Begründung, die SPD habe zu weitreichende<br />
Zugeständnisse an die Bürgerlichen gemacht, stichhaltig und nicht von der Hand zu weisen<br />
war: Viele der Bestimmungen - vor allem die h<strong>in</strong>sichtlich der Gewaltenteilung - hätte die <strong>KPD</strong> bereits<br />
<strong>in</strong> der Verfassungsdeputation ablehnen können. Willy Knigge hatte den Prozess des Me<strong>in</strong>ungswandels<br />
ebenfalls nur mit der Klausel »nach e<strong>in</strong>gehenden Beratungen« beschrieben (s.o.). Wilhelm Meyer-Buer<br />
bezeichnet die Ablehnung aus heutiger Sicht als »Fehler«, man habe immerh<strong>in</strong> »e<strong>in</strong>iges durchbekommen«<br />
und hätte die Verfassung als Fortschritt gegenüber der Weimarer Verfassung und dem National-
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 49<br />
Neben der <strong>KPD</strong> stimmten auch CDU und BDV gegen die Verfassung, die somit<br />
zunächst nur von SPD und FDP unterstützt wurde. Nach weiteren, auch aufgrund<br />
von Änderungswünschen der amerikanischen Besatzungsregierung zustande gekommenen<br />
Zugeständnissen der SPD <strong>in</strong> der Schulfrage und h<strong>in</strong>sichtlich des Mitbestimmungsartikels,<br />
stimmten aber schließlich am 15. September 1947 auch CDU<br />
und BDV für den Verfassungsentwurf. 196 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> blieb bei ihrer Ablehnung, forderte<br />
aber dazu auf, <strong>in</strong> dem Sonderentscheid über Artikel 47 mit ›Ja‹, also für das<br />
volle Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte zu stimmen. 197<br />
Der Volksentscheid über die neue Verfassung <strong>in</strong>klusive des Sondervotums über<br />
den Mitbestimmungsartikel fand zusammen mit der Bürgerschaftswahl am 12. Oktober<br />
1947 statt. Der Verfassungsentwurf fand e<strong>in</strong>e breite Mehrheit von 72,5 Prozent,<br />
knapp fiel dagegen mit 52,3 Prozent das Votum für die volle Mitbestimmung<br />
aus. 198 Erschreckend schwach war die Wahlbeteiligung von rund 67 Prozent (1946:<br />
85 Prozent). 199 Von der niedrigen Wahlbeteiligung waren offenbar vor allem SPD<br />
und <strong>KPD</strong> betroffen. <strong>Die</strong> Stimmenanteil der <strong>KPD</strong> sank im Vergleich zu 1946 um 2,7<br />
Prozentpunkte und lag nun bei 8,8 Prozent. Ihre absolute Stimmenzahl, die aufgrund<br />
des unterschiedlichen Wahlrechts 200 nicht mit 1946 vergleichbar war, betrug<br />
19.290. <strong>Die</strong> SPD verlor gegenüber 1946 knapp sechs Prozentpunkte und kam auf e<strong>in</strong>en<br />
Anteil von 41,7 Prozent (91.235 absolut). 201<br />
Trotz der relativen Stimmenverluste von SPD und <strong>KPD</strong> behielten die beiden Arbeiterparteien<br />
mit <strong>in</strong>sgesamt 56 Mandaten <strong>in</strong> der neu gewählten Bürgerschaft die<br />
Mehrheit der Sitze. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte - aufgrund des veränderten Wahlrechts - ihre<br />
Mandatszahl auf zehn steigern können, die SPD erhielt 46 Sitze. 202<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> forderte sofort nach der Wahl, die immer noch vorhandene »Arbeitermehrheit«<br />
zu nutzen. <strong>Die</strong> Stimmenverluste für <strong>KPD</strong> und SPD sowie die niedrige<br />
Wahlbeteiligung seien auf die Nichtanwendung »der Politik der sozialistischen<br />
Mehrheit« zurückzuführen. Beide Arbeiterparteien hätten nun »dafür S<strong>org</strong>e zu tragen,<br />
dass die angenommene Verfassung <strong>in</strong> allen fortschrittlichen Teilen auch im Interesse<br />
der Werktätigen angewandt wird«. <strong>Die</strong>s gelte besonders für den Artikel 47.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> sei bereit, »ihr volles Maß an Verantwortung zu übernehmen, muss aber<br />
fordern, dass Maßnahmen getroffen und durchgeführt werden, die im Interesse der<br />
sozialismus begreifen müssen. »Aber wir haben den Grundwert der Verfassung eigentlich zu sehr gemessen<br />
an dem, was nicht here<strong>in</strong>gekommen war.« (Interview Meyer-Buer, 2).<br />
196 Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese, a.a.O., S. 166ff. Der von der US-Militärregierung erzwungene<br />
Kompromiss <strong>in</strong> der Mitbestimmungsfrage bestand <strong>in</strong> dem Zusatz e<strong>in</strong>es Passus, der den Landesartikel<br />
unter den Vorbehalt eventuell später erfolgender zentraler Regelungen stellte.<br />
197 Siehe die Rede von Rudolf Rafoth <strong>in</strong> der abschließenden Bürgerschaftssitzung (Verhandlungen der<br />
Bremischen Bürgerschaft, 15. September 1947, S. 319ff); Der Verfassung e<strong>in</strong> »Ne<strong>in</strong>« - Dem Mitbestimmungsrecht<br />
e<strong>in</strong> »Ja«, Tribüne der Demokratie, 1. Jahrgang, Nr. 32, Dritte September-Woche 1947.<br />
198 Zahlen nach Weser-Kurier, 14. Oktober 1947.<br />
199 Hans Jansen und Renate Meyer-Braun, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 90, 132f.<br />
200 1947 kam erstmals das Verhältniswahlrecht zur Anwendung.<br />
201 Re<strong>in</strong>hold Roth und Peter Seibt (Hrsg.), Etablierte Parteien im Wahlkampf. Studien zur Bremer Bürgerschaftswahl<br />
1975, Meisenheim am Glan 1979.<br />
202 <strong>Die</strong> übrige Sitzverteilung: CDU: 24, BDV: 15, FDP: 2, DP: 3 (Handbuch der Bremischen Bürgerschaft,<br />
a.a.O., S. 16).
50<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
wirklich schaffenden Bevölkerung liegen«. 203 Später konkretisierte die <strong>KPD</strong> die<br />
Forderung nach e<strong>in</strong>er Arbeiterregierung, schlug der SPD e<strong>in</strong> Sofortprogramm 204<br />
vor und versuchte, der Forderung nach e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Koalition durch Resolutionen<br />
von Betriebsbelegschaften und Gewerkschaftsversammlungen Nachdruck<br />
zu verleihen. 205 <strong>Die</strong> Idee e<strong>in</strong>er SPD/<strong>KPD</strong>-Koalition war durchaus populär, 206 die<br />
SPD wollte jedoch »das Wagnis e<strong>in</strong>es L<strong>in</strong>kssenats« nicht e<strong>in</strong>gehen. 207 Es war vor allem<br />
Wilhelm Kaisen, der sich bereits kurz nach der Wahl gegen e<strong>in</strong> solches Bündnis<br />
aussprach, da er es für f<strong>in</strong>anziell und wirtschaftlich riskant hielt und es nicht se<strong>in</strong>em<br />
Konzept des Bündnisses von Arbeiterschaft und Bürgertum entsprach. Kaisen<br />
hielt die <strong>KPD</strong> für »unzuverlässig« und bezeichnete sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kurz nach der Wahl<br />
gehaltenen Referat als e<strong>in</strong>e »faschistisch-kapitalistische Partei«, die »nicht mehr für<br />
die Interessen der Arbeiterschaft, sondern ganz bewusst für die Interessen e<strong>in</strong>er<br />
fremden Macht e<strong>in</strong>trete«. 208<br />
<strong>Die</strong> Bildung des Senats zog sich ungewöhnlich lange h<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> erklärte im<br />
Dezember 1947 ihre Bereitschaft, unter bestimmten Bed<strong>in</strong>gungen auch e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit<br />
mit den bürgerlichen Parteien zuzustimmen oder sogar e<strong>in</strong>e SPD-<br />
M<strong>in</strong>derheitsregierung zu unterstützen. 209 Es kam jedoch schließlich am 22. Januar<br />
1948 zur Bildung e<strong>in</strong>er Koalition von SPD und BDV, ohne Beteiligung der <strong>KPD</strong>. <strong>Die</strong><br />
BDV hatte zuvor e<strong>in</strong> Ausscheiden der Kommunisten aus dem Senat zur Bed<strong>in</strong>gung<br />
für e<strong>in</strong>e Koalitionsbeteiligung gemacht. 210<br />
<strong>Die</strong> Verweigerung e<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ksregierung durch die SPD und die Ablehnung der<br />
Verfassung durch die <strong>KPD</strong> als e<strong>in</strong>zige der relevanten Parteien <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> markierten<br />
für die Bremer Kommunisten den Beg<strong>in</strong>n der politischen und gesellschaftlichen<br />
Isolation. <strong>Die</strong> Ablehnung fast aller von ihr propagierten Veränderungen am Verfassungsentwurf<br />
von Seiten der SPD und der bürgerlichen Parteien machte das Scheitern<br />
des seit <strong>1945</strong> verfolgten antifaschistisch-demokratischen Blockkonzepts deutlich.<br />
211 <strong>Die</strong> Bremer Situation - wie auch die <strong>in</strong> den anderen Ländern der westlichen<br />
203 Erklärung der <strong>KPD</strong> zur Wahl und zum Volksentscheid im Lande <strong>Bremen</strong> [13.10.1947], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/3.<br />
<strong>Die</strong> Erklärung wurde abgedruckt <strong>in</strong> Nutzt die Arbeitermehrheit, Tribüne der Demokratie, Dritte Oktober-<br />
Woche 1947. Siehe dort ebenfalls Verpflichtung!.<br />
204 Vorschläge der Kommunistischen Partei für die zukünftige Regierungs-Politik, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/9.<br />
205 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 236.<br />
206 <strong>Die</strong>s zeigten die Resolutionen. Vgl. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 408<br />
(Endnote 168). Unter anderem hatte sich die Delegiertenversammlung der IG Metall dafür ausgesprochen.<br />
207 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 236.<br />
208 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 59; Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />
a.a.O., S. 236, 408 (Endnote 170).<br />
209 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 11. Dezember 1947, S. 31ff.<br />
210 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 59; Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />
a.a.O., S. 237.<br />
211 Vgl. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 236, 247. Es soll nach der Wahl<br />
vom 12. Oktober Stimmungen <strong>in</strong> der Partei gegeben haben, »die e<strong>in</strong>e Rückkehr zur kommunistischen<br />
Tradition der Weimarer Republik forderten« (ebenda, S. 247).
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 51<br />
Besatzungszonen - 212 reflektierte dabei die veränderten deutschland- und weltpolitischen<br />
Bed<strong>in</strong>gungen. Mit der im März 1947 verkündeten »Truman-Doktr<strong>in</strong>« und<br />
der ihr kurze Zeit später als »ökonomische(s) Pendant« 213 folgenden Marshall-Plan-<br />
Initiative 214 war der Kalte Krieg ausgebrochen. <strong>Die</strong> amerikanische Außenpolitik<br />
zielte jetzt offen auf die E<strong>in</strong>dämmung des sowjetischen bzw. kommunistischen E<strong>in</strong>flusses.<br />
Anlässlich der Gründung des »Kommunistischen Informationsbüros«<br />
(Kom<strong>in</strong>form) durch die europäischen kommunistischen Parteien proklamierte die<br />
Sowjetunion im September 1947 ihrerseits die Teilung der Welt <strong>in</strong> zwei Lager: e<strong>in</strong>es<br />
»antiimperialistischen und demokratischen« unter Führung der Sowjetunion und<br />
e<strong>in</strong>es »imperialistischen und antidemokratischen« unter Führung der USA. 215<br />
»Damit waren die Grundlagen für die Arbeit der <strong>KPD</strong> vollständig verändert. Sie<br />
war nicht länger die Partei der Anti-Hitler-Koalition, und sie konnte sich nicht<br />
mehr als potentielle Regierungspartei <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es gesamtdeutschen antifaschistisch-demokratischen<br />
Blocks verstehen. Nunmehr war sie Oppositionspartei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
sich herausbildenden Weststaat, dessen Gründung sie bekämpfte.« 216<br />
Mit dem Ausscheiden aus dem Senat hatten sich diese veränderten Bed<strong>in</strong>gungen<br />
für die Bremer <strong>KPD</strong> bereits manifestiert. Es folgten bald erste Repressionen der<br />
amerikanischen Militärregierung. Nach der Währungsreform im Juni 1948 wurde<br />
erstmals die kommunistische Parteizeitung Tribüne der Demokratie verboten. 217 Im<br />
November 1947 untersagte die Militärregierung die öffentliche Betätigung der »Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />
SED-<strong>KPD</strong>«. 218 Anlass war die Anmeldung e<strong>in</strong>er Versammlung<br />
212 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war spätestens im Juli 1948 aus allen Länderregierungen ausgeschieden. Siehe die Übersicht<br />
<strong>in</strong> Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 79f.<br />
213 Ernst-Ulrich Huster, Gerhard Kraiker, Burkhard Scherer, Friedrich-Karl Schlotmann und Marianne<br />
Welteke, Determ<strong>in</strong>anten der westdeutschen Restauration <strong>1945</strong>-1949, 2. Auflage, Frankfurt a.M. 1973, S.<br />
63. Dort auch die Reden von Harry S. Truman am 12. März vor dem amerikanischen Kongress (S.<br />
335ff.), und John W. Marshall am 5. Juni 1947 (S. 341ff.).<br />
214 Zur Stellung der <strong>KPD</strong> zum Marshall-Plan siehe Thomas Hartnagel und Arnold Sywottek, <strong>KPD</strong>, SED<br />
und der Marshall-Plan, <strong>in</strong>: Der Marshall-Plan und die europäische L<strong>in</strong>ke, hrsg. von Othmar Nikola<br />
Haberl und Lutz Niethammer, Frankfurt a.M. 1986, S. 231-262.<br />
215 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1702.<br />
216 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP <strong>1945</strong>-1990. Zwei kommunistische Parteien <strong>in</strong> der vierten Periode<br />
kapitalistischer Entwicklung, Heilbronn 1990, S. 27.<br />
217 <strong>Die</strong> Tribüne der Demokratie war erstmals im Januar 1947 erschienen. Das Verbot im Juli 1948 erfolgte<br />
aufgrund e<strong>in</strong>es kritischen Artikels zur Währungsreform. Es galt zunächst für vier Wochen, wurde aber<br />
später auf unbestimmte Zeit verlängert. Aufgrund des Verbots sowie f<strong>in</strong>anzieller Schwierigkeiten <strong>in</strong>folge<br />
der Währungsreform konnte die Zeitung erst wieder ab Mai 1949 regelmäßig ersche<strong>in</strong>en; vgl.<br />
Hendrik Bunke (Hrsg.), Willy Hundertmark. Er<strong>in</strong>nerungen an e<strong>in</strong> widerständiges Leben, <strong>Bremen</strong> 1997,<br />
S. 54ff. Dort auch e<strong>in</strong> Abdruck des Verbots-Schreibens der Militärregierung (S. 59), außerdem: Willy<br />
Hundertmark, <strong>Die</strong> »Tribüne der Demokratie«. <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong>-Presse, <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Almut<br />
Schwerd (Hrsg.): Zeitzeugen berichten, a.a.O., S. 105ff. Willy Hundertmark (geb. 1907): Metall- und<br />
Bauarbeiter. <strong>KPD</strong> seit 1926, 1933-34 Zuchthaus und KZ, seit 1939 <strong>Bremen</strong>, <strong>1945</strong>/46 zunächst SPD, danach<br />
<strong>KPD</strong>, 1947-1951 Chefredakteur der Bremer <strong>KPD</strong>-Zeitung »Tribüne der Demokratie«, Mitglied der<br />
Landesleitung. 1951 Entlassung als Redakteur und Funktionsverbot <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>. 1956 kurzzeitig wieder<br />
Mitglied der Landesleitung, <strong>1968</strong> Gründungsmitglied der Bremer DKP. Seit 1947 im Landesvorstand<br />
der VVN, 1983-1991 Vorsitzender, seitdem Ehrenvorsitzender, 1989 Bundesverdienstkreuz.<br />
218 <strong>Die</strong> »Sozialistische Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft SED-<strong>KPD</strong>« war im Februar 1947 als Konsequenz aus dem<br />
Scheitern der E<strong>in</strong>heitsbemühungen im Westen und der zunehmend unterschiedlichen Bed<strong>in</strong>gungen
52<br />
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />
unter dem Namen der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft, die nach Ansicht der Militärregierung<br />
»ke<strong>in</strong>e genehmigte politische Partei oder Organisation« war. 219 Ebenso wurde die<br />
Ankündigung des e<strong>in</strong>zigen Volkskongresses <strong>in</strong> den westlichen Besatzungszonen<br />
unter dem Namen der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft im Januar 1947 verboten. 220 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong><br />
hielt den Kongress schließlich am 17. und 18. Januar 1947 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord ab. 221<br />
<strong>Die</strong> politische und adm<strong>in</strong>istrative Ausgrenzung der <strong>KPD</strong> war also 1948 bereits<br />
deutlich spürbar. In den folgenden Jahren prägte der Kalte Krieg das Bewusstse<strong>in</strong><br />
der Bevölkerung und das politische Klima <strong>in</strong> der Bundesrepublik. 222 Bereits die<br />
Blockade Berl<strong>in</strong>s durch die Sowjetunion (Juni 1948 bis Mai 1949) hatte die Stellung<br />
Deutschlands als Frontstaat <strong>in</strong>nerhalb der Systemause<strong>in</strong>andersetzung verdeutlicht<br />
und damit das an die Propaganda der Nationalsozialisten anknüpfende Gefühl e<strong>in</strong>er<br />
›bolschewistischen Bedrohung‹ <strong>in</strong> den Westzonen verstärkt. E<strong>in</strong>en Höhepunkt<br />
erreichte der Kalte Krieg mit dem Ausbruch des Korea-Krieges im Juni 1950. <strong>Die</strong> öffentliche<br />
Diskussion <strong>in</strong> der Bundesrepublik konzentrierte sich auf die verme<strong>in</strong>tlichen<br />
Analogien zwischen den beiden geteilten Ländern. 223 Das ›Bedrohungsgefühl‹<br />
und die antikommunistischen Ressentiments der Bevölkerung verstärkten sich e-<br />
für SED und <strong>KPD</strong> gebildet worden. Siehe ausführlich: Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik. Ihre<br />
politische Tätigkeit und Organisation <strong>1945</strong>-1956, Köln und Opladen 1959, S. 20ff; Vere<strong>in</strong>barung von<br />
SED und <strong>KPD</strong> über die Bildung e<strong>in</strong>er sozialistischen Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft [14.2.1947], <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente,<br />
a.a.O., Bd. 1, S. 203f. <strong>Die</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft kann als letzter Versuch, die E<strong>in</strong>heitspartei <strong>in</strong><br />
den Westzonen zu etablieren, betrachtet werden. Nach e<strong>in</strong>er vorübergehenden Namensänderung und<br />
der Gründung e<strong>in</strong>es eigenen Parteivorstandes im April 1948 vollzog die <strong>KPD</strong> im Januar 1949 endgültig<br />
die formelle Trennung von der SED. Damit galt auch die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft als aufgelöst.<br />
219 Brief OMGUS an <strong>KPD</strong>, Land <strong>Bremen</strong>, 18. November 1947, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/4.<br />
220 Brief OMGUS an <strong>KPD</strong>, Land <strong>Bremen</strong>, 6. Januar 1948, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/4.<br />
221 Mit der von der SED <strong>in</strong>itiierten Volkskongressbewegung wurde <strong>in</strong> der sowjetischen Besatzungszone<br />
versucht, e<strong>in</strong> Gegengewicht zu der seit der Schaffung der Bizone immer sichtbarer werdenden Spaltung<br />
Deutschlands zu <strong>org</strong>anisieren. Der erste Volkskongress fand am 6./7. Dezember 1947 <strong>in</strong> Ost-<br />
Berl<strong>in</strong> statt. Der Kongress forderte u.a. die Bildung e<strong>in</strong>er zentralen deutschen Regierung sowie den Abschluss<br />
e<strong>in</strong>es Friedensvertrages. In den Westzonen wurde dem Volkskongress die demokratische Legitimation<br />
abgesprochen, <strong>in</strong> der sowjetischen Besatzungszone entstand aus den Volkskongressen die<br />
spätere Volkskammer; vgl. Christoph Kleßmann, <strong>Die</strong> doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte<br />
<strong>1945</strong>-1956, Gött<strong>in</strong>gen 1991 (5., überarbeitete und erweiterte Auflage), S. 202ff. In <strong>Bremen</strong>-Vegesack fand<br />
am 17. und 18. Januar 1948 der erste und e<strong>in</strong>zige Volkskongress außerhalb der SBZ statt. <strong>Die</strong> - laut Tribüne<br />
der Demokratie - 1037 Delegierten, unter ihnen Otto Grothewohl, verabschiedeten u.a. e<strong>in</strong> »Manifest<br />
des Volkskongresses für die E<strong>in</strong>heit Deutschlands und e<strong>in</strong>en gerechten Frieden«, <strong>in</strong> dem noch<br />
e<strong>in</strong>mal die Beschlüsse des Ost-Berl<strong>in</strong>er Kongresses bekräftigt wurden (Das ganze Deutschland soll es se<strong>in</strong><br />
und Manifest, Tribüne der Demokratie, 2. Jahrgang, Nr. 3, Vierte Januar-Woche 1948).<br />
222 Zu Entstehung und Verlauf des Kalten Krieges bis 1955 siehe Wilfried Loth, <strong>Die</strong> Teilung der Welt. Geschichte<br />
des Kalten Krieges 1941-1955, München 1980. E<strong>in</strong>e überblicksartige und globale E<strong>in</strong>schätzung<br />
bietet Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 1998,<br />
S. 285-323.<br />
223 Christoph Kleßmann, <strong>Die</strong> doppelte Staatsgründung, a.a.O., S. 211. Für <strong>Bremen</strong>: Karl-Ludwig Sommer,<br />
Wiederbewaffnung im Widerstreit von Landespolitik und Parteil<strong>in</strong>ie. Senat, SPD und die Diskussion<br />
um die Wiederbewaffnung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und im Bundesrat 1948/49 bis 1957/58, <strong>Bremen</strong> 1988, S. 49.
Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 53<br />
norm. 224 Gleichzeitig setzten nun auch massive staatliche und juristische Maßnahmen<br />
gegen die <strong>KPD</strong> und ihre sogenannten »Tarn<strong>org</strong>anisationen« e<strong>in</strong>.<br />
Der Antikommunismus wurde <strong>in</strong> der Bundesrepublik zur »konsensfähigen Integrationsideologie«<br />
225, deren Funktion ke<strong>in</strong>eswegs nur die Abwehr e<strong>in</strong>es verme<strong>in</strong>tlichen<br />
äußeren Fe<strong>in</strong>des war. Ihre primäre Bedeutung lag <strong>in</strong> den <strong>in</strong>nenpolitischen<br />
und <strong>in</strong>nergesellschaftlichen Funktionen. Antikommunismus diente als außerordentlich<br />
wirksames »soziales Diszipl<strong>in</strong>ierungsmittel« 226, <strong>in</strong>dem er die <strong>in</strong>nere soziale<br />
Frage <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e äußere politische verwandelte, das eigene wirtschaftliche und<br />
politische System legitimierte und jegliche l<strong>in</strong>ke Kritik daran als ›kommunistisch‹<br />
diskreditierte. 227 Antikommunismus und se<strong>in</strong>e praktische Fortsetzung auf juristischer<br />
Ebene wurden zum erfolgreichen Mittel allgeme<strong>in</strong>er staatlicher Repression,<br />
die eben nicht nur Kommunisten betraf.<br />
Das primäre Angriffsziel des antikommunistischen Konsens <strong>in</strong>nerhalb der Bundesrepublik<br />
aber war die <strong>KPD</strong>, die sich im Kalten Krieg vorbehaltlos auf die Seite<br />
der Sowjetunion und der DDR stellte. Dadurch wurde sie als Verkörperung des äußeren<br />
Fe<strong>in</strong>des im Inneren wahrgenommen und für dessen Politik mitverantwortlich<br />
gemacht. Besonders galt dies für die Politik der SED und der DDR. <strong>Die</strong> nachfolgend<br />
geschilderte Entwicklung der <strong>KPD</strong> ab 1948 - beg<strong>in</strong>nend mit den <strong>in</strong>nerparteilichen<br />
Umstrukturierungsprozessen - kann nur vor dem H<strong>in</strong>tergrund dieser <strong>in</strong> allen gesellschaftlichen<br />
und politischen Bereichen wirksamen Konstellationen des Kalten<br />
Krieges nachvollzogen werden. <strong>Die</strong> Isolation der Partei war dabei allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />
nur von außen verursacht.<br />
224 Bei e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> der amerikanischen Besatzungszone im Oktober 1950 durchgeführten Umfrage sprachen<br />
sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 61 Prozent der Befragten für e<strong>in</strong> Verbot der <strong>KPD</strong> aus (Patrick Major, The Death of the<br />
<strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 274f./Tabelle 16).<br />
225 Christoph Kleßmann, <strong>Die</strong> doppelte Staatsgründung, a.a.O., S. 255.<br />
226 Werner Hofmann, Stal<strong>in</strong>ismus und Antikommunismus. Zur Soziologie des Ost-West Konflikts, Frankfurt<br />
a. M. 1967, S. 131.<br />
227 Zur Bedeutung und Funktion des Antikommunismus <strong>in</strong> der Bundesrepublik siehe die immer noch<br />
grundlegende Abhandlung von Werner Hofmann, Stal<strong>in</strong>ismus und Antikommunismus, a.a.O. Außerdem<br />
Christoph Kleßmann, <strong>Die</strong> doppelte Staatsgründung, a.a.O., S. 256f. Neuere: Patrick Major, The<br />
Death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 257ff.; Wolfgang Wipperman, Antikommunismus - Tugend oder Torheit,<br />
<strong>in</strong>: Eckart Spoo und Ra<strong>in</strong>er Butenschön (Hrsg.), Der Mensch & der Plan. E<strong>in</strong>e Jahrhundertbilanz des<br />
Kommunismus, Hamburg 2000, S. 62-70 (dort auch weitere Literaturangaben).
Kapitel 2<br />
Organisation und Struktur<br />
Ab 1948 erfolgte <strong>in</strong> der gesamten <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong> tiefgreifender Struktur- und Führungswandel.<br />
Anlässe waren der Bruch der UdSSR und des »Kommunistischen Informationsbüros«<br />
(Kom<strong>in</strong>form) mit dem von Tito geführten Jugoslawien sowie der Umbau<br />
der SED zur »Partei neuen Typus«.<br />
<strong>Die</strong> nach dem Bruch mit dem jugoslawischen »Bund der Kommunisten« <strong>in</strong> allen<br />
osteuropäischen sozialistischen Staaten e<strong>in</strong>setzende Anti-Titoismus-Kampagne<br />
richtete sich gegen Bestrebungen, e<strong>in</strong>en eigenständigen, von der Sowjetunion unabhängigen<br />
Weg zum Sozialismus durchzusetzen. Im Zuge dieser Gleichschaltung<br />
kamesdenfolgendenJahren<strong>in</strong>Ungarn,BulgarienundderTschechoslowakeizu<br />
zahlreichen Anklagen und Schauprozessen gegen führende Kommunisten. E<strong>in</strong>ige<br />
vonihnenwurdenzumTodeverurteilt. 1<br />
In der DDR gab es ke<strong>in</strong>e derartigen Schauprozesse, obwohl sie wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
geplant waren. 2 <strong>Die</strong> SED vollzog aber mit dem 1948 begonnenen Umbau zur »Partei<br />
neuen Typus« die <strong>in</strong>nere Gleichschaltung. 3 Das Konzept e<strong>in</strong>er »Partei neuen Typus«<br />
war von Len<strong>in</strong> entwickelt worden 4 und bildete die ideologische Grundlage<br />
der Parteistruktur der KPdSU. Ziel war die Schaffung e<strong>in</strong>er straff und zentralistisch<br />
geführten, e<strong>in</strong>heitlichen Kaderpartei von »Berufsrevolutionären« mit e<strong>in</strong>er möglichst<br />
großen Kampfkraft. 5 Das damit verbundene Pr<strong>in</strong>zip des »demokratischen<br />
Zentralismus« sah e<strong>in</strong>erseits die freie Wahl und Willensbildung von unten nach oben<br />
vor, gleichzeitig waren Beschlüsse und Anweisungen übergeordneter Parteie<strong>in</strong>heiten<br />
für alle Mitglieder absolut verb<strong>in</strong>dlich. In der Praxis dom<strong>in</strong>ierte letzteres,<br />
1 Vgl. Ge<strong>org</strong> Hermann Hodos, Schauprozesse. Stal<strong>in</strong>istische Säuberungen <strong>in</strong> Osteuropa 1948-54, Frankfurt<br />
a. M. / New York 1988.<br />
2 Vgl. Hermann Weber, Schauprozessvorbereitungen <strong>in</strong> der DDR, <strong>in</strong>: Hermann Weber und Ulrich Mählert<br />
(Hrsg.), Terror. Stal<strong>in</strong>istische Parteisäuberungen 1936 - 1953, Paderborn / München / Wien / Zürich<br />
1998, S. 459-486; Leo Bauer, »<strong>Die</strong> Partei hat immer recht«. Bemerkungen zum geplanten deutschen<br />
Rajkprozess, <strong>in</strong>: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung »Das Parlament«, 27/1956.<br />
3 Dazu ausführlich Andreas Malycha, <strong>Die</strong> SED. Geschichte ihrer Stal<strong>in</strong>isierung 1946-1953, Paderborn /<br />
München / Wien / Zürich, bes. S. 278ff.; Andreas Malycha, Partei von Stal<strong>in</strong>s Gnaden? <strong>Die</strong> Entwicklung<br />
der SED zur Partei neuen Typs <strong>in</strong> den Jahren 1946 bis 1950.<br />
4 Vor allem <strong>in</strong> den Schriften »Was tun?« von 1902 (<strong>in</strong>: W.I. Len<strong>in</strong>, Werke, Band 5, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1959) und<br />
»E<strong>in</strong> Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück« von 1904 (<strong>in</strong>: W.I. Len<strong>in</strong>, Werke, Band 7, Berl<strong>in</strong> (DDR)<br />
1960).<br />
5 Siehe zusammenfassend zu den historischen und theoretischen Grundlagen der »Partei neuen Typus«<br />
auch Andreas Malycha, <strong>Die</strong> SED, a.a.O., 291ff., und ders. , Partei von Stal<strong>in</strong>s Gnaden?, a.a.O., S. 31.
Organisation und Struktur 55<br />
die demokratische Komponente wurde zugunsten e<strong>in</strong>es straffen Zentralismus nahezu<br />
völlig bedeutungslos. 6<br />
Unter Stal<strong>in</strong> wurde der Begriff der »Parteisäuberung« zur »permanenten Norm<br />
<strong>in</strong>nerparteilichen Lebens« kommunistischer Parteien erhoben. 7 Geme<strong>in</strong>t war mit<br />
»Säuberung« die Entfernung verme<strong>in</strong>tlich »parteife<strong>in</strong>dlicher« Mitglieder (»Opportunisten«,<br />
»Trotzkisten«, »Reformisten« etc.). In der Praxis der 1920er Jahre führte<br />
dies <strong>in</strong> der KPdSU und den Parteien der Kom<strong>in</strong>tern zunächst lediglich zu Ausschlüssen,<br />
mit denen partei<strong>in</strong>terne Opposition ausgeschaltet und die jeweilige Parteil<strong>in</strong>ie<br />
sowie der Führungsanspruch Stal<strong>in</strong>s durchgesetzt wurde. Zwischen 1936<br />
und 1938 eskalierten die Säuberungen <strong>in</strong> der Sowjetunion zum Terror: Tatsächliche<br />
oder verme<strong>in</strong>tliche Oppositionelle wurden massenhaft liquidiert. <strong>Die</strong> Verfolgungen<br />
betrafen neben der KPdSU Mitarbeiter der Kom<strong>in</strong>tern sowie <strong>in</strong> der Sowjetunion lebende<br />
Emigranten. Auch zahlreiche deutsche Kommunisten, die vor dem Nationalsozialismus<br />
geflüchtet waren und <strong>in</strong> der UdSSR im Exil lebten, wurden Opfer des<br />
Terrors. 8 In der <strong>KPD</strong> waren die Organisationspr<strong>in</strong>zipien der KPdSU ab 1925 als<br />
verb<strong>in</strong>dlich durchgesetzt worden. 9 Seitdem hatten viele Kommunisten diese Pr<strong>in</strong>zipien<br />
und den Glauben an die Unfehlbarkeit der Parteileitungen geradezu ver<strong>in</strong>nerlicht.<br />
<strong>Die</strong> 1946 gegründete SED war zunächst <strong>org</strong>anisatorisch wie auch programmatisch<br />
ke<strong>in</strong>e marxistisch-len<strong>in</strong>istische Partei nach sowjetischem Vorbild, sondern<br />
noch deutlich »von ihrer Herkunft, dem Zusammenschluss von Kommunisten und<br />
Sozialdemokraten, geprägt«. 10 Mit der von Stal<strong>in</strong> ab 1948 forcierten Vere<strong>in</strong>heitlichung<br />
des sozialistischen Blocks wurde auch die SED <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e »Partei neuen Typus«<br />
umgewandelt. <strong>Die</strong> Anpassung wurde durchgesetzt mit Hilfe der Parteisäuberungen,<br />
<strong>in</strong> deren erster Phase 1948/49 vor allem ehemalige Sozialdemokraten aus der<br />
6 Hermann Weber, Demokratischer Zentralismus - Probleme <strong>in</strong>nerparteilicher Demokratie im deutschen<br />
Kommunismus, <strong>in</strong>: Systemwandel und Demokratisierung. Festschrift für Ossip K. Flechtheim. Herausgegeben<br />
von Christian Fenner und Bernhard Blanke, Frankfurt a.M. / Köln 1975, S. 291-308.<br />
7 Andreas Malycha, <strong>Die</strong> SED, a.a.O., S. 295. Der Begriff der »Säuberung« war bereits 1920 von der Kom<strong>in</strong>tern<br />
<strong>in</strong> ihre Statuten aufgenommen worden (Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den, Agenten,<br />
Verbrechern...? Zu den Parteisäuberungen <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> (1948 - 1952) und der Mitwirkung der SED,<br />
Berl<strong>in</strong> 1995 (=Hefte zur DDR-Geschichte 29).<br />
8 Hermann Weber und <strong>Die</strong>trich Staritz (Hrsg.), Kommunisten verfolgen Kommunisten. Stal<strong>in</strong>istischer<br />
Terror und »Säuberungen« <strong>in</strong> den kommunistischen Parteien Europas seit den dreißiger Jahren, Berl<strong>in</strong><br />
1993; Hermann Weber und Ulrich Mählert (Hrsg.), Terror, a.a.O.; Hermann Weber, »Weiße Flecken« <strong>in</strong><br />
der Geschichte. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Opfer der Stal<strong>in</strong>schen Säuberungen und ihre Rehabilitierung, Frankfurt a.M.<br />
1989.<br />
9 Hermann Weber, <strong>Die</strong> Wandlung des deutschen Kommunismus. <strong>Die</strong> Stal<strong>in</strong>isierung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der<br />
Weimarer Republik, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1969.<br />
10 <strong>Die</strong>trich Staritz, Geschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a.M. 1996, S. 62. <strong>Die</strong>ser Charakter<br />
kam <strong>org</strong>anisatorisch beispielsweise <strong>in</strong> der paritätischen Besetzung der Leitungsgremien zum<br />
Ausdruck, programmatisch <strong>in</strong> dem von Anton Ackermann (<strong>KPD</strong>) im Februar 1946 geprägten Begriff<br />
vom »besonderen deutschen Weg zum Sozialismus«. Neuere Veröffentlichungen vertreten allerd<strong>in</strong>gs<br />
die These, der Prozess der Angleichung der SED an das sowjetische Modell habe bereits 1946 begonnen,<br />
und bezeichnen dies als »schleichende Stal<strong>in</strong>isierung« (Andreas Malycha, <strong>Die</strong> SED, a.a.O., S. 136ff;<br />
Harold Hurwirtz, <strong>Die</strong> Stal<strong>in</strong>isierung der SED. Zum Verlust von Freiräumen und sozialdemokratischer<br />
Identität <strong>in</strong> den Vorständen 1946-1949, Opladen 1997).
56<br />
Organisation und Struktur<br />
Partei ausgeschlossen oder auch <strong>in</strong>haftiert wurden. Später fielen auch zahlreiche<br />
andere Oppositionelle, unter ihnen bekannte Kommunisten und Führungsmitglieder<br />
der SED wie Franz Dahlem und Paul Verner, den Säuberungen zum Opfer. 11<br />
Der <strong>org</strong>anisatorische Wandel zur »Partei neuen Typus«, die Anti-Tito-<br />
Kampagne und die damit zusammenhängenden Säuberungen betrafen auch die<br />
West-<strong>KPD</strong>. <strong>Die</strong> Entwicklung der Organisationsstruktur und die im anschließenden<br />
Kapitel dargestellten Säuberungen ließen auch die Bremer <strong>KPD</strong> zu e<strong>in</strong>er zentralistisch<br />
und bürokratisch geführten Partei werden. 12 Gleichzeitig belegen die Entwicklungen<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> aber auch e<strong>in</strong>ige strukturelle Probleme bei der Durchsetzung<br />
der »Partei neuen Typus« auf lokaler Ebene.<br />
1. <strong>Die</strong> Neugliederung der Partei<br />
<strong>Die</strong> <strong>org</strong>anisatorische Umgestaltung der <strong>KPD</strong> begann auf der Delegiertenkonferenz<br />
von Herne am 26. und 27. April 1948, die zum e<strong>in</strong>en die Umbenennung <strong>in</strong> »Sozialistische<br />
Volkspartei Deutschlands« (SVD) beschloss und zum anderen erstmalig e<strong>in</strong>en<br />
Parteivorstand für die westlichen Besatzungszonen wählte. Erster Vorsitzender<br />
wurde Max Reimann, der ebenso e<strong>in</strong>stimmig gewählt wurde wie se<strong>in</strong>e beiden<br />
Stellvertreter Kurt Müller und Walter Fisch. 13 Über die Frage e<strong>in</strong>es eigenen Parteivorstands<br />
für die drei Westzonen war bereits zuvor <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> nachgedacht worden.<br />
Walter Fisch hatte schon im Herbst 1946 e<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternes Memorandum verfasst, <strong>in</strong><br />
dem er <strong>in</strong> Bezug auf SED und <strong>KPD</strong> von »faktisch zwei Parteien verschiedenen Charakters«<br />
sprach und e<strong>in</strong> Inter-Zonen-Sekretariat forderte. 14 Tatsächlich war wohl<br />
11 Andreas Malycha, <strong>Die</strong> SED, a.a.O., S. 356.<br />
12 Zur Entwicklung dieser Strukturen auf Bundesebene vgl. Patrick Major, The death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O.,<br />
S. 194ff.<br />
13 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 27. Max Reimann (1898-1977): Spartakus, 1919<br />
<strong>KPD</strong>. Funktionär im Ruhrgebiet bis 1933. Führender Funktionär der illegalen <strong>KPD</strong> im Inland und <strong>in</strong><br />
der Emigration bis 1939. 1939 <strong>in</strong> der CSR verhaftet und Häftl<strong>in</strong>g im KZ Sachsenhausen. <strong>1945</strong> Vorsitzender<br />
der <strong>KPD</strong> Bezirk Ruhrgebiet, der Landesleitung NRW und der Zonenleitung für die britische<br />
Zone. 1948 Vorsitzender der <strong>KPD</strong> (Westzonen), MdL NRW, Mitglied des Parlamentarischen Rates,<br />
MdB 1949-1953, seit 1954 DDR wegen Haftbefehl <strong>in</strong> der BRD, 1956 1. Sekretär des ZK der <strong>KPD</strong>. 1971<br />
DKP, dort Ehrenvorsitzender. Kurt Müller (1903-1990): Führender Funktionär des KJVD und der Jugend<strong>in</strong>ternationale<br />
bis 1931, danach wegen »ultral<strong>in</strong>ker« Auffassungen von allen Funktionen abgelöst.<br />
Emigration <strong>in</strong> die SU, 1935 Rückkehr nach Deutschland und illegale Arbeit für die <strong>KPD</strong>, verhaftet und<br />
KZ Sachsenhausen. <strong>1945</strong> Vorsitzender der <strong>KPD</strong> Niedersachsen, 1948 stellvertretender Vorsitzender der<br />
<strong>KPD</strong>, 1949 MdB, 1950 bei e<strong>in</strong>em Besuch <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> verhaftet, 1953 von e<strong>in</strong>em sowjetischen Militärgericht<br />
verurteilt (das Urteil wurde 1989 aufgehoben). 1955 Rückkehr <strong>in</strong> die Bundesrepublik, Mitglied der SPD<br />
und Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Walter Fisch (1910-1966): Vor 1933 Mitglied des KJVD und<br />
der <strong>KPD</strong>. Emigration <strong>in</strong> die Schweiz, <strong>1945</strong> Vorsitzender <strong>KPD</strong> Hessen, 1948-1950 Mitglied des PV und<br />
Sekretariat der <strong>KPD</strong>, MdB 1949-1953, Vertreter der <strong>KPD</strong> im Verbotsprozess. Später Mitglied des ZK<br />
und Kandidat des Politbüros.<br />
14 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den, Agenten, Verbrechern...?, a.a.O., S. 10f.
Organisation und Struktur 57<br />
spätestens 1948 die Bildung e<strong>in</strong>es umfassenden Führungs<strong>org</strong>ans angesichts der sich<br />
immer deutlicher abzeichnenden Entwicklung e<strong>in</strong>es Separatstaates im Westen notwendig<br />
geworden. E<strong>in</strong>e Strukturierung nach Landesverbänden mit koord<strong>in</strong>ierenden<br />
Zonenvorständen hätte sich spätestens nach Gründung der Bundesrepublik als<br />
überholt und nicht zweckdienlich erwiesen, <strong>in</strong>sofern handelte es sich bei der Konferenz<br />
um e<strong>in</strong>en »Wendepunkt <strong>in</strong> der <strong>org</strong>anisatorischen Entwicklung der <strong>KPD</strong>, der<br />
zudem e<strong>in</strong>e Anpassung an die funktionalen Erfordernisse der Zukunft darstellte«. 15<br />
Nicht unumstritten war die durchaus überraschende Umbenennung der <strong>KPD</strong><br />
zur SVD. <strong>Die</strong> dazu von der Konferenz verabschiedete Entschließung begründete<br />
die Namensänderung mit der »seit <strong>1945</strong> neu entwickelten Politik«, die nicht mehr<br />
nur »die Interessen der Arbeiterklasse, sondern »die des ganzen deutschen Volkes«<br />
vertrete. 16 <strong>Die</strong>se Veränderungen seien, so Max Reimann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rede auf der<br />
Konferenz, »vielen unserer Parteigenossen sowie den Bauern, den Intellektuellen<br />
und Gewerbetreibenden nicht bewusst, da der Name unverändert geblieben ist«. 17<br />
Ob mit der Umbenennung auch e<strong>in</strong>e größere Eigenständigkeit und Unabhängigkeit<br />
von der SED beabsichtigt war, 18 oder ob, im Gegenteil, der Umbenennung der <strong>KPD</strong><br />
die der SED folgen sollte, um so auf Umwegen doch noch e<strong>in</strong>e gesamtdeutsche<br />
E<strong>in</strong>heitspartei herzustellen, 19 ist nicht geklärt. Ohneh<strong>in</strong> war die Namensänderung<br />
bald wieder h<strong>in</strong>fällig geworden: <strong>Die</strong> westlichen Besatzungsmächte verboten bereits<br />
kurze Zeit später die Benutzung des neuen Parte<strong>in</strong>amens. 20 Auch ersche<strong>in</strong>t zweifelhaft,<br />
ob sich die Abschaffung des traditionellen Parte<strong>in</strong>amens <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> selbst<br />
auf lange Sicht durchgesetzt hätte. Bereits auf der Konferenz <strong>in</strong> Herne war sie umstritten,<br />
und es gab 18 Gegenstimmen und 19 Enthaltungen. 21 In <strong>Bremen</strong> sprach<br />
sich die Mehrheit e<strong>in</strong>er Delegiertenkonferenz gegen die Umbenennung aus, obwohl<br />
sich die führenden Funktionäre dafür e<strong>in</strong>setzten. <strong>Die</strong> Gegner e<strong>in</strong>es neuen Parte<strong>in</strong>amens<br />
kamen wohl <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie aus den Reihen der »Alt-Kommunisten«, die<br />
bereits vor 1933 Mitglied geworden waren. 22<br />
15 Jens-Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 42.<br />
16 Entschließung der Herner Konferenz der <strong>KPD</strong> über die Änderung des Namens der Partei (27.4.1948), <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong><br />
<strong>1945</strong> - 1948. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 205f.<br />
17 Zit. nach Jens-Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 41.<br />
18 Ebenda.<br />
19 Herbert Crüger, Verschwiegene Zeiten. Vom geheimen Apparat der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>s Gefängnis der Staatssicherheit,<br />
Berl<strong>in</strong> 1990, S. 134f. Crüger zitiert e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>offizielle Äußerung des Jugendsekretärs im ZK der<br />
SED, Paul Verner.<br />
20 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 28.<br />
21 Herbert Crüger, Verschwiegene Zeiten, a.a.O., S. 134.<br />
22 Interview Herbert Breidbach, 2. Breidbach me<strong>in</strong>t, dass <strong>in</strong> der Mehrzahl der Bezirksverbände die Umbenennung<br />
auf Ablehnung stieß. In <strong>Bremen</strong> war die Umbenennung am 22. Mai 1948 beantragt worden<br />
(Exemplar des Antrags an die amerikanische Militärregierung <strong>in</strong> SAPMO I 10/20/4). Herbert Breidbach<br />
(geb. 1921): Kaufmännischer Angestellter. Kriegsgefangenschaft <strong>in</strong> der Sowjetunion 1943-1947, dort<br />
Antifa-Schule. <strong>KPD</strong> seit 1947, 1949-1951 Landessekretär der Bremer FDJ, ab 1951 hauptamtlicher Parteifunktionär<br />
(Abteilungsleiter Org-Instr.), 1952 Org.-Instr. Sekretär. Nach dem Verbot kurze Zeit Mitglied<br />
der illegalen Leitung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, 1962 Parteischule <strong>in</strong> Moskau, danach Tätigkeit als Instrukteur<br />
für die Bremer <strong>KPD</strong>-Bezirks<strong>org</strong>anisation, <strong>1968</strong> Gründungsmitglied der Bremer DKP, 1969-1983 Bezirksvorsitzender<br />
der DKP <strong>Bremen</strong>/Nord-West.
58<br />
Organisation und Struktur<br />
Am 3. Januar 1949 beschloss der Parteivorstand die <strong>org</strong>anisatorische Trennung<br />
von der SED. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> wurde nun endgültig zu e<strong>in</strong>er westdeutschen Partei. 23 Der<br />
Organisationsauf- und umbau wurde weiter betrieben. Bereits nach der Bildung der<br />
Länder <strong>in</strong> den westlichen Besatzungszonen hatte man begonnen, die ursprünglichen<br />
Bezirks<strong>org</strong>anisationen <strong>in</strong> Länder<strong>org</strong>anisationen umzuwandeln. Der außer für<br />
<strong>Bremen</strong> auch für das niedersächsische Umland bis h<strong>in</strong>auf an die ostfriesische Nordseeküste<br />
zuständige Bezirk <strong>Bremen</strong>/Weser-Ems existierte noch bis Januar 1949.<br />
Dann wurde als Provisorium das »Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>« gebildet, das nur<br />
noch für das Bremer Staatsgebiet zuständig war. 24 <strong>Die</strong> bisherigen der Bezirks<strong>org</strong>anisation<br />
zugehörigen Kreise im Umland fielen fortan <strong>in</strong> die Verantwortung der niedersächsischen<br />
Landesleitung. Vor allem deshalb stieß die E<strong>in</strong>schränkung des Bremer<br />
Zuständigkeitsgebietes <strong>in</strong> der Partei nicht nur auf Zustimmung. 25 Zum e<strong>in</strong>en<br />
konnten durch die größere Entfernung zum Sitz der Landesleitung <strong>in</strong> Hannover<br />
beispielsweise die ostfriesischen Kreise nicht mehr <strong>in</strong> der Weise und Häufigkeit angeleitet<br />
werden wie von <strong>Bremen</strong> aus, zum anderen bedeutete die Verr<strong>in</strong>gerung der<br />
Bezirksgröße natürlich auch e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss- und Bedeutungsverlust <strong>in</strong>nerhalb der<br />
Gesamtpartei.<br />
E<strong>in</strong>e Arbeitsgebietsleitung wurde auf dem ersten Bremer Parteitag am 11. und<br />
12. Juni 1949 gewählt. 26 Als Erster Vorsitzender wurde Willy Knigge bestätigt, se<strong>in</strong><br />
Stellvertreter wurde He<strong>in</strong>rich Nolte 27. Der <strong>in</strong>sgesamt 26-köpfigen Arbeitsgebietsleitung<br />
gehörten größtenteils Funktionäre an, die bereits vor 1933 Mitglied der <strong>KPD</strong><br />
gewesen waren. <strong>Die</strong>se Arbeitsgebietsleitung war e<strong>in</strong>er Landesleitung gleichgestellt<br />
und hatte dieselben Kompetenzen und Pflichten wie diese. 28<br />
Das Provisorium »Arbeitsgebiet« existierte bis zum Mai 1950 und wurde dann<br />
offiziell zur Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong>, was aber an den Führungsstrukturen und<br />
-mitgliedern zunächst nichts änderte, sondern nur e<strong>in</strong>e Neugliederung der unteren<br />
Parteie<strong>in</strong>heiten (Stadtteile und Wohngebietsgruppen) zur Folge hatte. Nachdem der<br />
Parteivorstand am 30. Dezember 1949 Planungsrichtl<strong>in</strong>ien zur Vorbereitung der<br />
23 In dem dazu verabschiedeten Kommuniqué heißt es u.a.: »<strong>Die</strong> besonderen Kampfbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den<br />
Westzonen Deutschlands stellen die <strong>KPD</strong> vor die Notwendigkeit der Durchführung e<strong>in</strong>er selbständigen,<br />
diesen besonderen Bed<strong>in</strong>gungen entsprechenden Politik. Daher beschließt der Parteivorstand die<br />
<strong>org</strong>anisatorische Trennung der <strong>KPD</strong> von der SED. Der Parteivorstand nimmt zur Kenntnis, dass die<br />
Mitglieder der <strong>KPD</strong>, die bisher dem Parteivorstand der SED angehörten, diese Funktion niedergelegt<br />
haben.« (Kommuniqué der 8. Tagung des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong>, 3. Januar 1949, <strong>in</strong>: Dokumente der<br />
Kommunistischen Partei Deutschlands <strong>1945</strong> - 1956, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1965 (Repr<strong>in</strong>t 1973), S. 165f. Siehe<br />
auch Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 25f.; Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und<br />
Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 33.<br />
24 Das Bremer Sekretariat beschloss diese Neuordnung formell auf e<strong>in</strong>er Sitzung am 14. Januar 1949 (Protokoll<br />
des Sekretariats der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Land <strong>Bremen</strong> am Freitag, dem 14.1.1949, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/5).<br />
25 Interview Willy Hundertmark, 1.<br />
26 Bericht des Arbeitsgebietes Land <strong>Bremen</strong> am 11. und 12. Juni 1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/4.<br />
27 He<strong>in</strong>rich Nolte (1908-1972): Schlosser. Vor 1933 SAP und SAJ. Nach <strong>1945</strong> <strong>KPD</strong>. Mitglied der Bezirksund<br />
Landesleitung der Bremer <strong>KPD</strong> bis 1951. 1947-1951 MdBB.<br />
28 Protokoll der Sekretariatssitzung der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong> am Sonntag, dem 16. Januar 1949, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/5.
Organisation und Struktur 59<br />
Leitungswahlen im Zuge des Parteiumbaus herausgegeben hatte, 29 wurden am<br />
6./7. März 1950 erstmals verb<strong>in</strong>dliche »Richtl<strong>in</strong>ien über den Aufbau und die Rolle<br />
der Kommunistischen Partei Deutschlands« verabschiedet, die den Parteiaufbau<br />
vere<strong>in</strong>heitlichen und die Führungsstruktur straffen sollten. 30 Das offizielle Parteistatut,<br />
das <strong>in</strong> weiten Teilen auf den Richtl<strong>in</strong>ien von 1950 basierte, wurde erst auf<br />
dem Parteitag 1951 beschlossen und war bis zum Verbot 1956 die formale Grundlage<br />
der Parteigliederung sowie der Führungs- und Willensbildungsstrukturen. 31 Auf<br />
der Basis dieser beiden, die Organisationsstrukturen der Parteie<strong>in</strong>heiten verb<strong>in</strong>dlich<br />
vorschreibenden Richtl<strong>in</strong>ien beschloss das Bremer Landessekretariat am 6. Mai<br />
1950 e<strong>in</strong>en »Arbeitsplan zum Aufbau der Partei im Lande <strong>Bremen</strong> und zur Durchführung<br />
der Neuwahlen«, <strong>in</strong> denen die veränderten Strukturen für die Bremer<br />
Landes<strong>org</strong>anisation detailliert beschrieben wurden. 32 Demnach ergab sich für den<br />
<strong>org</strong>anisatorischen Aufbau der <strong>KPD</strong> im Lande <strong>Bremen</strong> folgende Gliederung, die bereits<br />
der später im Statut von 1951 festgelegten entsprach.<br />
• Grund<strong>org</strong>anisationen (bis 1951 Grunde<strong>in</strong>heiten): Betriebs- und Wohngebietsgruppen sowie<br />
nicht untergliederte Ortsgruppen <strong>in</strong> den eher ländlichen Randbezirken. Betriebe mit weniger<br />
als drei Parteimitgliedern wurden als Stützpunkte geführt, deren Hauptaufgabe die Gew<strong>in</strong>nung<br />
weiterer Mitglieder war, um so die Gründung e<strong>in</strong>er Betriebsgruppe zu ermöglichen. 33<br />
<strong>Die</strong> Bildung der neuen Wohngebietsgruppen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> erfolgte aus der Auflösung der bisherigen,<br />
mehr Mitglieder umfassenden Stadtteile, wobei die neuzubildenden Gruppen 35 bis 50<br />
Mitglieder haben sollten.<br />
• In den Stadtteil<strong>org</strong>anisationen wurden die verschiedenen Grunde<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> den jeweiligen<br />
Gebieten zusammengefasst.<br />
• Drei Kreis<strong>org</strong>anisationen: <strong>Bremen</strong>-Stadt, <strong>Bremen</strong>-Nord und Bremerhaven.<br />
• <strong>Die</strong> Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Die</strong> Kreise <strong>Bremen</strong> und <strong>Bremen</strong>-Nord waren <strong>in</strong> folgende Stadtteile gegliedert: 34<br />
Kreis <strong>Bremen</strong>-Stadt:<br />
• Stadtteil Westen (bis 1950 Stadtteile Westen, Walle und F<strong>in</strong>dorff). Sieben Betriebsgruppen<br />
und zwei sogenannte Stützpunkte. Acht Wohngebietsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt ca. 400 Mitgliedern.<br />
• Stadtteil Gröpel<strong>in</strong>gen (bis 1950 Stadtteile Gröpel<strong>in</strong>gen, Oslebshausen und Grambke). Vier Betriebsgruppen.<br />
Zehn Wohngebietsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt ca. 400 Mitgliedern.<br />
29 Festigt die Partei. Richtl<strong>in</strong>ien des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong> zur Vorbereitung und Durchführung der Neuwahl<br />
der Leitungen (30. Dezember 1949), <strong>in</strong>: Dokumente der Kommunistischen Partei Deutschlands <strong>1945</strong> -<br />
1956, a.a.O., S. 214ff.<br />
30 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1776; Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der<br />
Bundesrepublik, a.a.O., S. 65.<br />
31 Statut der <strong>KPD</strong> (1951), <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., S. 381ff. Vgl. auch <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong><br />
Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1777; Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik,<br />
a.a.O., S. 65.<br />
32 Arbeitsplan zum Aufbau der Partei im Lande <strong>Bremen</strong> und zur Durchführung der Neuwahlen (Beschluss der<br />
Sekretariatssitzung vom 6. Mai 1950), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/10.<br />
33 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 69.<br />
34 Für Bremerhaven liegen ke<strong>in</strong>e Angaben vor.
60<br />
Organisation und Struktur<br />
• Stadtteil Ostertor (bis 1950 Stadtteile Schwachhausen und Mitte). Ke<strong>in</strong>e Betriebsgruppen, e<strong>in</strong><br />
Stützpunkt. Vier Wohngebietsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt ca. 140 Mitgliedern.<br />
• Stadtteil Hemel<strong>in</strong>gen (bis 1950 Stadtteile Hemel<strong>in</strong>gen, Sebaldsbrück und Hastedt). Drei Betriebsgruppen,<br />
e<strong>in</strong> Stützpunkt. Drei Wohngebietsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt ca. 140 Mitgliedern.<br />
• Stadtteil Buntentor. Ke<strong>in</strong>e Betriebsgruppen und Stützpunkte. Vier Wohngebietsgruppen mit<br />
ca. 160 Mitgliedern.<br />
• Stadtteil Neustadt (bis 1950 Stadtteile Neustadt und Woltmershausen). Drei Betriebsgruppen.<br />
Vier Wohngebietsgruppen mit ca. 140 Mitgliedern.<br />
• Sechs nicht weiter unterteilte Ortsgruppen <strong>in</strong> Hucht<strong>in</strong>g, Grolland, Habenhausen, Osterholz-<br />
Tenever, Oberneuland und Lehesterdeich.<br />
Kreis <strong>Bremen</strong>-Nord<br />
• Stadtteil Vegesack. E<strong>in</strong>e Betriebsgruppe. Sechs Wohngebietsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt ca. 180<br />
Mitgliedern.<br />
• Stadtteil Blumenthal. E<strong>in</strong>e Betriebsgruppe, e<strong>in</strong> Stützpunkt. Drei Wohngebietsgruppen mit ca.<br />
130 Mitgliedern.<br />
• Stadtteil Grohn. E<strong>in</strong>e Betriebsgruppe. Zwei Wohngebietsgruppen mit ca. 65 Mitgliedern.<br />
• Vier nicht weiter unterteilte Ortsgruppen <strong>in</strong> Lesum (43 Mitglieder), Schönebeck (23), Farge<br />
(10) und Lemwerder (25).<br />
Bis zum Verbot 1956 blieb diese Gliederung im Pr<strong>in</strong>zip bestehen, die Zahl der<br />
Mitglieder sowie der Betriebs- und Wohngebietsgruppen allerd<strong>in</strong>gs sank teilweise<br />
drastisch ab. Ab April 1956 bekam die Landesleitung <strong>Bremen</strong> im Zuge der <strong>org</strong>anisatorischen<br />
Vorbereitung auf das drohende Verbot zusätzlich die Betreuung der<br />
vier niedersächsischen Nachbarkreise Verden, Osterholz-Scharmbeck, Hoya und<br />
Wesermünde übertragen. 35 DerZustandderPartei<strong>in</strong>diesenländlichgeprägten<br />
Gebieten war allerd<strong>in</strong>gs dürftig. Lediglich <strong>in</strong> Verden, so e<strong>in</strong> Bericht der Organisations-Abteilung<br />
im Juli 1956, gelang es, e<strong>in</strong>e Kreisleitung zu etablieren, <strong>in</strong> Osterholz-<br />
Scharmbeck sei dieses <strong>in</strong> Angriff genommen. Insgesamt sei man <strong>in</strong> diesen Kreisen<br />
aber nur <strong>in</strong> den größeren Städten tätig, »an die Bauern und ihre Probleme s<strong>in</strong>d wir<br />
bisher nicht herangekommen«. Im Kreis Hoya gab es nur 15 Parteimitglieder und <strong>in</strong><br />
Wesermünde, dem Umland von Bremerhaven, war »praktisch gar nichts mehr vorhanden«.<br />
36<br />
35 Sekretariatsvorlage der Org.-Instr.-Abteilung (9.4.1956), SAPMO I 11/20/9.<br />
36 SAPMO I 11/20/15: Bericht über die Vorbereitung und Durchführung der Neuwahlen der Parteileitungen <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> (9.7.56).
Organisation und Struktur 61<br />
2. Struktur und Entwicklung der Parteie<strong>in</strong>heiten<br />
Wohngebietsgruppen<br />
In den Wohngebietsgruppen waren die Mitglieder der Partei zusammengefasst, die<br />
nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Betrieb arbeiteten. 37 Jede Gruppe sollte <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 35 bis 50 Mitglieder<br />
umfassen, 38 e<strong>in</strong>e Zahl, die <strong>in</strong> der Praxis kaum erreicht wurde. Nach dem Parteitag<br />
im März 1951, also nach Abschluss der Mitgliederkontrolle und der Neuwahlen,<br />
gab es im Land <strong>Bremen</strong> 50 Wohngebietsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt 1.631 Mitgliedern. 39<br />
<strong>Die</strong>s entsprach e<strong>in</strong>em Durchschnitt von etwa 33 Mitgliedern pro Gruppe. Den niedrigsten<br />
Durchschnitt wies mit 135 Mitgliedern <strong>in</strong> neun Wohngebietsgruppen der<br />
Kreis <strong>Bremen</strong>-Nord auf, den höchsten der Kreis Bremerhaven (352 Mitglieder <strong>in</strong><br />
sechs Gruppen). In <strong>Bremen</strong>-Stadt, dem größten Kreis, waren 1.126 Mitglieder <strong>in</strong> 35<br />
Wohngebietsgruppen <strong>org</strong>anisiert.<br />
In den folgenden Jahren blieb die Zahl der Wohngebietsgruppen zum<strong>in</strong>dest im<br />
Kreis <strong>Bremen</strong>-Stadt 40 relativ konstant, 1955 waren noch 31 existent. 41 <strong>Die</strong> Gesamtmitgliederzahlen<br />
allerd<strong>in</strong>gs waren dabei stark gesunken.<br />
Neben dem S<strong>in</strong>ken der Mitgliederzahlen war seit Beg<strong>in</strong>n der 1950er Jahre e<strong>in</strong>e<br />
zunehmende Passivität der Mitgliedschaft und e<strong>in</strong> <strong>org</strong>anisatorischer Verfall der<br />
Grunde<strong>in</strong>heiten festzustellen. 42 Bereits 1951 stellte der damalige Leiter der Org.-<br />
Instr.-Abteilung der Landesleitung fest, dass im Kreis <strong>Bremen</strong> durchschnittlich nur<br />
etwa 10-15 Prozent der Mitgliedschaft <strong>in</strong> ihren Grunde<strong>in</strong>heiten aktiv mitarbeiteten.<br />
43 Bei e<strong>in</strong>er durchschnittlichen Gruppengröße von 33 Mitgliedern pro Gruppe<br />
bedeutete dies, dass von etwa drei bis fünf aktiven Mitgliedern pro E<strong>in</strong>heit ausgegangen<br />
werden konnte. Hochgerechnet auf die Gesamtmitgliederzahl von etwa<br />
1.500 im Kreis <strong>Bremen</strong> ergibt sich so e<strong>in</strong>e Zahl von maximal 250 Aktiven.<br />
Ende 1955 waren von <strong>in</strong>sgesamt 31 Wohngebietsgruppen im Kreis <strong>Bremen</strong><br />
zwölf ohne Leitung, weitere fünf hatten, so e<strong>in</strong> Organisationsbericht, »e<strong>in</strong>e schwa-<br />
37 <strong>Die</strong> Betriebsgruppen werden <strong>in</strong> Kapitel 5 ausführlich behandelt. Der H<strong>in</strong>weis sei hier schon gegeben,<br />
dass die Arbeiter ke<strong>in</strong>eswegs wie v<strong>org</strong>esehen immer <strong>in</strong> den Betriebsgruppen <strong>org</strong>anisiert waren, sondern<br />
viele es offenbar vorzogen, <strong>in</strong> den Wohngebietsgruppen aktiv zu se<strong>in</strong>. Dadurch ergab sich bezüglich<br />
der Mitgliederzahlen e<strong>in</strong> sehr starkes Übergewicht der Wohngebietsgruppen im Vergleich zu den<br />
- <strong>in</strong> der Parteiprogrammatik allgeme<strong>in</strong> als wichtiger e<strong>in</strong>gestuften - Betriebsgruppen. 1950 etwa betrug<br />
dieses Verhältnis im Land <strong>Bremen</strong> ca. 4:1. <strong>Die</strong>s war e<strong>in</strong> bundesweites Problem der <strong>KPD</strong>. Vgl. auch<br />
Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 71.<br />
38 Arbeitsplan zum Aufbau der Partei im Lande <strong>Bremen</strong> und zur Durchführung der Neuwahlen (Beschluss der<br />
Sekretariatssitzung vom 6. Mai 1950), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/10.<br />
39 Organisations-Berichte vom Land <strong>Bremen</strong> für die Org.-Konferenz am 12.7.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
40 Für die anderen Kreise liegen ke<strong>in</strong>e Zahlen vor.<br />
41 Bericht über den Zustand und die Aktivität der Grund<strong>org</strong>anisationen des Kreises <strong>Bremen</strong> (25.9.55), <strong>in</strong>: SAPMO<br />
I 11/20/15. <strong>Die</strong> Zahl der Betriebsgruppen dagegen sank drastisch.<br />
42 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP <strong>1945</strong>-1990, a.a.O., S. 83.<br />
43 Protokoll der Kreis-Org.-Konferenz <strong>Bremen</strong> am 10. November 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.
62<br />
Organisation und Struktur<br />
che Leitung bzw. treten schwach <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung«. 44 LediglichneunGruppenwurde<br />
e<strong>in</strong>e gute Aktivität besche<strong>in</strong>igt.<br />
Kurz vor dem Verbot, im Juli 1956, stellte e<strong>in</strong> weiterer Bericht e<strong>in</strong>e »nur ger<strong>in</strong>ge<br />
selbständige politische Arbeit <strong>in</strong> den Grund<strong>org</strong>anisationen« fest. Nur etwa e<strong>in</strong> Drittel<br />
der Grunde<strong>in</strong>heiten habe<br />
»arbeitsfähige Leitungen, e<strong>in</strong> reges Gruppenleben und relativ gute Verb<strong>in</strong>dungen zur Bevölkerung.<br />
In fast allen übrigen Grunde<strong>in</strong>heiten gab es meist nur E<strong>in</strong>- oder Zwei-Mann-<br />
Leitungen und e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Anzahl von aktiven Genossen, die zwar Flugblätter verteilten,<br />
Haus- und Hofagitationen durchführten, aber ke<strong>in</strong>e wirkliche politische Arbeit leisteten. In<br />
e<strong>in</strong>igen wenigen Grunde<strong>in</strong>heiten bestanden überhaupt ke<strong>in</strong>e Leitungen. Hier wurde nur die<br />
Kassierung aufrecht erhalten.« 45<br />
Trotz immer wiederkehrender Versuche der Leitung, die Mitgliedschaft, <strong>in</strong>sbesondere<br />
bei Wahlkämpfen und ähnlichen »Großaktionen«, für die Parteiarbeit zu<br />
motivieren, gelangen größere Mitgliedermobilisierungen nur selten. Anlässlich der<br />
Bürgerschaftswahl 1955 angesprochene bisher <strong>in</strong>aktive Mitglieder gaben für ihre<br />
Passivität verschiedene Begründungen:<br />
»<strong>Die</strong> Gründe für das bisherige Zurückbleiben der Genossen waren häufig familiärer Natur<br />
oder die Unzufriedenheit über ihre Behandlung, weil sie andere Auffassungen <strong>in</strong> verschiedenen<br />
D<strong>in</strong>gen hatten [...] und deshalb <strong>in</strong> der Vergangenheit durch das oft unwirksame Herangehen<br />
der Leitungen scharf kritisiert wurden, anstatt ihnen zu helfen, das Richtige unserer Politik<br />
zu erkennen. Andere wiederum, besonders ältere Genossen, vermissten das Zusammengehörigkeitsgefühl<br />
wie es früher bestanden hat und kamen sich heute ziemlich isoliert vor. Bei<br />
vielen aber fehlte das Vertrauen <strong>in</strong> die Kraft und Stärke unserer Partei. Sie sahen dabei oft nur<br />
den zeitweiligen zahlenmäßigen Rückgang an Mitgliedern und Wählern <strong>in</strong> der Nachkriegszeit.<br />
Bei e<strong>in</strong>igen hatten sich auch die bekannten bürgerlichen Argumente festgesetzt, besonders<br />
<strong>in</strong> der Frage der früheren deutschen Ostgebiete, der Kriegsgefangenen <strong>in</strong> der Sowjetunion<br />
und es bestanden bei ihnen viele Unklarheiten über das Leben <strong>in</strong> der DDR.« 46<br />
Das mangelnde »Vertrauen <strong>in</strong> die Kraft und Stärke« der <strong>KPD</strong>, also die E<strong>in</strong>sicht<br />
<strong>in</strong> die relative Wirkungslosigkeit ihrer politischen Aktivitäten, ist wohl als Hauptgrund<br />
für die »Ent-Aktivierung« 47 vieler Mitglieder zu sehen. H<strong>in</strong>zu kam e<strong>in</strong><br />
wachsender Antikommunismus, der nicht nur ideologisch, sondern ganz konkret<br />
auch <strong>in</strong> Form von drohendem Arbeitsplatzverlust oder gar Geld- und Gefängnisstrafen<br />
im Falle öffentlicher Betätigung für die <strong>KPD</strong> auf die e<strong>in</strong>zelnen Mitglieder<br />
e<strong>in</strong>wirkte.<br />
<strong>Die</strong> durch die angesprochene Unzufriedenheit mit der Leitung mitverursachte<br />
Passivierung führte erst recht zur Stärkung des hauptamtlichen Apparates und der<br />
44 Bericht über den Zustand und die Aktivität der Grund<strong>org</strong>anisationen des Kreises <strong>Bremen</strong> (25.9.55), <strong>in</strong>: SAPMO<br />
I 11/20/15.<br />
45 Bericht über die Vorbereitung und Durchführung der Neuwahlen der Parteileitungen im Land <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/15.<br />
46 Ebenda.<br />
47 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP <strong>1945</strong>-1990, a.a.O., S. 83.
Organisation und Struktur 63<br />
Leitungsgremien, die ihrerseits wiederholt über die zunehmende Inaktivität und<br />
»Befehlsverweigerung« der Mitgliedschaft klagten. 48<br />
Stadtteile<br />
<strong>Die</strong> Stadtteil<strong>org</strong>anisationen waren laut Statut verantwortlich für die Anleitung und<br />
Zusammenfassung der Grund<strong>org</strong>anisationen <strong>in</strong> ihrem Bereich und stellten somit<br />
die erste Leitungs<strong>in</strong>stanz dar. 49 In <strong>Bremen</strong>-Stadt existierten seit 1950 sechs solcher<br />
Stadtteile. Ihre jeweilige <strong>in</strong>nerparteiliche Bedeutung und Rolle war unterschiedlich,<br />
<strong>in</strong>sgesamt aber wohl eher e<strong>in</strong>e untergeordnete. Innerhalb der Bremer Landes<strong>org</strong>anisation,<br />
die e<strong>in</strong> ohneh<strong>in</strong> nur begrenztes und enges Gebiet umfasste, wurden viele<br />
Leitungskompetenzen und -entscheidungen, die <strong>in</strong> anderen Bundesländern den<br />
Stadtteil<strong>org</strong>anisationen zufielen, von der Kreis- oder sogar von der Landesleitung<br />
übernommen. 50 Gleichzeitig aber kann auch zum<strong>in</strong>dest h<strong>in</strong>sichtlich der beiden<br />
größten Stadtteile Gröpel<strong>in</strong>gen und Westen von e<strong>in</strong>er gewissen eigenständigen<br />
Stärke <strong>in</strong>nerhalb der Partei ausgegangen werden. Insbesondere die Stadtteil<strong>org</strong>anisation<br />
Gröpel<strong>in</strong>gen machte öfter mit eigenen politischen Stellungnahmen und teilweise<br />
auch mit Widerspruch zu Leitungsentscheidungen auf sich aufmerksam.<br />
<strong>Die</strong> Bremer Stadtteil<strong>org</strong>anisationen umfassten bei ihrer Bildung 1950 zwischen<br />
140 und 400, <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord zwischen 65 und 180 Mitglieder. E<strong>in</strong>flussreichster<br />
und größter Stadtteil <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> war Gröpel<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong> dessen Zuständigkeitsgebiet<br />
die traditionellen Arbeiterquartiere besonders der AG »Weser«-Werft fielen. In<br />
Gröpel<strong>in</strong>gen erzielte die Partei bis zum Verbot ihre besten Wahlergebnisse. Hier<br />
war auch - <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denhofstraße - das Robert-Stamm-Haus gelegen, das seit Anfang<br />
1951 als Parteizentrale der Bremer <strong>KPD</strong> diente. Ähnlich groß war die Stadtteil<strong>org</strong>anisation<br />
Westen mit den Ortsteilen Walle und F<strong>in</strong>dorff, die ebenfalls e<strong>in</strong>en hohen<br />
Arbeiteranteil aufwiesen. In Gröpel<strong>in</strong>gen und Walle waren mit der AG »Weser«<br />
und dem Hafen außerdem zwei Betriebe gelegen, <strong>in</strong> denen die <strong>KPD</strong> traditionell<br />
stark vertreten war. <strong>Die</strong> übrigen Stadtteile erreichten nicht annähernd die Größe<br />
der beiden genannten. Relativ bedeutsam war noch der Stadtteil Hemel<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong><br />
dessen Zuständigkeit das Automobilwerk B<strong>org</strong>ward fiel.<br />
<strong>Die</strong> Leitungen der Stadtteile, die auf Mitgliederversammlungen oder - bei mehr<br />
als 300 Mitgliedern - auf Delegiertenkonferenzen gewählt werden sollten, waren<br />
spärlich besetzt und entsprachen nicht annähernd den V<strong>org</strong>aben, die der Parteivor-<br />
48 Relativ drastisch, aber exemplarisch formuliert f<strong>in</strong>den sich diese Vorwürfe an die Mitgliedschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Instrukteursbericht vom Frühjahr 1951: »Beim Soldaten hat e<strong>in</strong> großer Teil die heute bei uns <strong>in</strong> der<br />
Partei s<strong>in</strong>d jeden Befehl, den sie bekommen haben auch wenn er noch so brutal und geme<strong>in</strong> war ausgeführt.<br />
Heute, wo sie für e<strong>in</strong>e gute Sache, für den Frieden arbeiten und freiwillig <strong>in</strong> die Partei gekommen<br />
s<strong>in</strong>d, und e<strong>in</strong> Teil dieser Genossen e<strong>in</strong>en Parteiauftrag bekommen so haben sie allerlei Ausreden<br />
und Bauchschmerzen ihn auszuführen.« (Bericht, E<strong>in</strong>satz im Land <strong>Bremen</strong> vom 16.3. bis 7.4.1951, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20).<br />
49 Statut der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>, a.a.O., S. 381ff, hier S. 392f.<br />
50 In <strong>Bremen</strong> existierte bis 1952 noch nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e eigene Kreisleitung.
64<br />
Organisation und Struktur<br />
stand auf se<strong>in</strong>er 14. Tagung Ende 1949 festgelegt hatte. 51 Dort war e<strong>in</strong>e Stärke von<br />
sieben bis 13 Mitgliedern v<strong>org</strong>esehen, <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bestanden 1955 die meisten Stadtteilleitungen<br />
aus lediglich e<strong>in</strong> bis drei Mitgliedern, im Ostertor existierte überhaupt<br />
ke<strong>in</strong>e Leitung. 52 Bereits 1951 wurde dieser Zustand <strong>in</strong> SED-Instrukteursberichten<br />
festgestellt und kritisiert. Es bestünden – abgesehen von Gröpel<strong>in</strong>gen – »nur<br />
schwache oder ke<strong>in</strong>e arbeitsfähigen Stadtteilleitungen«. 53<br />
Kreise<br />
In den Kreis<strong>org</strong>anisationen waren die Stadtteile sowie die nicht weiter unterteilten<br />
Ortsgruppen zusammengefasst. 54 Im Land <strong>Bremen</strong> gab es drei solcher Kreise, nämlich<br />
<strong>Bremen</strong>-Stadt, <strong>Bremen</strong>-Nord sowie Bremerhaven. Im Stadtstaat <strong>Bremen</strong> hatten<br />
die Kreis<strong>org</strong>anisationen von vornhere<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Bedeutung h<strong>in</strong>sichtlich der<br />
Entscheidungs- und Machtkompetenzen als <strong>in</strong> Flächenstaaten. Besonders deutlich<br />
wurde dies beim Kreis <strong>Bremen</strong>-Stadt, <strong>in</strong> dem lange Zeit ke<strong>in</strong>e eigene Leitung und<br />
ke<strong>in</strong> Sekretariat existierte. Der Parteivorstand hatte zwar bereits bei der Bildung der<br />
Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong> Anfang 1949 e<strong>in</strong>e <strong>org</strong>anisatorische Trennung zwischen<br />
Landes- und Stadtleitung v<strong>org</strong>eschlagen, das Bremer Sekretariat lehnte dies aber<br />
mit H<strong>in</strong>weis auf die f<strong>in</strong>anziellen Verhältnisse ab. 55 <strong>Die</strong> Aufgaben der Kreis<strong>org</strong>anisation<br />
wurden von Landesleitung und -sekretariat übernommen. <strong>Die</strong> Landesleitung<br />
wurde dadurch, wie e<strong>in</strong> Instrukteur bemängelte, von ihren eigentlichen Aufgaben<br />
abgehalten und könne sich andererseits auch nicht genügend um die Belange des<br />
Kreises und der Wohngebietsgruppen kümmern. 56 E<strong>in</strong>e eigene Kreisleitung für<br />
<strong>Bremen</strong> wurde schließlich Anfang 1952 gebildet. 57 <strong>Die</strong> Besetzung des Kreissekretariats<br />
war bereits zuvor vom Landessekretariat mit Zustimmung des Parteivorstandes<br />
beschlossen worden. 58 Trotz der nun vollzogenen <strong>org</strong>anisatorischen Trennung<br />
übernahmdasLandessekretariatauch<strong>in</strong>denfolgendenJahrennochAufgabendes<br />
Kreissekretariats, wie z.B. die Betreuung e<strong>in</strong>zelner Betriebsgruppen. <strong>Die</strong> Überschneidungen,<br />
die sich durch den Stadtstaatcharakter <strong>Bremen</strong>s ergaben, waren<br />
kaum zu vermeiden. Erst ab etwa 1954 lässt sich e<strong>in</strong>e etwas größere Eigenständigkeit<br />
der Kreis<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong> feststellen.<br />
51 Festigt die Partei. Richtl<strong>in</strong>ien des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong> zur Vorbereitung und Durchführung der Neuwahl<br />
der Leitungen, 30. Dezember 1949, <strong>in</strong>: Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1956, a.a.O., S. 218. Vgl. auch Hans<br />
Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 72, der zwölf zu besetzende Funktionen <strong>in</strong>nerhalb der<br />
Stadtteilleitungen auflistet.<br />
52 Bericht über den Zustand und die Aktivität der Grund<strong>org</strong>anisationen des Kreises <strong>Bremen</strong> (25.9.55), <strong>in</strong>: SAPMO<br />
I 11/20/15.<br />
53 Bericht aus der Zeit me<strong>in</strong>er Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 6.9.-3.10.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/2013.<br />
54 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S.73.<br />
55 Protokoll der Sekretariatssitzung der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong> am Sonntag, dem 16. Januar 1949, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/5.<br />
56 Bericht aus der Zeit me<strong>in</strong>er Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 6.9.-3.10.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/2013.<br />
57 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 20.11. – 18.12. 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
58 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 28. November 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.
Organisation und Struktur 65<br />
Trotz, wahrsche<strong>in</strong>lich aber auch gerade wegen der <strong>org</strong>anisatorischen und politischen<br />
Überschneidungen mit den Zuständigkeitsgebieten des Landessekretariats<br />
war der Kreis <strong>Bremen</strong> noch als handlungsfähigster und aktivster Kreis <strong>in</strong>nerhalb<br />
des Landes zu charakterisieren. <strong>Die</strong>s machten schon die Mitgliederzahlen deutlich:<br />
So hatte 1951 der Kreis <strong>Bremen</strong> etwa doppelt so viele Mitglieder wie <strong>Bremen</strong>-Nord<br />
und Bremerhaven zusammen. Auch bezüglich des <strong>org</strong>anisatorischen Zustandes<br />
waren die Kreise <strong>Bremen</strong>–Nord und Bremerhaven immer wieder der Kritik ausgesetzt.<br />
<strong>Die</strong>s galt vor allem für Bremerhaven. <strong>Die</strong> dortige Kreis<strong>org</strong>anisation gehörte<br />
zwar als Schwerpunktkreis zur sogenannten Nomenklatur des Parteivorstandes, 59<br />
konnte aber der damit zugewiesenen Bedeutung nie gerecht werden. <strong>Die</strong> Mitgliederzahlen<br />
waren – auch gemessen an der Bevölkerungszahl – die schlechtesten <strong>in</strong>nerhalb<br />
der Landes<strong>org</strong>anisation. Der Mitgliederrückgang betrug hier zwischen Ende<br />
1948 und 1953 über 68 Prozent, und auch bei Bürgerschafts- und Bundestagswahlen<br />
blieben die Ergebnisse unter denen der zwei anderen Kreise. So wurde<br />
Bremerhaven denn auch <strong>in</strong> Instrukteursberichten die »schlechteste Kreisleitung« attestiert.<br />
60 Alle leitenden Funktionäre, so e<strong>in</strong> Bericht vom März 1951, seien »irgendwie<br />
mit dem Amerikaner verknüpft«, es gebe e<strong>in</strong>en »Wulst von Opportunisten«. 61<br />
Mehrfach wurde deshalb die Forderung nach e<strong>in</strong>em neuen Kreissekretär erhoben,<br />
dervonaußerhalbkommenmüsse,da<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>undBremerhavenke<strong>in</strong>dafürgeeigneter<br />
Genosse vorhanden sei. Auch von Bremerhavener Parteimitgliedern selbst<br />
wurde dieser Forderung zugestimmt.<br />
<strong>Die</strong>ser schlechte Zustand des Kreises und des Kreissekretariats veranlasste das<br />
Sekretariat des Parteivorstands im Oktober 1951, <strong>in</strong> Bremerhaven erstmals zwei<br />
ortsfremde Funktionäre als Ersten und Zweiten Sekretär e<strong>in</strong>zusetzen. Das Bremer<br />
Sekretariat und die Kaderabteilung des PV schlugen dafür e<strong>in</strong>en Funktionär aus<br />
Hamburg und e<strong>in</strong>en aus Essen vor. 62 Mit e<strong>in</strong>iger Verzögerung wurde schließlich<br />
Anfang 1952 der aus Hamburg kommende Paul Beu als Erster Sekretär <strong>in</strong> Bremerhaven<br />
e<strong>in</strong>gesetzt. <strong>Die</strong> Tatsache, dass Bremerhaven damit der e<strong>in</strong>zige Kreis der Landes<strong>org</strong>anisation<br />
<strong>Bremen</strong> war, <strong>in</strong> dem ortsfremde Funktionäre als Sekretäre e<strong>in</strong>gesetzt<br />
wurden, spricht zum e<strong>in</strong>en für den schlechten Zustand der dortigen Partei<strong>org</strong>anisation,<br />
zum anderen für die im Widerspruch dazu stehende Bedeutung, die<br />
dem Kreis von PV und Landessekretariat zum<strong>in</strong>dest formell zuerkannt wurde. Tatsächlich<br />
schien sich die Bremer Landesleitung nur ungenügend um Bremerhavener<br />
Belange zu kümmern. Auch Paul Beu beschwerte sich bereits kurze Zeit nach se<strong>in</strong>er<br />
E<strong>in</strong>setzung als Kreisvorsitzender über mangelnde Unterstützung aus <strong>Bremen</strong>. In<br />
den drei Wochen se<strong>in</strong>er Tätigkeit sei nur e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Bremerhaven<br />
gewesen. In der Tribüne der Demokratie g<strong>in</strong>gen, so Beu, »die Bremerhavener<br />
Probleme unter«. 63 Beus Gastspiel <strong>in</strong> der Küstenstadt war ebenfalls nur e<strong>in</strong> kur-<br />
59 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 62. Bremerhaven hatte diese <strong>in</strong>nerparteiliche<br />
Bedeutung wegen des Hafens, der wichtigster Nachschubhafen der amerikanischen Streitkräfte war.<br />
60 Bericht aus der Zeit me<strong>in</strong>er Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 6.9.-3.10.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
61 Instrukteursbericht vom 14.3. – 27.3.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
62 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 11. Oktober 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
63 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. Februar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.
66<br />
Organisation und Struktur<br />
zes. Bereits im September 1952, also nach gerade neun Monaten, hatte die dortige<br />
Kreis<strong>org</strong>anisation wieder e<strong>in</strong>en neuen Ersten Sekretär. 64<br />
<strong>Die</strong> mangelnde Kont<strong>in</strong>uität <strong>in</strong> der Leitung war auch e<strong>in</strong> Problem des Kreises<br />
<strong>Bremen</strong>-Nord. Auch hier wurden häufig neue Sekretäre ernannt, die dann bereits<br />
nach kurzer Zeit wieder abberufen wurden oder aber selbst ihre Funktion niederlegten.<br />
<strong>Die</strong> Mitgliederentwicklung war ebenfalls e<strong>in</strong>e ungünstigere als <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-<br />
Stadt (m<strong>in</strong>us 57 Prozent zwischen 1948 und 1953). Allerd<strong>in</strong>gs konnte die <strong>KPD</strong> hier<br />
wenigstens h<strong>in</strong>sichtlich der Wahlergebnisse e<strong>in</strong>e gewisse Stabilität aufweisen und<br />
erhielt noch 1955 7,1 Prozent der Stimmen. Grund dafür waren vor allem die Arbeitergegenden<br />
um die Werft »Bremer Vulkan« im Ortsteil Aumund und die Ste<strong>in</strong>gutfabrik<br />
<strong>in</strong> Grohn, beides Betriebe mit relativ starker <strong>KPD</strong>-Präsenz und -Tradition. Im<br />
Ortsteil Vegesack h<strong>in</strong>gegen, dem Sitz der Kreisleitung, blieb der E<strong>in</strong>fluss<br />
schwach. 65<br />
Für alle Kreise der Bremer Landes<strong>org</strong>anisation kann also zum e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e relative<br />
<strong>org</strong>anisatorische Schwäche sowie zum anderen e<strong>in</strong>e große Abhängigkeit vom<br />
Landessekretariat, das viele der eigentlichen Kreisaufgaben mit übernahm, konstatiert<br />
werden. Pr<strong>in</strong>zipiell änderte sich dies bis zum Verbot 1956 nicht, wenn auch ab<br />
1954/55, im Zuge der nun verstärkten kommunalpolitischen Arbeit, seitens des<br />
Sekretariats der Versuch gemacht wurde, die Kreisleitungen zu stärken und ihnen<br />
größere politische Verantwortung zu überlassen. <strong>Die</strong>s aber konnte aufgrund der<br />
Bremer Stadtstaatstruktur und der bereits auf Kreisleitungsebene ger<strong>in</strong>gen Motivation<br />
und Parteiaktivität der Mitgliedschaft nur unbefriedigend gel<strong>in</strong>gen. Noch 1955<br />
befand denn auch e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied, man habe »e<strong>in</strong>en ganzen Teil des Nachdenkens<br />
den Kreisleitungen abgenommen«: »Wir fassen immer noch zuviel Beschlüsse<br />
für die Kreise mit. Wenn wir den Kreisen e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie geben, und sie fassen<br />
selbst die Beschlüsse, werden sie sich auch mehr für die Verwirklichung <strong>in</strong> den<br />
Grunde<strong>in</strong>heiten e<strong>in</strong>setzen.« 66 <strong>Die</strong>s wäre vor allem auch im eigenen Interesse des<br />
Sekretariats gewesen, das oftmals überlastet war.<br />
Sekretariat und Landesleitung<br />
Höchstes Organ der Landes<strong>org</strong>anisation war formell, d.h. nach dem Statut, die<br />
Landesdelegiertenkonferenz, bzw. vor 1951 der Landesparteitag. 67 Auf diesen<br />
wurde die Landesleitung gewählt, die <strong>in</strong> der Regel 30 – 60 Mitglieder umfassen<br />
sollte und die aus ihren Reihen die Mitglieder des Sekretariats bestimmte. Faktisch<br />
war damit das Landessekretariat die zentrale Leitung im Lande, <strong>in</strong> der alle wichtigen<br />
und auch weniger bedeutsamen Entscheidungen fielen.<br />
64 Protokoll der LSS am 18.9.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
65 Zur Arbeiterbewegung und <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord siehe <strong>in</strong>sbesondere Joachim Oltmann, Kalter Krieg<br />
und kommunale Integration. Arbeiterbewegung im Stadtteil <strong>Bremen</strong>-Vegesack <strong>1945</strong>-1956, Marburg<br />
1987. Außerdem, allerd<strong>in</strong>gs schwerpunktmäßig die SPD behandelnd: Willy Dehnkamp, <strong>Die</strong> sozialistische<br />
Arbeiterbewegung <strong>in</strong> Blumenthal-Vegesack (<strong>Bremen</strong>-Nord), Bonn 1986.<br />
66 Protokoll der LSS. v. 9.6.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9.<br />
67 Statut der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> – <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., S. 381ff., hier S. 391.
Organisation und Struktur 67<br />
Der erste Parteitag im neu gebildeten »Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>« wählte im<br />
Juni 1949 die Mitglieder des Landesvorstands (»Landesleitung« hieß das Gremium<br />
erst seit Mitte 1950) mittels Personenwahl. <strong>Die</strong> 26 Gewählten erhielten durchweg<br />
ke<strong>in</strong>e Gegenstimme, es gab lediglich jeweils e<strong>in</strong>ige ungültige Stimmen. Gleiches<br />
galt für die Wahl des Ersten und Zweiten Landesvorsitzenden, die ebenfalls noch <strong>in</strong><br />
persönlicher Wahl von den Delegierten des Parteitages bestimmt wurden. 68 <strong>Die</strong>ses<br />
Verfahren entsprach auch den Anfang März 1950 vom Parteivorstand verabschiedeten<br />
»Richtl<strong>in</strong>ien über den Aufbau und die Rolle der Kommunistischen Partei<br />
Deutschlands«. 69 Schon auf dem nächsten, nun »Landesdelegiertenkonferenz« genannten<br />
Parteitag im Februar 1951 war dieses Moment <strong>in</strong>nerparteilicher Demokratie<br />
nicht mehr gegeben: <strong>Die</strong> Mitglieder der Landesleitung wurden en bloc gewählt –<br />
schon e<strong>in</strong>e Mitbestimmung über die Kandidaten fand nicht mehr statt –, und über<br />
die Besetzung des Ersten und Zweiten Sekretärs konnten die Delegierten ebenfalls<br />
nicht mehr mitbestimmen. 70<br />
Der allergrößte Teil der 26 Mitglieder der 1949 gewählten Landesleitung gehörte<br />
der »alten« Generation an, die vor <strong>1945</strong> bzw. 1933 <strong>in</strong> die Partei e<strong>in</strong>getretenen<br />
war. 71 <strong>Die</strong> größte Altersgruppe stellten dabei die 40- bis 50-Jährigen, also <strong>in</strong> etwa<br />
die Geburtsjahrgänge zwischen 1900 und 1910, die ihre politische Sozialisation und<br />
den Parteie<strong>in</strong>tritt während der Weimarer Republik erfahren hatten. Auch das<br />
Durchschnittsalter der Parteitagsdelegierten, so der kritische Vermerk der Mandatsprüfungskommission,<br />
lag bei über 50 Jahren. 72<br />
Der Parteitag wählte mit jeweils e<strong>in</strong>er Stimmenthaltung und drei ungültigen<br />
Stimmen (von <strong>in</strong>sgesamt 218) Willy Knigge – der bereits seit 1946 mit He<strong>in</strong>rich<br />
Schramm die Bezirks<strong>org</strong>anisation geleitet hatte - zum Ersten Landesvorsitzenden<br />
und He<strong>in</strong>rich Nolte zu se<strong>in</strong>em Stellvertreter. Dem vom Landesvorstand gewählten<br />
siebenköpfigen Sekretariat gehörten außerdem der Fraktionsvorsitzende <strong>in</strong> der<br />
Bürgerschaft Rudolf Rafoth, der Chefredakteur der Tribüne der Demokratie Willy<br />
Hundertmark, Wilhelm Meyer-Buer sowie – als e<strong>in</strong>zige Frau – Erika Ewert 73 an. 74<br />
Alle Sekretariatsmitglieder waren zum Zeitpunkt ihrer Wahl zwischen 38 und 48<br />
Jahre alt und bereits vor 1933 Mitglied der <strong>KPD</strong> gewesen. Damit war die Bremer<br />
Partei genau wie auf Bundesebene zu diesem Zeitpunkt von den alten, noch vor<br />
68 Bericht des Parteitages des Arbeitsgebietes Land <strong>Bremen</strong> am 11. und 12. Juni 1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/4.<br />
69 Vgl. <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1776.<br />
70 Siehe Kapitel 3. Vgl. auch <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1778.<br />
71 Gewählt wurden: Willy Knigge (geb. 1907), He<strong>in</strong>rich Nolte (geb. 1908), Herbert Breidbach (1921), He<strong>in</strong>rich<br />
<strong>Die</strong>trich (1907), Karl Grobe (1907), Fritz Hespe, Willy Hundertmark (1907), Albert Krohn (1892),<br />
Maria Krüger (1907), Willy Meyer-Buer (1911), Friedel Müller, Käthe Popall (1907), Rudolf Rafoth<br />
(1911), Frieda Reichel (1910), He<strong>in</strong> Dreyer (1900), Roman Fuchs (1906), Wilhelm Lietzau, Wilhelm Meyer,<br />
He<strong>in</strong>z R<strong>in</strong>ner (1921), Erw<strong>in</strong> Schmidt (1906), Hilde Sieverts (1919), Helmut Blanke, Erika Ewert<br />
(1901), Jakob Pfarr (1909), Harry Schlegel und Erna Drabent.<br />
72 Bericht des Parteitages des Arbeitsgebietes Land <strong>Bremen</strong> am 11. und 12. Juni 1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/4.<br />
73 Erika Ewert (1901-1974): <strong>KPD</strong>, 1947-1955 MdBB, 1951 bis 1955 stellvertretende Fraktionsvorsitzende,<br />
Mitglied Landesleitung und Sekretariat, ab 1951 Sekretär<strong>in</strong> für Kommunalpolitik.<br />
74 Protokoll der Vorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong> am Donnerstag, dem 16. Juni 1949, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/5.
68<br />
Organisation und Struktur<br />
1933 politisch sozialisierten Funktionärskadern dom<strong>in</strong>iert. 75 Ähnliches galt im übrigen<br />
auch für die unteren Leitungsebenen: So waren Ende 1950 von 89 Mitgliedern<br />
der Betriebsgruppenleitungen 70 über 40 Jahre, 28 sogar über 50 Jahre alt. Vergleichbare<br />
Verhältnisse galten für die Wohngruppenleitungen und die ehrenamtlichen<br />
Gewerkschaftsfunktionäre. 76<br />
Fast alle Mitglieder des Sekretariats waren hauptamtlich beschäftigte und bezahlte<br />
Parteiangestellte. E<strong>in</strong> festes Gehalt erhielten der erste und zweite Sekretär<br />
Willy Knigge und He<strong>in</strong>rich Nolte, Willy Hundertmark als Redakteur sowie Rudolf<br />
Rafoth als Fraktionsvorsitzender. Erika Ewert, gleichzeitig 1. Kreissekretär<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong>-Nord, erhielt e<strong>in</strong>en sogenannten »Zuschuss«, lediglich Wilhelm Meyer-<br />
Buer erhielt als e<strong>in</strong>ziges Sekretariatsmitglied ke<strong>in</strong> Geld von der Partei. 77 Hauptamtlich<br />
beschäftigt wurden außerdem der Referatsleiter für die Betriebsgruppen <strong>in</strong> der<br />
Abteilung »Arbeit und Soziales« (A.u. S.) der Landesleitung sowie die Vorsitzenden<br />
der sogenannten Massen<strong>org</strong>anisationen »Freie Deutsche Jugend« (FDJ), »Demokratischer<br />
Frauenbund Deutschland« (DFD) und »Gesellschaft für deutsch-sowjetische<br />
Freundschaft« (GdsF). E<strong>in</strong>en Zuschuss erhielten daneben auch zwei Funktionäre<br />
des Landesfriedenskomitees sowie der 2. Vorsitzende der »Vere<strong>in</strong>igung der Verfolgten<br />
des Naziregimes« (VVN). 78 Alle hauptamtlichen Funktionäre erhielten e<strong>in</strong><br />
E<strong>in</strong>heitsgehalt von monatlich 250 DM und waren damit materiell abgesichert. 79 <strong>Die</strong><br />
bezuschussten Funktionäre erhielten 40 – 45 DM monatlich. 80<br />
<strong>Die</strong>ses Sekretariat leitete die Bremer Partei nicht e<strong>in</strong>mal zwei Jahre, es wurde im<br />
Februar 1951 abgelöst. 81 Es ist nicht nur deshalb wohl am ehesten als »Übergangsleitung«<br />
e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>sgesamt sich im radikalen Umbau bef<strong>in</strong>dlichen <strong>KPD</strong> zu<br />
charakterisieren. Von SED-Instrukteuren wurde die Leitungsarbeit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
bereits im Juli 1949 als »ungenügend entwickelt« charakterisiert. 82 Landesvorstand<br />
und Sekretariat glichen eher e<strong>in</strong>em »Koord<strong>in</strong>ierungsausschuss« 83 und kämen »zu<br />
ke<strong>in</strong>er politischen Arbeit und zur Lösung der Aufgaben, die der Partei gestellt<br />
s<strong>in</strong>d« 84. Willy Knigge und He<strong>in</strong>rich Nolte seien zwar »sehr zuverlässige Genossen«,<br />
verstünden es aber »zu wenig, ihre Mitarbeiter wirklich mit der notwendigen Härte<br />
75 Vgl. <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1793.<br />
76 <strong>Die</strong> Angaben stammen aus e<strong>in</strong>em Bericht der Landesleitung über die Struktur der Parteikader an die<br />
Westkommission der SED vom Dezember 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/16.<br />
77 <strong>Die</strong> Angaben stammen aus e<strong>in</strong>em Bericht der Landesleitung über die Struktur der Parteikader an die<br />
Westkommission der SED vom Dezember 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/16.<br />
78 Ebenda.<br />
79 Zum Vergleich: Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst e<strong>in</strong>es Werftarbeiters <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> betrug<br />
1950 300 DM, der e<strong>in</strong>es Automobilarbeiters 260 DM. Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage<br />
und »Wirtschaftswunder«. <strong>Die</strong> Entwicklung der Arbeits- und Lebensverhältnisse der Belegschaft der<br />
AG »Weser« <strong>in</strong> den 1950er Jahren, <strong>Bremen</strong> 1999, S. 122.<br />
80 Woher die Gelder der Bremer Landes<strong>org</strong>anisation kamen, lässt sich aus den vorliegenden Quellen<br />
nicht rekonstruieren. <strong>Die</strong> Vermutung e<strong>in</strong>er f<strong>in</strong>anziellen Unterstützung der <strong>KPD</strong> durch die SED ist naheliegend,<br />
für <strong>Bremen</strong> aber nicht belegbar.<br />
81 Siehe ausführlich Kapitel 3.<br />
82 Bericht über me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Hilfe bei der Organisierung der Wahlkampagne im Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>,<br />
<strong>in</strong> : SAPMO I 11/20/13.<br />
83 Ebenda.<br />
84 Land: <strong>Bremen</strong>, Dauer der Reise: vom 18. – 28.11.50, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.
Organisation und Struktur 69<br />
es aber »zu wenig, ihre Mitarbeiter wirklich mit der notwendigen Härte zu erfüllen«.<br />
<strong>Die</strong> führenden Funktionäre seien »sehr rasch vor der mangelnden Aktivität<br />
vieler Mitglieder und Funktionäre zu kapitulieren bereit«. 85 Kritik wurde auch an<br />
der Arbeitsweise des Sekretariats geübt. »<strong>Die</strong> Genossen des Vorstands«, so e<strong>in</strong> Bericht<br />
vom Sommer 1949, »setzen sich selber unermüdlich e<strong>in</strong>, zersplittern dabei aber<br />
leicht ihre Kräfte«. 86 <strong>Die</strong> Sekretariatssitzungen würden von Willy Knigge »zwischen<br />
Tür und Angel« vorbereitet, dabei nähmen meistens »<strong>org</strong>anisationstechnische<br />
Fragen und sonstiges gegenüber den politischen Aufgaben und Problemen<br />
dengrößtenTeilderZeit«e<strong>in</strong>. 87<br />
Waren dies <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie den <strong>org</strong>anisatorischen Defiziten geschuldete Kritikpunkte,<br />
wies der folgende Vorwurf schon eher <strong>in</strong> Richtung des strukturellen<br />
Grundproblems dieses »Übergangssekretariats« und der gesamten Partei <strong>in</strong> dieser<br />
Periode. Man könne feststellen, so e<strong>in</strong> zum Bundestagswahlkampf 1949 e<strong>in</strong>gesetzter<br />
SED-Instrukteur, »dass die Genossen <strong>in</strong> der Leitung, auf Grund früherer Diskussionen<br />
im Kreise <strong>Bremen</strong>, wo man der Leitung diktatorische Arbeitsmethoden<br />
v<strong>org</strong>eworfen hatte, zum großen Teil e<strong>in</strong>e übersteigerte, sich schädlich auswirkende<br />
formale <strong>in</strong>nerparteiliche Demokratie an den Tag legten«. 88<br />
Der Vorwurf der zu großen Rücksichtnahme auf die Diskussionen <strong>in</strong>nerhalb der<br />
Partei wurde e<strong>in</strong> Jahr später wiederholt, diesmal mit der Forderung, »dass e<strong>in</strong>e<br />
baldige Veränderung im Sekretariat unbed<strong>in</strong>gt erforderlich ist«. 89 Auf der anderen<br />
Seite verstummte die angesprochene partei<strong>in</strong>terne Kritik an den »diktatorischen<br />
Arbeitsmethoden ke<strong>in</strong>eswegs«, wie <strong>in</strong> verschiedenen Landesleitungssitzungen bis<br />
Ende 1950 deutlich wurde.<br />
Das Sekretariat unter Willy Knigge war von vornhere<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Übergangslösung,<br />
die die Vermittlung zwischen der »alten« - von erfahrenen Funktionären geleiteten<br />
sowie strukturell von der Weimarer Republik und dem NS-Widerstand geprägten -<br />
<strong>KPD</strong> und der - von jüngeren Funktionären dom<strong>in</strong>ierten und vom Kalten Krieg <strong>in</strong><br />
der Bundesrepublik geprägten - »Partei neuen Typus« leisten musste. <strong>Die</strong>s konnte<br />
aufgrund der Strukturen, aber auch aufgrund der gesamten folgenden Entwicklung<br />
auf Bundesebene nicht gel<strong>in</strong>gen. Das strukturelle Altersproblem wurde versucht zu<br />
mildern, <strong>in</strong>dem man den 1. Sekretär der FDJ <strong>in</strong> das Sekretariat kooptierte und auch<br />
andere jüngere Funktionäre, die dann teilweise ab 1951 die Leitungsarbeit übernahmen,<br />
zu Sitzungen h<strong>in</strong>zuzog.<br />
Das im Februar 1951 e<strong>in</strong>gesetzte Sekretariat 90 war geprägt von jungen Funktionären,<br />
die erst nach <strong>1945</strong> <strong>in</strong> die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>getreten waren. <strong>Die</strong> Arbeit des Sekretariats<br />
war <strong>in</strong> der Folgezeit von e<strong>in</strong>er nur ger<strong>in</strong>gen personellen Kont<strong>in</strong>uität gekennzeich-<br />
85 Bericht über me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Hilfe bei der Organisierung der Wahlkampagne im Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>,<br />
<strong>in</strong> : SAPMO I 11/20/13.<br />
86 Ebenda.<br />
87 Land: <strong>Bremen</strong>, Dauer der Reise: vom 18. – 28.11.50, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
88 Bericht über me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Hilfe bei der Organisierung der Wahlkampagne im Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>,<br />
<strong>in</strong> : SAPMO I 11/20/13.<br />
89 Bericht über die Landesvorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung <strong>Bremen</strong>, am Samstag, den 27.8.1950, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/2.<br />
90 Siehe dazu das folgende Kapitel 3.
70<br />
Organisation und Struktur<br />
net. Der Kreis der Funktionäre, aus denen sich die Besetzung rekrutierte, blieb zwar<br />
stabil und ebenso kle<strong>in</strong>, es gab aber e<strong>in</strong>e große Fluktuation der Aufgabenverteilungen.<br />
Bereits im Mai 1951 wurde das Sekretariat ergänzt durch den ehemaligen<br />
B<strong>org</strong>ward-Arbeiter Hans Meyer 91, der verantwortlich gemacht wurde für Betriebsgruppen-<br />
und Gewerkschaftsarbeit. 92 Bis zum Dezember 1951 kamen mit Albert<br />
Oltmanns (Schulung), Erika Ewert (Kommunalpolitik) sowie He<strong>in</strong>rich Schramm<br />
(Massenbewegungen) noch drei weitere Sekretäre h<strong>in</strong>zu. 93 Auffällig war, dass alle<br />
kooptierten, d.h. nicht dem Statut entsprechend gewählten Sekretariatsmitglieder,<br />
der »älteren« Generation angehörten und bereits vor 1933 Mitglied der <strong>KPD</strong> waren.<br />
Am auffälligsten war dies bei He<strong>in</strong>rich Schramm, der nach <strong>1945</strong> Zweiter Sekretär<br />
der Bezirks<strong>org</strong>anisation war und bis 1951 zusammen mit Willy Knigge die Partei<br />
geführt hatte. 94 <strong>Die</strong> nach der Umgestaltung vom Februar 1951 zunächst vorhandene<br />
Dom<strong>in</strong>anz der »Jungen« war also <strong>in</strong> nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>em halben Jahr zum<strong>in</strong>dest<br />
relativiert worden. Fünf der <strong>in</strong>zwischen neun Sekretariatsmitglieder entstammten<br />
den vorherigen Leitungskadern, lediglich durch die Besetzung des Ersten Sekretärs<br />
wurde e<strong>in</strong> Übergewicht der neuen Kräfte erhalten.<br />
Der Aufbau e<strong>in</strong>er personellen Kont<strong>in</strong>uität im Sekretariat wurde auch durch externe<br />
Maßnahmen erschwert. Im November 1951 hatte die Bundesregierung beim<br />
Bundesverfassungsgericht das Verbot der <strong>KPD</strong> beantragt, das Gericht beschloss die<br />
Durchführung des Verfahrens im Januar 1952. 95 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> begann daraufh<strong>in</strong>, Funktionäre<br />
aus den Leitungen herauszunehmen und mit ihnen - vorübergehend - e<strong>in</strong>en<br />
zweiten Führungsapparat, die sogenannte »zweite L<strong>in</strong>ie«, aufzubauen, der<br />
verdeckt arbeitete und die Partei auf die drohende Illegalität vorbereiten sollte. 96<br />
Im Zuge dieser Maßnahme wurden <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> Ende 1951 der Erste Sekretär Hermann<br />
Gautier, der Zweite Sekretär Willi Lietzau sowie der Kadersekretär Willi Seipel<br />
aus der offiziellen Parteiarbeit abberufen. 97 Inoffiziell übernahm <strong>in</strong> der Folgezeit<br />
der zu diesem Zeitpunkt erst 24 Jahre alte Ulrich Konetzka den Posten den Ers-<br />
91 Hans Meyer (1913-?): Gelernter Bäcker. 1932 RGO und <strong>KPD</strong>. Nach 1933 Widerstand, Verhaftung und 15<br />
Monate Haft. 1936 erneute Verhaftung, 1937 Verurteilung zu 2 Jahren Zuchthaus. 1943 – <strong>1945</strong> Strafbataillon<br />
999. Ab etwa 1949 Arbeiter bei B<strong>org</strong>ward, 1951-1953 Mitglied des <strong>KPD</strong>-Landessekretariats, 1951-<br />
1953 MdBB. Aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen, später Mitglied verschiedener maoistischer Gruppen.<br />
92 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 17. Mai 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
93 Sekretariatsvorlage: <strong>Die</strong> Zusammensetzung und Verantwortlichkeit im Landessekretariat und die Abteilungen,<br />
<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
94 Angeblich sollte Schramm genau wie Knigge <strong>in</strong> die DDR gehen, weigerte sich aber (Interview Hundertmark,<br />
2).<br />
95 Vgl. Alexander v. Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland<br />
1949-<strong>1968</strong>. Vorwort von Erhard Denn<strong>in</strong>ger, Frankfurt a.M. 1978, S. 117.<br />
96 Vgl. z.B. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP <strong>1945</strong>-1990, a.a.O., S. 84.<br />
97 <strong>Die</strong> Abberufung wurde zum ersten Mal Anfang Februar 1952 <strong>in</strong> den Sekretariatsprotokollen erwähnt.<br />
<strong>Die</strong> Gründe werden im Protokoll nicht genannt. Es seien personelle Umbesetzungen im Sekretariat<br />
notwendig, da »die Genossen Gautier, Seipel und Lietzau für e<strong>in</strong>e Zeit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nicht anwesend<br />
s<strong>in</strong>d« (Protokoll der Sekretariatssitzung vom 7. Februar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7). Etwas genauer<br />
war e<strong>in</strong> Anfang 1953 verfasster Bericht: »Ende des Jahres 1951 waren aus unserem Land auf Beschluss<br />
des Parteivorstandes die 3 Genossen [...] abgezogen worden.« (E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats<br />
<strong>Bremen</strong> (Herbert Breidbach), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8).
Organisation und Struktur 71<br />
ten Landessekretärs. Zweiter Landessekretär wurde zunächst für e<strong>in</strong>ige Wochen<br />
Albert Oltmanns, der später durch Herbert Breidbach (Jahrgang 1921) ersetzt wurde.<br />
98 <strong>Die</strong> personelle Zusammensetzung des Sekretariats änderte sich ansonsten<br />
nicht, lediglich die Aufgabenverteilungen <strong>in</strong>nerhalb des Gremiums wechselten.<br />
Hermann Gautier kehrte im September 1952 nach <strong>Bremen</strong> zurück und übernahm<br />
wieder die Leitung der Partei. Allerd<strong>in</strong>gs war die Periode se<strong>in</strong>er Abwesenheit<br />
gekennzeichnet von e<strong>in</strong>igen bedeutsamen <strong>in</strong>nerparteilichen Entwicklungen –<br />
wie z.B. die »Säuberungsmaßnahmen« -, die e<strong>in</strong>e genauere Betrachtung des <strong>in</strong> dieser<br />
Zeit amtierenden Sekretariats nötig ersche<strong>in</strong>en lassen.<br />
Grundlegende, die Machtverteilung und Kompetenzen betreffende Probleme<br />
ergaben sich vor allem aus den Generationsunterschieden. Der für den Posten des<br />
Ersten Landessekretärs sehr junge Ulrich Konetzka war im Sekretariat nicht unumstritten,<br />
und es ist fraglich, ob tatsächlich er die Leitung <strong>in</strong>nehatte. Am deutlichsten<br />
kam dies auf e<strong>in</strong>er Sitzung im Mai 1952 zum Ausdruck. <strong>Die</strong> »alten« Sekretariatsmitglieder<br />
kritisierten die ihrer Me<strong>in</strong>ung nach mangelnde »<strong>org</strong>anisierte Führung<br />
des Sekretariats« durch Konetzka, der »zu wenig Zeit für die Anleitung« des Führungsgremiums<br />
habe. 99 <strong>Die</strong> eigentliche Leitung des Sekretariats, so die für Kommunalfragen<br />
zuständige Erika Ewert, läge bei Wilhelm Meyer-Buer, der gleichzeitig<br />
Vorsitzender der Bürgerschaftsfraktion war:<br />
»Der Genosse Willi hat e<strong>in</strong> großes Wissen und ist uns allen voraus. Unter kollektiver Arbeit<br />
verstehe ich, dass man dem anderen Genossen, der nicht so weit ist, hilft. Wenn e<strong>in</strong> Genosse<br />
der Me<strong>in</strong>ung ist, dass nur er es gut macht, dann besteht e<strong>in</strong>e Gefahr, nämlich die der Überheblichkeit.<br />
Und das ist auch bei Willi vorhanden.[...]. Dabei steht aber die Frage, dass der Willi<br />
die Kritik von unten gar nicht annimmt.[...]. Wir alten Genossen im Sekretariat müssen den<br />
Genossen Ulli stützen, damit er alle se<strong>in</strong>e Aufgaben erfüllen kann.« 100<br />
Deutlich wurden damit sowohl die Probleme, die sich aus der Unerfahrenheit<br />
des vorübergehenden Ersten Landessekretärs Ulrich Konetzka ergaben, als auch die<br />
bereits des öfteren angesprochenen Generationskonflikte, <strong>in</strong> diesem Fall repräsentiert<br />
durch die angebliche »Überheblichkeit« Willy Meyer-Buers, der seit 1946 dem<br />
Führungskreis der Bremer <strong>KPD</strong> angehörte und natürlich - wie auch alle anderen<br />
Sekretariatsmitglieder – im Vergleich zu Ulrich Konetzka wesentlich mehr Erfahrung<br />
<strong>in</strong> der Parteiarbeit mitbrachte.<br />
Probleme ergaben sich auch aus der ger<strong>in</strong>gen Zahl der Sekretariatsmitglieder,<br />
die e<strong>in</strong>e starke Arbeitsbelastung für die e<strong>in</strong>zelnen Sekretäre bedeutete. <strong>Die</strong>s galt bereits<br />
für das alte Sekretariat. Bereits im März 1950 stellte der damalige Erste Sekretär<br />
Willy Knigge fest, dass »vor allem die führenden Genossen <strong>in</strong> Überlastung<br />
durch <strong>org</strong>anisatorische Arbeit vers<strong>in</strong>ken« . 101 <strong>Die</strong>se Überlastung spitzte sich nun<br />
für das neue Sekretariat noch zu. Zum e<strong>in</strong>en war dies mitverursacht durch den Abzug<br />
der drei Spitzen Hermann Gautier, Willi Lietzau und Willy Seipel. So berichtete<br />
e<strong>in</strong> SED-Instrukteur Anfang 1952:<br />
98 Ebenda.<br />
99 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 15. Mai 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
100 Ebenda.<br />
101 Protokoll über die Sekretariatssitzung vom 18.3.1950 im Waller R<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.
72<br />
Organisation und Struktur<br />
»Durch die Veränderungen im LS ist e<strong>in</strong>e starke Überlastung der e<strong>in</strong>zelnen Genossen e<strong>in</strong>getreten,<br />
da sie jetzt noch andere Gebiete mitbearbeiten müssen, für die ihnen der Überblick<br />
fehlt. <strong>Die</strong> operative Tätigkeit des Landessekretariats wird noch dadurch geh<strong>in</strong>dert, dass ke<strong>in</strong>e<br />
Instrukteure vorhanden s<strong>in</strong>d und die Org.-Instr.-Abteilung nur aus e<strong>in</strong>em Genossen besteht,<br />
dass der 1. Landessekretär, der Sekretär für A.u.S. und andere Mitarbeiter stempeln gehen<br />
und bei Vermittlerkontrollen sich bis <strong>in</strong> die Nachmittagsstunden auf dem Arbeitsamt aufhaltenmüssen(2malwöchentlich).«<br />
102<br />
Wesentlich zurückzuführen waren die starken Belastungen aber eher auf die <strong>in</strong>tensive<br />
und viel Zeit <strong>in</strong> Anspruch nehmende Beschäftigung mit - oft marg<strong>in</strong>alen –<br />
<strong>org</strong>anisatorischen Problemen und Schematismen, oder darauf – wie es e<strong>in</strong> Instrukteur<br />
schon 1951 ausdrückte -, »dass das Landessekretariat zu wenig Politik macht<br />
und mehr <strong>in</strong> Handwerkelei und Praktizismus untergeht« 103. Ende 1951 waren rigide<br />
Arbeitspläne e<strong>in</strong>geführt worden, die die Aufgaben der Partei und des Sekretariats<br />
für die nächsten Wochen m<strong>in</strong>utiös und schematisch festlegten, denen es aber gerade<br />
deshalb an Realitätsnähe und Umsetzungsfähigkeit fehlte. »<strong>Die</strong> Arbeitspläne«,<br />
so Herbert Breidbach <strong>in</strong> dem bereits mehrfach zitierten Bericht über das Landessekretariats,<br />
»bildeten lange Zeit nur formal die Grundlage der Arbeit des Sekretariats.<br />
In der Tat aber handwerkelte jeder für sich, brachte die Direktiven des Partei-<br />
Vorstandes und se<strong>in</strong>e eigene Arbeit nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e lebendige Verb<strong>in</strong>dung mit dem<br />
Plan und se<strong>in</strong>en Schwerpunkten.« 104<br />
<strong>Die</strong> Folge war, dass das Sekretariat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art Aktionismus verfiel und auf jeder<br />
Sitzung e<strong>in</strong>e Vielzahl von Beschlüssen fasste, um sich <strong>in</strong> der darauffolgenden<br />
Sitzung noch e<strong>in</strong>mal ausgiebig mit der Kontrolle dieser Beschlüsse zu befassen.<br />
»Das Ergebnis war meistens, dass e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Beschlüssen nicht durchgeführt<br />
waren und der Term<strong>in</strong> verschoben werden musste.« 105 Das Problem war dem<br />
Sekretariat durchaus bewusst, die selbstkritische Ause<strong>in</strong>andersetzung damit aber<br />
nahm wiederum Zeit <strong>in</strong> Anspruch und steigerte die Nabelschau phasenweise <strong>in</strong>s<br />
Absurde. Im März 1952 fasste das Sekretariat folgenden Beschluss: »Bei der Beschlusskontrolle<br />
der Sekretariatssitzung werden die Genossen, die e<strong>in</strong>en Beschluss<br />
nicht durchgeführt haben veranlasst, e<strong>in</strong>e politische Begründung darüber abzugeben,<br />
die dann <strong>in</strong>s Protokoll der Sekretariatssitzung aufgenommen wird«. 106<br />
Es gab <strong>in</strong> der Folgezeit e<strong>in</strong>ige Beispiele für diese selbstkritischen Stellungnahmen,<br />
deren Formulierung zwischen formell banalen Entschuldigungen (»Der Term<strong>in</strong>,<br />
den wir <strong>in</strong> der Abteilung festgemacht hatten, um den Arbeitsplan kollektiv<br />
auszuarbeiten, ist dadurch h<strong>in</strong>fällig geworden, weil ich am Montag durch andere<br />
Aufgaben verh<strong>in</strong>dert war«) 107 und übertriebenen, pathetischen Selbstanklagen<br />
102 Land: <strong>Bremen</strong>: E<strong>in</strong>satz vom 23.1. – 24.2.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
103 Bericht über die politische Tätigkeit während me<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>satzes <strong>in</strong> der Zeit vom 16.5. – 16.6.1951 im Land <strong>Bremen</strong>,<br />
<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
104 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> (Herbert Breidbach, 18.4.1953), <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/8.<br />
105 Ebenda.<br />
106 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 19. März 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
107 Selbstkritik des Gen. H. Meyer zur Abgabe der Ergänzung zum Arbeitsplan (8.4.52), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.
Organisation und Struktur 73<br />
schwankte. Wilhelm Meyer-Buer, zu der Zeit Sekretär für Schulung, gab hierfür e<strong>in</strong><br />
bezeichnendes Beispiel:<br />
»<strong>Die</strong> Nichtdurchführung von Beschlüssen vom Landes-Sekretariat bis zu den Grunde<strong>in</strong>heiten<br />
der Partei ist e<strong>in</strong>e der größten Krankheitsersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> unserer Landes<strong>org</strong>anisation. Dar<strong>in</strong><br />
kommt zum Ausdruck, dass die Politik der Partei selbst bei den verantwortlichsten Funktionären<br />
nicht immer und nicht ganz verstanden wird. [...] Ich habe mehrere solche Beschlüsse,<br />
die ich selbst gefasst habe, nicht durchgeführt und habe dadurch mit beigetragen, den Krankheitszustand<br />
zu verschlimmern, statt ihn zu verbessern. [...]. Wenn ich me<strong>in</strong>e Arbeit richtig<br />
<strong>org</strong>anisiert hätte, wäre auch der Beschluss durchgeführt worden. Ich habe [...] viel Zeit für<br />
kle<strong>in</strong>liche, selbst nutzlose D<strong>in</strong>ge verbraucht [...].« 108<br />
Derartige Selbstkritiken g<strong>in</strong>gen über das s<strong>in</strong>nvolle Maß e<strong>in</strong>er für das Sekretariat<br />
sicher notwendigen Beschlusskontrolle weit h<strong>in</strong>aus. H<strong>in</strong>zu kam die große Zahl der<br />
Beschlüsse, auch zu marg<strong>in</strong>alen Themen, die oft »e<strong>in</strong>fach zu hochtrabend waren« 109<br />
und deren Verwirklichung von vornhere<strong>in</strong> unrealistisch war, so dass Herbert<br />
Breidbach 1953 zurecht davon sprach, »dass wir uns noch zu sehr verzetteln« 110.<br />
E<strong>in</strong> SED-Instrukteur bezeichnete ebenfalls 1953 den Arbeitsstil des Bremer Sekretariats<br />
»zu kompliziert«, führte die Nichtverwirklichung der zahlreichen Pläne und<br />
Vorlagen aber auch auf laufend neue Aufgabenstellungen durch den Parteivorstand<br />
zurück. 111<br />
Pr<strong>in</strong>zipiell galt dies auch für die Sekretariatsarbeit der folgenden Jahre bis 1956.<br />
1954 kritisierte der Vorsitzende des Stadtteils Westen relativ deutlich die Folgen:<br />
»Wir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den letzten Jahren <strong>in</strong> der Arbeit der Partei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en gewissen Schematismus h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerutscht.<br />
<strong>Die</strong> Anweisung kommt vom PV zur Landesleitung, zur Kreisleitung, zur Stadtteilleitung.<br />
Was <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en Woche mit der Anleitung geschieht, spielt ke<strong>in</strong>e Rolle. In der<br />
nächsten Woche gibt es e<strong>in</strong>e neue. <strong>Die</strong>ser Schematismus hat uns geh<strong>in</strong>dert, Fragen zu diskutieren,<br />
Aufgaben festzulegen, wie Durchführung von Demonstrationen usw. Jetzt gibt es <strong>in</strong><br />
der Partei über diese Fragen ke<strong>in</strong>e Diskussion, sondern Geflüster.« 112<br />
Zugespitzt traten die geschilderten Phänomene jedoch im Jahre 1952 auf. Das<br />
Verfassen von Selbstkritiken beispielsweise oder auch der Auftrag an den Ersten<br />
Landessekretär, »<strong>in</strong> jeder Sekretariatssitzung kritisch zur Arbeit der e<strong>in</strong>zelnen Sekretariatsmitglieder<br />
usw. Stellung zu nehmen« 113, wurde bald wieder aufgegeben.<br />
Ende 1952 wurde das Sekretariat außerdem wieder auf fünf Mitglieder reduziert, so<br />
dass ab diesem Zeitpunkt wieder von e<strong>in</strong>er konzentrierteren Arbeit gesprochen<br />
werden kann, wenn auch die angesprochenen pr<strong>in</strong>zipiellen Organisationsprobleme<br />
damit noch nicht überwunden waren. 114<br />
108 Selbstkritik des Genossen Willi Meyer-Buer, <strong>Bremen</strong> (8.4.52), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
109 Interview Herbert Breidbach, 2.<br />
110 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> (Herbert Breidbach, 18.4.1953), <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/8.<br />
111 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 21.4. bis 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />
112 Land <strong>Bremen</strong> (13.12.1954), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />
113 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 7. Februar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
114 Herbert Breidbach stellte 1953 fest: »Zweifelsohne hat auch unsere Partei<strong>org</strong>anisation im Land <strong>Bremen</strong><br />
Fortschritte auf dem Wege zur Aneignung der Eigenschaften e<strong>in</strong>er Partei neuen Typus gemacht, aber<br />
diese Fortschritte genügen noch nicht, das Tempo dieser Entwicklung ist noch zu langsam.« (E<strong>in</strong>schätzung<br />
der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8).
74<br />
Organisation und Struktur<br />
<strong>Die</strong> Sekretariate der Folgejahre blieben personell zunächst relativ stabil, soweit<br />
dies aus den Protokollen herv<strong>org</strong>eht. 115 Im Mai 1953 wurde Hans Meyer als Betriebsgruppen-<br />
und Gewerkschaftssekretär abgelöst. Meyer verlor außerdem se<strong>in</strong><br />
Mandat <strong>in</strong> der Bürgerschaft. 116.<br />
Ab März 1955 ergaben sich Veränderungen im Sekretariat durch e<strong>in</strong>e längere<br />
Abwesenheit des Ersten Sekretärs Hermann Gautier. 117 Stellvertreter wurde wie<br />
bereits 1952 der Zweite Sekretär Ulrich Konetzka, 118 wodurch zu diesem Zeitpunkt<br />
immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e gewisse personelle Kont<strong>in</strong>uität gegeben war. Allerd<strong>in</strong>gs wurde die<br />
Führungsarbeit weiter geschwächt durch den Abzug e<strong>in</strong>iger anderer Sekretariatsund<br />
Landesleitungsmitglieder, die im Zuge des drohenden Parteiverbots <strong>in</strong> die sogenannte<br />
Zweite L<strong>in</strong>ie g<strong>in</strong>gen. 119 Man versuchte dies durch die eigentlich statutenwidrige<br />
Kooptierung neuer Mitglieder zu kompensieren, u.a. wurden die beiden<br />
ehemaligen Sekretariatsmitglieder Willy Hundertmark und Albert Oltmanns - die<br />
beide im Zuge der Säuberungskampagne 1951/52 aus ihren Positionen entfernt<br />
worden waren - »reaktiviert«.<br />
3. Mitgliederzahlen und -struktur<br />
Mitgliederzahlen<br />
<strong>Die</strong> Mitgliederentwicklung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der gesamten Bundesrepublik war seit etwa<br />
Ende 1947 von e<strong>in</strong>em stetigen Rückgang gekennzeichnet. Vom Höchststand 1947<br />
mit 324.000 Parteimitgliedern waren bereits im Januar 1951 nicht e<strong>in</strong>mal die Hälfte<br />
(148.194) übriggeblieben, bis zum Zeitpunkt des Verbots sanken die Zahlen noch<br />
e<strong>in</strong>mal um knapp fünfzig Prozent auf 78.000. 120 Insgesamt also betrug der Mitglie-<br />
115 Ab August 1952 wurden die Namen der Sekretariatsmitglieder <strong>in</strong> den Protokollen nur noch abgekürzt<br />
(H.G. für Hermann Gautier bspw.), ab September 1952 wurden schließlich nur noch die Funktionsbezeichnungen<br />
(Erster Sekretär etc.) vermerkt. Höchstwahrsche<strong>in</strong>lich war dies e<strong>in</strong>e Sicherheitsmaßnahme<br />
im Zuge des Verbotsantrages.<br />
116 Beschlussfassung: (Sitzung vom 28.5.1953), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8. <strong>Die</strong> Gründe für Meyers Ablösung und<br />
den späteren Parteiausschluss s<strong>in</strong>d nicht bekannt.<br />
117 Gautier besuchte nach eigenen Angaben e<strong>in</strong>e längere Parteischule (Interview Hermann Gautier, 2).<br />
Andere Interviewpartner geben an, er sei im Zuge der Vorbereitung auf das Verbot <strong>in</strong> die sog. 2. L<strong>in</strong>ie<br />
abberufen worden. Dagegen spricht, dass Gautier etwa seit Anfang 1956 wieder <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und <strong>in</strong> der<br />
Bürgerschaft arbeitete sowie <strong>in</strong> der Öffentlichkeit gegen das drohende Verbot der <strong>KPD</strong> auftrat.<br />
Tatsächlich arbeitete Gautier dann nach dem Verbot vom 17. August 1956 kurze Zeit <strong>in</strong> der 2. L<strong>in</strong>ie<br />
(Interview Hermann Gautier, 3).<br />
118 Das Sekretariatsprotokoll nannte ke<strong>in</strong>e Namen (Protokoll der LSS. v. 3.3.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9). Dass<br />
Konetzka Gautiers Vertretung übernahm, erwähnen die Interviewpartner (Interview Herbert Breidbach,2;InterviewHermannGautier,2).<br />
119 Interview Herbert Breidbach, 2; Interview Hermann Gautier, 2.<br />
120 Zahlen nach <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1784. Judick/Schleifste<strong>in</strong>/Ste<strong>in</strong>haus<br />
geben für 1956 85.000 Mitglieder an (Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und<br />
Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 83).
Organisation und Struktur 75<br />
derrückgang <strong>in</strong> diesen knapp neun Jahren, legt man die genannten Zahlen zugrunde,<br />
über 75 Prozent.<br />
Für <strong>Bremen</strong> liegen ab Ende 1948 vere<strong>in</strong>zelt Mitgliederzahlen vor, die sich <strong>in</strong> den<br />
Unterlagen der Organisations- und Instrukteursabteilung des Landesvorstandes<br />
f<strong>in</strong>den. Detaillierte monatliche Statistiken, die neben den Mitgliederbewegungen<br />
auch die Struktur erfassten, wurden ab Januar 1950 bis Mai 1951 erhoben. 121 Für die<br />
folgenden Jahre lassen sich nur noch für April 1953 und Februar 1956 Angaben zur<br />
Mitgliederstärke f<strong>in</strong>den. 122 Danach ergibt sich folgende Entwicklung der Mitgliederzahlen<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>:<br />
123<br />
Tabelle 1: Mitgliederzahlen der <strong>KPD</strong> im Land <strong>Bremen</strong> 1948 - 1956<br />
Monat gesamt kassiert <strong>Bremen</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord Bremerhaven<br />
12/1948 4110124 2400 660 1050<br />
03/1949 3362<br />
07/1949 3189<br />
08/1949 3164<br />
12/1949 3152 2786<br />
01/1950 2974 2852<br />
02/1950 2961 2158<br />
03/1950 2957 1796<br />
04/1950 2962 2051<br />
05/1950 2962 2581<br />
07/1950 2905<br />
08/1950 2953 2358<br />
09/1950 2966 2303<br />
10/1950 2966<br />
12/1950 2617<br />
01/1951 2561<br />
02/1951 2442 1681<br />
03/1951125 2422 1575 341 506<br />
05/1951126 2341 1484 345 512<br />
121 SAPMO I 11/20/15. <strong>Die</strong> genaue Erhebung stand zum e<strong>in</strong>en im Zusammenhang mit der Umwandlung<br />
der Bezirksverbände zu Landesverbänden, zum anderen mit der Umwandlung zur »Partei neuen Typus«<br />
und der Vorbereitung des Parteitages im März 1951, auf den <strong>in</strong> den Berichten öfter Bezug genommen<br />
wird.<br />
122 Ab Januar 1952 wurde e<strong>in</strong>e neue Organisationsstatistik e<strong>in</strong>geführt. Im Zuge des bereits beantragten<br />
Parteiverbots durften über diese neue Statistik ke<strong>in</strong>e schriftlichen Direktiven, Rundschreiben, Protokolle<br />
oder Presseartikel verfasst werden. Ebenfalls wurden alle alten Mitgliederkarteien spätestens zum<br />
Februar 1952 vernichtet (Sekretariatsvorlage zur Auswertung der westdeutschen Org.-Konferenz am 5.1.1952,<br />
<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7).<br />
123 Alle Zahlen, falls nicht anders angegeben, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
124 <strong>Die</strong>se Zahl sche<strong>in</strong>t etwas hochgegriffen, zumal im Vergleich zu der folgenden Angabe für den März<br />
1949, und ist vermutlich auf ungenaue Erfassung zurückzuführen.<br />
125 Zahlen zusammengestellt und errechnet nach: Organisations-Berichte vom Land <strong>Bremen</strong> für die Org.-<br />
Konferenz am 12.7.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.
76<br />
Organisation und Struktur<br />
Monat gesamt kassiert <strong>Bremen</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord Bremerhaven<br />
04/1953 127 1940 1325 283 332<br />
02/1956 128 1200<br />
Betrachtet man die gut zwei Jahre der relativ genauen Erfassung zwischen März<br />
1949 und Mai 1951, ergibt sich alle<strong>in</strong>e für diesen Zeitraum e<strong>in</strong> Verlust von 1.021<br />
Mitgliedern (30,37 %). E<strong>in</strong>zelne größere Sprünge <strong>in</strong> der Entwicklung, besonders<br />
zwischen Oktober und Dezember 1950, müssen nicht unbed<strong>in</strong>gt die tatsächliche<br />
Mitgliederbewegung wiedergeben, sondern könnten auch zurückzuführen se<strong>in</strong> auf<br />
Unstimmigkeiten bzw. Änderungen der Erfassungsmethoden und deren Genauigkeit.<br />
Aber selbst wenn die Zahlen deshalb nicht präzise se<strong>in</strong> sollten, kann davon<br />
ausgegangen werden, dass die erkennbare e<strong>in</strong>deutige Abwärtstendenz den Realitäten<br />
entsprach. H<strong>in</strong>zu kommt die offenbar mangelhafte Kassierung. Wenn phasenweise,<br />
wie z.B. im Februar 1950, von über 800 Mitgliedern ke<strong>in</strong> Beitrag <strong>in</strong> die Parteikassen<br />
floss, ist dies nicht nur e<strong>in</strong> Indiz für e<strong>in</strong>e schlechte Erfassung, Organisierung<br />
und Kassierung, sondern auch für e<strong>in</strong>en Rückzug dieses Teils der Mitgliedschaft<br />
von der Partei.<br />
Der Abwärtstrend setzte sich <strong>in</strong> den folgenden Jahren fort, wurde jedoch <strong>in</strong>sgesamt<br />
etwas gebremst. In den zwei Jahren bis 1953 verlor die Partei rund 400 Mitglieder,<br />
von da ab bis zum Verbot 1956 noch e<strong>in</strong>mal etwa 750. In diesem Zeitraum<br />
g<strong>in</strong>gen somit noch e<strong>in</strong>mal über die Hälfte der Mitgliedschaft von 1951 verloren. 129<br />
Es lässt sich also von 1948 bis 1956 e<strong>in</strong> permanenter Mitgliederverlust konstatieren,<br />
der offenbar <strong>in</strong> den Jahren 1949 bis 1951 am stärksten ausprägt war und am drastischsten<br />
verlief. Insgesamt betrug der Verlust zwischen Ende 1948, dem Höhepunkt<br />
des Mitgliederstandes, und dem Verbot 1956 über 70 Prozent. Für den Bremer<br />
Landesverband s<strong>in</strong>d damit im Vergleich mit der Gesamtpartei ke<strong>in</strong>e nennenswerten<br />
Unterschiede h<strong>in</strong>sichtlich der Mitgliederentwicklung festzustellen. Festzuhalten<br />
bleibt noch der auffällige Unterschied <strong>in</strong> der Mitgliederentwicklung zwischen<br />
den Kreisen, wenn auch die diesbezüglichen Zahlen spärlich s<strong>in</strong>d. In den<br />
Kreisen Bremerhaven und <strong>Bremen</strong>-Nord, die gegenüber <strong>Bremen</strong>-Stadt im Verhältnis<br />
zur E<strong>in</strong>wohnerzahl ohneh<strong>in</strong> schon zurückfielen, war der prozentuale Mitgliederrückgang<br />
zwischen Ende 1948 und April 1953 mit ca. 68 Prozent (Bremerhaven)<br />
und ca. 57 Prozent (<strong>Bremen</strong>-Nord) noch drastischer als <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Stadt (ca. 45 Prozent).<br />
126 Zahlen zusammengestellt und errechnet nach: Ebenda.<br />
127 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landessekretariats <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
128 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> vom 6.2. bis 12.2. 56, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12. <strong>Die</strong> Zahl deckt sich mit<br />
den Angaben von Herbert Breidbach, der zu dieser Zeit Org-Sekretär <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> war (Interview Breidbach,<br />
1).<br />
129 Es g<strong>in</strong>gen 1.141 Mitglieder verloren, das entsprach 51,3 Prozent.
Organisation und Struktur 77<br />
Über die genaue Zahl der Zu- und Abgänge <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Monaten liegen<br />
nur vere<strong>in</strong>zelt Angaben vor. 130<br />
Tabelle 2: Zu- und Abgänge der <strong>KPD</strong> im Land <strong>Bremen</strong> März 1949 bis Februar 1951<br />
Monat Zugänge Abgänge davon: Austritte Ausschlüsse Verstorben Überweisungen<br />
03/1949 27 28<br />
07/1949 7 12 9 0 1 1<br />
08/1949 3 14<br />
12/1949 33 47<br />
02/1950 6 19 11 3 2 2<br />
03/1950 14 18<br />
04/1950 16 11<br />
05/1950 16 11<br />
01/1951 8 56<br />
02/1951 13 119 111 0 1 7<br />
<strong>Die</strong> Zahl der Abgänge konnte fast durchweg nicht durch Neuaufnahmen kompensiert<br />
werden. Weiterh<strong>in</strong> zeigt sich, auch wenn die diesbezüglichen Zahlen spärlich<br />
s<strong>in</strong>d, dass der Großteil des Mitgliederverlustes auf Austritte zurückzuführen war<br />
und nicht etwa, wie man angesichts der Altersstruktur der Partei auch vermuten<br />
könnte, auf das Ableben der älteren Mitglieder.<br />
<strong>Die</strong> Zahl der Neuaufnahmen konnte immerh<strong>in</strong> zeitweise durch Aktionen zur<br />
Mitgliederwerbung etwas gesteigert werden, auch wenn dabei längst nicht das<br />
selbst gesteckte Ziel erreicht wurde. Im Rahmen e<strong>in</strong>er bundesweiten Werbeaktion<br />
sollten beispielsweise im Dezember 1951 und Januar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong>sgesamt 500<br />
neue Mitglieder gewonnen werden. 131 Dass diese V<strong>org</strong>abe angesichts der damaligen<br />
Mitgliederentwicklung völlig unrealistisch war, zeigte dann spätestens das Ergebnis<br />
der Aktion: Im Land <strong>Bremen</strong> wurden <strong>in</strong>sgesamt 80 Neuaufnahmen verzeichnet.<br />
Dementsprechend wurde selbstkritisch vermerkt, »dass es uns noch nicht<br />
gelungen ist, unsere Aufgabe zu lösen«. 132<br />
<strong>Die</strong> Wettbewerbe zur Mitgliedergew<strong>in</strong>nung wurden mit großem Aufwand vom<br />
Landessekretariat propagiert und betrieben. In der Tribüne der Demokratie erschienen<br />
wöchentliche Übersichten über den Stand <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Stadtteilen, für die<br />
Sieger wurden Prämien <strong>in</strong> Form von Sachgeschenken ausgeschrieben. Dennoch gelang<br />
es offenbar trotz aller Motivationsversuche durch die Leitung nicht, die Mitgliedschaft<br />
für die Werbeaktionen zu mobilisieren. <strong>Die</strong> Landesleitung selbst stellte<br />
fest, dass »das ständige, <strong>org</strong>anisierte Herantreten an die Massen, die Entfaltung von<br />
Aktionen besonders <strong>in</strong> den Betrieben <strong>in</strong> der Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong> noch sehr<br />
130 Alle Zahlen, falls nicht anders angegeben, aus: SAPMO I 11/20/15. Im Vergleich zu den Gesamtzahlen<br />
ergeben sich e<strong>in</strong>ige Unstimmigkeiten, die vermutlich ebenfalls auf e<strong>in</strong>e zu ungenaue Erfassung zurückzuführen<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
131 Direktive an die Kreisleitungen <strong>Bremen</strong>, Bremerhaven und <strong>Bremen</strong>-Nord, 20.2.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
132 Direktive an die Kreisleitungen <strong>Bremen</strong>, Bremerhaven und <strong>Bremen</strong>-Nord, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.
78<br />
Organisation und Struktur<br />
ungenügend entwickelt« sei, und kritisierte vor allem die Betriebsgruppen, die an<br />
der Werbung »trotz der dort unzweifelhaft guten Möglichkeiten so gut wie gar<br />
nicht beteiligt« seien. 133 Ob es <strong>in</strong> den Betrieben tatsächlich so »gute Möglichkeiten«<br />
zur Gew<strong>in</strong>nung neuer Mitglieder gab, darf angesichts der ger<strong>in</strong>gen Zahl der Neuaufnahmen<br />
und der abnehmenden Stärke der Betriebsgruppen bezweifelt werden.<br />
Dennoch war natürlich die Arbeiterschaft <strong>in</strong> den Betrieben das vorrangige Ziel der<br />
Mitgliederwerbeaktionen. Daneben gab es aber auch Rekrutierungsversuche <strong>in</strong>nerhalb<br />
der »Massen<strong>org</strong>anisationen«, womit die Partei allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Dilemma geriet:<br />
Warben die <strong>KPD</strong>-Genossen <strong>in</strong>nerhalb der Organisationen neue Mitglieder,<br />
konnte leicht der nach außen vertretene Anspruch der Überparteilichkeit <strong>in</strong> Frage<br />
gestellt werden. H<strong>in</strong>zu kam e<strong>in</strong>e gewisse Unlust, <strong>in</strong>teressierte Sympathisanten überhaupt<br />
<strong>in</strong> die Partei aufzunehmen, weil man der Me<strong>in</strong>ung war, diese wären als<br />
Parteilose wertvoller. 134<br />
Mitgliederstruktur<br />
Über die Alters- und Sozialstruktur der Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> liegen genaue Angaben<br />
nur bis Mitte 1951 vor. 135 Auffällig ist, wie auch <strong>in</strong> der Gesamtpartei, 136 e<strong>in</strong>e relativ<br />
starke Überalterung: Im Erhebungszeitraum waren zwischen 36 und 46 Prozent der<br />
Mitgliederüber50Jahrealt,dieGruppederüber36-Jährigenstellte<strong>in</strong>sgesamtüber<br />
80 Prozent der Mitgliedschaft. Der Anteil der - allgeme<strong>in</strong> als »Jugendliche« titulierten<br />
- bis 25-Jährigen lag konstant um vier Prozent.<br />
Tabelle 3: Altersverteilung<br />
Monat Gesamt bis 25 Anteil 26-35 Anteil 36 -50 Anteil über 50 Anteil<br />
07/1949 3189 113 3,5% 413 13,0% 1169 36,7% 1494 46,9%<br />
08/1949 3164 113 3,6% 405 12,8% 1163 36,8% 1483 46,9%<br />
12/1949 3152 115 3,7% 406 12,9% 1475 46,8% 1156 36,7%<br />
01/1950 2974 109 3,7% 404 13,6% 1388 46,7% 1073 36,1%<br />
02/1950 2961 108 3,7% 403 13,6% 1378 46,5% 1072 36,2%<br />
03/1950 2957 112 3,8% 402 13,6% 1374 46,5% 1069 36,2%<br />
04/1950 2962 116 3,9% 400 13,5% 1376 46,5% 1070 36,1%<br />
05/1950 2962 116 3,9% 400 13,5% 1376 46,5% 1070 36,1%<br />
07/1950 2905 110 3,8% 395 13,6% 1348 46,4% 1052 36,2%<br />
08/1950 2953 114 3,9% 403 13,7% 1373 46,5% 1063 36,0%<br />
133 Ebenda.<br />
134 So wurde 1952 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikel der Tribüne der Demokratie unter der Überschrift »Mehr S<strong>org</strong>e und<br />
Aufmerksamkeit für die neuen Mitglieder unserer Partei« festgestellt: »Es gibt auch <strong>in</strong> der Partei immer<br />
noch solche Auffassungen, dass Parteilose, mit denen <strong>in</strong> den Gewerkschaften, <strong>in</strong> betrieblichen Organen<br />
und Ausschüssen auf Wohngebietsbasis e<strong>in</strong>e gute Zusammenarbeit entwickelt wurde, nicht<br />
Mitglieder der Partei werden ›dürfen‹, damit sie ›besser auftreten‹ können.« (Tribüne der Demokratie,<br />
27./28. September 1952).<br />
135 Alle Zahlen aus SAPMO I 11/20/15.<br />
136 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1786f.
Organisation und Struktur 79<br />
Monat Gesamt bis 25 Anteil 26-35 Anteil 36 -50 Anteil über 50 Anteil<br />
09/1950 2966 120 4,1% 400 13,5% 1376 46,4% 1070 36,1%<br />
10/1950 2966 120 4,1% 400 13,5% 1376 46,4% 1070 36,1%<br />
12/1950 2617 130 5,0% 381 14,6% 1024 39,1% 1082 41,4%<br />
01/1951 2561 103 4,0% 309 12,1% 1059 41,4% 1090 42,6%<br />
02/1951 2442 99 4,1% 283 12,0% 1018 41,7% 1042 42,7%<br />
03/1951 2422 92 3,8% 267 11,1% 1007 41,6% 1056 43,6%<br />
05/1951 2341 104 4,4% 208 8,9% 1230 52,5% 799 34,1%<br />
Verlust/Zuwachs - 848 - 9 - 205 + 61 - 695<br />
<strong>in</strong> Prozent -26,6% - 8,0% - 49,6% + 5,2% - 46,5%<br />
Auffällig ist der starke Verlust bei den ohneh<strong>in</strong> schon unterrepräsentierten 26- bis<br />
35-Jährigen, deren Zahl zwischen Oktober 1950 und Mai 1951 von 400 auf 208, also<br />
um fast die Hälfte, sank. Dass es sich dabei nur um Altersverschiebungen handelte,<br />
kann aufgrund der Kürze des Zeitraums ausgeschlossen werden. Zu vermuten ist<br />
vielmehr, dass der Verlust im Wesentlichen auf Austritte zurückzuführen war. Insgesamt<br />
war die Partei also offenbar sowohl für Jugendliche, bei denen die Zahlen<br />
aber immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igermaßen konstant auf niedrigem Niveau blieben, als auch für<br />
die 26- bis 35-Jährigen wenig attraktiv. Der Grund hierfür ist neben den partei<strong>in</strong>ternen<br />
V<strong>org</strong>ängen dieser Zeit sicher <strong>in</strong> dem wachsenden Antikommunismus, <strong>in</strong>klusive<br />
der daraus folgenden juristischen Maßnahmen und dem damit verbundenen<br />
S<strong>in</strong>ken der Berufschancen zu suchen. Zu vermuten ist weiterh<strong>in</strong>, dass besonders<br />
diese Gruppe Träger des »Mitgliederbooms« der ersten Nachkriegsjahre war und<br />
nun, nachdem sich die Mitgliedschaft <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> als nicht mehr opportun herausgestellt<br />
hatte, die Partei wieder verließ. Solche Gründe waren sicherlich für alle Altersgruppen<br />
relevant, für die jüngeren Generationen jedoch aufgrund der fehlenden<br />
Parteib<strong>in</strong>dung aus den Jahren vor 1933 besonders wirksam.<br />
<strong>Die</strong> Anzahl und der Anteil der mittleren Altersgruppe (36 - 50 Jahre) blieben<br />
dagegen relativ konstant. <strong>Die</strong>se Generation war <strong>in</strong> der Weimarer Republik sozialisiert<br />
worden, und es kann wohl davon ausgegangen werden, auch wenn hierüber<br />
ke<strong>in</strong>e Zahlen vorliegen, dass e<strong>in</strong> erheblicher Teil bereits vor 1933 <strong>in</strong> den kommunistischen<br />
K<strong>in</strong>der- und Jugend<strong>org</strong>anisationen ihre politische Prägung erhalten hatte<br />
oder bereits Parteimitglied gewesen war. <strong>Die</strong>se Tradition und e<strong>in</strong>e daraus resultierende<br />
stärkere Parteib<strong>in</strong>dung mag dazu beigetragen haben, dass <strong>in</strong> dieser Altersgruppe<br />
der Mitgliederverlust ger<strong>in</strong>g blieb und <strong>in</strong> dem Zeitraum 1949 bis 1951 sogar<br />
leicht anstieg.<br />
E<strong>in</strong>e starke Traditionsb<strong>in</strong>dung muss auch bei den über 50-Jährigen vermutet<br />
werden, die die zweitgrößte, zeitweise die stärkste Altersgruppe stellten. Betrachtet<br />
man die Zahlen von Dezember 1949 - dem Beg<strong>in</strong>n der monatlichen Erhebung - bis<br />
März 1951, lässt sich auch hier e<strong>in</strong>e relative Stabilität feststellen. Der Verlust von<br />
knapp 100 Mitgliedern <strong>in</strong> diesem Zeitraum wird größtenteils auf Sterbefälle zurückzuführen<br />
se<strong>in</strong>. Der gesamte Mitgliederverlust zwischen Juli 1949 und Mai 1951<br />
von fast 700 lässt sich allerd<strong>in</strong>gs so nicht erklären. Vermuten kann man zum e<strong>in</strong>en
80<br />
Organisation und Struktur<br />
statistische Ungenauigkeiten, zum anderen s<strong>in</strong>d aber auch »massenhafte« Austritte<br />
gerade <strong>in</strong> dieser Altersgruppe nicht auszuschließen. Möglich wäre dies beispielsweise<br />
zwischen März und Mai 1951, also für die Zeit nach der Umgestaltung der<br />
Partei. In diese Zeit fallen die Absetzung von Rudolf Rafoth als <strong>KPD</strong>-<br />
Fraktionsvorsitzender und der Parteiausschluss von Folkert Potrykus <strong>in</strong> Bremerhaven.<br />
Besonders <strong>in</strong> Bremerhaven führte der Ausschluss des langjährigen Kommunisten<br />
und an der Basis hochangesehenen Potrykus zu zahlreichen Protesten und Austritten.<br />
Dass dies vor allem die »alten« Genossen traf und diese deshalb die Konsequenz<br />
des Austritts zogen, ist zum<strong>in</strong>dest nicht ganz unwahrsche<strong>in</strong>lich, zumal auch<br />
die Mitgliederverluste <strong>in</strong> Bremerhaven prozentual die stärksten waren. 137<br />
Neben der starken Überalterung war die zahlenmäßige Dom<strong>in</strong>anz der männlichen<br />
Mitglieder kennzeichnend für die Struktur der <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft. Der Überblick<br />
über die Geschlechterverteilung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zwischen 1949 und 1951 zeigt<br />
den ger<strong>in</strong>gen Anteil der Frauen <strong>in</strong> der Partei, der <strong>in</strong> dieser Zeit durchschnittlich um<br />
20 Prozent lag und <strong>in</strong> den letzten Monaten sogar noch weiter absank. Auffällig ist<br />
auch, dass der Mitgliederverlust bei den Frauen überdurchschnittlich war: Mehr als<br />
e<strong>in</strong> Drittel der weiblichen Mitglieder von 1949 g<strong>in</strong>gen der Partei bis Mitte 1951 verloren.MitdiesenZahlenbefandsichdie<strong>KPD</strong><strong>in</strong><strong>Bremen</strong><strong>in</strong>etwaaufdemNiveau<br />
der Gesamtpartei. So lag etwa <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen der Frauenanteil im Februar<br />
1951 bei ungefähr 17 Prozent. 138 Auch <strong>in</strong> der Bremer SPD stellten Frauen allerd<strong>in</strong>gs<br />
<strong>in</strong> den 1950er Jahren e<strong>in</strong>en nur unwesentlich größeren Teil der Mitgliedschaft. 139<br />
Tabelle 4: Geschlechterstruktur<br />
Datum Mitglieder Männer Anteil Frauen Anteil<br />
Jul 1949 3189 2565 80,4% 624 19,6<br />
Aug 1949 3164 2544 80,4% 620 19,6%<br />
Dez 1949 3152 2533 80,4% 619 19,6%<br />
Jan 1950 2974 2378 80,0% 596 20,0%<br />
Feb 1950 2961 2367 79,9% 594 20,1%<br />
Mär 1950 2957 2364 80,0% 593 20,1%<br />
Apr 1950 2962 2367 79,9% 595 20,1%<br />
Mai 1950 2962 2367 79,9% 595 20,1%<br />
Jul 1950 2905 2325 80,0% 580 20,0%<br />
Aug 1950 2953 2364 80,1% 589 20,0%<br />
Sep 1950 2966 2371 82,1% 595 17,9%<br />
Okt 1950 2966 2371 82,1% 595 17,9%<br />
Dez 1950 2617 2231 85,3% 386 14,8%<br />
137 Vgl. Tabelle 1.<br />
138 Nach Gudrun Schädel, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen von <strong>1945</strong>-<br />
1956, a.a.O., S. 129.<br />
139 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 107.
Organisation und Struktur 81<br />
Datum Mitglieder Männer Anteil Frauen Anteil<br />
Jan 1951 2561 2106 82,2% 455 17,8%<br />
Feb 1951 2442 1995 140 81,7% 447 18,3%<br />
Mai 1951 2341 1944 83,0% 397 17,0%<br />
Verlust / Zuwachs - 848 - 621 - 227<br />
<strong>in</strong> Prozent - 26,6% - 24,2% - 36,4%<br />
<strong>Die</strong> nur vere<strong>in</strong>zelt vorliegenden Zahlen über die Geschlechterverteilung <strong>in</strong>nerhalb<br />
der verschiedenen Altersgruppen lassen ke<strong>in</strong>en nennenswerten Unterschied zwischen<br />
Männern und Frauen erkennen. Beispielhaft dargestellt s<strong>in</strong>d hier die Angaben<br />
für den Februar 1950. 141<br />
Tabelle 5: Geschlechterstruktur <strong>in</strong>nerhalb der verschiedenen Altersgruppen (Februar 1950)<br />
Altergruppen Männer % aller Männer Frauen % aller Frauen<br />
unter 25 86 3,6% 22 3,7%<br />
26 - 35 301 12,7% 102 17,2%<br />
36 - 50 1111 46,9% 266 44,8%<br />
über 50 869 36,7% 203 34,2%<br />
<strong>Die</strong> Berufsstruktur der <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft wies e<strong>in</strong>en Arbeiteranteil von durchschnittlich<br />
über 50 Prozent auf. <strong>Die</strong>s deckt sich <strong>in</strong> etwa mit den, allerd<strong>in</strong>gs spärlichen,<br />
Zahlen für die Gesamtpartei. 142 Dass der Anteil von Rentnern an der Gesamtmitgliedschaft<br />
als e<strong>in</strong>ziger im Erhebungszeitraum ansteigt, verdeutlicht zusätzlich<br />
die ungünstige Altersstruktur der Partei. Bei allen anderen Berufsgruppen<br />
s<strong>in</strong>d Mitgliederverluste festzustellen, besonders auffällig wird dies bei den Angestellten<br />
und den Freiberuflern. Unerheblich s<strong>in</strong>d im Stadtstaat <strong>Bremen</strong> die Bauern.<br />
<strong>Die</strong> erwerbslosen Mitglieder der Partei sche<strong>in</strong>en erst ab Dezember 1950 separat erfasst<br />
worden zu se<strong>in</strong>, zuvor wurden sie vermutlich den Arbeitern zugerechnet. Ihr<br />
Anteil ist nicht besonders hoch, was den Schluss nahe legt, dass die Partei von der<br />
bis Mitte der 1950er Jahre noch relativ hohen Arbeitslosigkeit, anders als <strong>in</strong> der<br />
Weimarer Republik, nicht sonderlich profitiert hat. Dennoch ist bemerkenswert,<br />
dass mit den <strong>in</strong>sgesamt rund 1.000 Rentnern, Arbeitslosen und Hausfrauen fast 40<br />
Prozent der Gesamtmitgliedschaft ke<strong>in</strong>er festen Erwerbstätigkeit nachg<strong>in</strong>g. Festzuhalten<br />
bleibt außerdem der ger<strong>in</strong>ge Anteil der erwerbstätigen Frauen. Im Mai 1951<br />
gaben von <strong>in</strong>sgesamt 397 weiblichen Mitgliedern 372 »Hausfrau« als Beruf an,<br />
standen also offenbar nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em festen und bezahlten Arbeitsverhältnis.<br />
140 <strong>Die</strong> Parteistatistik gibt e<strong>in</strong>e Zahl von 2.572 an. <strong>Die</strong>se ersche<strong>in</strong>t zum e<strong>in</strong>en unrealistisch, zum anderen<br />
würde sich e<strong>in</strong>e von der l<strong>in</strong>ks angegebenen Mitgliederzahl abweichende Summe von Männern und<br />
Frauen ergeben. <strong>Die</strong> Anzahl der Männer wurde daher aus der Differenz der Mitgliederzahl und der -<br />
realistisch ersche<strong>in</strong>enden - Zahl der Frauen ermittelt.<br />
141 SAPMO I 11/20/15. Daneben liegen noch Angaben für August und Juli 1949 vor, die ähnliche Verhältnisse<br />
widerspiegeln.<br />
142 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1787; Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der<br />
Bundesrepublik, a.a.O., S. 68.
82<br />
Tabelle 6: Berufsstruktur<br />
Datum Arbeiter Angestellte, Handwer-<br />
Beamte ker,Selbständige Jul 1949 1781<br />
(55,9%)<br />
Aug 1949 1763<br />
(55,7%)<br />
Dez 1949 1760<br />
(55,8%)<br />
Jan 1950 1614<br />
(54,3%)<br />
Feb 1950 1611<br />
(54,4%)<br />
Mär 1950 1614<br />
(54,6%)<br />
Apr 1950 1618<br />
(54,6%)<br />
Mai 1950 1618<br />
(54,6%)<br />
Jul 1950 1582<br />
(54,5%)<br />
Aug 1950 1615<br />
(54,7%)<br />
Sep 1950 1622<br />
(54,7%)<br />
Okt 1950 1622<br />
(54,7%)<br />
Dez 1950 1350<br />
(51,6%)<br />
Jan 1951 1496<br />
(58,4%)<br />
Feb 1951 1463<br />
(59,9%)<br />
Mär 1951 1459<br />
(60,2%)<br />
Mai 1951 1125<br />
(48,1%)<br />
Differenz - 656<br />
(- 36,8%<br />
348<br />
(10,9%)<br />
340<br />
(10,8%)<br />
340<br />
(10,8%)<br />
341<br />
(11,5%)<br />
339<br />
(11,5%)<br />
336<br />
(11,4%)<br />
337<br />
(11,4%)<br />
337<br />
(11,4%)<br />
331<br />
(11,4%)<br />
334<br />
(11,3%)<br />
337<br />
(11,4%)<br />
337<br />
(11,4%)<br />
167<br />
(6,4%)<br />
146<br />
(5,7%)<br />
140<br />
(5,7%)<br />
137<br />
(5,7%)<br />
114<br />
(4,9%)<br />
-234<br />
(- 67,2%)<br />
Organisation und Struktur<br />
237<br />
(7,4%)<br />
233<br />
(7,4%)<br />
230<br />
(7,3%)<br />
215<br />
(7,2%)<br />
211<br />
(7,1%)<br />
210<br />
(7,1%)<br />
210<br />
(7,1%)<br />
210<br />
(7,1%)<br />
206<br />
(7,1%)<br />
208<br />
(7%)<br />
210<br />
(7,1%)<br />
210<br />
(7,1%)<br />
177<br />
(6,8%)<br />
107<br />
(4,2%)<br />
103<br />
(4,2%)<br />
103<br />
(4,3%)<br />
158<br />
(6,8%)<br />
-79<br />
(- 33,3%)<br />
Freiberufe Bauern Hausfrauen Rentner,<br />
Invaliden<br />
36<br />
(1,1%)<br />
36<br />
(1,1%)<br />
34<br />
(1,1%)<br />
29<br />
(1%)<br />
29<br />
(1%)<br />
29<br />
(1%)<br />
29<br />
(1%)<br />
29<br />
(1%)<br />
29<br />
(1%)<br />
28<br />
(1%)<br />
29<br />
(1%)<br />
29<br />
(1%)<br />
65<br />
(2,5%)<br />
13<br />
(0,5%)<br />
10<br />
(0,4%)<br />
10<br />
(0,4%)<br />
8<br />
(0,3%)<br />
-28<br />
(- 77,8%)<br />
4<br />
(0,1%)<br />
4<br />
(0,1%)<br />
548<br />
(17,2%)<br />
543<br />
(17,2%)<br />
0 546<br />
(17,3%)<br />
0 532<br />
(17,9%)<br />
0 530<br />
(17,9%)<br />
0 529<br />
(17,9%)<br />
0 530<br />
(17,9%)<br />
0 530<br />
(17,9%)<br />
0 527<br />
(18,1%)<br />
0 530<br />
(18%)<br />
0 530<br />
(17,9%)<br />
0 530<br />
(17,9%)<br />
4<br />
(0,2%)<br />
2<br />
(0,1%)<br />
2<br />
(0,1%)<br />
2<br />
(0,1%)<br />
2<br />
(0,1%)<br />
-2<br />
(- 50%)<br />
290<br />
(11,1%)<br />
328<br />
(12,8%)<br />
305<br />
(12,5%)<br />
303<br />
(12,5%)<br />
372<br />
(15,9%)<br />
-176<br />
(- 32,1%)<br />
246<br />
(7,7%)<br />
243<br />
(7,7%)<br />
242<br />
(7,7%)<br />
243<br />
(8,2%)<br />
241<br />
(8,1%)<br />
239<br />
(8,1%)<br />
238<br />
(8%)<br />
238<br />
(8%)<br />
230<br />
(7,9%)<br />
238<br />
(8,1%)<br />
238<br />
(8%)<br />
238<br />
(8%)<br />
232<br />
(8,9%)<br />
269<br />
(10,5%)<br />
238<br />
(9,8%)<br />
233<br />
(9,6%)<br />
317<br />
(13,5%)<br />
+71<br />
(+ 28,7%)<br />
Erwerbslose<br />
332<br />
(12,7%)<br />
200<br />
(7,8%)<br />
181<br />
(7,4%)<br />
175<br />
(7,2%)<br />
245<br />
(10,4%)
4. Sub- und Neben<strong>org</strong>anisationen<br />
Organisation und Struktur 83<br />
Als Sub- und Neben<strong>org</strong>anisationen der <strong>KPD</strong> können solche Verbände betrachtet<br />
werden, die unter unmittelbarem E<strong>in</strong>fluss der Partei standen, und mit deren Hilfe<br />
politische Inhalte und Aktionen <strong>in</strong> nichtkommunistische oder sympathisierende<br />
Kreise der Bevölkerung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen werden sollten, um so e<strong>in</strong>e breitere Massenwirkung<br />
kommunistischer Politik zu erreichen. Das Spektrum dieser partei<strong>in</strong>tern<br />
sogenannten »Massen<strong>org</strong>anisationen« war breit gefächert und erstreckte sich<br />
auf nahezu alle relevanten gesellschaftlichen und politischen Bereiche. 143 Von mehr<br />
als nur temporärer Bedeutung waren dabei allerd<strong>in</strong>gs nur wenige dieser Organisationen.<br />
In <strong>Bremen</strong> waren dies vor allem die »Freie Deutsche Jugend« (FDJ), die<br />
»Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft« (GdsF) und der »Demokratische<br />
Frauenbund Deutschlands« (DFD). <strong>Die</strong>se waren zum e<strong>in</strong>en die Organisationen,<br />
die unmittelbar unter Anleitung der <strong>KPD</strong> arbeiteten, zum anderen diejenigen,<br />
die <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> von Verboten betroffen waren. 144 Daneben existierten weitere kle<strong>in</strong>ere<br />
Organisationen, deren Bedeutung und Mitgliederzahl wesentlich ger<strong>in</strong>ger war.<br />
Zu den unter E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> stehenden Massen<strong>org</strong>anisationen müssen außerdem<br />
die »Vere<strong>in</strong>igung der Verfolgten des Naziregimes« (VVN) sowie das Landesfriedenskomitee<br />
(LFK) gerechnet werden, die jedoch beide e<strong>in</strong>en gewissen Sonderstatus<br />
<strong>in</strong>nehatten.<br />
<strong>Die</strong> genannten und im folgenden näher betrachteten Massen<strong>org</strong>anisationen waren<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> eng <strong>in</strong> das politische Konzept und die Planung von Aktionen der<br />
<strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>bezogen. Ab 1950 galt dies vor allem für die Friedenspolitik: »Massen<strong>org</strong>anisationen<br />
s<strong>in</strong>d der Hebel der Partei für den Kampf um den Frieden«, so brachte es<br />
1951 Rudolf Rafoth auf den Punkt. 145 Dementsprechend eng war die Anleitung<br />
durch die Partei. Das Sekretariat führte geme<strong>in</strong>same Besprechungen mit den Massen<strong>org</strong>anisationen<br />
durch, 146 Vertreter(<strong>in</strong>nen) der FDJ, des LFK und des DFD nahmen<br />
außerdem regelmäßig an Sekretariatssitzungen teil. <strong>Die</strong> Kontrolle durch die<br />
Parteileitung g<strong>in</strong>g bis zu der V<strong>org</strong>abe an die wichtigsten Massen<strong>org</strong>anisationen,<br />
»zu allen Aktionen und wichtigen Arbeiten« Vorlagen an das Sekretariat e<strong>in</strong>zureichen,<br />
die dann dort beraten werden sollten. 147 Es gab außerdem <strong>in</strong> der Landesleitung<br />
e<strong>in</strong>e eigene Abteilung für Massen<strong>org</strong>anisationen sowie e<strong>in</strong>en dafür zuständigen<br />
Sekretär. 148 Trotz dieses klaren Führungsanspruches der Parteileitung war das<br />
143 E<strong>in</strong>e 1954 veröffentlichte Liste des antikommunistischen »Volksbund für Frieden und Freiheit« nannte<br />
<strong>in</strong>sgesamt 200 »Tarn<strong>org</strong>anisationen«; e<strong>in</strong>e sicherlich übertriebene Zahl, aber dennoch Beleg für die<br />
quantitative Bedeutung. Vgl. <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1782;<br />
Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, S. 108.<br />
144 Siehe auch die Auflistung aller <strong>in</strong> den Bundesländern verbotenen Organisationen bei Hans Kluth, <strong>Die</strong><br />
<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 131f.<br />
145 Protokoll der Sekretariatssitzung am 10. Januar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/6.<br />
146 Siehe z.B. Bericht über die Besprechung mit den verantwortlichen Genossen der Massen-Organisationen am<br />
12.10.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
147 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 12. September 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/6.<br />
148 E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Materialbestand dieser Abteilung f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/18.
84<br />
Organisation und Struktur<br />
Verhältnis der Massen<strong>org</strong>anisationen zur <strong>KPD</strong> nicht immer widerspruchsfrei und<br />
konfliktlos. In allen Massen<strong>org</strong>anisationen s<strong>in</strong>d vorsichtige Abgrenzungsversuche<br />
zur Partei festzustellen, die sich vor allem daraus ergaben, dass die <strong>KPD</strong>-Vertreter<br />
<strong>in</strong> den Massen<strong>org</strong>anisationen den Anspruch der Überparteilichkeit ernstzunehmen<br />
versuchten.<br />
<strong>Die</strong> »Freie Deutsche Jugend« (FDJ)<br />
<strong>Die</strong> FDJ kann als Jugend<strong>org</strong>anisation der <strong>KPD</strong> bezeichnet werden, obwohl sie dies<br />
offiziell nicht war und nach ihrem eigenen Selbstverständnis auch und gerade Jugendlichen<br />
offen stehen sollte, die nicht Parteimitglieder waren. Innerhalb der Massen<strong>org</strong>anisationen<br />
wurde der FDJ e<strong>in</strong> besonders großer Stellenwert beigemessen,<br />
der auch <strong>in</strong> der ungünstigen Altersstruktur der Partei begründet lag. <strong>Die</strong>sem Anspruch<br />
konnte die FDJ allerd<strong>in</strong>gs nie gerecht werden, weder h<strong>in</strong>sichtlich ihrer Mitgliederzahlen<br />
und -zusammensetzung noch bezüglich ihres E<strong>in</strong>flusses unter den<br />
Jugendlichen.<br />
Auf dem Gebiet der Westzonen gab es bereits im Sommer <strong>1945</strong> erste Versuche,<br />
e<strong>in</strong>e »Freie Deutsche Jugend« zu bilden, die vornehmlich auf deutsche Emigranten<br />
<strong>in</strong> verschiedenen europäischen Ländern - vor allem Großbritannien - zurückg<strong>in</strong>gen,<br />
die bereits seit 1936 unter diesem Namen antifaschistische Gruppen gebildet hatten.<br />
149 <strong>Die</strong> erste Zulassung durch die Besatzungsbehörden erhielt die FDJ im November<br />
<strong>1945</strong> <strong>in</strong> Hamburg. 150 In <strong>Bremen</strong> erhielt die FDJ im Sommer 1947 e<strong>in</strong>e Lizenz,<br />
nachdem bereits seit <strong>1945</strong> verschiedene kommunistisch orientierte Jugendgruppen<br />
unter verschiedenen Namen (»Frisch auf«, »Frei weg« oder »Voran«) existiert<br />
hatten. 151 Sie wurde <strong>in</strong> der Folgezeit mit etwa 250 - 300 Mitgliedern für e<strong>in</strong>ige<br />
Zeit zur stärksten und aktivsten politischen Jugend<strong>org</strong>anisation im Land <strong>Bremen</strong>.<br />
152 Im Stadtgebiet <strong>Bremen</strong> existierten 1949 vier FDJ-Gruppen - die stärkste davon<br />
mit 70 Mitgliedern -, <strong>in</strong> Vegesack/<strong>Bremen</strong>-Nord lediglich e<strong>in</strong>e. 153 In Bremerhaven<br />
gründete sich erst im Februar 1950 e<strong>in</strong>e feste Gruppe von 30 Mitgliedern. 154<br />
Mit Gerd Lieberum stellte die FDJ den ersten Sprecher des sogenannten Siebenerrates,<br />
der als e<strong>in</strong>e Art Geschäftsführung des im Juni 1947 gegründeten Bremer Jugendtages<br />
fungierte. Lieberum musste aber auf Drängen der Militärregierung bereits<br />
drei Monate später von diesem Amt wieder zurücktreten. 155<br />
149 Vgl. Karl-He<strong>in</strong>z Jahnke: 26. Juni 1951 - Das Verbot der Freien Deutschen Jugend, Essen 1996, S. 28.<br />
150 Ebenda.<br />
151 Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot! 80 Jahre Bremer Arbeiterjugendbewegung, 40<br />
Jahre Landesjugendr<strong>in</strong>g, <strong>Bremen</strong> 1987, S. 52f.<br />
152 Ebenda, S. 53. Auch Herbert Breidbach, 1948 - 1951 hauptamtlicher Funktionär der Bremer FDJ, bestätigt<br />
diese E<strong>in</strong>schätzung und spricht von »etwa 350 Mitgliedern <strong>in</strong> der Blütezeit« (Interview Breidbach,<br />
2).<br />
153 Bericht des Genossen K.E. Reuter über se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Wahlkampagne Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong> (1. August<br />
1949), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
154 Protokoll der komb<strong>in</strong>ierten Sekretariatssitzung am 16.3.1950 im Parteihaus, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
155 Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 55 und S. 57.
Organisation und Struktur 85<br />
<strong>Die</strong> Gründung bzw. Beteiligung an e<strong>in</strong>er zwar kommunistisch dom<strong>in</strong>ierten, aber<br />
überparteilichen Jugend<strong>org</strong>anisation war <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> ke<strong>in</strong>eswegs unumstritten.<br />
Bis 1948 gab es <strong>in</strong> der Partei auch Bestrebungen, wieder e<strong>in</strong>e eigene Jugend<strong>org</strong>anisation<br />
nach dem Vorbild des KJVD der Weimarer Republik zu etablieren. So gab es<br />
denn <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> parallel zur FDJ auch e<strong>in</strong>e Bezirksjugendabteilung der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong> der<br />
allerd<strong>in</strong>gs nur etwa 20 Mitglieder <strong>org</strong>anisiert waren. 156 Der Parteivorstand beschloss<br />
schließlich 1948 die Auflösung aller Parteijugend<strong>org</strong>anisationen und die<br />
Überführung ihrer Mitglieder <strong>in</strong> die FDJ, 157 was angesichts der Mitgliederverhältnisse<br />
e<strong>in</strong> folgerichtiger Entschluss war.<br />
Ohneh<strong>in</strong> war die FDJ bereits zu diesem Zeitpunkt faktisch e<strong>in</strong>e Jugend<strong>org</strong>anisation<br />
der <strong>KPD</strong>. <strong>Die</strong>s wurde schon daran deutlich, dass der Leiter der der dann aufgelösten<br />
Bezirksjugendabteilung sofort hauptamtlicher Organisationssekretär der FDJ<br />
wurde. Genau wie er waren die anderen vier Sekretäre Mitglieder der <strong>KPD</strong>. Auch<br />
waren etwa 75 Prozent der FDJ-Mitgliedschaft Mitglieder der Partei, oder aber sie<br />
stammten zum<strong>in</strong>dest aus kommunistischen Familien. 158 Konnten diese Verhältnisse<br />
zu diesem Zeitpunkt eventuell noch als kommunistische Dom<strong>in</strong>anz e<strong>in</strong>er an sich<br />
überparteilichen Organisation <strong>in</strong>terpretiert werden, so wurden <strong>in</strong> der Folgezeit die<br />
<strong>org</strong>anisatorischen und <strong>in</strong>haltlichen Abhängigkeiten von der <strong>KPD</strong> deutlicher. Fragen<br />
der FDJ und der Jugendpolitik wurden regelmäßig im Sekretariat der Partei behandelt<br />
- gelegentlich gar als e<strong>in</strong>ziger Tagesordnungspunkt - 159, und Sekretäre der FDJ<br />
wurden ab 1950 regelmäßig zu Sekretariatssitzungen h<strong>in</strong>zugezogen 160. Gleichzeitig<br />
wurde versucht, die FDJ auf die politische und vor allem auf die <strong>org</strong>anisatorische<br />
L<strong>in</strong>ie der <strong>KPD</strong> im Zuge der Umwandlung zur »Partei neuen Typus« zu orientieren.<br />
<strong>Die</strong>s war Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre noch nicht so selbstverständlich<br />
und e<strong>in</strong>fach wie es vielleicht ersche<strong>in</strong>en mag. Alle politischen Jugend<strong>org</strong>anisationen<br />
der Nachkriegszeit basierten zwar auf politischen, vor allem antifaschistischen<br />
Grundüberzeugungen, der Schwerpunkt der Aktivitäten aber lag zu dieser Zeit eher<br />
im Kultur-, Freizeit- und Bildungsbereich wie z.B. geme<strong>in</strong>same Ausflugsfahrten,<br />
Bildungs- und Leseabende, Tanzveranstaltungen etc., jedoch weniger <strong>in</strong> politischen<br />
Aktionen oder Demonstrationen. 161 Der öffentliche Ausdruck politischer Ges<strong>in</strong>nung<br />
erschöpfte sich weitgehend <strong>in</strong> Aktionen wie dem Ausschütten von »Coca<br />
Cola« <strong>in</strong> Jugendheimen oder der Ablehnung des »Ause<strong>in</strong>andertanzens« - beides <strong>in</strong><br />
den Augen der FDJ Ausdrücke des amerikanischen Imperialismus. 162<br />
156 Interview Breidbach, 2.<br />
157 Ebenda.<br />
158 Ebenda.<br />
159 Protokoll der komb<strong>in</strong>ierten Sekretariatssitzung am 16.3.1950 im Parteihaus, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
160 <strong>Die</strong>s waren vor allem Karl Gautier (Bruder des späteren Ersten Landesvorsitzenden Hermann Gautier),<br />
Gerd Lieberum und Herbert Breidbach.<br />
161 Vgl. Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 50ff.; Karl-He<strong>in</strong>z Schwe<strong>in</strong>gruber:<br />
»Ohne uns!« - Jugendverbände im Kalten Krieg, <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge et al. (Hrsg.): <strong>Bremen</strong> im<br />
Kalten Krieg. Zeitzeug(<strong>in</strong>n)en berichten aus den 50er und 60er Jahren: West<strong>in</strong>tegration - Wiederbewaffnung<br />
- Friedensbewegung, <strong>Bremen</strong> 1991, S. 101-109.<br />
162 Vgl. Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 59.
86<br />
Organisation und Struktur<br />
Mit Beg<strong>in</strong>n der 1950er Jahre wurde versucht, die politische Arbeit der FDJ zielgerichteter<br />
zu <strong>org</strong>anisieren, z.B. mit der Erstellung e<strong>in</strong>es Schwerpunktprogramms,<br />
das aber, so der damalige FDJ-Sekretär Karl Gautier wörtlich, von vornhere<strong>in</strong><br />
»Panne« war, da »zuviel Probleme auf e<strong>in</strong>mal gestellt worden« seien. 163 Auch die<br />
<strong>org</strong>anisatorische Umgestaltung im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er straff geführten, zentralistisch aufgebauten<br />
Jugend<strong>org</strong>anisation der <strong>KPD</strong> stieß bei der Mitgliedschaft des Jugendverbandes<br />
zunächst auf Kritik, wie auf e<strong>in</strong>er Landesvorstandssitzung der FDJ im November<br />
1950 deutlich wurde. Es herrschte, so der Berichterstatter, »e<strong>in</strong> ziemlich<br />
verbreitetes Misstrauen gegen die Leitung [...]. <strong>Die</strong> Arbeit des Sekretariats wird von<br />
vielen Freunden lediglich als e<strong>in</strong>e unterstützende Tätigkeit für das Jugendleben der<br />
Gruppen betrachtet und die Bedeutung der Leitung als politische Führung unterschätzt.<br />
Das Pr<strong>in</strong>zip des demokratischen Zentralismus ist noch nicht generell anerkannt.«<br />
164<br />
Parallel zur und wahrsche<strong>in</strong>lich auch als Konsequenz der ausschließlichen Orientierung<br />
auf die <strong>KPD</strong> wurde der FDJ auch der E<strong>in</strong>fluss auf die Zielgruppe »Jugend«<br />
und die Bremer Jugend<strong>org</strong>anisationen entzogen. Ähnlich wie die Mutterpartei<br />
wurde sie im Zuge des Kalten Krieges zunehmend isoliert und aus dem legalen<br />
politischen Spektrum verdrängt. <strong>Die</strong>s hatte zum e<strong>in</strong>en selbstverschuldete Gründe -<br />
nämlich die Nichtberücksichtigung von Interessen und Bedürfnissen der Mehrheit<br />
der Jugendlichen -, war aber auch zurückzuführen auf e<strong>in</strong>en wachsenden Antikommunismus,<br />
der die übrigen Jugendverbände erfasste, sowie Maßnahmen der Besatzungsmacht<br />
und der politischen Justiz. Der durch andere Jugend<strong>org</strong>anisationen sowie<br />
dem zuständigen amerikanischen Offizier erzwungene Rücktritt Gerd Lieberums<br />
als Sprecher der wichtigsten Bremer Jugend<strong>org</strong>anisationen war nur der Auftakt<br />
für weitere Beh<strong>in</strong>derungen <strong>in</strong> den folgenden Jahren, bis h<strong>in</strong> zur juristischen<br />
Verfolgung und schließlich dem bereits 1951 erfolgten Verbot. Ende 1948 wählte<br />
der Bremer Jugendtag Martha Fahrenberg zur Vorsitzenden, auch sie musste e<strong>in</strong><br />
halbes Jahr später zurücktreten, weil sie kurz zuvor der FDJ beigetreten war. 165 Ab<br />
1950 wurde der FDJ <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die Benutzung der Jugendheime untersagt, 166 und<br />
sie wurde aus dem Landesjugendr<strong>in</strong>g ausgeschlossen 167.<br />
Das im Juni 1951 vom Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isterium verfügte Verbot der FDJ kam<br />
also nicht mehr überraschend, stellte aber dennoch - da es das erste Verbot e<strong>in</strong>er<br />
größeren kommunistischen Organisation war - e<strong>in</strong>e weitere Verschärfung staatlicher<br />
Maßnahmen gegen die <strong>KPD</strong> dar. Rechtlich war dieses Verbot zweifelhaft, wie<br />
Alexander von Brünneck feststellt: »Vor allem hatte der Beschluss der Bundesregierung<br />
nicht die von ihm beanspruchte Wirkung e<strong>in</strong>es förmlichen Verbotes, denn es<br />
163 Protokoll der komb<strong>in</strong>ierten Sekretariatssitzung am 16.3.1950 im Parteihaus, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
164 Landesvorstandsitzung <strong>Bremen</strong> 5.11.50 [FDJ], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
165 Vgl. Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 56.<br />
166 Ebenda, S. 66.<br />
167 Vgl. ebenda, S. 68. In den Bundesjugendr<strong>in</strong>g war die FDJ 1949 erst gar nicht aufgenommen worden,<br />
was jetzt als Begründung für ihren Ausschluss aus dem Bremer Landesjugendr<strong>in</strong>g v<strong>org</strong>ebracht wurde.
Organisation und Struktur 87<br />
fehlte an e<strong>in</strong>er rechtwirksamen Auflösungsverfügung.« 168 Erst mehr als drei Jahre<br />
später, im Juli 1954, wurde das Verbot durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt.<br />
169 Trotz der fehlenden rechtlichen Grundlage war die FDJ faktisch seit 1951 illegalisiert<br />
und ihre Mitglieder e<strong>in</strong>er strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt.<br />
<strong>Die</strong>s galt auch für <strong>Bremen</strong>, wo das Verbot 1951 erst »gut e<strong>in</strong>en Monat später als<br />
<strong>in</strong> den anderen Bundesländern umgesetzt« wurde. 170 <strong>Die</strong> faktische Illegalisierung<br />
hatte zur Folge, dass die beiden bereits zuvor absehbaren Entwicklungsl<strong>in</strong>ien der<br />
FDJ sich nun manifestierten: <strong>Die</strong> Mitgliederzahl nahm weiter drastisch ab, die aktiven<br />
FDJler rekrutierten sich nunmehr fast ausschließlich aus dem Kreis der <strong>KPD</strong>,<br />
gleichzeitig wurde die Jugend<strong>org</strong>anisation nun endgültig ideologisch und materiell<br />
abhängig von der Partei. <strong>Die</strong> Zahl der <strong>in</strong> den Folgejahren noch aktiven FDJ-Mitglieder<br />
ist nicht genau zu bestimmen. Hermann Gautier sprach auf e<strong>in</strong>er Parteivorstandssitzung<br />
1954 von »sieben oder acht Gruppen« im Kreis <strong>Bremen</strong>, sowie zwei<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord und e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Bremerhaven. 171 <strong>Die</strong>sdecktsich<strong>in</strong>etwamitdenAngaben<br />
bei Merkel und Oldigs, die für den gesamten Landesverband 1954 neun<br />
Gruppen mit 70-80 Mitgliedern nennen. 172 Berücksichtigt man, dass die <strong>KPD</strong> im<br />
Land <strong>Bremen</strong> schon im Mai 1951 kaum mehr als 100 Mitglieder unter 25 Jahre hatte,<br />
sche<strong>in</strong>en diese Zahlen realistisch zu se<strong>in</strong>. Neben dem Rückgang der Mitgliederzahlen<br />
verstärkte sich mit dem Verbot auch die Isolation gegenüber anderen Bremer<br />
Jugendgruppen. Bereits Ende 1951 schrieb e<strong>in</strong> Instrukteur, »die FDJ <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ist<br />
e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e illegale Gruppe, die ke<strong>in</strong>erlei Verb<strong>in</strong>dung zur Gewerkschaftsjugend,<br />
christlichen Jugend oder anderen Jugendverbänden hat. Nur e<strong>in</strong> Stadtteil hat Verb<strong>in</strong>dung<br />
zu e<strong>in</strong>igen Falken.« 173 Ähnliches berichtete e<strong>in</strong> Instrukteur über die seit<br />
dem Verbot partei<strong>in</strong>tern »Verband« genannte FDJ und ihr Auftreten vor der Bundestagswahl<br />
1953: »Der Verband, soweit man überhaupt noch von e<strong>in</strong>er bestehenden<br />
Organisation sprechen kann, ist während des Wahlkampfes selbst nicht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung<br />
getreten. <strong>Die</strong> Mitglieder s<strong>in</strong>d bis auf wenige Ausnahmen Mitglieder unserer<br />
Partei, bef<strong>in</strong>den sich aber vollkommen <strong>in</strong> der Isolierung, haben nur vere<strong>in</strong>zelt<br />
Verb<strong>in</strong>dung zu den Falken und der Gewerkschaftsjugend.« 174<br />
<strong>Die</strong>se Schwierigkeiten waren wohl auch <strong>in</strong> <strong>org</strong>anisatorischen Problemen begründet,<br />
die nicht ausschließlich auf den Mitgliederverlust zurückzuführen waren.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> selbst tat sich offenbar schwer, die Rolle der FDJ und ihr eigenes Verhältnis<br />
zu der Jugend<strong>org</strong>anisation zu bestimmen. Zwar wurde bereits kurz nach dem<br />
Verbot e<strong>in</strong>e weitgehende Kontrolle und Anleitung der FDJ durch das Sekretariat<br />
168 Vgl. Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland<br />
1949 - <strong>1968</strong>, Frankfurt a.M. 1978, S. 64f. Außerdem umfassend Karl-He<strong>in</strong>z Jahnke, 26. Juni 1951 -<br />
Das Verbot der Freien Deutschen Jugend, a.a.O.<br />
169 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 64f.<br />
170 Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 68.<br />
171 Stenographische Niederschrift der 16. Parteivorstandstagung der Kommunistischen Partei Deutschlands am 16.<br />
und 17. Nov. 1954, <strong>in</strong>: SAPMO IV/2/10.03/241.<br />
172 Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 68. <strong>Die</strong> Autoren berufen sich auf Prozessakten.<br />
173 Bericht über <strong>Bremen</strong> aus der Zeit vom 20.11.-18.12.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
174 Land: <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht, 14.9.1953], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.
88<br />
Organisation und Struktur<br />
der Partei beschlossen, 175 gleichzeitig aber wurde be<strong>in</strong>ahe übervorsichtig darauf<br />
geachtet, ke<strong>in</strong>en <strong>org</strong>anisatorischen Zusammenhang der <strong>KPD</strong> zur illegalen FDJ <strong>in</strong><br />
der Öffentlichkeit deutlich werden zu lassen. <strong>Die</strong>s g<strong>in</strong>g soweit, dass e<strong>in</strong>e Zeit lang<br />
FDJ-Mitgliedern sogar untersagt wurde, Parteiversammlungen zu besuchen oder<br />
auch nur das Parteihaus zu betreten. 176 H<strong>in</strong>zu kamen starre formelle Organisationsschemata,<br />
die Hermann Gautier 1954 auf e<strong>in</strong>er Parteivorstandssitzung anschaulich<br />
und selbstkritisch schilderte:<br />
»Da gibt es e<strong>in</strong> Landessekretariat, Kreissekretariate und Gruppenleiter. <strong>Die</strong> Methode sieht so<br />
aus: Vorbereitung der Landessekretariatssitzungen, Landessekretariatssitzung selbst, Vorbereitung,<br />
also Aussprache mit den Kreissekretären, also Vorbereitung der Kreissekretariatssitzung,<br />
dann die Anleitung der Gruppenleiter und dann die Gruppenmitgliederversammlungen.<br />
Praktisch sieht das so aus [...], dass die <strong>in</strong> der ganzen Woche nur daran arbeiten, dass die<br />
Funktionäre und Mitglieder des Verbandes ausgerichtet werden, und Sonnabends und Sonntags<br />
machen sie die Gruppenversammlungen, also an den Tagen, wo es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie darauf<br />
ankommt, Massenarbeit zu machen, wo die Gewerkschaftsjugend nach draußen geht, die Naturfreunde<br />
nach draußen gehen. Also dann, wenn wir bei den Massen se<strong>in</strong> müssten, s<strong>in</strong>d wir<br />
schön abgeschlossen und isoliert [...].« 177<br />
Gautier fügte h<strong>in</strong>zu, dass »zweifellos« die Partei für die Lage der FDJ verantwortlich<br />
sei und forderte weniger formelle und <strong>in</strong>haltliche Schematismen - freilich<br />
ohne zu erwähnen, dass diese ihr Vorbild <strong>in</strong> der bürokratischen Struktur der <strong>KPD</strong><br />
selbst hatten. Er kritisierte außerdem, das Material der FDJ sei »zu stur, zu wenig<br />
auf die Jugend selbst zugeschnitten, also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sprache abgefasst, die die Jugend<br />
manchmal nicht versteht [...].«<br />
Der Parteileitung waren die Probleme der FDJ und der gesamten Jugendpolitik<br />
der <strong>KPD</strong> also bewusst, und tatsächlich wurde <strong>in</strong> den folgenden Jahren verstärkt<br />
versucht, mehr auf die Bedürfnisse der Jugend e<strong>in</strong>zugehen und die <strong>KPD</strong> für die <strong>in</strong><br />
der Partei völlig unterrepräsentierte Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen attraktiver<br />
zu machen. Sichtbarer Ausdruck dieser Bemühungen war zunächst die Gründung<br />
e<strong>in</strong>er Landes-Jugendkommission Ende 1955, die, so der Beschluss des Sekretariats,<br />
»sich ständig e<strong>in</strong>en guten Überblick über die Lage der Jugend und die Jugendarbeit«<br />
verschaffen und die Erkenntnisse <strong>in</strong> Vorschläge und Aktionen umsetzen sollte.<br />
178 In der Folgezeit wurden verstärkt Tanzabende, Filmvorführungen und Diskussionsveranstaltungen<br />
durchgeführt. 179 Aus den Reihen der FDJ selbst entstand<br />
die Kabarett-Gruppe »Bremer Spatzen«, die auch auf Veranstaltungen außerhalb<br />
175 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 12. September 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/6. <strong>Die</strong> FDJ sollte<br />
»zu allen Aktionen und wichtigen Arbeiten« Vorlagen an das Landessekretariat e<strong>in</strong>reichen, die dann<br />
dort besprochen wurden. Außerdem sollten alle vier Wochen e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Besprechung durchgeführt<br />
werden.<br />
176 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 21.2. bis 20.3.1952 [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13. Pikanterweise<br />
war es die FDJ selbst, die ihren Mitgliedern das Betreten des Parteihauses verbot und bei Parteitagungen<br />
sogar Wachposten aufstellte (Protokoll der LSS am 5.2.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8).<br />
177 Stenographische Niederschrift der 16. Parteivorstandstagung der Kommunistischen Partei Deutschlands am 16.<br />
und 17. Nov. 1954, <strong>in</strong>: SAPMO IV/2/10.03/241.<br />
178 Beschluss über Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit unter der Jugend [28. Dez. 1955], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/9<br />
179 E<strong>in</strong>satz: vom 18.6.-14.7.1956, Land: <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.
Organisation und Struktur 89<br />
der Partei auftrat. 180 Auch wenn diese Aktivitäten durchaus e<strong>in</strong>e neue Qualität <strong>in</strong><br />
der Jugendarbeit der <strong>KPD</strong> darstellten und auch e<strong>in</strong>ige kle<strong>in</strong>ere Erfolge zeigten 181,<br />
kamen sie dennoch mehrere Jahre zu spät und implizierten gleichzeitig das E<strong>in</strong>geständnis<br />
des Scheiterns der FDJ seit 1949 sowie des Konzepts e<strong>in</strong>er v<strong>org</strong>eblich überparteilichen<br />
Jugend<strong>org</strong>anisation, welche tatsächlich viel zu eng <strong>in</strong> das ideologische<br />
und <strong>org</strong>anisatorische Korsett der <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>gespannt war. Dabei führten nicht nur die<br />
von außen gegebenen Zwänge der Illegalität und der Kontrolle durch die Partei die<br />
FDJ <strong>in</strong> die Isolation, vielmehr war es auch die eigene, bereits vor dem Verbot deutlich<br />
gewordene »Scheuklappenmentalität« ihrer Führungskräfte, die e<strong>in</strong>e Aufrechterhaltung<br />
ihres anfänglichen E<strong>in</strong>flusses unmöglich machte.<br />
<strong>Die</strong> »Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft« (GdsF)<br />
<strong>Die</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik im Februar 1950 gegründete GdsF sollte, so das Programm,<br />
»die Wahrheit über das gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und<br />
kulturelle Leben <strong>in</strong> der Sowjetunion [...] verbreiten«, um »die Hasspropaganda gegen<br />
die Sowjetunion zu überw<strong>in</strong>den und e<strong>in</strong>e Atmosphäre des Vertrauens zwischen<br />
dem deutschen und sowjetischen Volk herzustellen«. 182 Mit dieser Zielrichtung<br />
wirkte die Organisation <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf kulturellem Gebiet: Sie veranstaltete<br />
Filmabende mit sowjetischen Spiel- oder Dokumentarfilmen, lud Tanz- und Musikgruppen<br />
aus der DDR und der Sowjetunion e<strong>in</strong> oder <strong>org</strong>anisierte Lesungen sowjetischer<br />
Literatur.<br />
In <strong>Bremen</strong> gelang der Gesellschaft dies offenbar relativ gut. In den Selbste<strong>in</strong>schätzungen<br />
des Sekretariats hieß es bereits im November 1950, die GdsF entwickle<br />
sich »günstig«, 183 und im gleichen Zeitraum berichtete die zuständige Abteilung<br />
für Massen<strong>org</strong>anisationen der Landesleitung: »<strong>Die</strong> räumlichen und technischen<br />
Vorbed<strong>in</strong>gungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> gut und sicher besser als <strong>in</strong> den meisten anderen<br />
Ländern Westdeutschlands. E<strong>in</strong> für westdeutsche Verhältnisse reichhaltiges Filmmaterial<br />
und eigene Apparate stehen zur Verfügung«. 184 E<strong>in</strong>Jahrspäterberichtete<br />
e<strong>in</strong> Instrukteur, die GdsF sei gar »die Massen<strong>org</strong>anisation, die <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am besten<br />
arbeitet, die die breiteste Basis hat und es versteht, neue Kräfte <strong>in</strong> die Organisation<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuziehen«. 185<br />
Entsprechend dieser relativ günstigen Voraussetzungen stabilisierte sich auch<br />
die Mitgliederzahl sehr schnell. Ende 1950 hatte die GdsF <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> etwa 200 Mit-<br />
180 Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 70f.<br />
181 Alle Veranstaltungen, so e<strong>in</strong> Instrukteur, seien ȟberraschenderweise gut besucht und weitere solche<br />
und ähnliche Veranstaltungen werden von den Jugendlichen gewünscht und weiterh<strong>in</strong> durchgeführt«<br />
(E<strong>in</strong>satz: vom 18.6.-14.7.1956, Land: <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14).<br />
182 5 Jahre Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft 1950-1955, Broschüre o.O., o.J. [1955].<br />
183 Protokoll von der Landesvorstandssitzung am 19. November 1950, Waller R<strong>in</strong>g 41, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
184 Bericht der Abt. Massen<strong>org</strong>anisationen für die Zeit vom 20. November 1950 bis 13. Januar 1951. (Dem Landesvorstand<br />
auf se<strong>in</strong>er 16. Sitzung am 14.1.51 erstattet), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
185 Bericht über <strong>Bremen</strong> aus der Zeit vom 20.11.-18.12.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.
90<br />
Organisation und Struktur<br />
glieder, von denen ca. 40 Prozent auch Mitglieder der <strong>KPD</strong> waren. 186 Glaubt man<br />
den Angaben des Ersten Sekretärs der Gesellschaft <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, stieg die Mitgliederzahl<br />
<strong>in</strong> den folgenden drei Jahren sogar um mehr als das doppelte an: 1954 wurden<br />
<strong>in</strong> den drei Kreisen <strong>Bremen</strong>s <strong>in</strong>sgesamt 488 Mitglieder <strong>in</strong> 17 Gruppen verzeichnet,<br />
h<strong>in</strong>zu kamen drei Kreise im niedersächsischen Umland, so dass die Landes<strong>org</strong>anisation<br />
650 Mitglieder umfasste. <strong>Die</strong> Mitglieder kamen allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> ihrer großen<br />
Mehrheit (60 bis 70 Prozent) aus der <strong>KPD</strong>, angeblich waren jedoch auch 25 Prozent<br />
<strong>in</strong> der SPD. Der Landesvorstand sowie die Kreisvorstände war ebenfalls von Kommunisten<br />
dom<strong>in</strong>iert, das Sekretariat bestand ausschließlich aus <strong>KPD</strong>-Mitgliedern.<br />
187<br />
Trotz dieser Dom<strong>in</strong>anz war das Verhältnis der GdsF zur <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong> zwiespältiges.<br />
Auf e<strong>in</strong>er Sekretariatssitzung im November 1954 wurde die mangelnde B<strong>in</strong>dung<br />
von Kommunisten <strong>in</strong> der GdsF an die Partei kritisiert:<br />
»Es gibt zwei Organisationen - der Gesangvere<strong>in</strong> und die Gesellschaft - wo wir feststellen,<br />
dass sie ke<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zur Partei haben, oder nur ganz wenig und nicht das se<strong>in</strong> können,<br />
was sie se<strong>in</strong> sollen, nämlich den anderen Mitgliedern der Gesellschaft e<strong>in</strong> höheres Bewusstse<strong>in</strong><br />
zu geben. Es gibt e<strong>in</strong>e Reihe Genossen, die desertieren vor der Parteiarbeit zur Gesellschaft<br />
oder Gesangvere<strong>in</strong>. Wenn man mit ihnen spricht, sagen sie: wir machen Massenarbeit.<br />
Aber die besteht nur im Besuch von Film- und anderen Kulturveranstaltungen.« 188<br />
In der Tat war also die hauptsächlich kulturell geprägte GdsF auch e<strong>in</strong>e Rückzugsmöglichkeit<br />
von der offenbar unangenehmeren eigentlichen politischen Arbeit<br />
im S<strong>in</strong>ne des Sekretariats. Programmatisch natürlich auf e<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ie mit der <strong>KPD</strong><br />
versuchte die GdsF sich offenbar dennoch gelegentlich von der Partei abzugrenzen,<br />
was Wilhelm Meyer-Buer auf der erwähnten Sekretariatssitzung zu der Bemerkung<br />
veranlasste, das »Verhältnis zwischen der Partei und der Gesellschaft ist hier bei<br />
uns nicht normal und gesund«. 189 Er zitierte e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied der GdsF:<br />
»Wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e selbständige Organisation, wir rennen nicht h<strong>in</strong>ter der Partei her. Ihr<br />
verlangt, wenn wir hier was durchführen, sollen wir das der Partei melden. Das<br />
haben wir nicht nötig«. 190 Solche gelegentlichen - bei nahezu allen Massen<strong>org</strong>anisationen<br />
zu beobachtenden - Abgrenzungsversuche führten aber zu ke<strong>in</strong>erlei weitergehenden<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzungen oder gar programmatischen Gegensätzen mit der<br />
<strong>KPD</strong>.<br />
In <strong>Bremen</strong> wurde die GdsF schließlich 1956 - wie <strong>in</strong> anderen Bundesländern<br />
auch - als »Tarn<strong>org</strong>anisation« der <strong>KPD</strong> verboten. 191<br />
186 Bericht der Abt. Massen<strong>org</strong>anisationen für die Zeit vom 20. November 1950 bis 13. Januar 1951. (Dem Landesvorstand<br />
auf se<strong>in</strong>er 16. Sitzung am 14.1.51 erstattet), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
187 Alle Angaben <strong>in</strong>: Protokoll der LSS v. 2.11.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
188 Protokoll der LSS v. 2.11.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
189 Ebenda.<br />
190 Ebenda.<br />
191 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 131; Alexander von Brünneck, Politische Justiz<br />
gegen Kommunisten, a.a.O., S. 114.
Der »Demokratische Frauenbund Deutschland« (DFD)<br />
Organisation und Struktur 91<br />
Der »Demokratische Frauenbund Deutschland« wurde im September 1947 <strong>in</strong> Ost-<br />
Berl<strong>in</strong> gegründet und konstituierte sich <strong>in</strong> der Bundesrepublik ab 1950, zunächst<br />
nur auf Orts- und Landesebene, später auch bundesweit mit dem »Büro Westdeutschland«<br />
als zentraler Leitung. 192 In <strong>Bremen</strong> gründete sich der DFD etwa im<br />
Herbst 1950. 193 Der DFD war als überparteiliche Organisation gedacht, faktisch war<br />
er - ähnlich wie die FDJ auf Jugendebene - die Frauen<strong>org</strong>anisation der <strong>KPD</strong>. Von<br />
den 240 Mitgliedern <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zur Jahreswende 1950/51 waren nach eigenen Angaben<br />
60 Prozent Genoss<strong>in</strong>nen. 194 Anzunehmen ist außerdem, dass e<strong>in</strong> weiterer<br />
Großteil der parteilosen Frauen aus dem familiären Umfeld von <strong>KPD</strong>-Mitgliedern<br />
stammte, so dass wohl die 1951 von e<strong>in</strong>em Instrukteur geäußerte Kritik, der DFD<br />
habe »nicht die genügende Breite«, <strong>in</strong> der Tat zutreffend war. 195 Schon<strong>in</strong>ihrem<br />
Umfeld gelang es <strong>KPD</strong> und DFD nach eigener E<strong>in</strong>schätzung nicht zufriedenstellend,<br />
e<strong>in</strong>en Großteil der Frauen <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> oder auch die parteilosen Ehefrauen<br />
von Parteimitgliedern für die Arbeit im DFD zu gew<strong>in</strong>nen. Alle<strong>in</strong>e der Vergleich<br />
zwischen den Mitgliederzahlen macht dies deutlich: Im Januar 1951 waren 455<br />
Frauen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> Mitglied der <strong>KPD</strong>, von denen aber nur etwa 144 im DFD <strong>org</strong>anisiert<br />
waren. Gleichzeitig ergaben sich zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> der Gründungsphase personelle<br />
Schwierigkeiten dadurch, dass die im DFD arbeitenden Frauen eben auch schon <strong>in</strong><br />
der <strong>KPD</strong> überverhältnismäßig aktiv waren und sich so Überschneidungen ergaben.<br />
196 <strong>Die</strong> Mobilisierung der Frauen im familiären Umfeld der <strong>KPD</strong>-Mitglieder<br />
war ebenfalls e<strong>in</strong> Problem, wie Maria Krüger auf e<strong>in</strong>er Landesleitungssitzung<br />
konstatierte:<br />
»<strong>Die</strong> Frage der Frauen unserer Genossen ist e<strong>in</strong>e politische Frage. Man muss ihnen viel mehr<br />
Bedeutung beimessen. Man muss bis zu den höchsten Funktionären gehen. Jede Frau sollte <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Friedens<strong>org</strong>anisation etwas tun. Es gibt viele Genossen, die Frauen haben, die noch sehr<br />
rückständig s<strong>in</strong>d. Wir müssen auch <strong>in</strong> der Grunde<strong>in</strong>heit versuchen, hierüber Klarheit zu<br />
schaffen. <strong>Die</strong> Genossen sollten ihre Frauen zu der Schulung mitnehmen, wir müssen sie direkt<br />
e<strong>in</strong>laden.« 197<br />
Käthe Popall schlug 1950 vor, man müsse »nicht nur an den Verstand, sondern<br />
an das Gefühl appellieren. Eure gut bebaute Parzelle und eure gemütliche Stube<br />
192 Vgl. ausführlich Ingeb<strong>org</strong> Nöd<strong>in</strong>ger, Frauen gegen Wiederaufrüstung. Der Demokratische Frauenbund<br />
Deutschland im antimilitaristischen Widerstand (1950-1957), Frankfurt a.M. 1983.<br />
193 Im November 1950 fand der DFD erstmals Erwähnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht der Abteilung für Massen<strong>org</strong>anisationen<br />
der Landesleitung (Protokoll von der Landesvorstandssitzung am 19. November 1950, Waller<br />
R<strong>in</strong>g 41, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2).<br />
194 Protokoll der Sekretariatssitzung am 10. Januar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
195 Bericht über <strong>Bremen</strong> aus der Zeit vom 20.11.-18.12.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
196 Protokoll der Sekretariatssitzung am 10. Januar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/6.<br />
197 Landesleitungssitzung am 11. Mai 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3. Maria Krüger (1907-1987): K<strong>in</strong>dergärtner<strong>in</strong><br />
und Sonderschullehrer<strong>in</strong>. <strong>KPD</strong> seit 1931, nach 1933 Widerstand, 1942-44 Haft, Lehrer<strong>in</strong> seit 1948, Mitglied<br />
der Bremischen Bürgerschaft 1951-1959, 1951-1956 Mitglied der <strong>KPD</strong>-Landesleitung, seit Ende<br />
1959 Herausgeber<strong>in</strong> der legalen Bremer <strong>KPD</strong>-Zeitung »Neues Echo«, ab <strong>1968</strong> DKP.
92<br />
Organisation und Struktur<br />
nützt euch gar nichts, wenn es nicht gel<strong>in</strong>gt, den Kampf um den Frieden zu gew<strong>in</strong>nen«.<br />
198<br />
Neben den Mobilisierungsschwierigkeiten verdeutlichen die beiden Zitate den<br />
neuen Schwerpunkt kommunistischer Frauenpolitik. <strong>Die</strong> durchaus nach <strong>1945</strong> <strong>in</strong> der<br />
<strong>KPD</strong> zunächst noch vorhandenen Forderungen nach der Frauengleichberechtigung<br />
199 wurden ab 1950 zugunsten der Gesamtorientierung der Partei auf die Friedenspolitik<br />
zurückgedrängt. Entsprechend war auch die Arbeit des Frauenbundes<br />
vorrangig darauf gerichtet, Aktionen der <strong>KPD</strong> zu unterstützen, wobei den Frauen<br />
meist die Erledigung der notwendigen »Kle<strong>in</strong>arbeit« oblag. Der <strong>in</strong>haltlichen Anb<strong>in</strong>dung<br />
an die <strong>KPD</strong> entsprach die personelle: <strong>Die</strong> leitenden Funktionen im Landesvorstand<br />
des DFD waren von Frauen besetzt, die auch <strong>KPD</strong>-Mitglied waren.<br />
Zum<strong>in</strong>dest die Posten der beiden Vorsitzenden wurde dabei vermutlich <strong>in</strong> aller Regel<br />
auf Beschluss des Landessekretariats der <strong>KPD</strong> besetzt. 200<br />
Andere Organisationen<br />
Neben den drei beschriebenen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> Aktivitäten verschiedener anderer<br />
Organisationen zu verzeichnen, die ganz oder teilweise unter dem E<strong>in</strong>fluss der<br />
<strong>KPD</strong> standen, deren Bedeutung aber <strong>in</strong>sgesamt ger<strong>in</strong>g war. Als unmittelbar von der<br />
<strong>KPD</strong> <strong>in</strong>itiiert und dom<strong>in</strong>iert können dabei betrachtet werden die »Jungen Pioniere«,<br />
die K<strong>in</strong>der<strong>org</strong>anisation der Partei, die <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie K<strong>in</strong>derferienaktionen <strong>in</strong> die<br />
DDR <strong>org</strong>anisierte; die »Nationale Front« (NF), die im Zuge der Wiedervere<strong>in</strong>igungspolitik<br />
ab 1949 vor allem <strong>in</strong> bürgerliche Kreise h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wirken sollte, sowie die<br />
auf l<strong>in</strong>ke Sozialdemokraten zielende »Sozialdemokratische Aktion« (SDA). 201<br />
Bedeutsamer waren dagegen die »Vere<strong>in</strong>igung der Verfolgten des Naziregimes«<br />
(VVN) und das »Landesfriedenskomitee« (LFK) e<strong>in</strong>. Beide waren relativ aktive<br />
und für die Politik der <strong>KPD</strong> relevante Organisationen, können aber nicht im<br />
gleichen Maße wie FDJ, DFD und GdsF als Unter<strong>org</strong>anisationen der Partei bezeichnet<br />
werden. <strong>Die</strong> VVN gründete sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 15. Januar 1947 als Zusammenschluss<br />
ehemaliger Widerstandskämpfer und -kämpfer<strong>in</strong>nen sowie anderer vom<br />
Faschismus Verfolgter. <strong>Die</strong> VVN sah sich sofort dem Vorwurf ausgesetzt, e<strong>in</strong>e<br />
kommunistische Tarn<strong>org</strong>anisation zu se<strong>in</strong>. 1948 erklärte die SPD die Zugehörigkeit<br />
zur VVN als unvere<strong>in</strong>bar mit der SPD-Mitgliedschaft, woraufh<strong>in</strong> nicht alle, aber<br />
doch zahlreiche Sozialdemokraten die Vere<strong>in</strong>igung verließen. <strong>Die</strong> Mehrzahl der<br />
198 Parteiarbeiterkonferenz der <strong>KPD</strong> Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong> am 16. April 1950 <strong>in</strong> Bremerhaven, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/4.<br />
199 Vgl. dazu die Erwähnungen bei Renate Meyer Braun, Frauen und politische Parteien, <strong>in</strong>: Renate Meyer-Braun<br />
und Beate Hoecker, Bremer<strong>in</strong>nen bewältigen die Nachkriegszeit. Frauen Alltag, Arbeit, Politik,<br />
<strong>Bremen</strong> 1988, S. 124-143.<br />
200 Zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen ist dies nachweisbar, wie bspw. 1952 die E<strong>in</strong>setzung von Margot Konetzka<br />
- Mitglied der <strong>KPD</strong> und Ehefrau des Sekretariatsmitglieds Ulrich Konetzka - als 2. Vorsitzende des<br />
DFD (Protokoll der Sekretariatssitzung vom 29. Mai 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7).<br />
201 Der »Demokratische Kulturbund Deutschland« unterhielt zwar <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong> eigenes Büro, welches<br />
im Zuge der Verbotsmaßnahmen 1956 ebenfalls geschlossen wurde, f<strong>in</strong>det aber <strong>in</strong> den vorliegenden<br />
Quellen ke<strong>in</strong>erlei Erwähnung.
Organisation und Struktur 93<br />
VVN-Mitglieder waren spätestens ab diesem Zeitpunkt Kommunisten, auch der<br />
langjährige Vorsitzende Ge<strong>org</strong> Gumpert war <strong>KPD</strong>-Mitglied. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> nahm dementsprechenden<br />
E<strong>in</strong>fluss auf die Organisation, leitete sie an und setzte sie für Aktionen<br />
e<strong>in</strong>. Dennoch kam der VVN sowohl <strong>in</strong> der Partei wie auch <strong>in</strong> der Öffentlichkeit<br />
e<strong>in</strong> gewisser Sonderstatus zu, der sich wohl <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mit der moralischen<br />
Unangreifbarkeit ehemaliger Widerstandskämpfer erklären lässt. Beleg dafür ist<br />
auch, dass es nicht gelang, die VVN trotz verschiedener Versuche bundesweit zu<br />
verbieten. 202<br />
Das 1949/50 gegründete »Landesfriedenskomitee« (LFK) - bis 1951 »Komitee<br />
der Kämpfer für den Frieden« - war die Organisation, mit der die <strong>KPD</strong> versuchte,<br />
die verschiedenen Kräfte der Friedensbewegung zu bündeln und vor allem nichtkommunistische<br />
Personen anzusprechen. 203 Innerhalb der ab 1951 allen anderen<br />
politischen Zielen übergeordneten Friedens- und Wiedervere<strong>in</strong>igungspolitik der<br />
Partei kam dem LFK damit e<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung zu. Unter strategischen Gesichtspunkten<br />
war das LFK für die <strong>KPD</strong> angesichts des sich <strong>in</strong> der Friedensbewegung<br />
ab 1950 abzeichnenden Bündnispotentials <strong>in</strong> nichtkommunistischen Kreisen<br />
(Christen, Sozialdemokraten, Gewerkschafter) - die »Massen<strong>org</strong>anisation«, mit der<br />
sich noch am ehesten E<strong>in</strong>fluss und politisches Gewicht außerhalb der Partei gew<strong>in</strong>nen<br />
ließ. Speziell beim Landesfriedenskomitee achtete die <strong>KPD</strong> deshalb verstärkt<br />
darauf, nicht zu viele Kommunisten <strong>in</strong> die Organisation e<strong>in</strong>zubeziehen: »Unser<br />
Bestreben war, ke<strong>in</strong>e Kommunisten zu werben, sondern regelrecht, wenn man so<br />
will, e<strong>in</strong>e Zutrittssperre zu machen. Wichtig waren für uns Kommunisten <strong>in</strong> den<br />
Organisationen und Gewerkschaften, <strong>in</strong> den Betrieben. <strong>Die</strong> sollten uns Sympathisanten<br />
bekannt geben, an die wir uns gewandt haben«, so Rolf Stelljes, ab 1952 Geschäftsführer<br />
des LFK und <strong>KPD</strong>-Mitglied. 204 <strong>Die</strong> Partei nahm nur pr<strong>in</strong>zipielle, unpräzise<br />
Anleitungen vor, <strong>in</strong> der täglichen Arbeit sei man »ziemlich alle<strong>in</strong> gelassen«<br />
worden. 205 <strong>Die</strong>s galt wohl generell für alle Massen<strong>org</strong>anisationen, allerd<strong>in</strong>gs kann<br />
man <strong>in</strong> Bezug auf das LFK - ähnlich wie bei der VVN - von e<strong>in</strong>er »relativen Autonomie«<br />
der Organisation sprechen, die sich beim LFK aus der, wenn auch wenig <strong>in</strong>tensiven,<br />
Zusammenarbeit mit Nichtkommunisten ergab, wie sie so bei der FDJ<br />
und dem DFD nicht gegeben war.<br />
202 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 111f.<br />
203 Siehe zum LFK Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nach dem Zweiten Weltkrieg, <strong>Bremen</strong><br />
1989, S. 60 und passim; Rolf Stelljes, Das Bremer Landesfriedenskomitee (LFK), <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge<br />
et al. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg, a.a.O., S. 161-170.<br />
204 Interview Rolf Stelljes.<br />
205 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 60.
Kapitel 3<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
1. H<strong>in</strong>tergründe auf Bundesebene<br />
<strong>Die</strong> Anti-Tito-Kampagne von Kom<strong>in</strong>form und SED wurde von der <strong>KPD</strong> nachvollzogen,<br />
<strong>in</strong>nerparteilich zunächst allerd<strong>in</strong>gs nur zögerlich umgesetzt. Der Parteivorstand<br />
stimmte Anfang Oktober 1948 dem Kom<strong>in</strong>form-Beschluss über Jugoslawien<br />
zu. 1 <strong>Die</strong> Resolution »<strong>Die</strong> Bedeutung der Entschließung des Informations-Büros über<br />
die Lage der KP Jugoslawiens und die Lehren für die <strong>KPD</strong>« forderte »erhöhte<br />
Wachsamkeit gegen das E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen parteife<strong>in</strong>dlicher Elemente und Provokateure«.<br />
2 Zuvor waren bereits e<strong>in</strong>ige <strong>org</strong>anisatorische Umstellungen <strong>in</strong>klusive e<strong>in</strong>er umfassenden<br />
Mitgliederkontrolle beschlossen worden. 3 Dennoch hatten diese Äußerungen<br />
und Maßnahmen zunächst noch ke<strong>in</strong>e Folgen. In der Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger<br />
Delegiertenkonferenz (5./6. März 1949) wurde zwar e<strong>in</strong> Zurückweichen vor<br />
dem»DruckdesGegners« 4 kritisiert und »e<strong>in</strong>e auf Überzeugung beruhende straffe<br />
Diszipl<strong>in</strong>« 5 der <strong>KPD</strong>-Mitglieder gefordert, die Titoismus-Problematik aber fand<br />
ke<strong>in</strong>erlei Erwähnung. 6 Das Zögern endete nach der Bundestagswahl am 14. August<br />
1949, die für die <strong>KPD</strong> mit e<strong>in</strong>er Niederlage endete. <strong>Die</strong> nachfolgende Entwicklung<br />
wurde von der SED maßgeblich forciert. <strong>Die</strong> zuständige Westkommission forderte<br />
1 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 41.<br />
2 Zitiert nach Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 12.<br />
3 Ebenda.<br />
4 Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1,<br />
S. 266 - 284, hier S. 276.<br />
5 Ebenda, S. 282.<br />
6 Vgl. Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 34, die dies als »wichtiges<br />
Indiz dafür, wie wenig man damals offenkundig <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>-Führung davon hielt, diese Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
zuzuspitzen« werten. Anzunehmen ist jedoch, dass dies nur für e<strong>in</strong>en Teil der führenden<br />
Funktionäre galt. H<strong>in</strong>weis darauf waren Ause<strong>in</strong>andersetzungen auf der Delegiertenkonferenz um<br />
die Verlesung e<strong>in</strong>es Grußschreibens der SED, <strong>in</strong> dem das deutsche Volk aufgefordert wurde, im Falle<br />
e<strong>in</strong>er westlichen Aggression geme<strong>in</strong>sam mit der Sowjetarmee dagegen zu kämpfen. Der später <strong>in</strong> der<br />
DDR verhaftete stellvertretende Parteivorsitzende Kurt Müller weigerte sich zunächst, das Schreiben<br />
zu verlesen, da es ihm und anderen Funktionären (u.a. Hermann Nud<strong>in</strong>g) angesichts der herrschenden<br />
antisowjetischen Stimmungen (<strong>in</strong>folge der Berl<strong>in</strong>-Blockade) zum<strong>in</strong>dest nicht opportun schien, diese<br />
weiter »anzuheizen«. Es soll daraufh<strong>in</strong> <strong>in</strong>terne Ause<strong>in</strong>andersetzungen besonders mit Max Reimann<br />
gegeben haben, woraufh<strong>in</strong> Müller das Grußschreiben doch noch verlas. (Vgl. Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />
der Bundesrepublik, a.a.O., S. 34; Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 241; Herbert<br />
Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 14).
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 95<br />
<strong>in</strong> ihren Wahlanalysen u.a. die Säuberung von »trotzkistischen Agenten aller Spielarten«,<br />
Neuwahlen der Parteileitungen und e<strong>in</strong>e »Überprüfung der Landesvorstände<br />
und ihrer Sekretariate«. 7 Ähnliche »Vorschläge« wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe von Besprechungen<br />
mit den führenden <strong>KPD</strong>-Funktionären formuliert. 8 Erste Maßnahmen<br />
wurden bereits nach e<strong>in</strong>er außerordentlichen Sitzung des Parteivorstandes im September<br />
1949 ergriffen. 9 Mit der Begründung, sie seien »Tito-Agenten«, wurden der<br />
Fraktionsvorsitzende im Landtag von Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz, Herbert Müller, sowie Ge<strong>org</strong><br />
Fischer, Sekretär der bayerischen Landesleitung, von ihren Funktionen entfernt.<br />
10 Beide traten kurze Zeit später aus der <strong>KPD</strong> aus und kamen damit e<strong>in</strong>em<br />
Ausschluss zuvor.<br />
Mit der 14. Parteivorstandstagung (28. - 30. Dezember 1949) wurde das entscheidende<br />
Signal für die nachfolgenden Säuberungen der <strong>KPD</strong> gesetzt. 11 <strong>Die</strong> Resolution<br />
der Tagung konstatierte, »dass fe<strong>in</strong>dliche Elemente <strong>in</strong>nerhalb der Partei ihre<br />
aktive Zersetzungsarbeit durchführen konnten« und forderte den »rücksichtslosen<br />
Kampf gegen alle fe<strong>in</strong>dlichen Ideologen«. 12 Mehrere leitende Funktionäre wurden<br />
des Titoismus und des Agententums bezichtigt, betroffen waren sämtliche Landesvorstände.<br />
Für <strong>Bremen</strong> wurde lediglich festgestellt, es gebe »Tatsachen, die zeigen,<br />
dass der ideologischen Ause<strong>in</strong>andersetzung ausgewichen wird«. 13<br />
Neben der umfangreichen Resolution beschloss der Parteivorstand entsprechende<br />
<strong>org</strong>anisatorische Umgestaltungsmaßnahmen 14 und die »Überprüfung der<br />
Leitungen und des Funktionärskaders«. 15 In se<strong>in</strong>em Schlusswort auf der 14. PV-<br />
Tagung nannte Max Reimann die Ziele: Besonders die Funktionäre, die <strong>in</strong> westlicher<br />
Emigration oder Kriegsgefangenschaft waren, sollten überprüft werden, »ob<br />
sie mit dem Apparat der imperialistischen Mächte <strong>in</strong> enger Verb<strong>in</strong>dung standen«. 16<br />
7 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 16.<br />
8 Ebenda, S. 16f. Vgl. auch die Schilderung e<strong>in</strong>er solchen »Besprechung« von Ge<strong>org</strong> Fischer, bis 1947<br />
Landesvorsitzender <strong>in</strong> Bayern, seitdem Sekretär für Landes- und Kommunalpolitik. Fischer empfand<br />
den Ablauf der Tagung mit dem ZK der SED als »widerliches Schauspiel«, <strong>in</strong> dem Max Reimann »wie<br />
e<strong>in</strong> Angeklagter vor dem Forum se<strong>in</strong>er Richter« saß (Ge<strong>org</strong> Fischer, Vom aufrechten Gang e<strong>in</strong>es Sozialisten.<br />
E<strong>in</strong> Parteiarbeiter erzählt, Berl<strong>in</strong> / Bonn 1979, S. 236). Fischer wurde kurze Zeit später abgelöst<br />
und verließ die <strong>KPD</strong>.<br />
9 <strong>Die</strong> Lehren der Wahlen vom 14. August 1949. Resolution des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong>, 16. September 1949, <strong>in</strong>:<br />
Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1956, a.a.O., S. 196ff.<br />
10 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 64f.; Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament,<br />
a.a.O., S. 184; Ge<strong>org</strong> Fischer, Vom aufrechten Gang e<strong>in</strong>es Sozialisten, a.a.O., S. 238ff.; Herbert Mayer,<br />
Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 18.<br />
11 Hierzu und dem folgenden vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 64ff.; Herbert Mayer, Durchsetzt<br />
von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 20ff; Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung,<br />
a.a.O., S. 41f.<br />
12 Resolution der 14. PV-Tagung der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., S. 298ff., hier S. 299.<br />
13 Ebenda, S. 303.<br />
14 Festigt die Partei. Richtl<strong>in</strong>ien des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong> zur Vorbereitung und Durchführung der Neuwahl<br />
der Leitungen, 30. Dezember 1949, <strong>in</strong>: Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1956, a.a.O., S. 214ff. Gefordert wurde<br />
hier u.a. die stärkere E<strong>in</strong>beziehung jüngerer Kader sowie der Antifa-Schüler aus der sowjetischen<br />
Kriegsgefangenschaft <strong>in</strong> die Leitungsarbeit.<br />
15 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 21<br />
16 Zitiert nach ebenda.
96<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
<strong>Die</strong> 14. PV-Tagung zeigte bald Folgen. So wurde im Februar 1950 Hugo Paul als<br />
Vorsitzender der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen abgesetzt. 17 Der Parteiausschluss<br />
des bereits im Dezember 1949 abgelösten Chefredakteurs des Zentral<strong>org</strong>ans »Freies<br />
Volk« Josef Schappe wurde im Januar 1950 beschlossen und im Februar 1950 vollzogen.<br />
18 Vere<strong>in</strong>zelte Ablösungen führender Funktionär gab es <strong>in</strong> nahezu allen Landesverbänden.<br />
Spektakulärster Fall war die Verhaftung des stellvertretenden Parteivorsitzenden<br />
und Bundestagsabgeordneten Kurt Müller durch den Staatssicherheitsdienst<br />
der DDR im März 1950. 19 Müller, zuvor noch selbst verantwortlich für<br />
die Säuberungen <strong>in</strong> Hamburg, wurde im Mai 1950 aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen mit<br />
der Begründung, er habe für ausländische Geheimdienste gearbeitet und fe<strong>in</strong>dliche<br />
Elemente <strong>in</strong> die Partei gebracht. Kurze Zeit nach se<strong>in</strong>er Verhaftung wurde er den<br />
sowjetischen Behörden übergeben und 1953 zu 25 Jahren Haft verurteilt. 1955 kam<br />
Müller im Zuge der Freilassung deutscher Kriegsgefangener aus der UdSSR zurück<br />
nach Deutschland und trat der SPD bei.<br />
Nach dem III. Parteitag der SED im Juli 1950 - der mit der Verabschiedung e<strong>in</strong>es<br />
neuen Statuts die Umwandlung zur »Partei neuen Typus« zementierte - 20 wurde<br />
die Säuberung der <strong>KPD</strong> forciert und systematisiert. Bis zum Parteitag der <strong>KPD</strong> im<br />
März 1951 wurden nahezu alle Landesleitungen und -sekretariate ausgewechselt.<br />
Im Zuge der Noel-H.-Field-Affäre wurden <strong>in</strong>sbesondere Funktionäre, die <strong>in</strong> westlicher<br />
Emigration oder Kriegsgefangenschaft gewesen waren, abgelöst und größtenteils<br />
<strong>in</strong> die DDR abberufen. 21 Zahlreiche Funktionäre oder ehemalige und bereits <strong>in</strong><br />
die DDR übergesiedelte Funktionäre der westdeutschen <strong>KPD</strong> wurden unter der<br />
Anschuldigung des Kontaktes mit Field und der Agententätigkeit aus ihren Funktionen<br />
entfernt und teils auch <strong>in</strong>haftiert. Zu den <strong>in</strong> Gefängnissen der DDR Inhaftierten<br />
gehörten der stellvertretende Parteivorsitzende (als Nachfolger des ebenfalls<br />
verhafteten Kurt Müller) Fritz Sperl<strong>in</strong>g, der ehemalige Fraktionsvorsitzende im<br />
17 Ebenda, S. 23; Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 42; Gudrun<br />
Schädel, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen von <strong>1945</strong>-1956, a.a.O., S.<br />
131.<br />
18 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 23. Schappe gründete später mit e<strong>in</strong>igen anderen<br />
ehemaligen <strong>KPD</strong>-Mitgliedern die »Unabhängige Arbeiterpartei Deutschlands« (UAP). Se<strong>in</strong> Name<br />
wurde für die <strong>KPD</strong> zum Synonym für die im Zusammenhang mit dem Titoismus stehende Kampagne.<br />
»Schappe-Clique« oder »Schappe-Agenten« wurden gängige Formulierungen.<br />
19 Siehe dazu Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 239ff; Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und<br />
DKP, a.a.O., S. 70ff.; Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 24ff.<br />
20 Statut der Sozialistischen E<strong>in</strong>heitspartei Deutschlands, angenommen auf dem III. Parteitag der 20.-24. Juli 1950,<br />
<strong>in</strong>: Dokumente zur Geschichte der SED, Band 2: <strong>1945</strong>-1971, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1986, S. 150 - 167.<br />
21 Field war US-Bürger und hatte im Zweiten Weltkrieg <strong>in</strong> Frankreich und der Schweiz als Mitarbeiter e<strong>in</strong>er<br />
privaten Hilfs<strong>org</strong>anisation Flüchtl<strong>in</strong>gslager und politische Emigranten betreut. 1949 verschwand er<br />
<strong>in</strong> Prag. Ihm wurde <strong>in</strong> der Folgezeit v<strong>org</strong>eworfen, als amerikanischer Agent kommunistische Funktionäre<br />
im westlichen Exil, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der Schweiz und Frankreich, als Mitarbeiter des US-<br />
Geheimdienstes angeworben zu haben. Verb<strong>in</strong>dungen zu Field wurden <strong>in</strong> den folgenden Jahren Funktionären<br />
aus nahezu allen Ostblock-Staaten v<strong>org</strong>eworfen. Es kam zu Schauprozessen und Todesurteilen<br />
gegen den ungarischen Innenm<strong>in</strong>ister Rajk, den Außenm<strong>in</strong>ister der Tschechoslowakei Slansky und<br />
den stellvertretenden M<strong>in</strong>isterpräsidenten Bulgariens Kostoff. Siehe hierzu Ge<strong>org</strong> Hermann Hodos,<br />
Schauprozesse. Stal<strong>in</strong>istische Säuberungen <strong>in</strong> Osteuropa 1948-54, Frankfurt a. M. / New York 1988, S.<br />
57ff.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 97<br />
hessischen Landtag Leo Bauer sowie der Hamburger Landesvorsitzende Willi<br />
Pr<strong>in</strong>z. 22 Als Mitglieder des Sekretariats abgelöst wurden Hugo Ehrlich, Walter<br />
Fisch, Erich Jungmann, Hermann Nud<strong>in</strong>g, Jupp Schleifste<strong>in</strong> und Rudi S<strong>in</strong>ger. <strong>Die</strong><br />
meisten von ihnen g<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> die DDR und »übten dort später verantwortungsvolle<br />
Funktionen <strong>in</strong> Publizistik und Wissenschaft [...] aus, z.T. kehrten sie nach 1956 <strong>in</strong><br />
leitende Tätigkeiten der <strong>KPD</strong> zurück«. 23<br />
<strong>Die</strong> als »entscheidende[r] Schlag« 24 der Säuberungen zu betrachtende 19. Parteivorstandstagung<br />
am 9. Februar 1951 25 beschloss neben der Absetzung der bereits<br />
erwähnten Sekretariatsmitglieder auch die Ablösung der Landesvorsitzenden aus<br />
Südwürttemberg, Niedersachsen, Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg,<br />
Südbaden, Saar, Hamburg und <strong>Bremen</strong>. 26 Der Landesvorsitzende von Schleswig-<br />
Holste<strong>in</strong> wurde abgelöst, übernahm diese Funktion aber <strong>in</strong> Hessen. Lediglich <strong>in</strong><br />
Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen - hier hatte erst kurz zuvor Josef Ledwohn Hugo Paul abgelöst<br />
- sowie <strong>in</strong> Bayern erfolgte ke<strong>in</strong> Führungswechsel. 27 <strong>Die</strong> neuen Leitungen wurden<br />
gewählt und damit formell bestätigt auf Landesdelegiertenkonferenzen am<br />
17./18. und 24./25. Februar 1951. 28<br />
Bis zum »Münchener« Parteitag (2. - 4. März 1951) 29 war die Umgestaltung der<br />
Parteileitungen auf Bundes- und Landesebene weitgehend abgeschlossen. 30 <strong>Die</strong><br />
<strong>KPD</strong> hatte <strong>in</strong>nerhalb von nicht e<strong>in</strong>mal zwei Jahren ihre Spitzenkader nahezu komplett<br />
ausgewechselt. »<strong>Die</strong>se Maßregelungen trafen viele besonders erfahrene Kader,<br />
deren Ausscheiden für die Partei e<strong>in</strong>en schweren Verlust darstellten«, resümieren<br />
Judick, Schleifste<strong>in</strong> und Ste<strong>in</strong>haus. 31 E<strong>in</strong>e Rehabilitierung der ausgeschlossenen<br />
und abgesetzten Funktionäre fand nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 zwar<br />
teilweise statt, allerd<strong>in</strong>gs nur »halbherzig«. 32 Es habe »parteitreue Genossen« gege-<br />
22 Vgl. zu den e<strong>in</strong>zelnen Fällen die umfassenden Darstellungen bei Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O.,<br />
S. 72ff und Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 37ff., sowie die E<strong>in</strong>zeldarstellungen<br />
und Biographien: Karl-He<strong>in</strong>z Jahnke, »...ich b<strong>in</strong> nie e<strong>in</strong> Parteife<strong>in</strong>d gewesen«. Der tragische Weg<br />
der Kommunisten Fritz und Lydia Sperl<strong>in</strong>g, Bonn 1993; Wilhelm Pr<strong>in</strong>z, Gefangener des SSD. Der ehemalige<br />
<strong>KPD</strong>-Landesvorsitzende Wilhelm Pr<strong>in</strong>z berichtet über se<strong>in</strong>e Erlebnisse <strong>in</strong> sowjetzonalen Zuchthäusern,<br />
<strong>in</strong>: Rhe<strong>in</strong>-Neckar-Zeitung, Nr. 213 - 240 1954; Leo Bauer, »<strong>Die</strong> Partei hat immer recht«, a.a.O.;<br />
Peter Brandt, Jörg Schumacher, Götz Schwarzrock und Klaus Sühl, Karrieren e<strong>in</strong>es Außenseiters. Leo<br />
Bauer zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie 1912 - 1972, Berl<strong>in</strong> / Bonn 1983.<br />
23 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 42.<br />
24 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 36.<br />
25 Datum und Nummerierung nach ebenda, S. 37. Wilhelm Pr<strong>in</strong>z und der ihn zitierende Fülberth geben<br />
als Datum die Nacht vom 7. auf den 8. Februar an, außerdem 18. PV-Tagung (Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong><br />
und DKP, a.a.O., S. 73).<br />
26 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 42ff.; <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische<br />
Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1797f. Siehe zu Willy Knigge <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ausführlich weiter unten.<br />
27 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1798.<br />
28 Herbert Mayer, a.a.O., S. 45. In <strong>Bremen</strong> fand die Konferenz am 24. und 25. Februar 1951 statt.<br />
29 Der Parteitag wurde zwar als »Münchener« deklariert, fand aber tatsächlich aus Sicherheitsgründen <strong>in</strong><br />
Weimar (DDR) statt.<br />
30 <strong>Die</strong>s bedeutete allerd<strong>in</strong>gs noch nicht das Ende der Säuberungskampagne, wie unten am Beispiel <strong>Bremen</strong>s<br />
noch zu zeigen se<strong>in</strong> wird.<br />
31 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 42.<br />
32 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 55f.
98<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
ben, »denen <strong>in</strong> der Vergangenheit Unrecht geschehen ist«, stellte Max Reimann auf<br />
e<strong>in</strong>er Parteivorstandstagung im August 1956 fest. 33 Veröffentlicht wurde diese Feststellung<br />
mit H<strong>in</strong>weis auf die besonderen Bed<strong>in</strong>gungen des Kalten Krieges nicht. 34<br />
Erst Ende der 1980er Jahre wurden <strong>in</strong> der DKP die Säuberungen und der Stal<strong>in</strong>ismus<br />
der 1950er Jahre thematisiert und versucht aufzuarbeiten. 35<br />
2. <strong>Die</strong> Säuberungskampagne <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Konnte bereits für die <strong>KPD</strong> auf Bundesebene e<strong>in</strong>e verzögerte Aufnahme der Anti-<br />
Tito-Kampagne festgestellt werden, so galt dies erst recht für den Bremer Landesverband.<br />
Bis zur Bundestagswahl 1949 fand das Wort »Titoismus« ke<strong>in</strong>erlei Erwähnung<br />
und Beachtung, weder <strong>in</strong> der Landesleitung und im Sekretariat noch <strong>in</strong> der<br />
Parteipresse. Unabhängig davon gab es jedoch <strong>in</strong> den Wochen vor der Wahl zum<strong>in</strong>dest<br />
H<strong>in</strong>weise darauf, dass größere <strong>in</strong>nerparteiliche Kampagnen und Umgestaltungen<br />
gegen »parteife<strong>in</strong>dliche« Bestrebungen bevorstanden. Der 1. Parteitag der<br />
<strong>KPD</strong> Land <strong>Bremen</strong> verabschiedete am 11./12. Juni 1949 e<strong>in</strong>e Resolution, <strong>in</strong> der<br />
erstmals auf die Gefahren der »mangelnden ideologischen und politischen Klarheit«<br />
<strong>in</strong> der Partei h<strong>in</strong>gewiesen wurde:<br />
»Zu allen Zeiten, mit allen Mitteln versucht der Klassenfe<strong>in</strong>d, Verwirrung <strong>in</strong> der Partei anzustiften<br />
und sie zu zersetzen.[...]. Im Auftrage der westlichen Monopolgewaltigen versuchen<br />
trotzkistische Provokateure heute Zersetzung <strong>in</strong> unsere Reihen zu tragen. Sie segeln unter der<br />
Flagge der Freiheit der Kritik und der Notwendigkeit der Austragung von Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten<br />
<strong>in</strong> der Partei. Zwischen trotzkistischen Provokateuren und der fortschrittlichen<br />
Arbeiterschaft gibt es nur e<strong>in</strong>en unerbittlichen Kampf. <strong>Die</strong> Me<strong>in</strong>ungsfreiheit <strong>in</strong> der Partei bedeutet<br />
nicht, dass wir dem Klassenfe<strong>in</strong>d erlauben, se<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>dlichen Ideen <strong>in</strong> die Partei zu tragen.«<br />
36<br />
Trotz der relativ scharfen Diktion blieben die Aussagen zu dieser Problematik<br />
vage und auf allgeme<strong>in</strong>e Aussagen beschränkt. E<strong>in</strong>deutig war die Anlehnung an<br />
die - <strong>in</strong> der Resolution mehrfach zitierten - Beschlüsse der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz<br />
vom März 1949, <strong>in</strong> denen, ähnlich unpräzise formuliert, e<strong>in</strong> aus ideologischer<br />
Schwäche resultierendes Zurückweichen vor den »fe<strong>in</strong>dlichen Argumenten«<br />
des Gegners konstatiert wurde. 37<br />
Wenige Wochen vor den Wahlen zum ersten Bundestag äußerte der Bremer<br />
Landesvorsitzende Willy Knigge auf e<strong>in</strong>er Parteiarbeiterkonferenz, »die Frage der<br />
33 Zitiert nach ebenda, S. 55.<br />
34 Ebenda, S. 56.<br />
35 Beispielhaft <strong>in</strong> Manfred Grieger, Günter Judick, Gert Meyer und Josef Schleifste<strong>in</strong>, Stal<strong>in</strong>s Schatten. Stal<strong>in</strong><br />
und die westeuropäischen Kommunisten, Neuss 1989.<br />
36 Zur Politik der Partei im Kampf um die nationale E<strong>in</strong>heit und e<strong>in</strong>en gerechten Frieden. Entschließung des Parteitages<br />
der <strong>KPD</strong>, Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/2.<br />
37 Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, Band 1, a.a.O.,<br />
S. 266 - 284, hier S. 276.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 99<br />
parteife<strong>in</strong>dlichen Gruppen« sei e<strong>in</strong>e politische und ke<strong>in</strong>e <strong>org</strong>anisatorische. 38 Bei<br />
diesen knappen und allgeme<strong>in</strong>en Aussagen blieb es bis zur Wahl, die der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> im Vergleich zur Bürgerschaftswahl 1947 zwar leichte absolute Stimmengew<strong>in</strong>ne,<br />
prozentual aber Verluste brachte.<br />
Unmittelbar nach der Wahl wurde <strong>in</strong> der Auswertung zunächst noch ke<strong>in</strong> Zusammenhang<br />
zwischen dem unbefriedigenden Ergebnis und der Notwendigkeit<br />
von Säuberungen hergestellt. Auf e<strong>in</strong>er Sekretariatssitzung am 15. August 1949<br />
wurde lediglich gefordert, die Ursachen des prozentualen Verlustes festzustellen. 39<br />
Erst nach der außerordentlichen Parteivorstandstagung am 14. und 16. September<br />
1949 und der dort verabschiedeten Resolution wurden auf deren Grundlage <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> Maßnahmen ergriffen und die Titoismuskampagne thematisiert. Willy<br />
Knigge sprach auf der Sekretariatssitzung am 19. September 1949 von e<strong>in</strong>er »starke(n)<br />
Strömung« <strong>in</strong> der Partei,<br />
»die das unbefriedigende Wahlresultat im gesamtdeutschen Rahmen sehen und dieses gern<br />
den außenpolitischen Entscheidungen der SU und den Volksdemokratien bezw. der SED zuschieben<br />
möchten. <strong>Die</strong>se Auffassung dient den Gegnern der Partei, den reaktionären Kräften,<br />
die bewusst e<strong>in</strong>en Keil treiben wollen zwischen uns und fortschrittlichen Kräften. Das führt<br />
zu e<strong>in</strong>er Krankheit der Partei, zu e<strong>in</strong>er Lähmung der Arbeit [...].« 40<br />
Das Sekretariat berief für den 25. September 1949 e<strong>in</strong>e außerordentliche Landesleitungssitzung<br />
unter H<strong>in</strong>zuziehung von Betriebs- und Stadtteilfunktionären e<strong>in</strong>,<br />
auf der es ausschließlich um die von Knigge angesprochene Problematik gehen sollte.<br />
Auf e<strong>in</strong>er Sekretariatssitzung am 24. September wurde kurzfristig die Ausarbeitung<br />
e<strong>in</strong>er von der Landesleitung zu verabschiedenden Resolution beschlossen. 41<br />
Zu diesem Zeitpunkt lag die Entschließung des Parteivorstands, auf der die der<br />
Landesleitung basieren sollte, nur als Entwurf vor. Dennoch sollte e<strong>in</strong> eigener Text<br />
den Vorstandsmitgliedern v<strong>org</strong>elegt werden, da es notwendig sei, »den Diskussionen<br />
<strong>in</strong> Stadt und Land <strong>Bremen</strong> die entsprechende Richtung zu geben und unter<br />
Zuhilfenahme des Artikels des Gen. Kurt Müller 42 über den Titoismus Klarheit <strong>in</strong><br />
der Partei zu schaffen«. 43 Trotz der e<strong>in</strong>stimmigen Annahme dieser Planungen wurden<br />
auch vorsichtige Widersprüche deutlich. Rudolf Rafoth, Fraktionsvorsitzender<br />
<strong>in</strong> der Bürgerschaft, wandte sich »gegen die Auffassung vieler Genossen <strong>in</strong>nerhalb<br />
der Partei, dass sich jetzt e<strong>in</strong>e Wendung vollziehen würde. <strong>Die</strong> politische L<strong>in</strong>ie<br />
stände seit dem Brüsseler Kongress 1935 fest«. 44 Willy Hundertmark, Redakteur<br />
der Tribüne der Demokratie, forderte zwar, die geplante Entschließung müsse »Klarheit<br />
über Titoismus und über ideologische Krankheiten schaffen«, warnte aber<br />
auch: »Es darf nicht jeder Genosse, der andere Auffassungen vertritt als Titoagent<br />
38 Bericht der Parteiarbeiterkonferenz am 3. Juli 1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/4.<br />
39 Protokoll der Sekretariatssitzung <strong>Bremen</strong> am 15.8.1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
40 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 19.9.1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
41 Protokoll der Sekretariatssitzung am 24.9.49 um 13 h, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
42 Der angesprochene Artikel war kurz zuvor <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie veröffentlicht worden (»Besteht<br />
die Gefahr des Titoismus <strong>in</strong> unserer Partei«, Tribüne der Demokratie, Nr. 14/1949).<br />
43 Protokoll der Sekretariatssitzung am 24.9.49 um 13 h, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
44 Ebenda.
100<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
bezeichnet werden.« 45 Knigge betonte daraufh<strong>in</strong> noch e<strong>in</strong>mal, »dass se<strong>in</strong>e politischen<br />
Ausführungen auf der Ebene der PV-Entschließungen geführt würden«. Es<br />
sei falsch, »dass Parteie<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em falschen Selbstbewusstse<strong>in</strong> derartige Diskussionen<br />
für sich alle<strong>in</strong> führen«. 46<br />
<strong>Die</strong> von der außerordentlichen Landesvorstandssitzung e<strong>in</strong>en Tag später verabschiedete<br />
Resolution sprach von der Notwendigkeit, »den Ernst der gegenwärtigen<br />
politischen Lage allen Parteimitgliedern aufzuzeigen«, g<strong>in</strong>g jedoch auf die Titoismus-Problematik<br />
kaum e<strong>in</strong>. 47 <strong>Die</strong> Partei habe zu häufig »Nachgiebigkeit und Kompromissbereitschaft«<br />
gegenüber den Angriffen gegen die Sowjetunion und gegen<br />
die Ostzone gezeigt und sei dadurch <strong>in</strong> die Defensive geraten. Es wurde beschlossen,<br />
»die auf der heutigen Sitzung behandelten theoretischen Fragen <strong>in</strong> allen Parteie<strong>in</strong>heiten des<br />
Arbeitgebietes Land <strong>Bremen</strong> durchzusprechen. [...] <strong>Die</strong> Aussprache über die nationale Front,<br />
die Bedeutung und Rolle der Politik Titos, Fragen des <strong>in</strong>ternationalen Klassenkampfes, des<br />
Verhältnisses unserer Partei zur SPD, der falschen Duldsamkeit gegenüber dem zersetzenden<br />
E<strong>in</strong>fluss parteife<strong>in</strong>dlicher Auffassungen muss entschlossen zu Ende geführt werden.«<br />
Zu diesem Zweck sollten <strong>in</strong> allen Grunde<strong>in</strong>heiten Mitgliederversammlungen<br />
stattf<strong>in</strong>den. Deren Durchführung und Vorbereitung wurde gründlich und stark<br />
reglementiert geplant. An alle Mitglieder sollten persönliche E<strong>in</strong>ladungen ausgegeben<br />
werden, deren Erhalt mit Unterschrift zu bestätigen war; die Unterschrift verpflichtete<br />
gleichzeitig zur Teilnahme. Auf allen Versammlungen sollte e<strong>in</strong> Mitglied<br />
der Landesleitung sprechen. Man werde sich, so der Text der E<strong>in</strong>ladung, ȟber<br />
brennende politische und <strong>org</strong>anisatorische Fragen unserer Partei (besteht die Gefahr<br />
des Titoismus <strong>in</strong> der Partei)« unterhalten. 48<br />
Mit der E<strong>in</strong>ladung g<strong>in</strong>g allen Mitgliedern außerdem die Resolution des Parteivorstands<br />
vom 16. September zu sowie - und das war bemerkenswert - der Beschluss<br />
des Parteivorstands »Über die Bedeutung der Entschließung des Informationsbüros<br />
über die Lage der KPJu und die Lehren für die <strong>KPD</strong>« vom Oktober 1948. 49<br />
In der Tat wurde also offenbar die Resolution des Parteivorstandes zur Tito-<br />
Problematik den Mitgliedern <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> erst e<strong>in</strong> Jahr nach Veröffentlichung überhaupt<br />
zur Kenntnis gegeben.<br />
<strong>Die</strong> Resonanz auf die außerordentlichen Mitgliederversammlungen <strong>in</strong> den folgenden<br />
Monaten lässt sich leider nicht feststellen. Im Dezember 1949, also kurz vor<br />
der 14. PV-Tagung, wurde <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie e<strong>in</strong>e neue Resolution der<br />
Kom<strong>in</strong>form zu Jugoslawien veröffentlicht. 50 In dieser ausführlichen Form war dies<br />
die erste Publizierung der Kom<strong>in</strong>form-Beschlüsse überhaupt, was sich als weiteres<br />
Indiz der sehr späten Aufnahme der Tito-Kampagne <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> werten lässt. 51<br />
45 Ebenda.<br />
46 Ebenda.<br />
47 Resolution, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
48 Anlage I: E<strong>in</strong>ladung zu e<strong>in</strong>er außerordentlichen Mitgliederversammlung, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
49 Werte Genoss<strong>in</strong>, werter Genosse! (4.10.49), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
50 KP Jugoslawiens <strong>in</strong> der Gewalt von Mördern und Spionen, Tribüne der Demokratie Nr. 27/1949.<br />
51 <strong>Die</strong>s gilt auch, wenn man berücksichtigt, dass die Tribüne der Demokratie zum Zeitpunkt des Bruches<br />
der Kom<strong>in</strong>form mit Jugoslawien verboten war.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 101<br />
Dennoch kam es <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> noch vor der 14. PV-Tagung zu ersten Ausschlüssen.<br />
Sie betrafen Mitglieder der <strong>in</strong> der Tradition der KPO stehenden »Gruppe<br />
Arbeiterpolitik«.<br />
Der Ausschluss der »Gruppe Arbeiterpolitik«<br />
<strong>Die</strong> Mehrzahl der ehemaligen KPO-Mitglieder - unter ihnen prom<strong>in</strong>ente Kommunisten<br />
wie Adolf Ehlers, Franz Cavier und Wilhelm Deisen - schloss sich nach <strong>1945</strong><br />
der <strong>KPD</strong> an. 52 Schon 1946 sahen sich viele jedoch bereits von der Zusicherung <strong>in</strong>nerparteilicher<br />
Demokratie <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> enttäuscht. 53 Der Übertritt des späteren Innensenators<br />
Adolf Ehlers zur SPD im Frühjahr 1946 wurde aber von den meisten<br />
nicht nachvollzogen, sondern als ebenfalls enttäuschend empfunden. »Alle alten<br />
KPO- und SAP-Genossen, die den Krieg überlebt hatten, stellten sich bald die Frage:<br />
Was wird nun werden? Sie waren sowohl mit der Politik der <strong>KPD</strong> als auch mit<br />
der SPD unzufrieden. Der Satz g<strong>in</strong>g um: ›Wir haben ke<strong>in</strong>e politische Heimat‹.« 54<br />
Bereits im Juli 1946 fanden erste geme<strong>in</strong>same Treffen der mit <strong>KPD</strong>-Politik und -<br />
Organisation Unzufriedenen statt. 55 Als theoretische Grundlage dienten programmatische<br />
Texte der im kubanischen Exil bef<strong>in</strong>dlichen führenden Köpfe der ehemaligen<br />
KPO August Thalheimer und He<strong>in</strong>rich Brandler. 56 DerenAnalysenwandten<br />
sich vor allem gegen die Unterordnung deutscher Kommunisten unter die sowjetische<br />
Außenpolitik sowie gegen e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit mit den übrigen Besatzungsmächten,<br />
deren Ziel die Unterdrückung der sozialistischen Revolution sei. 57<br />
<strong>Die</strong>s implizierte die Ablehnung jeglicher Regierungs- oder Verwaltungsbeteiligung,<br />
die die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegssituation als unabd<strong>in</strong>gbar und selbstverständlich betrachtet<br />
hatte.<br />
52 Vgl. K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>. Der Ansatz der Gruppe<br />
Arbeiterpolitik. Darstellung ihrer grundlegenden politischen Auffassungen und ihrer Entwicklung<br />
zwischen <strong>1945</strong> und 1952, Hannover 1977, S. 194. Zur Geschichte der KPO: K.H. Tjaden, Struktur und<br />
Funktion der »<strong>KPD</strong>-Opposition« (KPO). E<strong>in</strong>e <strong>org</strong>anisationssoziologische Untersuchung zur »Rechts«-<br />
Opposition im deutschen Kommunismus zur Zeit der Weimarer Republik, Meisenheim am Glan 1964;<br />
Theodor Bergmann, Gegen den Strom - <strong>Die</strong> Geschichte der <strong>KPD</strong>-Opposition, Hamburg 1987; Jens Becker:<br />
Der Widerstand der <strong>KPD</strong>-O im Faschismus, Ma<strong>in</strong>z 1992.<br />
53 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO? Zur Geschichte der »Gruppe Arbeiterpolitik«, <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen<br />
und Almut Schwerd (Hrsg.), Zeitzeugen berichten, a.a.O., S. 115ff., hier S. 122. He<strong>in</strong>z Kundel (1914-<br />
2000): Elektriker. 1924 Kommunistische K<strong>in</strong>dergruppe, 1930 Mitbegründer der KJO und Mitglied der<br />
<strong>KPD</strong>(O), 1932 Übertritt zur SAP und deren Jugendverband SJV. An 1933 illegale Tätigkeit zusammen<br />
mit Mitgliedern der SAP und der KPO, illegale Reisen <strong>in</strong> die Schweiz und nach Schweden. 1934 Arbeitsdienst,<br />
1935-1937 Wehrmacht. 1946 <strong>KPD</strong>, lokale und überregionale Kontakte zu KPO- und SAP-<br />
Mitgliedern, Ende 1949 Ausschluss aus der <strong>KPD</strong>. Mitbegründer der »Gruppe Arbeiterpolitik«, 1957-<br />
1959 Mitglied der zentralen Leitung.<br />
54 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 122.<br />
55 Ebenda.<br />
56 Ebenda. Zu Thalheimers und Brandlers Analysen siehe ausführlich K.P. Wittemann, Kommunistische<br />
Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 38ff.<br />
57 K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 78.
102<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
Kontakte zu Gleichges<strong>in</strong>nten <strong>in</strong> anderen Städten und Regionen wurden noch im<br />
selben Jahr geknüpft, 58 die reichsweite Sammlung der ehemaligen KPOler war etwa<br />
im Spätsommer 1947 abgeschlossen. 59 <strong>Die</strong> Gruppe »Arbeiterpolitik«, wie sie sich<br />
fortan nannte, gab ab 1948 die gleichnamige Zeitung (abgekürzt: ARPO) heraus. 60<br />
<strong>Die</strong> Gruppe versuchte, <strong>in</strong> die <strong>KPD</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuwirken und war damit faktisch als Fraktion<br />
<strong>in</strong>nerhalb der Partei zu betrachten. In anderen Städten führte dies bereits 1947<br />
und 1948 zu schweren Ause<strong>in</strong>andersetzungen und Ausschlüssen, so <strong>in</strong> Hamburg 61<br />
und Sol<strong>in</strong>gen 62. In <strong>Bremen</strong> kam es zwar zu Konflikten 63, die jedoch zunächst ke<strong>in</strong>e<br />
weiteren Folgen hatte: <strong>Die</strong> »Gruppe Arbeiterpolitik« wurde bis 1949 <strong>in</strong> der Bremer<br />
<strong>KPD</strong> geduldet. Ob diese Duldung auf e<strong>in</strong>e relative Stärke der Gruppe oder aber im<br />
Gegenteil auf deren, <strong>in</strong> den Augen der <strong>KPD</strong>-Führung, politischen und <strong>org</strong>anisatorischen<br />
Belanglosigkeit zurückzuführen war, ist nicht genau zu klären. Der E<strong>in</strong>fluss<br />
der »Gruppe Arbeiterpolitik« <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> beschränkte sich zunächst auf e<strong>in</strong>zelne Betriebe<br />
- so im Energievers<strong>org</strong>ungsunternehmen Ȇberlandwerk Niedersachsen-<br />
Hannover«, wo auch e<strong>in</strong>e eigene Betriebszeitung herausgegeben wurde - 64 und<br />
e<strong>in</strong>zelne Stadtteile wie Hucht<strong>in</strong>g. Dort war bereits im Herbst 1946 e<strong>in</strong>e Resolution<br />
verabschiedet worden, <strong>in</strong> der die Politik der <strong>KPD</strong> als »reformistisch« und »opportunistisch«<br />
bezeichnet und die »e<strong>in</strong>seitige B<strong>in</strong>dung an die Politik der SU« kritisiert<br />
wurde. 65 <strong>Die</strong>se Resolution blieb allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfall, über die Resonanz <strong>in</strong> der<br />
Mitgliedschaft und der Parteiführung ist nichts bekannt. 66<br />
Erst mit der bereits erwähnten Resolution des 1. Parteitages der Bremer <strong>KPD</strong> im<br />
Juni 1949 äußerte sich die Leitung öffentlich zu den Bee<strong>in</strong>flussungsversuchen, allerd<strong>in</strong>gs<br />
nicht konkret im Zusammenhang mit der »Gruppe Arbeiterpolitik«. 67 <strong>Die</strong><br />
Resolution nannte ke<strong>in</strong>erlei Namen, sondern beschränkte sich lediglich auf die<br />
Warnung vor »trotzkistischen Provokateuren«. E<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zur Titoismus-<br />
Kampagne wurde <strong>in</strong> dieser Entschließung überhaupt noch nicht hergestellt. <strong>Die</strong>s<br />
änderte sich nach der Bundestagswahl und mit den bereits beschriebenen Maßnahmen<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Auf der Sekretariatssitzung vom 19. September 1949 sprach<br />
Willy Knigge erstmals konkret von der »Gruppe Arbeiterpolitik« und brachte sie <strong>in</strong><br />
58 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 122; K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland<br />
nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 194.<br />
59 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 122. Wittemann gibt e<strong>in</strong>e Konferenz Ostern 1947 als den<br />
Zeitpunkt an, von dem ab von e<strong>in</strong>er überörtlichen »Gruppe Arbeiterpolitik« gesprochen werden kann<br />
(K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 135).<br />
60 Gruppe Arbeiterpolitik (Hrsg.): Arbeiterpolitik. November 1948-Juli 1950. Repr<strong>in</strong>t mit e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>leitung<br />
der Gruppe Arbeiterpolitik, (<strong>Bremen</strong>) 1975.<br />
61 K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 207.<br />
62 Ebenda, S. 252.<br />
63 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 125; K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland<br />
nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 194.<br />
64 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 124.<br />
65 Ebenda, S. 125.<br />
66 Kundel schreibt, diese Resolution habe dem »Vorstand der <strong>KPD</strong> den Atem verschlagen« und man habe<br />
lange gebraucht, darauf zu reagieren. Belegt ist dies nicht.<br />
67 Zur Politik der Partei im Kampf um die nationale E<strong>in</strong>heit und e<strong>in</strong>en gerechten Frieden. Entschließung des Parteitages<br />
der <strong>KPD</strong>, Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/2.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 103<br />
Verb<strong>in</strong>dung mit der Titoismus-Kampagne. Im Protokoll hieß es dazu: »Zum<br />
Schluss betont Gen. Knigge, dass auch mit den KPO-Leuten, die sich hier und da<br />
besonders <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> unliebsam bemerkbar gemacht haben, endgültig aufgeräumt<br />
wird, da dah<strong>in</strong>ter der Titoismus als ideologische Krankheit zu suchen ist.« 68<br />
Zwei der maßgeblichen Vertreter der »Gruppe Arbeiterpolitik« <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />
He<strong>in</strong>z Kundel und He<strong>in</strong>z <strong>Die</strong>hm, wurden daraufh<strong>in</strong> im Dezember 1949 aus der<br />
<strong>KPD</strong> ausgeschlossen. <strong>Die</strong> Mitgliederversammlung ihres Stadtteils Hucht<strong>in</strong>g verabschiedete<br />
am 3. November 1949 e<strong>in</strong>e Resolution, die sich auf die Entschließung des<br />
PV vom 16. September berief und jegliche »trotzkistische oder titoistischenationalistische<br />
Gedanken« ablehnte. 69 Kundel und <strong>Die</strong>hm, so die spätere Ausschlussbegründung,<br />
hätten gegen die Resolution gestimmt und sich »über Mangel<br />
an <strong>in</strong>nerparteilicher Demokratie beschwert«. 70<br />
Der Ausschluss der beiden wegen »parteischädigendem Verhalten und Fraktionsarbeit«<br />
wurde auf Antrag des Landessekretariats am 16. Dezember 1949 von der<br />
Stadtleitung <strong>Bremen</strong> beschlossen. 71 <strong>Die</strong> nach dem Jahreswechsel veröffentlichte<br />
Ausschlussbegründung warf Kundel und <strong>Die</strong>hm vor, die verwechselten »parteife<strong>in</strong>dliche<br />
Arbeit mit <strong>in</strong>nerparteilicher Demokratie«. 72 Sie hätten schon länger »Tito-Argumente«<br />
angeführt und »nach den Richtl<strong>in</strong>ien Brandlers gearbeitet, ›vorsichtige,<br />
aber aktive parteizersetzende Arbeit‹ zu leisten«.<br />
Auch der ebenfalls <strong>in</strong> der Ausschlussbegründung angegriffene, aber nicht ausgeschlossene<br />
Betriebsratsvorsitzende beim Weser-Kurier, Ge<strong>org</strong> Stockmann, trat<br />
kurz darauf aus der Partei aus. Das Wirken der »Gruppe Arbeiterpolitik« <strong>in</strong>nerhalb<br />
der <strong>KPD</strong> war damit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> faktisch beendet. Ihr Ausschluss hatte vermutlich -<br />
im Gegensatz zu späteren Ausschlüssen - <strong>in</strong> der Mitgliedschaft ke<strong>in</strong>e große Resonanz.<br />
Bedeutsamer schien der kurz zuvor erfolgte Ausschluss zweier Gewerkschaftsfunktionäre<br />
aus dem Hafen gewesen zu se<strong>in</strong>, der mit ungleich höherem propagandistischem<br />
Aufwand <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie gerechtfertigt wurde. 73<br />
<strong>Die</strong> »Gruppe Arbeiterpolitik« wuchs <strong>in</strong> der Folgezeit, bekam auch Zulauf von<br />
ausgetretenen oder ausgeschlossenen <strong>KPD</strong>-Mitgliedern und konnte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Betrieben<br />
- so beim Automobilkonzern B<strong>org</strong>ward oder im Hafen - durchaus e<strong>in</strong>e relative<br />
Stärke erlangen. 74 Ihre Mitglieder- und Sympathisantenzahl - abzulesen an den<br />
68 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 19.9.1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
69 Duldet ke<strong>in</strong>e Spalter und Agenten, Tribüne der Demokratie 1/1950.<br />
70 Ebenda.<br />
71 So die Mitteilung der Stadtleitung an He<strong>in</strong>z Kundel vom 21. Dezember 1949, abgedruckt <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z<br />
Kundel, »Es ist e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie von Ruth Fischer über Brandler und Tito zu Kundel, <strong>Die</strong>hm und Stockmann...«<br />
Der Ausschluss der ehemaligen KPOler aus der Bremer <strong>KPD</strong> 1949, <strong>in</strong>: Bremer Arbeiterbewegung.<br />
Mitteilungsblatt des Arbeitskreises Bremer Arbeiterveteranen und des Vere<strong>in</strong>s für Sozialgeschichte<br />
und Biographieforschung e.V., Heft 9, Dezember 1994, S. 22-27, hier S. 24.<br />
72 Duldet ke<strong>in</strong>e Spalter und Agenten, Tribüne der Demokratie 1/1950.<br />
73 Duldsamkeit ermöglichte ihr Spiel, Tribüne der Demokratie 28/1949; Fordert Betriebsratsneuwahlen im Hafen!,<br />
Tribüne der Demokratie 1/1950. <strong>Die</strong>se Ausschlüsse standen <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em direkten Zusammenhang<br />
mit der Titoismus-Kampagne.<br />
74 Vgl. K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 195ff.; He<strong>in</strong>z<br />
Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 127ff.
104<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
festen Beziehern der »Arbeiterpolitik« - lag bei etwa 200 - 250. 75 Über die Rolle des<br />
kritischen Beobachters kam die Gruppe dennoch kaum h<strong>in</strong>aus. Sie konnte nicht<br />
mehr als e<strong>in</strong> »Stachel im Fleisch der <strong>KPD</strong>« se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Partei selbst hielt es <strong>in</strong> den folgenden<br />
Jahren kaum für nötig, sich ernsthaft mit den »Brandleristen« zu beschäftigen.<br />
76 In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wurde die Gruppe Arbeiterpolitik<br />
bundesweit schwächer. Nach Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong> der zentralen Leitung wurde<br />
1959 das Ersche<strong>in</strong>en der »Arpo« e<strong>in</strong>gestellt. In <strong>Bremen</strong> erschienen daraufh<strong>in</strong> ab<br />
1960 die »Briefe an unsere Leser«, an denen auch He<strong>in</strong>rich Brandler mitarbeitete<br />
und die den Neuaufbau der Gruppe mitbegründeten. 77<br />
Nach der 14. PV-Tagung<br />
<strong>Die</strong> Bremer Landes<strong>org</strong>anisation war <strong>in</strong> der Resolution der 14. PV-Tagung nur eher<br />
beiläufig kritisiert worden: Es gebe »Tatsachen, die zeigen, dass der ideologischen<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung ausgewichen wird«. 78 <strong>Die</strong>s war e<strong>in</strong>e im Vergleich zu den anderen<br />
Landesverbänden harmlose Kritik, e<strong>in</strong>e konkrete Benennung der »Tatsachen«<br />
erfolgte nicht. <strong>Die</strong> Landesleitung beschäftigte sich auf e<strong>in</strong>er erweiterten Sondersitzung<br />
am 14. und 15. Januar 1950 mit den Ergebnissen der 14. PV-Tagung und<br />
den Konsequenzen für <strong>Bremen</strong>. 79 Anwesend waren neben den Leitungsmitgliedern<br />
auch e<strong>in</strong>ige Vertreter aus Schwerpunktbetrieben und den Stadtteilen.<br />
Willy Knigge behandelte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat die »ideologische Schwäche« der<br />
Partei, die <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> anhand diverser »Aussprüche namhafter Genossen« deutlich<br />
würde. Er erläuterte außerdem die Maßnahmen gegen Kundel und <strong>Die</strong>hm. Mit deren<br />
Ausschluss sei zwar »e<strong>in</strong> Krankheitsherd beseitigt, jedoch die Diskussion gegen<br />
solche parteife<strong>in</strong>dlichen Auffassungen nicht abgeschlossen«. 80<br />
In der am zweiten Tag folgenden Diskussion wurde zwar der allgeme<strong>in</strong>e Zustand<br />
der Partei angesprochen, jedoch wenig auf die eigentlich zur Debatte stehende<br />
Frage der »Parteife<strong>in</strong>de« und die Folgen der Resolution des Parteivorstandes<br />
e<strong>in</strong>gegangen. E<strong>in</strong>ig waren sich alle Redner, dass der Zustand der Partei e<strong>in</strong>er Überprüfung<br />
bedürfe. Man wandte sich aber auch gegen e<strong>in</strong> allzu forsches V<strong>org</strong>ehen<br />
gegen die Parteife<strong>in</strong>de wie im Stadtteil Mitte, wo es angeblich zu »Inquisitionsgerichten«,<br />
also vermutlich Ausschlüssen und Absetzungen, ohne H<strong>in</strong>zuziehung der<br />
Parteileitung gekommen war. Der Fraktionsvorsitzende Rudolf Rafoth bezeichnete<br />
dies als »Schulbeispiel«: Man könne nicht »abweichende und falsche Auffassun-<br />
75 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 128.<br />
76 Offenbar gab es zum<strong>in</strong>dest noch 1950 e<strong>in</strong>ige »Scharmützel«, so anlässlich e<strong>in</strong>er Versammlung mit<br />
He<strong>in</strong>rich Brandler, zu der die <strong>KPD</strong> massenhaft Mitglieder schickte, um sie zu stören. 20 »Brandlerianern«<br />
hätten 60 <strong>KPD</strong>-Genossen gegenübergestanden, berichtete e<strong>in</strong> Instrukteur der SED (Land: <strong>Bremen</strong>,<br />
Dauer der Reise: 18. - 22.11. 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13).<br />
77 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 130; K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland<br />
nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 343.<br />
78 Resolution der 14. PV-Tagung der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>, a.a.O., S. 298ff., hier S. 303.<br />
79 Vorstandssitzung des Arbeitsgebietes Land <strong>Bremen</strong> 14. und 15. Januar 1950 Parteihaus Waller R<strong>in</strong>g 41 (Abschrift<br />
8.2.50), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
80 Ebenda. <strong>Die</strong> Rede liegt nicht im Orig<strong>in</strong>al vor.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 105<br />
gen« durch adm<strong>in</strong>istrative Maßnahmen erledigen. Er forderte vielmehr e<strong>in</strong>e politische<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung. Ähnlich zurückhaltend argumentierten die weiteren<br />
Diskussionsteilnehmer, wobei allgeme<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zu starke »S<strong>org</strong>losigkeit« gegenüber<br />
falschen Auffassungen <strong>in</strong>nerhalb der Partei und der ideologischen Unklarheit kritisiert<br />
wurde. Vere<strong>in</strong>zelt wurde auch Kritik an der Parteiführung deutlich. So me<strong>in</strong>te<br />
Karl Grobe 81, e<strong>in</strong>flussreiches Mitglied der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward, die Resolutionen<br />
des Parteivorstandes enthielten oft »zuviel Kom<strong>in</strong>tern-Deutsch«.<br />
Trotz der wenig klaren und konkreten Diskussion fasste die Landesleitung e<strong>in</strong>ige<br />
Beschlüsse zur Resolution des PV. 82 Wesentlich war die V<strong>org</strong>abe an alle Kreise<br />
und Grunde<strong>in</strong>heiten, sich ausführlich mit der Resolution zu beschäftigen. Den<br />
Kreisvorständen wurden zur ausschließlichen Behandlung dieses Themas <strong>in</strong> ihren<br />
nächsten Sitzungen verpflichtet. Alle Wohngebiets- und Betriebsgruppen sollten<br />
m<strong>in</strong>destens zwei Mitgliederversammlungen und außerdem zwei Schulungsabende<br />
durchführen, »die der Durcharbeitung der ideologischen Resolution dienen«. Zu<br />
e<strong>in</strong>er Wochenendschulung wurden die v<strong>org</strong>esehenen Referenten der Mitgliederversammlungen<br />
verpflichtet.<br />
<strong>Die</strong> Umsetzung dieses Plans und der Beschlüsse des Parteivorstandes erfolgte<br />
nur schleppend oder gar nicht. <strong>Die</strong> Diskussion <strong>in</strong> der Partei und die Durchführung<br />
des Arbeitsplanes ließen noch »zu wünschen übrig«, wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht Ende<br />
April 1950 festgestellt. <strong>Die</strong> eigentlich laut Plan bis zum 30. März durchzuführenden<br />
Mitgliederversammlungen und Schulungsabende hatten <strong>in</strong> nur wenigen Grunde<strong>in</strong>heiten<br />
stattgefunden. »In vielen E<strong>in</strong>heiten«, so der Bericht weiter, sei »noch<br />
nichts auf diesem Gebiet ernsthaft <strong>in</strong> Angriff genommen«. 83 Dass die Tragweite<br />
und Bedeutung der Thematik im Bewusstse<strong>in</strong> der Mitglieder noch nicht verankert<br />
war, konstatierte Ende Februar 1950 auch die Landesleitung. Es herrschten <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
immer noch Me<strong>in</strong>ungen vor, »dass die ideologische Festigung der Partei nur<br />
e<strong>in</strong>e Angelegenheit verstärkter Schulungsarbeit sei«. 84 Im April sah sich die Landesleitung<br />
zu e<strong>in</strong>em »ernsten Appell an die Leitungen aller Parteie<strong>in</strong>heiten« veranlasst,<br />
<strong>in</strong> dem die Durchführung des Arbeitsplanes »zur ideologischen Festigung der<br />
Partei« bis Ende April 1950 gefordert wurde. 85<br />
<strong>Die</strong> Umgestaltung zur »Partei neuen Typus« begann also <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nur sehr<br />
zögerlich, und es sche<strong>in</strong>t, dass sowohl <strong>in</strong> der Mitgliedschaft als auch <strong>in</strong> der Leitung<br />
nur wenig Bereitschaft herrschte, die Resolution der 14. PV-Tagung wirklich ernst<br />
81 Karl Grobe (1907-1983): Polsterer. Ab 1923 SAJ, 1931 Gründungsmitglied und Vorsitzender der SAP <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong>, 1933 10 Monate Haft, 1948 Rückkehr aus Kriegsgefangenschaft, E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die <strong>KPD</strong>, 1949-1962<br />
B<strong>org</strong>ward, dort zeitweilig Betriebsratsvorsitzender, 1949-1951 Mitglied <strong>KPD</strong>-Landesleitung und -<br />
sekretariat. 1952 aus der <strong>KPD</strong> ausgetreten (nachdem das Mitgliedsbuch schon e<strong>in</strong> Jahr lang nicht mehr<br />
»geklebt« wurde), 1959 SPD.<br />
82 Beschlüsse der Arbeitsgebietsleitung der <strong>KPD</strong> Land <strong>Bremen</strong> über die ideologisch-politische Resolution des Parteivorstandes,<br />
<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
83 Politischer Bericht des Sekretariates Land <strong>Bremen</strong>, März 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
84 Politischer Bericht des Sekretariats der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong>, Februar bis Mitte März, <strong>in</strong>:SAPMO<br />
I 11/20/11.<br />
85 Protokoll über die Landesvorstandssitzung am Freitag den 7. April 1950, Waller R<strong>in</strong>g 41, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/2.
106<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
zu nehmen. In der Folgezeit wurde sie kaum noch thematisiert, was auch für das<br />
Sekretariat galt. Willy Knigge konstatierte diesbezüglich bereits im März 1950 e<strong>in</strong>e<br />
»Schwerfälligkeit« der führenden Genossen, die zum e<strong>in</strong>en auf theoretischer Unkenntnis,<br />
zum anderen auf »Überlastung durch <strong>org</strong>anisatorische Arbeit« beruhe. 86<br />
<strong>Die</strong> Diskussion lief somit zunächst <strong>in</strong>s Leere und hatte ke<strong>in</strong>e weiteren praktischen<br />
Konsequenzen.<br />
Der »Fall Meyer-Buer / Gautier«<br />
E<strong>in</strong>e auch <strong>in</strong>nerhalb der Leitung zu Differenzen führende Klimaverschärfung war<br />
jedoch nach dem III. Parteitag der SED festzustellen. Festzumachen war dies an<br />
dem partei<strong>in</strong>tern so genannten »Fall Meyer-Buer / Gautier«. Willy Meyer-Buer,<br />
Mitglied der Landesleitung und Bürgerschaftsabgeordneter, und Hermann Gautier<br />
als Mitglied des Sekretariats waren am 29. Juli 1950 <strong>in</strong> Vertretung des abwesenden<br />
Willy Knigge zu e<strong>in</strong>er Unterredung mit dem Landeskommissar der amerikanischen<br />
Besatzungsmacht Capta<strong>in</strong> (USN) Jeffs bestellt worden. 87 Jeffs fragte die beiden nach<br />
Plakaten des <strong>KPD</strong>-Vorstandes, die sich gegen die Besatzungsmacht richteten. Es sei<br />
ihm bekannt, dass der SED-Parteitag »e<strong>in</strong>en offenen Kampf der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Westdeutschland<br />
gegen die Besatzungsmächte« gefordert habe. Weiterh<strong>in</strong> drohte er an,<br />
dass er »<strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong> aufmerksames Auge auf die Tätigkeit der Kommunistischen<br />
Partei haben werde«. Der Inhalt des Gesprächs wurde schriftlich festgehalten und<br />
Meyer-Buer und Gautier anschließend zur Unterschrift v<strong>org</strong>elegt. Beide leisteten<br />
die Unterschrift. Gautier gab <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht an, das Schreiben sei so abgefasst<br />
gewesen, »dass wir lediglich unterzeichneten, von den vorstehenden D<strong>in</strong>gen<br />
Kenntnis genommen zu haben«. 88<br />
Ähnliche Unterredungen der Landeskommissare mit führenden kommunistischen<br />
Funktionären hatte es bundesweit gegeben. 89 Danebenschiendase<strong>in</strong>zigbemerkenswerte<br />
an der Aktion die Androhung e<strong>in</strong>er verschärften Beobachtung der<br />
<strong>KPD</strong> durch die Besatzungsmacht zu se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Partei hätte also gelassen reagieren<br />
können, zumal derartige Reaktionen der Besatzungsmächte auf die Ergebnisse des<br />
III. SED-Parteitages durchaus zu erwarten gewesen waren. Gautier und Meyer-<br />
Buer aber wurden wegen ihrer geleisteten Unterschrift zur Verantwortung gezogen.<br />
Das Sekretariat fasste diesbezügliche Beschlüsse bereits wenige Tag später, am<br />
2. August 1950. <strong>Die</strong> Unterschrift diene <strong>in</strong> Wahrheit der politischen Verleumdung<br />
der Partei, der man illegale Handlungen unterschieben wolle. Meyer-Buer und<br />
86 Protokoll über die Sekretariatssitzung vom 18.3.1950 im Waller R<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
87 Bericht über die Unterredung beim amerikanischen Landeskommissar für das Land <strong>Bremen</strong> Capt. Jeffs am Sonnabend,<br />
dem 29. Juli 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5. Es war tatsächlich e<strong>in</strong>e Plakatierungsaktion geplant gewesen,<br />
die jedoch nach diesem Gespräch aufgrund des erwarteten E<strong>in</strong>greifens starker Polizeikräfte abgesagt<br />
wurde.<br />
88 Bericht über die Unterredung beim amerikanischen Landeskommissar für das Land <strong>Bremen</strong> Capt. Jeffs am Sonnabend,<br />
dem 29. Juli 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
89 Landeskommissare warnen, Weser-Kurier 1.8.1950.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 107<br />
Gautier seien »dieser raff<strong>in</strong>ierten Methode der Besatzungsstellen nicht mit der genügenden<br />
Wachsamkeit entgegen getreten«. 90<br />
<strong>Die</strong> beiden »Angeklagten« gestanden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er selbstkritischen Erklärung ihre<br />
»Schuld« e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> geleistete Unterschrift sei e<strong>in</strong> »schwerer Fehler« gewesen, da sie<br />
»missbraucht wurde, um die Hetze gegen unsere Partei zu verstärken« und zur<br />
Verwirrung der Partei diene. 91<br />
»An unserem Fehler zeigt sich, dass falsche subjektive Auffassungen verantwortlicher Funktionäre<br />
zu e<strong>in</strong>er objektiven Hilfe für die Kriegstreiber werden muss. <strong>Die</strong> Absicht der USA-<br />
Kriegstreiber, unsere Partei <strong>in</strong> ihrer legalen Tätigkeit zu beh<strong>in</strong>dern und e<strong>in</strong>zuschränken, wurde<br />
durch unsere Haltung unterstützt und begünstigt. [...]. Wir erwarten, dass das Sekretariat<br />
des Landesvorstandes <strong>Bremen</strong> Maßnahmen beschließt, die unsere Partei künftig vor solchen<br />
Fehlern schützt.« 92<br />
Tatsächlich wurden diese Maßnahmen ergriffen: Gautier und Meyer-Buer wurden<br />
aus Sekretariat und Landesleitung ausgeschlossen, allerd<strong>in</strong>gs vorbehaltlich der<br />
Zustimmung durch die nächste Landesleitungssitzung. 93 Gleichzeitig wurde festgelegt,<br />
dass zukünftig ke<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>ladung und Aufforderung zu Besprechungen mit der<br />
Militärregierung mehr Folge geleistet werden sollte.<br />
<strong>Die</strong> Funktionsenthebung von Gautier und Meyer-Buer war e<strong>in</strong>e relativ rigorose<br />
Maßnahme, die <strong>in</strong> der Folgezeit für Diskussionen <strong>in</strong> der Partei s<strong>org</strong>te und deren<br />
Angemessenheit bezweifelt wurde. H<strong>in</strong>zu kam, dass die Absetzung von Gautier<br />
und Meyer-Buer ursprünglich wohl auf e<strong>in</strong>en Beschluss des Sekretariats des Parteivorstandes<br />
auf Bundesebene zurückg<strong>in</strong>g. Walter Fisch, als Instrukteur wenige Tage<br />
später <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> anwesend, stellte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht zur »Angelegenheit Meyer-<br />
Buer / Gautier« fest: »Der Beschluss des Sekretariats des PV wird e<strong>in</strong>heitlich anerkannt<br />
und durchgeführt. Es besteht bei den führenden Genossen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> jedoch<br />
die Neigung, die Sache zu bagatellisieren.« Meyer-Buer und Gautier waren sogar<br />
noch als Referenten auf zwei Parteiarbeiterkonferenzen e<strong>in</strong>gesetzt worden. Dort<br />
hätten auch die Funktionäre, so Fisch weiter, auf die Beschlüsse kaum reagiert: »Im<br />
Gegenteil, es gab <strong>in</strong> Bezug auf die Beschlüsse solche Stimmungen ›War denn das<br />
notwendig‹, ›Das hätte jedem anderen auch passieren können’ oder ›Ach, das verstehen<br />
wir schon, das musste man der Form halber gegenüber den Amerikanern<br />
tun‹ etc.«. 94<br />
<strong>Die</strong>se E<strong>in</strong>stellungen zeigten sich auch auf der Landesleitungssitzung am 27.<br />
August 1950, die sich fast ausschließlich mit diesem Thema beschäftigte und dem<br />
Beschluss des Sekretariats zustimmen sollte. Es kam zu starker Kritik am Sekretariat,<br />
fast alle Redner lehnten die Maßnahmen gegen Meyer-Buer und Gautier ab. Willy<br />
Knigge verteidigte zunächst den Beschluss des Sekretariats, der notwendig ge-<br />
90 Protokoll über die Sekretariatssitzung am 2. August 1950 im Parteih. Waller R. 41, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
91 Selbstkritische Erklärung der Gen. Willi Meyer-Buer und Hermann Gautier zu Abgabe ihrer Unterschrift an den<br />
Landeskommissar <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
92 Ebenda.<br />
93 Protokoll über die Sekretariatssitzung am 2. August 1950 im Parteih. Waller R. 41, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
94 Bericht über Instruktion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven am 7.8.1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.
108<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
wesen sei, »um der Partei e<strong>in</strong> erzieherisches Beispiel zu geben«. 95 Es gab, so vermerkte<br />
der anwesende Instrukteur des Parteivorstandes, bereits während der Äußerungen<br />
Knigges »e<strong>in</strong>e Reihe von Zwischenrufen, wie: ›Praktisch hätten alle dasselbe<br />
gemacht‹ und ›das Sekretariat kann nicht alle<strong>in</strong> beschließen‹«. 96 In der folgenden<br />
Diskussion wurde der Unmut konkretisiert. Besonders kritisch äußerte sich<br />
Karl Grobe, selbst Sekretariatsmitglied, aber auf der Sitzung am 2. August nicht<br />
anwesend. Grobe wies den Vorwurf des Opportunismus gegen Meyer-Buer und<br />
Gautier zurück. Ihr Verhalten sei ke<strong>in</strong> »Zurückweichen«, sondern zeuge lediglich<br />
von »mangelnder Wachsamkeit«. <strong>Die</strong> Diskussionen <strong>in</strong> der Partei zeigten, so Grobe,<br />
dass der Beschluss falsch sei. 97 Es würden auch Auffassungen vertreten, dass der<br />
Ausschluss nur e<strong>in</strong>e formelle »Phrase« sei, da Gautier <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Funktion bleiben<br />
würde, nur nicht als Sekretariatsmitglied. 98 Grobe war zuvor <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kritik noch<br />
weiter gegangen und sprach auch allgeme<strong>in</strong>e Unzufriedenheiten an. Dem Sekretariat<br />
fehle »die Verb<strong>in</strong>dung nach unten und der richtige Arbeitsstil«. Es gebe Stimmungen<br />
<strong>in</strong> der Mitgliedschaft, nach denen das Sekretariat »e<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>d« sei. 99 Grobes<br />
Auffassung bezüglich Meyer-Buer und Gautier wurde von den folgenden Rednern<br />
unterstützt. Käthe Popall me<strong>in</strong>te gar, dass »das V<strong>org</strong>ehen der Leitung [...] die Mitgliedschaft<br />
schockiert« habe. 100 Es bestehe e<strong>in</strong> »schlechtes Verhältnis zwischen Sekretariat<br />
und Landesvorstand«, der als untergeordnete Instanz behandelt werde, wie<br />
<strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> diesem Fall zum Ausdruck gekommen sei.<br />
Meyer-Buer und Gautier selbst verteidigten ihre eigene Absetzung und kritisierten,<br />
dass ihr Fall jetzt benutzt werde, um e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Unzufriedenheit mit<br />
dem Sekretariat Ausdruck zu geben. 101 <strong>Die</strong> »unerfreuliche Diskussion« zeige, dass<br />
»unsere Genossen das Neue <strong>in</strong> der Situation nicht verstehen«. 102<br />
Trotz der zum Ausdruck gekommenen Missstimmung und Kritik billigte die<br />
Landesleitung schließlich den Beschluss des Sekretariats und stimmte der Absetzung<br />
von Meyer-Buer und Gautier bei vier Gegenstimmen zu. <strong>Die</strong> Gegenstimmen<br />
kamen von Karl Grobe, Käthe Popall, He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich und der während der Diskussion<br />
nicht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung getretenen Liselotte Petschke. Insbesondere Käthe<br />
Popall und Karl Grobe wurden deshalb im Bericht des PV-Instrukteurs schwer kri-<br />
95 Niederschrift über die Verhandlungen der Landesvorstandssitzung am Sonntag, dem 27. August 1950, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/2.<br />
96 Bericht über die Landesvorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung <strong>Bremen</strong>, am Samstag, den 27.8.1950, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/2.<br />
97 Niederschrift über die Verhandlungen der Landesvorstandssitzung am Sonntag, dem 27. August 1950, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/2.<br />
98 Bericht über die Landesvorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung <strong>Bremen</strong>, am Samstag, den 27.8.1950, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/2.<br />
99 Ebenda.<br />
100 Ebenda.<br />
101 Niederschrift über die Verhandlungen der Landesvorstandssitzung am Sonntag, dem 27. August 1950, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/2.<br />
102 Bericht über die Landesvorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung <strong>Bremen</strong>, am Samstag, den 27.8.1950, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/2
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 109<br />
tisiert. Man müsse aus der Landesvorstandssitzung »ernste Schlussfolgerungen«<br />
ziehen:<br />
»Trotz der ausführlichen und sehr sachlichen Diskussion haben - und das ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />
äußerst bemerkenswert - vier Genossen und Genoss<strong>in</strong>nen gegen den Beschluss<br />
des Sekretariats gestimmt und begründeten ihre Haltung teilweise mit absolut opportunistischen<br />
Argumenten. Insbesondere der Genosse Karl Grobe hat sich schwere opportunistische<br />
Entgleisungen zu schulden kommen lassen. <strong>Die</strong> Genoss<strong>in</strong> Popall zeigte dieselbe L<strong>in</strong>ie.« 103<br />
In dem Abstimmungsergebnis sei »die ganze Schwäche der Leitung« zum Ausdruck<br />
gekommen, so der Instrukteur weiter. Es sei »nicht von der Hand zu weisen,<br />
dass der e<strong>in</strong>e oder andere fe<strong>in</strong>dlichen E<strong>in</strong>flüssen unterlegen ist«. Grobe könne<br />
»unmöglich länger Mitglied des Sekretariats bleiben«, auch Popall und Petschke<br />
dürften nicht mehr <strong>in</strong> führenden Funktionen e<strong>in</strong>gesetzt werden. In e<strong>in</strong>er Bewertung<br />
des Berichts durch den Parteivorstand wurde ebenfalls deutlich, dass man pr<strong>in</strong>zipiell<br />
mit der Bremer Parteileitung unzufrieden war. 104 <strong>Die</strong> Diskussion um Meyer-<br />
Buer und Gautier habe gezeigt, »dass selbst <strong>in</strong> der Führung ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Auffassung<br />
besteht«. Das Sekretariat setze sich politisch nicht durch und sei daher »naturgemäß<br />
nicht <strong>in</strong> der Lage, die Partei bei Aktionen auf Touren zu br<strong>in</strong>gen«. Alle<br />
Berichte zeigten, so das Resümee, »dass e<strong>in</strong>e baldige Veränderung im Sekretariat<br />
unbed<strong>in</strong>gt erforderlich ist«.<br />
<strong>Die</strong>se Veränderung wurde e<strong>in</strong> knappes halbes Jahr später vollzogen.<br />
3. <strong>Die</strong> Ablösung des Sekretariats<br />
<strong>Die</strong> im Zuge der Noel-H.-Field-Affäre erfolgte Überprüfung von Funktionären aus<br />
der Westemigration betraf auch den Ersten Sekretär der Bremer Landes<strong>org</strong>anisation,<br />
Willy Knigge. Der 1906 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geborene Knigge emigrierte nach 1933 u.a.<br />
nach Frankreich, wo er Mitglied der <strong>KPD</strong>-Landesleitung und Angehöriger der<br />
Résistance war. Auch Knigges Absetzung erfolgte kurzfristig. In den Wochen und<br />
Monaten vor dem Februar 1951 gab es kaum Anzeichen für bevorstehende größere<br />
personelle Änderungen im Sekretariat. E<strong>in</strong>ziger Anhaltspunkt war die vom Parteivorstand<br />
veranlasste Verschiebung der ursprünglich für Ende November oder Anfang<br />
Dezember 1950 v<strong>org</strong>esehenen Landesdelegiertenkonferenz. 105 Willy Knigge<br />
begründete die kurzfristige Term<strong>in</strong>änderung vor der Landesleitung mit der bis dah<strong>in</strong><br />
mangelhaften Vorbereitung. Es sei nicht gelungen, »die Partei<strong>org</strong>anisation für<br />
den Parteitag zu gew<strong>in</strong>nen«. 106 Auch wenn dies zutreffen mochte, der tatsächliche<br />
Grund der mehrmaligen Verschiebung des <strong>KPD</strong>-Parteitages - und damit auch der<br />
vorbereitenden Landesdelegiertenkonferenzen - waren Beschlüsse des SED-<br />
103 Ebenda.<br />
104 Düsseldorf, den 9. September 1950, Betr.: <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
105 Protokoll von der Sekretariatssitzung am 2. November 1950 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. In: SAPMO I 11/20/5.<br />
106 Protokoll von der Landesvorstandssitzung am 19. November 1950, Waller R<strong>in</strong>g 41. In: SAPMO I 11/20/2.
110<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
Politbüros, das im bereits im Oktober 1950 e<strong>in</strong>e Kommission »zwecks Stellungnahme<br />
zu den Vorschlägen der Kandidaten für das Sekretariat und den Parteivorstand<br />
der <strong>KPD</strong> und für die Sekretariate der Landesvorstände« gebildet hatte. 107<br />
<strong>Die</strong> Ablösung Knigge wurde auf der oben beschriebenen Parteivorstandssitzung<br />
vom 9. Februar 1951 beschlossen. <strong>Die</strong> Begründung hieß lapidar »mangelnde<br />
Pflichterfüllung«. 108 Das Bremer Sekretariat fasste dazu fünf Tage später e<strong>in</strong>en kurzen,<br />
nur noch affirmativen Beschluss: »Das Sekretariat des Landesvorstandes <strong>Bremen</strong><br />
stimmt dem Beschluss des Sekretariats des PV bezüglich der Abberufung des<br />
Genossen Knigge als 1. Landesvorsitzenden und der Berufung des Genossen Hermann<br />
Gautier für diese Funktion voll<strong>in</strong>haltlich zu.« 109<br />
Knigge, der auf der Sitzung anwesend war und noch das politische E<strong>in</strong>leitungsreferat<br />
hielt, machte deutlich, dass weitere Absetzungen und Veränderungen <strong>in</strong> der<br />
Landesleitung und im Sekretariat geplant und zu erwarten seien. 110 <strong>Die</strong> Berufung<br />
Hermann Gautiers als Erster Sekretär war nach se<strong>in</strong>er gerade e<strong>in</strong> halbes Jahr zurückliegenden<br />
Maßregelung und Absetzung als Sekretariatsmitglied relativ überraschend.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs hatte der Instrukteur des Parteivorstandes bereits nach der Landesleitungssitzung<br />
vom 27. August 1950 vermerkt, Gautier sei »<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sehr guten<br />
Form aufgetreten« und weiter: »Gegen e<strong>in</strong>e baldige Wiederverwendung, so wie<br />
v<strong>org</strong>esehen, gibt es, falls es geschickt angefasst wird, ke<strong>in</strong>erlei Bedenken«. 111 <strong>Die</strong>s<br />
war auch e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis darauf, dass Gautiers E<strong>in</strong>setzung als Erster Sekretär der<br />
Bremer Landesleitung bereits zu diesem Zeitpunkt - und nicht erst im Februar 1951<br />
- beschlossene Sache war.<br />
<strong>Die</strong> Landesdelegiertenkonferenz, auf der der Führungswechsel formell beschlossen<br />
werden sollte, war vom Parteivorstand am 13. Februar, also e<strong>in</strong>en Tag vor<br />
der Bremer Sekretariatssitzung, auf den 24./25. Februar 1951 term<strong>in</strong>iert worden. 112<br />
Es blieb also zur Vorbereitung nur wenig Zeit, gleichzeitig waren dem Sekretariat<br />
die zu erwartenden Schwierigkeiten bewusst. He<strong>in</strong>rich Nolte, der als Zweiter Sekretär<br />
ebenfalls abgelöst werden sollte, wies darauf h<strong>in</strong>: <strong>Die</strong> »Diskussion, aber auch<br />
die persönlichen Veränderungen müssen vorher diskutiert und <strong>in</strong> der Partei durchgesetzt<br />
werden, damit der LV auf der Landesdelegiertenkonferenz geschlossen da<br />
steht«. 113<br />
<strong>Die</strong>s war angesichts der Kürze der Zeit kaum zu verwirklichen, zumal zu diesem<br />
Zeitpunkt die Kandidatenliste für die neue Landesleitung und das Sekretariat<br />
noch nicht e<strong>in</strong>mal feststand. Erst am 16. Februar 1951 g<strong>in</strong>gen die von der SED überprüften<br />
und genehmigten Listen an die e<strong>in</strong>zelnen Landesverbände der <strong>KPD</strong>. 114<br />
107 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 36. Mitglieder der Kommission waren Walter<br />
Ulbricht, Franz Dahlem, Hermann Matern und Max Reimann.<br />
108 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 43.<br />
109 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. In: SAPMO I 11/20/6.<br />
110 Ebenda.<br />
111 Bericht über die Landesvorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung <strong>Bremen</strong>, am Samstag, den 27.8.1950, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/2.<br />
112 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 45.<br />
113 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. In: SAPMO I 11/20/6.<br />
114 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 44.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 111<br />
<strong>Die</strong> Schreiben betonten, es seien »nur die Genossen aufgeführt, die nach der Überprüfung<br />
als <strong>in</strong> Ordnung befunden wurden. Alle die Genossen, die entweder abgelehnt<br />
wurden oder bei denen noch Fragen offen stehen, können bei der Wahl für<br />
den Landesvorstand nicht <strong>in</strong> Betracht gezogen werden«. 115 Außerdem sei »darauf<br />
zu achten, dass ke<strong>in</strong> anderer Genosse oder Genoss<strong>in</strong> als die <strong>in</strong> den Listen angegebenen,<br />
gewählt werden.« 116<br />
Für <strong>Bremen</strong> bedeutete dies, dass von den ursprünglich 37 v<strong>org</strong>eschlagenen<br />
Kandidaten lediglich 18 übrig blieben, die der Überprüfung durch die SED standgehalten<br />
hatten. <strong>Die</strong>se Liste beschloss das Sekretariat schließlich - <strong>in</strong> Anwesenheit<br />
e<strong>in</strong>es Vertreters des Parteivorstands und »nach kurzer Aussprache« - am 21. Februar<br />
1951, also erst drei Tage vor der Delegiertenkonferenz. 117 E<strong>in</strong>e wirkliche Diskussion<br />
über die Kandidaten <strong>in</strong> den Grunde<strong>in</strong>heiten konnte so gar nicht stattf<strong>in</strong>den,<br />
auch wenn bis zur Konferenz noch e<strong>in</strong>ige Mitgliederversammlungen durchgeführt<br />
wurden. 118 Derartige Diskussionen waren auch nicht erwünscht, wie e<strong>in</strong> Mitglied<br />
des Sekretariats am Tag der Delegiertenkonferenz unmissverständlich klarstellte.<br />
<strong>Die</strong> offenbar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Mitgliederversammlungen durchgeführten Abstimmungen<br />
über die Kandidatenliste seien »falsch und führen zu Fraktionsarbeit«. 119<br />
Dementsprechend durfte es natürlich auch während der Konferenz und bei der<br />
Abstimmung über die neue Landesleitung ke<strong>in</strong>e Diskussionen und Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten<br />
geben. Das Sekretariat und der Landesvorstand wurden auf der<br />
vorbereitenden Sitzung noch e<strong>in</strong>mal auf e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches Auftreten vor der Delegiertenkonferenz<br />
e<strong>in</strong>geschworen. <strong>Die</strong> Vorschläge des Parteivorstands seien für alle<br />
Leitungsmitglieder b<strong>in</strong>dend, auch <strong>in</strong> persönlichen Erklärungen sollten nur die Auffassungen<br />
des Parteivorstands vertreten werden. Es dürfe bei der Wahl der neuen<br />
Führung, so Willy Knigge, »ke<strong>in</strong>e persönlichen Gefühlsduseleien« geben. Beschlossen<br />
wurde auf Vorschlag des anwesenden Vertreters des Parteivorstands außerdem,<br />
dass zunächst nur die 18 bisher genehmigten Kandidaten <strong>in</strong> die Landesleitung<br />
gewählt werden und nach Abschluss der Überprüfungen weitere Mitglieder<br />
kooptiert werden können. Zum Schluss der Sitzung betonte Willy Knigge, »dass<br />
von dem e<strong>in</strong>heitlichen Auftreten des Sekretariats auf der Landesdelegiertenkonferenz<br />
vieles abhängt«. 120 Speziell die auf dieser Sitzung - auf der auch schon das gesamte<br />
neue Sekretariat anwesend war - gefassten Beschlüsse und das Schlusswort<br />
115 Zitiert nach ebenda.<br />
116 Ebenda, S. 44. Mayer zitiert auch die Begründung der Zurückstellung e<strong>in</strong>es Bremer Funktionärs, der<br />
schreiben sollte, »was er <strong>in</strong> der Kriegsgefangenschaft gemacht hat, welche Art Schulung er geleitet hat,<br />
wer daran teilnahm, ob diese Schulung von den Engländern <strong>org</strong>anisiert war bezw. ob diese ihn mit der<br />
Schulung beauftragt haben, wie er entlassen wurde und Zeugenangaben.«<br />
117 Bericht von e<strong>in</strong>er Sitzung des Sekretariats am 21. Februar 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6. In dieser Sitzung<br />
wurden auch die <strong>org</strong>anisatorischen E<strong>in</strong>zelheiten der Delegiertenkonferenz festgelegt.<br />
118 Erwähnt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em SED-Instrukteursbericht (Land: <strong>Bremen</strong>, Dauer der Reise: 13.2.- 26.2.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/13). Der Instrukteur hatte u.a. den Auftrag zur Mitarbeit an den Vorbereitungen zur Delegiertenkonferenz.<br />
119 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 24. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6<br />
120 Ebenda.
112<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
Knigges verdeutlichen also, dass im Sekretariat mit Schwierigkeiten bei der Durchsetzung<br />
der neuen Parteileitung gerechnet wurde.<br />
<strong>Die</strong> Delegiertenkonferenz fand wie geplant am 24. und 25. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
statt. Insgesamt nahmen 209 Delegierte teil, davon 43 Gastdelegierte. 121 »Der<br />
Saal war sehr gut geschmückt und die Konferenz wurde durch e<strong>in</strong>en Film kulturell<br />
umrahmt«, bemerkte der anwesende SED-Instrukteur. 122 Erstmalig war e<strong>in</strong> »Ehrenpräsidium«<br />
ernannt worden, dem »die Führer des Weltproletariats« mit Josef<br />
Stal<strong>in</strong> an der Spitze angehörten. 123 <strong>Die</strong>TagesordnungsahfürdenerstenTagzunächst<br />
vor allem das Referat des designierten Landesvorsitzenden Hermann Gautier<br />
vor. <strong>Die</strong>s war - wie auch der Term<strong>in</strong> der Konferenz - am 13. Februar 1951 vom<br />
Parteivorstand beschlossen worden. 124 Gautier hatte se<strong>in</strong>e Rede <strong>in</strong> Zusammenarbeit<br />
mit se<strong>in</strong>em V<strong>org</strong>änger Willy Knigge, dem bereits erwähnten SED-Instrukteur sowie<br />
dem Instrukteur des <strong>KPD</strong>-Parteivorstands, Alfred Zeidler, formuliert und bearbeitet.<br />
125<br />
Schwerpunkt von Gautiers Referat war der wenige Tage zuvor beendete Streik<br />
der Bremer Metallarbeiter. In diesem Zusammenhang hatte es größere Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
mit der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward gegeben, die Gautier zum Anlass<br />
schwerer Kritik nahm, vor allem gegen die Betriebsgruppe, aber auch gegen das alte<br />
Sekretariat. 126<br />
<strong>Die</strong> Wahl zur der neuen Landesleitung erfolgte schließlich en bloc bei e<strong>in</strong>er Gegenstimme<br />
und e<strong>in</strong>er Enthaltung. 127 Wie zuvor vom Sekretariat geplant, wurde die<br />
Zahl der Vorstandsmitglieder auf die 18 Genossen festgelegt, die vom Parteivorstand<br />
und SED bis dah<strong>in</strong> genehmigt waren. Außerdem war die Möglichkeit der<br />
Kooptierung weiterer Mitglieder v<strong>org</strong>esehen. Insgesamt waren <strong>in</strong> der neuen Landesleitung<br />
nur noch sechs Mitglieder vertreten, die auch schon der alten angehört<br />
hatten. 128 Entfernt worden waren nicht nur die beiden Landesvorsitzenden Willy<br />
Knigge und He<strong>in</strong>rich Nolte, sondern z.B. auch die ehemalige Senator<strong>in</strong> Käthe Po-<br />
121 Org.-Bericht über die Zusammensetzung der Delegierten und Gäste der Landesdelegierten-Konferenz <strong>Bremen</strong> am<br />
24. und 25. Februar 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1.<br />
122 Land: <strong>Bremen</strong>, Dauer der Reise: 13.2.- 26.2.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
123 Für die friedliche Lösung der deutschen Frage, Tribüne der Demokratie 28.2.51. Vgl. auch die Schilderung<br />
der Landesdelegiertenkonferenz <strong>in</strong> Südwürttemberg <strong>in</strong>: Herbert Crüger, Verschwiegene Zeiten, Vom<br />
geheimen Apparat der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>s Gefängnis der Staatssicherheit, Berl<strong>in</strong> 1990, S. 141.<br />
124 Vgl. Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 45.<br />
125 Land: <strong>Bremen</strong>, Dauer der Reise: 13.2.- 26.2.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13; Bericht von der Landesdelegiertenkonferenz<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 24. / 25.2.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1.<br />
126 Siehe ausführlich Kapitel 5. In der anschließenden Diskussion wurde die Kritik Gautiers nicht widerspruchslos<br />
h<strong>in</strong>genommen. Insbesondere Mitglieder der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward wiesen die Beschuldigungen<br />
zurück und kritisierten ihrerseits das V<strong>org</strong>ehen des Sekretariats beim Metallarbeiterstreik.<br />
(Diskussion von der Landesdelegiertenkonferenz am 25.2.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1).<br />
127 Bericht von der Landesdelegiertenkonferenz <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 24. / 25.2.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1. Das Wahlverfahren<br />
war ebenfalls neu, bei der letzten Wahl der Landesleitung 1949 erfolgte noch e<strong>in</strong>e Stimmabgabe<br />
für jeden e<strong>in</strong>zelnen Kandidaten.<br />
128 <strong>Die</strong>s waren Wilhelm Lietzau, Frieda Reichel, He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich, Roman Fuchs, Maria Krüger und Albert<br />
Krohn.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 113<br />
pall, der Chefredakteur der Tribüne der Demokratie Willy Hundertmark sowie der<br />
Fraktionsvorsitzende <strong>in</strong> der Bremer Bürgerschaft Rudolf Rafoth.<br />
Im Anschluss an die Delegiertenkonferenz wählte die Landesleitung das neue<br />
Sekretariat. Ihm gehörten nun an Hermann Gautier als Erster Sekretär, Wilhelm<br />
Lietzau, Wilhelm Seipel, Ulrich Konetzka und Frieda Reichel. 129 Besonders auffällig<br />
und später immer wieder Anlass <strong>in</strong>nerparteilicher Unmutsäußerungen und Konflikte<br />
war das relativ niedrige Alter der neuen Parteiführung: Hermann Gautier<br />
(Jahrgang 1920) war zum Zeitpunkt se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>setzung 30 Jahre alt, auch Ulrich Konetzka<br />
(geboren 1924) und Willy Seipel gehörten dieser Generation an. M<strong>in</strong>destens<br />
drei von fünf Mitgliedern der neuen Parteiführung gehörten somit zu den nach<br />
<strong>1945</strong> <strong>in</strong> die <strong>KPD</strong> E<strong>in</strong>getretenen.<br />
Dass dies sowohl pr<strong>in</strong>zipiell wie auch speziell im Falle Hermann Gautiers nicht<br />
unumstritten war, zeigte sich bereits bei der anschließenden Wahl des Sekretariats<br />
durch die neue Landesleitung. <strong>Die</strong> Bürgerschaftsabgeordnete Maria Krüger wandte<br />
sich gegen Gautier als Landesvorsitzenden, da, so das Protokoll, »es 1. <strong>in</strong> der Mitgliedschaft<br />
Stimmungen gäbe, die mit der Wahl des Genossen Hermann Gautier<br />
nicht e<strong>in</strong>verstanden wären und 2. sie selbst auch nicht ganz mit der Wahl des Genossen<br />
Hermann Gautier e<strong>in</strong>verstanden sei.« 130 E<strong>in</strong>e Begründung ihrer ablehnenden<br />
Haltung gab Krüger nicht. Unterstützung erhielt sie lediglich von e<strong>in</strong>em weiteren<br />
Mitglied der Landesleitung woraufh<strong>in</strong> sie schließlich ihre Bedenken zurückstellte.<br />
Hermann Gautier wurde e<strong>in</strong>stimmig gewählt, obwohl, so vermerkte der<br />
anwesende Instrukteur des Parteivorstands <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht, »die Genoss<strong>in</strong> und<br />
der Genosse ihre Zustimmung schweren Herzens gaben, wie sich ausdrückten.« 131<br />
Damit war die Umgestaltung der Parteileitung auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vollzogen. Der<br />
abgelöste Landesvorsitzende Willy Knigge g<strong>in</strong>g, wie auch zahlreiche andere ehemalige<br />
Westemigranten der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong> die DDR und nahm dort später Spitzenfunktionen<br />
im Partei-, Regierungs- und Gewerkschaftsapparat e<strong>in</strong>. 132<br />
Für Hermann Gautier war die Berufung zum Ersten Landessekretär »e<strong>in</strong>e große<br />
Herausforderung« 133, er war sich aber auch der Widerstände bewusst, die sich auf<br />
der konstituierenden Sitzung der Landesleitung angedeutet hatten:<br />
»Ich war ja noch relativ jung, gerade mal 30 Jahre alt und erst fünf Jahre <strong>in</strong> der Partei. Es gab<br />
viele Genossen, die jahrzehntelange Erfahrung <strong>in</strong> der Bewegung hatten, die im KZ waren und<br />
129 Protokoll der konstituierenden Sitzung der Landesleitung am 25.2.51 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2. Ulrich<br />
Konetzka (geb. 1927): Journalist. Nach <strong>1945</strong> FDJ und <strong>KPD</strong>, seit 1951 Mitglied des Landessekretariats,<br />
zeitweise 2. Landessekretär, nach dem Verbot Tätigkeit für den »Freiheitssender 904« der <strong>KPD</strong>, später<br />
Redakteur bei »Neues Echo«, seit <strong>1968</strong> DKP; Willy Seipel: gelernter Setzer. Kriegsgefangenschaft, Rückkehr<br />
nach <strong>Bremen</strong> 1947/48. Redakteur Tribüne der Demokratie, 1951 Mitglied Landesleitung und Sekretariat,<br />
1952 vermutlich 2. L<strong>in</strong>ie. <strong>1968</strong> DKP. Verstorben; Willy Lietzau: <strong>KPD</strong> Bremerhaven, 1951 Mitglied<br />
des Landessekretariats, 2. Sekretär (Org.-Instr.), 1952 vermtl. 2. L<strong>in</strong>ie; Frieda Reichel: (1910-?): <strong>KPD</strong>, 1951<br />
Mitglied des Landessekretariats, Erste Sekretär<strong>in</strong> DFD <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>.<br />
130 Protokoll der konstituierenden Sitzung der Landesleitung am 25.2.51 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
131 Bericht von der Landes-Delegiertenkonferenz <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 24./25.2.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1.<br />
132 Vgl. die biographischen Angaben <strong>in</strong>: Andreas Herbst, W<strong>in</strong>fried Ranke und Jürgen W<strong>in</strong>kler, So funktionierte<br />
die DDR, Band 3: Lexikon der Funktionäre, Re<strong>in</strong>bek bei Hamburg 1994, S. 176.<br />
133 Interview Gautier, 2.
114<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
gegen den Faschismus gekämpft hatten. <strong>Die</strong> glaubten natürlich, dass eigentlich sie jetzt dran<br />
wären, wenn Willy Knigge schon wegg<strong>in</strong>g. Es gab da schon Ause<strong>in</strong>andersetzungen um diese<br />
Frage.« 134<br />
Thematisiert und vor allem publiziert wurden diese Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong><br />
der Folgezeit nicht. Weder die vom Landesparteitag verabschiedete Resolution<br />
noch die Berichterstattung der Tribüne der Demokratie g<strong>in</strong>gen auf den Führungswechsel<br />
näher e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Resolution sprach lediglich allgeme<strong>in</strong> von der Notwendigkeit<br />
der »Schaffung von Leitungen, die die Gewähr dafür bieten, dass die Politik<br />
und die Beschlüsse der Partei ohne Schwankungen durchgeführt werden« und forderte<br />
die »Entwicklung e<strong>in</strong>er Kader-Politik, die der Partei den Nachwuchs junger<br />
Kader sichert und die Voraussetzungen schafft, dass junge und entwicklungsfähige<br />
Parteimitglieder <strong>in</strong> alle Parteileitungen mit e<strong>in</strong>bezogen werden«. 135 In der Tribüne<br />
der Demokratie wurde <strong>in</strong> Auszügen das Referat Gautiers mit der Kritik am alten Sekretariat<br />
veröffentlicht. 136 Weitere Begründungen oder gar Diskussionen wurden<br />
nicht veröffentlicht.<br />
Thematisiert wurde der Führungswechsel allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der nichtkommunistischen<br />
Presse. Der Weser-Kurier beispielsweise berichtete gut e<strong>in</strong>e Woche später von<br />
der Landesdelegiertenkonferenz. 137 <strong>Die</strong> »Welle der Säuberungen«, so der äußerst<br />
hämisch verfasste Artikel, habe »nun auch im Lande <strong>Bremen</strong> die ›alte Garde‹ h<strong>in</strong>weggespült<br />
und politisch ›unbelastete‹ Kräfte an die Spitze der bremischen KP-<br />
Kader<strong>org</strong>anisation gebracht«. Besonders vermerkt wurde die Absetzung der Bürgerschaftsabgeordneten<br />
aus der Landesleitung sowie das niedrige Alter der neuen<br />
Leitungsmitglieder. E<strong>in</strong>e Fehl<strong>in</strong>formation war allerd<strong>in</strong>gs die Behauptung, der alte<br />
Vorstand habe e<strong>in</strong>e eigene Kandidatenliste e<strong>in</strong>gebracht, mit der er »e<strong>in</strong>en hundertprozentigen<br />
Re<strong>in</strong>fall« erlebt habe.<br />
<strong>Die</strong> Reaktionen der Bremer Öffentlichkeit beunruhigte die Parteileitung offenbar<br />
so sehr, dass sie sich zu e<strong>in</strong>er Stellungnahme genötigt sah. Rudolf Rafoth, Vorsitzender<br />
der Bürgerschaftsfraktion und ebenfalls als Sekretariats- und Landesleitungsmitglied<br />
abgesetzt, schrieb <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie, die »Mitglieder und<br />
Funktionäre« verfolgten »mit stets wachsender Belustigung« die Berichterstattung<br />
zur Landesdelegiertenkonferenz. 138 Rafoth versuchte, die Artikel als nicht ernstzunehmende<br />
»Böswilligkeit, Verdrehung und Verleumdung« h<strong>in</strong>zustellen. Im Unterschied<br />
zu »bürgerlichen Interessengruppen oder Wahlvere<strong>in</strong>en« beschäftige sich<br />
die <strong>KPD</strong> nicht mit Personen, »sondern mit der Politik und Arbeit der Partei«. Er<br />
rechtfertigte die auf der Konferenz v<strong>org</strong>ebrachte Kritik am alten Sekretariat und<br />
verband dies mit e<strong>in</strong>er Warnung an die Mitgliedschaft, : »Wer diese Kritik und<br />
134 Ebenda.<br />
135 Resolutionsentwurf der Landesdelegiertenkonferenz Land <strong>Bremen</strong> am 24. und 25. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/1. Siehe auch Für die friedliche Lösung der deutschen Frage, Tribüne der Demokratie<br />
28.2.51.<br />
136 Bremer Metallarbeiterstreik bestätigt Wilhelm Pieck, Tribüne der Demokratie 3./4.3.51; Wir brauchen Güter<br />
für e<strong>in</strong> friedliches Leben!, Tribüne der Demokratie 6.3.51 und 7.3.51.<br />
137 Bremer <strong>KPD</strong>-Vorstand »gesäubert«, Weser-Kurier 5.3.1951.<br />
138 Es lebe die E<strong>in</strong>heit unserer Partei, Tribüne der Demokratie 13.3.1951.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 115<br />
Selbstkritik ablehnt oder mit <strong>in</strong>neren Vorbehalten betrachtet, verkennt das Entwicklungsgesetz<br />
unserer Klasse und Partei und gerät <strong>in</strong> Gefahr, im Schlamm bürgerlicher<br />
Selbstzufriedenheit und Lobhudelei zu verkommen.« Mit e<strong>in</strong>em langen, mehr<br />
als die Hälfte des Artikels e<strong>in</strong>nehmenden Stal<strong>in</strong>-Zitat verteidigte Rafoth die E<strong>in</strong>setzung<br />
junger Genossen <strong>in</strong> die Parteileitung. Abschließend spielte er noch e<strong>in</strong>mal die<br />
Reaktionen der Bremer Öffentlichkeit, und damit letztendlich auch die bereits deutlich<br />
gewordene Kritik aus den eigenen Reihen, herunter. Man könne »über den<br />
krampfhaften Versuch unserer Gegner, die E<strong>in</strong>heit unserer Partei und ihrer Funktionäre<br />
<strong>in</strong> Zweifel zu ziehen, nur mitleidig lächeln und zur Tagesordnung übergehen«.<br />
Der Artikel zeigte, dass die Parteileitung weniger um die eigentlich kritisierten<br />
Äußerungen der bürgerlichen Medien bes<strong>org</strong>t war, als vielmehr um die Reaktion<br />
der Mitgliedschaft auf die Absetzung des alten Sekretariats. <strong>Die</strong>se S<strong>org</strong>e war berechtigt<br />
und ke<strong>in</strong>eswegs konnte die Partei <strong>in</strong> der Folgezeit, wie von Rafoth gewünscht,<br />
e<strong>in</strong>fach »zur Tagesordnung übergehen«.<br />
4. <strong>Die</strong> »umfassende Säuberung der Partei«.<br />
Ausschlussverfahren gegen prom<strong>in</strong>ente Mitglieder 1951/52<br />
Mit der Absetzung des alten Sekretariats waren die Säuberungen <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> noch<br />
nicht beendet. Dass es bundesweit um e<strong>in</strong>e »umfassende Parteire<strong>in</strong>igung« 139 g<strong>in</strong>g,<br />
zeigte schon der offiziell als »Münchener« deklarierte, tatsächlich <strong>in</strong> Weimar tagende<br />
Parteitag vom 3. bis 5. März 1951. <strong>Die</strong> Delegierten verabschiedeten e<strong>in</strong>e Resolution<br />
mit <strong>in</strong>sgesamt 57 Thesen, <strong>in</strong> denen u.a. die bisherigen Absetzungen gerechtfertigt<br />
sowie die Richtung der weiteren Entwicklung v<strong>org</strong>egeben wurde. 140 So hieß es<br />
beispielsweise <strong>in</strong> These 53:<br />
»<strong>Die</strong> Hauptaufgabe ist, die Partei re<strong>in</strong> zu halten. [...]. Der Parteitag lenkt die besondere Aufmerksamkeit<br />
aller Partei<strong>org</strong>anisationen auf die Notwendigkeit der Erhöhung der revolutionären<br />
Wachsamkeit und der vollständigen Entlarvung der Fe<strong>in</strong>de der Partei, der Spione und<br />
Provokateure sowie der Methoden ihrer verbrecherischen Tätigkeit«. 141<br />
Das gleichzeitig verabschiedete Statut der <strong>KPD</strong> schuf e<strong>in</strong>e <strong>org</strong>anisatorische<br />
Grundlage für die weitere Umgestaltung zur »Partei neuen Typus«, <strong>in</strong>dem es unmissverständlich<br />
jegliche oppositionelle Tätigkeit und Abweichungen von der Parteil<strong>in</strong>ie<br />
mit dem Ausschluss bedrohte:<br />
139 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 51.<br />
140 <strong>Die</strong> gegenwärtige Lage und die Aufgaben der <strong>KPD</strong>. Entschließung des Münchener Parteitags (3.-5.3. 1951), <strong>in</strong>:<br />
<strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 335-378. <strong>Die</strong> Thesen formulierten außerdem programmatische<br />
Änderungen, von denen besonders die die Gewerkschaftsarbeit behandelnde These 37 weitreichende<br />
Folgen hatte.<br />
141 Ebenda, S. 371f.
116<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
»<strong>Die</strong> Stärke der Partei liegt <strong>in</strong> der Geschlossenheit ihrer Reihen, <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>heit des Willens und<br />
des Handelns. Unvere<strong>in</strong>bar damit s<strong>in</strong>d Abweichungen von den Pr<strong>in</strong>zipien des Marxismus-<br />
Len<strong>in</strong>ismus und dem Statut der Partei, ebenso wie die Verletzung der Parteidiszipl<strong>in</strong>, die Beteiligung<br />
an fraktionellen Gruppierungen und Doppelzünglerei. <strong>Die</strong> Partei entfernt aus ihren<br />
Reihen diejenigen, die das Statut, die Beschlüsse sowie die Diszipl<strong>in</strong> der Partei verletzen.« 142<br />
Weitere Säuberungsmaßnahmen wurden bereits unmittelbar im Anschluss an<br />
den Parteitag getroffen. 143 Dabei wurden vor allem Redakteure der Parteipresse<br />
abgelöst, denen bereits <strong>in</strong> den Thesen des Parteitages »grobe politische Fehler« v<strong>org</strong>eworfen<br />
worden waren. 144 In <strong>Bremen</strong> traf dies den Chefredakteur der Tribüne der<br />
Demokratie Willy Hundertmark, dessen Funktionsenthebung das Sekretariat des<br />
Parteivorstands am 20. März 1951 beschloss. 145 <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong>-Zeitung erschien<br />
seit Januar 1951 als »Kopfblatt« der Hamburger Volkzeitung (HVZ) und wurde auch<br />
<strong>in</strong> der Hamburger Redaktion hergestellt. Zusammen mit Hundertmark wurden<br />
zwei weitere Redakteure aus ihren Funktionen entfernt. 146 Begründungen für ihre<br />
Entlassungen erhielten sie nicht. 147 Hundertmark, der seit der Bremer Delegiertenkonferenz<br />
auch nicht mehr der Landesleitung angehörte, bekam außerdem Funktionsverbot<br />
und durfte nur noch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Stadtteil tätig se<strong>in</strong>. 148 Er wurde 2. Sekretär<br />
<strong>in</strong> Gröpel<strong>in</strong>gen, der größten Stadtteil<strong>org</strong>anisation der Bremer <strong>KPD</strong>. 149 Erst im April<br />
1956 wurde Hundertmark rehabilitiert und war bis zum Verbot als hauptamtlicher<br />
Mitarbeiter der Landesleitung tätig.<br />
<strong>Die</strong> Entlassung des Chefredakteurs der Tribüne der Demokratie bildete den, vergleichsweise<br />
harmlosen und von der Partei überhaupt nicht behandelten, Auftakt<br />
der <strong>in</strong> den nächsten anderthalb Jahren folgenden Kampagne und Säuberungswelle<br />
gegen die angeblichen »Parteife<strong>in</strong>de« <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong>. Es traf dabei - nicht zufällig,<br />
wie zu zeigen se<strong>in</strong> wird - <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie prom<strong>in</strong>ente Mitglieder, die allesamt der<br />
alten Landesleitung angehört hatten und deren Ansehen <strong>in</strong> der Partei sehr groß<br />
war. <strong>Die</strong> im folgenden geschilderten Ausschlussverfahren gegen Rudolf Rafoth,<br />
Folkert Potrykus sowie Re<strong>in</strong>hold und Käthe Popall verdeutlichen bei aller Unterschiedlichkeit<br />
der konkreten Anlässe grundlegende Aspekte von Ursachen, Verlauf<br />
und Methode der »Säuberung« der Partei und der Ausschaltung <strong>in</strong>terner Opposition.<br />
Gleichzeitig werden aber auch die Auswirkungen auf die Mitgliedschaft deutlich:<br />
In allen Fällen wurden die von der Leitung <strong>in</strong>itiierten Ausschlüsse ke<strong>in</strong>eswegs<br />
142 Statut der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong> <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 381ff., hier S. 381f.<br />
143 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 51ff.<br />
144 <strong>Die</strong> gegenwärtige Lage und die Aufgaben der <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 374.<br />
145 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 52.<br />
146 <strong>Die</strong>s waren He<strong>in</strong>z Priess und Rolf Hermann. Vgl. Hendrik Bunke (Hrsg.), Willy Hundertmark - Er<strong>in</strong>nerungen<br />
an e<strong>in</strong> widerständiges Leben, <strong>Bremen</strong> 1997, S. 68; Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den...,<br />
a.a.O., S. 52f.<br />
147 Hundertmark <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Er<strong>in</strong>nerungen: »Jedenfalls mussten wir drei zum Parteivorstand <strong>in</strong> Hamburg<br />
kommen und da wurde uns eröffnet, dass wir entlassen s<strong>in</strong>d. Wir konnten noch an unseren Arbeitstisch<br />
gehen und unsere persönlichen Sachen mitnehmen, dann war die Sache erledigt. Ke<strong>in</strong>er hat uns<br />
gesagt, wieso und warum.« (Hendrik Bunke [Hrsg.], Willy Hundertmark, a.a.O., S. 68).<br />
148 Ebenda, S. 71; Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 52.<br />
149 Faktisch und <strong>in</strong>offiziell habe er jedoch, so Hundertmark, die Leitung des Stadtteils übernommen<br />
(Hendrik Bunke [Hrsg.], Willy Hundertmark, a.a.O., S. 71f.).
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 117<br />
widerstandslos von der Basis h<strong>in</strong>genommen, und auch im Sekretariat selbst waren<br />
sie nicht unumstritten und führten zu Konflikten.<br />
Rudolf Rafoth<br />
Zu e<strong>in</strong>em für die <strong>KPD</strong> bedeutsamen und auch <strong>in</strong> der bremischen Öffentlichkeit aufsehenerregenden<br />
Fall wurde 1951 die Absetzung und schließlich der Parteiausschluss<br />
des Vorsitzenden der <strong>KPD</strong>-Bürgerschaftsfraktion Rudolf Rafoth. Der 1911<br />
geborene Rafoth gehörte bereits vor 1933 der <strong>KPD</strong> an. <strong>1945</strong> wurde er Syndikus der<br />
Angestelltenkammer und war bis 1951 auch Mitglied der Bezirks- und Landesleitung<br />
sowie des Landessekretariats der <strong>KPD</strong>. Der Bürgerschaft gehörte er als Vorsitzender<br />
der kommunistischen Fraktion von 1946 bis 1951 an. Rafoth wird übere<strong>in</strong>stimmend<br />
als »Starredner« der <strong>KPD</strong> geschildert, mit e<strong>in</strong>er starken Überzeugungskraft<br />
und e<strong>in</strong>er weit über se<strong>in</strong>e eigenen Genossen h<strong>in</strong>ausreichenden Anerkennung.<br />
150 Se<strong>in</strong>e Absetzung verdient nicht nur deshalb Beachtung, weil hier e<strong>in</strong> äußerst<br />
prom<strong>in</strong>enter und profilierter Kommunist betroffen war, sondern auch weil<br />
se<strong>in</strong> Fall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> als Auftakt und Exempel für die Kampagne gegen die sogenannten<br />
Parteife<strong>in</strong>de, Opportunisten und Agenten benutzt wurde.<br />
Anlass für Rafoths Ablösung als Fraktionsvorsitzender war die Zustimmung<br />
der <strong>KPD</strong> zum Haushaltsplan 1951, der von der Bremer Bürgerschaft am 30. März<br />
1951 verabschiedet wurde. 151 Zuvor waren <strong>in</strong> der zweitägigen Generaldebatte<br />
sämtliche Änderungsanträge der <strong>KPD</strong>-Fraktion von der Bürgerschaft abgelehnt<br />
worden, unter anderem auch e<strong>in</strong> Antrag auf Streichung der von <strong>Bremen</strong> an den<br />
Bund zu entrichtenden »Interessenquote«, nach der die Hansestadt 10 Prozent der<br />
auf ihrem Gebiet anfallenden Besatzungskosten zu tragen hatte. 1951 machte dies<br />
e<strong>in</strong>en Betrag von 10,4 Millionen DM aus. In se<strong>in</strong>er Abschlussrede kritisierte Rafoth<br />
noch e<strong>in</strong>mal die Regierungsparteien SPD und BDV und warf ihnen vor, ihre Haltung<br />
zu den Besatzungskosten seien als »vielleicht wohlkl<strong>in</strong>gendes, aber nicht den<br />
Tatsachen entsprechendes Lippenbekenntnis« zu werten. 152 <strong>Die</strong> Nichtzustimmung<br />
der <strong>KPD</strong>-Fraktion zum Haushalt war e<strong>in</strong>deutig: »Wir s<strong>in</strong>d überzeugt [...], dass die<br />
Bevölkerung früher oder später die Hohlheit e<strong>in</strong>er Wirtschaft und e<strong>in</strong>er F<strong>in</strong>anzpolitik<br />
erkennt, die ihren Niederschlag <strong>in</strong> den Haushaltsplänen f<strong>in</strong>det, die wir nur ablehnen<br />
können«. 153<br />
Bis zu diesem Zeitpunkt nahm die Debatte ihren erwartungsgemäßen Verlauf.<br />
Nach dem letzten Redner jedoch unterbrach Bürgerschaftspräsident August Hagedorn<br />
(SPD) die Sitzung und bat die Fraktionsvorsitzenden zu e<strong>in</strong>er Besprechung. 154<br />
Siebzig M<strong>in</strong>uten später trat die Bürgerschaft erneut zusammen. Hagedorn erklärte,<br />
man habe sich auf zwei Anträge gee<strong>in</strong>igt, »unter der Voraussetzung, dass die Bürgerschaft<br />
diese Anträge annimmt, stimmen auch die CDU und die <strong>KPD</strong> dem Haus-<br />
150 Vgl. Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 53.<br />
151 Bürgerschaftsprotokolle 30. März 1951, S. 225.<br />
152 Ebenda, S. 215f.<br />
153 Ebenda, S. 217.<br />
154 Ebenda, S. 224.
118<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
halt zu«. 155 Der erste Antrag sah die Streichung des Besatzungskostenanteils vor,<br />
der zweite ersuchte die F<strong>in</strong>anzdeputation »um geeignete Vorschläge, wie weiter<br />
Mittel für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden können« und<br />
forderte e<strong>in</strong>e Aufstockung auf m<strong>in</strong>destens 18 Millionen. 156 Beide Anträge wurden<br />
e<strong>in</strong>stimmig angenommen, der Haushalt mit den Stimmen der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>maliger<br />
Lesung verabschiedet.<br />
Offenbar handelte es sich bei der ungewöhnlichen und der L<strong>in</strong>ie der Partei widersprechenden<br />
Zustimmung zum Haushalt e<strong>in</strong>es bürgerlichen Parlaments um e<strong>in</strong>en<br />
Alle<strong>in</strong>gang des Fraktionsvorsitzenden Rafoth, der allerd<strong>in</strong>gs zunächst von den<br />
übrigen Fraktionsmitgliedern und dem Sekretariat gebilligt und mitgetragen wurde.<br />
Rafoth hatte die <strong>KPD</strong>-Abgeordneten nach der Beratung mit den anderen Fraktionsvorsitzenden<br />
kurz von der Vere<strong>in</strong>barung unterrichtet und angeblich »die Bedenken<br />
e<strong>in</strong>iger Genossen gegen die Zustimmung« zerstreut. Auch das Sekretariat<br />
wurde noch am selben Tag über den V<strong>org</strong>ang unterrichtet und unternahm <strong>in</strong> den<br />
folgenden Tagen zunächst nichts. 157<br />
Rafoth konnte sogar noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em am 3. April 1951 veröffentlichten Artikel <strong>in</strong><br />
der Tribüne der Demokratie die Streichung der Besatzungskosten als e<strong>in</strong>en Erfolg und<br />
als »Zeichen des Widerstandes gegen die vom Petersberg diktierte Adenauer-<br />
Politik« feiern. <strong>Die</strong> Fraktion habe deshalb dem Haushalt ihre Zustimmung gegeben,<br />
was nicht bedeute, »dass die schweren Bedenken gegen die F<strong>in</strong>anzpolitik <strong>in</strong> Fortfall<br />
gekommen s<strong>in</strong>d«. Alle anderen Kritikpunkte seien jedoch mehr oder weniger »die<br />
Folge der militärischen Besetzung unseres Landes und e<strong>in</strong>er Politik, die Deutschland<br />
und unsere Heimatstadt <strong>in</strong> die Katastrophe e<strong>in</strong>es neuen Krieges führt«. 158<br />
Erst durch diesen Artikel wurde der <strong>KPD</strong>-Parteivorstand <strong>in</strong> Düsseldorf auf die<br />
V<strong>org</strong>änge <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> aufmerksam, obwohl auf der Sekretariatssitzung am 30. März<br />
1951, auf der die Leitungsmitglieder über die Haltung der Bürgerschaftsfraktion <strong>in</strong>formiert<br />
wurden, mit Alfred Zeidler e<strong>in</strong> Mitglied des PV anwesend war. 159 Zeidler<br />
selbst erwähnte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht nichts von der Zustimmung zum Haushalt, hielt<br />
sie also offenbar auch für nicht besonders beachtenswert. 160 <strong>Die</strong>zuständigeAbteilung<br />
des Parteivorstandes sah dies allerd<strong>in</strong>gs anders und fragte am 7. April 1951 telefonisch<br />
beim Bremer Landessekretariat nach. Nachdem dieses erklärt hatte, es habe<br />
sich mit der Sache noch nicht beschäftigt, wurde die E<strong>in</strong>berufung e<strong>in</strong>er Sondersitzung<br />
mit Beteiligung e<strong>in</strong>es Vertreters des PV verlangt. 161<br />
<strong>Die</strong>se Sitzung fand schließlich am 11. April 1951 statt. Das Bremer Sekretariat<br />
beschäftigte sich also erst zwölf Tage später mit dem V<strong>org</strong>ang, und dies auch nur<br />
auf Druck und Initiative der Leitung <strong>in</strong> Düsseldorf. Bereits daran wird deutlich, wie<br />
entscheidend der E<strong>in</strong>fluss des Parteivorstandes auf die nachfolgenden Ereignisse<br />
155 Ebenda, S. 224.<br />
156 Ebenda, S. 224f.<br />
157 Bericht über Sekretariatssitzung <strong>Bremen</strong> am 11.4.51, SAPMO I 11/20/6.<br />
158 Bremische Bürgerschaft streicht Besatzungskosten, Tribüne der Demokratie 3.4.1951.<br />
159 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 30. März 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, SAPMO I 11/20/6.<br />
160 Ergänzender Bericht zum Protokoll vom 30.3.1951 aus <strong>Bremen</strong> (2. April 1951), SAPMO I 11/20/6.<br />
161 Bericht über Sekretariatssitzung <strong>Bremen</strong> am 11.4.51, SAPMO I 11/20/6.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 119<br />
war. Der Verlauf der Sitzung, die faktisch zu e<strong>in</strong>em Tribunal gegen Rafoth wurde,<br />
bestätigte dies. Anwesend waren die noch nicht e<strong>in</strong>mal zwei Monate im Amt bef<strong>in</strong>dlichen<br />
Sekretariatsmitglieder Hermann Gautier, Willy Lietzau, Willy Seipel und<br />
Ulrich Konetzka, die Bürgerschaftsabgeordneten und im Februar abgelösten ehemaligen<br />
Sekretäre He<strong>in</strong>rich Nolte und Willy Knigge sowie der »Hauptangeklagte«<br />
Rudolf Rafoth. Vom Parteivorstand war Walter Fisch anwesend, der zu dieser Zeit<br />
Leiter der für Kommunalpolitik zuständigen Abteilung Staat-Land-Geme<strong>in</strong>den<br />
beim Parteivorstand war. 162 Fisch verfasste auch den Bericht über die Sitzung. 163<br />
Er rekapitulierte noch e<strong>in</strong>mal den V<strong>org</strong>ang und stellte fest, »dass die Haltung<br />
der Fraktion entscheidend auf den E<strong>in</strong>fluss des Genossen Rafoth zurückzuführen<br />
war«. Offenbar schwenkte das Sekretariat sehr schnell auf die von Fisch, mith<strong>in</strong><br />
vom Parteivorstand, v<strong>org</strong>egebene L<strong>in</strong>ie:<br />
»Im Verlauf der Sitzung bestätigte sich außerdem, dass es bei dem Fehler des Genossen Rafoth<br />
nicht um e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>malige Entgleisung, sondern um den Ausdruck se<strong>in</strong>er zutiefst opportunistischen<br />
E<strong>in</strong>stellung handelt, die er auch bei anderen Anlässen schon gezeigt hat. Es zeigte<br />
sich weiter se<strong>in</strong>e ungenügende Verbundenheit mit der Politik der Partei und se<strong>in</strong>e Verstrickung<br />
<strong>in</strong> parlamentarische Komb<strong>in</strong>ationen.«<br />
Damit waren Inhalt und Vokabular für die Absetzung Rafoths bereits v<strong>org</strong>egeben.<br />
Das Bremer Sekretariat äußerte allerd<strong>in</strong>gs zunächst noch Bedenken gegen die<br />
von Fisch v<strong>org</strong>eschlagene sofortige Mandatsniederlegung Rafoths: »Sie me<strong>in</strong>ten<br />
u.a., man müsse ihm jetzt Gelegenheit zur Selbstkritik geben; e<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>te, ›man<br />
sollte ihn zum Sonderlehrgang schicken, damit die Freunde [...] 164 ihn sich mal besonders<br />
vornehmen können‹«.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs fiel auch den Bremer Sekretariatsmitgliedern plötzlich auf, dass sie<br />
schon immer Bedenken gegen Rafoth hatten und brachten »selbst e<strong>in</strong>e Reihe Beweise<br />
für se<strong>in</strong> opportunistisches Verhalten <strong>in</strong> anderen Fragen vor«: »<strong>Die</strong> Genossen unterstrichen<br />
se<strong>in</strong>e Überheblichkeit, se<strong>in</strong>e Neigung zu pr<strong>in</strong>zipienlosen Kompromissen,<br />
se<strong>in</strong>e Stellung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> als ›ungekrönter König‹, aber mit ›viel Schall und<br />
Rauch‹.«<br />
Allerd<strong>in</strong>gs äußerten sich auch die anderen anwesenden Mitglieder der Fraktion<br />
selbstkritisch. Willy Knigge »unterstrich se<strong>in</strong>e persönliche Verantwortung für das<br />
politisch unzureichende Verhältnis des alten Sekretariats zur Bürgerschaftsfraktion«<br />
und »gab zu, e<strong>in</strong>en großen politischen Fehler mit der Zustimmung begangen<br />
zu haben«. Nolte äußerte sich ähnlich: »Er habe zwar Bedenken gehabt, aber habe<br />
sich dann von Rafoth doch überzeugen lassen«. Der ehemalige Zweite Landessekretär<br />
schlug außerdem se<strong>in</strong>e Absetzung als stellvertretender Fraktionsvorsitzender<br />
vor.<br />
Rafoth selbst verteidigte sich zunächst vehement und bestritt den Vorwurf, die<br />
Zustimmung der Fraktion zum Haushalt sei e<strong>in</strong> politischer Fehler gewesen. <strong>Die</strong><br />
162 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 127f.<br />
163 Bericht über Sekretariatssitzung <strong>Bremen</strong> am 11.4.51, SAPMO I 11/20/6. Alle folgenden Zitate s<strong>in</strong>d, falls<br />
nicht anders angegeben, diesem Bericht entnommen.<br />
164 An dieser Stelle des Berichts ist e<strong>in</strong> Wort ausgeschnitten worden. Erkennbar ist als erster Buchstabe e<strong>in</strong><br />
»d«, möglicherweise stand dort also »drüben«.
120<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
Streichung der Besatzungskosten sei für ihn e<strong>in</strong> Ausdruck der Opposition gegen<br />
Bonn und die Besatzungsmächte. Er habe die Zustimmung nicht für etwas Grundsätzliches<br />
gehalten, »wir s<strong>in</strong>d doch nicht immer gegen Etatbewilligungen«. Rafoth<br />
sagte außerdem, dass Willy Knigge und e<strong>in</strong> Instrukteur se<strong>in</strong>en Artikel gelesen und<br />
ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wände gehabt hätten. Nach dieser Rechtfertigung jedoch gab Rafoth se<strong>in</strong>en<br />
Widerstand auf, ob zum Sche<strong>in</strong> oder aus echter Überzeugung, sei dah<strong>in</strong>gestellt.<br />
Fisch schrieb <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht:<br />
»Nachdem ich dann sehr deutlich zum Verhalten des Genossen Rafoth Stellung genommen<br />
hatte, änderte sich se<strong>in</strong> Verhalten mit e<strong>in</strong>em Schlag. Er erklärte nun se<strong>in</strong> Verhalten für ›völlig<br />
falsch‹. Auch se<strong>in</strong> Artikel sei ›opportunistisch‹. Auf me<strong>in</strong>e Frage, warum er sich nicht zum<br />
Vorschlag des Sekretariats äußere, dass er se<strong>in</strong> Mandat niederlegen wolle, erklärte er, dazu<br />
könne er heute noch nichts sagen, er müsse das erst ›beschlafen und mit se<strong>in</strong>er Frau besprechen‹.<br />
Aus dieser Erklärung ergab sich e<strong>in</strong>e lange Ause<strong>in</strong>andersetzung, <strong>in</strong> der alle Genossen<br />
des Sekretariats und ich ihm klar zu machen versuchten, was es bedeute, sich Bedenkzeit darüber<br />
auszubitten, ob man e<strong>in</strong>en Beschluss der Partei durchführen wolle oder nicht. Bei dieser<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung erklärte der Genosse Rafoth u.a.: ›Ich b<strong>in</strong> nicht Kommunist wegen der<br />
Partei, sondern aus me<strong>in</strong>er Weltanschauung heraus‹. <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung spitzte sich<br />
immer mehr zu, wurde aber dann gegen Mitternacht abgebrochen, weil Rafoth auf se<strong>in</strong>em<br />
Standpunkt beharrte.«<br />
Dass Rafoth nicht sofort auf die Aufforderung e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g, se<strong>in</strong> Mandat niederzulegen,<br />
musste schon als offener Affront gegen das Landessekretariat und den durch<br />
Walter Fisch vertretenen Parteivorstand verstanden werden. <strong>Die</strong> Beschlüsse, die<br />
das Sekretariat daraufh<strong>in</strong> fasste, waren e<strong>in</strong>deutig: Rafoth sollte bis zum nächsten<br />
M<strong>org</strong>en e<strong>in</strong>e Erklärung unterschreiben, wonach er se<strong>in</strong> Mandat niederlegte. Andernfalls<br />
würde er aus der Partei ausgeschlossen, e<strong>in</strong> entsprechender Beschluss sowie<br />
die Begründung wurden »vors<strong>org</strong>lich sofort formuliert«. Rafoth gab nach, erklärte<br />
am nächsten M<strong>org</strong>en die Niederlegung se<strong>in</strong>es Mandats und verpflichtete<br />
sich, »e<strong>in</strong>en selbstkritischen Artikel zu schreiben«.<br />
Neben e<strong>in</strong>er Reihe weiterer Maßnahmen, u.a. die E<strong>in</strong>berufung e<strong>in</strong>er Fraktionssitzung<br />
und e<strong>in</strong>er Funktionärskonferenz, beschloss das Sekretariat die Veröffentlichung<br />
e<strong>in</strong>er politischen Erklärung zur Haltung der Fraktion, die bereits am Nachmittag<br />
vor der geschilderten Sitzung »geme<strong>in</strong>sam« mit Fisch ausgearbeitet worden<br />
war. <strong>Die</strong> Erklärung erschien am 13. April 1951 unter dem Titel »So darf ke<strong>in</strong>e<br />
kommunistische Fraktion handeln« <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie. Wie bereits <strong>in</strong> der<br />
Sitzung zwei Tage zuvor übte das Sekretariat zwar auch Selbstkritik, der Hauptstoß<br />
richtete sich jedoch gegen Rafoth und die Fraktion:<br />
»Das Sekretariat der Landesleitung der <strong>KPD</strong>, Land <strong>Bremen</strong>, erklärt die Zustimmung der Bürgerschaftsfraktion<br />
der <strong>KPD</strong> zum Gesamt-Haushaltsplan für das Land <strong>Bremen</strong> für e<strong>in</strong>en<br />
schwerwiegenden Fehler. Der Haushaltsplan ist der Ausdruck für die gesamte Politik des<br />
Bremer Senats. <strong>Die</strong>se Politik ist e<strong>in</strong>e aktive Unterstützung des Kriegskurses, den die Adenauer-Regierung<br />
im E<strong>in</strong>vernehmen mit den amerikanischen Imperialisten <strong>in</strong> Westdeutschland<br />
durchführt.[...]. Für e<strong>in</strong>e kommunistische Fraktion gibt es überhaupt ke<strong>in</strong>e Zustimmung zum<br />
Etat e<strong>in</strong>er Regierung, die sich h<strong>in</strong>ter die amerikanische Kriegspolitik und ihre Bundesgenossen<br />
<strong>in</strong> Bonn stellt, gibt es ke<strong>in</strong>e Zustimmung zu e<strong>in</strong>em Etat, der volksfe<strong>in</strong>dlich und reaktionär<br />
ist, weil der die öffentlichen Mittel statt für die Wohlfahrt und die Gesundheit der Menschen
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 121<br />
zur Hilfe für die Vorbereitung e<strong>in</strong>es neuen Krieges verwendet. <strong>Die</strong> kommunistische Bürgerschaftsfraktion<br />
konnte e<strong>in</strong>en solchen schweren Fehler nur darum begehen, weil sie ungenügend<br />
mit der Politik der Partei verbunden ist, weil sie sich offensichtlich nicht von dem Willen<br />
und von den Wünschen der Wählerschaft hat leiten lassen, die von den Abgeordneten der<br />
<strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>en rücksichtslosen Kampf gegen die Verelendungs- und Kriegspolitik der Adenauer-<br />
Regierung verlangen. Statt dessen hat sich die Fraktion <strong>in</strong> re<strong>in</strong> parlamentarische Komb<strong>in</strong>ationen<br />
verstricken lassen. Das Sekretariat stellt dazu aber fest, dass es für diesen Fehler unserer<br />
Fraktion darum verantwortlich ist, weil es bisher die politische Anleitung der Bürgerschaftsfraktion<br />
<strong>in</strong> unzulässiger Weise vernachlässigt hat.« 165<br />
Der »selbstkritische Artikel« von Rudolf Rafoth erschien e<strong>in</strong>e Woche später unter<br />
dem Titel »Warum legte ich me<strong>in</strong> Mandat nieder?« <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie<br />
und hatte den gleichen Tenor wie die Erklärung des Sekretariats. 166 <strong>Die</strong> Zustimmung<br />
der Fraktion zum Etat sei »e<strong>in</strong> schwerer politischer Fehler« gewesen, der<br />
durch se<strong>in</strong> Verhalten »stark bee<strong>in</strong>flusst war«. Rafoth bezichtigte sich und die Fraktion<br />
des Opportunismus, der se<strong>in</strong>e Ursachen <strong>in</strong> der »Überschätzung des Parlamentarismus«<br />
und der »mangelnden Verb<strong>in</strong>dung der Arbeit der Fraktion mit den breiten<br />
Massen des werktätigen Volkes« habe. <strong>Die</strong> Begründung für Rafoths Mandatsniederlegung<br />
war von dem be<strong>in</strong>ahe krampfhaft wirkenden Bemühen gekennzeichnet,<br />
sie als se<strong>in</strong>e eigene Entscheidung h<strong>in</strong>zustellen:<br />
»Me<strong>in</strong>e auf eigene Erkenntnis beruhende Niederlegung des Mandats wird e<strong>in</strong>e ernste Lehre<br />
für unsere Genossen <strong>in</strong> der Fraktion und für mich se<strong>in</strong> und uns befähigen, gleiche Fehler <strong>in</strong><br />
Zukunft zu vermeiden. Aber selbst wenn die eigene Erkenntnis gefehlt hätte, wäre die Mandatsrückgabe<br />
an me<strong>in</strong>e Partei, deren selbstloser und opfervoller Arbeit ich es verdanke, e<strong>in</strong>e<br />
Selbstverständlichkeit.« 167<br />
Dass die Absetzung Rafoths e<strong>in</strong>e große <strong>in</strong>nerparteiliche Bedeutung hatte, verdeutlicht<br />
e<strong>in</strong> auszugsweise vorliegender Bericht über die Sitzung der Bürgerschaftsfraktion<br />
zu diesem Thema am 17. April 1951. 168 Deutlich wurde vor allem, dass das<br />
eigentliche Problem für den Parteivorstand im Verhältnis der Fraktion zum Sekretariat<br />
lag:<br />
»<strong>Die</strong> Aussprache dauerte etwas über 3 Stunden und zeigte, dass die Stellung des Sekretariats<br />
gegenüber der Fraktion sehr schwer ist. Es kam deutlich zum Ausdruck, dass es seither <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> so war, dass die Fraktion die Partei geführt hat und dass sich die Mitglieder der Fraktion<br />
bis jetzt noch nicht daran gewöhnen können, dass die Partei, also das Sekretariat die Verantwortung<br />
für ihr Auftreten <strong>in</strong> der Bürgerschaft trägt. Alle Genossen erklärten, dass ihre Zustimmung<br />
zum Etat e<strong>in</strong> schwerer politischer Fehler war und teilweise kam die Me<strong>in</strong>ung zum<br />
Ausdruck, dass, wenn der Genosse Meyer-Buer anwesend gewesen wäre, die Zustimmung<br />
nicht erfolgt sei. 169 Der Verlauf der Aussprache ergab außerdem, dass es unbed<strong>in</strong>gt notwen-<br />
165 So darf ke<strong>in</strong>e kommunistische Fraktion handeln, Tribüne der Demokratie 13.4.1951.<br />
166 Warum legte ich me<strong>in</strong> Mandat nieder?, Tribüne der Demokratie 21./22.4.1951.<br />
167 Ebenda.<br />
168 Auszüge aus dem Bericht über die Fraktionssitzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 17. April 1951, SAPMO I 11/20/20. Der<br />
Autor des Berichts ist nicht genannt.<br />
169 Wilhelm Meyer-Buer hatte <strong>in</strong> den Jahren zuvor die Haushaltsreden für die <strong>KPD</strong> gehalten, zum Zeitpunkt<br />
der Abstimmung war er auf e<strong>in</strong>er Parteischule. Meyer-Buer selbst vertritt im Interview ebenfalls<br />
die Auffassung, mit ihm wäre die Zustimmung zum Etat nicht erfolgt (Interview Meyer-Buer, 2). Er<br />
wurde später Rafoths Nachfolger als Fraktionsvorsitzender.
122<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
dig ist, dass <strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong> Mitglied des Sekretariats an den Fraktionssitzungen teilnimmt und<br />
vielleicht ab und zu e<strong>in</strong> Vertreter des PV, damit die Fraktionsmitglieder endlich begreifen,<br />
dass die Partei die Fraktion führt [...]. Ich hatte bei der ganzen Aussprache den E<strong>in</strong>druck, dass<br />
sich die Genossen nicht mit dem jugendlichen Sekretariat abgefunden haben und dass die<br />
Aussprache von dieser Grunde<strong>in</strong>stellung beurteilt werden muss.« 170<br />
Es handelte sich bei der Absetzung Rafoths und der »Abmahnung« der Fraktion<br />
also demnach nicht nur um die Berichtigung e<strong>in</strong>es politischen Fehlers. <strong>Die</strong> eigentlichen<br />
Probleme lagen tiefer und waren struktureller Art. Dem Parteivorstand bot<br />
sich mit dem »Fehlverhalten« Rafoths e<strong>in</strong>e Gelegenheit, die starke, öffentlich exponierte<br />
und eigenständige Stellung der Bürgerschaftsfraktion <strong>in</strong>nerhalb der partei<strong>in</strong>ternen<br />
Machtstrukturen zu schwächen, und zwar zugunsten e<strong>in</strong>es aufgrund se<strong>in</strong>er<br />
»Jugendlichkeit« und mangelnden Akzeptanz nicht genügend durchsetzungsfähigen<br />
Sekretariats. E<strong>in</strong>e schnelle »Untersuchung der Bürgerschaftsfraktion« war bereits<br />
im März 1951, also noch vor der Haushaltsabstimmung, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Instrukteursbericht<br />
empfohlen worden. He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich, Käthe Popall sowie dem Fraktionsvorsitzenden<br />
wurde v<strong>org</strong>eworfen, sie befänden sich »nicht mehr ganz auf der<br />
Parteil<strong>in</strong>ie oder s<strong>in</strong>d Sektierer«, wollten ke<strong>in</strong>e Parteiaufgaben übernehmen und<br />
würden sich h<strong>in</strong>ter ihrer Fraktionsarbeit »verkriechen«. Insbesondere sei dabei die<br />
Rolle Rafoths zu untersuchen. 171<br />
<strong>Die</strong> Fraktion allerd<strong>in</strong>gs verhielt sich immer noch nicht e<strong>in</strong>heitlich. Der von Sekretariat<br />
und Parteivorstand zum neuen Fraktionsvorsitzenden v<strong>org</strong>eschlagene<br />
He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich erhielt bei se<strong>in</strong>er Wahl sechs Gegenstimmen. Zwei Fraktionsmitglieder<br />
hatten bereits e<strong>in</strong>e Presseerklärung ausgearbeitet, die notwendig sei, »weil<br />
<strong>in</strong> der bürgerlichen Presse die Darstellung verbreitet wird, zwischen der Fraktion<br />
und dem Sekretariat bestehe h<strong>in</strong>sichtlich der Beurteilung der Zustimmung zum<br />
Haushaltsetat ke<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>stimmung und die Fraktion sei gezwungen worden, ihre<br />
Zustimmung als schweren politischen Fehler anzuerkennen«. Der Entwurf dieser<br />
Erklärung wurde allerd<strong>in</strong>gs nicht angenommen, da sie sich zu sehr auf Formalitäten<br />
berufe und »nicht auf den Kern der D<strong>in</strong>ge« e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>ge. 172 <strong>Die</strong> neu ausgearbeitete<br />
Erklärung, die eigentlich noch <strong>in</strong> derselben Woche veröffentlicht werden sollte, erschien<br />
erst neun Tage später <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie. 173 <strong>Die</strong> Fraktion anerkannte<br />
die Kritik durch das Sekretariat. Es hätte »klar se<strong>in</strong> müssen, dass <strong>in</strong> jedem<br />
Falle die Zustimmung zum Haushaltsetat e<strong>in</strong>e Unterstützung der Politik der Bremer<br />
Regierung bedeutet, die die amerikanische Kriegspolitik von Bonn befürwortet<br />
und durchführt«. Über die veränderte Situation während der Schlussabstimmung<br />
sei nicht diskutiert worden, sondern man habe sich leiten lassen »von der Position<br />
des Genossen Rafoth«. Ansonsten g<strong>in</strong>g die Erklärung auf den konkreten Fall wenig<br />
170 Auszüge aus dem Bericht über die Fraktionssitzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 17. April 1951, SAPMO I 11/20/20. Der<br />
Autor des Berichts ist nicht genannt.<br />
171 Instrukteurbericht vom 14.3. - 27.3.1951, Land <strong>Bremen</strong>. In: SAPMO I 11/20/13.<br />
172 Auszüge aus dem Bericht über die Fraktionssitzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 17. April 1951, SAPMO I 11/20/20.<br />
173 Bremer <strong>KPD</strong>-Fraktion legt Wurzeln ihres Fehlers frei, Tribüne der Demokratie 26.4.1951. <strong>Die</strong> spätere Veröffentlichung<br />
steht vermutlich im Zusammenhang mit der am selben Tag stattf<strong>in</strong>denden Bürgerschaftssitzung,<br />
auf der der neue Fraktionsvorsitzende He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich die Zustimmung der <strong>KPD</strong> zum<br />
Haushalt widerrief (Bürgerschaftsprotokolle, 26. April 1951, S. 270).
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 123<br />
e<strong>in</strong>, sondern setzte vielmehr, u.a. durch Verwendung von Len<strong>in</strong>-Zitaten, die Stellung<br />
der Fraktion <strong>in</strong> der Partei <strong>in</strong> den Mittelpunkt. Dabei wurde auch zum ersten<br />
Mal der Bezugsrahmen benannt, <strong>in</strong> dem die Maßregelung der Fraktion und die Absetzung<br />
Rafoths e<strong>in</strong>zuordnen war:<br />
»In dem Kampf, die <strong>KPD</strong> zur Partei neuen Typus zu entwickeln, ist es notwendig, dass die<br />
Parlamentsfraktion sich von dem len<strong>in</strong>istischen Grundsatz leiten lässt, ›dass die Partei die<br />
höchste Form der Klassenvere<strong>in</strong>igung der Proletarier ist, deren politische Führung sich auf alle<br />
anderen Formen der Organisation des Proletariats zu erstrecken hat‹. <strong>Die</strong>ses trifft besonders<br />
auf die Arbeit der kommunistischen Parlamentsfraktion zu, die ke<strong>in</strong>e besondere<br />
Organisationsform darstellt. <strong>Die</strong>ser Grundsatz wurde von der Bürgerschaftsfraktion der <strong>KPD</strong><br />
<strong>in</strong> der Vergangenheit ungenügend beachtet.« 174<br />
Damit war deutlich der eigentliche Kern der Ause<strong>in</strong>andersetzung formuliert,<br />
nämlich die Durchsetzung des Führungsanspruches der Parteileitung <strong>in</strong> Gestalt des<br />
Bremer Sekretariats gegenüber der Bürgerschaftsfraktion. Dabei wurde natürlich<br />
verschwiegen, dass das Sekretariat sehr wohl <strong>in</strong>formiert war über die Haltung der<br />
Fraktion und sie zum<strong>in</strong>dest im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> zunächst billigte. Es g<strong>in</strong>g also um die<br />
Vere<strong>in</strong>heitlichung und Straffung der gesamten Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> im S<strong>in</strong>ne des Umbaus<br />
zur »Partei neuen Typus«. <strong>Die</strong> Erklärung der Fraktion deutete diesen Zusammenhang<br />
an, stärker als die des Sekretariats:<br />
»<strong>Die</strong> Kritik und Selbstkritik wird uns helfen, die Schwächen zu überw<strong>in</strong>den. Wir s<strong>in</strong>d davon<br />
überzeugt, dass gerade jetzt im Kampf um die Erhaltung des Friedens, gegen die Remilitarisierung<br />
und für den Abschluss e<strong>in</strong>es Friedensvertrages im Jahre 1951 alles von der Partei der<br />
Arbeiterklasse abhängt. Voraussetzung ist, dass sich die Partei streng nach den Beschlüssen<br />
des Parteitages richtet, dass sie ke<strong>in</strong>erlei Opportunismus duldet, dass sie begangene Fehler<br />
nicht nur formell e<strong>in</strong>sieht, sondern alles tut, diese Fehler auch zu berichtigen.« 175<br />
<strong>Die</strong> Fraktion »berichtigte« den Fehler der Zustimmung zum Haushalt am 26.<br />
April 1951 <strong>in</strong> der Bürgerschaft. Der neue Fraktionsvorsitzende He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich<br />
erklärte »<strong>in</strong> aller Form, dass diese Zustimmung zum Haushalt von me<strong>in</strong>er Fraktion<br />
zwar gegeben wurde, dass wir aber jetzt offiziell die Zurücknahme unserer Zustimmung<br />
zur Kenntnis br<strong>in</strong>gen«. Das Protokoll verzeichnete an dieser Stelle »Gelächter<br />
und Zurufe«. 176<br />
Rudolf Rafoth wurde zunächst nicht gänzlich fallengelassen. Das Sekretariat beschloss<br />
bereits am 21. April 1951, ihn als Ersten Kreissekretär <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord e<strong>in</strong>zusetzen.<br />
177 Rafoth sollte hier, wie es später hieß, »se<strong>in</strong>e Selbstkritik unter Beweis<br />
stellen, die er nach se<strong>in</strong>em schwerwiegenden Fehler <strong>in</strong> der Bürgerschaft abgegeben<br />
hatte. Er sollte beweisen, dass se<strong>in</strong>e Selbstkritik ehrlich und aufrichtig war, dass er<br />
ohne E<strong>in</strong>schränkung zur Politik der Partei stand.« 178 <strong>Die</strong> Leitung dieses <strong>org</strong>anisatorisch<br />
schwachen Kreises war sicher ke<strong>in</strong>e dankbare Aufgabe, <strong>in</strong>sofern war die Ver-<br />
174 Bremer <strong>KPD</strong>-Fraktion legt Wurzeln ihres Fehlers frei, Tribüne der Demokratie 26.4.1951.<br />
175 Ebenda.<br />
176 Bürgerschaftsprotokolle, 26. April 1951, S. 270.<br />
177 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 21. April 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, SAPMO I 11/20/6.<br />
178 E<strong>in</strong> Parteife<strong>in</strong>d ist auch e<strong>in</strong> Volksfe<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e kurze Übersicht zum Ausschluss von Rudolf Rafoth aus der Kommunistischen<br />
Partei Deutschlands, SAPMO I 11/20/16.
124<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
setzung dorth<strong>in</strong> nicht nur e<strong>in</strong>e Bewährungsprobe für Rafoth, sondern sicher auch<br />
als Parteistrafe zu verstehen.<br />
Rafoth selbst schien <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong>nerlich mit der Partei soweit gebrochen zu<br />
haben, dass er nicht mehr bereit war, diese Aufgabe zu erfüllen. In e<strong>in</strong>em Brief vom<br />
25. Mai 1951 erklärte er dem Sekretariat ohne weitere Absprachen, dass er am folgenden<br />
Montag, dem 28. Mai, nicht mehr im Kreisbüro ersche<strong>in</strong>en werde und führte<br />
dafür vor allem f<strong>in</strong>anzielle Gründe an. Er könne für das übliche Funktionärsgehalt<br />
von 250 DM nicht arbeiten, das Sekretariat habe se<strong>in</strong>e Versprechungen auf Gehaltserhöhung<br />
nicht e<strong>in</strong>gehalten, es g<strong>in</strong>ge »kaltschnäuzig« über se<strong>in</strong>e persönlichen<br />
und f<strong>in</strong>anziellen Schwierigkeiten h<strong>in</strong>weg. 179<br />
Rafoth hatte se<strong>in</strong>e neue Funktion ohne Zustimmung des Sekretariats niedergelegt.<br />
<strong>Die</strong>s konnte nun <strong>in</strong> der Tat als »grober Diszipl<strong>in</strong>bruch« 180 betrachtet werden.<br />
Das Sekretariat beschäftigte sich auf e<strong>in</strong>er Sondersitzung, auf der auch Rafoth anwesend<br />
war, am 17. Juni 1951 mit dem Fall. Das kurze Protokoll, das den Wortlaut<br />
der Besprechung nicht wiedergibt, vermerkt, es habe sich »nach e<strong>in</strong>er ausführlichen<br />
Diskussion« herausgestellt,<br />
»dass die vom Genossen Rafoth für die Niederlegung se<strong>in</strong>er Funktion v<strong>org</strong>ebrachten Gründe<br />
nicht den Kern treffen. Vielmehr bestätigte sich der E<strong>in</strong>druck aus der Besprechung anlässlich<br />
der Kritik an der Zustimmung zum Haushaltsplan, <strong>in</strong> der zum Ausdruck kommt, dass der<br />
Gen. Rafoth mit der Politik der Partei nicht e<strong>in</strong>verstanden ist. Er gibt zum Schluss zu, dass seit<br />
der Landesdelegiertenkonferenz se<strong>in</strong> Vertrauen zur Leitung der Partei erschüttert sei.«<br />
Weitergehende Beschlüsse wurden auf dieser Sitzung noch nicht gefasst. Rafoth<br />
sollte <strong>in</strong>nerhalb von drei Tagen e<strong>in</strong>e Stellungnahme abgeben, die noch e<strong>in</strong>mal im<br />
Sekretariat diskutiert werden sollte, »um daraus dann die notwendigen Schlussfolgerungen<br />
zu ziehen«. 181<br />
In der Stellungnahme, die leider nicht im Orig<strong>in</strong>al vorliegt, änderte Rafoth se<strong>in</strong>e<br />
Haltung offenbar nicht. In e<strong>in</strong>er später verfassten Bewertung schrieb das Sekretariat:<br />
»Was tat Rafoth? Mit großer Verspätung und mehrmaliger Mahnung sandte er e<strong>in</strong>e 9-seitige<br />
Erklärung, die ke<strong>in</strong>e Erklärung war. In maßloser Überheblichkeit kommt er zu dem Schluss<br />
die Parteileitung (also e<strong>in</strong>schließlich das ZK und der PV) haben ihm Unrecht getan [...]. Er bezichtigt<br />
das Sekretariat nochmals ihm gegebene Versprechungen <strong>in</strong> Bezug auf se<strong>in</strong>e Gehaltserhöhung<br />
nicht gehalten zu haben. Im provokatorischen Tone bezichtigt er das Sekretariat, es<br />
sei überheblich, es besitze ke<strong>in</strong>e Autorität und sei politisch unsicher [...].« 182<br />
Daraufh<strong>in</strong> beschloss das Sekretariat am 18. Juli 1951, »die Angelegenheit <strong>in</strong> der<br />
Generalmitgliederversammlung des Stadtteils Buntentor aufzurollen und zu erreichen,<br />
dass der Stadtteil den Genossen Rafoth aus der Partei ausschließt«. 183 Laut<br />
Statut musste über e<strong>in</strong>en Ausschluss <strong>in</strong> der Grunde<strong>in</strong>heit des betreffenden Mit-<br />
179 Ebenda.<br />
180 Ebenda.<br />
181 Protokoll der Sekretariatssitzung am 17. Juni 1951, SAPMO I 11/20/6.<br />
182 E<strong>in</strong> Parteife<strong>in</strong>d ist auch e<strong>in</strong> Volksfe<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e kurze Übersicht zum Ausschluss von Rudolf Rafoth aus der<br />
Kommunistischen Partei Deutschlands, SAPMO I 11/20/16.<br />
183 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 18. Juli 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 125<br />
glieds entschieden werden. Allerd<strong>in</strong>gs stand den übergeordneten Partei<strong>org</strong>anen<br />
das Recht zu, Ausschlussverfahren e<strong>in</strong>zuleiten und »<strong>in</strong> besonderen Fällen« den<br />
Ausschluss aus der Partei zu beschließen. 184 Um e<strong>in</strong>en besonderen Fall handelte es<br />
sich bei Rafoth ohne Zweifel, das Sekretariat hätte also durchaus ohne die Grunde<strong>in</strong>heit<br />
den Ausschluss durchführen können. Das allerd<strong>in</strong>gs hätte im Falle des<br />
prom<strong>in</strong>enten und e<strong>in</strong>flussreichen Rafoth wohl zu größerem Unmut und Unverständnis<br />
an der Basis geführt als es ohneh<strong>in</strong> schon der Fall war. 185 In der Tat gelang<br />
es nicht sofort, die Mitglieder von der Notwendigkeit des Ausschlusses zu überzeugen.<br />
<strong>Die</strong> erste Mitgliederversammlung des Stadtteils Buntentor verlief ergebnislos,undoffenbarwarendieTeilnehmereheraufderSeitevonRafoth.Derbereits<br />
erwähnte später verfasste Bericht des Sekretariats - auf den noch genauer e<strong>in</strong>zugehen<br />
se<strong>in</strong> wird - schilderte die Versammlungen so:<br />
»In den Mitgliederversammlungen <strong>in</strong> Buntentor wurde ihm [Rafoth; HB] und den Genossen an<br />
Beispielen se<strong>in</strong> opportunistisches und parteischädigendes Verhalten aufgezeigt. Genossen des<br />
Sekretariats trugen überprüftes und e<strong>in</strong>wandfreies Material vor. Was tat Rafoth? Auf die politischen<br />
Argumente der Genossen des Sekretariats g<strong>in</strong>g er nur oberflächlich oder überhaupt<br />
nicht e<strong>in</strong>. Er spekulierte auf das Gefühl und das früher besessene Vertrauen. Wie e<strong>in</strong> we<strong>in</strong>erlicher<br />
Spießer drückte er zwei Mal <strong>in</strong> langer Diskussionsrede auf die Tränendrüsen, um Mitleid<br />
bei den anwesenden Genossen und besonders den Genoss<strong>in</strong>nen zu erwecken. Von Selbstkritik<br />
nicht e<strong>in</strong>e Spur. In der ersten Mitgliederversammlung gelang ihm das sogar sehr gut.« 186<br />
Erst auf der zweiten Mitgliederversammlung am 7. August 1951 wurde der<br />
Ausschluss Rudolf Rafoths aus der <strong>KPD</strong> »wegen parteischädigendem Verhalten<br />
und groben Diszipl<strong>in</strong>bruchs« beschlossen. <strong>Die</strong> Landesleitung bestätigte den Beschluss<br />
zwei Tage später. 187<br />
Damit war Rafoth nun endgültig zur »Unperson« geworden. Das Sekretariat<br />
verfasste die bereits mehrfach zitierte »Kurze Übersicht zum Ausschluss von Rudolf<br />
Rafoth aus der Kommunistischen Partei Deutschlands« 188, die aber offenbar<br />
nicht veröffentlicht wurde, sondern wohl dem Zweck diente, der eigenen Mitgliedschaft<br />
und den Funktionären den Ausschluss Rafoths plausibel zu machen. Der<br />
umfangreiche Bericht versuchte, den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden <strong>in</strong> jeder<br />
H<strong>in</strong>sicht zu diskreditieren. Art und Weise, Stil, Vokabular und Inhalt des Berichtes<br />
s<strong>in</strong>d typisch und exemplarisch für die Kampagne und das V<strong>org</strong>ehen gegen die sogenannten<br />
Parteife<strong>in</strong>de <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> und für die gegen sie erhobenen Vorwürfe. E<strong>in</strong>ige<br />
der vom Sekretariat gegen Rafoth v<strong>org</strong>ebrachten Anschuldigungen s<strong>in</strong>d<br />
zwangsläufig nicht nachprüfbar, dennoch soll der Bericht hier ausführlich zitiert<br />
werden, um die Methode zu verdeutlichen, mit der Rafoths Ausschluss versucht<br />
184 Statut der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 385.<br />
185 Hermann Gautier, damals Erster Sekretär: »Natürlich konnten wir auch gegen den Willen von Grund<strong>org</strong>anisationen<br />
unter Umständen Leute aus der Partei ausschließen. Letztendlich hätte das aber immer<br />
dazu geführt, dass wir <strong>in</strong> der Regel wohl ganze Grund<strong>org</strong>anisationen, oder m<strong>in</strong>destens den Löwenanteil<br />
dieser Grund<strong>org</strong>anisation, gleichzeitig verloren hätten« (Interview Gautier, 2).<br />
186 E<strong>in</strong> Parteife<strong>in</strong>d ist auch e<strong>in</strong> Volksfe<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e kurze Übersicht zum Ausschluss von Rudolf Rafoth aus der<br />
Kommunistischen Partei Deutschlands, SAPMO I 11/20/16.<br />
187 Ebenda.<br />
188 Ebenda. Alle folgenden Zitate s<strong>in</strong>d, falls nicht anders angegeben, dort entnommen.
126<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
wurde zu begründen. Deutlich wird außerdem die <strong>in</strong>nerparteiliche Funktion des<br />
Ausschlusses als Abwehr der Kritik an mangelnder <strong>in</strong>nerparteilicher Demokratie<br />
sowie als »warnendes Beispiel« für die Mitgliedschaft.<br />
Das Sekretariat schilderte zunächst die bereits dargestellten Sachverhalte und<br />
kritisierte dabei vor allem die von Rafoth für das Verlassen des Kreisbüros angebrachten<br />
f<strong>in</strong>anziellen Begründungen. <strong>Die</strong>s seien »wahrlich schlechte Gründe« gewesen,<br />
»es war also klar, dass andere tiefere Gründe vorliegen mussten, die ihn<br />
veranlasst haben, se<strong>in</strong>e vor kurzem abgegebene Selbstkritik wieder restlos über den<br />
Haufen zu werfen«. Selbstkritisch vermerkte das Sekretariat, dass e<strong>in</strong>e solche »tiefgründige<br />
Untersuchung der Ursachen se<strong>in</strong>es Opportunismus [...] eigentlich schon<br />
bei der Absetzung als Fraktionsführer hätte erfolgen müssen«.<br />
Rafoth wurde v<strong>org</strong>eworfen, er habe bereits 1933 se<strong>in</strong>e Funktion als Unterbezirkssekretär<br />
<strong>in</strong> Bremerhaven ohne Absprache mit der Bezirksleitung verlassen.<br />
Durch »e<strong>in</strong>ige Genossen der alten Bezirksleitung« sei schriftlich niedergelegt, »dass<br />
der Genosse Robert Stamm der Bezirksleitung vorschlagen wollte, Rafoth aus der<br />
Partei auszuschließen«, wozu es lediglich aufgrund der bald folgenden Illegalität<br />
der Partei nicht mehr gekommen sei. 189 Rafoth habe »damals wie heute - <strong>in</strong> zugespitzten<br />
Situationen - wo der imperialistische Gegner zu entscheidenden Schlägen<br />
gegen den Frieden und die Völker ausholt se<strong>in</strong>e Funktion« verlassen. »Das ist Fahnenflucht.«<br />
190<br />
Im folgenden listete das Sekretariat unter entsprechenden Überschriften weitere<br />
Belege für die angeblichen Verfehlungen Rafoths auf und gebrauchte teilweise<br />
drastische, auch die Persönlichkeit des Ausgeschlossenen angreifende Worte. Unter<br />
der Überschrift »Rafoth e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gefleischter Opportunist« wurde behauptet, Rafoths<br />
Funktionsenthebung als Fraktionsvorsitzender sei nicht alle<strong>in</strong> wegen des e<strong>in</strong>maligen<br />
Fehlers erfolgt sondern<br />
»wegen se<strong>in</strong>es opportunistischen Verhaltens <strong>in</strong> den letzten Jahren, wegen se<strong>in</strong>es ständigen<br />
Zurückweichens vor den Kernproblemen, vor den Schwierigkeiten wie <strong>in</strong> Diskussionen um<br />
die Stellung zur SU, um die Oder-Neiße-Grenze, Kriegsgefangenen-Frage usw. Mit galanten<br />
zungenfertigen Redensarten hat er sich fast immer vor dem konsequenten E<strong>in</strong>treten <strong>in</strong> der<br />
Partei und <strong>in</strong> der Öffentlichkeit zu diesen Fragen gedrückt. Se<strong>in</strong>e bei ihm stark ausgeprägte<br />
Überheblichkeit führte zwangsläufig dazu, dass er immer mehr dem Opportunismus verfiel.<br />
Am krassesten kam das zum Ausdruck, als er im Herbst 1950 <strong>in</strong> Düsseldorf auf e<strong>in</strong>er zentralen<br />
Tagung der Partei <strong>in</strong> der Diskussion den Vorschlag machte, die SU solle doch alle Namen<br />
der noch festgehaltenen Kriegsgefangenen bekanntgeben, um so e<strong>in</strong>e bessere Diskussionsgrundlage<br />
mit den sozialdemokratischen Arbeitern zu haben. Als ihm dieses sowjetfe<strong>in</strong>dliche<br />
Verhalten im Sekretariat und <strong>in</strong> den Mitgliederversammlungen <strong>in</strong> Buntentor v<strong>org</strong>ehalten<br />
wurde, redete er zunächst lang und breit um e<strong>in</strong>e Antwort herum, kommt dann aber - <strong>in</strong> die<br />
Enge getrieben - endlich zu dem Schluss, er habe ›den Mut gehabt das anzusprechen, andere<br />
haben es nicht gewagt, sie würden sofort mit dem Knüppel auf den Kopf geschlagen <strong>in</strong> der<br />
189 Der Verweis auf den damaligen Ersten Bezirkssekretär Robert Stamm erfolgte nicht von ungefähr. Der<br />
1937 von den Nationalsozialisten h<strong>in</strong>gerichtete Stamm hatte großes Ansehen <strong>in</strong> der Partei, besonders<br />
unter den älteren Mitgliedern.<br />
190 Nur am Rande sei hier auf den militärischen Sprachgebrauch und den Vergleich zwischen der Situation<br />
von 1933 und der von 1951 h<strong>in</strong>gewiesen.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 127<br />
Partei‹. Mit anderen Worten: Rafoth stellt sich <strong>in</strong> die Front der Kriegshetzer, die das deutsche<br />
Volk mit der Behauptung kriegsreif machen wollen, die SU halte Kriegsgefangene zurück.<br />
Hiermit gab Rafoth unzweideutig zu verstehen, dass er zur Politik der SU ke<strong>in</strong> Vertrauen hatte,<br />
dass er den Kriegstreibern, den Imperialisten mehr vertraut. Wer ke<strong>in</strong> Vertrauen zur SU<br />
hat, kann auch ke<strong>in</strong> Vertrauen zur Politik der Partei haben.«<br />
Schon hier wurde die von Rafoth kritisierte Entwicklung der <strong>in</strong>nerparteilichen<br />
Demokratie angesprochen. Dass der Ausschluss und das Verhalten Rafoths auch <strong>in</strong><br />
diesem Zusammenhang standen, verdeutlicht der nächste Abschnitt des Berichts<br />
mit der Überschrift »Rafoth, e<strong>in</strong> raff<strong>in</strong>ierter Doppelzüngler«:<br />
»Als das Sekretariat Rafoth nachwies, dass se<strong>in</strong>e angegebenen ›f<strong>in</strong>anziellen Gründe‹ nicht die<br />
wirklichen Ursachen und Gründe für das Verlassen se<strong>in</strong>er Funktion s<strong>in</strong>d, bequemte er sich<br />
endlich Farbe zu bekennen. Nach stundenlangen Diskussionen sagte Rafoth u.a.: Seit der<br />
Landesdelegiertenkonferenz sei er im Zwiespalt. Der demokratische Zentralismus sei verletzt<br />
worden. <strong>Die</strong> Wahl der Landesleitung sei nicht demokratisch gewesen.[...]. Er mache sich Vorwürfe,<br />
dass er auf der Landesdelegiertenkonferenz geschwiegen habe. <strong>Die</strong> vom Zentralkomitee<br />
der SED angeordnete Überprüfung aller führenden Genossen sei überflüssig, da sie schon<br />
oft geschah. Damit würde nur Misstrauen gesät. [...] In der Partei darf man nicht frei atmen,<br />
und so geht es weiter.«<br />
Rafoth habe, so das Sekretariat weiter, diese Auffassung ȟber die Entwicklung<br />
zur Partei neuen Typus, die bezeichnenderweise <strong>in</strong> den Formulierungen den damaligen<br />
Veröffentlichungen <strong>in</strong> den Kriegshetzerzeitungen sehr ähneln«, auf den Mitgliederversammlungen<br />
vertreten, worauf ihm das Sekretariat allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en Artikel<br />
vorhalten konnte, <strong>in</strong> dem Rafoth sich gegen die »Böswilligkeit, Verleumdung<br />
und Verdrehung«, mit der die bürgerliche Presse über die Landesdelegiertenkonferenz<br />
berichtet hätte, gewandt hatte: 191<br />
»Es gibt kaum e<strong>in</strong> drastischeres Beispiel von Doppelzünglertum wie dieses. Als ihm dies vor<br />
den Mitgliedern gesagt wurde, versteigt er sich dazu zu sagen: Er habe den Artikel geschrieben,<br />
um die Partei zu beruhigen, die Wogen <strong>in</strong> der Partei zu glätten. In die Enge getrieben<br />
muss er zugeben, dass er den Artikel damals gegen se<strong>in</strong>e Überzeugung geschrieben und veröffentlicht<br />
habe, dass der Artikel nicht se<strong>in</strong>e wirkliche Me<strong>in</strong>ung über die Partei und<br />
Landesdelegiertenkonferenz enthält.«<br />
Auf den Inhalt von Rafoths Kritik an der Landesdelegiertenkonferenz und die<br />
Gründe der »<strong>in</strong>nerparteilichen Wogen« g<strong>in</strong>g das Sekretariat argumentativ nicht<br />
weiter e<strong>in</strong>. Stattdessen konnte se<strong>in</strong> wider die eigene Überzeugung geschriebener<br />
Artikel als Beweis für se<strong>in</strong>e »Doppelzüngelei« gegen ihn verwandt werden:<br />
»Doppelzüngelei ist die Sprache der Agenten, sie reden mit zwei Zungen, um die Partei<br />
durche<strong>in</strong>ander zu br<strong>in</strong>gen. [...]. <strong>Die</strong>se Rolle des Doppelzünglers spielte auch Rafoth <strong>in</strong> der Partei.<br />
Se<strong>in</strong>e Unehrlichkeit und se<strong>in</strong>e Unaufrichtigkeit, die er so lange geschickt getarnt hatte, ist<br />
ans Tageslicht gekommen, wie sie bei jedem Opportunisten e<strong>in</strong>mal deutlich wird, da sie offen<br />
oder getarnt e<strong>in</strong>e Politik betreiben, die dem Klassengegner hilft.«<br />
Das Sekretariat g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Anschuldigungen und Angriffen noch weiter: <strong>Die</strong><br />
»Überprüfung se<strong>in</strong>es Verhaltens« habe bewiesen,<br />
191 »Es lebe die E<strong>in</strong>heit unserer Partei«, Tribüne der Demokratie 13.3.1951.
128<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
»dass R. aus eigensüchtigen, egoistischen Gründen <strong>in</strong> der Partei arbeitete, dass er mit der eigenen<br />
Partei nicht fest verwachsen war, dass se<strong>in</strong>e Überheblichkeit und Eitelkeit viel tiefer<br />
verwurzelt war, als es vor e<strong>in</strong>igen Monaten festgestellt wurde. Es ergab sich, dass Rafoth ke<strong>in</strong><br />
Führer bolschewistischen Typus war und auch nicht bereit war es zu werden. Er ist e<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>bürger,<br />
e<strong>in</strong> von Eitelkeit durchsetzter Spießer.«<br />
Rafoths Kritik an der Leitung und der <strong>in</strong>nerparteilichen Demokratie versuchte<br />
das Sekretariat als »Anschlag gegen die Partei« und als Agententum zu <strong>in</strong>terpretieren:<br />
»Es ist se<strong>in</strong>e Absicht <strong>in</strong> der Partei parteife<strong>in</strong>dliche Diskussionen zu erzeugen, die Autorität der<br />
Landesleitung zu untergraben, die Parteileitung <strong>in</strong> ihrer Arbeit zu h<strong>in</strong>dern, der Partei <strong>in</strong> dem<br />
Augenblick, wo sie Riesenaufgaben zu bewältigen hat Diskussionen aufzuzw<strong>in</strong>gen, um die<br />
Partei von ihren Aufgaben abzulenken. <strong>Die</strong>ses ist die Haltung e<strong>in</strong>es Agenten.« 192<br />
E<strong>in</strong>e wirkliche Agententätigkeit konnte das Sekretariat nicht behaupten und<br />
beweisen. Es versuchte vielmehr, durch die Darstellung und das Plausibelmachen<br />
der bloßen Möglichkeit e<strong>in</strong>er solchen Agententätigkeit den Verdacht zu schüren.<br />
Rafoth habe e<strong>in</strong>en »schlechten Umgang« und sei »für alle Schmeicheleien« empfänglich.<br />
»Für Parteife<strong>in</strong>de und Agenten ist es nicht schwer sich an ihn heranzumachen, wenn man bei<br />
ihm nur tüchtig Süßholz raspelt. [...]. Dass die Agentenzentralen bei Rafoth Beute witterten<br />
war ganz klar. Rafoth hat zahlreiche Gespräche geführt, die er der Partei verschwieg. Um se<strong>in</strong><br />
parteife<strong>in</strong>dliches Verhalten zu ergründen, war es notwendig zu erfahren, wer diese Leute waren,<br />
mit denen er sprach. Es darf der Partei nichts - auch gar nichts verb<strong>org</strong>en bleiben - die<br />
Partei muss alles wissen. Rafoth aber schwieg trotz stundenlanger Diskussionen beharrlich. Er<br />
weigerte sich konstant auch nur e<strong>in</strong>en Namen dieser Leute preiszugeben, mit denen er Besprechungen<br />
hatte. Er hatte also etwas oder sogar viel zu verschweigen.«<br />
Zusätzlich wurde ihm e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung »zu e<strong>in</strong>er als Wissenschaftliches Institut<br />
getarnten USA-Agentenzentrale« v<strong>org</strong>eworfen. Es handelte sich um das Alfred-<br />
Weber-Institut für Sozial- und Staatswissenschaften <strong>in</strong> Heidelberg, das Rafoth aufgrund<br />
dessen Funktion als Fraktionsvorsitzender <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em - offensichtlich an alle<br />
Fraktionsvorsitzenden der BRD gesandten - Brief vom 12. Februar 1951 um<br />
Materialien für e<strong>in</strong> neu zu schaffendes Archiv für Parteifraktionen gebeten hatte. 193<br />
Rafoth schickte dem Institut das gewünschte Material mit Informationen über die<br />
Bremer <strong>KPD</strong>-Fraktion, was ihm nun den Vorwurf e<strong>in</strong>brachte, er verharmlose »bewusst<br />
die Gefährlichkeit dieser Agentenmethode. Irgendwie müssen sie ja erst mal<br />
<strong>in</strong> Kontakt kommen zu führenden Funktionären um dann, wenn sie auf den Leim<br />
gegangen s<strong>in</strong>d, sie zu erpressen, wie es hunderte und tausende Beispiele zeigen.«<br />
Zum Schluss der »Übersicht« verteidigte sich das Sekretariat gegen Vorwürfe,<br />
die aus den Reihen der Partei wegen der V<strong>org</strong>ehensweise gegen Rafoth erhoben<br />
wurden:<br />
»Es gibt e<strong>in</strong>ige Genossen, die der Me<strong>in</strong>ung s<strong>in</strong>d, das Sekretariat g<strong>in</strong>ge gegen Rafoth zu scharf<br />
vor, die Parteileitung habe nichts getan Rafoth auf den richtigen Weg zurückzubr<strong>in</strong>gen. Rafoth<br />
kann nicht sagen, dass die LL [Landesleitung; HB] ihn unrecht behandelt hat - im Gegen-<br />
192 Der letzte Satz des Zitats ist im Orig<strong>in</strong>al unterstrichen.<br />
193 Abschrift des Briefes <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/20.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 129<br />
teil, das Sekretariat war sträflich vertrauensselig ihm gegenüber, vernachlässigte die revolutionäre<br />
Wachsamkeit. Das Sekretariat hatte die falsche Auffassung, Rafoth sei noch zu retten, er<br />
werde zurückf<strong>in</strong>den, werde se<strong>in</strong>e Fehler e<strong>in</strong>sehen, es vertraute auf se<strong>in</strong>e Selbstkritik, es g<strong>in</strong>g<br />
damals dem Opportunismus Rafoths nicht tief genug auf den Grund.«<br />
Mit e<strong>in</strong>em H<strong>in</strong>weis auf die Bedeutung des Falles Rafoth für die Mitgliedschaft<br />
und die Bekämpfung der <strong>in</strong>nerparteilichen Opposition endete der Bericht: »Für die<br />
gesamte Partei muss das Beispiel Rafoth e<strong>in</strong>e Lehre se<strong>in</strong>. Gegenüber den Opportunisten<br />
darf die Partei nicht versöhnlerisch se<strong>in</strong> - sie muss da, wo er sich den Genossen<br />
zeigt und besonders wenn er sich breit macht, ihn unnachsichtlich bekämpfen.«<br />
Rudolf Rafoth war zum Opfer der Kampagne gegen die Parteife<strong>in</strong>de geworden,<br />
die mit se<strong>in</strong>em Ausschluss <strong>in</strong> der Bremer Partei erstmals drastisch wirksam wurde.<br />
Es war dabei ke<strong>in</strong> Zufall, dass es ausgerechnet e<strong>in</strong>en der prom<strong>in</strong>entesten Kommunisten<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> traf. Als Vorsitzender der im <strong>in</strong>nerparteilichen Machtgefüge starken<br />
und eigenständigen Bürgerschaftsfraktion stellte er durchaus e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>dernis für<br />
die Durchsetzung des Umbaus zur Partei neuen Typus und der Autorität des neuen<br />
Sekretariats dar, zumal Rafoth zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong>tern auch starke Vorbehalte gegen dieses<br />
äußerte. H<strong>in</strong>zu kam se<strong>in</strong>e große Prom<strong>in</strong>enz und öffentliche Profilierung sowie<br />
e<strong>in</strong>e eigenwillige Persönlichkeit, die bereits zuvor <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> auf Misstrauen und<br />
Vorbehalte gestoßen waren und jetzt benutzt werden konnten, den Ausschluss Rafoths<br />
zu rechtfertigen, die Eigenständigkeit der Fraktion zu demontieren und die<br />
gewünschten Machtstrukturen - d.h. die unbed<strong>in</strong>gte Autorität und Kontrolle des<br />
Sekretariats - sowie die politische L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong>nerhalb der Partei durchzusetzen. Weiterh<strong>in</strong><br />
konnte mit e<strong>in</strong>er exponierten Gestalt wie Rafoth e<strong>in</strong> Exempel statuiert werden,<br />
anhand dessen die angebliche Gefahr durch Parteife<strong>in</strong>de, Agenten und Opportunisten<br />
<strong>in</strong> den eigenen Reihen sowie das dagegen erforderliche harte V<strong>org</strong>ehen<br />
demonstriert und illustriert werden sollte. Dem Bremer Sekretariat kam dabei zwar<br />
die Rolle des ausführenden Organs zu, die Initiative g<strong>in</strong>g aber e<strong>in</strong>deutig vom Parteivorstand<br />
aus, wie die V<strong>org</strong>änge um die Zustimmung zum Haushalt zeigten. Der<br />
<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> g<strong>in</strong>g dadurch jedoch e<strong>in</strong> anerkannter Genosse und e<strong>in</strong> Aushängeschild<br />
für die Öffentlichkeit verloren. 194 Rafoth selbst wurde nach se<strong>in</strong>em Parteiausschluss<br />
DAG-Bevollmächtigter <strong>in</strong> Braunschweig und 1961 Mitarbeiter des<br />
Hauptvorstandes der IG Metall <strong>in</strong> Frankfurt. Er starb 1964.<br />
194 In der Bewertung des Ausschlusses von Rafoth aus heutiger Sicht s<strong>in</strong>d sich die Interviewpartner weitgehend<br />
e<strong>in</strong>ig. Hermann Gautier, als damaliger Erster Sekretär hauptverantwortlich für die Maßnahmen<br />
gegen Rafoth: »Dass wir daraus e<strong>in</strong> solches Drama gemacht haben und damit e<strong>in</strong>en sehr fähigen<br />
und guten Genossen verloren haben, war die Sache eigentlich, wenn ich es im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> sehe, nicht<br />
wert.« (Interview Gautier, 2). Wilhelm Meyer-Buer, später Nachfolger Rafoths als Fraktionsvorsitzender,<br />
sieht zwar auch e<strong>in</strong> großes Selbstverschulden Rafoths (»Er hat Grundsätze unserer Politik aufs<br />
Spiel gesetzt oder gar aufgegeben. Er hat vieles, was er getan hat, nicht zum Gegenstand e<strong>in</strong>er Diskussion<br />
gemacht, sondern hat das der Partei verheimlicht. Das hat dazu geführt, dass er ausgeschlossen<br />
wurde.«), ist aber auch »fest davon überzeugt, dass das e<strong>in</strong> Fehler war, dass wir ihn ausgeschlossen<br />
haben. Er hatte wirklich potentielle Kräfte gehabt, die man besser und wirkungsvoller e<strong>in</strong>setzen konnte<br />
zum Wohlergehen der Partei. Da s<strong>in</strong>d wir auch kurzsichtig gewesen. Es wäre gut gewesen, wenn wir<br />
den verhängnisvollen Beschluss nicht gefasst hätten.« (Interview Meyer-Buer, 2).
130<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
Mit der Absetzung Rafoths begann <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e massive Kampagne<br />
gegen die verme<strong>in</strong>tlichen »Agenten« <strong>in</strong> der Partei. Bereits am 4. Mai 1951 beschloss<br />
das Sekretariat »auf Grund der zentralen Anweisungen« die Ausarbeitung e<strong>in</strong>es<br />
Plans »für die Bekämpfung der Parteife<strong>in</strong>de im Lande <strong>Bremen</strong>«. 195 Weiterh<strong>in</strong> sollten<br />
Listen an alle Parteie<strong>in</strong>heiten ausgegeben werden, mit denen festgestellt werden<br />
sollte, »welche Genossen parteife<strong>in</strong>dliche Materialien erhalten«. <strong>Die</strong> Landes<strong>in</strong>strukteure<br />
wurden angewiesen, »die Wachsamkeit aller Genossen zu verstärken, um<br />
Volksfe<strong>in</strong>de und ihre Argumente zu erkennen und zu zerschlagen. Volksfe<strong>in</strong>de<br />
müssen isoliert werden.« 196<br />
Dass die Warnung vor »Agenten« <strong>in</strong> der Partei nicht ausschließlich v<strong>org</strong>eschobene<br />
Propaganda zum Zwecke der Diszipl<strong>in</strong>ierung der Mitgliedschaft und zur<br />
Ausschaltung verme<strong>in</strong>tlicher oder tatsächlicher Opposition war, zeigte die Enttarnung<br />
des Pol.-Leiters im Stadtteil Neustadt Karl-He<strong>in</strong>z Weixelmann. Weixelmann<br />
hatte offenbar e<strong>in</strong> Jahr lang, so die Tribüne der Demokratie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em umfangreichen<br />
Artikel vom 22. September 1951, für den Bremer Verfassungsschutz gearbeitet. 197<br />
Das Sekretariat hatte dies bereits Anfang September erfahren 198 und schloss Weixelmann<br />
deshalb am 6. September 1951 aus der Partei aus. 199 <strong>Die</strong> »Agententätigkeit«<br />
Weixelmanns bestand <strong>in</strong> der Weitergabe von <strong>in</strong>ternen Informationen der Landesleitung<br />
und von Parteitagungen sowie von Parteimaterialien. <strong>Die</strong> Tribüne der<br />
Demokratie »enthüllte« <strong>in</strong> der Folgezeit die Aktivitäten des »Agenten 227« <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Artikelserie und stellte u.a. e<strong>in</strong>en Zusammenhang zu Innensenator Adolf Ehlers<br />
und der SPD-Führung her, die angeblich über Weixelmann herausbekommen wollten,<br />
»welche SPD-Genossen Verb<strong>in</strong>dungen zu Mitgliedern und Funktionären der<br />
<strong>KPD</strong> unterhalten«. 200<br />
<strong>Die</strong> Enttarnung e<strong>in</strong>es »echten« Agenten bot der Parteileitung vor allem die<br />
Möglichkeit, noch e<strong>in</strong>mal drastisch die behaupteten und tatsächlichen Gefahren<br />
durch die »Parteife<strong>in</strong>de« darzustellen. In den »Tribüne«-Artikeln wurde deshalb<br />
auch immer wieder vor diesen Gefahren gewarnt und zur »erhöhten revolutionären<br />
Wachsamkeit« aufgerufen. Damit verbunden war aber auch e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Warnung<br />
an die Mitglieder, sich gegen die Parteil<strong>in</strong>ie zu stellen. Weixelmann hatte dem<br />
Verfassungsschutz u.a. auch über die Entwicklung im Fall Rafoth berichtet. <strong>Die</strong>s<br />
zeige, so die »Tribüne«,<br />
»wie aufmerksam die Agentenzentralen jeden gegen die Politik der Partei argumentierenden<br />
Genossen und Funktionär registrieren, se<strong>in</strong>e politische Entwicklung laufend beobachten und<br />
abwägen, wann er für sie reif ist. Es zeigt also, wie solche Genossen, wenn sie den Ruf und die<br />
Hilfe der Partei nicht beachten, wenn sie sich nicht ernsthaft bemühen, sich ideologisch zu fes-<br />
195 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 4. Mai 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
196 Anlage zum Protokoll 4.5.: Arbeitsanweisung für die Genossen Instrukteure, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
197 An den Schandpfahl: »Agent 227« entlarvt, Tribüne der Demokratie 22./23.9.1951.<br />
198 Protokoll von der Fortsetzung der Sekretariatssitzung vom 1.9. am 3.9.51, SAPMO I 11/20/6.<br />
199 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 6. September 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, SAPMO I 11/20/6.<br />
200 An den Schandpfahl: »Agent 227« entlarvt, Tribüne der Demokratie 22./23.9.1951; Zerreißt das Agentennetz!,<br />
Tribüne der Demokratie 29./30.9.51; Meyer-Müllerstedt hatte die »besondere Ehre«..., Tribüneder<br />
Demokratie 1.10.1951.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 131<br />
tigen, die Politik der Partei zu verstehen, <strong>in</strong> Gefahr kommen, <strong>in</strong> das Netz von Agenten geraten,<br />
aus dem es dann sehr oft ke<strong>in</strong> Zurück mehr gibt.« 201<br />
Gerade die Agentenvorwürfe gegen Rafoth schienen jedoch auf Zweifel und<br />
Widerspruch <strong>in</strong> der Mitgliedschaft zu stoßen. In e<strong>in</strong>er Sekretariatsvorlage der Kaderabteilung<br />
wurde im September 1951 festgestellt:<br />
»<strong>Die</strong> Diskussionen über die Gründe des Ausschlusses des Parteife<strong>in</strong>des Rudolf Rafoth s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />
der Partei noch im Gange. <strong>Die</strong> Wahl<strong>in</strong>strukteure202 berichten, dass ihnen <strong>in</strong> zahlreichen Fällen<br />
von Mitgliedern und auch Funktionären gesagt worden sei, dass sie die politischen Gründe<br />
des Ausschlusses Rafoths nicht kennen.« 203<br />
»<strong>Die</strong> meisten Genossen«, so die Vorlage weiter, »stellen noch zu sehr die Verb<strong>in</strong>dung<br />
mit der Agentenzentrale <strong>in</strong> den Vordergrund.« Es g<strong>in</strong>ge jedoch nicht um<br />
die Person Rafoths, sondern um »drei wichtige Grundfragen <strong>in</strong> der Partei, den Opportunismus,<br />
das Doppelzünglertum und um die Stellung zur Partei«. V<strong>org</strong>eschlagen<br />
werde deshalb, »im Anschluss an die Artikelserie Weixelmann [...] e<strong>in</strong> weitere<br />
Artikelserie zu veröffentlichen«, die »e<strong>in</strong> weiterer Schlag gegen den Opportunismus,<br />
Doppelzüngler und Agenten« werden müsse. Für die Behandlung aller<br />
Grundfragen sollte Rudolf Rafoth als Beispiel herangezogen werden. Das Sekretariat<br />
genehmigte die Vorlage, 204 allerd<strong>in</strong>gs erschienen <strong>in</strong> der Folgezeit aus ungeklärten<br />
Gründen die geplanten Artikel nicht. Zu vermuten ist, dass die Parteileitung<br />
aufgrund der bevorstehenden Bürgerschaftswahl am 7. Oktober 1951 nicht noch<br />
weitere Unruhe <strong>in</strong> die Mitgliedschaft br<strong>in</strong>gen wollte. Das erneute Aufrollen des<br />
Falls Rafoth hätte zudem wahrsche<strong>in</strong>lich den gegnerischen Parteien und der bürgerlichen<br />
Presse unnötig Wahlkampfmunition geliefert.<br />
Folkert Potrykus<br />
Im November 1951 erfolgte der nächste Ausschluss e<strong>in</strong>es zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> der Partei<br />
renommierten Kommunisten. Es traf den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der<br />
Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung Folkert Potrykus. Wie schon bei<br />
Rudolf Rafoth handelte die Bremer Partei auch <strong>in</strong> diesem Fall vor allem aufgrund<br />
massiven Drucks des Parteivorstands.<br />
Folkert Potrykus wurde 1900 <strong>in</strong> Bremerhaven geboren und gehörte der <strong>KPD</strong> seit<br />
der Gründung 1918/19 an. Nach 1933 leistete er illegale Arbeit, wurde 1934 zu zwei<br />
Jahren Zuchthaus verurteilt 205 und kam 1938/39 erneut <strong>in</strong> KZ-Haft, durch die er<br />
schwere gesundheitliche Schäden erlitt. Nach <strong>1945</strong> wurde Potrykus zum führenden<br />
Mann der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Bremerhaven, war zeitweise Erster Sekretär der Kreisleitung und<br />
bis 1951 Fraktionsvorsitzender der Stadtverordnetenversammlung. Potrykus’ E<strong>in</strong>fluss<br />
<strong>in</strong> der Bremerhavener Partei<strong>org</strong>anisation, das zeigten auch die Reaktionen auf<br />
201 Zerreißt das Agentennetz!, Tribüne der Demokratie 29./30.9.51.<br />
202 Im Oktober 1951 fanden <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> Bürgerschaftswahlen statt.<br />
203 Sekretariats-Vorlage: Vorschläge zur Überw<strong>in</strong>dung der noch vorhandenen Unklarheiten über den Ausschluss<br />
von Rudolf Rafoth, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
204 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 26. September 1951, <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
205 Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 41.
132<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
se<strong>in</strong>en Ausschluss, war sehr groß. 206 Nach 1951 schloss sich Potrykus der »Gruppe<br />
Arbeiterpolitik« an. 207 Er starb 1970.<br />
<strong>Die</strong> Umstände se<strong>in</strong>es Ausschlusses aus der <strong>KPD</strong> und die vorhergehenden Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
lassen sich nicht mehr detailliert rekonstruieren. Potrykus war<br />
bereits e<strong>in</strong>ige Monate zuvor »wegen se<strong>in</strong>er politischen Unklarheiten und se<strong>in</strong>es, die<br />
Entwicklung der Partei hemmenden parteischädigenden Verhaltens« vom Sekretariat<br />
»zur Verantwortung gezogen worden«, so der den Ausschluss begründende<br />
Artikel <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie. 208 <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung entzündete sich<br />
vermutlich an Potrykus’ Kritik des neuen Sekretariats sowie der »nationalen Politik«<br />
der Partei. 209 Das Sekretariat verdächtigte Potrykus, »parteife<strong>in</strong>dlichen, trotzkistischen<br />
Gruppierungen« anzugehören, was dieser aber bestritt. 210 Der Beschuldigte<br />
übte Selbstkritik 211 und wurde daraufh<strong>in</strong> zu den Bürgerschaftswahlen auf die<br />
Kandidatenliste für die Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung gesetzt. 212<br />
Vier Tage nach der Wahl, bei der die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Bremerhaven starke Stimmenverluste<br />
h<strong>in</strong>nehmen musste, beschloss das Landessekretariat, dass Potrykus auf se<strong>in</strong><br />
Mandat verzichten solle, da se<strong>in</strong> Verhalten »nicht geeignet ist, die Arbeit der Partei<br />
zu fördern«. 213 Welches Verhalten geme<strong>in</strong>t war, ist im Protokoll nicht erwähnt. In<br />
der späteren Ausschlussbegründung hieß es dazu:<br />
»Als aber se<strong>in</strong>e [Potrykus; HB] Kandidatur gesichert war, begann er se<strong>in</strong>e abgegebenen Beteuerungen<br />
und Schwüre über den Haufen zu werfen. <strong>Die</strong> Fälle häuften sich, wo er sich gegen<br />
Anweisungen und Beschlüsse der Parteileitungen äußerte, die Autorität der Parteileitungen<br />
bei e<strong>in</strong>zelnen Mitgliedern untergrub und uns<strong>in</strong>nigste Gerüchte verbreitete. Se<strong>in</strong>e Diszipl<strong>in</strong>losigkeit<br />
gegenüber der Parteileitung erreichte den Höhepunkt, als diese e<strong>in</strong>en anderen Genossen<br />
zum Fraktionsvorsitzenden vorschlug.« 214<br />
Potrykus weigerte sich, dem Beschluss des Sekretariats nachzukommen, und<br />
gab se<strong>in</strong> Mandat <strong>in</strong> der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung nicht zurück.<br />
<strong>Die</strong> Bremerhavener Kreisleitung schloss ihn daraufh<strong>in</strong> Ende November 1951<br />
aus der Partei aus. 215 <strong>Die</strong> <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie veröffentlichte Begründung<br />
brachte gegen den Ausgeschlossenen sämtliche als Schlagworte <strong>in</strong> der Säuberungskampagne<br />
verwendeten Vergehen vor. Se<strong>in</strong>e »Diszipl<strong>in</strong>losigkeiten« seien Ausdruck<br />
dafür, dass er »mit der Partei nicht mehr verbunden war«, er trete »nicht entschie-<br />
206 Potrykus wurde als »Parteipapst von Bremerhaven« tituliert (Tribüne der Demokratie, 31.1./1.2.1953).<br />
207 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 129.<br />
208 Bremerhavener Parteiarbeiter entlarven e<strong>in</strong>en Parteife<strong>in</strong>d, Tribüne der Demokratie 29.11.1951.<br />
209 <strong>Die</strong>s lässt sich aus dem Artikel schließen (ebenda).<br />
210 Ebenda.<br />
211 Ebenda.<br />
212 <strong>Die</strong> Kandidaten des Volkes, Tribüne der Demokratie 4.10.1951. Potrykus stand an dritter der Stelle der<br />
Liste.<br />
213 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 11. Oktober 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
214 Bremerhavener Parteiarbeiter entlarven e<strong>in</strong>en Parteife<strong>in</strong>d, Tribüne der Demokratie 29.11.1951. Das Sekretariat<br />
ernannte nach der Wahl den ehemaligen Bürgerschaftsabgeordneten Erw<strong>in</strong> Schmidt, der auf der<br />
Kandidatenliste an vierter Stelle - also noch h<strong>in</strong>ter Potrykus - gestanden hatte, zum Fraktionsvorsitzenden<br />
<strong>in</strong> der Stadtverordnetenversammlung (Protokoll der Sekretariatssitzung vom 11. Oktober 1951, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/6).<br />
215 Bremerhavener Parteiarbeiter entlarven e<strong>in</strong>en Parteife<strong>in</strong>d, Tribüne der Demokratie 29.11.1951.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 133<br />
den für die Sowjetunion und für die Deutsche Demokratische Republik e<strong>in</strong>«. Wie<br />
auch Rudolf Rafoth wurde Potrykus als ehemaliger Fraktionsvorsitzender der<br />
Stadtverordnetenversammlung beschuldigt, »Politik auf eigene Faust« zu betreiben<br />
und damit dazu beigetragen zu haben, »die Entwicklung <strong>in</strong> der Partei zu hemmen«.<br />
Er sei e<strong>in</strong> »e<strong>in</strong>gefleischter Opportunist«, der se<strong>in</strong>e »Volksfe<strong>in</strong>dlichkeit« durch »se<strong>in</strong>en<br />
Ausspruch, dass <strong>in</strong> der Partei die Parteife<strong>in</strong>de über ihn gesiegt hätten«, bewiesen<br />
habe. »<strong>Die</strong>se Formulierung gleicht auf e<strong>in</strong> Haar der aller Verräter, Spione und<br />
Agenten wie Trotzki, Tito, Brandler, Schappe und beweist, dass er bei ihnen, im<br />
Lager der Kriegstreiber steht. <strong>Die</strong>ses Verräter- und Agentengezücht ist auf dem<br />
Misthaufen der Geschichte gelandet, wo sich nunmehr Folkert Potrykus zugesellt.«<br />
216<br />
Neben der drastischen Diktion des Artikels und den im Vergleich zu Rafoth<br />
ähnlich lautenden Vorwürfen wiesen die beiden Ausschlüsse noch weitere Parallelen<br />
auf. Innerhalb e<strong>in</strong>es halben Jahres waren mit Rafoth und Potrykus die Fraktionsvorsitzenden<br />
der Bürgerschaft und der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung<br />
erst abgesetzt und kurze Zeit später aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen worden.<br />
Beide besaßen <strong>in</strong>nerhalb der Partei<strong>org</strong>anisation hohes Ansehen und E<strong>in</strong>fluss<br />
und betrieben e<strong>in</strong>e relativ eigenständige, mit der L<strong>in</strong>ie der Partei nicht immer übere<strong>in</strong>stimmende<br />
Politik.<br />
Entscheidend war dabei <strong>in</strong> beiden Fällen allerd<strong>in</strong>gs nicht die Bremer Leitung,<br />
sondern der Parteivorstand, auf dessen Druck auch der Ausschluss von Folkert<br />
Potrykus zustande kam. Auf der 2. PV-Tagung vom 9. - 11. November 1951 mussten<br />
sich die anwesenden Bremer Sekretariatsmitglieder scharfe Kritik gefallen lassen.<br />
Der für Kaderfragen zuständige Sekretär Otto Kloock217 warf ihnen »im H<strong>in</strong>blick<br />
auf die Wachsamkeit e<strong>in</strong>ige ernste Versäumnisse« vor:<br />
»So hat die Landesleitung <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong>em Manne mit trotzkistischer Vergangenheit [geme<strong>in</strong>t<br />
war Potrykus; HB], der auch jetzt e<strong>in</strong>e ziemlich e<strong>in</strong>deutige Rolle spielt, e<strong>in</strong>e Charakteristik ausgestellt,<br />
die mit den Worten beg<strong>in</strong>nt: ›Der Genosse hat e<strong>in</strong>e ruhmreiche Vergangenheit‹. Schon<br />
bei früherer Gelegenheit hat die Landesleitung <strong>Bremen</strong> im Falle Rafoth S<strong>org</strong>losigkeit an den<br />
Tag gelegt und die Sicherheit der Partei nicht so ernst genommen wie sie genommen werden<br />
muss.« 218<br />
Hermann Gautier nahm auf der Tagung kurz Stellung zu den Vorwürfen und<br />
bezeichnete die Kritik an dem von ihm geleiteten Sekretariat als berechtigt: »Wir<br />
haben es wohl bei der Entlarvung des Parteife<strong>in</strong>des Rafoth, der bis vor kurzem<br />
Vorsitzender unserer Landtagsfraktion war, wie auch bei der Behandlung anderer<br />
parteife<strong>in</strong>dlicher Elemente an der Wachsamkeit zur Entlarvung dieser Elemente<br />
mangeln lassen.« Er führte den schlechten Zustand der Partei <strong>in</strong> Bremerhaven und<br />
die dortigen Stimmverluste bei den Bürgerschaftswahlen auch auf den E<strong>in</strong>fluss der<br />
»Parteife<strong>in</strong>de« zurück. Entschuldigend fügte er h<strong>in</strong>zu, »dass dieser Zustand <strong>in</strong> der<br />
216 Ebenda.<br />
217 Otto Kloock (1911-1977): <strong>KPD</strong>, 1933 Bezirksfunktionär des KJVD, verhaftet und verurteilt. Ende 1944<br />
sowjetische Kriegsgefangenschaft, Antifa-Schüler. 1951-1954 Mitglied im Sekretariat des PV, Sommer<br />
1954 Rücktritt. Nach <strong>1968</strong> DKP (Hamburg).<br />
218 2. Tagung des PV der <strong>KPD</strong> 9. - 11.11. 1951 (Bd. 2), SAPMO DY IV 2/10.03/238.
134<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
Partei <strong>in</strong> Bremerhaven nicht erst <strong>in</strong> der Periode der Tätigkeit unseres jetzigen Landessekretariats<br />
vorhanden ist, sondern schon seit e<strong>in</strong>igen Jahren <strong>in</strong> der Partei<br />
ist«. 219<br />
Kloock genügte diese Rechtfertigung nicht. Er vertiefte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Schlusswort<br />
noch e<strong>in</strong>mal die Kritik und griff vor allem Gautier persönlich scharf an, dessen Stellungnahme<br />
er als »Musterbeispiel [...] wie Selbstkritik nicht aussehen soll« bezeichnete.<br />
<strong>Die</strong> Mitglieder der Bremer Landesleitung müssten ihm deshalb helfen, »se<strong>in</strong>e<br />
Überheblichkeit zu überw<strong>in</strong>den, die ihn heute daran h<strong>in</strong>dert, Kritik anzuerkennen<br />
und daraus die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen, und der <strong>in</strong>folgedessen<br />
durch se<strong>in</strong> schlechtes Verhalten zur Kritik und se<strong>in</strong>e mangelhafte Selbstkritik die<br />
Partei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ernste Gefahr br<strong>in</strong>gt.« In Bremerhaven sei mit Potrykus e<strong>in</strong> »alter<br />
Trotzkist« <strong>in</strong> der Partei, »dessen schädliche Tätigkeit seit langem bekannt ist, und<br />
die Bremer Landesleitung hat nicht dagegen gekämpft«. Das, so Kloock, seien die<br />
Folgen der mangelnden Wachsamkeit: »So sieht es aus, wenn man Kritik nicht anerkennen<br />
will, jene Kritik, die wir schon im Falle Rafoth geübt haben und die den<br />
Genossen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong>e ernste Warnung hätte se<strong>in</strong> und sie zu erhöhter Wachsamkeit<br />
hätte anspornen sollen«. Verantwortlich dafür sei nicht nur Gautier, sondern<br />
das gesamte Sekretariat.<br />
<strong>Die</strong> harsche und grundsätzliche Kritik an der Bremer Parteileitung zeigte<br />
schnell Wirkung. In zwei kurz aufe<strong>in</strong>anderfolgenden Sitzungen nach der PV-<br />
Tagung fasste das Sekretariat mehrere Beschlüsse, mit denen auf die Vorwürfe reagiert<br />
werden sollte. Am 14. November 1951 wurde zunächst die Erarbeitung e<strong>in</strong>er<br />
»selbstkritischen Stellungnahme des Landessekretariats für den PV« beschlossen,<br />
die nach der Rückkehr des auf der Sitzung nicht anwesenden Hermann Gautier erneut<br />
diskutiert werden sollte. Daneben wurde e<strong>in</strong>e Sondersitzung der Landesleitung<br />
e<strong>in</strong>berufen sowie die Vorlage e<strong>in</strong>es Strukturplanes zur Neu<strong>org</strong>anisierung der<br />
Arbeit des Sekretariats beschlossen. 220<br />
Auf e<strong>in</strong>er zweiten Sitzung am 16. November 1951 beschäftigte sich das Sekretariat<br />
erneut mit der Thematik. »Um die Fehlerquellen gründlichst bloßzulegen«, sollten<br />
alle Sekretariatsmitglieder <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Woche »e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehende Selbstkritik«<br />
ausarbeiten, auf deren Grundlage dem Parteivorstand »die notwendigen Veränderungen<br />
der Verantwortlichkeit im Sekretariat« v<strong>org</strong>eschlagen werden sollten.<br />
221 Der Strukturplan für die veränderten Aufgabenverteilungen <strong>in</strong>nerhalb des<br />
Sekretariats und der Landesleitung wurde am 5. Dezember 1951 verabschiedet.<br />
219 Ebenda.<br />
220 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. November 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
221 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 16. 11.1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6. Das Sekretariat sah die<br />
Ursachen für »die aufgetretenen Fehler und Schwächen <strong>in</strong> der ungenügenden oder sogar fast fehlenden<br />
ideologischen Arbeit« se<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Mitglieder, weswegen alle Sekretäre dem PV als Teilnehmer<br />
am sog. Fernstudium v<strong>org</strong>eschlagen werden sollten. Ob allen Sekretariatsmitgliedern die Notwendigkeit<br />
der »selbstkritischen Stellungnahmen« tatsächlich e<strong>in</strong>sichtig war, lässt sich nicht beurteilen.<br />
Der Beschluss, diese Selbstkritiken <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Woche zu verfassen, wurde jedenfalls nur von den<br />
wenigsten realisiert, wie auf der Sitzung vom 28. November festgestellt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt<br />
hatten erst drei Sekretäre entsprechende Papiere abgeliefert (Protokoll der Sekretariatssitzung vom<br />
28. November 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6).
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 135<br />
Wesentliche personelle Veränderungen gab es allerd<strong>in</strong>gs nicht. Lediglich e<strong>in</strong>zelne<br />
Verantwortungsbereiche wurden neu verteilt und <strong>in</strong>nerhalb der Abteilungen gab es<br />
e<strong>in</strong>ige Umbesetzungen. 222<br />
Kritik am Sekretariat und der Verfahrensweise im Fall Potrykus wurde auch <strong>in</strong><br />
der Landesleitung laut, die das Thema <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sitzung am 27. November 1951 auf<br />
der Tagesordnung hatte. 223 Neben eher pr<strong>in</strong>zipiellen Warnungen vor »der S<strong>org</strong>losigkeit<br />
und der Gutgläubigkeit«, mit der man das »Agententum« fördere, 224 wurde<br />
auch konkrete Unzufriedenheit geäußert, die andeutete, dass der Ausschluss vor allem<br />
<strong>in</strong> der Bremerhavener Partei für Unruhe s<strong>org</strong>te. In der Diskussion wurde bemängelt,<br />
dass es über den Ausschluss von Potrykus ke<strong>in</strong>e Sondersitzung der Landesleitung<br />
gab, so dass deren Mitglieder »erst durch die Presse <strong>in</strong>formiert wurden«.<br />
Der Bremerhavener Stadtverordnete He<strong>in</strong> Sievers beschwerte sich, dass auf jeder<br />
Landesleitungssitzung die Partei <strong>in</strong> Bremerhaven kritisiert werde. Zwar sei es berechtigt,<br />
von e<strong>in</strong>er ideologischen Schwäche zu sprechen, er könne aber »nicht umh<strong>in</strong>,<br />
dem PV und der LL den Vorwurf zu machen, dass sie Bremerhaven nicht unterstützt<br />
haben« und somit Potrykus’ E<strong>in</strong>fluss mitzuverantworten hätten. Sievers<br />
deutete weiter an, dass es <strong>in</strong> der Bremerhavener Partei Widerstand gegen den Ausschluss<br />
von Potrykus gab. 225<br />
<strong>Die</strong> Parteileitung war sich dieser Gefahr durchaus bewusst. In allen Grund<strong>org</strong>anisationen<br />
wurden deshalb Mitgliederversammlungen durchgeführt, auf denen<br />
der Ausschluss Potrykus’ diskutiert und »se<strong>in</strong>e Gründe von Mitgliedern des Landessekretariats<br />
erläutert wurden«. 226 Völlig beruhigen konnten solche »gründlichen<br />
ideologischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen« 227 die Kritik jedoch nicht. In e<strong>in</strong>er Sekretariatsvorlage<br />
vom Januar 1952 wurde festgestellt: »Im Lande <strong>Bremen</strong> tauchen immer<br />
noch wieder Argumente aus der Quelle der Parteife<strong>in</strong>de Rafoth und Potrykus auf.<br />
222 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 5. Dezember 1951, <strong>Bremen</strong>; Sekretariatsvorlage: <strong>Die</strong> Zusammensetzung<br />
und Verantwortlichkeit im Landessekretariat und die Abteilungen, beide <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
223 Protokoll der Landesleitungssitzung vom Mittwoch, dem 27. Nov. 1951 <strong>Bremen</strong>. In: SAPMO I 11/20/2.<br />
224 So der Leiter der Landeskontrollkommission Willy Seipel. Seipel gab zu, dass im Sekretariat »opportunistische<br />
Fehler« gemacht worden seien, »ohne dass wir sagen können, dass wir [...] e<strong>in</strong>gefleischte Opportunisten<br />
s<strong>in</strong>d«. E<strong>in</strong>e der entscheidenden Schwächen <strong>in</strong> der gesamten Partei sei, »dass wir zu sehr<br />
der S<strong>org</strong>losigkeit und der Gutgläubigkeit verfallen s<strong>in</strong>d, dass wir, wenn jemand behauptet, dass er treu<br />
zur Partei steht und sich lieber das Leben nehmen will, diese D<strong>in</strong>ge glauben.« Man müsse nicht immer<br />
»den letzten Beweis haben, um zu sagen, dass er Agent ist [...]. Ich glaube, es gibt noch viele Genossen.<br />
Prüfen wir diese Genossen, wie sie zur SU stehen«. (ebenda).<br />
225 Sievers wörtlich: »Ich erhalte heute Bericht, dass <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Ortsgruppe sich e<strong>in</strong>e gewaltige Bewegung<br />
ansp<strong>in</strong>nt gegen den Ausschluss von P.[otrykus]« (ebenda).<br />
226 So e<strong>in</strong> SED-Instrukteursbericht aus der Zeit des Ausschlusses von Potrykus (E<strong>in</strong>satz vom 20.11. -<br />
18.12.1951 (28. Dezember 1951). In: SAPMO I 11/20/13.<br />
227 Ebenda. Der Bericht forderte weiter die Fortsetzung dieser »Ause<strong>in</strong>andersetzung« im sog. 2. Parteilehrjahr,<br />
<strong>in</strong> dem das Schwergewicht auf der »Durchführung von Zirkeln zum Studium der Biographie des<br />
Genossen Stal<strong>in</strong>« gelegt werden sollte. »An der Stellung zu Stal<strong>in</strong> und zur Sowjetunion werden sich die<br />
Parteife<strong>in</strong>de, die Schappe- und Brandler-Agenten entlarven, deren Exponent Potrykus war. Dadurch<br />
wird man auch am besten die antisowjetischen Tendenzen und Stimmungen bekämpfen und die Parteimitglieder<br />
im Geiste der Liebe und Treue zur Sowjetunion erziehen können.«
136<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
Es gibt noch Genossen, bei denen der E<strong>in</strong>fluss der Argumente dieser Schädl<strong>in</strong>ge<br />
noch nicht beseitigt s<strong>in</strong>d.« 228<br />
<strong>Die</strong> Vorlage machte deutlich, dass die beiden Ausschlüsse benutzt werden sollten<br />
und konnten, generell gegen <strong>in</strong>nerparteiliche Opposition vorzugehen. 229 Sie<br />
schlug e<strong>in</strong>e Reihe von Artikeln für die Tribüne der Demokratie vor, <strong>in</strong> denen jeweils<br />
an den »Beispielen Rafoth und Potrykus« »grundsätzliche Fragen« behandelt werden<br />
sollten. 230 Das Ziel der Artikelreihe wurde klar benannt: »<strong>Die</strong> Genossen müssen<br />
bei der Diskussion zu dem Schluss kommen, dass hoffnungslose, unverbesserliche<br />
Opportunisten aus der Partei entfernt werden müssen«.<br />
<strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzungen und Diskussionen um Potrykus hielten noch bis<br />
zum Herbst 1952 an. Im März führte die Kreisleitung Bremerhaven e<strong>in</strong>e Generalmitgliederversammlung<br />
durch (Beteiligung: 21 Prozent), die schwerpunktmäßig<br />
diese Thematik behandelte. 231 In e<strong>in</strong>em Tätigkeitsbericht des Sekretariats vom April<br />
1952 wurde der Kreisleitung die Aufgabe zugewiesen, die Genossen <strong>in</strong> den Bremerhavener<br />
Stadtteilen Lehe-Nord und Lehe-Süd, <strong>in</strong> denen Potrykus e<strong>in</strong>en »gewissen<br />
E<strong>in</strong>fluss« habe, »über die parteife<strong>in</strong>dliche Politik dieses Agenten aufzuklären«.<br />
232 Noch im August und September 1952 sah sich die Parteileitung genötigt,<br />
propagandistisch Stellung zu nehmen gegen Potrykus. <strong>Die</strong>ser fand sich offenbar<br />
mit se<strong>in</strong>em Ausschluss nicht ab, hielt weiter Kontakt zu ehemaligen Genossen und<br />
drohte damit - so die Darstellung <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie -, die Partei zu verklagen.<br />
233 Potrykus blieb bis zu diesem Zeitpunkt auch Mitglied der VVN, wo es<br />
ihm gelungen sei, weiter se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss geltend zu machen. Es gäbe immer noch<br />
Mitglieder, die der Me<strong>in</strong>ung seien »Folkert, der wird schon noch bereuen und wird<br />
es dann sicher wieder gutmachen. Man darf ihm nicht alle Möglichkeiten der Bewährung<br />
versperren«. 234<br />
Tatsächlich also wurde auch der Ausschluss von Folkert Potrykus von der Basis<br />
nicht ohne weiteres akzeptiert und erzeugte sogar Unmut. 235 Der »Widerstand« al-<br />
228 Sekretariatsvorlage (zum Sekr.Prot. <strong>Bremen</strong> 17.1.52). In: SAPMO I 11/20/7. <strong>Die</strong> Vorlage wurde am 17. Januar<br />
1952 vom Sekretariat angenommen.<br />
229 »Der Opportunismus von Rafoth und Potrykus gibt uns gute Möglichkeiten, die Schädlichkeit und<br />
Verderblichkeit des Opportunismus für die Partei und Arbeiterklasse drastisch zu demonstrieren.« (ebenda).<br />
230 Im E<strong>in</strong>zelnen waren dies die »Kritik und Selbstkritik«, die »Frage des Vertrauens zur SU und DDR<br />
(Prüfste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es jeden Kommunisten. Gerade hier hat sich die Parteife<strong>in</strong>dlichkeit Rafoths und Potrykus<br />
besonders deutlich gezeigt)«, die »Frage des Vertrauens zur Kraft und dem Sieg der Arbeiterklasse«<br />
(Potrykus und Rafoth hätten versucht, »den Glauben an die Kraft zu untergraben«), »die Rolle der<br />
Doppelzüngler« sowie »Über Fragen der Diszipl<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Partei«. (ebenda).<br />
231 Landesleitung <strong>Bremen</strong>, Sekretariat: Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 22.-28.3.52, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/11.<br />
232 Landesleitung <strong>Bremen</strong>, Org.-Instr.-Abteil.: Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 19. - 25.4. 1952, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/11.<br />
233 Erhöhte Wachsamkeit gegen Parteife<strong>in</strong>de und Agenten, Tribüne der Demokratie 27./28.9.1952.<br />
234 Ständig und unermüdlich den Kampf gegen Parteife<strong>in</strong>de führen, Tribüne der Demokratie 23./24.8.1952.<br />
235 Willy Hundertmark, als entlassener Chefredakteur der Tribüne der Demokratie selbst betroffen von den<br />
Säuberungen, berichtet, er sei noch <strong>in</strong> den 1970er Jahren <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschaft als VVN-Sekretär von<br />
Parteimitgliedern <strong>in</strong> Bremerhaven wegen des Ausschlusses von Potrykus angesprochen und angegriffen<br />
worden (Interview Hundertmark, 2).
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 137<br />
lerd<strong>in</strong>gs beschränkte sich hier weitgehend auf das Ignorieren des faktischen Kontaktverbotes<br />
der Leitung, 236 und auch die im Vergleich zu <strong>Bremen</strong> noch negativere<br />
Mitgliederentwicklung <strong>in</strong> Bremerhaven wird zu e<strong>in</strong>em Teil auf die Unzufriedenheit<br />
mit dem Sekretariat und dessen Umgang mit Potrykus zurückzuführen se<strong>in</strong>.<br />
Re<strong>in</strong>hold und Käthe Popall<br />
<strong>Die</strong> Kampagnen gegen Rafoth und Potrykus wurden seit Anfang 1952 noch übertroffen<br />
von der Ause<strong>in</strong>andersetzung um die ehemalige Gesundheitssenator<strong>in</strong> Käthe<br />
Popall und ihren Ehemann Re<strong>in</strong>hold, gegen die sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> fortan der »Kampf<br />
gegen den Opportunismus« schwerpunktmäßig richtete. Beide gehörten, wie Rafoth<br />
und Potrykus, zu den prom<strong>in</strong>entesten und nicht nur <strong>in</strong>nerhalb der Partei anerkannten<br />
Kommunisten <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Unabhängig von den Gründen und Umständen<br />
der Kampagne gegen das Ehepaar ist dieser Fall auch deshalb bemerkenswert, weil<br />
hier erstmals e<strong>in</strong> von der Parteileitung angestrebter Ausschluss, nämlich der von<br />
Käthe Popall, gegenüber der Basis nicht durchgesetzt werden konnte und schließlich<br />
auch nicht erfolgte.<br />
Käthe Popall, geboren 1907 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, kam über SAJ und Gewerkschaftsjugend<br />
1928 zum KJVD und 1932 zur <strong>KPD</strong>. 237 Sie wurde für die RGO Betriebsrät<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />
Bremer Jutesp<strong>in</strong>nerei und war 1930/31 auch Mitglied der Bremischen Bürgerschaft.<br />
Nach 1933 leistete sie Widerstand und arbeitete u.a. <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> illegal für die <strong>KPD</strong>.<br />
1935 verhaftet, wurde sie 1937 vom Volksgerichtshof zu zwölf Jahren Zuchthaus<br />
verurteilt und danach bis <strong>1945</strong> <strong>in</strong> verschiedenen Gefängnissen und Zuchthäusern<br />
<strong>in</strong>haftiert. Nach der Befreiung kehrte sie im Juni <strong>1945</strong> nach <strong>Bremen</strong> zurück und arbeitete<br />
sofort wieder für die <strong>KPD</strong>. 1946 wurde sie Abgeordnete und Vizepräsident<strong>in</strong><br />
der Bremischen Bürgerschaft und schließlich als erste Frau Mitglied des Senats.<br />
Sie galt <strong>in</strong> dieser Zeit weit über die <strong>KPD</strong> h<strong>in</strong>aus als »absolut <strong>in</strong>tegere Persönlichkeit<br />
und Politiker<strong>in</strong>«. 238 Nach dem Ausscheiden aus dem Senat Anfang 1948 blieb Käthe<br />
Popall noch bis 1951 Mitglied der Bürgerschaft und der Landesleitung der <strong>KPD</strong>.<br />
Ihr zweiter Mann Re<strong>in</strong>hold Popall, den sie 1946 heiratete, hatte nach 1933 illegal<br />
für die <strong>KPD</strong> gearbeitet, u.a. als Mitglied des Militärpolitischen Apparates, 239 und<br />
war 1936 vom Volksgerichtshof wegen illegaler Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> zu 15 Jahren<br />
Zuchthaus verurteilt worden. Zurück <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> gründete er nach Kriegsende e<strong>in</strong><br />
236 <strong>Die</strong>s galt im Übrigen auch für Rudolf Rafoth: Laut Bericht e<strong>in</strong>es Instrukteurs aus Berl<strong>in</strong> blieb der Ausgeschlossene<br />
noch bis zum Februar 1952 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wohngebietsgruppe <strong>in</strong>offizieller Polleiter. (Land:<br />
<strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 21.2. bis 20.3.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13).<br />
237 Zur Person und Biographie Käthe Popalls: Käthe Popall, E<strong>in</strong> schwieriges politisches Leben. Erzählte<br />
Geschichte, bearbeitet von Peter Alheit und Jörg Wollenberg, Fischerhude 1985. Außerdem: Meyer-<br />
Renschhausen, Elisabeth Meyer-Renschhausen, Kathe Popall. Frau. Kommunist<strong>in</strong>. In: Bremer Blatt<br />
(Hrsg.): Scenen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Illustriertes StadtBuch, <strong>Bremen</strong> 1986; Inge Buck (unter Mitarbeit von Elisabeth<br />
Meyer-Renschhausen), Käthe Popall. In : Meyer-Braun, Renate (Hrsg.): Frauen <strong>in</strong>s Parlament!<br />
Porträts weiblicher Abgeordneter <strong>in</strong> der Bremischen Bürgerschaft, <strong>Bremen</strong> 1991.<br />
238 Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 61.<br />
239 Bernd Kaufmann (Leitung), Eckhard Reisner, <strong>Die</strong>ter Schwips, Henri Walther: Der Nachrichtendienst<br />
der <strong>KPD</strong> 1919 - 1937, Berl<strong>in</strong> 1993, S. 191 und 335.
138<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
Transportunternehmen und hatte außerdem führende Positionen <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>ne,<br />
u.a. als Leiter der Kaderabteilung und Mitglied des Bezirksvorstandes.<br />
Beide Popalls hatten sich aus Unzufriedenheit über die Entwicklung der Partei<br />
schon längere Zeit, spätestens jedoch nach dem Austausch von Landesleitung und -<br />
sekretariat 1951, aus der aktiven Arbeit für die <strong>KPD</strong> zurückgezogen. Bereits seit e<strong>in</strong>em<br />
Jahr, so e<strong>in</strong> Instrukteursbericht vom Februar 1952, sei der Landesleitung »die<br />
fe<strong>in</strong>dliche Haltung« Re<strong>in</strong>hold Popalls bekannt gewesen, »ohne dass zu se<strong>in</strong>em Verhalten<br />
<strong>in</strong> der betreffenden Grunde<strong>in</strong>heit Stellung genommen wurde«. 240 Nicht exakt<br />
zu klären ist jedoch der genaue Anlass der Anfang 1952 e<strong>in</strong>setzenden Kampagne<br />
gegen Re<strong>in</strong>hold Popall.<br />
Am 7. Februar 1952 beschloss das Sekretariat die »Verstärkung des ideologischen<br />
Kampfes gegen die parteife<strong>in</strong>dlichen E<strong>in</strong>flüsse« und beauftragte den Zweiten<br />
Sekretär Albert Oltmanns mit der Erarbeitung e<strong>in</strong>er Vorlage. Aus dieser sollte herv<strong>org</strong>ehen,<br />
»welche Maßnahmen das Sekretariat der LL gegen solche Genossen<br />
durchführen wird, die <strong>in</strong> letzter Zeit sehr stark Diskussionen führen, die die Arbeit<br />
der Partei schädigen und das Vertrauen zur Leitung untergraben«. 241 Geme<strong>in</strong>t war<br />
damit <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Re<strong>in</strong>hold Popall.<br />
E<strong>in</strong>e Woche später nahm das Sekretariat e<strong>in</strong>en Artikel des kommissarischen<br />
Ersten Sekretärs Ulrich Konetzka an, 242 der am darauffolgenden Wochenende <strong>in</strong><br />
der Tribüne der Demokratie erschien und die Kampagne gegen Re<strong>in</strong>hold Popall eröffnete.<br />
243 In e<strong>in</strong>em auch im Vergleich zu den vorhergehenden Artikeln und Ausschlussbegründungen<br />
außergewöhnlich scharfen Ton griff Konetzka die »Opportunisten«,<br />
»Parteife<strong>in</strong>de« und »Agenten«, <strong>in</strong>sbesondere aber Re<strong>in</strong>hold Popall an. In<br />
dem Artikel wurde behauptet, Popall habe Material geliefert für e<strong>in</strong>e von den<br />
»rechten Gewerkschaftsführern« und dem Innenm<strong>in</strong>isterium herausgegebenen<br />
Broschüre über den Hafenarbeiterstreik von 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Hamburg. 244 »Nur<br />
über ihn«, so der Artikel, »können die Agentenzentralen ihre ›Informationen‹ für<br />
die Hetz- und Lügenbroschüre erhalten haben. [...]. Was Re<strong>in</strong>hold Popall <strong>in</strong> wiederholten<br />
gesellschaftlichen Zusammenkünften von Genossen und gelegentlichen<br />
gegenseitigen Besuchen von Genossen an den Mann gebracht hat, das f<strong>in</strong>det man <strong>in</strong><br />
der Hetzbroschüre wieder.« Es sei dabei gleichgültig, ob Popall die Informationen<br />
bewusst oder nur <strong>in</strong>direkt weitergegeben habe, »objektiv haben er und auch diejenigen,<br />
die für die weitere Verbreitung se<strong>in</strong>er Schädl<strong>in</strong>gsargumente s<strong>org</strong>ten, die Rolle<br />
von Agenten gespielt«.<br />
Bewiesen war e<strong>in</strong>e »Agententätigkeit« Popalls also nicht. Dem Sekretariat kam<br />
es tatsächlich wohl auf die Ausschaltung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>flussreichen, sich <strong>in</strong>nerhalb der<br />
240 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 23.1. - 24.2.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
241 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 7. Februar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
242 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. Februar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
243 <strong>Die</strong> Re<strong>in</strong>igung der <strong>KPD</strong> von Opportunisten und Parteife<strong>in</strong>den ist die Voraussetzung für ihren Sieg!, Tribüne<br />
der Demokratie 16./17.2.52.<br />
244 <strong>Die</strong> Broschüre liegt leider nicht vor. In den Lebenser<strong>in</strong>nerungen von Käthe Popall ist die Rede von e<strong>in</strong>er<br />
von Margarethe Buber-Neumann verfassten Broschüre, für die Re<strong>in</strong>hold und Käthe Popall Material<br />
geliefert haben sollen. In den vorliegenden Akten ist hierauf ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis zu f<strong>in</strong>den (Käthe Popall, E<strong>in</strong><br />
schwieriges politisches Leben, a.a.O., S. 129).
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 139<br />
Partei oppositionell äußernden Mitgliedes an. Noch bevor e<strong>in</strong> statutengemäßes<br />
Ausschlussverfahren überhaupt angekündigt war, legte Konetzka als Vertreter des<br />
Sekretariats Ziel und Ergebnis fest. Es sei erwiesen, dass Popall »unbelehrbar ist<br />
und bleiben wird«. Er habe zur Partei seit Jahren ke<strong>in</strong>e direkte Verb<strong>in</strong>dung mehr,<br />
diffamiere Funktionäre der Partei und untergrabe das Vertrauen zur Sowjetunion<br />
und zur DDR. Es sei selbstverständlich, so das Fazit, »dass die Partei dieses Geschwür<br />
schnellstens entfernen muss«. 245<br />
Dass der »Fall Popall« und der Artikel <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie <strong>in</strong> der Partei<br />
für erhebliche Unruhe und Diskussionen s<strong>org</strong>te, zeigte die Sekretariatssitzung vom<br />
6. März 1952. 246 In e<strong>in</strong>em umfangreichen Referat beschäftigte sich Ulrich Konetzka<br />
ausführlich mit der »Diskussion über das parteife<strong>in</strong>dliche Verhalten der Gruppe<br />
Popall« forderte: »Wir sollten heute <strong>in</strong> der Sitzung wirklich Klarheit schaffen«. <strong>Die</strong>s<br />
war offenbar auch nötig. Konetzka sprach von e<strong>in</strong>er »Reihe von Beispielen aus den<br />
Grunde<strong>in</strong>heiten, die alarmierend s<strong>in</strong>d«. Es hätten sich auf Mitgliederversammlungen,<br />
z.B. im Stadtteil Buntentor, »pro Popall-Stimmungen« entwickelt, gegen die<br />
die Referenten sich nicht durchsetzen konnten. Gleichzeitig kritisierte Konetzka die<br />
E<strong>in</strong>zelfallbetrachtung. Es gebe ke<strong>in</strong>en »Fall Popall«, »es gibt grundsätzlich nur den<br />
Kampf gegen den Opportunismus und Parteife<strong>in</strong>de. Das ist ke<strong>in</strong>e Angelegenheit<br />
von ›Fällen‹, sondern e<strong>in</strong>e Frage des ständigen Kampfes.« Popall sei lediglich e<strong>in</strong><br />
Teil e<strong>in</strong>er ganzen Gruppe, »die vom Opportunismus angefressen ist«.<br />
Tatsächlich war dies e<strong>in</strong> Problem für das Sekretariat. Solange sich die Diskussion<br />
an prom<strong>in</strong>enten E<strong>in</strong>zelpersonen orientierte, musste es zwangsläufig schwerer<br />
fallen, der Mitgliedschaft die »Parteife<strong>in</strong>dlichkeit« und die Notwendigkeit des Ausschlusses<br />
plausibel zu machen, zumal es sich <strong>in</strong> allen Fällen (Rafoth, Potrykus, Popall)<br />
um äußerst beliebte und e<strong>in</strong>flussreiche Funktionäre handelte. <strong>Die</strong> Behandlung<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em größeren, unpersönlichen und abstrakten Zusammenhang (»Kampf gegen<br />
Opportunismus«) blieb aber nicht mehr als e<strong>in</strong> Versuch, den Mitgliedschaft und<br />
auch Sekretariat nicht ver<strong>in</strong>nerlichten.<br />
Konetzka verteidigte sich gegen Kritik aus den Reihen der Landesleitung an<br />
dem V<strong>org</strong>ehen des Sekretariats. Offenbar war dort auf Missfallen gestoßen, dass<br />
se<strong>in</strong> Artikel <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie nicht vor der Veröffentlichung zur Diskussion<br />
gestellt wurde. Weiterh<strong>in</strong> war gefordert worden, das »Tatsachenmaterial«,<br />
auf dem die Anschuldigungen gegen Popall beruhten, zu veröffentlichen. Konetzka<br />
lehnte dies scharf ab:<br />
»Das würde bedeuten, dass wir diesen Dreck, der <strong>in</strong> der Broschüre stand, <strong>in</strong> der Presse veröffentlichen<br />
sollen.[...]. Es geht hier gar nicht um e<strong>in</strong> Tatsachenmaterial, sondern darum, dass<br />
die Opportunisten diese D<strong>in</strong>ge, die sie <strong>in</strong> der Partei herumtratschen, auch an den Klassengegner<br />
herantragen. [...] E<strong>in</strong>e Diskussion über die ›Qualität‹ des Artikels br<strong>in</strong>gt uns nichts weiter,<br />
sie wirft uns zurück. Es kommt darauf an, die Diskussion, die der Artikel ausgelöst hat, <strong>in</strong> den<br />
richtigen Weg zu führen.« 247<br />
245 <strong>Die</strong> Re<strong>in</strong>igung der <strong>KPD</strong> von Opportunisten und Parteife<strong>in</strong>den ist die Voraussetzung für ihren Sieg!, Tribüne<br />
der Demokratie 16./17.2.52.<br />
246 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 6. März 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
247 Ebenda.
140<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
Scharfe Kritik übte Konetzka an Albert Oltmanns, der als Zweiter Sekretär<br />
hauptverantwortlich für die Untersuchungen gegen Popall und andere war. Oltmanns<br />
hatte mit e<strong>in</strong>igen »Verdächtigen« ohne Wissen des Sekretariats Gespräche<br />
geführt und sei dabei, wie später <strong>in</strong> der Diskussion bemerkt wurde, nicht politisch<br />
sondern wie e<strong>in</strong> »Untersuchungsrichter« aufgetreten. <strong>Die</strong>s betraf vor allem den ehemaligen<br />
Zweiten Sekretär He<strong>in</strong>rich Schramm, gegen den offenbar durch die Popalls<br />
Vorwürfe erhoben wurden.<br />
»Wir s<strong>in</strong>d uns doch wohl darüber klar, warum gerade He<strong>in</strong>i vom Klassengegner diffamiert<br />
wird, nur, weil er seit jeher und noch heute konsequent für die Arbeiterklasse und für unser<br />
Volk sich e<strong>in</strong>setzt. [...] Ich habe den E<strong>in</strong>druck, dass der Gen. Oltmanns sich zum Ziel gesetzt<br />
hat zu untersuchen, ob es sich bei den schmutzigen Argumenten gegen den Genossen<br />
Schramm um 165 oder 150 Sack Zement handelt. <strong>Die</strong> ganzen Aussprachen beschäftigen sich<br />
nicht mit politischen Argumenten, sondern mit diesem Schmutz. Tatsache ist, dass uns die<br />
Zeit gestohlen wird. Tatsache ist, der Gen. Oltmanns kümmert sich um nichts anderes als um<br />
Untersuchungen und kann ke<strong>in</strong>e politische Anleitung der Organisation geben.« 248<br />
In der Diskussion wurden diese Vorwürfe von mehreren Seiten bekräftigt. Am<br />
Ende der Sitzung beschloss das Sekretariat, dem Parteivorstand die Ablösung Oltmanns<br />
als Zweiter Sekretär vorzuschlagen und ihn als Sekretär für Massenagitation<br />
e<strong>in</strong>zusetzen.<br />
Erstmals war <strong>in</strong> dieser Sitzung auch von Käthe Popall die Rede. Gegen sie wurden<br />
offenbar zunächst ke<strong>in</strong>e konkreten Anschuldigungen v<strong>org</strong>ebracht, vielmehr<br />
führte man ihr nicht genauer bezeichnetes »Fehlverhalten« auf den E<strong>in</strong>fluss ihres<br />
Mannes zurück. Konetzka <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat:<br />
»Es gibt auch schon seit gut e<strong>in</strong>em Jahr Diskussionen mit der Genoss<strong>in</strong> Käthe Popall. Diskussionen,<br />
die darauf abzielen, dass man sich wirklich um sie bemüht hat, dass wir sie von dem<br />
E<strong>in</strong>fluss, dem sie durch ihren Mann unterliegt, retten wollen. Es gibt Beispiele, wo der Gen.<br />
Meyer-Buer und das Sekretariat sich mit ihr beschäftigt haben.«<br />
E<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck von diesen Diskussionen vermittelte <strong>in</strong> der Sitzung Wilhelm<br />
Meyer-Buer:<br />
»Ich habe an mehreren Besprechungen mit der Genoss<strong>in</strong> Käthe teilgenommen, auch an der<br />
Besprechung, die Albert [Oltmanns; HB] und Fritz von der PKK [Parteikontrollkommission; HB]<br />
und ich mit ihr gehabt haben, und ich muss sagen, dass diese Besprechung, die vom Standpunkt<br />
der Klärung geführt wurde, e<strong>in</strong> völlig negatives Bild gehabt hat.[...]. Albert hat bei dieser<br />
Besprechung gezeigt, dass er nicht <strong>in</strong> der Lage ist, diese Aufgabe zu klären. Als Käthe<br />
schwer atmete, f<strong>in</strong>g Albert an sie zu trösten und sagte: Käthe, Du hast ja nur den Namen geme<strong>in</strong>sam<br />
und hast mit der Sache nichts zu tun. Albert hat es leid getan und er f<strong>in</strong>g an zurückzukrabbeln.<br />
Ich habe Albert kritisiert, habe zu ihm gesagt: es ist falsch, so kommt man nicht<br />
weiter. Dann sagte Albert, ›gut ich will mir das überlegen, ob ich e<strong>in</strong>en Fehler gemacht habe‹.<br />
Er ist nicht nur weich und schwach, sondern auch überheblich.« 249<br />
Am Ende der Sitzung fasste das Sekretariat mehrere Beschlüsse über die Maßnahmen<br />
gegen den »Opportunismus«. Neben der Absetzung des Zweiten Sekretärs<br />
Albert Oltmanns betraf dies vor allem die Ausarbeitung von Artikeln und Argu-<br />
248 Ebenda.<br />
249 Ebenda.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 141<br />
mentationen. Bezeichnend für die offenbar auch im Sekretariat herrschende Unsicherheit<br />
über den Umgang mit der Problematik war der Beschluss, e<strong>in</strong>e gerade e<strong>in</strong>e<br />
Woche zuvor e<strong>in</strong>gesetzte fünfköpfige Kommission, die die Vorwürfe gegen Re<strong>in</strong>hold<br />
Popall prüfen sollte, wieder aufzulösen. 250 <strong>Die</strong> Begründung dafür war, dass<br />
die »die Entlarvung von Parteife<strong>in</strong>den« die Aufgabe der gesamten Partei und nicht<br />
e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Kommission sei.<br />
Der nächste, wiederum von Ulrich Konetzka verfasste Artikel gegen Re<strong>in</strong>hold<br />
Popall erschien wenige Tage später. 251 In ihm wurden vor allem angebliche und<br />
»parteife<strong>in</strong>dliche« Äußerungen Popalls zitiert. <strong>Die</strong>s war offensichtlich auch e<strong>in</strong>e<br />
Reaktion auf den aus den Reihen der Landesleitung erhobenen Vorwurf, dass das<br />
im ersten Artikel angesprochene »Tatsachenmaterial« nicht veröffentlicht worden<br />
war: Mündliche Äußerungen konnten und brauchten erst gar nicht belegt zu werden.<br />
V<strong>org</strong>eworfen wurde Popall <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mangelndes Vertrauen zur Sowjetunion<br />
und zur DDR. Er habe die »Festveranstaltungen zu Ehren des Geburtstages<br />
Genossen Stal<strong>in</strong>, die <strong>in</strong> der ganzen Welt von allen friedliebenden Menschen feierlich<br />
begangen werden« als »Personenkult« abgelehnt. Ebenso habe er die »Lügen<br />
der Agentenzentralen« übernommen, »wonach <strong>in</strong> der DDR nur die ›Funktionäre‹<br />
gut lebten, während die Bevölkerung ›auf Karten‹ leben müsse«. Weiterh<strong>in</strong> habe er<br />
die »gewaltige Bedeutung« der Volksbefragung 252 verne<strong>in</strong>t und die Bedeutung von<br />
Resolutionen und Demonstrationen geleugnet.<br />
Mit den beiden letztgenannten Vorwürfen waren erstmals konkrete, die Politik<br />
der Bremer Partei betreffende Aspekte thematisiert, <strong>in</strong> denen Popall offenbar tatsächlich<br />
im Widerspruch zur Leitung stand. Noch deutlicher wird diese Opposition<br />
im folgenden: »So erklärte Re<strong>in</strong>hold Popall offen, er lehne die Landesleitung ab.<br />
Se<strong>in</strong>e ›Begründung‹ dafür ist, die Leitung sei ›zu jung‹. <strong>Die</strong> jungen Genossen hätten<br />
noch nicht bewiesen, wie sie sich <strong>in</strong> ernsteren Situationen verhalten würden.« 253<br />
Damit war das seit dem Wechsel <strong>in</strong> der Leitung 1951 <strong>in</strong> der Partei latent vorhandene<br />
Generationsproblem angesprochen. Nicht nur Popall hatte - wie bereits geschildert<br />
- diese Unzufriedenheit mit dem jungen Sekretariat geäußert. Konetzka, mit 25<br />
Jahren jüngstes Mitglied des Sekretariats, antwortete darauf lediglich mit e<strong>in</strong>em<br />
langen Zitat Stal<strong>in</strong>s, <strong>in</strong> dem die »Vere<strong>in</strong>igung der alten und jungen Kader zu e<strong>in</strong>em<br />
geme<strong>in</strong>samen Orchester der leitenden Arbeit der Partei« proklamiert wurde. Popalls<br />
Argumentation sei die des »Klassengegners«. Man müsse, so Konetzka abschließend,<br />
»mit solchen Elementen brechen, deren opportunistische Auffassungen<br />
zur offenen Parteife<strong>in</strong>dlichkeit ausgeartet s<strong>in</strong>d«. 254<br />
Erwähnt wurde <strong>in</strong> dem Artikel auch, dass Re<strong>in</strong>hold und Käthe Popall die gegen<br />
sie eröffnete Kampagne nicht widerspruchslos h<strong>in</strong>nahmen. Offenbar hatten beide,<br />
250 Der Beschluss zur Bildung e<strong>in</strong>er solchen Kommission war auf der vorangegangenen Sekretariatssitzung<br />
gefasst worden (Protokoll der Sekretariatssitzung vom 28. Februar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>:SAPMOI<br />
11/20/7).<br />
251 <strong>Die</strong> Tore der Partei öffnen sich nur Würdigen, Tribüne der Demokratie 12./13.4.52.<br />
252 Siehe dazu Kapitel 4.<br />
253 <strong>Die</strong> Tore der Partei öffnen sich nur Würdigen, Tribüne der Demokratie 12./13.4.52.<br />
254 Ebenda.
142<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
nachdem e<strong>in</strong>e Kreisdelegiertenkonferenz Anfang März 1952 sich mit den Vorwürfen<br />
beschäftigt hatte, e<strong>in</strong>en Beschwerdebrief beim Landessekretariat abgegeben, <strong>in</strong><br />
dem sie gegen die Thematisierung ihres Verhaltens protestierten und außerdem<br />
Anschuldigungen gegen zwei Sekretariatsmitglieder formulierten. In diesem Zusammenhang<br />
wurde nun auch erstmals Käthe Popall angegriffen. Deren »Überheblichkeit«,<br />
so Konetzka, käme »dar<strong>in</strong> zum Ausdruck, dass sie den Kreisdelegierten<br />
das richtige Urteilsvermögen abspricht, <strong>in</strong>dem sie behauptet, die Genossen seien<br />
nicht soweit, um das richtig e<strong>in</strong>zuschätzen«. Im folgenden erhob der Artikel weitere<br />
Anschuldigungen gegen die ehemalige Gesundheitssenator<strong>in</strong>:<br />
»Durch diese Beschwerde kommt aber noch etwas anderes zum Ausdruck. Obwohl die Genoss<strong>in</strong><br />
Käthe Popall <strong>in</strong> dem voraufgegangenen Artikel überhaupt nicht erwähnt wird, solidarisiert<br />
sie sich mit Re<strong>in</strong>hold Popall. Das zw<strong>in</strong>gt zu der Schlussfolgerung, dass sie mit se<strong>in</strong>en<br />
Auffassungen e<strong>in</strong>verstanden ist. In e<strong>in</strong>em Bericht, den die Genoss<strong>in</strong> Käthe Popall Ende 1951<br />
dem Landessekretariat übergeben hat, äußert sie sich lobend über e<strong>in</strong>en Parteife<strong>in</strong>d und<br />
Volksfe<strong>in</strong>d, der bereits im Jahre <strong>1945</strong> aus der <strong>KPD</strong> ausgestoßen wurde. Obwohl die Genoss<strong>in</strong><br />
Käthe Popall genau weiß, dass dieser Agent während der Nazizeit e<strong>in</strong>en führenden Funktionär<br />
unserer Partei den faschistischen Henkern ausgeliefert hat, scheut sie sich nicht, im Jahre<br />
1951 (!) die angeblich ›gute Parteiarbeit‹ dieses V-Mannes der Gestapo anerkennend herauszustellen!«<br />
255<br />
Insgesamt war spätestens mit diesem Artikel klargestellt, dass das Sekretariat<br />
beabsichtigte, Re<strong>in</strong>hold und auch Käthe Popall aus der Partei auszuschließen. Wenige<br />
Tage später, am 17. April 1952, wurden die dafür notwendigen Maßnahmen<br />
ergriffen. 256 Das Sekretariat nahm e<strong>in</strong>e Vorlage der Kaderabteilung an, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>e<br />
außerordentliche Mitgliederversammlung der für die Popalls zuständigen Wohngebietsgruppe<br />
v<strong>org</strong>eschlagen wurde: »In dieser Versammlung soll von den Mitgliedern<br />
e<strong>in</strong> Beschluss gefasst werden, dass e<strong>in</strong> Verfahren e<strong>in</strong>geleitet wird gegen<br />
die Genossen Re<strong>in</strong>hold und Käthe Popall aufgrund ihrer Äußerungen ihrer negativen<br />
Kritik gegen die Politik der Partei und gegen die Landesleitung«. 257<br />
Ob dies verwirklicht werden konnte, ist nicht dokumentiert. In der Tat aber fiel<br />
es dem Sekretariat offenbar schwer, <strong>in</strong> der Partei die gewünschte Stimmung gegen<br />
die Popalls herzustellen und e<strong>in</strong>en Ausschluss zu erreichen. Auch <strong>in</strong> der Landesleitung<br />
gab es Diskussionen mit zum Teil vom Sekretariat abweichenden Me<strong>in</strong>ungen.<br />
Auf e<strong>in</strong>er Sitzung am 11. Mai 1952 erklärte Albert Krohn258, Re<strong>in</strong>hold Popall habe<br />
Fehler zugegeben und wolle sie auch schriftlich niederlegen. Zwar sei er nach wie<br />
vor der Me<strong>in</strong>ung, die Arbeiterklasse habe nicht die Kraft, sich zu befreien. Popall<br />
sei aber bereits 28 Jahre Mitglied der Partei und nun lediglich »stehen geblieben, er<br />
f<strong>in</strong>det sich nicht mehr zurecht«. Wenn man ihn ausschließen müsse, »dann wegen<br />
Dummheit«. Auch Käthe Popall habe zum Ausdruck gebracht, »dass sie gewillt ist,<br />
zur Partei wieder so e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung herzustellen, wie sie e<strong>in</strong>mal war«. Beide seien<br />
255 Ebenda. Geme<strong>in</strong>t war damit Ge<strong>org</strong> Buckendahl, der wegen angeblicher Zusammenarbeit mit der Gestapo<br />
<strong>1945</strong> aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen worden war.<br />
256 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 17.4.52 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
257 Zur Sekretariatsvorlage [Anlage Protokoll der Sekretariatssitzung vom 17.4.52 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/7.<br />
258 Albert Krohn (1892-?): <strong>KPD</strong>, Mitglied der Landesleitung 1949 bis 1956, Stadteilleiter Gröpel<strong>in</strong>gen.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 143<br />
außerdem bereit, selbstkritische Stellungnahmen abzugeben. 259 <strong>Die</strong>se Erklärung<br />
Krohns konnte schon als Verteidigung Popalls gewertet werden, noch weiter g<strong>in</strong>g<br />
auf derselben Sitzung Albert Oltmanns, der noch kurz zuvor als Zweiter Sekretär<br />
mit den »Ermittlungen« gegen Popall beschäftigt und daraufh<strong>in</strong> abgesetzt worden<br />
war. Oltmanns erschien die Formulierung von der »parteife<strong>in</strong>dlichen Tätigkeit« der<br />
Popalls »zu scharf und weitgehend«. Er kritisierte, dass die <strong>in</strong> den beiden »Tribüne«-Artikeln<br />
gebrauchten Formulierungen ke<strong>in</strong>en anderen Schluss mehr zuließen<br />
als den Ausschluss aus der Partei. »Man sollte hier«, so Oltmanns, »etwas vorsichtiger<br />
formulieren«. Beide hätten sich »zu sehr verrannt«, besonders Käthe Popall<br />
habe aber »ihre bestimmten Verdienste für die Partei und Arbeiterklasse«. Man<br />
müsse deshalb »mit ihnen diskutieren, ihnen helfen, damit sie ihre Fehler e<strong>in</strong>sehen<br />
und überw<strong>in</strong>den«. 260<br />
<strong>Die</strong>se Aussage e<strong>in</strong>es führenden Mitglieds der Bremer Partei verdeutlicht, dass<br />
nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der Landesleitung und im Sekretariat, dem Oltmanns immer noch<br />
angehörte, E<strong>in</strong>igkeit über die Behandlung des »Falls Popall« herrschte. Erst recht<br />
musste dies für die Parteibasis gelten. So wurde unter anderem auf e<strong>in</strong>er Funktionärssitzung<br />
des Stadtteils Westen e<strong>in</strong> Antrag auf Ausschluss abgelehnt. 261 Ulrich<br />
Konetzka me<strong>in</strong>te gar feststellen zu müssen: »Es entsteht die Frage jetzt bei den Genossen,<br />
wer hat denn nun Recht, die Landesleitung oder die Popalls?« 262<br />
Re<strong>in</strong>hold und Käthe Popall schrieben <strong>in</strong> der Folgezeit tatsächlich die von Albert<br />
Krohn angekündigten Selbstkritiken. Auf e<strong>in</strong>er Sitzung am 3. Juli 1952 beschäftigte<br />
sich das Sekretariat mit diesen Stellungnahmen, mit dem Resultat, dass nunmehr<br />
E<strong>in</strong>mütigkeit herrschte über den Ausschluss der beiden. 263 Deutlich wurde vor allem,<br />
dass die Hauptkritik sich <strong>in</strong>zwischen gegen Käthe Popall richtete. Ulrich Konetzka<br />
me<strong>in</strong>te, die Stellungnahmen bestätigten, »dass nicht er sondern sie die treibende<br />
Kraft ist«. Deutlicher wurde Wilhelm Meyer-Buer:<br />
»Wenn man sich die beiden Schriftstücke durchliest, kann man nur e<strong>in</strong>e Schlussfolgerung ziehen.<br />
<strong>Die</strong> Diskussionen, die wir mit ihnen gehabt haben, haben bewirkt, dass sie <strong>in</strong> ihren Formulierungen<br />
vorsichtiger geworden s<strong>in</strong>d. In ihrer E<strong>in</strong>stellung hat sich nichts geändert.[...]. Käthe<br />
hat aus den Diskussionen nichts gelernt - sie will nichts lernen. Wir müssen die Diskussionen<br />
führen mit dem Ziel, beide Popalls aus der Partei auszuschließen. Beide Schriftstücke s<strong>in</strong>d<br />
e<strong>in</strong>e Herausforderung. Sie werden auf ihrer L<strong>in</strong>ie weiterarbeiten, aber vorsichtiger.« 264<br />
Selbst Albert Oltmanns, der vor allem Käthe Popall zuvor noch verteidigt hatte,<br />
me<strong>in</strong>te nun: »Für uns besteht ke<strong>in</strong>e andere Möglichkeit mehr, als sie auszuschließen.«<br />
Ihm und dem Sekretariat waren aber auch die damit zusammenhängenden<br />
Schwierigkeiten bewusst. Oltmanns me<strong>in</strong>te, »diese Angelegenheit muss vorbereitet<br />
werden. Man muss ihren E<strong>in</strong>fluss berücksichtigen«. Käthe Popall habe, so Meyer-<br />
259 Landesleitungssitzung am 11. Mai 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.<br />
260 Ebenda.<br />
261 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 29. Mai 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
262 Ebenda.<br />
263 Protokoll der Sekretariatssitzung am 3. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7<br />
264 Ebenda.
144<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
Buer, »e<strong>in</strong>en großen E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> den Massen<strong>org</strong>anisationen. Sie kann dann erst ausgeschlossen<br />
werden, wenn wir Klarheit geschaffen haben«. 265<br />
Beschlossen wurden daher e<strong>in</strong>e Reihe von Maßnahmen, mit denen der Ausschluss<br />
vorbereitet werden sollte. Alle Landesleitungs- und Kreissekretariatsmitglieder<br />
sowie die Ersten Sekretäre der Grunde<strong>in</strong>heiten sollten die »Selbstkritiken«<br />
und e<strong>in</strong>e Stellungnahme des Sekretariats erhalten und danach zu e<strong>in</strong>er Sondersitzung<br />
e<strong>in</strong>geladen werden. Bis zum 17. Juli hatten diese Sitzungen noch nicht stattgefunden.<br />
Das Sekretariat beschäftigte sich im Rahmen e<strong>in</strong>er Beschlusskontrolle erneut<br />
mit den Maßnahmen gegen die Popalls und beschloss vor allem e<strong>in</strong>e Überarbeitung<br />
se<strong>in</strong>er Stellungnahme, <strong>in</strong> der »e<strong>in</strong>ige Zitate von Popalls« gebracht werden<br />
sollten, »sonst kommen die Genossen mit dieser Erklärung nicht klar«. 266 Wilhelm<br />
Meyer-Buer forderte e<strong>in</strong>e pr<strong>in</strong>zipiellere Behandlung des »Falls Popall« und skizzierte<br />
dabei treffend die eigentlichen Ursachen der Ause<strong>in</strong>andersetzung:<br />
»Es kommt jetzt darauf an [...], diese Fakten von der richtigen Basis aus zu entwickeln. Das<br />
müsste so se<strong>in</strong>, die Tätigkeit der Agenten und Parteife<strong>in</strong>de hat zwei Hauptziele. 1.) Unglauben<br />
an die Richtigkeit der Politik der Partei zu erzeugen. Überall dort, wo Genossen Unglauben an<br />
die Richtigkeit und Durchführbarkeit unserer Politik äußern, steckt die Tätigkeit der Parteife<strong>in</strong>de.<br />
Unglaube an die Richtigkeit der Politik unserer Partei äußert sich konkret <strong>in</strong> der Ablehnung<br />
der nationalen Politik. Zum anderen zielt die Tätigkeit der Parteife<strong>in</strong>de und Agenten<br />
darauf h<strong>in</strong>, die Mitgliedschaft von der Leitung zu trennen. Das ist das Hauptziel der Parteife<strong>in</strong>de.<br />
<strong>Die</strong>se beiden Fälle s<strong>in</strong>d hier <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nachweisbar. Wobei nicht jeder Genosse erkennt,<br />
welches gefährliche Gift er mit sich herumträgt. <strong>Die</strong> Erklärung [...] müsste me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung<br />
nach, wenn sie e<strong>in</strong> Dokument se<strong>in</strong> sollte, jetzt weg von dem E<strong>in</strong>zelfall Popall. Wir fangen<br />
jetzt selber an, e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>zelfall Popall zu machen. Deswegen muss das Dokument von<br />
vornhere<strong>in</strong> diesen umfassenden und allseitigen Charakter haben.« 267<br />
Am 4. August 1952 beschloss e<strong>in</strong>e Kreisfunktionärskonferenz, der zuständigen<br />
Grunde<strong>in</strong>heit den Ausschluss von Käthe und Re<strong>in</strong>hold Popall zu empfehlen. 268<br />
<strong>Die</strong>s hatte ke<strong>in</strong>erlei b<strong>in</strong>dende Wirkung, war aber dennoch e<strong>in</strong> Druckmittel und<br />
wohl als solches auch gedacht. Bezeichnend war, dass der Beschluss wiederum<br />
nicht e<strong>in</strong>stimmig erfolgte: Es gab zehn Gegenstimmen und fünf Enthaltungen.<br />
Der Ausschluss erfolgte jedoch immer noch nicht. Vielmehr verfassten beide<br />
Popalls noch e<strong>in</strong>mal Selbstkritiken, mit denen sich das Sekretariat erneut <strong>in</strong> mehreren<br />
Sitzungen beschäftigte. 269 Mit beiden, <strong>in</strong>sbesondere mit Käthe Popall, wurden<br />
265 Ebenda.<br />
266 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 17. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
267 Ebenda.<br />
268 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom: 22.7. bis 20.8.1952 (Instrukteursbericht), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13. Der berichtende<br />
Instrukteur g<strong>in</strong>g wohl - trotz der nichtb<strong>in</strong>denden Wirkung des Beschlusses - von e<strong>in</strong>er nunmehr<br />
unverzüglichen und endgültigen Umsetzung des Ausschlusses aus: »Nachdem die Grunde<strong>in</strong>heit den<br />
Ausschluss der beiden Popalls v<strong>org</strong>enommen hat [sic!, HB], ist e<strong>in</strong>e Kreismitgliederversammlung v<strong>org</strong>esehen,<br />
die sich mit der Frage der Erhöhung der politischen Wachsamkeit befasst und gleichzeitig allen<br />
Mitgliedern die Ausschlussbegründung bekannt gibt.« (ebenda). Der Berichterstatter rechnete offenbar<br />
nicht mit der Möglichkeit, dass die Grunde<strong>in</strong>heit den Ausschluss auch ablehnen könnte.<br />
269 Protokoll der LSS am 16.9.52; Protokoll der LSS am 18.9.52; Protokoll der LSS am 2.10.52; Protokoll der LSS am<br />
13.11.52, alle <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 145<br />
weitere Aussprachen geführt. 270 E<strong>in</strong> späterer Artikel <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie<br />
berichtete über e<strong>in</strong>e solche Unterredung mit Re<strong>in</strong>hold Popall vom 16. Oktober 1952,<br />
<strong>in</strong> der Popall auf se<strong>in</strong>em »parteife<strong>in</strong>dlichen Standpunkt« beharrt und »jede Kritik<br />
und Hilfe« abgelehnt habe. »Das Landessekretariat musste deshalb zu der Schlussfolgerung<br />
kommen, dass weitere Besprechungen mit Re<strong>in</strong>hold Popall unfruchtbar<br />
se<strong>in</strong> würden und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Fall der Beschluss der Kreisfunktionärkonferenz durchzuführen<br />
sei.« 271<br />
Auch die Landesleitung stimmte diesem Beschluss am 8./9. November 1952<br />
zu. 272 Damit war der Ausschluss allerd<strong>in</strong>gs noch nicht wirksam, beschlossen werden<br />
konnte er nur von der zuständigen Grunde<strong>in</strong>heit. Re<strong>in</strong>hold Popall wartete jedoch<br />
das Ende des Parteiverfahrens und den eventuellen Ausschluss nicht ab: Er<br />
gab im Dezember 1952 se<strong>in</strong> Mitgliedsbuch ab und trat damit aus der <strong>KPD</strong> aus. 273<br />
Käthe Popall dagegen blieb Mitglied der <strong>KPD</strong>. Das Parteiverfahren gegen sie<br />
fand se<strong>in</strong>en Abschluss mit e<strong>in</strong>er Sitzung ihrer Wohngebietsgruppe im Stadtteil<br />
Gröpel<strong>in</strong>gen am 2. Januar 1953: <strong>Die</strong> Mitglieder lehnten den von Sekretariat, Landesleitung<br />
und Kreisfunktionärskonferenz geforderten Ausschluss ab. <strong>Die</strong> Versammlung<br />
fasste »nach reger Diskussion« folgenden bemerkenswerten Beschluss:<br />
»<strong>Die</strong> Wohngebietsgruppe hat am 2. Januar 1953 zu dem Beschluss der Funktionärkonferenz<br />
des Kreises <strong>Bremen</strong> Stellung genommen, <strong>in</strong> dem der Wohngebietsgruppe v<strong>org</strong>eschlagen wird,<br />
die Genoss<strong>in</strong> Käthe Popall wegen ihres bisherigen Verhaltens aus der Partei auszuschließen.<br />
<strong>Die</strong> Wohngebietsgruppe kann dem Vorschlag der Bremer Funktionärkonferenz nicht folgen.<br />
<strong>Die</strong> Wohngebietsgruppe stellt fest, dass die Genoss<strong>in</strong> Käthe Popall durch ihre negierenden,<br />
persönlichen Diskussionen <strong>in</strong>ner- und außerhalb der Partei die E<strong>in</strong>heit der Partei gefährdet,<br />
die Schlagkraft der Partei gehemmt und dadurch objektiv parteischädigend gewirkt hat. In<br />
dieser politischen Situation ist die E<strong>in</strong>heit der Partei das erste Pr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>er marxistischlen<strong>in</strong>istischen<br />
Partei.<br />
<strong>Die</strong> Wohngebietsgruppe erteilt aus diesem Grunde der Genoss<strong>in</strong> Käthe Popall hierfür e<strong>in</strong>e<br />
Rüge. Damit betrachtet die Wohngebietsgruppe das Verfahren gegen die Genoss<strong>in</strong> Käthe Popall<br />
als abgeschlossen. Sie erwartet von der Genoss<strong>in</strong> Popall, dass sie die Lehren aus ihrem<br />
bisherigen Verhalten zieht, dass sie sich bemüht:<br />
1. ihre ganze Kraft weiterh<strong>in</strong> der Partei <strong>in</strong> ihrem nationalen Kampf zur Verfügung stellt.<br />
2. durch das Studium unserer Theorie des Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus <strong>in</strong>sbesondere der Dokumente<br />
der Partei, sich auf der Höhe der Aufgaben der Partei zu halten.<br />
270 Ebenda.<br />
271 Ke<strong>in</strong> Deutscher kann sich se<strong>in</strong>er Verantwortung entziehen, Tribüne der Demokratie 19.12.52. <strong>Die</strong> endgültige<br />
Ausschlussforderung war nach den vorhergehenden Ereignissen nicht überraschend. Bemerkenswert<br />
ist an der Aussage aber die Betonung auf »<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Fall«. <strong>Die</strong>s implizierte, dass der Ausschluss Käthe<br />
Popalls auch im Landessekretariat ke<strong>in</strong>eswegs beschlossene Sache war.<br />
272 Ebenda.<br />
273 Ebenda. Das Sekretariat nahm den Austritt zum Anlass, noch e<strong>in</strong>mal ausführlich Stellung zu den<br />
Gründen des - letztlich ja nicht erfolgten - »Ausschlusses« zu nehmen.
146<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
3. sich vom parteischädigenden und parteife<strong>in</strong>dlichen Verhalten ihres Mannes Re<strong>in</strong>hold Popall<br />
- der wegen dieses Verhaltens aus der Partei ausgeschlossen wurde, ideologisch-politisch<br />
distanziert.[...]« 274<br />
Mit dieser Erklärung trotzte die Grunde<strong>in</strong>heit allen zuvor von den maßgeblichen<br />
Leitungs<strong>in</strong>stanzen der Bremer Partei getroffenen Beschlüssen, mit denen e<strong>in</strong><br />
Ausschluss bereits festzustehen schien. Zwar akzeptierten die Mitglieder offenbar<br />
die vom Sekretariat v<strong>org</strong>ebrachten Argumente, für e<strong>in</strong>en Parteiausschluss schienen<br />
sie ihnen jedoch nicht zu genügen. <strong>Die</strong> Erteilung e<strong>in</strong>er »Rüge« war deshalb wohl<br />
nicht mehr als e<strong>in</strong> Zugeständnis an die Parteileitung, das für Käthe Popall ke<strong>in</strong>e<br />
weiteren Folgen hatte. Auch die Forderung an die ehemalige Gesundheitssenator<strong>in</strong>,<br />
sie solle sich vom Verhalten ihres Mannes »ideologisch-politisch« distanzieren, war<br />
eher e<strong>in</strong>e Aussage zu ihren Gunsten und gegen den Standpunkt des Sekretariats, <strong>in</strong><br />
dem zuvor durchaus die Frage aufgetaucht war, ob denn überhaupt die Ehefrau e<strong>in</strong>es<br />
›Parteife<strong>in</strong>des‹ weiterh<strong>in</strong> Mitglied der <strong>KPD</strong> se<strong>in</strong> könne. 275<br />
Käthe Popall hatte sehr um ihre Parteimitgliedschaft gekämpft. <strong>Die</strong> zahlreichen<br />
Selbstkritiken und die Berichte über ihre Gespräche mit Sekretariatsmitgliedern<br />
zeugen davon. Angeblich hatte sie auch mehrmals <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> bei zuständigen<br />
Stellen der SED und <strong>KPD</strong> Fürsprache für sich und ihren Mann gesucht. 276 Obwohl<br />
ihre Grunde<strong>in</strong>heit h<strong>in</strong>ter ihr stand und den vom Sekretariat beschlossenen Ausschluss<br />
verh<strong>in</strong>derte, war das Verfahren für Käthe Popall e<strong>in</strong>e persönliche Erfahrung,<br />
die »sehr, sehr schmerzhaft« war, wie sie später bilanzierte. 277 Sie blieb noch<br />
bis zum Verbot 1956 Mitglied der <strong>KPD</strong>, war aber politisch isoliert und nicht mehr<br />
aktiv. Später schrieb sie <strong>in</strong> ihren Lebenser<strong>in</strong>nerungen:<br />
»Ich blieb noch mehrere Jahre Mitglied. Aber es war s<strong>in</strong>nlos. Man legte mir nur Ste<strong>in</strong>e <strong>in</strong> den<br />
Weg, so dass ich mich gezwungen sah, 1956 - nach dem Verbot der <strong>KPD</strong> - ebenfalls me<strong>in</strong>en<br />
Austritt zu erklären. Me<strong>in</strong>en Mann, der 10 Jahre lang <strong>in</strong>haftiert gewesen war und sieben Jahre<br />
E<strong>in</strong>zelhaft hatte, der alle Folterungen überstanden hatte, ohne jemanden zu belasten, [...],<br />
nannte man <strong>in</strong> der Parteipresse e<strong>in</strong>en ›amerikanischen Agenten des Imperialismus‹. Der Antikommunismus<br />
wurde zweifellos immer stärker. Aber die <strong>KPD</strong> gab ihm durch die Ausschlüsse<br />
noch Auftrieb, vor allem durch die Art und Weise, wie sie <strong>in</strong> der Öffentlichkeit diese Ausschlüsse<br />
begründete.« 278<br />
1967 zog sie mit ihrer Familie <strong>in</strong>s Saarland, wo ihr Mann Re<strong>in</strong>hold 1981 starb.<br />
Käthe Popall starb nach langer Krankheit 1984 <strong>in</strong> ihrer Heimatstadt <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> die<br />
sie kurz zuvor zurückgekehrt war.<br />
Das Verfahren gegen die Popalls war <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> das letzte im Zusammenhang<br />
mit der Umgestaltung der Partei. 279 Das Resultat der Säuberungen war<br />
274 Stellungnahme der Wohngebietsgruppe I zum Verhalten der Genoss<strong>in</strong> K. Popall, Tribüne der Demokratie<br />
7.1.1953.<br />
275 Interview Meyer-Buer, 2.<br />
276 Ebenda. Angeblich war Käthe Popall bereits 1948 wegen Differenzen mit der Bremer Parteileitung nach<br />
Berl<strong>in</strong> gereist (Inge Buck, Käthe Popall, a.a.O., S. 215).<br />
277 Inge Buck, Käthe Popall, a.a.O., S. 215.<br />
278 Käthe Popall, E<strong>in</strong> schwieriges politisches Leben, a.a.O., S. 126.<br />
279 <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzungen der folgenden Jahre konzentrierten sich auf den Bereich der Betriebsgruppen<br />
und hatten größtenteils andere Ursachen. <strong>Die</strong>s galt vor allem für die Betriebsgruppe beim Auto-
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 147<br />
ke<strong>in</strong>eswegs die vom Sekretariat propagierte Stärkung der <strong>KPD</strong>. Zu konstatieren<br />
war vielmehr zunächst e<strong>in</strong>e Verunsicherung der Mitgliedschaft. In allen drei geschilderten<br />
Fällen (Rafoth, Potrykus, Popall) stand das hohe persönliche und politische<br />
Ansehen der Betroffenen im Gegensatz zu den gegen sie v<strong>org</strong>ebrachten Anschuldigungen.<br />
<strong>Die</strong>s musste zwangsläufig zu Diskussionen und zu Differenzen<br />
zwischen Mitgliedschaft und Sekretariat führen, selbst wenn vielleicht die Vorwürfe<br />
der »Spionage«, des »Agententums« und des »Opportunismus« bei e<strong>in</strong>em Teil<br />
der Mitgliedschaft auf Glauben stießen. <strong>Die</strong>ser Gegensatz machte die lokalen Säuberungen<br />
im Gegensatz zu denen auf Bundesebene wesentlich schwieriger. 280 Spionagevorwürfe<br />
gegen Genossen, die <strong>in</strong> ihren Grunde<strong>in</strong>heiten persönlich bekannt<br />
und anerkannt waren, mussten unglaubwürdig ersche<strong>in</strong>en. Erst recht galt dies für<br />
den Stadtstaat <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> dem durch die regionale Begrenztheit von vornhere<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
höherer Grad an politischer und persönlicher Vernetzung herrschte als <strong>in</strong> Flächenstaaten.<br />
Unmöglich wurde dadurch auch die von der Parteileitung immer wieder geforderte,<br />
aber nie umgesetzte »pr<strong>in</strong>zipielle«, d.h. abstrakte Behandlung der »Fälle«,<br />
zumal auch die führenden Funktionäre nicht frei waren von dem Widerspruch zwischen<br />
Ausschlussforderung und persönlichen Gefühlen gegenüber den Betroffenen.<br />
In allen Fällen waren die aus diesen Widersprüchen resultierenden Konflikte<br />
nachweisbar. <strong>Die</strong>s galt sowohl für die Mitgliedschaft als auch für das Sekretariat,<br />
das sich, trotz der e<strong>in</strong>deutigen und für die Betroffenen diffamierenden Artikel <strong>in</strong><br />
der Tribüne der Demokratie, sehr schwer tat, die Ausschlussforderungen umzusetzen.<br />
E<strong>in</strong> wenig verdeutlicht wird der <strong>in</strong>nere Konflikt durch e<strong>in</strong>e Aussage von Herbert<br />
Breidbach: »Für uns waren das kommunistische Väter. Re<strong>in</strong>hold Popall und<br />
auch se<strong>in</strong>e Frau hatten zehn Jahre <strong>in</strong> Zuchthäusern gesessen. Wir hatten große Achtung<br />
vor denen. Und gleichzeitig auch e<strong>in</strong> sehr großes Vertrauen zur Arbeit der<br />
Leitungen der Partei.« 281<br />
Hervorzuheben ist die Verh<strong>in</strong>derung des Ausschlusses von Käthe Popall. Dass<br />
die Wohngebietsgruppe allen Beschlüssen übergeordneter Leitungen trotzen konnte,<br />
zeigt die trotz der zentralistischen Strukturen verbliebene Autonomie lokaler<br />
Parteigruppen, über die sich die Leitungen nicht ohne weiteres h<strong>in</strong>wegsetzen konnten.<br />
In den folgenden Jahren wurde dies vor allem bei den Betriebsgruppen sichtbar.<br />
282<br />
E<strong>in</strong>e den Ausschlüssen und Kampagnen zugedachte Funktion war auch die<br />
Stärkung der neu e<strong>in</strong>gesetzten Leitung, die bereits aufgrund ihres Alters und ihrer<br />
Unerfahrenheit <strong>in</strong> der Partei auf Kritik gestoßen war. Inwieweit das Sekretariat tatsächlich<br />
gestärkt aus den Ause<strong>in</strong>andersetzungen herv<strong>org</strong><strong>in</strong>g, ist nicht genau nach-<br />
mobilkonzern B<strong>org</strong>ward, mit der es bereits seit 1951 starke Konflikte gab, die schließlich 1955 zu e<strong>in</strong>igen<br />
Austritten und Ausschlüssen führten.<br />
280 Zur Akzeptanz der Säuberungen <strong>in</strong> der Mitgliedschaft siehe z.B. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP,<br />
a.a.O., S. 79f. und Manfred Grieger, Günter Judick, Gert Meyer und Josef Schleifste<strong>in</strong>, Stal<strong>in</strong>s Schatten,<br />
a.a.O., S. 173ff.<br />
281 Interview Herbert Breidbach, 2.<br />
282 Siehe ausführlich Kapitel 5.
148<br />
<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />
vollziehbar. Festzuhalten bleibt, und das ist hier entscheidend, dass alle geschilderten<br />
Ausschlüsse auf erheblichen Missmut und sogar Widerstand <strong>in</strong> der Mitgliedschaft<br />
trafen. Das musste Folgen für das <strong>in</strong>nerparteiliche Klima haben, h<strong>in</strong>sichtlich<br />
des Verhältnisses der Basis zur Parteileitung, der E<strong>in</strong>schränkung der <strong>in</strong>nerparteilichen<br />
Demokratie und auch h<strong>in</strong>sichtlich der Außenwirkung und der politischen Aktivität<br />
der e<strong>in</strong>zelnen Mitglieder. Hermann Gautier, damals Erster Sekretär, zu den<br />
Folgen der Ausschlüsse aus heutiger Sicht:<br />
»Es ist bestimmt nicht zu leugnen, dass das damals <strong>in</strong> der Partei e<strong>in</strong>e große Rolle gespielt hat.<br />
Es gab kaum Diskussionen, wo nicht das im Mittelpunkt gestanden hätte oder Ausgangspunkt<br />
war. Teilweise hat das auch zu ›Lähmungsersche<strong>in</strong>ungen‹ geführt. Das hat die Partei<br />
doch <strong>in</strong> weiten Teilen von ihren eigentlichen Aufgaben und von ihren positiven Möglichkeiten,<br />
die sie hatte, zeitweilig abgehalten. Insgesamt gesehen darf man das nicht unterschätzen,<br />
das hat uns schon große politische und <strong>org</strong>anisatorische Verluste e<strong>in</strong>gebracht.« 283<br />
Damit war e<strong>in</strong> wesentliches Ziel der Säuberungen, die Stärkung der Partei und<br />
ihrer ›Schlagkraft‹, ad absurdum geführt: Man hatte das genaue Gegenteil erreicht<br />
und die <strong>KPD</strong> weiter <strong>in</strong> die Isolation gebracht.<br />
283 Interview Hermann Gautier, 2.
Kapitel 4<br />
Politik und Programmatik<br />
1. Das Primat der »Nationalen Politik«<br />
Spätestens mit dem offensichtlichen Beg<strong>in</strong>n des Kalten Krieges geriet die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>nerhalb<br />
e<strong>in</strong>er immer stärker antikommunistisch und antisowjetisch geprägten Politik<br />
<strong>in</strong> den Westzonen <strong>in</strong> zunehmende Isolation. <strong>Die</strong> Gründung der Bundesrepublik<br />
im Mai 1949 schließlich kann als »zentrale Niederlage« 1 der <strong>KPD</strong> betrachtet werden.<br />
<strong>Die</strong> Konstituierung e<strong>in</strong>es westdeutschen, kapitalistischen und antikommunistischen<br />
Separatstaates war die Negation aller außen- und gesellschaftspolitischen<br />
Ziele der <strong>KPD</strong> seit <strong>1945</strong>. Fortan stand für die Partei die »nationale Frage« im Zentrum<br />
ihrer Programmatik und Aktivitäten. Hauptziel war dabei, die Gründung der<br />
Bundesrepublik rückgängig zu machen oder wenigstens die West<strong>in</strong>tegration zu<br />
verh<strong>in</strong>dern und für e<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>igtes Deutschland auf der Grundlage der DDR-<br />
Verfassung von 1949 zu werben. Damit ordnete sie sich <strong>in</strong> die deutschlandpolitische<br />
Konzeption der Sowjetunion e<strong>in</strong>, die e<strong>in</strong>erseits darauf zielte, die West<strong>in</strong>tegration<br />
der Bundesrepublik aufzuhalten, andererseits versuchte, die DDR verstärkt<br />
<strong>in</strong> das eigene Lager e<strong>in</strong>zubeziehen.<br />
<strong>Die</strong>se Politik vertrat die Partei mit e<strong>in</strong>er scharfen, von nationalistischen Argumentationsmustern<br />
geprägten Rhetorik und mit großer Radikalität. Deutlich wurde<br />
dies erstmals auf der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz im März 1949, deren Entschließung<br />
Westdeutschland als »koloniales Ausbeutungsobjekt« der Besatzungsmächte<br />
charakterisierte. 2 Sich selbst sah die <strong>KPD</strong> dabei <strong>in</strong> der Pflicht, »das deutsche Volk<br />
aus dem nationalen Notstand herauszuführen. Sie stellt sich an die Spitze der<br />
Sammlung aller guten Deutschen«. 3 Im Bundestagswahlprogramm rief die <strong>KPD</strong><br />
dann erstmals zur »Schaffung der nationalen Front aller Deutschen auf« 4 und<br />
knüpfte damit an die Formulierungen des Dritten Volkskongresses <strong>in</strong> der sowjeti-<br />
1 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 41.<br />
2 Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong> [5.-6.3.1949], <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente,<br />
a.a.O., Band 1, S. 266ff., hier S. 266.<br />
3 Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong> [5.-6.3.1949], <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente,<br />
a.a.O., Band 1, S. 266ff, hier S. 281.<br />
4 Bundestagswahlprogramm der <strong>KPD</strong> 1949 (24.6.1949), <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S.<br />
285ff., hier S. 286.
150<br />
Politik und Programmatik<br />
schen Besatzungszone an (30. Mai 1949) 5. Während sie dort erst nach der Gründung<br />
der DDR als Rahmen für die Wahlen zur Volkskammer bedeutsam wurde, machte<br />
die <strong>KPD</strong> die »nationale Front« zur Grundlage ihrer Kampagne zur Bundestagswahl.<br />
6<br />
<strong>Die</strong> nationale Frage wurde bei gleichzeitiger Unterordnung sozialer Fragen oder<br />
gar sozialistischer Zielvorstellungen zur Grundlage der <strong>KPD</strong>-Politik. <strong>Die</strong> Konzeption<br />
der »Nationalen Front« als Sammlung »alle(r) Deutschen, ungeachtet ihrer Weltanschauung<br />
und Parteizugehörigkeit«, 7 bezog dabei ausdrücklich auch das Großbürgertum,<br />
ehemalige Wehrmachtsoffiziere und selbst rechtsreaktionäre Kreise bis<br />
h<strong>in</strong> zu ehemaligen und - wie sich später bei punktuellen Kooperationsversuchen<br />
mit der SRP zeigte - neuen Nationalsozialisten e<strong>in</strong>. Beides war schon der eigenen<br />
Mitgliedschaft nur sehr schwer zu vermitteln. 8 <strong>Die</strong> an deutschnationale Emotionen<br />
appellierende Argumentation, <strong>in</strong> der sich die <strong>KPD</strong> pathetisch überhöht selbst als<br />
»das nationale Gewissen« darstellte, 9 konnte auch im damaligen Massenbewusstse<strong>in</strong><br />
kaum auf Akzeptanz treffen. 10 Sie zeigte auch bei der Bundestagswahl ke<strong>in</strong>en<br />
Erfolg. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> erhielt für sie enttäuschende 5,7 Prozent der Zweitstimmen. In der<br />
Analyse bezeichnete der Parteivorstand das Wahlergebnis als »Fehlentscheidung«,<br />
die »entschlossen korrigiert« werden müsse. 11 Als »entscheidend für den mangelnden<br />
Wahlerfolg« sah die Parteiführung das »Unvermögen der Partei <strong>in</strong> ihrer Gesamtheit,<br />
die [...] nach e<strong>in</strong>em Ausweg suchenden Massen davon zu überzeugen,<br />
dass die <strong>KPD</strong> die Kraft besitzt, das von ihr verkündete Programm der nationalen<br />
Befreiung durchzuführen«. 12<br />
In der Folgezeit versuchte die Partei durch e<strong>in</strong>e Vielzahl von Kampagnen,<br />
Bündnissen und Aktionen, e<strong>in</strong>e von ihr geführte breite Massenbewegung gegen die<br />
West<strong>in</strong>tegration und Remilitarisierung der Bundesrepublik zu formieren. 13<br />
E<strong>in</strong> Höhepunkt war die 1951 im wesentlichen von der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>itiierte und getragene<br />
»Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluss e<strong>in</strong>es<br />
5 Vgl. Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf. <strong>Die</strong> nationale Politik<br />
der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1953, 2. durchgesehene Auflage, Berl<strong>in</strong> 1986, S. 88ff.<br />
6 Patrick Major, The death of the <strong>KPD</strong>. Communism and Anti-Communism <strong>in</strong> West-Germany, <strong>1945</strong>-<br />
1956, Oxford 1997, S. 132.<br />
7 Bundestagswahlprogramm der <strong>KPD</strong> 1949 (24.6.1949), a.a.O., S. 289.<br />
8 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1706f.; Patrick Major, The death of<br />
the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 133; Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf,<br />
a.a.O., S. 110.<br />
9 »Wir Kommunisten repräsentieren <strong>in</strong> der kommenden Wahl mehr als e<strong>in</strong>e Partei. Wir s<strong>in</strong>d das<br />
nationale Gewissen, wir s<strong>in</strong>d die wirklichen Patrioten, die dem ganzen Volke den e<strong>in</strong>zig möglichen<br />
Weg zu se<strong>in</strong>er endgültigen Rettung zeigen und dafür kämpfen« (Bundestagswahlprogramm der <strong>KPD</strong> 1949<br />
(24.6.1949), a.a.O., S. 286.).<br />
10 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1706.<br />
11 <strong>Die</strong> Lehren der Wahlen vom 14. August 1949. Resolution des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong>, 16. September 1949, <strong>in</strong>:<br />
Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1956, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1965 (Repr<strong>in</strong>t 1973), S. 196ff.<br />
12 Ebenda, S. 200. Vgl. auch <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1708.<br />
13 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1717.
Politik und Programmatik 151<br />
Friedensvertrages mit Gesamtdeutschland«. 14 Am 14. April 1951 bildete sich der<br />
»Hauptausschuss für Volksbefragung«. Er beschloss, e<strong>in</strong>en Volksentscheid über die<br />
Wiederbewaffnung auch gegen den Willen der Bundesregierung und des Parlaments<br />
durchzuführen. Man glaubte anknüpfen zu können an die nach wie vor antimilitaristische<br />
Stimmung <strong>in</strong> der westdeutschen Gesellschaft. In allen zuvor erhobenen<br />
demoskopischen Erhebungen war e<strong>in</strong>e Mehrheit der Bevölkerung gegen e<strong>in</strong>e<br />
neue deutsche Armee deutlich geworden. 15 Dementsprechend ernst nahm die Bundesregierung<br />
die geplante Volksbefragung und verbot sie bereits am 24. April 1951.<br />
Das Verbot war rechtlich zweifelhaft und führte zu e<strong>in</strong>er Reihe juristischer Maßnahmen<br />
gegen die Unterstützer der Befragung und e<strong>in</strong>e Reihe von teilnehmenden<br />
verme<strong>in</strong>tlichen Tarn<strong>org</strong>anisationen der <strong>KPD</strong>. 16 Trotz des Verbots wurde die Befragung<br />
durchgeführt. <strong>Die</strong> der Bevölkerung v<strong>org</strong>elegte Frage lautete: »S<strong>in</strong>d Sie gegen<br />
die Remilitarisierung Deutschlands und für e<strong>in</strong>en Friedensvertrag mit Deutschland<br />
im Jahre 1951?«. <strong>Die</strong> Volksbefragung wurde 1951 zur zentralen Hauptaufgabe für<br />
die Mitglieder der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong> deren Händen die Durchführung im wesentlichen lag. 17<br />
Trotz des Verbots und zahlreicher Repressionen konnten bis zum März 1952 nach<br />
eigenen Angaben des Hauptausschusses fast sechs Millionen bejahende Unterschriften<br />
gesammelt werden. Obwohl die Volksbefragung ke<strong>in</strong>e konkreten Ergebnisse<br />
zeitigte, konnte sie doch »zu den <strong>in</strong>nenpolitischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen gezählt<br />
werden, die die Aufrüstung verzögert haben«, 18 und war damit auch als außerparlamentarischer<br />
Erfolg der <strong>KPD</strong> zu werten, der jedoch <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Verhältnis<br />
zum betriebenen Aufwand und dem der Befragung zugemessenen Stellenwert<br />
stand.<br />
<strong>Die</strong> nationalistische Rhetorik der <strong>KPD</strong> erreichte Anfang November 1952 ihren<br />
Höhepunkt im »Programm zur Nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands«. 19<br />
Das Programm basierte <strong>in</strong>haltlich im wesentlichen auf den Thesen des »Münchener«<br />
Parteitages von 1951, 20 g<strong>in</strong>g aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er verbalen Radikalität weit darüber<br />
h<strong>in</strong>aus. Schon die Beschreibung der gegenwärtigen »Notlage <strong>in</strong> Westdeutschland«<br />
21 war realitätsfern und <strong>in</strong> ihrer überspitzten Formulierung gegen die westlichen<br />
Besatzungsmächte mehr als befremdlich. Deren Kriegsziel sei nicht gewesen,<br />
»Deutschland von der Hitlerherrschaft zu befreien«, sondern »als Staat zu vernichten,<br />
als Konkurrenten auszuschalten, se<strong>in</strong>e Reichtümer an sich zu reißen und auszubeuten<br />
und unser Volk und Land für die Vorbereitung e<strong>in</strong>es neuen Krieges um<br />
14 Siehe dazu ausführlich: Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf,<br />
a.a.O., S. 141ff.; <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1721ff.<br />
15 Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf, a.a.O., S. 142f.<br />
16 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 62ff.<br />
17 Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf, a.a.O., S. 149f.<br />
18 Ebenda, S. 160.<br />
19 Programm zur nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands. Beschlossen vom PV der <strong>KPD</strong> (2.11.1952), <strong>in</strong>:<br />
<strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 396ff.<br />
20 <strong>Die</strong> gegenwärtige Lage und die Aufgaben der <strong>KPD</strong>. Entschließung des Münchener Parteitags (3.-5.3.1951), <strong>in</strong>:<br />
<strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 335ff.<br />
21 Programm zur nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands, a.a.O., S. 396.
152<br />
Politik und Programmatik<br />
die Weltherrschaft zu missbrauchen«. 22 <strong>Die</strong> westdeutsche Wirtschaft sei »von<br />
Grund auf überfremdet und des<strong>org</strong>anisiert«, 23 »der amerikanische Imperialismus«<br />
führe »e<strong>in</strong>en systematischen Kampf gegen die deutsche Nationalkultur« und<br />
»deutsche Frauen und Mädchen gelten den Okkupanten als Freiwild« 24. Vollends<br />
absurd wurde die Argumentation mit dem Versuch, e<strong>in</strong>e von den Besatzungsmächten<br />
unabhängige Existenzfähigkeit Deutschlands mit der »Stärke« des 3. Reiches zu<br />
begründen:<br />
»Sie faseln von der ›Führung‹, die es [Deutschland; HB] brauche und der amerikanischen ›Hilfe‹<br />
und Besatzung, ohne die es angeblich nicht leben könne. Aber es ist noch nicht lange her,<br />
dass die Herrschaft der amerikanischen, englischen und französischen Imperialisten sogar <strong>in</strong><br />
ihren eigenen Ländern durch den deutschen Imperialismus erschüttert wurde, und dass nur<br />
der heldenhafte Kampf der Völker der Sowjetunion die Welt vor der Versklavung durch die<br />
faschistische Tyrannei gerettet hat. Damals führte Hitlerdeutschland e<strong>in</strong>en verbrecherischen<br />
Krieg, der folgerichtig mit der Niederlage endete. Aber es kann ke<strong>in</strong> Zweifel daran bestehen,<br />
dass Deutschland, wenn es e<strong>in</strong>e Politik des Friedens und des Fortschritts betreibt, imstande<br />
ist, sich aus eigener Kraft aufzurichten, und dass e<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>igtes, friedliebendes und demokratisches<br />
Deutschland e<strong>in</strong>e bedeutende und unabhängige Rolle <strong>in</strong> der Weltpolitik und Weltwirtschaft<br />
spielen kann und wird.« 25<br />
<strong>Die</strong> Bonner Regierung wurde als Vollstrecker der Besatzungsmächte charakterisiert<br />
und sei deshalb e<strong>in</strong> »Regime des nationalen Verrats«. 26 <strong>Die</strong> daraus erwachsenden<br />
Forderungen wurden später e<strong>in</strong> wesentlicher Begründungspunkt des Verbotsurteils:<br />
»Wenn die Bevölkerung Deutschlands leben will, muss sie das Adenauer-Regime stürzen. [...].<br />
<strong>Die</strong> Unterdrücker werden alle ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel benutzen, um e<strong>in</strong>e<br />
grundlegende Änderung der bestehenden Lage und die nationale Vere<strong>in</strong>igung Deutschlands<br />
zu verh<strong>in</strong>dern. Deshalb muss das Regime Adenauer gestürzt und auf den Trümmern dieses<br />
Regimes e<strong>in</strong> freies, e<strong>in</strong>heitliches, unabhängiges, demokratisches und friedliebendes Deutschland<br />
geschaffen werden. Nur der unversöhnliche und revolutionäre Kampf aller deutschen<br />
Patrioten kann und wird zum Sturz des Adenauer-Regimes und damit zur Beseitigung der<br />
entscheidenden Stütze der Herrschaft der amerikanischen Imperialisten <strong>in</strong> Westdeutschland<br />
führen.« 27<br />
Das Programm - <strong>in</strong>sbesondere die Losungen vom »Sturz der Adenauer-<br />
Regierung« und dem »revolutionären Kampf aller deutschen Patrioten« - machte<br />
die Fehle<strong>in</strong>schätzung der politischen Lage durch die <strong>KPD</strong> noch e<strong>in</strong>mal deutlich.<br />
Auch wenn das Problem der Wiedervere<strong>in</strong>igung im Bewusstse<strong>in</strong> der Bevölkerung<br />
noch e<strong>in</strong>e Rolle spielte, so war doch angesichts der <strong>in</strong>zwischen deutlichen Konsolidierung<br />
der Bundesrepublik das Ziel e<strong>in</strong>es revolutionären und nationalen Umsturzes<br />
e<strong>in</strong>deutig illusionär.<br />
22 Ebenda.<br />
23 Ebenda, S. 398.<br />
24 Ebenda, S. 399.<br />
25 Ebenda, S. 397.<br />
26 Ebenda, S. 401.<br />
27 Ebenda, S. 404.
Politik und Programmatik 153<br />
<strong>Die</strong> »ke<strong>in</strong>eswegs abenteuerliche(n)« 28 allgeme<strong>in</strong>en Zielsetzungen des Programms<br />
(Wiedervere<strong>in</strong>igung und Verh<strong>in</strong>derung der Remilitarisierung) wurden dabei<br />
von den anvisierten »nationalen« Bündnispartnern <strong>in</strong> christlichen, konservativen,<br />
bürgerlich-pazifistischen und sozialdemokratischen Zusammenhängen durchaus<br />
geteilt. <strong>Die</strong> Demagogie der <strong>KPD</strong> und die ausschließliche Orientierung der Alternativ-Vorschläge<br />
auf die Umsetzung der DDR- und UdSSR-Interessen machten<br />
e<strong>in</strong>e Akzeptanz des Programms außerhalb der Partei jedoch nahezu unmöglich.<br />
Politisch wirksam werden konnte das »Programm zur nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung«<br />
so nicht, und auch die eigene Mitgliedschaft machte es ke<strong>in</strong>eswegs wie gefordert<br />
zur Grundlage ihrer »täglichen Arbeit«. 29 Ab Mitte 1953 begann die <strong>KPD</strong>,<br />
das Programm leicht zu modifizieren und e<strong>in</strong>ige der scharfen Formulierungen wenigstens<br />
abzumildern und zu relativieren. <strong>Die</strong>s geschah offenbar unter dem E<strong>in</strong>druck<br />
der Ereignisse des 17. Juni 1953 <strong>in</strong> der DDR, vor allem aber nach dem desaströsen<br />
Ergebnis der Bundestagswahl im September 1953, das die wachsende Isolation<br />
der Partei zeigte. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> erhielt e<strong>in</strong>en Stimmenanteil von 2,2 Prozent und<br />
war fortan nicht mehr im Bundestag vertreten. 30 Ähnlich hatte zuvor die Entwicklung<br />
<strong>in</strong> den Ländern ausgesehen. Bei allen Landtagswahlen zwischen 1949 und<br />
1951 musste die <strong>KPD</strong> teilweise starke Stimmenverluste h<strong>in</strong>nehmen. In Hessen und<br />
Württemberg-Baden verlor sie 1950 ihre Mandate, <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen sank ihr<br />
Stimmenanteil im selben Jahr von 14 auf 5,5 Prozent, 1954 verlor die <strong>KPD</strong> auch dort<br />
ihre Mandate. 1953 schied sie mit 3,2 Prozent der Stimmen aus der Hamburger<br />
Bürgerschaft aus. Lediglich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> konnte sich die <strong>KPD</strong> relativ stabil halten und<br />
zog 1951 mit 6,4 Prozent (1947: 8,8 Prozent) und auch noch 1955 (5 Prozent) wieder<br />
<strong>in</strong> die Bürgerschaft e<strong>in</strong>. Hier hatte die Partei auch bei der Bundestagswahl 1953 mit<br />
3,9 Prozent ihr bundesweit bestes Ergebnis erzielt. 31 Insgesamt konnte der Abschwung<br />
bei Wahlen zwischen 1953 und 1956 zwar etwas gebremst werden, die<br />
Partei erhielt mit <strong>in</strong>sgesamt 830.000 Stimmen immerh<strong>in</strong> 220.000 mehr als bei der<br />
Bundestagswahl 1953. Trotzdem war die <strong>KPD</strong> 1956 nur noch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und <strong>in</strong><br />
Niedersachsen (1955: 1,3 Prozent) 32 <strong>in</strong> den Landesparlamenten vertreten.<br />
Ab 1953 begann die <strong>KPD</strong> unter dem E<strong>in</strong>druck dieser Ergebnisse, vor allem aber<br />
auch im Zuge der veränderten Deutschlandpolitik der Sowjetunion und der Entwicklung<br />
der DDR, sukzessive vom Programm der Nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />
abzurücken. Bereits Mitte 1953 - nach dem 17. Juni <strong>in</strong> der DDR - rückte die <strong>KPD</strong><br />
von der Parole vom »revolutionären Sturz des Adenauerregimes« ab. 33 Nach der<br />
Ratifizierung der Pariser Verträge und dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATO<br />
war die Taktik der »nationalen Front« endgültig obsolet geworden. <strong>Die</strong> Partei mo-<br />
28 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1717.<br />
29 Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf, a.a.O., S. 185.<br />
30 Zur Bundestagswahl 1953 galt erstmals die 5-Prozent-Klausel. Vgl. Jens Ulrich Jens-Ulrich Klocks<strong>in</strong>,<br />
Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 295f. Dort auch e<strong>in</strong>e weitere Diskussion der Gründe für die<br />
<strong>KPD</strong>-Niederlage (S. 292ff.).<br />
31 Jens-Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 295.<br />
32 In Niedersachsen galt ke<strong>in</strong>e 5-Prozent-Klausel<br />
33 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1735; Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische<br />
Demokratie und nationaler Befreiungskampf, a.a.O., S. 185.
154<br />
Politik und Programmatik<br />
difizierte nun auch offiziell ihre L<strong>in</strong>ie und setzte mit der programmatischen Erklärung<br />
»<strong>Die</strong> neue Lage und die neuen Aufgaben <strong>in</strong> Westdeutschland« die Akzente<br />
wieder mehr auf soziale Aspekte. 34 Nach dem XX. Parteitag der KPdSU, der die<br />
friedliche Koexistenz der Systeme proklamierte, verwarf die <strong>KPD</strong> schließlich endgültig<br />
ihre seit 1948/49 verb<strong>in</strong>dliche politische Strategie. In e<strong>in</strong>er Erklärung des<br />
Parteivorstandes vom März 1956 wurde die Losung vom »revolutionären Sturz des<br />
Adenauerregimes« als falsch bezeichnet und betont, dass die Partei »vom Boden<br />
der Demokratie aus« kämpfe. 35 Das explizite Abrücken von dem »Programm zur<br />
Nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung« hatte neben den generellen, auf den Beschlüssen<br />
des XX. Parteitags beruhenden Gründen auch juristisch-taktische. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> versuchte<br />
mit H<strong>in</strong>weis auf die neue programmatische Erklärung, beim Bundesverfassungsgericht<br />
e<strong>in</strong>e Neueröffnung des Verbots-Verfahrens und der Beweisaufnahme<br />
zu erwirken, kam damit aber nicht durch. <strong>Die</strong> Begründung des Verbotsurteils vom<br />
17. August 1956 basierte denn auch im wesentlichen auf dem »Programm zur Nationalen<br />
Wiedervere<strong>in</strong>igung«.<br />
2. <strong>Die</strong> »Nationale Politik« <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Die</strong> Übernahme und Umsetzung der nationalen Argumentationsmuster <strong>in</strong> der<br />
Bremer <strong>KPD</strong> geschah zunächst - ähnlich wie bei der Titoismus-Kampagne - eher<br />
zögerlich. <strong>Die</strong> Entschließung des ersten Landesparteitages (11./12. Juni 1949) billigte<br />
zwar die Beschlüsse der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz, übernahm jedoch nur<br />
wenig von deren national-betonten Phrasen, die lediglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zitat wörtlich<br />
wiedergegeben wurden. 36 E<strong>in</strong> Instrukteur schrieb, es habe auf dem Parteitag bezüglich<br />
»der nationalen Frage« »Unklarheiten« gegeben. 37 Auch der Landesvorsitzende<br />
Willy Knigge kritisierte später, <strong>in</strong> der Diskussion auf dem Parteitag sei »nicht genügend<br />
klar unser Kampf um e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>iges unabhängiges Deutschland zum Ausdruck«<br />
gekommen. 38<br />
Tatsächlich konzentrierte sich der ›eigenständige‹ Text der Entschließung auf<br />
die »Auswirkungen der Kolonialpolitik auf die Freie Hansestadt <strong>Bremen</strong>« und ver-<br />
34 <strong>Die</strong> neue Lage und die neuen Aufgaben <strong>in</strong> Westdeutschland. Programmatische Erklärung des Parteivorstandes<br />
der <strong>KPD</strong>, 16. Oktober 1955, <strong>in</strong>: Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-1956, a.a.O., S. 524ff.; Vgl. auch <strong>Die</strong>trich Staritz,<br />
<strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1737.<br />
35 Es muss und kann anders werden. Erklärung der 23. PV-Tagung der <strong>KPD</strong> (18.3.1956), <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>.<br />
Dokumente, a.a.O., Bd. 2, S. 97ff. Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 62f.; <strong>Die</strong>trich Staritz,<br />
<strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1738ff.<br />
36 Zur Politik der Partei im Kampf um die nationale E<strong>in</strong>heit und e<strong>in</strong>en gerechten Frieden. Entschließung des Parteitages<br />
der <strong>KPD</strong>, Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/2.<br />
37 Bericht über me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Hilfe bei der Organisierung der Wahlkampagne im Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>,<br />
<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
38 Protokoll der Vorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong> am Donnerstag, dem 16. Juni 1949, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/2.
Politik und Programmatik 155<br />
suchte diese mit Zahlen und Analysen fundiert zu belegen. <strong>Die</strong> Entschließung<br />
stand damit noch eher <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>ie der ersten »pragmatischen« Nachkriegsjahre<br />
denn im Kontext der nun wirksam werdenden Neuorientierung auf die »nationale<br />
Frage«. Deutlich wurde dies auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Passage der Entschließung, die noch<br />
e<strong>in</strong>mal - fast anderthalb Jahre später - die Regierungsbildung Anfang 1948 kritisierte,<br />
seit der die <strong>KPD</strong> nicht mehr im Bremer Senat vertreten war.<br />
Mit dem kurz nach dem Parteitag beg<strong>in</strong>nenden Wahlkampf für die Bundestagswahl<br />
am 14. August 1949 änderte sich dieses Bild. <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong> machte wie<br />
die Bundespartei die Frage der deutschen E<strong>in</strong>heit und das Konzept der »nationalen<br />
Front« zur Grundlage ihrer Wahlpropaganda. <strong>Die</strong> Tribüne der Demokratie schrieb<br />
unter der Überschrift »Ne<strong>in</strong> zu Bonn! Ja zu Deutschland!«:<br />
»Am Tage der Bundestagswahl haben wir alle darüber zu entscheiden, ob unser Vaterland e<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>heitliches Deutschland se<strong>in</strong> soll oder ob die Spaltung endgültig ist. Alle aufrechten Deutschen<br />
werden mit uns dafür kämpfen, dass Deutschland wieder frei und unabhängig leben<br />
kann.« 39<br />
<strong>Die</strong> nationale Rhetorik gipfelte schließlich unmittelbar vor der Wahl <strong>in</strong> der Überschrift<br />
auf der Titelseite der Tribüne der Demokratie: »Deutschland den Deutschen!«.<br />
40<br />
Dass die Parteibasis solche Parolen ver<strong>in</strong>nerlichte und während des Wahlkampfs<br />
aktiv vertrat, ist zweifelhaft, und die während des Parteitags und auf folgenden<br />
Konferenzen aufgetretenen »Unklarheiten« sprechen eher dagegen. <strong>Die</strong><br />
Bremer Parteileitung hatte außerdem beschlossen, zwar »den Wahlkampf unter den<br />
großen Parolen der Wahlplattform der <strong>KPD</strong> zu führen, ihn aber gleichzeitig durch<br />
konkrete Fragen stärkstens zu untermauern«. <strong>Die</strong>s habe sich als notwendig erwiesen,<br />
»weil sich <strong>in</strong> der Vergangenheit gezeigt hatte, dass zu Versammlungen, die unter<br />
allgeme<strong>in</strong>en Parolen standen wie z.B. ›Frieden, Freiheit und nationale Souveränität‹<br />
<strong>in</strong> der Mehrzahl der Fälle nur e<strong>in</strong> außerordentlich ger<strong>in</strong>ger Versammlungsbesuch<br />
zu erreichen war.« 41<br />
Das enttäuschende Ergebnis der Bundestagswahl nahm die Bremer Partei zunächst<br />
eher nüchtern zur Kenntnis. In <strong>Bremen</strong> erhielt die <strong>KPD</strong> 20.530 Zweitstimmen<br />
(6,8 Prozent). <strong>Die</strong> Stimmenzahl entsprach <strong>in</strong> etwa der von der Bürgerschaftswahl<br />
1947 (19.290), bedeutete aber prozentual e<strong>in</strong>en Verlust, da sowohl die Zahl der<br />
Wahlberechtigten wie auch die Wahlbeteiligung 1949 wesentlich höher waren.<br />
E<strong>in</strong>e breite Diskussion oder Analyse des Wahlergebnisses erfolgte <strong>in</strong> der Bremer<br />
<strong>KPD</strong> nicht. Willy Knigge verwies <strong>in</strong> der Sekretariatssitzung am 15. August 1949 auf<br />
den noch auszuarbeitenden »e<strong>in</strong>heitlichen Kommentar« des Parteivorstands und<br />
forderte lediglich, die Ursachen des prozentualen Verlustes festzustellen. 42 E<strong>in</strong>ige<br />
Tage später konstatierte er, das Wahlergebnis werde<br />
39 Ne<strong>in</strong> zu Bonn! Ja zu Deutschland!, Tribüne der Demokratie Nr. 7/1949.<br />
40 Deutschland den Deutschen, Tribüne der Demokratie Nr. 8/1949 (2. Augustwoche).<br />
41 Bericht über me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Hilfe bei der Organisierung der Wahlkampagne im Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>,<br />
<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
42 Protokoll der Sekretariatssitzung <strong>Bremen</strong> am 15.8.1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.
156<br />
Politik und Programmatik<br />
»<strong>in</strong> der Partei oft falsch diskutiert. Besonders im Land <strong>Bremen</strong> ist e<strong>in</strong>e gewisse Selbstzufriedenheit<br />
der Genossen festzustellen, die gern die 1400 gewonnenen Stimmen als günstiges Zeichen<br />
werten. Auf der anderen Seite ist e<strong>in</strong>e starke Strömung zu verzeichnen, die das unbefriedigende<br />
Wahlresultat im gesamtdeutschen Rahmen sehen und dieses gern den außenpolitischen<br />
Entscheidungen der SU und den Volksdemokratien bezw. der SED zuschieben wollen.«<br />
43<br />
In der Landesleitung wurde vor allem die starke Orientierung auf die »nationale<br />
Frage« für das Wahlergebnis verantwortlich gemacht. <strong>Die</strong> »Propagierung der nationalen<br />
Front im Stil der Ostzone« sei »für die Westbevölkerung unverständlich«,<br />
kritisierte Karl Grobe. Man müsse, so e<strong>in</strong> weiteres LL-Mitglied, »mehr die sozialen<br />
Probleme <strong>in</strong> den Vordergrund schieben, mehr vom sozialistischen Standpunkt betrachten«.<br />
Käthe Popalls Kommentar fasste das Protokoll zusammen mit den Worten:<br />
»Zuviel national, zuviel Deutschland«. 44<br />
Tatsächlich also erzeugte die Konzentration auf die nationale Front <strong>in</strong> der Bremer<br />
<strong>KPD</strong> bis <strong>in</strong> die Leitungsebene eher Befremden, und ihre Umsetzung verlief<br />
gleichzeitig ähnlich wie bei der Titoismus-Kampagne: zögerlich, abwartend und<br />
manchmal abwehrend. Auch die Reaktion auf das Ergebnis der Bundestagswahl<br />
war ke<strong>in</strong>eswegs vom Bewusstse<strong>in</strong> um e<strong>in</strong>e besondere Dramatik gekennzeichnet,<br />
wie sie dann <strong>in</strong> der Resolution des Parteivorstandes vom 14./15. September 45 zum<br />
Ausdruck kam.<br />
Erst danach wurden auch die Töne <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> schärfer. <strong>Die</strong> Landesleitung verabschiedete<br />
am 25. September 1949 auf der Grundlage der PV-Resolution e<strong>in</strong>e eigene<br />
Entschließung, die ebenfalls <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Titoismuskampagne <strong>in</strong> den Mittelpunkt<br />
stellen sollte, den Mitgliedern aber auch deutlich machte, dass die Bundestagswahl<br />
e<strong>in</strong>e politische Zäsur für die <strong>KPD</strong> bedeutete. Man halte es nun für notwendig,<br />
»den Ernst der gegenwärtigen politischen Lage allen Parteimitgliedern aufzuzeigen. In den<br />
nach den Wahlen stattgefundenen Zusammenkünften der Partei gab es auch <strong>in</strong> unserem Arbeitsgebiet<br />
e<strong>in</strong>ige selbstzufriedene Stimmen, weil die Partei zahlenmäßig zugenommen und<br />
sich gemessen an der Hetze gut geschlagen habe. Das deutsche Volk hat am 14.8.49 e<strong>in</strong>e Fehlentscheidung<br />
getroffen. <strong>Die</strong> Wähler der bürgerlichen Parteien und der Unabhängigen haben<br />
ohne es zu wollen e<strong>in</strong>e Entscheidung getroffen, die die Existenz der deutschen Nation gefährdet.<br />
<strong>Die</strong>se Entscheidung wurde erreicht durch die Hetze gegen die SU, die volksdemokratischen<br />
Länder und die <strong>KPD</strong>, mit dem Ziel, das deutsche Volk von dem Kampf um se<strong>in</strong>e wichtigsten<br />
Lebensfragen abzulenken. <strong>Die</strong>se Lebensfragen s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>heit Deutschlands, der Abzug<br />
aller Besatzungsmächte und die nationale Unabhängigkeit. [...]. In Bonn s<strong>in</strong>d Reaktionäre<br />
zur Macht gekommen, die 1932/33 Hitler an die Macht brachten, der die deutsche Nation <strong>in</strong><br />
die Katastrophe führte.« 46<br />
43 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 19.8.1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
44 Protokoll der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong> am Sonnabend, 27. August 1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
45 <strong>Die</strong> Lehren der Wahlen vom 14. August 1949. Resolution des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong>, 16. September 1949, <strong>in</strong>:<br />
Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1956, a.a.O., S. 196ff.<br />
46 Resolution, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.
Politik und Programmatik 157<br />
<strong>Die</strong> <strong>in</strong> dieser dramatischen Form für <strong>Bremen</strong> neuen Formulierungen waren -<br />
teilweise wörtlich - angelehnt an die Resolution des Parteivorstands. 47 <strong>Die</strong> Bremer<br />
Erklärung hatte wie die bundesweite eher die <strong>in</strong>nerparteilichen Verhältnisse im<br />
Auge, denn den Charakter e<strong>in</strong>er politischen Analyse oder Programmatik. <strong>Die</strong> beschlossenen<br />
Maßnahmen (Parteiversammlungen, Verpflichtungserklärungen etc.)<br />
sollten »die Aussprache über die nationale Front, die Bedeutung und Rolle der Politik<br />
Titos, Fragen des <strong>in</strong>ternationalen Klassenkampfes, des Verhältnisses unserer<br />
Partei zur SPD, der falschen Duldsamkeit gegenüber dem zersetzenden E<strong>in</strong>fluss<br />
parteife<strong>in</strong>dlicher Auffassungen« eröffnen und zielten damit auf <strong>in</strong>nerparteiliche<br />
Diszipl<strong>in</strong>ierung und Aktivierung.<br />
So beschäftigten sich die Führungsgremien der Bremer Landes<strong>org</strong>anisation <strong>in</strong><br />
der Folgezeit tatsächlich vor allem mit diesen <strong>in</strong>nerparteilichen Problemen. <strong>Die</strong><br />
»Nationale Politik« war kaum e<strong>in</strong> Thema, und wenn dann nur im Zusammenhang<br />
mit der Umgestaltung der Partei. Im April 1950 hielt Willy Knigge vor der Landesleitung<br />
e<strong>in</strong> Referat unter der Überschrift »Mit der nationalen Front um Frieden,<br />
E<strong>in</strong>heit und Unabhängigkeit«, <strong>in</strong> dem es nahezu ausschließlich um die »ideologische<br />
Klärung und <strong>org</strong>anisatorische Festigung« der <strong>KPD</strong> g<strong>in</strong>g, nicht aber um das im<br />
Titel genannte Thema. 48<br />
<strong>Die</strong>ses Verhältnis blieb <strong>in</strong> den folgenden Jahren bestehen. Theoretisch und propagandistisch<br />
wurde die »nationale Politik« das alles beherrschende Schwerpunktthema<br />
der Partei, das die Mitglieder und auch die Leitung aber nie richtig annahmen.<br />
Der Versuch, mit der Gründung der »Nationalen Front« (NF) e<strong>in</strong>e bündnisorientierte<br />
Organisationsform für diese Politik zu etablieren, scheiterte mehr oder<br />
weniger kläglich. 49 Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> spielte die partei<strong>in</strong>tern als »Massen<strong>org</strong>anisation«<br />
geführte NF so gut wie ke<strong>in</strong>e Rolle und konnte sich weder <strong>org</strong>anisatorisch etablieren<br />
noch nennenswerten E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> der Bevölkerung bzw. bei den gewünschten<br />
Bündnispartnern gew<strong>in</strong>nen. 50<br />
Folgerichtig wurde sehr schnell die nationale Politik mit der Friedenspolitik<br />
und dem Kampf gegen die Wiederbewaffnung verknüpft. Bereits auf der 15. PV-<br />
Tagung im März 1950 konstatierte Max Reimann diese Verknüpfung: »Der Kampf<br />
um Frieden und die Bewegung der Nationalen Front des demokratischen Deutsch-<br />
47 <strong>Die</strong> Lehren der Wahlen vom 14. August 1949. Resolution des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong>, 16. September 1949,<br />
a.a.O., hier besonders S. 196f.<br />
48 Protokoll über die Landesvorstandssitzung am Freitag den 7. April 1950, Waller R<strong>in</strong>g 41, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/2.<br />
49 Vgl. dazu ausführlich Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf,<br />
a.a.O., S. 93ff.; außerdem Patrick Major, The death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 131ff.<br />
50 Mit He<strong>in</strong>rich Nolte war zwar e<strong>in</strong> (ehemaliger) Spitzenfunktionär für die NF verantwortlich, dennoch<br />
fand die Organisation selbst im Sekretariat und der zuständigen Abteilung für Massen<strong>org</strong>anisation<br />
strategisch und thematisch kaum Erwähnung, zumal im Vergleich mit anderen Massen<strong>org</strong>anisationen<br />
(FDJ, DFD, GdsF). In den Organisations-Statistiken von 1951 wird die NF entweder überhaupt nicht<br />
oder aber mit null Parteimitgliedern aufgeführt (SAPMO I 11/20/15).
158<br />
Politik und Programmatik<br />
land ist e<strong>in</strong> und dasselbe«. 51 <strong>Die</strong>ses Junktim war naheliegend. Das Problem der<br />
Wiederbewaffnung war <strong>in</strong>zwischen wieder aktuell geworden und besaß - nur fünf<br />
Jahre nach Kriegsende - im Bewusstse<strong>in</strong> der Bevölkerung e<strong>in</strong>e hohe Relevanz. Auch<br />
die <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft selbst konnte sich mit der Friedenspolitik eher identifizieren<br />
als mit der »Nationalen Front«, die ideologisch abstrakt blieb, sich offen an<br />
Konzepte der DDR anlehnte sowie die Anerkennung der führenden Rolle der Sowjetunion<br />
zur Bed<strong>in</strong>gung machte und damit <strong>in</strong> der täglichen politischen Arbeit<br />
schwer vermittelbar war. 52<br />
Fortan waren »nationale Politik« und Friedenspolitik für die <strong>KPD</strong> Synonyme,<br />
die zur Grundlage jeglichen politischen Handelns der Partei werden sollten. Dabei<br />
wurde der Schwerpunkt vor allem auf die Entwicklung e<strong>in</strong>er Friedensbewegung<br />
und die Initiierung von Bündnissen außerhalb der Partei gelegt. An der Treue zur<br />
Sowjetunion ließ die <strong>KPD</strong> zwar auch hier ke<strong>in</strong>erlei Zweifel, machte sie aber nicht<br />
mehr zur Bed<strong>in</strong>gung für die Bündnisse. 53 Im Gegenteil wurde versucht, die Beteiligung<br />
von Kommunisten nicht zu massiv ersche<strong>in</strong>en zu lassen und nach außen die<br />
Selbständigkeit der jeweiligen Organisationen und »Bewegungen« zu betonen.<br />
1950 wurde zunächst die Rolle <strong>Bremen</strong>s und Bremerhavens als zentrale Nachschubhäfen<br />
der amerikanischen Besatzungsmacht zu e<strong>in</strong>em Anknüpfungspunkt für<br />
die <strong>KPD</strong>, dem sie »zentrale Bedeutung [...] für den Kampf um den Frieden und damit<br />
für die gesamte politische Arbeit« 54 beimaß. Dabei g<strong>in</strong>g es vor allem um die<br />
Verh<strong>in</strong>derung von Waffenentladungen durch die Hafenarbeiter. Bereits im Februar<br />
1950 forderte die Tribüne der Demokratie vehement dazu auf, die Entladung von<br />
Kriegsmaterialien zu verweigern und sich damit dem Beispiel von Häfen <strong>in</strong> Frankreich,<br />
Belgien, Italien und Holland anzuschließen. 55 Nachdem dieser Aufruf ohne<br />
wesentliche Resonanz geblieben war, <strong>in</strong>tensivierte die <strong>KPD</strong> im April 1950 die Kampagne.<br />
Initiator war der Parteivorstand <strong>in</strong> Frankfurt. In e<strong>in</strong>er Sondersitzung mit<br />
dem Bremer Sekretariat am 11. April <strong>in</strong> Frankfurt wiesen Vertreter des PV »auf den<br />
besonderen Ernst der Lage« h<strong>in</strong>, »besonders h<strong>in</strong>sichtlich des Versuches der USA-<br />
Imperialisten, die Kriegsvorbereitungen zu verstärken«. 56 Andere europäische Häfen<br />
seien »durch die Aktionen der Arbeiterschaft [...] als E<strong>in</strong>fuhr-Häfen für Kriegsmaterial<br />
aus USA ausgefallen. <strong>Die</strong> Schaffung der amerikanischen Enklave <strong>Bremen</strong><br />
diente von Anfang an dem Ziel, diese bei Kriegsvorbereitungen als Landungsstellen<br />
für Kriegsmaterial zu benutzen«. 57 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> sei dabei bisher, so zitierte<br />
e<strong>in</strong> Bremer Sekretariatsmitglied e<strong>in</strong>en PV-Vertreter,<br />
»äußerst mangelhaft und der Parteivorstand betrachte die Lage <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> mit berechtigter<br />
S<strong>org</strong>e. Im Kampf um die Erhaltung des Friedens blicken die friedliebenden Kräfte <strong>in</strong> der Welt<br />
51 Zit. nach Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf, a.a.O., S. 96.<br />
Vgl. auch Mit der Nationalen Front um Frieden, E<strong>in</strong>heit und Unabhängigkeit, Kommuniqué der 15. Tagung<br />
des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1956, a.a.O.,, S. 233f.<br />
52 Vgl. Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf, a.a.O., S. 96.<br />
53 Ebenda, S. 97.<br />
54 Bericht über Instruktion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven am 7.8.1950, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/2.<br />
55 Ke<strong>in</strong>en Handschlag für den Krieg!, Tribüne der Demokratie, Nr. 6/1950.<br />
56 Protokoll über die Sekretariatssitzung vom 12.4.1950 im Parteihaus Waller R<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
57 Ebenda.
Politik und Programmatik 159<br />
auf die Werktätigen im Lande <strong>Bremen</strong>. Somit laste auf unserer Organisation im Lande <strong>Bremen</strong><br />
e<strong>in</strong>e ungeheure Verantwortung.« 58<br />
Als erste Maßnahme wurde die kurzfristige E<strong>in</strong>berufung e<strong>in</strong>er großen Parteiarbeiterkonferenz<br />
für den 16. April 1950 - fünf Tage nach der Sitzung mit dem PV -<br />
beschlossen. Das Bremer Sekretariat befasste sich am 12. April 1950 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sondersitzung<br />
mit dem Thema. Ziel der Konferenz sei »die Mobilisierung der Partei und<br />
der Werktätigen. <strong>Die</strong> Parteigenossen glauben jetzt noch nicht an e<strong>in</strong>en Krieg«. Willy<br />
Knigge konstatierte e<strong>in</strong>e »Gleichgültigkeit <strong>in</strong> diesen wichtigen Fragen. [<strong>Die</strong>] Häfen<br />
<strong>in</strong> Frankreich und Italien liegen voll Schiffe mit Waffen und werden nicht entladen<br />
[...] und wir?«. 59<br />
<strong>Die</strong> Partei schaffte es tatsächlich, die Konferenz nur vier Tage später mit 350<br />
Teilnehmern zu <strong>org</strong>anisieren. 60 Willy Knigge wie auch Walter Fisch vom Parteivorstand<br />
versuchten <strong>in</strong> ihren Eröffnungsreden noch e<strong>in</strong>mal, den anwesenden Mitgliedern<br />
die Bedeutung Bremerhavens und der Tagung bewusst zu machen. »<strong>Die</strong> <strong>in</strong>ternationale<br />
Arbeiterschaft blickt auf Br.haven. <strong>Die</strong> Friedensbewegung <strong>in</strong> der Welt<br />
umfasst 900 Millionen Menschen und diese Menschen schauen jetzt auf die deutsche<br />
Arbeiterschaft. Wir müssen e<strong>in</strong>en 3. Weltkrieg verh<strong>in</strong>dern und e<strong>in</strong>en dauerhaften<br />
Frieden erkämpfen«, so Knigge. 61 Auch Walter Fisch, der die Hauptrede hielt, 62<br />
fand pathetische Worte und gab die künftige Leitl<strong>in</strong>ie für die Bremer <strong>KPD</strong> vor:<br />
»Alles was die Partei tut und spricht muss auf die Rolle, welche <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven <strong>in</strong><br />
den Kriegsplänen unserer Gegner spielt, zugeschnitten se<strong>in</strong>. Es muss der ganze Ehrgeiz, die<br />
ganze Opferbereitschaft e<strong>in</strong>es jeden e<strong>in</strong>zelnen Genossen hier <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>zutreten dafür,<br />
dass <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven nicht e<strong>in</strong> dunkler Punkt <strong>in</strong> der Geschichte der Arbeiterbewegung<br />
se<strong>in</strong> wird.« 63<br />
<strong>Die</strong> darauffolgende Diskussion beschränkte sich weitgehend auf Berichte aus<br />
e<strong>in</strong>zelnen Hafenbetriebsgruppen (<strong>Bremen</strong>, Bremerhaven, Brake, Nordenham) oder<br />
anderen Betriebe, die weiter nicht explizit auf das Thema Waffenentladungen e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>gen.<br />
Zu recht bemerkte e<strong>in</strong> Teilnehmer zum Schluss, es sei ja »nur von wenigen<br />
Genossen gesagt geworden, worauf es ankommt, nämlich unseren Kampf um den<br />
Frieden«. 64<br />
Den stellte dafür abschließend Willy Knigge noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> den Mittelpunkt.<br />
Knigge warnte die Partei dabei vor re<strong>in</strong> pazifistischen Tendenzen:<br />
»Bei den Losungen, die von uns <strong>in</strong> das Volk h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen werden sollen, haben wir besonders<br />
darauf zu achten, dass ke<strong>in</strong>e pazifistischen Losungen wie ›Nie wieder Krieg‹ geschrieben<br />
werden. Durch solche Losungen erwecken wir falsche Illusionen bei dem Volk. Wir haben bei<br />
der ideologischen Klärung und Festigung unserer Partei <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der Aufgabe des<br />
58 Ebenda.<br />
59 Ebenda.<br />
60 Parteiarbeiterkonferenz <strong>Bremen</strong> am 16.4.1950 [Bericht Walter Fisch, PV], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/4.<br />
61 Ebenda.<br />
62 Siehe auch Bremerhaven <strong>in</strong> der Kriegsstrategie, Tribüne der Demokratie Nr. 16/1950.<br />
63 Parteiarbeiterkonferenz der <strong>KPD</strong>, Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>, am 16. April 1950 <strong>in</strong> Bremerhaven [Protokoll],<br />
<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/4.<br />
64 Ebenda.
160<br />
Politik und Programmatik<br />
Kampfes um den Frieden [...] die Frage [zu] klären der gerechten und ungerechten Kriege,<br />
dann können wir auch die richtigen Losungen <strong>in</strong> unser Volk h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>tragen.« 65<br />
<strong>Die</strong> Ablehnung des Pazifismus unter der nach Kriegsende <strong>in</strong> Deutschland weit<br />
verbreiteten Losung »Nie wieder Krieg« wurde letztlich auch zu e<strong>in</strong>em zentralen<br />
Problem im Verhältnis der <strong>KPD</strong> zu anderen Teilen der Friedensbewegung, besonders<br />
aus christlichen und bürgerlichen Kreisen. »Unser Verhältnis zu den Pazifisten<br />
war völlig ungeklärt«, so Hermann Gautier. 66 Das galt auch für das etwa zeitgleich<br />
mit den Aktionen gegen die Waffenentladungen von der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>itiierte »Komitee<br />
der Kämpfer für den Frieden« (später »Landesfriedenskomitee«, LFK), das vor allem<br />
<strong>in</strong> bürgerliche Kreisen wirken sollte und das <strong>in</strong> den folgenden Jahren zu e<strong>in</strong>em<br />
Mittelpunkt der Bremer Friedensbewegung wie auch der Bündnisbemühungen der<br />
<strong>KPD</strong> wurde. 67<br />
Das Bremer »Komitee der Kämpfer für den Frieden«, gegründet im Februar<br />
1950, 68 war Teil e<strong>in</strong>er weltweit agierenden und im wesentlichen von dem Kom<strong>in</strong>form<br />
<strong>in</strong>itiierten, aber auch anderen Kräften getragenen Friedensbewegung. An ihrer<br />
Spitze stand der 1949 etablierte Weltfriedensrat. 69 <strong>Die</strong>ser verabschiedete im März<br />
1950 den sogenannten »Stockholmer Appell«, der e<strong>in</strong> weltweites Verbot von Atomwaffen<br />
forderte. 70 Der Appell wurde zur Grundlage e<strong>in</strong>er breiten Kampagne,<br />
bei der auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zwischen April und Juni 1950, vor allem vom Friedenskomitee<br />
und der <strong>KPD</strong>, Unterschriften gesammelt wurden.<br />
Das Friedenskomitee wie auch allgeme<strong>in</strong> der »Kampf um den Frieden« wurde<br />
von der Parteibasis zunächst nur schleppend angenommen. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war zwar federführend<br />
- erster Landessekretär und Geschäftsführer wurde Hermann Gautier,<br />
e<strong>in</strong>er der beiden Vorsitzenden war mit Ge<strong>org</strong> Gumpert ebenfalls e<strong>in</strong> Kommunist -,<br />
im Sekretariat bemängelte jedoch <strong>in</strong> den ersten Wochen und Monaten nach der<br />
Gründung des Friedenskomitees der zuständige Sekretär He<strong>in</strong>rich Schramm des öfteren<br />
die mangelnde Unterstützung durch die Mitglieder. In der Partei sei »dieser<br />
Gedanke und diese Arbeit nicht voll erkannt« und bei den Sitzungen des Komitees<br />
fehlten »ausgerechnet unsere Genossen«. 71 Auch die Beteiligung an der Unterschriftensammlung<br />
ließ zu wünschen übrig. Bis Mitte Juni 1950 waren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
15.000 Unterschriften gesammelt worden, das v<strong>org</strong>egebene Soll lag bei 30.000. 72<br />
65 Ebenda.<br />
66 Zit. nach Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 61.<br />
67 Vgl. ebenda, S. 60.; Rolf Stelljes, Das Bremer Landesfriedenskomitee, <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge et al.<br />
(Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg, a.a.O., S. 161-170.<br />
68 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 59.<br />
69 Vgl. zum Weltfriedensrat ausführlich Rüdiger Schlaga, <strong>Die</strong> Kommunisten <strong>in</strong> der Friedensbewegung -<br />
erfolglos? <strong>Die</strong> Politik des Weltfriedensrates im Verhältnis zur Außenpolitik der Sowjetunion und zu<br />
unabhängigen Friedensbewegungen im Westen (1950-1979), Münster/Hamburg 1991.<br />
70 Vgl. Rüdiger Schlaga, <strong>Die</strong> Kommunisten <strong>in</strong> der Weltfriedensbewegung, a.a.O., S. 65ff; Wortlaut des<br />
Appells S. 66. Das »Westdeutsche Friedenskomitee« wurde Anfang November 1950 gegründet. Wilhelm<br />
Meyer-Buer, Fraktionsvorsitzender und Sekretariatsmitglied der Bremer <strong>KPD</strong>, war 1953 dessen<br />
Vorsitzender.<br />
71 Protokoll über die Sekretariatssitzung vom 25.3.1950 im Parteihaus Waller R<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
72 Nach Angaben von Willy Knigge auf e<strong>in</strong>er LV-Sitzung (Protokoll über die 10. Landesvorstandssitzung des<br />
L.V.-<strong>Bremen</strong>, am 25.6.1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2). Knigge sprach von »nur« 15.000 Unterschriften. In
Politik und Programmatik 161<br />
<strong>Die</strong> genannten ersten größeren friedenspolitischen Aktionen und Bündnisbemühungen<br />
- Mobilisierung der Hafenarbeiter, Gründung des Friedenskomitees und<br />
Unterschriftensammlung für den Stockholmer Appell - versuchte die <strong>KPD</strong> im Juli<br />
1950 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Konferenz zu bündeln. <strong>Die</strong> bundesweite »Konferenz<br />
der Hafenarbeiter, Seeleute und B<strong>in</strong>nenschiffer« und der Bremer Landeskongress<br />
des »Komitees der Kämpfer für den Frieden« tagten geme<strong>in</strong>sam am 8. und 9. Juli<br />
1950 <strong>in</strong> der Bremer Sporthalle. 73 <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong>-Leitung hatte ursprünglich geplant,<br />
nur die Hafenarbeiterkonferenz zu veranstalten. <strong>Die</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem<br />
Landesfriedenskongress war auf Anweisung des Parteivorstands zustande gekommen.<br />
74 <strong>Die</strong> Delegierten der Hafenarbeiterkonferenz gründeten e<strong>in</strong> »Friedenskomitee<br />
der Hafenarbeiter, Seeleute und B<strong>in</strong>nenschiffer Deutschlands« mit Sitz <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong>. Das Komitee sollte die Gründung von weiteren Friedenskomitees <strong>in</strong> allen<br />
deutschen Häfen koord<strong>in</strong>ieren und vorantreiben. <strong>Die</strong> Konferenz, an der auch der<br />
FDGB-Vorsitzende Herbert Warnke aus der DDR teilnahm, verabschiedete außerdem<br />
e<strong>in</strong>e Resolution, <strong>in</strong> der die Verweigerung von Waffenentladungen und -<br />
transporten gefordert wurde. 75<br />
Große Wirkung hatte die Konferenz nicht. »Von den Beschlüssen der Parteiarbeiterkonferenz<br />
im April und der Friedens- und Hafenarbeiterkonferenz im Juli<br />
wurde bisher so gut wie nichts realisiert«, berichtete Walter Fisch vom Parteivorstand<br />
im August 1950. In Bremerhaven stünden »an der Spitze der Waffenentladungen<br />
Kommunisten« und es sei bislang »nicht e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige konkrete Handlung<br />
gegen die Entladungen zu verzeichnen«. Fisch wies die Verantwortung dafür auch<br />
dem Bremer Sekretariat zu, das über die Lage im Hafen »erschreckend wenig unterrichtet«<br />
sei. <strong>Die</strong> Parteiführung erkenne nicht die »zentrale Bedeutung der Häfen<br />
für den Kampf um den Frieden und damit für die gesamte politische Arbeit auf allen<br />
Gebieten«. 76<br />
In der Tat wurde nach der Doppelkonferenz im Juli das Thema im Bremer Sekretariat<br />
kaum noch behandelt. Auch die Friedenskomitees blieben weit entfernt von<br />
massenwirksamen Aktionen oder gar dem Status e<strong>in</strong>er Bewegung. Das Landesfriedenskomitee<br />
wie auch die Stadtteil- und Betriebskomitees stünden »nur noch auf<br />
dem Papier«, monierte der verantwortliche Sekretär im Oktober 1950. Es müsse »<strong>in</strong><br />
der Partei nochmals die Bedeutung der Friedensarbeit, der Komitee-Bewegung aufgezeigt<br />
[werden], damit endlich der Zustand überwunden wird, dass die Friedensarbeit<br />
die Angelegenheit e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Person ist«. 77<br />
Das »Zurückweichen der Genossen« war nicht nur mit e<strong>in</strong>em mangelnden Bewusstse<strong>in</strong><br />
um die »Bedeutung der Friedensarbeit« zu erklären, sondern wohl auch<br />
durch die zunehmend antikommunistische Stimmung <strong>in</strong> der Bevölkerung sowie<br />
Bremerhaven war die Situation <strong>in</strong> den Friedenskomitees nach den Worten Knigges »noch schlechter als<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und <strong>Bremen</strong>-Nord«. (ebenda).<br />
73 Vgl. Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 66f.<br />
74 Protokoll über die Sekretariatssitzung am 7.7.50, im Parteihaus, Waller R<strong>in</strong>g 41, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
75 Vgl. Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 66f.<br />
76 Bericht über Instruktion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven am 7.8.1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
77 Protokoll über die Sekretariatssitzung am 11. Oktober 1950 im Waller R<strong>in</strong>g 41, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.
162<br />
Politik und Programmatik<br />
die massive Gegenpropaganda und dementsprechende Maßnahmen von Seiten der<br />
bürgerlichen Presse und des Senats. Beides war durch den Beg<strong>in</strong>n des Korea-<br />
Krieges im Juni 1950 noch verstärkt worden. 78 Der Senat verweigerte der Hafenarbeiterkonferenz<br />
- wie auch anderen als kommunistisch geltenden Organisationen -<br />
die Überlassung der Rathaushalle. Im September 1950 wurde die Werbung für die<br />
<strong>KPD</strong> und andere Organisationen - u.a. auch das Friedenskomitee - an öffentlichen<br />
Gebäuden untersagt. Verboten wurden auch »bis auf weiteres Kundgebungen unter<br />
freiem Himmel«. 79<br />
Zu e<strong>in</strong>em vorläufigen Höhepunkt der friedenspolitischen <strong>KPD</strong>-Aktionen wie<br />
auch der antikommunistischen Reaktionen wurde ab dem Frühjahr 1951 die<br />
»Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluss e<strong>in</strong>es Friedensvertrages<br />
mit Gesamtdeutschland«. Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> war die Volksbefragung<br />
von der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>itiiert und im wesentlichen von ihr getragen worden. Bereits Anfang<br />
1951 hatten sich e<strong>in</strong> vorbereitender Landesausschuss sowie auf Stadtteilebene<br />
e<strong>in</strong>ige lokale Volksbefragungsausschüsse gebildet und Versammlungen und Kundgebungen<br />
abgehalten. 80 Mitte März war die Volksbefragung erstmals Thema im<br />
Bremer <strong>KPD</strong>-Sekretariat. <strong>Die</strong> Leitung forderte die Bildung von Ausschüssen »<strong>in</strong> jeder<br />
Wohngebietsgruppe und jedem Stadtteil« und beschloss die Aufstellung e<strong>in</strong>es<br />
Arbeitsplans sowie e<strong>in</strong>e verstärkte Koord<strong>in</strong>ierung der Massen<strong>org</strong>anisationen. In<br />
den Ausschüssen sollten »mehr werktätige klassenbewusste Menschen, Arbeiter<br />
und Betriebsräte führend werden«, und die Partei müsse dabei der »mobilisierende<br />
Faktor« se<strong>in</strong>. 81 <strong>Die</strong> Mitgliedschaft wurde <strong>in</strong> den darauf folgenden Wochen <strong>in</strong> zwei<br />
Pflichtmitgliederversammlungen auf die Volksbefragung und die Bildung von<br />
Ausschüssen e<strong>in</strong>geschworen. 82 E<strong>in</strong> großer Teil der Mitglieder, so e<strong>in</strong> Instrukteursbericht,<br />
sei sich dabei »unklar« über die Bildung der Volksbefragungsausschüsse<br />
gewesen. »So wurde von vielen Genossen <strong>in</strong> der Diskussion v<strong>org</strong>eschlagen, diese<br />
Volksbefragungsausschüsse auf Mitgliederversammlungen unserer Partei bzw. <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>igen Fällen auf Mitgliederversammlungen der Massen<strong>org</strong>anisationen zu bilden.«<br />
83<br />
Das konnte <strong>in</strong> der Tat nicht im S<strong>in</strong>ne der Parteileitung se<strong>in</strong>, der es vielmehr darauf<br />
ankam, der Kampagne e<strong>in</strong>e breite Basis zu verschaffen und <strong>in</strong> den Ausschüssen<br />
möglichst wenige Kommunisten zu haben. Das Sekretariat beschloss am 5. April<br />
1951, zur »Gew<strong>in</strong>nung von Persönlichkeiten« für den Bremer Volksbefragungsausschuss<br />
e<strong>in</strong>e lange Reihe von persönlichen Gesprächen. Zielgruppe waren zum e<strong>in</strong>en<br />
Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionäre (vor allem SPD-Mitglieder), zum anderen<br />
Personen aus dem bürgerlichen Lager wie Professoren, Journalisten, Kran-<br />
78 Vgl. dazu die Beispiele <strong>in</strong> Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 62ff.<br />
79 Ebenda, S. 71.<br />
80 Ebenda, S. 80.<br />
81 Bericht von der Sitzung des Sekretariats am 14.3.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
82 Bericht an das Sekretariat des PV über den Stand der Auswertung des Parteitages und den Stand der Bildung<br />
der Volksbefragungsausschüsse [9. April 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
83 Bericht an das Sekretariat des PV über den Stand der Auswertung des Parteitages und den Stand der Bildung<br />
der Volksbefragungsausschüsse [9. April 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.
Politik und Programmatik 163<br />
kenhausdirektoren, Verleger und ehemalige Wehrmachtsoffiziere. <strong>Die</strong> Gesprächsund<br />
Bündnisbereitschaft machte auch nicht halt vor dem ehemaligen NSDAP-<br />
Mitglied und Bremer Kreisvorsitzenden der faschistischen »Sozialistischen Reichspartei«<br />
(SRP) Split, der vom <strong>KPD</strong>-Fraktionsvorsitzenden Rudolf Rafoth geworben<br />
werden sollte. 84 Das Sekretariat kümmerte sich außerdem um die Anmietung e<strong>in</strong>es<br />
Büros für den Landesausschuss. 85<br />
<strong>Die</strong> Vorbereitungen zur Volksbefragung, die zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht<br />
e<strong>in</strong>mal begonnen hatte, trafen sofort auf antikommunistische Gegenpropaganda<br />
und staatliche Maßnahmen. Der Senat hatte es bereits im Februar abgelehnt, dem<br />
Vorbereitenden Landesausschuss e<strong>in</strong>e Schul-Aula für e<strong>in</strong>e Versammlung zur Verfügung<br />
zu stellen. 86 <strong>Die</strong> bürgerliche Presse brandmarkte die Kampagne als »strategische<br />
Maßnahme der SED-Leitstelle West«, mit der letztlich e<strong>in</strong>e gewaltsamer Umsturz<br />
geplant werde. 87 Der Bremer Senat schloss sich drei Tage nach dem Verbot<br />
der Volksbefragung durch die Bundesregierung den Maßnahmen gegen die unterstützenden<br />
Organisationen an und untersagte jegliche Tätigkeit für die Volksbefragung.<br />
88 Bereits e<strong>in</strong>en Tag später, am 28. April 1951, kam es zu e<strong>in</strong>er Reihe von<br />
Hausdurchsuchungen, u.a. <strong>in</strong> den Büros des Volksbefragungsausschusses, der FDJ<br />
und der VVN sowie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe von Privatwohnungen, bei denen angeblich<br />
mehrere »Zentner Propagandamaterial zur Volksbefragung« beschlagnahmt wurden.<br />
89<br />
<strong>Die</strong> Verbotsmaßnahmen konnten die Fortsetzung der Volksbefragung nicht<br />
verh<strong>in</strong>dern. 90 Vielmehr <strong>in</strong>tensivierte und beschleunigte die <strong>KPD</strong> nun die Aktion.<br />
Nach e<strong>in</strong>er Besprechung der Ersten Landessekretäre mit dem Sekretariat des Parteivorstands,<br />
auf der »die nächsten Maßnahmen gegen das gesetz- und verfassungswidrige<br />
Verbot der Volksbefragung besprochen wurden«, verkündete Hermann<br />
Gautier im Bremer Sekretariat, dass nunmehr alle Kräfte darauf konzentriert<br />
84 Protokoll von der Sekretariatssitzung vom 5. April 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6. Ob es zu diesem<br />
Gespräch kam, ist nicht bekannt. Es gab aber <strong>in</strong> der Folgezeit ke<strong>in</strong>e Kooperationen zwischen SRP und<br />
<strong>KPD</strong> bzw. dem Volksbefragungsausschuss.<br />
85 Protokoll von der Sekretariatssitzung vom 5. April 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
86 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 80.<br />
87 Vgl. Re<strong>in</strong>hard Brockhofer, Aus der Zeit der Volksbefragungskampagne 1951, <strong>in</strong>: »Nieder die Waffen -<br />
die Hände gereicht!«. Friedensbewegung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 1898 - 1958, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung,<br />
herausgegeben im Auftrag des Staatsarchivs <strong>Bremen</strong> von Helmut Donat und Andreas Röpcke,<br />
<strong>Bremen</strong> 1989, S. 167-174, hier S. 170f.; Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit von<br />
Landespolitik und Parteil<strong>in</strong>ie. Senat, SPD und die Diskussion um die Wiederbewaffnung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
und im Bundesrat 1948/49 bis 1957/58, <strong>Bremen</strong> 1988, S. 71.<br />
88 Siehe Amtliche Bekanntmachung <strong>in</strong> Bremer Nachrichten, 30. April 1951 (auch abgedruckt <strong>in</strong> Re<strong>in</strong>hard<br />
Brockhofer, Aus der Zeit der Volksbefragungskampagne 1951, a.a.O., S. 171. Vgl. auch Christoph Butterwegge,<br />
Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 80.<br />
89 Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit, a.a.O., S. 71.<br />
90 Das Verbot führte <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zwar zu e<strong>in</strong>er Reihe von Ermittlungsverfahren, <strong>in</strong> denen jedoch wegen<br />
rechtlicher Bedenken der Staatsanwaltschaft ke<strong>in</strong>e Anklagen erhoben wurden. Man wolle, so die Begründung<br />
der Staatsanwaltschaft, »bei der Unsicherheit der Rechtslage e<strong>in</strong>en Freispruch aus politischen<br />
Gründen nicht riskieren«. Im August 1952 wurden alle im Zusammenhang mit der Volksbefragung<br />
stehenden Ermittlungsverfahren e<strong>in</strong>gestellt. Vgl. Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im<br />
Widerstreit, a.a.O., S. 72.
164<br />
Politik und Programmatik<br />
werden müssten, »unmittelbar mit der Abstimmung, die <strong>in</strong> allen Formen <strong>in</strong> Betrieben<br />
und Wohngebieten durchgeführt werden sollen, zu beg<strong>in</strong>nen«. 91 Das Sekretariat<br />
beschloss unter anderem, e<strong>in</strong>e Reihe von zusätzlichen Instrukteuren e<strong>in</strong>zusetzen.<br />
Deren Arbeitsanweisung verdeutlichte noch e<strong>in</strong>mal den Stellenwert der Volksbefragung<br />
für die Partei: »<strong>Die</strong> Beschlüsse des Landesausschusses für die Volksbefragung<br />
s<strong>in</strong>d b<strong>in</strong>dend für jeden Parteigenossen.« 92<br />
E<strong>in</strong>ige Tage nach dieser Sitzung begann <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die Volksbefragung. Sie<br />
wurde <strong>in</strong> den folgenden Wochen mit e<strong>in</strong>em enormen materiellen, propagandistischen<br />
und personellen Aufwand von der <strong>KPD</strong> betrieben. In e<strong>in</strong>er Vielzahl von Versammlungen,<br />
Kundgebungen, Straßenaktionen und Hausbesuchen wurden Unterschriften<br />
gesammelt zur Frage »S<strong>in</strong>d sie gegen die Remilitarisierung Deutschlands<br />
und für e<strong>in</strong>en Friedensvertrag mit Deutschland im Jahre 1951?«. 93 Im Sekretariat<br />
wurde die Volksbefragung <strong>in</strong> den folgenden Wochen zum Schwerpunktthema, das<br />
<strong>in</strong> jeder Sitzung behandelt wurde.<br />
Koord<strong>in</strong>ation, Propagierung und Durchführung der Volksbefragung lagen <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> nahezu ausschließlich <strong>in</strong> den Händen der <strong>KPD</strong>. Der Landesausschuss für<br />
Volksbefragung trat <strong>in</strong> der Öffentlichkeit nicht als Träger der Aktion <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung,<br />
wie auch das Sekretariat Ende Mai konstatieren musste. 94 Der Ausschuss hatte<br />
seit dem Verbot der Volksbefragung nur e<strong>in</strong>mal getagt, ohne dass es zu konkreten<br />
Beschlüssen zur Durchführung der Volksbefragung gekommen war. 95 E<strong>in</strong> Vertreter<br />
der <strong>KPD</strong> beim Bundes-Hauptausschuss monierte, dort sei der E<strong>in</strong>druck entstanden,<br />
»dass die Volksbefragung im Lande <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong>e Angelegenheit der Partei<br />
ist und das Bestehen des Landesausschusses von der Partei ignoriert wird«. 96 Der<br />
Geschäftsführer der Bremer Landesausschusses - <strong>KPD</strong>-Mitglied - hatte gar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Arbeitsplan »die Besprechungen der Partei und die Beschlüsse des Sekretariats<br />
wörtlich aufgeführt«. 97 Der Grund dafür, so das Sekretariat, läge <strong>in</strong> der bislang<br />
mangelnden Anleitung. Als Gegenmaßnahmen beschloss das Sekretariat zunächst<br />
nur e<strong>in</strong>e Empfehlung an den Landesausschuss, regelmäßig zu tagen, und stellte<br />
außerdem e<strong>in</strong>e Sekretär<strong>in</strong> zur Verfügung. 98 E<strong>in</strong>e Woche später beschäftigte sich die<br />
Parteileitung noch e<strong>in</strong>mal ausführlich mit der »Hauptschwäche« der Volksbefragung<br />
(»im Augenblick e<strong>in</strong>e Angelegenheit der Partei, ohne das die bestehenden<br />
Volksbefragungsausschüsse e<strong>in</strong>schließlich des Landesausschusses als Träger der<br />
Volksbefragung <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten«) und gab diesmal konkrete Anweisungen.<br />
U.a. sollte der Ausschuss vier Tage später zusammentreten und die Annahme e<strong>in</strong>es<br />
Arbeitsplanes sowie die Herausgabe e<strong>in</strong>e Kommuniqués über die bisherigen Er-<br />
91 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 4. Mai 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
92 Arbeitsanweisung für die Genossen Instrukteure, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
93 Vgl. Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S, 84; Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung<br />
im Widerstreit, a.a.O., S. 72.<br />
94 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 31. Mai 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
95 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landesausschusses für Volksbefragung [Anlage Protokoll der Sekretariatssitzung<br />
vom 25.6.1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
96 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 31. Mai 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
97 Ebenda.<br />
98 Ebenda.
Politik und Programmatik 165<br />
gebnisse der Volksbefragung beschließen. Kommuniqué und Arbeitsplan wurden<br />
von Sekretariatsmitgliedern und den verantwortlichen <strong>KPD</strong>-Mitgliedern im Landesausschuss<br />
ausgearbeitet. 99<br />
Der Landesausschuss tagte und veröffentlichte am 18. Juni 1951 das angesprochene<br />
Kommuniqué mit den bisherigen Ergebnissen der Volksbefragung. Danach<br />
hatten <strong>in</strong> den bis dah<strong>in</strong> fünf Wochen der Volksbefragung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> von 9.036 Befragten<br />
8.144 mit Ja und 253 mit Ne<strong>in</strong> gestimmt, 560 hatten sich enthalten, 79 Stimmen<br />
waren ungültig. 100<br />
<strong>Die</strong> weitgehende Inaktivität des Landesausschusses blieb trotz der vom Sekretariat<br />
beschlossenen Maßnahmen <strong>in</strong> der Folgezeit bestehen. Wo er aktiv wurde, handelte<br />
er nach Anweisungen des <strong>KPD</strong>-Sekretariats. Auch die personelle Zusammensetzung<br />
spiegelte die Beschränkung des Ausschusses auf den E<strong>in</strong>flussbereich der<br />
<strong>KPD</strong> wider, was diese durchaus kritisch bewertete. <strong>Die</strong> Zusammensetzung des<br />
Ausschusses, so der 2. Sekretär Willi Lietzau <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung Ende Juni 1951,<br />
sei »noch ungenügend«. Von den 22 Mitgliedern des Landesausschusses seien<br />
»ca. 50% Mitglied unserer Partei, e<strong>in</strong>ige Mitglieder der befreundeten Massen<strong>org</strong>anisationen,<br />
während nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger Teil wirklich außenstehender Menschen im Ausschuss beteiligt<br />
s<strong>in</strong>d. Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass die Arbeit fast ausschließlich von den Genossen<br />
bzw. den Mitgliedern der befreundeten Massen<strong>org</strong>anisationen geleistet wird, während die<br />
außenstehenden Menschen kaum für die Arbeit herangezogen werden, mit Ausnahme von 2<br />
oder 3 Mitgliedern. Dadurch, dass der Landesausschuss nicht regelmäßig getagt hat, liegt die<br />
Durchführung bis heute im wesentlichen <strong>in</strong> den Händen der Partei, so dass der Landesausschuss<br />
als Träger der Volksbefragung nicht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung getreten ist. Er hat demzufolge<br />
auch ke<strong>in</strong>e Autorität bei der Bevölkerung, da die Bevölkerung von dem Bestehen des Landeausschusses<br />
ke<strong>in</strong>e Kenntnis hat. <strong>Die</strong> Mitglieder des Landesausschusses treten nach außen h<strong>in</strong><br />
nicht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Es besteht e<strong>in</strong>e starke Tendenz, sich <strong>in</strong> völliger Illegalität zu verkriechen.«<br />
101<br />
Das Verbot der Volksbefragung und ihre Stigmatisierung als »kommunistische<br />
Umsturzaktion« hielt nichtkommunistische Kreise von e<strong>in</strong>er Beteiligung ab und<br />
war damit sicherlich e<strong>in</strong>e der Ursachen für die Beschränkung des Ausschusses -<br />
bzw. der ganzen Aktion - auf den Dunstkreis der <strong>KPD</strong>. <strong>Die</strong> Partei versuchte zwar,<br />
die Isolation zu überw<strong>in</strong>den, bestätigte aber gerade durch ihr starkes Engagement<br />
<strong>in</strong> der Volksbefragung und deren Kontrolle durch das Sekretariat die Behauptung<br />
e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong> kommunistischen Aktion. Ohne dieses Engagement wiederum waren<br />
nennenswerte und öffentlichkeitswirksame Proteste gegen die Wiederaufrüstung<br />
gar nicht möglich. »Das H<strong>in</strong>dernis für viele Leute, sich <strong>in</strong> der Friedensbewegung zu<br />
engagieren, war die Teilnahme von Kommunisten. Aber ohne Kommunisten hätte<br />
99 Protokoll der Sekretariatssitzung am 6. Juni 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
100 Ausschuss für Volksbefragung, Land <strong>Bremen</strong>: Kommuniqué!, abgedruckt <strong>in</strong> Re<strong>in</strong>hard Brockhofer, Aus der<br />
Zeit der Volksbefragungskampagne 1951, a.a.O., S. 173. Vgl. auch Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung<br />
im Widerstreit, a.a.O., S. 72.<br />
101 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landesausschusses für Volksbefragung [Anlage Protokoll der Sekretariatssitzung<br />
vom 25.6.1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.
166<br />
Politik und Programmatik<br />
es ke<strong>in</strong>e Bewegung gegeben.« 102 <strong>Die</strong>ses Dilemma wurde letztlich e<strong>in</strong> bestimmendes<br />
für die gesamte Friedenspolitik der Partei <strong>in</strong> der ersten Hälfte der 1950er Jahre, aus<br />
dem sie sich - selbst bei Aufgabe ihres <strong>in</strong>haltlichen und personellen Führungsanspruches<br />
- nicht befreien konnte.<br />
<strong>Die</strong> Volksbefragung lief noch e<strong>in</strong>ige Zeit weiter, stand aber ab August/September<br />
1951 zunehmend nicht mehr im Mittelpunkt der Parteiarbeit. Ab<br />
September 1951 war die Aktion im Landessekretariat nur noch e<strong>in</strong> Randthema.<br />
Damit war die Kampagne <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> faktisch beendet, auch wenn sie offiziell noch<br />
bis zum Frühjahr 1952 weiter lief. 103 E<strong>in</strong>e wesentliche politische Resonanz hatte sie<br />
nicht gefunden, dafür aber umso mehr Konsequenzen für das <strong>in</strong>nenpolitische Klima,<br />
»weil sie die ohneh<strong>in</strong> verbreiteten antikommunistischen Vorurteile langfristig<br />
verstärkte und <strong>in</strong>sbesondere den bürgerlichen Parteien e<strong>in</strong>en willkommenen Anlass<br />
zur Propagierung e<strong>in</strong>es ›roten‹ Bürgerschrecks bot, <strong>in</strong> dessen Nähe alle gegen<br />
die Wiederbewaffnungspolitik der Bundesregierung opponierenden Kräfte, vor allem<br />
pazifistische und neutralistische Gruppierungen, aber auch die Sozialdemokratie<br />
gerückt wurden«. 104 Nicht zufällig fielen auch die eilige Verabschiedung des 1.<br />
Strafrechtsänderungsgesetzes - das erhebliche Verschärfungen der politischen Straftatbestände<br />
vorsah und <strong>in</strong> der Folgezeit Grundlage der politischen Justiz gegen<br />
Kommunisten wurde - im Juli 1951 sowie das Verbot der FDJ (Juni 1951) genau <strong>in</strong><br />
die Zeit der Volksbefragung.<br />
Ähnlich groß angelegte Aktionen und Bündnisbemühungen der <strong>KPD</strong> gab es <strong>in</strong><br />
den folgenden Jahren nicht mehr. Mehr noch als die Volksbefragung war die praktische<br />
Politik der Partei ab 1952 nur noch e<strong>in</strong>e Reaktion auf die Schritte der West<strong>in</strong>tegration<br />
und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik sowie andererseits der<br />
Deutschlandpolitik von DDR und Sowjetunion.<br />
<strong>Die</strong> Vorschläge der Sowjetunion für e<strong>in</strong> neutrales Deutschland (die sogenannte<br />
»Stal<strong>in</strong>-Note«) vom 10. März 1952 führten <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> zu <strong>in</strong>tensiven Diskussionen,<br />
die vor allem die »militärischen Leitsätze« betrafen. Dar<strong>in</strong> hatte die Stal<strong>in</strong>-<br />
Note e<strong>in</strong>em wiedervere<strong>in</strong>igten und neutralen Deutschland ausdrücklich das Recht<br />
zugestanden, e<strong>in</strong>e eigene Armee aufzustellen. E<strong>in</strong> solches Postulat musste <strong>in</strong> der<br />
<strong>KPD</strong>- Mitgliedschaft zum<strong>in</strong>dest auf e<strong>in</strong>ige Verwirrung stoßen, nachdem man zuvor<br />
massiv gegen e<strong>in</strong>e Wiederbewaffnung Deutschlands agitiert und gearbeitet hatte.<br />
Im Sekretariat wurde das Problem wenige Tage nach Veröffentlichung der Note<br />
diskutiert. 105 Ulrich Konetzka, Zweiter Landessekretär und zu diesem Zeitpunkt<br />
wegen Abwesenheit Hermann Gautiers Leiter des Sekretariats, wies <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>gangsreferat<br />
auf die »politische Bedeutung« der Note h<strong>in</strong>, die der Partei und der<br />
102 So die E<strong>in</strong>schätzung Wilhelm Meyer-Buers, zit. nach Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />
a.a.O., S. 83.<br />
103 Im März 1952 veröffentlichte der Hauptausschuss die Ergebnisse der Volksbefragung. Demnach hatten<br />
von 6.267.302 »deutschen Männern, Frauen und Jugendlichen, die e<strong>in</strong>en Stimmzettel <strong>in</strong> die Urne warfen<br />
oder auf Versammlungen und Kundgebungen abstimmten«, 5.917.683 oder 94,41 Prozent mit Ja gestimmt<br />
(Denkschrift des Hauptausschusses für Volksbefragung [16. März 1952], <strong>in</strong>: Ge<strong>org</strong> Fülberth, Geschichte<br />
der Bundesrepublik <strong>in</strong> Quellen und Dokumenten, Köln 1982, S. 68f.).<br />
104 Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit, a.a.O., S. 73.<br />
105 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 13. März 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.
Politik und Programmatik 167<br />
Bevölkerung nun vermittelt werden müsse. Dass dabei gerade die Vorschläge für<br />
e<strong>in</strong>e eigene Armee Deutschlands Schwierigkeiten bereiten würden, war Konetzka<br />
klar:<br />
»Bei dem gegenwärtigen ideologischen Zustand unserer Organisation muss man damit rechnen,<br />
dass viele Genossen damit nicht <strong>in</strong>s Re<strong>in</strong>e kommen werden. Ich möchte sogar unterstellen,<br />
dass - krass gesagt - e<strong>in</strong>ige glauben werden, wir können jetzt gegen die Remilitarisierung<br />
nichts tun. Das wäre sehr gefährlich.« 106<br />
Konetzka schlug e<strong>in</strong>e Argumentation vor, die den Genossen und der Bevölkerung<br />
klarmachen sollte, »dass das nur e<strong>in</strong> Punkt von vielen ist«. Es käme darauf an,<br />
»dass alles im Zusammenhang zu sehen ist. Es ist e<strong>in</strong>e Tatsache, dass Deutschland<br />
gleichberechtigt wird und auch das Recht erhalten soll, e<strong>in</strong>e nationale Streitkraft<br />
aufzustellen. <strong>Die</strong>se werden dann e<strong>in</strong>e völlig andere Zielsetzung haben.« 107<br />
<strong>Die</strong>se Selbstverständlichkeit, mit der Konetzka von dem Recht auf e<strong>in</strong>e eigene<br />
Armee sprach, war nun <strong>in</strong> der Tat auch für die <strong>KPD</strong> neu, wurde aber von den meisten<br />
Sekretariatsmitgliedern übernommen. Man müsse »schnell unseren Genossen<br />
e<strong>in</strong>e Anleitung geben«, die fragen, »was sollen wir sagen, wo wir jetzt die Frage<br />
stellen Kampf gegen Wehrbeitrag und hier steht die Frage Aufstellung e<strong>in</strong>er eigenen<br />
Armee«. <strong>Die</strong> meisten Diskussionsbeiträge stellten die Leitsätze nicht <strong>in</strong> Frage<br />
und konzentrierten sich auf das Problem der Vermittlung an die Mitgliedschaft und<br />
die Bevölkerung. <strong>Die</strong> Begründung war ebenso simpel wie holprig: <strong>Die</strong> neue Armee<br />
werde »e<strong>in</strong>en anderen Charakter haben, sie wird den Charakter e<strong>in</strong>er Volksarmee<br />
tragen«. Als solche werde sie für e<strong>in</strong> demokratisches Deutschland »wie für die<br />
Volksdemokratien« unbed<strong>in</strong>gt notwendig se<strong>in</strong>, »weil es von kapitalistischen Ländern<br />
umgeben ist«. Lediglich Willy Meyer-Buer, Fraktionsvorsitzender <strong>in</strong> der Bürgerschaft,<br />
hatte Schwierigkeiten mit e<strong>in</strong>er derartigen Selbstverständlichkeit. Meyer-<br />
Buer hob die von der Sowjetunion v<strong>org</strong>eschlagene Souveränität Deutschlands als<br />
wesentlichen Punkt der Stal<strong>in</strong>-Note hervor und wollte die militärischen Leitsätze<br />
im Rahmen dieser Souveränität lediglich als »Kann-Formel« <strong>in</strong>terpretieren:<br />
»Ob wir als Kommunisten jetzt dieses Recht, e<strong>in</strong>e Verteidigungsarmee aufzustellen, zur<br />
Pflicht unserer politischen L<strong>in</strong>ie machen müssen, ist e<strong>in</strong>e andere Frage. Ich glaube, Genossen,<br />
dass wir aus dieser Note nicht ableiten sollen, <strong>in</strong> der Öffentlichkeit dafür zu plädieren, dass<br />
Deutschland e<strong>in</strong>e nationale Armee bekommen muss. Unsere Aufgabe ist es, jawohl, Deutschland<br />
hat e<strong>in</strong> Recht zum Aufbau e<strong>in</strong>er eigenen nationalen Armee. Wir können sagen, wir wollen<br />
von diesem Recht ke<strong>in</strong>en Gebrauch machen. <strong>Die</strong>ser Standpunkt muss bei der Klärung der<br />
militärischen Leitsätze <strong>in</strong> der Note mit berücksichtigt werden. Falsch wäre es, wenn wir jetzt<br />
die Forderung erheben, Deutschland muss jetzt unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e nationale Armee haben.« 108<br />
Meyer-Buer blieb mit dieser Ansicht im Sekretariat alle<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> übrigen Mitglieder<br />
lehnten se<strong>in</strong>e Interpretation ab und beharrten auf der Zwangsläufigkeit e<strong>in</strong>er<br />
eigenen Armee. E<strong>in</strong> anwesender Vertreter des Parteivorstands me<strong>in</strong>te, er würde<br />
nicht »die Kann-Formel setzen. Es ist notwendig, e<strong>in</strong>e eigene Streitmacht zu schaffen.<br />
Denn wenn die Besatzungstruppen abziehen, muss Deutschland selbst <strong>in</strong> der<br />
106 Ebenda.<br />
107 Ebenda.<br />
108 Ebenda.
168<br />
Politik und Programmatik<br />
Lage se<strong>in</strong>, se<strong>in</strong>e eigenen Interessen nach außen und <strong>in</strong>nen zu vertreten«. E<strong>in</strong>ige<br />
Wochen später schrieb e<strong>in</strong> SED-Instrukteur, die im Landessekretariat aufgetretenen<br />
»Unklarheiten über die militärischen Leitsätze« seien <strong>in</strong>zwischen geklärt worden.<br />
»Der Genosse Meyer-Buer hat e<strong>in</strong>gesehen, dass er <strong>in</strong> diesem Punkt e<strong>in</strong>e völlig falsche<br />
Stellung e<strong>in</strong>genommen hat.« 109<br />
Auch bei der Mitgliedschaft führte die Stal<strong>in</strong>-Note zu »ideologischen Unklarheiten«:<br />
»In Mitgliederversammlungen der Grund<strong>org</strong>anisationen [...] wurde <strong>in</strong> den Diskussionen oftmals<br />
die Frage der nationalen Streitkräfte losgelöst von den politischen und wirtschaftlichen<br />
Leitsätzen des sowjetischen Vorschlags behandelt. Man vertrat die Me<strong>in</strong>ung, dass für uns die<br />
Frage der nationalen Streitkräfte von untergeordneter Bedeutung sei, und das deutsche Volk<br />
beim Abschluss e<strong>in</strong>es Friedensvertrages selbst entscheiden müsse, ob eigene Streitkräfte aufzustellen<br />
s<strong>in</strong>d oder nicht. Es wird nicht nur der demokratische Charakter e<strong>in</strong>er solchen Verteidigungsmacht<br />
verkannt, sondern man begreift auch nicht, dass eigene nationale Streitkräfte<br />
zur vollen Souveränität des deutschen Staates gehören.« 110<br />
<strong>Die</strong>se Diskussionen blieben allerd<strong>in</strong>gs weitgehend <strong>in</strong>tern, nach außen entfaltete<br />
die Partei zahlreiche Aktivitäten zur Popularisierung der Stal<strong>in</strong>-Note (Flugblattverteilung,<br />
Mitgliederversammlungen, »Stellungnahmen von Persönlichkeiten«, Bürgerschaftsdebatte,<br />
Kundgebungen etc.). Trotz vergleichsweise günstiger Bed<strong>in</strong>gungen<br />
- die Stal<strong>in</strong>-Note hatte große Resonanz <strong>in</strong> Politik, Medien und Bevölkerung,<br />
und die schnelle Ablehnung durch die Westmächte stieß auf Unverständnis - 111<br />
konnte die <strong>KPD</strong> die öffentliche Diskussion der Vorschläge kaum für sich nutzen.<br />
Das galt auch für die Debatte um den EVG- und den Deutschland-Vertrag, deren<br />
Unterzeichnung Ende Mai 1952 die West<strong>in</strong>tegration und die Wiederbewaffnung<br />
der BRD festschrieb. <strong>Die</strong> Aktionen gegen den - im <strong>KPD</strong>-Jargon - »Generalkriegsvertrag«<br />
begannen Anfang Mai 1952 nach e<strong>in</strong>er Parteivorstandsvortagung 112<br />
und konzentrierten sich vor allem auf die Betriebe. In den vorangegangenen Direktiven<br />
des Parteivorstands war die Rede von »Auslösung von Massenstreiks und nationalen<br />
Kundgebungen gegen den Generalvertrag« gewesen. 113 <strong>Die</strong> Realisierung<br />
derartiger Ziele war illusorisch, zumal angesichts der Kürze der verbleibenden Zeit<br />
bis zur - zu diesem Zeitpunkt bereits absehbaren - Unterzeichnung der EVG-<br />
Verträge Ende Mai 1952. Es kam zu diversen Aktionen, die allerd<strong>in</strong>gs weniger <strong>in</strong>,<br />
als vielmehr vor den Betrieben von Mitgliedern der Parteileitung und der Bürgerschaftsfraktion<br />
ausgelöst wurden. <strong>Die</strong> angestrebte Entwicklung von »Massenaktio-<br />
109 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 18.3. bis 9.4.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13. Meyer-Buer vermied allerd<strong>in</strong>gs z.B.<br />
<strong>in</strong> der Bürgerschaftsdebatte zur Stal<strong>in</strong>-Note am 9. April 1952 die Erwähnung der militärischen Leitsätze<br />
völlig (Bürgerschaftsprotokolle, 9. April 1952, S. 214f.).<br />
110 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 18.3. bis 9.4.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
111 Vgl. zu den Reaktionen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und der SPD - die auch unter dem E<strong>in</strong>druck der Stal<strong>in</strong>-Note ihre Politik<br />
h<strong>in</strong>sichtlich der Wiedervere<strong>in</strong>igung modifizierte - Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />
a.a.O., S. 100f.; Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit, a.a.O., S. 65ff.<br />
112 Vgl. Kommuniqué der 4. Tagung des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong> und E<strong>in</strong>igt Euch <strong>in</strong> der Stunde der Entscheidung,<br />
<strong>in</strong>: Dokumente der Kommunistischen Partei Deutschlands <strong>1945</strong>-1956, a.a.O., S. 309ff.<br />
113 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 3.5.52 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.
Politik und Programmatik 169<br />
nen und Massenstreiks« 114 gelang nicht, die Parteibasis wurde überhaupt nicht aktiv,<br />
und selbst im Sekretariat wurde die Bedeutung der Verh<strong>in</strong>derung des Vertrages<br />
von Ulrich Konetzka zwar immer wieder betont, <strong>in</strong> den Diskussionen und Beschlüssen<br />
aber eher halbherzig behandelt. In der Woche der Unterzeichnung der<br />
Verträge (26./27. Juli 1952) musste der kommissarische Erste Sekretär feststellen,<br />
»dass an Auslösung von Aktionen gegen den Generalkriegsvertrag sehr wenig <strong>in</strong><br />
unserem Land erfolgt ist. Man muss zur Schlussfolgerung kommen, dass unsere<br />
Partei den Ernst der Situation sehr stark unterschätzt.« Man müsse nun »<strong>in</strong> dieser<br />
Woche die Hauptkräfte e<strong>in</strong>setzen, um Aktionen zu <strong>org</strong>anisieren. <strong>Die</strong> entscheidende<br />
Rolle müssen wir dar<strong>in</strong> erblicken, mit den Mitgliedern der SPD geme<strong>in</strong>sam vorzugehen.«<br />
115<br />
Wenigstens <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht hatte die Partei e<strong>in</strong>en Erfolg zu verzeichnen. <strong>Die</strong><br />
Bremische Bürgerschaft verabschiedete am 21. Mai 1952 mit den Stimmen von <strong>KPD</strong><br />
und SPD sowie BHE und SRP e<strong>in</strong>en von Wilhelm Meyer-Buer e<strong>in</strong>gebrachten Dr<strong>in</strong>glichkeitsantrag,<br />
<strong>in</strong> dem das Parlament gegen die geplante Unterzeichnung des<br />
Deutschlandvertrages protestierte. Das war e<strong>in</strong> zum<strong>in</strong>dest propagandistisch großer<br />
Erfolg für die <strong>KPD</strong>: E<strong>in</strong> bundesdeutsches Länderparlament protestierte gegen den<br />
Deutschlandvertrag, e<strong>in</strong>gebracht hatten den Antrag die Kommunisten, und verabschiedet<br />
wurde er mit den Stimmen SPD als Regierungspartei. Dementsprechend<br />
fand der Bürgerschaftsbeschluss großes, auch <strong>in</strong>ternationales Echo und Aufsehen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> selbst war von diesem Erfolg außerordentlich überrascht, wie Ulrich Konetzka<br />
später vor dem Parteivorstand zugab:<br />
»<strong>Die</strong>ser Antrag ist nicht zum Landessekretariat vorbereitet worden. Er ist mehr oder weniger<br />
von den Genossen unserer Fraktion noch <strong>in</strong> letzter M<strong>in</strong>ute zusammengestellt worden. Dann<br />
hat sich gezeigt, dass unsere Genossen <strong>in</strong> der Fraktion überrascht waren von der Dr<strong>in</strong>glichkeit<br />
über die Behandlung des Antrages und noch mehr überrascht gewesen s<strong>in</strong>d davon, dass er<br />
mit e<strong>in</strong>er 2/3 Mehrheit durchgekommen ist.« 116<br />
Sei es wegen dieser Überraschung oder e<strong>in</strong>er generellen Ger<strong>in</strong>gschätzung des<br />
Parlaments <strong>in</strong> der Partei, wie Wilhelm Meyer-Buer me<strong>in</strong>t117: <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> verwertete<br />
diesen zum<strong>in</strong>dest propagandistischen und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wirkung alle anderen Aktionen<br />
gegen den Generalvertrag weit übertreffenden Erfolg überhaupt nicht. Das Echo<br />
war sogar <strong>in</strong> den bürgerlichen Medien größer als <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie,<br />
und im Sekretariat wurde der Beschluss <strong>in</strong> der Folgezeit nicht behandelt.<br />
Nach der Unterzeichnung der Verträge versuchte die Parteileitung die Aktionen<br />
dagegen weiterzuführen und der befürchteten Resignation entgegenzutreten. »Ich<br />
glaube«, so He<strong>in</strong>rich Schramm, »jedem von uns war wohl klar, dass es uns nicht gel<strong>in</strong>gen<br />
würde, die Unterzeichnung des Generalvertrages zu verh<strong>in</strong>dern. Es werden<br />
jetzt Me<strong>in</strong>ungen auftreten, nicht nur <strong>in</strong> der Partei, sondern auch <strong>in</strong> anderen Kreisen,<br />
jetzt ist er unterzeichnet, jetzt kann man nichts mehr ändern.« Man müsse, so die<br />
114 Politischer Wochenbericht des Sekretariats der LL vom 17. bis 23. Mai 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
115 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 21. Mai 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
116 Stenographische Niederschrift der 5. Parteivorstandstagung der Kommunistischen Partei Deutschlands <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>,<br />
im Kulturhaus Oberspree am Montag, dem 14. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/239.<br />
117 Interview Meyer-Buer, 2.
170<br />
Politik und Programmatik<br />
e<strong>in</strong>hellige Me<strong>in</strong>ung im Sekretariat. »jetzt erst recht den Kampf gegen diesen<br />
Schandvertrag verstärkt fortführen.« 118<br />
<strong>Die</strong>se »Jetzt-erst-recht«-Haltung konnte freilich nicht verdecken, dass die Unterzeichnung<br />
des EVG- und Deutschlandvertrages - obwohl sie später wegen der<br />
Nicht-Ratifizierung durch das französische Parlament nicht <strong>in</strong> Kraft traten - e<strong>in</strong>en<br />
wichtigen Meilenste<strong>in</strong> der West<strong>in</strong>tegration der Bundesrepublik markierten und<br />
damit auch e<strong>in</strong>e Niederlage für die <strong>KPD</strong> darstellten. Das Ergebnis der Bundestagswahlen<br />
von 1953 bestätigte diese Niederlage.<br />
<strong>Die</strong> Wahlen am 6. September 1953 brachten den Regierungsparteien mehr als<br />
zwei Drittel der Mandate, die CDU verfehlte nur äußerst knapp die absolute Mehrheit.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> erhielt lediglich 2,2 Prozent der Stimmen (absolut: 607.761) und kam<br />
aufgrund der kurz zuvor beschlossenen 5-Prozent-Klausel nicht wieder <strong>in</strong> den<br />
Bundestag. <strong>Die</strong> Partei hatte im Vergleich zu 1949 über 55 Prozent Wählerstimmen<br />
verloren. In <strong>Bremen</strong> verlor die <strong>KPD</strong> zwar auch fast 7.000 Stimmen (1949: 20.530,<br />
1953: 13.885), lag aber mit e<strong>in</strong>em Anteil von 3,9 Prozent weit über dem Bundesdurchschnitt.<br />
<strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong> konnte damit das beste Ergebnis aller Landes<strong>org</strong>anisationen<br />
erzielen 119 und auch der Stimmenverlust im Vergleich zu 1949 lag mit 32<br />
Prozent weit unter dem Bundesdurchschnitt. »E<strong>in</strong>e vergleichbare Konstanz konnte<br />
die Partei sonst nirgendwo vorweisen.« 120<br />
<strong>Die</strong> Reaktion auf das Ergebnis war <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> verhalten, e<strong>in</strong>e weitergehende<br />
Analyse erfolgte nicht. <strong>Die</strong> Sekretariatsmitglieder sprachen e<strong>in</strong>hellig von e<strong>in</strong>er<br />
»Niederlage« und berichteten von Mitgliederversammlungen, <strong>in</strong> denen das<br />
schlechte Ergebnis vere<strong>in</strong>zelt auf die kritiklose Verteidigung der Sowjetunion und<br />
der DDR zurückgeführt worden war. 121 <strong>Die</strong> Erklärung, die Hermann Gautier im<br />
Namen der Landesleitung zwei Wochen später an die Mitgliedschaft richtete, war<br />
kurz gehalten und versuchte <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie, der Resignation entgegen zu wirken.<br />
»<strong>Die</strong> Millionen Wähler, die Adenauer ihre Stimme gaben« hätten ke<strong>in</strong>eswegs den<br />
Krieg gewollt, »im Gegenteil: alle wollten den Frieden«. Und weiter:<br />
»<strong>Die</strong>se Millionen Wähler glaubten den heuchlerischen Friedensparolen Adenauers mehr als<br />
unseren aufklärerischen Worten, die die Wahrheit verkünden [...]. Sehr bald wird sich bei ihnen<br />
e<strong>in</strong>e große Enttäuschung e<strong>in</strong>stellen und die Erkenntnis durchsetzen, dass ihre Wahl am 6.<br />
September e<strong>in</strong>e Fehlentscheidung gewesen ist.«<br />
Gerade deshalb dürfe man jetzt <strong>in</strong> dem »Kampf für unsere gerechte Sache«<br />
nicht nachlassen, »alle Voraussetzungen für große Erfolge s<strong>in</strong>d gegeben. Es kommt<br />
nur darauf an, dass wir uns fest zusammenschließen, uns um die Führung der Partei<br />
scharen und mutig vorwärts schreiten, dann wird der Sieg unser se<strong>in</strong>!« 122<br />
118 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 29. Mai 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
119 Nahezu alle anderen Länder lagen im 2-Prozent-Bereich, <strong>in</strong> den ländlich geprägten Bayern, Niedersachsen<br />
und Schleswig-Holste<strong>in</strong> waren es nur zwischen 1,1 und 1,6 Prozent. Lediglich Hamburg wies<br />
mit 3,8 Prozent für die <strong>KPD</strong> ähnliche Stimmenanteile wie <strong>Bremen</strong> auf.<br />
120 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1765.<br />
121 Protokoll der LSS am 8. September 1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
122 Erklärung der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong>, Tribüne der Demokratie 21. September 1953.
Politik und Programmatik 171<br />
<strong>Die</strong> Wahlen hatten gezeigt, dass die <strong>KPD</strong> weitgehend isoliert war, wenn auch <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> nicht so drastisch wie anderswo. <strong>Die</strong> Mitgliedschaft hatte diese Isolation im<br />
Wahlkampf zu spüren bekommen und sich bereits weitgehend vom E<strong>in</strong>satz für die<br />
Partei zurückgezogen. Nur etwa 15 Prozent der Parteimitglieder, monierte e<strong>in</strong> Instrukteur,<br />
hatten sich an dem Wahlkampf beteiligt, »e<strong>in</strong>en hohen Prozentsatz machten<br />
dabei die e<strong>in</strong>gesetzten Instrukteure und hauptamtlichen Kräfte aus.« Vor allem<br />
der Diskussion mit der Bevölkerung seien die Mitglieder ausgewichen.<br />
»Alle Genossen der Grunde<strong>in</strong>heiten, mit denen über die Bedeutung unseres Wahlkampfes gesprochen<br />
wurde, waren zu Arbeiten bereit wie Flugblattverteilung, Plakatkleben usw., aber<br />
nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger Teil zur mündlichen Agitation. Teile unserer Genossen schreckten vor der<br />
Aussprache mit der Bevölkerung zurück« 123<br />
<strong>Die</strong> nach der Bundestagswahl allmählich e<strong>in</strong>setzenden programmatischen Modifizierungen<br />
der <strong>KPD</strong> machten sich auf lokaler Ebene ab etwa 1954 vor allem bemerkbar<br />
durch e<strong>in</strong>e verstärkte Konzentration auf die Kommunalpolitik, die bis dah<strong>in</strong><br />
entweder weitgehend ignoriert oder aber nur im Zusammenhang mit deutschlandpolitischen<br />
Fragestellungen behandelt worden war. E<strong>in</strong>e glänzende Gelegenheit<br />
für e<strong>in</strong>e gewissermaßen gleichberechtigte Verb<strong>in</strong>dung beider Thematiken bot<br />
sich der Partei mit der Affäre um Landbeschlagnahmungen für US-amerikanische<br />
Wohnungsbauten <strong>in</strong> Bremerhaven.<br />
Das Gelände der Wohnsiedlung »Großer Bl<strong>in</strong>k« war im Mai 1954 durch die US-<br />
Armee im E<strong>in</strong>vernehmen mit dem Bremer Senat sowie der Bremerhavener Stadtverwaltung<br />
beschlagnahmt worden, um dort Bauten für Familienangehörige der<br />
Besatzungsmacht zu errichten. <strong>Die</strong> Bewohner der Siedlung erhielten entsprechende<br />
Schreiben und wurden aufgefordert, die Gebäude und Grundstücke unverzüglich<br />
zu räumen. 124 Der Protest gegen die Beschlagnahmungen wurde zunächst von der<br />
rechtskonservativen Deutschen Partei (DP) <strong>org</strong>anisiert, die am 19. Mai 1954 e<strong>in</strong>e<br />
Protestversammlung mit den Bewohnern des Großen Bl<strong>in</strong>k abhielt. Zwei Tage später<br />
schalteten sich die Bremer SPD-Bundestagsabgeordneten Philipp Wehr, Siegfried<br />
Bärsch und Hermann Hans<strong>in</strong>g mit e<strong>in</strong>er Kle<strong>in</strong>en Anfrage im Bundestag e<strong>in</strong><br />
und forderten die Verh<strong>in</strong>derung der Beschlagnahmungen. 125<br />
Auch die <strong>KPD</strong> wurde schnell aktiv. Bereits vor der Zustellung der Requisitionsbescheide<br />
hatte die Tribüne der Demokratie über die geplanten Beschlagnahmungen<br />
berichtet, 126 und am 19. Mai 1954 rief die Zeitung zum Widerstand gegen den<br />
»Landraub« auf 127. <strong>Die</strong> Kreisleitung Bremerhaven veröffentlichte am 18. Mai 1954<br />
das erste Flugblatt und rief die Bremerhavener Bevölkerung auf, »alle Maßnahmen<br />
zu ergreifen, die diese Beschlagnahme unmöglich machen«. 128 In den folgenden<br />
123 Land: <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />
124 Zur Affäre um den »Großen Bl<strong>in</strong>k« siehe ausführlich Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />
a.a.O., S. 117ff., hier S. 117.<br />
125 Ebenda, S. 117f.<br />
126 Schlaflose Nächte am »Großen Bl<strong>in</strong>k«, Tribüne der Demokratie, 8./9. Mai 1954.<br />
127 S<strong>in</strong>d die Bewohner am »Großen Bl<strong>in</strong>k« vogelfrei?, Tribüne der Demokratie, 19. Mai 1954.<br />
128 Landbeschlagnahmungen am »Großen Bl<strong>in</strong>k« und am »Gelben Sand«. Erklärung der Kreisleitung der K.P.D.,<br />
Flugblatt, 18.5.1954 (Privatarchiv Hermann Gautier).
172<br />
Politik und Programmatik<br />
Wochen engagierte sich die Kreisleitung weiter, 129 und auch die Tribüne der Demokratie<br />
berichtete <strong>in</strong>tensiv. E<strong>in</strong>fluss auf die Bewohner erlangen oder gar die Bremerhavener<br />
Bevölkerung zum Widerstand mobilisieren konnte die <strong>KPD</strong> nicht. Bis etwa<br />
Mitte Juli 1954 gab es kaum Protest- oder Widerstandsaktionen am »Großen Bl<strong>in</strong>k«.<br />
<strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung fand zunächst auf parlamentarischer und auf Verwaltungsebene<br />
statt. Der Bremerhavener Magistrat hatte bereits am 22. Mai 1954 se<strong>in</strong>e<br />
Zustimmung zu den Beschlagnahmungen rückgängig gemacht und führte erneut<br />
Verhandlungen mit dem Bundesf<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isterium und der US-Militärverwaltung,<br />
die jedoch erfolglos blieben. 130 Am 30. Juni 1954 debattierte die Bremische Bürgerschaft<br />
über zwei Anträge der <strong>KPD</strong> und der DP gegen die Beschlagnahmungen, die<br />
beide abgelehnt wurden. 131 Am 14. Juli 1954 wurde das Thema »Großer Bl<strong>in</strong>k« auf<br />
Antrag des Bremer DP-Abgeordneten Herbert Schneider sowie des SPD-<br />
Abgeordneten Philipp Wehr auch im Bundestag behandelt. 132<br />
Auch wegen der quer durch alle Parteien gehenden Ablehnung der Beschlagnahmungen<br />
gelang es der <strong>KPD</strong> nicht, entscheidenden E<strong>in</strong>fluss auf die Debatte zu<br />
erlangen. <strong>Die</strong> Bewohner des »Großen Bl<strong>in</strong>k« selbst grenzten sich von der <strong>KPD</strong> ab,<br />
sprachen von »kommunistischen Aufrührern« und schlossen auf Versammlungen<br />
Kommunisten aus. 133 <strong>Die</strong> Me<strong>in</strong>ungsführerschaft <strong>in</strong> der öffentlichen Debatte wie unter<br />
den Bewohnern hatte zunächst die DP mit ihrem Bundestagsabgeordneten Herbert<br />
Schneider an der Spitze, wie auch <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>-Landesleitung konstatiert werden<br />
musste. 134<br />
<strong>Die</strong> erste Gelegenheit, sich an die Spitze des bis dah<strong>in</strong> von den Bewohnern nur<br />
wenig <strong>org</strong>anisierten Widerstand zu setzen, bot sich der <strong>KPD</strong>, als am 10. Juli 1954<br />
die ersten Häuser am Großen Bl<strong>in</strong>k abgerissen werden sollten. Etwa 200 bis 300<br />
E<strong>in</strong>wohner (nach Darstellung der <strong>KPD</strong>) und e<strong>in</strong>ige kommunistische Stadtverordnete<br />
und Bürgerschaftsabgeordnete verh<strong>in</strong>derten den Baubeg<strong>in</strong>n. 135 Faktisch waren es<br />
wohl die vier <strong>KPD</strong>-Abgeordneten Maria Krüger, Erw<strong>in</strong> Schmidt (beide MdBB), Karl<br />
Trischmann und He<strong>in</strong>z R<strong>in</strong>ner (Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven), die<br />
die Initiative ergriffen, sich vor die Bagger setzten und damit die E<strong>in</strong>stellung der<br />
Bauarbeiten erzwangen. 136 <strong>Die</strong>s war e<strong>in</strong> erster Erfolg für die Bewohner wie auch<br />
für die <strong>KPD</strong>, die sich nun als »Spitze des Widerstands« darstellen konnte.<br />
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich Landesleitung und -sekretariat kaum <strong>in</strong> der<br />
Thematik »Großer Bl<strong>in</strong>k« engagiert. Auch während der Aktion am 10. Juli war ke<strong>in</strong><br />
Vertreter des Sekretariats anwesend. Maria Krüger schilderte die Ereignisse später<br />
so:<br />
129 Flugblätter der <strong>KPD</strong>-Kreisleitung <strong>in</strong> Privatarchiv Hermann Gautier.<br />
130 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 118.<br />
131 Ebenda, S. 118f.<br />
132 Ebenda, S. 119f.<br />
133 Ebenda, S. 122f.<br />
134 Protokoll der Landesleitungssitzung am 24.7.1954 <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.<br />
135 Bagger am Großen Bl<strong>in</strong>k gestoppt, Tribüne der Demokratie, 12. Juli 1954.<br />
136 Ebenda. Maria Krüger gab später <strong>in</strong> der Landesleitung e<strong>in</strong>e ähnliche Darstellung (Protokoll der Landesleitungssitzung<br />
am 24.7.1954 <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3).
Politik und Programmatik 173<br />
»<strong>Die</strong> jetzige Haltung der Bewohner am Bl<strong>in</strong>k zeigt, dass der Widerstandswille der Bl<strong>in</strong>k-<br />
Bewohner doch tiefer war, als wir es annahmen. Unverständlich ist es, dass trotzdem der Partei<br />
bekannt war, dass am 10. Juli die Räumungsarbeiten beg<strong>in</strong>nen sollten, der Gen. Meyer-<br />
Buer <strong>in</strong> Urlaub fuhr und Karl S.[<strong>in</strong>ger] 137 auf e<strong>in</strong>er Sitzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> weilte. Ich bekam den<br />
Auftrag, mich sofort zum Großen Bl<strong>in</strong>k zu begeben. Ich g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> dem Glauben, dass das Kreis-<br />
Sekr. wusste, was zu tun sei. Es war aber so, dass ke<strong>in</strong>er sich darauf vorbereitet hatte. Der Zustand<br />
war der, dass am M<strong>org</strong>en des 10. Juli der Bagger zu arbeiten begann und praktisch nur<br />
der Gen. Erw<strong>in</strong> Sch.[midt], Karl Tr.[ischmann] und Maria selbst vor dem Bagger standen.<br />
Daraus zeigt sich, dass das Landes-Sekr. die ganze Angelegenheit Bl<strong>in</strong>k unterschätzte. Nach<br />
mehrmaligen Anrufen des Gen. 2. Kreis-Sekr. erschien dann abends erst der Gen. 1. L.-<br />
Sekr.« 138<br />
Erst jetzt, nach der ersten Widerstandsaktion, beschäftigte sich auch das Sekretariat<br />
näher mit dem »Großen Bl<strong>in</strong>k«. Im Zentrum stand dabei wieder e<strong>in</strong> altes<br />
Problem: die Mobilisierung der Bevölkerung und der eigenen Partei. <strong>Die</strong> Abbrucharbeiten<br />
am 10. Juli hatten ke<strong>in</strong>eswegs die ganze Stadt <strong>in</strong> Alarmbereitschaft versetzt,<br />
wie die Tribüne der Demokratie zuvor gefordert hatte, 139 und auch die <strong>KPD</strong><br />
selbst war nur mit den wenigen Abgeordneten an der Widerstandsaktion beteiligt<br />
gewesen. »Man kann nicht davon sprechen«, so das treffende Fazit von Hermann<br />
Gautier im Sekretariat, »dass wir <strong>in</strong> Bremerhaven die Bevölkerung <strong>in</strong> Bewegung<br />
gebracht haben, um zu verh<strong>in</strong>dern, dass der Ami das Gelände beschlagnahmt.« 140<br />
<strong>Die</strong> Kritik des Sekretariats richtete sich vor allem gegen die Mitglieder und das<br />
Kreissekretariat <strong>in</strong> Bremerhaven. Gautier hatte bereits auf e<strong>in</strong>er LL-Tagung Ende<br />
Juni 1954 das »Zurückweichen unserer Partei« vor den antikommunistischen E<strong>in</strong>stellungen<br />
der Bl<strong>in</strong>k-Bewohner kritisiert, das dazu geführt habe, »dass es der Deutschen<br />
Partei wenigstens zum Teil gelungen ist, die Initiative zu ergreifen und sich<br />
als Beschützer der von der Landbeschlagnahme bedrohten Bevölkerung aufzuspielen«.<br />
141 E<strong>in</strong>en Monat später warf der Zweite Sekretär Ulrich Konetzka der Parteileitung<br />
<strong>in</strong> Bremerhaven erneut die mangelnde Mobilisierung der Mitgliedschaft vor.<br />
Zwar stünde der »Kampf der Bevölkerung« mittlerweile »<strong>in</strong> der Tat unter der Führung<br />
der Partei«, aber:<br />
»Es gibt noch e<strong>in</strong>e große Schwäche der Partei <strong>in</strong> Bremerhaven. Es waren nur wenige Genossen<br />
am Großen Bl<strong>in</strong>k, die dort entscheidende Arbeit leisteten. <strong>Die</strong> Partei ist <strong>in</strong> diesem Widerstandskampf<br />
nicht wirklich mobilisiert worden. <strong>Die</strong> Masse der Partei steht abseits. Erst <strong>in</strong> der<br />
<strong>in</strong> der vergangenen Woche fasste das Kreis-Sekr. mit Unterstützung der LL den Beschluss, <strong>in</strong><br />
allen Grunde<strong>in</strong>heiten Mitgliedervers. stattf<strong>in</strong>den [zu lassen], um alle Genossen für diesen<br />
Kampf zu aktivieren.« 142<br />
E<strong>in</strong>ige von der Mitgliedschaft für das fehlende Engagement v<strong>org</strong>ebrachte<br />
Gründe nannte Hermann Gautier später auf e<strong>in</strong>er Tagung des Parteivorstands.<br />
137 S<strong>in</strong>ger war 1. Kreissekretär der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Bremerhaven.<br />
138 Protokoll der Landesleitungssitzung am 24.7.1954 <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.<br />
139 Ab Sonnabend nacht Alarmbereitschaft, Tribüne der Demokratie, 7. Juli 1954.<br />
140 Protokoll der LSS v. 13.7.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
141 Unsere Grundforderung: Besatzung raus!, Tribüne der Demokratie, 19. Juli 1954.<br />
142 Protokoll der Landesleitungssitzung vom 24.7. 1954 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.
174<br />
Politik und Programmatik<br />
»Es gab beispielsweise solche Auffassungen, dass man mit den Menschen dort am Großen<br />
Bl<strong>in</strong>k nicht kämpfen könne, dass das alles ehemalige Nationalsozialisten seien, Leute, die dem<br />
Bürgertum angehören, die irgendwie religiöse Fanatiker s<strong>in</strong>d. Es gab beispielsweise dort e<strong>in</strong>en<br />
Ausschussvorsitzenden der Bibelforscher. 143 [...]. Es hat zunächst auch e<strong>in</strong>ige Schwächen<br />
<strong>in</strong> der Beziehung gegeben, dass die Parteileitung <strong>in</strong> Bremerhaven trotz unserer Diskussionen<br />
vom LS aus nicht bereit war, e<strong>in</strong>e eigene Versammlung oder Kundgebung durchzuführen,<br />
und dass es sogar solche Tendenzen gab, weil die Partei dort auch <strong>in</strong> den Jahren nach <strong>1945</strong><br />
sich nie hat sehen lassen, dass es z.T. e<strong>in</strong>e Ablehnung unserer Partei gab. Es gab solch e<strong>in</strong>e<br />
Stimmung, dass wir dort nicht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten könnten, weil die Menschen uns sofort<br />
ablehnen würden, wenn wir als Kommunisten für sie e<strong>in</strong>treten.« 144<br />
Im weiteren Verlauf der Affäre versuchte das Sekretariat vor allem, die Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
<strong>in</strong> den Zusammenhang mit ihrer nationalen Politik zu stellen und<br />
sie als Aktion gegen den EVG-Vertrag zu werten und zu nutzen. <strong>Die</strong> Kreisleitung<br />
Bremerhaven hatte <strong>in</strong> ihren ersten Flugblättern sofort diesen Zusammenhang hergestellt,<br />
ihn jedoch nicht <strong>in</strong> den Vordergrund gerückt und außerdem nationalistische<br />
Phrasen weitgehend vermieden - wohl auch, um den unter den Bewohnern<br />
verbreiteten Verdacht der parteipolitischen Instrumentalisierung von vornhere<strong>in</strong> zu<br />
vermeiden. Dem Landessekretariat g<strong>in</strong>g dies nicht weit genug. Es sei »völlig unverständlich«,<br />
so Hermann Gautier <strong>in</strong> der Landesleitung, »wenn über e<strong>in</strong>e längere<br />
Zeitspanne, nachdem die Bewegung im Gang ist, das Kreis-Sekretariat nach wie vor<br />
der Auffassung war, man darf den Menschen den Zusammenhang der Landbeschlagnahme<br />
mit der EVG-Politik nicht aufzeigen«. 145 Ulrich Konetzka brachte die<br />
L<strong>in</strong>ie des Sekretariats auf den Punkt: »Der Kampf am Bl<strong>in</strong>k kann nicht auf der Stufe<br />
des gegenwärtigen Widerstandskampfes stehen bleiben, es muss e<strong>in</strong>e bewusste Aktion<br />
gegen die EVG werden«. 146<br />
Im Zentrum der Diskussionen mit dem Kreissekretariat Bremerhaven stand die<br />
Forderung des Landessekretariats, den Widerstand am Großen Bl<strong>in</strong>k für die Durchführung<br />
der sogenannten »Volksabstimmung« zu nutzen. <strong>Die</strong> Unterschriftensammlung<br />
war im März 1954 gestartet worden und war - <strong>in</strong> Anlehnung an die Volksbefragung<br />
von 1951 - e<strong>in</strong> weiterer Versuch der <strong>KPD</strong> zur Entwicklung außenparlamentarischer<br />
Aktionen und Bewegungen gegen die EVG-Verträge. <strong>Die</strong> Aktion fand<br />
kaum öffentliche Resonanz, und die <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft engagierte sich nur wenig.<br />
Man sei <strong>in</strong> drei Monaten »über die Abstimmung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Straßenzügen sowie<br />
Versammlungen und anderen Veranstaltungen nicht h<strong>in</strong>ausgekommen«, schrieb<br />
e<strong>in</strong> Instrukteur im Juli 1954. 147<br />
Das Sekretariat sah nun die Aktionen am Bl<strong>in</strong>k als glänzende Gelegenheit zur<br />
Durchführung der Volksabstimmung, wogegen sich das Kreissekretariat Bremerhaven<br />
aber offenbar sperrte. Der Widerstand der Bl<strong>in</strong>k-Bewohner, so Hermann<br />
143 Sprecher der »Notgeme<strong>in</strong>schaft Bl<strong>in</strong>k« war der Architekt Wett<strong>in</strong> Müller. Müller war Anhänger der<br />
Zeugen Jehovas.<br />
144 Stenographische Niederschrift der 15. Parteivorstands-Sitzung der Kommunistischen Partei Deutschlands am<br />
19. August 1954, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/240.<br />
145 Unsere Grundforderung: Besatzung raus!, Tribüne der Demokratie, 19. Juli 1954.<br />
146 Protokoll der LSS v. 3.8.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
147 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 17.6. bis 14.7.1954, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.
Politik und Programmatik 175<br />
Gautier bereits im Juni 1954, zeige »die großen Möglichkeiten, dort erfolgreich die<br />
Hauptaufgabe der Partei, die Durchführung der Volksabstimmung <strong>in</strong> Angriff zu<br />
nehmen. Trotz der laufenden Diskussionen mit dem Kreis-Sekretariat <strong>in</strong> Bremerhaven<br />
ist bis jetzt die Volksabstimmung nicht durchgeführt«. 148 Wie sich das Sekretariat<br />
diese Durchführung vorstellte, schilderte Ulrich Konetzka am Beispiel der Aktionen<br />
vom 10. Juli 1954:<br />
»Der Genosse Karl S<strong>in</strong>ger hatte mit e<strong>in</strong>em Polizeioffizier e<strong>in</strong>e ziemlich heftige Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
während der Aktion zur Verh<strong>in</strong>derung der Baggerarbeiten. Viele Bewohner des großen<br />
Bl<strong>in</strong>k standen dabei und stimmten der Argumentation des Gen. Karl demonstrativ zu. In<br />
diesem Kreis wäre es unserer Me<strong>in</strong>ung nach möglich und notwendig gewesen, e<strong>in</strong>e Volksabstimmung<br />
durchzuführen. Der Gen. Karl, der sich hier im großen und ganzen prächtig geschlagen<br />
hat, kam jedoch gar nicht auf diesen Gedanken.« 149<br />
E<strong>in</strong>e »Volksabstimmung«, d.h. die Instrumentalisierung, gelang auch nicht,<br />
nachdem der Konflikt am Großen Bl<strong>in</strong>k am 4./5. August 1954 eskalierte und mit<br />
der Beteiligung zweier Werft-Belegschaften am Widerstand gegen die Räumung<br />
des Gebietes endlich auch die von der <strong>KPD</strong> zuvor immer geforderte E<strong>in</strong>beziehung<br />
der Arbeiterschaft <strong>in</strong> die Aktionen gegeben war. Am 4. August kam es erstmals zu<br />
gewalttätigen Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen Polizeikräften, die Bauarbeitern den<br />
Zugang zu den Grundstücken verschaffen sollten, und aufgebrachten Bewohnern,<br />
die mit Heugabeln, Reitpeitschen und ähnlichen Geräten ihre Häuser verteidigten.<br />
Am 5. August kam es zu noch schwereren Zusammenstößen, als die Polizei unter<br />
dem E<strong>in</strong>satz von Gummiknüppeln e<strong>in</strong> Kirchengrundstück räumte und dabei auch<br />
gegen Frauen und K<strong>in</strong>der v<strong>org</strong><strong>in</strong>g. <strong>Die</strong> Bl<strong>in</strong>kbewohner alarmierten Arbeiter auf der<br />
Seebeck- und der Rickmers-Werft, deren Belegschaften daraufh<strong>in</strong> die Arbeit niederlegten,<br />
mit ca. 1.500 Mann zum »Großen Bl<strong>in</strong>k« marschierten und die Polizei zum<br />
Rückzug zwangen.<br />
Für die <strong>KPD</strong> war das E<strong>in</strong>greifen der Werftarbeiter natürlich e<strong>in</strong> Fanal. In e<strong>in</strong>er<br />
später herausgebrachten Broschüre über die Ereignisse am Bl<strong>in</strong>k sprach sie pathetisch<br />
von e<strong>in</strong>em »Ruhmesblatt <strong>in</strong> der Geschichte der deutschen Arbeiterklasse im<br />
nationalen Kampf unseres Volkes um E<strong>in</strong>heit, Demokratie und Unabhängigkeit«.<br />
»Zum erstenmal nach <strong>1945</strong> erklärten sich <strong>in</strong> Westdeutschland Arbeiter von Großbetrieben<br />
mit der von der Landbeschlagnahme betroffenen Bevölkerung solidarisch<br />
und führten aus politischen Gründen e<strong>in</strong>en Streik und e<strong>in</strong>e offene Aktion gegen die<br />
Staatsmacht durch.« 150<br />
Hermann Gautier musste allerd<strong>in</strong>gs zwei Wochen nach den Ereignissen vor<br />
dem Parteivorstand e<strong>in</strong>räumen, dass es sich bei der Aktion der Werftarbeiter wohl<br />
kaum um e<strong>in</strong>en »politischen Streik« im S<strong>in</strong>ne der <strong>KPD</strong> gehandelt hatte. Gautier<br />
stellte fest,<br />
»dass der größte Teil der Werftarbeiter nicht etwa demonstriert hat, weil sie schon erkannt<br />
haben, dass es hier um e<strong>in</strong>en Kampf gegen die EVG geht, sondern sie haben uns erklärt, sie<br />
148 Weiß jeder am Bl<strong>in</strong>k, warum er räumen muss?, Tribüne der Demokratie, 16. Juli 1954.<br />
149 Auszug aus dem Referat des 2. Landes-Sekr. auf der Landesleitungssitzung am 25.7.1954, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/2.<br />
150 Der Kampf um den Bl<strong>in</strong>k, Broschüre,<strong>Bremen</strong>o.J.[PrivatarchivHermannGautier].
176<br />
Politik und Programmatik<br />
hätten darum gekämpft, weil sich der Polizeiterror gegen Frauen und K<strong>in</strong>der gerichtet hätte.<br />
Wenn man den Leuten e<strong>in</strong>en anständigen Kaufvertrag gegeben hätte, sie anständig abgefunden<br />
hätte, wären sie, so sagten sie, nicht auf die Strasse gegangen, wenn die Polizei nicht e<strong>in</strong>geschritten<br />
hätte.« 151<br />
Nach den gewalttätigen Ause<strong>in</strong>andersetzungen am 5. August 1954 flaute der<br />
Konflikt langsam ab. <strong>Die</strong> Polizei sperrte das Gelände ab und bereits am 6. August<br />
g<strong>in</strong>gen die Bauarbeiten weiter, ohne dass es <strong>in</strong> der Folgezeit noch zu größerer Gegenwehr<br />
kam. <strong>Die</strong> Bewohner erhielten günstige Angebote für den Verkauf ihrer<br />
Häuser, und die meisten verließen schließlich im Verlaufe des Herbstes ihre<br />
Grundstücke freiwillig. 152<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> versuchte noch mehrfach, den Widerstand und die Debatte aufrecht zu<br />
erhalten, u.a. durch Anträge <strong>in</strong> der Bürgerschaft und mit E<strong>in</strong>wohnerversammlungen,<br />
konnte aber freilich die schw<strong>in</strong>dende Gegenwehr der Bewohner nicht verh<strong>in</strong>dern.<br />
Mit der Affäre um den »Großen Bl<strong>in</strong>k« war die <strong>KPD</strong> damit wiederum gescheitert<br />
an ihren eigenen, völlig unrealistischen Ansprüchen, jede politische Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
auf kommunaler Ebene im S<strong>in</strong>ne ihrer nationalen Politik zu <strong>in</strong>terpretieren<br />
und zu <strong>in</strong>strumentalisieren. Am Bl<strong>in</strong>k waren allerd<strong>in</strong>gs im Gegensatz zu<br />
anderen kommunalpolitischen Thematiken immerh<strong>in</strong> günstige Voraussetzungen<br />
dafür vorhanden, da zum e<strong>in</strong>en die Beschlagnahmung von Land für Bauten der Besatzungsmacht<br />
sehr wohl im Zusammenhang mit deutschlandpolitischen Problemen<br />
betrachtet werden konnte und es zum anderen erstmals so etwas wie aktiven<br />
Widerstand von Seiten der Bewohner und der Werftbelegschaften gegen die Staatsgewalt<br />
gab. <strong>Die</strong> Kreisleitung <strong>in</strong> Bremerhaven hatte sich <strong>in</strong> den ersten Wochen der<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung immerh<strong>in</strong> bemüht, hier anzuknüpfen und die Zusammenhänge<br />
mit dem EVG-Vertrag zwar zu thematisieren, sie aber nicht zum Zwecke der<br />
parteipolitischen Instrumentalisierung <strong>in</strong> den Vordergrund gestellt. Deutlich wurde<br />
dies vor allem an der Weigerung, die vom Landessekretariat als primäres Ziel des<br />
Widerstands am Bl<strong>in</strong>k propagierte Volksabstimmung durchzuführen. Auch nach<br />
den Vorfällen vom 5. August 1954 geschah h<strong>in</strong>sichtlich der Volksabstimmung auf<br />
dem Bl<strong>in</strong>k oder bei den Werftarbeitern nichts. Das Sekretariat sah gar <strong>in</strong> den Weigerungen<br />
des Kreissekretariats Bremerhaven e<strong>in</strong>e wesentliche Ursache für das<br />
Ausbleiben weiterer Aktionen 153 und kritisierte die »Leitungsfe<strong>in</strong>dlichkeit, die Kritikfe<strong>in</strong>dlichkeit<br />
und Überheblichkeit der Genossen« 154.<br />
151 Stenographische Niederschrift der 15. Parteivorstands-Sitzung der Kommunistischen Partei Deutschlands am<br />
19. August 1954, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/240.<br />
152 Zum weiteren Verlauf der Affäre Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 124ff.<br />
153 So Hermann Gautier vor dem Parteivorstand (Stenographische Niederschrift der 15. Parteivorstands-<br />
Sitzung der Kommunistischen Partei Deutschlands am 19. August 1954, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/240).<br />
154 So Ulrich Konetzka im Sekretariat (Protokoll der LSS vom 17.8.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8). Noch im August<br />
kam es im Zusammenhang mit dieser Thematik zu e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Sitzung von Vertretern des<br />
Landessekretariats und des Kreissekretariats Bremerhaven, auf der das LS die Kritik wiederholte (das<br />
Kreissekretariat habe »<strong>in</strong> der Entwicklung der Aktion [...] ke<strong>in</strong>e genügend konkrete und beharrliche<br />
Orientierung auf die Volksabstimmung«). Das KS warf im Gegenzug dem Landessekretariat vor, falsch<br />
angeleitet zu haben, »und erst als sie Politik auf eigene Faust gemacht hätten, der Erfolg e<strong>in</strong>getreten<br />
wäre« (Brief Landessekretariat an den Parteivorstand, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8].
Politik und Programmatik 177<br />
Der »Große Bl<strong>in</strong>k« war der letzte Höhepunkt der auf kommunaler Ebene schematisch<br />
umgesetzten nationalen Politik der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Am Pr<strong>in</strong>zip dieser Politik<br />
änderte sich bis zum Verbot 1956 - und darüber h<strong>in</strong>aus - nichts wesentliches.<br />
Es waren aber zum<strong>in</strong>dest Bemühungen erkennbar, der Kommunalpolitik e<strong>in</strong>en<br />
größeren und eigenständigeren Stellenwert <strong>in</strong> der Arbeit der Partei zu verschaffen.<br />
Im Vorfeld der Bürgerschaftswahlen im Oktober 1955 brachte die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen<br />
Bremer Stadtteilen erstmals e<strong>in</strong>e Reihe von sogenannten Wohngebietszeitungen<br />
heraus. 155 <strong>Die</strong> Blättchen thematisierten zwar nach wie vor auch die Friedenspolitik,<br />
konzentrierten sich aber schwerpunktmäßig auf kommunale Probleme des jeweiligen<br />
Stadtteils wie fehlende Straßenbeleuchtungen, Verkehrsaufkommen, E<strong>in</strong>trittspreise<br />
<strong>in</strong> Schwimmbädern, Ausstattung von K<strong>in</strong>derspielplätzen und ähnlichem.<br />
Anlass dieser verstärkten Bemühungen waren natürlich zunächst die bevorstehenden<br />
Bürgerschaftswahlen, allerd<strong>in</strong>gs erschienen die Stadtteilzeitungen auch danach<br />
noch relativ regelmäßig weiter. Ausdruck solcher tendenziellen Modifikationen <strong>in</strong><br />
der praktischen Politik der <strong>KPD</strong> war auch e<strong>in</strong> im Frühjahr 1956 an die Funktionäre<br />
ausgegebenes kommunalpolitisches Handbuch der Landesleitung. 156 Es werde<br />
damit, so die E<strong>in</strong>leitung, »e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> der Partei schon lange bestehenden Bedürfnis<br />
Rechnung getragen«. Der umfangreiche Text setzte sich detailliert und stellenweise<br />
sehr fundiert mit der Arbeit im Parlament, der Steuer-, Kultur-, Jugend-, Gesundheits-<br />
und Wohnungsbaupolitik sowie der »Kle<strong>in</strong>arbeit« <strong>in</strong> Ortsteilen, Vere<strong>in</strong>en<br />
und Bürger<strong>in</strong>itiativen ause<strong>in</strong>ander.<br />
<strong>Die</strong> Akzentverschiebung von der absoluten Dom<strong>in</strong>anz der nationalen Politik<br />
der vorangegangenen Jahre h<strong>in</strong> zu dem Bemühen um e<strong>in</strong>e zum<strong>in</strong>dest gleichberechtigte<br />
und eigenständige Stellung kommunalpolitischer Themen war also spätestens<br />
seit 1955 durchaus erkennbar, politisch wirksam werden konnte sie <strong>in</strong>des bis zum<br />
Verbot 1956 nicht mehr.<br />
3. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bremischen Bürgerschaft<br />
<strong>Die</strong> Arbeit der <strong>KPD</strong> im Bremer Landes- und Stadtparlament verdient aus zweierlei<br />
Gründen e<strong>in</strong>e gesonderte Betrachtung. Zum e<strong>in</strong>en war <strong>Bremen</strong> das e<strong>in</strong>zige Bundesland,<br />
<strong>in</strong> dem die Partei noch zum Zeitpunkt des Verbots im Parlament vertreten<br />
war. Zum anderen wurde <strong>in</strong> der Bürgerschaft e<strong>in</strong> durchaus besonderes Verhältnis<br />
zur SPD sichtbar, das sich auch <strong>in</strong> gelegentlichen geme<strong>in</strong>samen Abstimmungen gegen<br />
die Koalitionspartner der regierenden Sozialdemokraten manifestierte.<br />
Der Stellenwert der Arbeit <strong>in</strong> den bürgerlichen Parlamenten der Bundesrepublik<br />
war für die <strong>KPD</strong> seit dem Ende ihrer Regierungsbeteiligungen und dem Beg<strong>in</strong>n<br />
155 Exemplare von Rund um den Oslebshauser Park (Stadtteil Gröpel<strong>in</strong>gen), De Latuchte (Hemel<strong>in</strong>gen), F<strong>in</strong>dorff<br />
ruft (F<strong>in</strong>dorff), Rund um die Zapfstelle (Blockland) und Buntentorspost (Buntentor) <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/20/18 und I 10/20/19.<br />
156 In: SAPMO I 10/20/6.
178<br />
Politik und Programmatik<br />
ihrer politischen Radikalisierung e<strong>in</strong> ambivalentes und eher <strong>in</strong>strumentelles. 157 <strong>Die</strong><br />
Parlamentsarbeit war »immer nachrangig, bestenfalls gleichrangig zu den Massenaktionen,<br />
zur außerparlamentarischen Arbeit. <strong>Die</strong> Nutzung des Parlaments als Tribüne<br />
war Teil des strategischen Konzepts.« 158<br />
In <strong>Bremen</strong> war der <strong>in</strong>nerparteiliche Stellenwert der Vertretung <strong>in</strong> der Bürgerschaft<br />
pr<strong>in</strong>zipiell ke<strong>in</strong> anderer. Deutlich wird dies schon daran, dass die Arbeit der<br />
Bürgerschaftsfraktion so gut wie nie im Sekretariat oder <strong>in</strong> der Landesleitung thematisiert<br />
wurde. Dazu Willy Meyer-Buer, ab 1951 Fraktionsvorsitzender der <strong>KPD</strong><br />
<strong>in</strong>derBremerBürgerschaft,ausheutigerSicht:<br />
»Das Parlament galt bei uns ganz wenig. Parlamentarische Arbeit genoss ke<strong>in</strong>e hohe Wertschätzung<br />
dadurch, dass wir das Parlament diskreditiert hatten bei jeder Gelegenheit. Und<br />
mit der Diskreditierung e<strong>in</strong>er Institution wurden natürlich auch die Kräfte mit diskreditiert,<br />
die <strong>in</strong> dieser Institution tätig s<strong>in</strong>d, also wir selbst. Ich hab das auch gar nicht als sehr beschämend<br />
empfunden, sondern das war halt so. [...]. Andere Leute haben das besser bewertet als<br />
wir selbst.« 159<br />
Dennoch war es gerade die Bürgerschaftsfraktion, die der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> noch<br />
am ehesten e<strong>in</strong>e Art positives Image verschaffte und ihr auch während der zunehmenden<br />
Isolation auf anderen Ebenen trotz aller antikommunistisch motivierten<br />
politischen Gegensätze zum<strong>in</strong>dest punktuell Anerkennung verschaffte. <strong>Die</strong>se Anerkennung,<br />
auch durch den politischen Gegner, bezog sich allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der Regel<br />
auf e<strong>in</strong>zelne Mitglieder der Fraktion, denen auch <strong>in</strong> späteren Veröffentlichungen<br />
immer wieder e<strong>in</strong> hohes Maß an persönlicher und politischer Integrität besche<strong>in</strong>igt<br />
wurde. »An diesen Kommunisten«, so der ke<strong>in</strong>eswegs als <strong>KPD</strong>-freundlich geltende<br />
Horst Adamietz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch über die »Bremer Parlamentarier 1951 - 1959«, »hat<br />
es nicht gelegen, dass ihre Partei <strong>in</strong> den 50er Jahren e<strong>in</strong>en solchen Niedergang erlebte«.<br />
160<br />
<strong>Die</strong> Voraussetzungen dafür, dass diese Persönlichkeiten wie auch die Politik der<br />
<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bürgerschaft, öffentlich überhaupt wahrgenommen wurden, waren <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> relativ günstig. Der Stadtstaat-Charakter des Landes bed<strong>in</strong>gte e<strong>in</strong>e enge<br />
räumliche Nähe politischer Institutionen wie auch ihrer Träger. H<strong>in</strong>zu kam, dass<br />
die Bürgerschaftssitzungen im Rundfunk live übertragen wurden, e<strong>in</strong> gerade angesichts<br />
der antikommunistischen Berichterstattung der anderen Medien für die <strong>KPD</strong><br />
nicht zu unterschätzender Faktor, der zudem auch die Attraktivität des Parlaments<br />
als »Tribüne« noch steigerte.<br />
Aus dieser erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit und der Anerkennung e<strong>in</strong>zelner<br />
kommunistischer Abgeordneter ergab sich denn auch e<strong>in</strong> zum<strong>in</strong>dest graduell<br />
höherer <strong>in</strong>nerparteilicher Stellenwert der Bürgerschaftsfraktion. Am deutlichsten<br />
wurde dies <strong>in</strong> der Legislaturperiode zwischen 1947 und 1951, die für die <strong>KPD</strong> mar-<br />
157 Siehe zur Parlamentsarbeit der <strong>KPD</strong> nach <strong>1945</strong> das grundlegende und detaillierte Werk von Jens Ulrich<br />
Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O.; außerdem Patrick Major, The death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S.<br />
74ff.<br />
158 Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 441.<br />
159 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 2.<br />
160 Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre. Bremer Parlamentarier 1951 - 1959, <strong>Bremen</strong> 1978, S. 252.
Politik und Programmatik 179<br />
kiert wurde durch das Ausscheiden aus dem Senat Anfang 1948 und der Absetzung<br />
des Fraktionsvorsitzenden Rudolf Rafoth im April 1951. Ähnlich wie für die Parteileitung<br />
kann diese Periode als e<strong>in</strong>e Übergangsphase für die Parlamentsarbeit der<br />
<strong>KPD</strong> gesehen werden. <strong>Die</strong> Rolle der Fraktion <strong>in</strong> der Bürgerschaft war zum e<strong>in</strong>en<br />
noch sehr stark geprägt von ihrer Tätigkeit als Regierungspartei von <strong>1945</strong> bis Anfang<br />
1948, andererseits wurden zunehmend Konfrontationsl<strong>in</strong>ien deutlich, die vor<br />
allem entlang der deutschlandpolitischen Entwicklungen verliefen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war am 12. Oktober 1947 mit zehn Abgeordneten <strong>in</strong> die Bürgerschaft<br />
gewählt worden. Aus <strong>Bremen</strong> waren dies der Fraktionsvorsitzende Rudolf Rafoth,<br />
se<strong>in</strong> Stellvertreter Wilhelm Meyer-Buer, die ehemalige Gesundheitssenator<strong>in</strong> Käthe<br />
Popall, der Erste Bezirkssekretär Wilhelm Knigge sowie He<strong>in</strong>rich Nolte, He<strong>in</strong>rich<br />
<strong>Die</strong>trich und der B<strong>org</strong>ward-Betriebsrat Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann. Aus <strong>Bremen</strong>-Nord kamen<br />
Albert Häusler und nach dessen Ausscheiden aus der Bürgerschaft im März<br />
1948 Erika Ewert. Bremerhaven stellte mit Erw<strong>in</strong> Schmidt und Hermann Schwager<br />
161 zwei <strong>KPD</strong>-Abgeordnete. 162<br />
Im Vorstand der Bürgerschaft war die <strong>KPD</strong> mit He<strong>in</strong>rich Nolte (Schriftführer)<br />
vertreten, 163 ebenso stellte sie je e<strong>in</strong>en Abgeordneten <strong>in</strong> allen Ausschüssen des Parlaments<br />
164. Bedeutsamer als diese eher durch Verwaltungsaufgaben geprägten<br />
Ausschüsse waren die Deputationen, e<strong>in</strong> wesentlicher Eckpfeiler der Bremischen<br />
Bürgerschaft und e<strong>in</strong>e Besonderheit der Bremer Verfassung. <strong>Die</strong> Deputationen, deren<br />
Vorsitz das jeweils zuständige Senatsmitglied <strong>in</strong>nehatte, stellten die Schnittstelle<br />
zwischen Senat und Parlamentsplenum dar und hatten über Haushaltspläne und<br />
alle anderen »Angelegenheiten ihres jeweiligen Verwaltungszweiges« zu beraten<br />
und beschließen. 165 E<strong>in</strong>e Besonderheit der Deputationen war, dass ihre Mitglieder<br />
nicht zwangsläufig der Bürgerschaft angehören mussten, 166 womit die »gerade für<br />
die <strong>KPD</strong> wichtige Verzahnung von Fraktion und Partei <strong>in</strong>stitutionalisiert werden<br />
konnte« 167. <strong>Die</strong> Partei stellte <strong>in</strong> allen staatlichen und städtischen Deputationen jeweils<br />
e<strong>in</strong>en Vertreter. Nur <strong>in</strong> fünf der <strong>in</strong>sgesamt 18 Deputationen war der <strong>KPD</strong>-<br />
Vertreter auch Bürgerschaftsabgeordneter. 168 <strong>Die</strong> »außerparlamentarischen« <strong>KPD</strong>-<br />
Mitglieder <strong>in</strong> den übrigen Deputationen waren dabei weitgehend <strong>in</strong> die Arbeit der<br />
Fraktion <strong>in</strong>tegriert und nahmen auch an den Fraktionssitzungen teil. 169<br />
161 Schwager verließ im Oktober 1950 die <strong>KPD</strong>-Fraktion und schloss sich im April 1951 der SPD an.<br />
162 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft. Herausgegeben vom Vorstand der Bremischen Bürgerschaft,<br />
<strong>Bremen</strong> 1950, S. 126.<br />
163 Ebenda, S. 117.<br />
164 Ebenda, S. 148ff. Siehe auch die Auflistung bei Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament,<br />
a.a.O., S. 142.<br />
165 Gesetz über die Deputationen vom 2. März 1948, <strong>in</strong>: Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, a.a.O., S.<br />
130ff., hier S. 130.<br />
166 Ebenda, S. 130f.<br />
167 Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 142.<br />
168 <strong>Die</strong>s waren die F<strong>in</strong>anzdeputation (Wilhelm Meyer-Buer), die Deputation für den Fischereihafen <strong>in</strong><br />
Bremerhaven (Hermann Schwager), die Deputation für die politische Befreiung (Rudolf Rafoth), die<br />
Deputation für Häfen und Schifffahrt (Erw<strong>in</strong> Schmidt) und die Deputation für Wirtschaftsforschung<br />
und Außenhandel (Wilhelm Meyer-Buer) (Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, a.a.O., S. 117).<br />
169 Vgl. diverse Protokolle von Fraktionssitzungen <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/20.
180<br />
Politik und Programmatik<br />
Herausragender Kopf der <strong>KPD</strong>-Fraktion war ihr Vorsitzender Rudolf Rafoth,<br />
der e<strong>in</strong>e weit über die eigene Partei h<strong>in</strong>aus gehende Anerkennung genoss:<br />
»Rudolf Rafoth war e<strong>in</strong>er jener Sterne <strong>in</strong> der kommunistischen Partei, die für kurze Zeit alles<br />
andere überstrahlen [...] Als die kommunistische Partei sich <strong>1945</strong> konstituierte, war dieser<br />
kluge, <strong>in</strong>teressante, bee<strong>in</strong>druckende Mann Persona grata. Glänzender Redner - er sprach fesselnd<br />
und vollkommen frei, viele Abgeordnete hielten ihn für den besten Rhetoriker des Parlaments<br />
-, hatte er zudem e<strong>in</strong>e starke Überzeugungskraft, wirkte glaubhaft, weil er se<strong>in</strong>er ehrlichen<br />
Me<strong>in</strong>ung Ausdruck gab.« 170<br />
Rafoths große Akzeptanz und se<strong>in</strong> politischer Pragmatismus prägten <strong>in</strong> der Übergangsphase<br />
bis 1951 das Ersche<strong>in</strong>ungsbild der <strong>KPD</strong>-Fraktion, die bei allen zunehmend<br />
deutlicher werdenden Gegensätzen zur SPD immer noch e<strong>in</strong>en an die<br />
Regierungsjahre anknüpfenden Kooperations- und Mitbestimmungswillen zeigte.<br />
In e<strong>in</strong>igen Fällen g<strong>in</strong>g dies bis h<strong>in</strong> zur Unterstützung der SPD - zum Teil gegen deren<br />
Koalitionspartner von der BDV - bei der Durchsetzung von Gesetzesvorhaben,<br />
die ohne die <strong>KPD</strong> nicht hätten verwirklicht werden können. 171<br />
E<strong>in</strong> Beispiel hierfür war die Verabschiedung der Schulreform im März 1949. Vorausgegangen<br />
waren <strong>in</strong>tensive, teilweise hitzig geführte Debatten <strong>in</strong> der Bürgerschaft<br />
und der Bremer Öffentlichkeit. 172 <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung entzündete sich<br />
vor allem an der geplanten sechsjährigen Grundschule, die die SPD aus pädagogischen<br />
und gesellschaftspolitischen Gründen e<strong>in</strong>führen wollte. 173 Gegner der Reform<br />
waren die CDU und teilweise die BDV sowie Teile der Eltern- und Lehrerschaft<br />
aus den bürgerlichen Milieus.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte <strong>in</strong> der Debatte ke<strong>in</strong>e aktive Rolle gespielt, stellte sich aber h<strong>in</strong>ter<br />
die Reform. Rudolf Rafoth betonte <strong>in</strong> der ersten Lesung des Gesetzes, <strong>KPD</strong> und<br />
SPD hätten bereits <strong>in</strong> der Verfassungsdiskussion »ke<strong>in</strong>en Zweifel darüber gelassen,<br />
dass sie e<strong>in</strong>e gründliche Schulreform anstreben, und die Bevölkerung hat ihnen die<br />
Mehrheit gegeben«. 174 <strong>Die</strong> SPD war auch, selbst bei der bis zur Verabschiedung des<br />
Gesetzes ke<strong>in</strong>eswegs sicheren Zustimmung ihres Koalitionspartners BDV, auf die<br />
Unterstützung der <strong>KPD</strong> angewiesen, da für die Annahme des Gesetzes e<strong>in</strong>e Zweidrittelmehrheit<br />
nötig war. 175 Durch e<strong>in</strong>ige Zugeständnisse (Verschiebung der E<strong>in</strong>führung<br />
der sechsjährigen Grundschule um e<strong>in</strong> Jahr und die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>er »Late<strong>in</strong>-Sonderklasse«<br />
ab dem 5. Schuljahr) konnte die SPD schließlich auch die Zustimmung<br />
der BDV erreichen. Nach nochmals kontroversen Debatten <strong>in</strong> der Bürgerschaft<br />
am 24. und 31. März 176 wurde das Gesetz schließlich mit der erforderli-<br />
170 Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 52f.<br />
171 Siehe dazu auch Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 196ff.<br />
172 Siehe zur Schulreform <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ausführlich die Dissertation von He<strong>in</strong>rich Schulte am Hülse, <strong>Die</strong> verb<strong>in</strong>dliche<br />
sechsjährige Grundschule <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> als Politikum (1949-1957), München 1980; zur politischen<br />
Debatte außerdem Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1949, a.a.O., S. 61ff.<br />
173 Zur Konzeption der SPD und der Bildungsbehörde siehe He<strong>in</strong>rich Schulte am Hülse, <strong>Die</strong> verb<strong>in</strong>dliche<br />
sechsjährige Grundschule, a.a.O., S. 101ff.<br />
174 Bürgerschaftsprotokolle, 24. März 1949, S. 70.<br />
175 He<strong>in</strong>rich Schulte am Hülse, <strong>Die</strong> verb<strong>in</strong>dliche sechsjährige Grundschule, a.a.O., S. 248.<br />
176 Siehe zur Debatte ebenda, S. 248ff.; außerdem Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 289ff.
Politik und Programmatik 181<br />
chen Mehrheit verabschiedet. SPD und <strong>KPD</strong> stimmten geschlossen für die Annahme,<br />
von der BDV gab es e<strong>in</strong>e Gegenstimme. 177<br />
Nur e<strong>in</strong> knappes Jahr später, kurz vor der E<strong>in</strong>führung der sechsjährigen Grundschule,<br />
drohte das Gesetz wiederum zu scheitern. <strong>Die</strong> CDU beantragte <strong>in</strong> der Bürgerschaft<br />
die Aussetzung der Schulreform. 178 Auch <strong>in</strong> der BDV wurden wieder<br />
Zweifel und Bestrebungen deutlich, die Umsetzung des e<strong>in</strong> Jahr zuvor beschlossenen<br />
Gesetzes zu verh<strong>in</strong>dern. 179 Wieder gelang es der SPD vor allem durch die sichere<br />
Unterstützung der <strong>KPD</strong>-Fraktion, die Anträge der CDU abzulehnen. 180 In der<br />
namentlichen Abstimmung am 2. März 1950 stimmten 61 Abgeordnete gegen die<br />
Aussetzung der Schulreform. Sieben Abgeordnete der 17-köpfigen BDV-Fraktion<br />
schlossen sich den CDU-Anträgen an. Ohne die Stimmen der <strong>KPD</strong> wäre die Mehrheit<br />
für die Schulreform äußerst knapp ausgefallen und gefährdet gewesen.<br />
<strong>Die</strong> BDV hatte sich »auch <strong>in</strong> der Schulpolitik als äußerst unsicherer Koalitionspartner<br />
für die SPD erwiesen«. 181 Gerade <strong>in</strong> sozial- und gesellschaftspolitisch geprägten<br />
Fragen war die SPD auf die <strong>KPD</strong> angewiesen, die diese Aufgabe als »heimlicher<br />
Koalitionspartner« auch erfüllte. Es gab <strong>in</strong> der Legislaturperiode 1947-1951<br />
weitere Beispiele dieser Kooperation der beiden Arbeiterparteien, u.a. das Ausführungsgesetz<br />
zum Artikel 47 (betriebliche Mitbestimmung), die Förderung des staatlichen<br />
und sozialen Wohnungsbaus, die Entnazifierung oder bei der Debatte um<br />
die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heitskrankenversicherung. 182 In allen diesen Fällen<br />
»stimmte die SPD-Fraktion nicht mit ihrem liberalen Koalitionspartner BDV sondern<br />
mit den Kommunisten«. 183 <strong>Die</strong>bürgerlichenParteiensprachendennauchangesichts<br />
dieser Kooperationen der beiden Arbeiterparteien von e<strong>in</strong>er »zweiten Koalition<br />
aus SPD und <strong>KPD</strong>« oder der Vormachtstellung »der marxistischen Parteiengruppe<br />
<strong>in</strong> der Bürgerschaft«. 184<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war also während dieser Periode <strong>in</strong> der Bürgerschaft ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e<br />
Art Fundamentalopposition, sondern sah sich wohl immer noch <strong>in</strong> der (Regierungs-)Verantwortung.<br />
<strong>Die</strong> Fraktion betrieb dabei e<strong>in</strong>e weitgehend eigenständige<br />
Politik, die sich vor allem auf die landes- und kommunalpolitischen Probleme konzentrierte.<br />
In diesen Jahren zwischen 1948 und 1951 war - zum<strong>in</strong>dest für die <strong>KPD</strong>-<br />
Fraktion selbst - das Parlament ke<strong>in</strong>eswegs nur e<strong>in</strong>e Tribüne für die Propagierung<br />
anderweitiger politischer Ziele, sondern hatte durchaus e<strong>in</strong>en eigenen politischen<br />
und operativen Wert. <strong>Die</strong>ser Gestaltungswille wurde noch e<strong>in</strong>mal sehr deutlich mit<br />
der Zustimmung der Fraktion zum Haushaltsplan 1951. Rudolf Rafoths Ausspruch<br />
177 Ergebnis der namentlichen Abstimmung <strong>in</strong> Bürgerschaftsprotokolle, 31. März und 1. April 1949, S. 89;<br />
tabellarische Zusammenfassung <strong>in</strong> He<strong>in</strong>rich Schulte am Hülse, <strong>Die</strong> verb<strong>in</strong>dliche sechsjährige Grundschule,<br />
a.a.O., S. 267.<br />
178 He<strong>in</strong>rich Schulte am Hülse, <strong>Die</strong> verb<strong>in</strong>dliche sechsjährige Grundschule, a.a.O., S. 270ff.<br />
179 Ebenda, S. 271; Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 64f.<br />
180 Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann erklärte <strong>in</strong> der Debatte der Anträge die weitere Unterstützung der Schulreform<br />
durch die <strong>KPD</strong> (Bürgerschaftsprotokolle, 2. März 1950, S. 99).<br />
181 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 65.<br />
182 Ebenda, S. 198f.<br />
183 Ebenda, S. 199.<br />
184 Ebenda, S. 197, 198.
182<br />
Politik und Programmatik<br />
vor dem Sekretariat »Wir s<strong>in</strong>d doch nicht immer gegen Etatbewilligungen« brachte<br />
die relativ pragmatische Haltung der Fraktion und vor allem ihres Vorsitzenden<br />
noch e<strong>in</strong>mal auf den Punkt. Mit der Absetzung Rafoths <strong>in</strong>folge der Zustimmung<br />
zum Haushalt und der Maßregelung der gesamten Fraktion war diese Rolle der<br />
<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bürgerschaft und ebenso die starke und eigenständige <strong>in</strong>nerparteiliche<br />
Stellung der Fraktion faktisch beendet.<br />
<strong>Die</strong> Rolle als heimliche dritte Regierungspartei wäre aber wohl nicht nur aufgrund<br />
des Drucks der Parteileitung nicht aufrecht zu halten gewesen. Spätestens<br />
seit 1948 wurden die Isolation der <strong>KPD</strong> und die Gegensätze vor allem <strong>in</strong> deutschlandpolitischen<br />
Fragen zu SPD und den übrigen Bürgerschaftsfraktionen deutlich.<br />
<strong>Die</strong>s zeigten z.B. die Debatten zum Parlamentarischen Rat 1948 185 und zur Annahme<br />
des Grundgesetzes 1949 186. IndiesenundanderenDebattenderBürgerschaft<br />
musste sich die <strong>KPD</strong> auch zunehmend antikommunistische Zwischenrufe, Kommentare<br />
und Anfe<strong>in</strong>dungen sowie ständige Verweise auf die »Zustände <strong>in</strong> der Ostzone«<br />
gefallen lassen. Der Antikommunismus <strong>in</strong> Bürgerschaft und Senat manifestierte<br />
sich schließlich nach Beg<strong>in</strong>n des Korea-Krieges 1950 auch <strong>in</strong> Beh<strong>in</strong>derungen<br />
und Maßnahmen zur Ausgrenzung der <strong>KPD</strong>. Der Senat verabschiedete »Richtl<strong>in</strong>ien<br />
[...] zur E<strong>in</strong>schränkung des kommunistischen E<strong>in</strong>flusses« und empfahl u.a. der<br />
Bürgerschaft, alle Ausschüsse mit <strong>KPD</strong>-Abgeordneten aufzulösen und ohne kommunistische<br />
Beteiligung neu zu bilden. 187 Infolge dessen löste sich der von der F<strong>in</strong>anzdeputation<br />
gewählte und für die Bürgerschaftsarbeit wichtige Haushaltsausschuss<br />
im September 1950 auf und konstituierte sich anschließend neu, nunmehr<br />
ohne die Beteiligung der <strong>KPD</strong>, die dort zuvor mit Wilhelm Meyer-Buer vertreten<br />
war. 188 Weniger schwerwiegend, aber nicht m<strong>in</strong>der ausgrenzend war die Nichtberücksichtigung<br />
der <strong>KPD</strong> bei E<strong>in</strong>ladungen zu Senatsempfängen »aus besonderem<br />
politischem Anlass«, an denen kommunistische Abgeordnete bis dah<strong>in</strong> selbstverständlich<br />
teilgenommen hatten. Der Präsident des Senats Wilhelm Kaisen begründete<br />
diese Maßnahme u.a. damit, »dass Veranstaltungen, die den Kontakt zwischen<br />
<strong>Bremen</strong> und se<strong>in</strong>er Umwelt verbessern wollen, bei Anwesenheit von Vertretern der<br />
<strong>KPD</strong> zwecklos werden«. 189<br />
Angesichts der massiven antikommunistischen Maßnahmen e<strong>in</strong>erseits und den<br />
<strong>in</strong>nerparteilichen und programmatischen Entwicklungen der <strong>KPD</strong> andererseits war<br />
spätestens Ende 1951 klar, dass die Partei künftig <strong>in</strong> der Bürgerschaft e<strong>in</strong>e andere<br />
Rolle spielen würde. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> stellte <strong>in</strong> der Folgezeit auch die Parlamentsarbeit<br />
ausschließlich <strong>in</strong> den Kontext der »nationalen Politik«, was im Wahlkampf zur Bürgerschaftswahl<br />
am 7. Oktober besonders deutlich wurde.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> führte den Wahlkampf nahezu ausschließlich mit deutschlandpolitischen<br />
Themen. <strong>Die</strong> Landespolitik spielte nur e<strong>in</strong>e völlig untergeordnete Rolle, oder,<br />
185 Bürgerschaftsprotokolle, 12. August 1948, S. 319ff.<br />
186 Bürgerschaftsprotokolle, 20. Mai 1949, S. 164ff.<br />
187 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 191; Karl-Ludwig Sommer, Wilhelm Kaisen.<br />
E<strong>in</strong>e politische Biographie, Bonn 2000, S. 208f.<br />
188 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 191.<br />
189 Zitiert nach Karl-Ludwig Sommer, Wilhelm Kaisen, a.a.O., S. 209.
Politik und Programmatik 183<br />
wie es das Sekretariat später mit e<strong>in</strong>iger Untertreibung ausdrückte: »<strong>Die</strong> Agitation<br />
im Wahlkampf wurde nicht beschränkt auf die Bremer Verhältnisse. Im Mittelpunkt<br />
standen die Probleme Westdeutschlands und Gesamt-Deutschlands«. 190 Nahezu<br />
alle Forderungen des im Wahlaufruf 191 enthaltenen Sofortprogramms bezogen<br />
sich auf weit über Landeskompetenzen h<strong>in</strong>ausgehende Aspekte der Deutschlandpolitik,<br />
für die sich die Bürgerschaft »e<strong>in</strong>setzen« sollte. An erster Stelle standen<br />
Forderungen wie »1. <strong>Die</strong> Bremer Bürgerschaft setzt sich für die E<strong>in</strong>stellung aller bereits<br />
<strong>in</strong> Angriff genommenen Maßnahmen zur Remilitarisierung e<strong>in</strong>. 2. <strong>Die</strong> Bremer<br />
Bürgerschaft lehnt die Schaffung e<strong>in</strong>es Wehrgesetzes ab. 3. <strong>Die</strong> Bremer Bürgerschaft<br />
lehnt e<strong>in</strong>e Beteiligung am Schumann-Plan ab.« 192 Fast alle der <strong>in</strong>sgesamt 15 Punkte<br />
enthielten solche völlig allgeme<strong>in</strong> gehaltenen Forderungen. Kommunalpolitische<br />
Bezüge wurden nur vere<strong>in</strong>zelt und im Zusammenhang mit den deutschlandpolitischen<br />
Forderungen sichtbar. So listete der letzte Punkt des Programms e<strong>in</strong>e Reihe<br />
von vor allem sozialpolitischen Maßnahmen auf (z.B. Erhöhung von Rente und Erwerbslosenunterstützung,<br />
Tarifsenkungen, verstärkter sozialer Wohnungsbau,<br />
Schul- und Krankenhausbauten etc.), die allesamt durch die »Gelder für die Remilitarisierung<br />
und für die Besatzungskosten« f<strong>in</strong>anziert werden sollten.<br />
Höhepunkt des mit großem Aufwand geführten Wahlkampfes war der Auftritt<br />
des <strong>KPD</strong>-Vorsitzenden Max Reimann vor - nach Angaben der <strong>KPD</strong> - 10.000 Kundgebungsteilnehmern.<br />
Reimann sprach ausschließlich über deutschlandpolitische<br />
Forderungen der <strong>KPD</strong> und stellte die Bürgerschaftswahl ganz <strong>in</strong> diesen Zusammenhang<br />
(»<strong>Die</strong> Wähler <strong>Bremen</strong>s werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Tagen zu den Wahlurnen gerufen,<br />
<strong>in</strong> der lebenswichtige Entscheidungen für unsere Nation zu treffen s<strong>in</strong>d.«). 193<br />
<strong>Die</strong> Wahlen am 7. Oktober 1951 brachten der <strong>KPD</strong> 21.244 Stimmen, was e<strong>in</strong>em<br />
Anteil von 6,4 Prozent entsprach. 194 Im Vergleich zur Wahl von 1947 hatte die Partei<br />
zwar absolut fast 2.000 Stimmen gewonnen, prozentual jedoch aufgrund der höheren<br />
Zahl von Wahlberechtigten und e<strong>in</strong>er wesentlich höheren Wahlbeteiligung<br />
2,4 Prozentpunkte verloren (1947: 8,8 Prozent). E<strong>in</strong>en ähnlichen Verlust hatte auch<br />
die SPD zu verzeichnen, die auf 39,1 Prozent der Stimmen kam (1947: 41,7 Prozent).<br />
<strong>Die</strong> SPD besetzte damit 43 Mandate <strong>in</strong> der Bürgerschaft, die <strong>KPD</strong> erhielt sechs Sitze.<br />
195 Damit war auch die rechnerische Mehrheit der beiden Arbeiterparteien verloren<br />
gegangen. Großer Verlierer der Wahl war die CDU, deren Stimmanteil von 22<br />
Prozent 1947 auf 9,1 Prozent sank. Auch die FDP, <strong>in</strong> der <strong>in</strong>zwischen die BDV aufgegangen<br />
war, verlor Stimmen und kam auf nur noch 11,8 Prozent, was gegenüber<br />
dem Gesamtergebnis von FDP und BDV von 1947 e<strong>in</strong>en Verlust von 7,6 Prozentpunkten<br />
bedeutete. Erhebliche Stimmenzuwächse konnten die rechten Parteien<br />
190 Kurze Zusammenfassung zur Auswertung der Wahl, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/20.<br />
191 <strong>Bremen</strong> kann e<strong>in</strong>e blühende Stadt werden, <strong>in</strong>: BAK 118/29.<br />
192 Ebenda und Das Sofortprogramm der <strong>KPD</strong> für das Land <strong>Bremen</strong>, Tribüne der Demokratie, 3. Oktober 1951.<br />
193 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> - die e<strong>in</strong>zige deutsche Partei!, Tribüne der Demokratie, 3. Oktober 1951.<br />
194 Re<strong>in</strong>hold Roth, Peter Seibt (Hrsg.), Etablierte Parteien im Wahlkampf. Studien zur Bremer Bürgerschaftswahl<br />
1975, Meisenheim am Glan 1979, S. 35ff. (nachfolgende Wahlergebnisse s<strong>in</strong>d, wenn nicht<br />
anders angegeben, ebenfalls dort entnommen).<br />
195 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, 3. Wahlperiode, <strong>Bremen</strong> 1953, S. 194ff.
184<br />
Politik und Programmatik<br />
verzeichnen, wobei besonders der E<strong>in</strong>zug der neofaschistischen Sozialistischen<br />
Reichspartei (SRP) <strong>in</strong> die Bürgerschaft bemerkenswert war. <strong>Die</strong> e<strong>in</strong> Jahr später verbotene<br />
Partei erhielt auf Anhieb 7,7 Prozent der Stimmen, wodurch deutlich wurde,<br />
»dass es auch <strong>in</strong> der Bremer Wählerschaft e<strong>in</strong> latent faschistoides Potential von beträchtlicher<br />
Stärke gab« 196. Auch die nationalkonservative Deutsche Partei (DP) erzielte<br />
starke Stimmengew<strong>in</strong>ne (1947: 3,9 Prozent, 1951: 14,7 Prozent).<br />
<strong>Die</strong> Wähler der <strong>KPD</strong> kamen vor allem aus den von e<strong>in</strong>em relativ hohen Arbeiteranteil<br />
geprägten Stadtteilen. Den höchsten Stimmenanteil wie auch die größte<br />
absolute Wählerzahl verzeichnete die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> ihrer Hochburg Gröpel<strong>in</strong>gen (14,2<br />
Prozent, 2.618 Stimmen). Hier wie <strong>in</strong> anderen Arbeiterstadtteilen konnte auch <strong>in</strong><br />
etwa der Stimmenanteil von 1947 gehalten werden. 197<br />
Trotz der relativen Stimmenverluste wertete die <strong>KPD</strong> das Wahlergebnis positiv.<br />
Das Sekretariat verkündete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ersten Stellungnahme, die Partei sei »aus dieser<br />
Wahl gestärkt herv<strong>org</strong>egangen« und begründete diese E<strong>in</strong>schätzung vor allem mit<br />
dem absoluten Stimmenzuwachs. Als Erfolg wurde auch die Niederlage der CDU<br />
gewertet. Das Wahlergebnis sei »e<strong>in</strong>e Demonstration gegen den Kriegskurs Adenauers«<br />
und bestätige, »dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung im Land<br />
<strong>Bremen</strong> gegen die Remilitarisierung und Wiederaufrüstung ist«. 198<br />
Auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>e Woche später verfassten <strong>in</strong>ternen Analyse des Sekretariats<br />
stand diese »Entscheidung gegen Bonn« an erster Stelle. Selbst der Wahlerfolg der<br />
SRP wurde <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne gewertet. Deren rund 25.000 Stimmen seien »im wesentlichen<br />
Stimmen gegen die Remilitarisierung, denn die SRP tarnte ihre chauv<strong>in</strong>istische,<br />
aggressive Revanchepolitik mit der ›Opposition‹ gegen die Remilitarisierungspolitik<br />
Adenauers«. 199<br />
Nach der Wahl bildete die SPD mit der FDP und der CDU die »Ganz Große Koalition«.<br />
200 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> zog mit sechs Abgeordneten <strong>in</strong> die neue Bürgerschaft e<strong>in</strong>.<br />
Durch die zu ger<strong>in</strong>ge Fraktionsgröße war die Partei nun <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Deputation mehr<br />
vertreten und damit von e<strong>in</strong>em wesentlichen Teil der Parlamentsarbeit ausgeschlossen.<br />
201 <strong>Die</strong> Abgeordneten der <strong>KPD</strong> waren der neue Fraktionsvorsitzende<br />
Wilhelm Meyer-Buer, se<strong>in</strong>e Stellvertreter<strong>in</strong> Erika Ewert, der Erste Landessekretär<br />
Hermann Gautier, sowie Maria Krüger, Hans Meyer und Erw<strong>in</strong> Schmidt. 202 Hans<br />
196 Karl-Ludwig Sommer, Politik im Zeichen des Bündnisses von »Kaufleuten und Arbeiterschaft«, <strong>in</strong>:<br />
ders. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> den fünfziger Jahren. Politik, Wirtschaft, Kultur, <strong>Bremen</strong> 1989, S. 8-76, hier S.<br />
23.<br />
197 Materialien Statistisches Landesamt.<br />
198 Den Wahlerfolg ausbauen! Erklärung des Sekretariats der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> zur Bürgerschaftswahl,<br />
Tribüne der Demokratie, 9. Oktober 1951.<br />
199 Vorläufige Analyse des Wahlergebnisses vom 7. Oktober und des Wahlkampfes der Partei [16. Oktober 1951],<br />
<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/20.<br />
200 Vgl. Karl-Ludwig Sommer, Politik im Zeichen des Bündnisses von »Kaufleuten und Arbeiterschaft«,<br />
a.a.O., S. 23f.; Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 67ff.<br />
201 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, 3. Wahlperiode, herausgegeben vom Vorstand der Bremischen<br />
Bürgerschaft, <strong>Bremen</strong> 1953, S. 214ff. Siehe auch die Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>in</strong> der Bürgerschaft über<br />
die Besetzung vor allem der F<strong>in</strong>anzdeputation (Bürgerschaftsprotokolle, 29. November 1951, S. 33ff.).<br />
202 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, 3. Wahlperiode, a.a.O., S. 199f.
Politik und Programmatik 185<br />
Meyer gab se<strong>in</strong> Mandat 1953 ab, für ihn rückte der bereits <strong>in</strong> den vorangegangenen<br />
Legislaturperioden der Bürgerschaft zugehörige He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich nach.<br />
<strong>Die</strong> Rolle Rudolf Rafoths als überparteilich anerkannte und herausragende Figur<br />
der <strong>KPD</strong>-Fraktion übernahm <strong>in</strong> den folgenden Jahren Wilhelm Meyer-Buer,<br />
freilich ohne den politischen Pragmatismus se<strong>in</strong>es V<strong>org</strong>ängers. Meyer-Buer war<br />
»der Stratege unter den Bremer Kommunisten«, so die Beschreibung von Horst Adamietz,<br />
»wie sie <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ke<strong>in</strong>en zweiten herv<strong>org</strong>ebracht haben, gepflegt <strong>in</strong><br />
Kleidung und Auftreten, geradezu ›e<strong>in</strong> Salon Kommunist‹, sicher <strong>in</strong> der Diktion,<br />
rout<strong>in</strong>iert, geschliffen, ja mitunter brillant als Redner«. 203 Als Meyer-Buer 1963 wegen<br />
illegaler Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> vor Gericht stand, waren die Zeugenaussagen<br />
von Angehörigen der Bürgerschaft durchweg positiv. Meyer-Buer wurde als »sachlicher<br />
Politiker« und als e<strong>in</strong> Mensch mit »anständiger Ges<strong>in</strong>nung und aufrechtem<br />
Charakter« 204 beschrieben, der sich von anderen Kommunisten »durch se<strong>in</strong>e<br />
ausgesprochene Intelligenz« 205 unterschieden und »sich <strong>in</strong> der Bürgerschaft immer<br />
den demokratischen Spielregeln unterworfen« 206 habe. »Wäre Meyer-Buer nicht<br />
Kommunist, dann wäre er e<strong>in</strong>e Zierde der Demokratie«, me<strong>in</strong>te Senator Ge<strong>org</strong><br />
Bortscheller (FDP). 207<br />
Weniger im Vordergrund und wohl auch weniger sendungsbewusst als Meyer-<br />
Buer, <strong>in</strong> der Bürgerschaft und der Bremer Öffentlichkeit aber nicht weniger anerkannt<br />
waren Maria Krüger und He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich. 208 Der Erste Landessekretär<br />
Hermann Gautier dagegen verkörperte <strong>in</strong> der Bürgerschaft eher das kommunistische<br />
Fe<strong>in</strong>dbild. »Focht Meyer-Buer Florett, so Gautier mit schwerem Säbel, notfalls<br />
auch mit e<strong>in</strong>em Knüppel oder Stuhlbe<strong>in</strong>.« 209 Ohneh<strong>in</strong> aber war die parlamentarische<br />
Arbeit für Gautier nach se<strong>in</strong>er Tätigkeit als Sekretär zweitrangig und diente<br />
wohl auch dem Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung. Gautier war dementsprechend<br />
auch nur selten <strong>in</strong> der Bürgerschaft anwesend. 210 Nur wenig politisches und<br />
persönliches Profil konnten Erika Ewert, Mitglied des Sekretariats und dort verantwortlich<br />
für Kommunalpolitik, Hans Meyer, e<strong>in</strong> ehemaliger B<strong>org</strong>ward-Arbeiter<br />
und ebenfalls Mitglied des Sekretariats, sowie der Bremerhavener Abgeordnete<br />
Erw<strong>in</strong> Schmidt entwickeln.<br />
In den folgenden Jahren nutzte die <strong>KPD</strong> die Bürgerschaft vor allem zur Propagierung<br />
ihrer deutschlandpolitischen Zielstellungen. <strong>Die</strong>se Aufgabe erfüllte die<br />
Fraktion <strong>in</strong> bemerkenswert <strong>in</strong>tensiver und stellenweise geradezu penetranter Art<br />
und Weise. Nahezu jedes kommunal- und landespolitische Thema brachte die <strong>KPD</strong><br />
<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der West<strong>in</strong>tegration und Remilitarisierung der Bundesrepublik<br />
203 Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 241.<br />
204 So Bürgerschaftspräsident August Hagedorn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Aussage vor dem Gericht (Kaisen sagt m<strong>org</strong>en als<br />
Zeuge aus, Weser-Kurier, 9. Mai1963).<br />
205 So der Direktor der Bürgerschaft, Wolfgang Müller (ebenda).<br />
206 Justizsenator Ulrich Graf (FDP) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Zeugenaussage (Prozessmitschrift, Privatarchiv Meyer-Buer,<br />
S. 89).<br />
207 Höhepunkt im Prozess Meyer-Buer, Weser-Kurier 10. Mai 1963.<br />
208 Siehe die Beschreibungen bei Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 244ff. und S. 250ff.<br />
209 Ebenda, S. 241.<br />
210 Ebenda, S. 243f.
186<br />
Politik und Programmatik<br />
e<strong>in</strong>erseits und der Verteidigung der DDR andererseits. Beispielhaft - und <strong>in</strong> der Literatur<br />
gerne angeführt - 211 war die Ablehnung e<strong>in</strong>er Flutr<strong>in</strong>nenverbreiterung der<br />
Weser durch die <strong>KPD</strong>. Der dabei entstehende See, so Erika Ewert <strong>in</strong> ihrer Begründung,<br />
solle »e<strong>in</strong>e Start- und Landefläche von Wasserflugzeugen« der amerikanischen<br />
Besatzungsmacht werden. 212 Ihrerseits stellte die <strong>KPD</strong> zahlreiche Anträge, <strong>in</strong><br />
denen, wie bereits im Wahlkampf, immer wieder die Streichung der an den Bund<br />
abzuführenden Besatzungskosten zugunsten von <strong>in</strong>frastrukturellen und sozialen<br />
Maßnahmen gefordert wurde. Besonders anlässlich der jährlichen Haushaltsberatungen<br />
fiel die <strong>KPD</strong> durch e<strong>in</strong>e wahre Flut von Änderungsanträgen auf. Höhepunkt<br />
waren die Etatberatungen 1953: 227 der <strong>in</strong>sgesamt 282 Anträge kamen von<br />
der <strong>KPD</strong>. 213 <strong>Die</strong> Anträge g<strong>in</strong>gen dabei oft über die Grenzen e<strong>in</strong>es Stadt- und Landeshaushalts<br />
und die Kompetenzen des Landesparlaments h<strong>in</strong>aus.<br />
Über die re<strong>in</strong>e Agitation im S<strong>in</strong>ne ihrer deutschlandpolitischen Konzeption h<strong>in</strong>aus<br />
- aber nie ohne argumentative Verb<strong>in</strong>dung zu dieser - versuchte die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der<br />
Bürgerschaft auch immer wieder, sich zum Fürsprecher außerparlamentarischer Initiativen,<br />
Bewegungen und Proteste zu machen. Im Zentrum standen dabei natürlich<br />
zunächst die Betriebe und die Arbeiter. So brachte die <strong>KPD</strong> anlässlich der Hafenarbeiterstreiks<br />
1951 und 1955 und des Werftarbeiterstreiks 1953 Anträge <strong>in</strong> der<br />
Bürgerschaft e<strong>in</strong>, die auf materielle Unterstützung der Streikenden oder die E<strong>in</strong>stellung<br />
polizeilicher und staatlicher Gegenmaßnahmen zielten. <strong>Die</strong> Fraktion griff auch<br />
Forderungen e<strong>in</strong>zelner Bürger<strong>in</strong>itiativen oder E<strong>in</strong>wohnerversammlungen auf, die<br />
beispielsweise den Ausbau ihrer Wohnstraße, die Aufstellung von Straßenlaternen<br />
oder den Erhalt e<strong>in</strong>es Kle<strong>in</strong>gartengebiets forderten. Auch während der Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
um den »Großen Bl<strong>in</strong>k« wurde die Partei <strong>in</strong> der Bürgerschaft mit<br />
zahlreichen Anträgen aktiv.<br />
In der Regel lehnte die Bürgerschaft <strong>KPD</strong>-Anträge durchweg ab, gelegentlich<br />
auch en bloc, oft begleitet von spöttischen und disqualifizierenden Bemerkungen<br />
von Abgeordneten anderer Parteien. 214 Oft wurde schon die Beratung von <strong>KPD</strong>-<br />
Anträgen abgelehnt. Wilhelm Meyer-Buer konnte mit Recht den Vorwurf an die<br />
anderen Fraktionen richten, dass »Sie, die gesamte Bürgerschaft außer uns, nicht<br />
sachlich an unsere Anträge herangegangen s<strong>in</strong>d« 215.Daswarsicherbegründbarmit<br />
der Qualität der <strong>KPD</strong>-Anträge, die aber teilweise auch den Ausgrenzungsversuchen<br />
der übrigen Fraktionen entgegenkam. <strong>Die</strong> Ausgrenzung der <strong>KPD</strong> manifestierte<br />
sich schließlich 1952 durch e<strong>in</strong>e Änderung der Geschäftsordnung der Bürgerschaft,<br />
die nun mit e<strong>in</strong>er Dreiviertelmehrheit den Übergang zur Tagesordnung beschließen,<br />
also die Behandlung von <strong>KPD</strong>-Anträgen gänzlich ablehnen konnte. 216<br />
211 Ebenda, S. 270; Albert Müller, Der Weg zur Volkspartei. <strong>Die</strong> Politik der Bremer SPD und die <strong>in</strong>nerparteilichen<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong> den 50er Jahren, <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Almut Schwerd<br />
(Hrsg.), Zeitzeugen berichten, a.a.O., S. 63-72, hier S. 71; Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />
a.a.O., S. 62.<br />
212 Bürgerschaftsprotokolle, 17. Dezember 1952, S. 444.<br />
213 Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 268.<br />
214 Ebenda.<br />
215 Bürgerschaftsprotokolle, 27. März 1952, S. 185.<br />
216 Ebenda.
Politik und Programmatik 187<br />
Durch e<strong>in</strong>e weitere Änderung der Geschäftsordnung wurde die <strong>KPD</strong> außerdem<br />
von den geme<strong>in</strong>samen Sitzungen der Fraktionsvorsitzenden ausgeschlossen. 217<br />
Besonders deutlich wurden das auch <strong>in</strong> der Bürgerschaft vorhandene antikommunistische<br />
Klima und die Isolation der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den deutschlandpolitischen Fragen<br />
anlässlich der Behandlung besonderer »Reizthemen« des Kalten Krieges. Als die<br />
Bürgerschaft am 1. Oktober 1952 über e<strong>in</strong>e Entschädigung heimgekehrter deutscher<br />
Kriegsgefangener aus der Sowjetunion debattierte, Wilhelm Meyer-Buer aber se<strong>in</strong>erseits<br />
beharrlich die Bundesregierung und die USA angriff und dafür verantwortlich<br />
machte, »dass noch Millionen Kriegsbeschädigte <strong>in</strong> unzulänglichen Verhältnissen<br />
leben« 218, kam es im Plenum zu schweren Tumulten, <strong>in</strong> deren Verlauf<br />
schließlich Hermann Gautier von der weiteren Sitzung ausgeschlossen wurde. 219<br />
Isoliert und ausgegrenzt war die <strong>KPD</strong> auch <strong>in</strong> der ähnlich emotional besetzten Debatte<br />
um den 17. Juni 1953 <strong>in</strong> der DDR. Der »Gedenkstunde« der Bürgerschaft blieb<br />
die <strong>KPD</strong>-Fraktion fern, e<strong>in</strong>e von Erika Ewert verlesene Erklärung wurde später im<br />
Protokoll nicht gedruckt. 220<br />
Beantragt wurde diese undemokratische Maßnahme von e<strong>in</strong>em Sozialdemokraten,undauchsonstgrenztesichdieSPDstarkvonder<strong>KPD</strong>ab,warfihrimmer<br />
wieder die »Vertretung sowjetischer Interessen« vor und antwortete auf die kommunistischeKritikandenZuständen<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>undderBundesrepublikmitVerweisen<br />
auf die DDR. »Wie ist es <strong>in</strong> der Ostzone?« war e<strong>in</strong> beliebter Zwischenruf,<br />
vor allem von SPD-Fraktionschef Richard Boljahn. 221<br />
Dennoch hatte der sozialdemokratische Antikommunismus Grenzen, sowohl<br />
auf formeller wie auf politischer Ebene. So lehnte die Bürgerschaft <strong>in</strong> der Regel die<br />
von der Staatsanwaltschaft wegen politischer Delikte seit 1951 gehäuft beantragten<br />
Aufhebungen der parlamentarischen Immunität von kommunistischen Abgeordneten<br />
ab. 1952 kam es - nachdem zuvor die Ablehnungen der Immunitätsaufhebung<br />
nahezu e<strong>in</strong>stimmig erfolgt waren - erstmals zu e<strong>in</strong>er Kampfabstimmung. Auf Antrag<br />
der Staatsanwaltschaft Lübeck sollte die Immunität von Wilhelm Meyer-Buer<br />
aufgehoben werden. Alle bürgerlichen Parteien sprachen sich diesmal dafür aus, es<br />
war e<strong>in</strong>zig die SPD, die die Aufhebung der Immunität des <strong>KPD</strong>-<br />
Fraktionsvorsitzenden verh<strong>in</strong>derte. »Denn«, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Richard<br />
Boljahn, »wir wollen auf jeden Fall vermeiden, dass, ganz gleich um welchen<br />
Abgeordneten und um welche Partei es sich handelt, <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Form irgendwelche<br />
Vorkommnisse zum Anlass genommen werden, um Abgeordnete <strong>in</strong> der<br />
Ausübung ihrer politischen Tätigkeit zu beh<strong>in</strong>dern«. 222 Pr<strong>in</strong>zipiell gesichert allerd<strong>in</strong>gs<br />
war der Schutz der Immunität für die <strong>KPD</strong>-Abgeordneten nicht. So wurde<br />
die Immunität von Hans Meyer im November 1952 - nur wenige Wochen nach der<br />
217 Ebenda.<br />
218 Bürgerschaftsprotokolle, 1. Oktober 1952, S. 375.<br />
219 Vgl. Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 252ff. Gautier hatte Vertreter anderer Fraktionen als<br />
»die wahren Landesverräter« bezeichnet (Bürgerschaftsprotokolle, 1. Oktober 1952, S. 376f.).<br />
220 Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 258.<br />
221 Ebenda.<br />
222 Bürgerschaftsprotokolle, 1. November, S. 407ff; Zitat Boljahn S. 410.
188<br />
Politik und Programmatik<br />
Abstimmung über Meyer-Buer - durch die Bürgerschaft und mit den Stimmen der<br />
SPD aufgehoben. 223<br />
Auch auf politischer Ebene kam es wieder - ähnlich wie <strong>in</strong> der vorangegangenen<br />
Legislaturperiode - punktuell zu geme<strong>in</strong>samen Abstimmungen der sozialdemokratischen<br />
und kommunistischen Fraktion gegen die Koalitionspartner der SPD.<br />
Bundesweites Aufsehen erregte die bereits geschilderte Annahme e<strong>in</strong>es <strong>KPD</strong>-<br />
Antrages, mit dem die Bürgerschaft am 21. Mai 1952 gegen die Unterzeichnung des<br />
Deutschlandvertrages protestierte. Der von Wilhelm Meyer-Buer verfasste Antrag<br />
der <strong>KPD</strong>-Fraktion war nicht mit der Parteileitung oder dem Bremer Landessekretariat<br />
abgesprochen. Nach eigener Darstellung hatte Meyer-Buer aber e<strong>in</strong>e kurzfristige<br />
Absprache mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Richard Boljahn getroffen. 224<br />
Meyer-Buer begründete die Dr<strong>in</strong>glichkeit des Antrags mit der bevorstehenden Behandlung<br />
durch den Bundestag, »es müsse von <strong>Bremen</strong> aus e<strong>in</strong>e Plattform für die<br />
m<strong>org</strong>igen Verhandlungen im Bundestag geschaffen werden«. 225 <strong>Die</strong> bürgerlichen<br />
Parteien lehnten die dr<strong>in</strong>gliche Behandlung ab, für die SPD erklärte jedoch Richard<br />
Boljahn die Zustimmung:<br />
»<strong>Die</strong> Frage des Generalvertrages [...] ist nicht nur e<strong>in</strong>e Angelegenheit des Bundestages, sondern<br />
e<strong>in</strong>e Angelegenheit, die auf unabsehbare Zeit den Status der deutschen Außen- und Innenpolitik<br />
festlegen soll. Ich glaube, dass wir als die gewählten Vertreter der bremischen Bevölkerung<br />
e<strong>in</strong> Anrecht darauf haben, unseren Freunden im Bundestag von der Stellungnahme<br />
der Bremischen Bürgerschaft zum Generalvertrag Kenntnis zu geben.« 226<br />
Schon diese Annahme der Dr<strong>in</strong>glichkeit und die Verhandlung des <strong>KPD</strong>-Antrags<br />
war e<strong>in</strong>e Überraschung. In der Debatte sprach sich neben Meyer-Buer auch Richard<br />
Boljahn gegen den Generalvertrag aus. »<strong>Die</strong> Gefahr, die durch diesen General-,<br />
bzw. Deutschlandvertrag heraufbeschworen wird, ist vor allem die, dass durch ihn<br />
die Wiedervere<strong>in</strong>igung der Ost- und der Westzone verh<strong>in</strong>dert wird. <strong>Die</strong>sen Weg<br />
wollen und werden wir nicht mitmachen.« 227 Trotz oder gerade wegen der Zustimmung<br />
zum Antrag Meyer-Buers me<strong>in</strong>te Boljahn aber auch die Abgrenzung zur<br />
<strong>KPD</strong> betonen zu müssen. <strong>Die</strong> Motive der <strong>KPD</strong> seien »weitgehend von den Interessen<br />
der sowjetrussischen Außenpolitik« gelenkt, die E<strong>in</strong>stellung der SPD dagegen<br />
richte sich »durchaus nur nach den Lebens<strong>in</strong>teressen des gesamten deutschen Volkes«.<br />
228 <strong>Die</strong> Bürgerschaft nahm schließlich <strong>in</strong> namentlicher Abstimmung mit 56 zu<br />
223 Bürgerschaftsprotokolle, 26. November 1952, S. 431ff. Meyer war als verantwortlicher Herausgeber auf<br />
e<strong>in</strong>em <strong>KPD</strong>-Flugblatt genannt, das, so die Staatsanwaltschaft, »schwerwiegende Verunglimpfungen,<br />
die sich gegen die Bundesregierung, gegen e<strong>in</strong>zelne Bundesm<strong>in</strong>ister und den Herrn Bundeskanzler Dr.<br />
Adenauer richten«, enthielt. <strong>Die</strong> Strafanzeige war durch Adenauer selbst gestellt worden (ebenda, S.<br />
431.).<br />
224 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 2. Vgl. auch Wilhelm Meyer-Buer, <strong>Die</strong> Bremer Bürgerschaftsfraktion <strong>in</strong><br />
den 50er Jahren, a.a.O., S. 98.<br />
225 Bürgerschaftsprotokolle, 21. Mai 1952, S. 259.<br />
226 Ebenda.<br />
227 Ebenda, S. 262. Siehe zur Debatte auch ebenda, S. 260ff. sowie Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre,<br />
a.a.O., S. 273ff.; Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 101f. Zur Haltung von<br />
Bremer SPD und Senat zum Generalvertrag Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit,<br />
a.a.O., S. 86ff.<br />
228 Bürgerschaftsprotokolle, 21. Mai, S. 262.
Politik und Programmatik 189<br />
22 Stimmen den Antrag der <strong>KPD</strong> an. Mit »Ja« stimmten die Abgeordneten von SPD<br />
und <strong>KPD</strong> sowie BHE und SRP, mit »Ne<strong>in</strong>« die Regierungsparteien CDU und FDP<br />
sowie größtenteils die Fraktion der DP. 229<br />
Für die <strong>KPD</strong> war dies zweifellos e<strong>in</strong> großer propagandistischer Erfolg, den sie<br />
zwar <strong>in</strong> der Folgezeit nicht weiter nutzte und der auch ke<strong>in</strong>erlei politische Folgen<br />
hatte, der aber immerh<strong>in</strong> auch deutlich gezeigt hatte, dass auf parlamentarischer<br />
Ebene trotz aller Gegensätze immer noch Übere<strong>in</strong>stimmungen und zum<strong>in</strong>dest die<br />
Möglichkeit e<strong>in</strong>er Kooperation zwischen SPD und <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen grundsätzlichen<br />
Fragen existierten. 230<br />
<strong>Die</strong> Bürgerschaftswahlen am 9. Oktober 1955 stellten angesichts der Wahlergebnisse<br />
der Partei <strong>in</strong> anderen Bundesländern und der Bundestagswahl 1953 - bei<br />
derauch<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>nichtdie5-Prozent-Markeübersprungenwerdenkonnte-für<br />
die Bremer <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e Bewährungsprobe dar. H<strong>in</strong>zu kam der laufende Verbotsprozess<br />
vor dem Bundesverfassungsgericht <strong>in</strong> Karlsruhe. 231 All dies ließ e<strong>in</strong>en Wiedere<strong>in</strong>zug<br />
der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> die Bürgerschaft als äußerst ungewiss ersche<strong>in</strong>en.<br />
Anders als bei den vorangegangenen Wahlen begann die <strong>KPD</strong> die <strong>in</strong>tensive<br />
Phase des Wahlkampfs 1955 relativ früh. Auftakt war e<strong>in</strong>e Großkundgebung am 12.<br />
August 1955. Bereits hier wurde deutlich, dass die Partei wiederum die Deutschlandpolitik<br />
<strong>in</strong> den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs stellen würde. Der Aufruf der<br />
Landesleitung sprach von e<strong>in</strong>er »große(n) Bedeutung« der bevorstehenden Wahlen,<br />
»die weit über die Grenzen <strong>Bremen</strong>s h<strong>in</strong>aus geht. Auch bei den Wahlen zur bremischen<br />
Bürgerschaft geht es darum, mit den Fe<strong>in</strong>den des Friedens, der Entspannung<br />
und der demokratischen E<strong>in</strong>heit Deutschlands [...] Abrechnung zu halten«. 232<br />
Auch der im September veröffentlichte Wahlaufruf der <strong>KPD</strong> konzentrierte sich<br />
weitgehend auf deutschlandpolitische Forderungen. Der Großteil des Programms<br />
war davon bestimmt und machte noch nicht e<strong>in</strong>mal den Versuch, Zusammenhänge<br />
zu landespolitischen Problemen herzustellen oder überhaupt nur zu erwähnen.<br />
Dort wo landespolitische Aspekte angesprochen wurden, geschah dies ausschließlich<br />
aus deutschlandpolitischer Sicht, etwa <strong>in</strong> der Kritik an der SPD und des Senats<br />
(»der Senat des faulen Kompromisses und des Paktierens mit den Bonner Militärparteien«,<br />
»Unter der Verantwortung des Koalitionssenats wurde die volksfe<strong>in</strong>dliche<br />
Steuer- und F<strong>in</strong>anzpolitik des Bonner Regimes <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bis auf den letzten<br />
229 Ergebnis der Abstimmung <strong>in</strong> Bürgerschaftsprotokolle, 21. Mai 1952, S. 271. Zwei Abgeordnete der DP<br />
enthielten sich der Stimme.<br />
230 <strong>Die</strong> Abstimmung zum Generalvertrag war nicht das e<strong>in</strong>zige Beispiel für diese Übere<strong>in</strong>stimmungen.<br />
Ähnlich aufsehenerregend war e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Abstimmung von <strong>KPD</strong> und SPD zur Unterstützung<br />
des 1955 <strong>in</strong> der Frankfurter Paulskirche verabschiedeten »Deutschen Manifests«, das sich gegen die Pariser<br />
Verträge und den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO wandte. Vgl. Karl-Ludwig Sommer,<br />
Wiederbewaffnung im Widerstreit, a.a.O., S. 160ff.; Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />
a.a.O., S. 132ff.<br />
231 <strong>Die</strong> mündliche Verhandlung war im Juli 1954 abgeschlossen worden, mit der Urteilsverkündung und<br />
e<strong>in</strong>em wahrsche<strong>in</strong>lichen Verbot der Partei konnte also zum Zeitpunkt der Wahl schon gerechnet werden.<br />
232 9. Oktober - Tag der Abrechnung. Aufruf der <strong>KPD</strong>, Landesleitung <strong>Bremen</strong>, Tribüne der Demokratie, 6./7.<br />
August 1955.
190<br />
Politik und Programmatik<br />
Pfennig durchgesetzt«) oder mit dem H<strong>in</strong>weis auf die Adenauer-Regierung, die<br />
»auch die Entwicklung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> maßgeblich mitbestimmt« habe und verantwortlich<br />
dafür sei, »dass <strong>Bremen</strong> zu e<strong>in</strong>em Hauptstützpunkt der amerikanischen<br />
Kriegsmasch<strong>in</strong>erie geworden ist«. Der Forderungskatalog nannte an erster Stelle<br />
ebenfalls deutschland- oder <strong>in</strong>nenpolitische Themen, die auf Landesebene überhaupt<br />
nicht realisierbar waren (»<strong>Bremen</strong> tritt e<strong>in</strong> für die Beendigung des kalten<br />
Krieges«, »Raus mit den Atomkanonen aus Deutschland! Auflösung aller ausländischen<br />
Militärstützpunkte auf unserem Boden.« »Sofortige E<strong>in</strong>stellung des Verbotsprozesses<br />
gegen die <strong>KPD</strong>«). Im Vergleich zu 1951 war allerd<strong>in</strong>gs auch das Bemühen<br />
erkennbar, <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der deutschlandpolitischen Schwerpunktsetzung<br />
kommunale, landesspezifische oder <strong>in</strong>nenpolitische Themen mehr <strong>in</strong> die Forderungen<br />
mit e<strong>in</strong>zubeziehen, vor allem solche mit sozialpolitischem Charakter (Erweiterung<br />
des sozialen Wohnungsbaus, Ausbau des Gesundheitswesens, Umsetzung der<br />
Schulreform), aber auch auf wirtschafts- und tarifpolitischen Gebieten (»Förderung<br />
der Friedens<strong>in</strong>dustrie« und Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zu UdSSR<br />
und DDR, 40-Stundenwoche, »Verwirklichung des Rechtes auf Mitbestimmung«).<br />
233 Stärker noch als der Wahlaufruf g<strong>in</strong>gen auch die <strong>KPD</strong>-Kandidaten auf<br />
landespolitische Aspekte e<strong>in</strong>. 234 Trotz dieser im Vergleich zu 1951 stärkeren Berücksichtigung<br />
sozialer und kommunalpolitischer Forderungen stand aber die<br />
Deutschland- und Friedenspolitik immer noch dom<strong>in</strong>ierend im Vordergrund. <strong>Die</strong><br />
<strong>KPD</strong> agitierte damit an dem Wahlkampf der übrigen Parteien der Bürgerschaft<br />
weitgehend vorbei, <strong>in</strong> dem es vor allem um landespolitische Themen g<strong>in</strong>g. 235<br />
Das Ergebnis der Wahlen vom 9. Oktober 1955 war für die <strong>KPD</strong>, auch auf Bundesebene,<br />
bedeutsam: <strong>Die</strong> Partei zog mit genau fünf Prozent der Stimmen (18.229<br />
absolut) wieder <strong>in</strong> die Bürgerschaft e<strong>in</strong>. Damit war <strong>Bremen</strong> das e<strong>in</strong>zige Bundesland,<br />
<strong>in</strong> dem die <strong>KPD</strong> noch zu diesem Zeitpunkt die 5-Prozent-Hürde überspr<strong>in</strong>gen<br />
konnte und im Landesparlament vertreten war. 236 Im Vergleich zur Bürgerschaftswahl<br />
von 1951 waren zwar ebenfalls prozentuale und absolute Stimmenverluste zu<br />
verzeichnen (m<strong>in</strong>us 1,4 Prozentpunkte, 3.015 Stimmen), gegenüber der Bundestagswahl<br />
von 1953 aber gewann die <strong>KPD</strong> über 4.000 Stimmen (1,9 Prozentpunkte)<br />
h<strong>in</strong>zu. Wie 1951 hatte die Partei den höchsten Stimmenanteil <strong>in</strong> den Arbeitervierteln,<br />
besonders im Bremer Westen. Auch hier fiel die Diskrepanz zur Bundestags-<br />
233 Wahlaufruf der Kommunistischen Partei Deutschlands zur Bürgerschaftswahl am 9. Oktober 1955: E<strong>in</strong> glückliches<br />
Land <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gee<strong>in</strong>ten Deutschland der Demokratie und des Friedens [Privatarchiv Hermann<br />
Gautier]. Ebenfalls abgedruckt <strong>in</strong> E<strong>in</strong> glückliches <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gee<strong>in</strong>ten Deutschland der Demokratie und<br />
des Friedens, Tribüne der Demokratie, 19. September 1955.<br />
234 Siehe z.B. die Rede Wilhelm Meyer-Buers auf der o.g. Kundgebung (Kampfansage an Adenauerparteien<br />
und Kaisensenat, Tribüne der Demokratie, 13./14. August 1955) und den Aufruf von Hermann Gautier<br />
e<strong>in</strong>en Tag vor der Wahl (Werktätige <strong>Bremen</strong>s! Wählt Kommunisten!, Tribüne der Demokratie, 8./9. Oktober<br />
1955).<br />
235 Vgl. Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit, a.a.O., S. 181.<br />
236 Lediglich <strong>in</strong> Niedersachsen konnte die Partei ebenfalls 1955 noch <strong>in</strong> das Landesparlament gelangen,<br />
hier galt allerd<strong>in</strong>gs die 5-Prozent-Klausel nicht.
Politik und Programmatik 191<br />
wahl auf: 1953 war die <strong>KPD</strong> dort <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Wahlgebiet über zehn Prozent der<br />
Stimmen gekommen, 1955 erzielte sie hier durchschnittlich etwa zwölf Prozent. 237<br />
Ansonsten bestätigte das Wahlergebnis vor allem die dom<strong>in</strong>ante Stellung der<br />
SPD, die über acht Prozentpunkte gegenüber 1951 h<strong>in</strong>zu gewann (47,8 Prozent) und<br />
nun mit 52 Mandaten die absolute Mehrheit <strong>in</strong> der Bürgerschaft hatte. Auch die<br />
CDU verbesserte sich stark, kam auf e<strong>in</strong>en Stimmenanteil von 18 Prozent und<br />
konnte damit ihren sehr niedrigen Anteil von 1951 nahezu verdoppeln. Allerd<strong>in</strong>gs<br />
verlor die Partei gegenüber der Bundestagswahl 6,9 Prozentpunkte.<br />
In ihrer Stellungnahme zum Wahlergebnis hob die <strong>KPD</strong> besonders diesen Verlust<br />
der CDU hervor. <strong>Die</strong> Wähler hätten »den Adenauerparteien e<strong>in</strong>e empf<strong>in</strong>dliche<br />
Niederlage zugefügt«, hieß es <strong>in</strong> der Erklärung des Sekretariats. Auch den Stimmengew<strong>in</strong>n<br />
der SPD wertete das Sekretariat als »Erfolg gegen den Bonner Kurs«:<br />
»<strong>Die</strong> Wähler der SPD gaben ihre Stimme <strong>in</strong> dem Willen, damit gegen die Bonner<br />
Politik für e<strong>in</strong>e Politik der Entspannung und der Beendigung des kalten Krieges zu<br />
stimmen«. Das eigene Ergebnis bezeichnete das Sekretariat als »beachtlichen Erfolg«<br />
und begründete dies mit den im Vergleich zur Bundestagswahl h<strong>in</strong>zu gewonnenen<br />
Stimmen. <strong>Die</strong> SPD forderte das Sekretariat auf, die Große Koalition nicht<br />
fortzusetzen und e<strong>in</strong>en »Senat der Interessen der Arbeiter« zu bilden. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> sei<br />
bereit, e<strong>in</strong>en solchen »mit allen Kräften zu unterstützen«. 238<br />
<strong>Die</strong> SPD und besonders Wilhelm Kaisen dachten allerd<strong>in</strong>gs nicht an e<strong>in</strong>e Ausnutzung<br />
der absoluten Mehrheit und der Bildung e<strong>in</strong>er SPD-Regierung mit Unterstützung<br />
der <strong>KPD</strong>, sondern setzten die Große Koalition mit CDU und FDP fort.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war <strong>in</strong> der neuen Bürgerschaft mit vier Abgeordneten vertreten. Wilhelm<br />
Meyer-Buer, Hermann Gautier und Maria Krüger waren bereits Mitglieder<br />
der alten Bürgerschaft gewesen. Neu im Parlament war Wilhelm Lahrs, Arbeiter<br />
auf der AG »Weser« und dort ehemaliges Betriebsratsmitglied. Lahrs schied bereits<br />
im Februar 1956 aus der Bürgerschaft aus, nachdem es zu partei<strong>in</strong>ternen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
gekommen war und die <strong>KPD</strong> ihn ausgeschlossen hatte. Für ihn rückte<br />
wieder He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich nach. 239<br />
<strong>Die</strong> parlamentarischen Mitwirkungsmöglichkeiten der <strong>KPD</strong> waren <strong>in</strong> der neuen<br />
Bürgerschaft sehr begrenzt. Wie bereits seit 1951 war die Partei <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Ausschuss<br />
und ke<strong>in</strong>er Deputation vertreten. Darüber h<strong>in</strong>aus hatte die <strong>KPD</strong> nun auch<br />
den Fraktionsstatus verloren, für den nach der seit 1951 gültigen Geschäftsordnung<br />
237 Materialien Statistisches Landesamt. Ihr bestes Ergebnis erzielte die <strong>KPD</strong> im Gebiet der Industriehäfen<br />
(17 Prozent). Hier, wie <strong>in</strong> den anderen Stadtteilen im Bremer Westen, die alle e<strong>in</strong>en hohen Arbeiteranteil<br />
aufwiesen und <strong>in</strong> der Nähe der Häfen gelegen waren, kam der Partei vermutlich auch ihr starkes<br />
Engagement <strong>in</strong> dem während der Wahl und des Wahlkampfs laufenden Hafenarbeiterstreik zugute.<br />
Ähnlich stabil war die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Stadtteilen im Bremer Osten (Sebaldsbrück, Hastedt und Hemel<strong>in</strong>gen),<br />
wo die <strong>KPD</strong> bei etwa 5-6 Prozent lag (1951: 6-8 Prozent). In diesen Vierteln wohnten viele Arbeiter<br />
der B<strong>org</strong>ward-Werke.<br />
238 Für e<strong>in</strong>en Senat der Interessen der Arbeiter. Erklärung des Sekretariats der <strong>KPD</strong>-Landesleitung <strong>Bremen</strong> zum Ergebnis<br />
der Bürgerschaftswahl, Tribüne der Demokratie, 15./16. Oktober 1955.<br />
239 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, 4. Wahlperiode (1955-1959), herausgegeben vom Vorstand<br />
der Bremischen Bürgerschaft, <strong>Bremen</strong> 1956, S. 275.
192<br />
Politik und Programmatik<br />
fünf Abgeordnete nötig waren. 240 Neben den f<strong>in</strong>anziellen E<strong>in</strong>bußen hatte das für<br />
die <strong>KPD</strong> die Folge, dass sie ke<strong>in</strong>e eigenen Anträge mehr e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen konnte, da hierfür<br />
die Unterstützung von m<strong>in</strong>destens fünf Abgeordneten, also die Fraktionsstärke<br />
nötig war. 241 Es war schon aus diesen Gründen nicht verwunderlich, dass die Aktivitäten<br />
der <strong>KPD</strong> im Parlament <strong>in</strong> den wenigen Monaten bis zum Verbot im August<br />
1956 merklich weniger wurden, zumal im Vergleich zur vorangegangenen Legislaturperiode.<br />
Das drohende Verbot überschattete und belastete natürlich auch die<br />
Parlamentsarbeit auf <strong>in</strong>haltlicher und personeller Ebene. Zum<strong>in</strong>dest Hermann Gautier<br />
war ab Mitte 1955 <strong>in</strong> die zentralen Vorbereitungen der <strong>KPD</strong> auf das Verbot e<strong>in</strong>bezogen<br />
und wirkte am Aufbau der sogenannten »2. L<strong>in</strong>ie« mit.<br />
Neben e<strong>in</strong>er diesen <strong>org</strong>anisatorischen Umständen zu schuldenden Abnahme<br />
der parlamentarischen Aktivitäten war aber auch e<strong>in</strong>e verbale Mäßigung und E<strong>in</strong>schränkung<br />
der »nationalen Propaganda« <strong>in</strong> der Bürgerschaft feststellbar. <strong>Die</strong>s h<strong>in</strong>g<br />
offensichtlich auch mit den Modifizierungen von Strategie und Programmatik der<br />
<strong>KPD</strong> seit dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATO und nach dem XX. Parteitag<br />
der KPdSU zusammen. Lediglich die Haushaltsrede von Wilhelm Meyer-Buer im<br />
März 1956 ließ noch Er<strong>in</strong>nerungen an die Rhetorik der letzten Legislaturperiode<br />
aufkommen, war aber <strong>in</strong>haltlich ebenfalls an die neue Parteil<strong>in</strong>ie angelehnt, wie sie<br />
<strong>in</strong> der Programmatischen Erklärung des Parteivorstandes vom Oktober 1955 zum<br />
Ausdruck gekommen war. 242<br />
In der Regal arbeiteten die <strong>KPD</strong>-Abgeordneten sachlich im Parlament mit und<br />
vermieden weitgehend nationale Phrasen sowie simplifizierende Verknüpfungen<br />
zur Deutschlandpolitik. Wiederum stimmte die <strong>KPD</strong> auch e<strong>in</strong>zelnen kommunalpolitischen<br />
Gesetzesvorlagen zu, wie etwa dem umfangreichen Wohnungsbauprogramm<br />
der SPD 243 oder dem Gesetz über die E<strong>in</strong>richtung von Arbeitnehmerkammern.<br />
In letzterem Fall kam es auch zu e<strong>in</strong>er »für die bremische Politik der fünfziger<br />
Jahre e<strong>in</strong>maligen ›Koalition‹« zwischen SPD, <strong>KPD</strong> und CDU, die für das Gesetz<br />
stimmten, während der Koalitionspartner FDP sowie die DP es ablehnten. 244 Ähnlich<br />
bemerkenswert war die Stimmenkoalition bei der ersten Beratung des bremischen<br />
Personalvertretungsgesetzes. Hier waren es die SPD-Fraktion und die <strong>KPD</strong>,<br />
die sich gegen den vom SPD-geführten Senat v<strong>org</strong>elegten Entwurf stellten, während<br />
die bürgerlichen Parteien ihn unterstützten. 245<br />
240 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, 3. Wahlperiode, a.a.O., S. 168.<br />
241 Ebenda, S. 174f. Auch <strong>in</strong> der neuen, im Oktober 1956 verabschiedeten Geschäftsordnung blieb dieser<br />
Passus bestehen (Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, 4. Wahlperiode, a.a.O., S. 144). Siehe auch<br />
die Kritik Wilhelm Meyer-Buers daran (Bürgerschaftsprotokolle, 17. Oktober 1956, S. 334ff.).<br />
242 Bürgerschaftsprotokolle, 21. März 1956, S. 144ff.<br />
243 Siehe die Erklärung von Maria Krüger <strong>in</strong> Bürgerschaftsprotokolle, 22. Februar 1956, S. 66f.<br />
244 Karl-Ludwig Sommer, Politik im Zeichen des »Bündnisses von Kaufleuten und Arbeiterschaft«, a.a.O.,<br />
S. 49f. Siehe auch die Rede von Wilhelm Meyer-Buer <strong>in</strong> der Schlussaussprache bei der 2. Lesung des<br />
Gesetzes (Bürgerschaftsprotokolle, 27. Juni 1956, S. 270f.).<br />
245 Karl-Ludwig Sommer, Politik im Zeichen des »Bündnisses von Kaufleuten und Arbeiterschaft«, a.a.O.,<br />
S. 50ff. <strong>Die</strong> Kontroverse um das Gesetz zog sich bis Ende 1957 h<strong>in</strong>, endgültig entschieden wurde es erst<br />
1959.
Politik und Programmatik 193<br />
Auch nach dem Verbot im August 1956 blieb die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bürgerschaft. <strong>Die</strong><br />
kommunistischen Abgeordneten verloren nach e<strong>in</strong>em Urteil des Staatsgerichtshofes<br />
zwar ihre Sitze im Landtag, behielten aber bis zum Ende der Legislaturperiode 1959<br />
ihre Mandate <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft.
Kapitel 5<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
<strong>Die</strong> Arbeit <strong>in</strong> den Betrieben und Gewerkschaften musste <strong>in</strong> Selbstverständnis und<br />
Strategie der Arbeiterpartei <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e zentrale Rolle spielen. <strong>Die</strong>se zunächst triviale<br />
Erkenntnis erhält im Zusammenhang mit der Entwicklung der Partei nach <strong>1945</strong> erst<br />
ihre Bedeutung: In ke<strong>in</strong>em anderen Betätigungsfeld können der Niedergang, der<br />
E<strong>in</strong>flussverlust, die Konfrontationsl<strong>in</strong>ien des Kalten Krieges und die sich aus diesen<br />
Prozessen ergebenden <strong>in</strong>nerparteilichen Widersprüche und Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
deutlicher beobachtet werden. Vor dem H<strong>in</strong>tergrund der bedeutsamen Rolle von<br />
Kommunisten <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren beim Wiederaufbau der Betriebe, der<br />
Stärke der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den ersten Betriebsräten und auch <strong>in</strong> den Gewerkschafts<strong>org</strong>anen<br />
musste der E<strong>in</strong>flussverlust <strong>in</strong> ihrem »traditionellen sozialen Bezugsfeld«, der Industriearbeiterschaft,<br />
1 für die Partei besondere Folgen haben. Das soll <strong>in</strong> diesem<br />
Kapitel besonders auf <strong>in</strong>nerparteilicher Ebene aufgezeigt werden.<br />
1. Überblick: <strong>Die</strong> Radikalisierung der<br />
<strong>KPD</strong>-Gewerkschaftspolitik<br />
<strong>Die</strong> Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> wurde ab 1948 - auch im Zuge der beg<strong>in</strong>nenden<br />
Parteiumgestaltung - e<strong>in</strong>er kritischen Bestandsaufnahme der Parteileitung unterzogen,diesichzunächst<strong>in</strong>derForderungnachStärkungderBetriebsgruppenund<br />
verstärkter Arbeit <strong>in</strong> den Gewerkschaften erschöpfte. Im Februar 1949 beklagte der<br />
stellvertretende Parteivorsitzende Fritz Sperl<strong>in</strong>g, die Betriebsgruppenarbeit habe<br />
sich »nicht vorwärts, sondern rückwärts entwickelt«. 2 <strong>Die</strong> Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger<br />
Delegiertenkonferenz im März 1949 betonte, die »Betriebsgruppen <strong>in</strong> den entscheidendsten<br />
Betrieben« müssten »die Schwerpunkte unserer Arbeit werden«. 3<br />
Selbstkritische Ursachenforschung für den konstatierten Missstand wurde nicht<br />
versucht, abgesehen von der allgeme<strong>in</strong>en Feststellung, »dass das niedrige Klassen-<br />
1 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1726.<br />
2 Ebenda.<br />
3 Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong> (5.-6.3. 1949), <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente,<br />
a.a.O., Band 1, S. 266-284, hier S. 283.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 195<br />
bewusstse<strong>in</strong> der deutschen Arbeiterklasse« sich eben auch <strong>in</strong> der eigenen Partei widerspiegele.<br />
4 Auch konzeptionelle Neuorientierungen formulierte man noch nicht.<br />
Nach dem für die Partei enttäuschenden Ergebnis der Bundestagswahlen 1949<br />
wurde die Kritik an <strong>org</strong>anisatorischen und ideologischen Mängeln deutlicher, die<br />
<strong>in</strong>haltliche Frage der Gewerkschafts- und Betriebsgruppenpolitik allerd<strong>in</strong>gs wieder<br />
nur beiläufig und allgeme<strong>in</strong>-abstrakt behandelt. Auf der sich mit der Auswertung<br />
der Wahlen beschäftigenden 13. Parteivorstandsitzung am 16. September 1949 stellte<br />
Max Reimann wieder den ideologischen Zustand und die »nationale Frage« <strong>in</strong><br />
den Mittelpunkt, konstatierte aber auch, dass »die Partei die Betriebsarbeit, das entscheidende<br />
Feld der Arbeit e<strong>in</strong>er marxistisch-len<strong>in</strong>istischen Partei«, wie auch »die<br />
Organisierung von Massenbewegungen für höhere Löhne und andere soziale Forderungen<br />
der Betriebe und Gewerkschaften« »sträflich vernachlässigt« habe. 5 <strong>Die</strong><br />
Erkenntnis, »dass e<strong>in</strong>e konkrete Arbeiterpolitik unmöglich ist ohne e<strong>in</strong>e richtige<br />
Gewerkschaftspolitik«, und die Forderung, »dass die Gewerkschaften selbst e<strong>in</strong>er<br />
der entscheidenden Träger der nationalen Politik se<strong>in</strong> müssen«, blieben zwar abstrakt,<br />
6 deuteten aber die bald folgende programmatische Richtungsänderung an,<br />
die auch die Betriebs- und Gewerkschaftspolitik unter das Primat der »nationalen<br />
Politik« stellte.<br />
Konkretisiert und erstmals explizit formuliert wurde diese Neuorientierung <strong>in</strong><br />
der von der 15. Parteivorstandstagung im März 1950 verabschiedeten Resolution<br />
»<strong>Die</strong> Gewerkschaftsbewegung und die Kommunisten«. 7 Das Dokument kann als<br />
gewerkschaftliches Programm der <strong>KPD</strong> betrachtet werden 8 undverfestigtedie»ultral<strong>in</strong>ke(n)<br />
Auffassungen <strong>in</strong> der Gewerkschaftsfrage«. 9 <strong>Die</strong> Resolution kritisierte<br />
scharf die »rechten Gewerkschaftsführer«, die sich bemühten, »die Gewerkschaften<br />
ihres Klassencharakters zu berauben« und sich »mit den schlimmsten deutschen<br />
Scharfmachern« verbündeten. 10 Der Parteivorstand wandte sich gegen das »Nur-<br />
Gewerkschaftertum«, das die Gewerkschaftsbewegung von der politischen Bewegung<br />
fernhalte, 11 und formulierte die neue Prioritätensetzung der <strong>KPD</strong>-Politik <strong>in</strong><br />
den Gewerkschaften und Betrieben:<br />
»Im Mittelpunkt der Politik der Partei und der Arbeiterklasse steht der Kampf um den Frieden,<br />
die Schaffung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen, unabhängigen demokratischen Deutschland und der<br />
Abzug aller Besatzungstruppen. [...]. Der Kampf um den Frieden, um e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches, demokratisches<br />
Deutschland, ist unter den Bed<strong>in</strong>gungen der doppelten Ausbeutung gleichbedeu-<br />
4 Ebenda, S. 276.<br />
5 Herbert Kuehl. <strong>Die</strong> Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> von <strong>1945</strong> bis 1956. <strong>Die</strong> Rolle der Parteimitglieder <strong>in</strong><br />
betrieblichen Konflikten - im Schwerpunkt dargestellt anhand des Hamburger Werftarbeiterstreiks von<br />
1955, Hamburg 1981 (Diss.), S. 82f.<br />
6 So Herbert Kuehl, <strong>Die</strong> Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> von <strong>1945</strong> bis 1956, a.a.O., S. 83.<br />
7 Auszugsweise abgedruckt <strong>in</strong>: Dokumente der Kommunistischen Partei Deutschlands <strong>1945</strong>-1956. Mit<br />
e<strong>in</strong>em Vorwort des Ersten Sekretärs des ZK der <strong>KPD</strong> Max Reimann, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1965, S. 223-234.<br />
8 Vgl. Herbert Kuehl, <strong>Die</strong> Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> von <strong>1945</strong> bis 1956, a.a.O., S. 82.<br />
9 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 44.<br />
10 <strong>Die</strong> Gewerkschaften und die Kommunisten, <strong>in</strong>: Dokumente der Kommunistischen Partei Deutschlands<br />
<strong>1945</strong>-1956, a.a.O., S. 224.<br />
11 Ebenda, S. 225.
196<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
tend mit dem Kampf um die Existenz der Arbeiterklasse und aller Werktätigen. Er ist somit<br />
unlösbar verbunden mit dem Kampf um höhere Löhne, um die Erhaltung des Arbeitsplatzes<br />
und um das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter <strong>in</strong> den Betrieben«. 12<br />
Den Parteimitgliedern wurde die Aufgabe zugewiesen, »die Kampfbereitschaft<br />
der Arbeiter zu fördern, ihnen zu helfen, den Kampf um Lohnerhöhungen von Betrieb<br />
zu Betrieb und von Industriegruppe zu Industriegruppe zu entwickeln« sowie<br />
»die notwendigen Kampfesvorbereitungen« zu treffen. 13<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> stellte mit dieser Subsumierung gewerkschaftlicher Aufgaben - und<br />
eben nicht nur der Aufgaben der Parteimitglieder <strong>in</strong> den Gewerkschaften - unter<br />
das Primat ihrer nationalen Politik den von ihr selbst immer wieder geforderten<br />
und nach <strong>1945</strong> mit durchgesetzten Charakter der Gewerkschaften als politisch unabhängige<br />
E<strong>in</strong>heits<strong>org</strong>anisationen selbst <strong>in</strong> Frage. Zu recht weisen Judick, Schleifste<strong>in</strong><br />
und Ste<strong>in</strong>haus darauf h<strong>in</strong>, dass durch die ȟberspitzte Polemik sowie durch<br />
unsachliche Überreaktionen Brücken zu sozialdemokratischen, christlich orientierten<br />
und parteipolitisch ungebundenen Gewerkschaftern abgerissen wurden«. 14<br />
Mit der Grundforderung nach e<strong>in</strong>er aktiveren Rolle der Gewerkschaften <strong>in</strong> der<br />
Deutschland- und vor allem <strong>in</strong> der Friedenspolitik stand die <strong>KPD</strong> nicht alle<strong>in</strong>, und<br />
sie hatte durchaus e<strong>in</strong>e legitime Grundlage. <strong>Die</strong> Frage nach der Stellung und Rolle<br />
der Gewerkschaften <strong>in</strong>nerhalb der neukonstituierten Bundesrepublik war zu diesem<br />
Zeitpunkt ke<strong>in</strong>eswegs unumstritten. Zu klären war das »Verhältnis zwischen<br />
den ›klassischen‹ Vertretungsfunktionen der Gewerkschaften - also der Aufgabe<br />
des Schutzes der Lohnabhängigen vor der Willkür des Kapitals sowie der Verbesserung<br />
ihrer Arbeits- und Lebensbed<strong>in</strong>gungen - und den [...] gesellschaftspolitischen<br />
Gestaltungs- und Veränderungsfunktionen, also der Zielsetzung der ›sozialen Demokratie‹.<br />
15 Über diese Standortbestimmung wurde besonders 1951/52 e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive<br />
theoretische Debatte geführt, auch <strong>in</strong> den Gewerkschaften selbst. 16<br />
In dieser Zeit mussten die Gewerkschaften aber mit der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes<br />
im Juli 1952 auch ihre bis dah<strong>in</strong> schwerste politische<br />
Niederlage h<strong>in</strong>nehmen. Das Gesetz beschränkte die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer<br />
im Betrieb auf soziale Fragen. <strong>Die</strong> Gewerkschaften hatten damit das<br />
Ziel der paritätischen Mitbestimmung <strong>in</strong> wirtschaftlichen Fragen - die sie zuvor <strong>in</strong><br />
langen Ause<strong>in</strong>andersetzungen immerh<strong>in</strong> für die Montan<strong>in</strong>dustrie erreichen konn-<br />
12 Ebenda, S. 229f.<br />
13 Ebenda, S. 228.<br />
14 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 45.<br />
15 Frank Deppe, Ge<strong>org</strong> Fülberth und Jürgen Harrer (Hrsg.): Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung,<br />
vierte, aktualisierte und neu bearbeitete Auflage, Köln 1989, S. 514.<br />
16 Vgl. ebenda, S. 514ff.; Michael Schneider, Kle<strong>in</strong>e Geschichte der Gewerkschaften. Ihre Entwicklung <strong>in</strong><br />
Deutschland von den Anfängen bis heute, Bonn 1989, S. 290ff.; Theo Pirker, <strong>Die</strong> bl<strong>in</strong>de Macht. <strong>Die</strong> Gewerkschaftsbewegung<br />
<strong>in</strong> der Bundesrepublik, 2 Bände, Berl<strong>in</strong> 1979 [München 1960], Bd.1, S. 291ff. Als<br />
Vertreter der beiden Flügelpositionen: Goetz A. Briefs, Gewerkschaftsprobleme <strong>in</strong> unserer Zeit. Beiträge<br />
zur Standortbestimmung, 2. Aufl., Frankfurt a.M. <strong>1968</strong> [1. Aufl. 1955]; Wolfgang Abendroth, Zur<br />
Funktion der Gewerkschaften <strong>in</strong> der westdeutschen Demokratie, <strong>in</strong>: ders., Arbeiterklasse, Staat und<br />
Verfassung. Materialien zur Verfassungsgeschichte und Verfassungstheorie der Bundesrepublik. herausgegeben<br />
und e<strong>in</strong>geleitet von Joachim Perels, Frankfurt a.M. 1975, S. 33ff.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 197<br />
ten - nicht durchsetzen können. Über die E<strong>in</strong>schränkung der Mitbestimmungsrechte<br />
h<strong>in</strong>aus verbot das Gesetz außerdem jegliche <strong>in</strong>nerbetriebliche politische Betätigung<br />
der Betriebsräte. Der DGB protestierte im Vorfeld der Verabschiedung zunächst<br />
scharf gegen das geplante Gesetz. 17 In zahlreichen Städten fanden Demonstrationen,<br />
Protestkundgebungen und Warnstreiks statt. <strong>Die</strong> Proteste verpufften jedoch<br />
schließlich, die DGB-Führung beschloss die E<strong>in</strong>stellung der Aktionen.<br />
<strong>Die</strong>se Niederlage und die Widersprüchlichkeit zwischen dem anfänglich gezeigten<br />
Widerstandswillen und der resignativen Aufgabe der DGB-Führung am Ende<br />
der Ause<strong>in</strong>andersetzungen führte auf dem 2. DGB-Kongress im Oktober 1952 zu<br />
scharfer Kritik der Delegierten. 18 Gleiches galt für die Haltung des DGB-Vorstands<br />
zur Wiederaufrüstung. Der DGB hatte sich schon unter der Führung des 1951 verstorbenen<br />
Hans Böckler im Gegensatz zur SPD nicht explizit gegen e<strong>in</strong>en bundesdeutschen<br />
Wehrbeitrag gestellt, wohl auch, weil er sich so Zugeständnisse der<br />
Bundesregierung <strong>in</strong> der Frage der paritätischen Mitbestimmung erhoffte. 19 Böcklers<br />
Nachfolger Christian Fette und se<strong>in</strong> Stellvertreter Hans vom Hoff sprachen sich offen<br />
für die Remilitarisierung aus, stießen damit aber schon vor dem 2. DGB-<br />
Kongress auf Widerstand aus den mittleren und unteren Funktionärsebenen. 20<br />
Nach der massiven Kritik der Delegierten an der Politik des Bundesvorstandes<br />
wurden Fette und vom Hoff als Vorsitzende des DGB abgewählt. Fettes Nachfolger<br />
wurde der IG-Metall-Vorsitzende Walter Freitag. 21<br />
Angesichts dieser Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die politische Rolle der Gewerkschaften<br />
und der Haltung der DGB-Führung zur Remilitarisierung wird deutlich,<br />
dass die <strong>KPD</strong> grundsätzlich mit ihren friedens- und deutschlandpolitischen Forderungen<br />
an die Gewerkschaften und mit ihrer Vorstellung von den Gewerkschaften<br />
als antikapitalistischem und außerparlamentarischem Machtfaktor ke<strong>in</strong>eswegs isoliert<br />
war. Unabhängig davon, ob e<strong>in</strong>e solche Konzeption unter den realen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
objektiv überhaupt e<strong>in</strong>e Realisierungschance gehabt hätte - die Niederlage<br />
<strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung um das Betriebsverfassungsgesetz spricht eher dagegen<br />
-, hätte die Partei mit diesem Konzept zum<strong>in</strong>dest auf Resonanz auch bei der nicht<br />
kommunistischen Arbeiterschaft und den unteren gewerkschaftlichen Funktionärsebenen<br />
hoffen können. <strong>Die</strong>s aber wäre »nur durch <strong>in</strong>tensive gewerkschaftliche Arbeit,<br />
nicht aber durch e<strong>in</strong>e parteiamtliche Proklamation zu verwirklichen gewesen,<br />
die nur allzu leicht als ›Anweisung von außen‹ diffamiert werden konnte«. 22 <strong>Die</strong><br />
Möglichkeiten für die gewerkschaftliche Arbeit der kommunistischen Funktionäre<br />
<strong>in</strong> den Betrieben wurden aber nun durch die l<strong>in</strong>kssektiererischen V<strong>org</strong>aben des Par-<br />
17 Zur Ause<strong>in</strong>andersetzung um das Betriebsverfassungsgesetz siehe v.a. Theo Pirker, <strong>Die</strong> bl<strong>in</strong>de Macht,<br />
a.a.O., Band 1, S. 237ff; Frank Deppe et al. (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung,<br />
a.a.O., S. 494ff.<br />
18 Frank Deppe et al. (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, a.a.O., S. 498.<br />
19 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 51; Frank Deppe et al. (Hrsg.), Geschichte der deutschen<br />
Gewerkschaftsbewegung, a.a.O., S. 482; Theo Pirker, <strong>Die</strong> bl<strong>in</strong>de Macht, a.a.O., Band 1, S. 233; Michael<br />
Schneider, Kle<strong>in</strong>e Geschichte der Gewerkschaften, a.a.O., S. 293.<br />
20 Vgl. Theo Pirker, <strong>Die</strong> bl<strong>in</strong>de Macht, a.a.O., Band 1, S. 234ff.<br />
21 Ebenda, Band 2, S. 28ff.<br />
22 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 45.
198<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
teivorstands <strong>in</strong> der Resolution von 1950 stark e<strong>in</strong>geschränkt, zumal ihnen - abgesehen<br />
von allgeme<strong>in</strong>en Floskeln - auch nicht gesagt wurde, wie sie denn diese Ziele<br />
verwirklichen sollten. Schon deshalb waren die folgenden Schwierigkeiten bei der<br />
Durchsetzung der Resolution gegenüber den eigenen Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionären<br />
absehbar. Sichtbares Zeichen für die Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die<br />
gewerkschaftspolitische L<strong>in</strong>ie war Anfang Juli 1950 die Absetzung des für Gewerkschaftspolitik<br />
zuständigen Sekretärs Hermann Nud<strong>in</strong>g, der »se<strong>in</strong>e Bedenken gegen<br />
sektiererische Tendenzen <strong>in</strong> der Gewerkschaftsarbeit der Partei geltend« gemacht<br />
hatte. 23<br />
Im März 1951 verabschiedete der erste Parteitag der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Entschließung<br />
»<strong>Die</strong> gegenwärtige Lage und die Aufgaben der <strong>KPD</strong>« auch die »These 37«, <strong>in</strong> der<br />
die seit 1950 formulierte l<strong>in</strong>kssektiererische Gewerkschaftspolitik noch e<strong>in</strong>mal besonders<br />
scharf po<strong>in</strong>tiert zum Ausdruck gebracht wurde und mit der sich die <strong>KPD</strong><br />
schließlich selbst aus den noch verbliebenen Gewerkschaftspositionen herauskatapultierte.<br />
These 37, e<strong>in</strong>e von <strong>in</strong>sgesamt 53 <strong>in</strong> der Entschließung, griff vor allem die<br />
»rechten Gewerkschaftsführer« scharf an und warf ihnen vor, »im Auftrag und im<br />
Interesse des amerikanischen Imperialismus und im E<strong>in</strong>klang mit den deutschen<br />
Monopolisten« »die Gewerkschafts<strong>org</strong>anisation <strong>in</strong> den <strong>Die</strong>nst der Kriegsvorbereitungen<br />
zu stellen«. Daraus ergebe »sich die Aufgabe, den wachsenden Kampf- und<br />
Widerstandswillen der Arbeiter zu entwickeln und zu festigen und Kampfhandlungen<br />
auszulösen auch gegen den Willen rechter Gewerkschaftsführer«. 24 Zwar<br />
wandte sich die These auch gegen »Sektierertum von Parteimitgliedern« und forderte<br />
von den Mitgliedern, »<strong>in</strong> der Gewerkschaft zu arbeiten, der beste Gewerkschafter<br />
zu se<strong>in</strong> und Funktionen <strong>in</strong> der Gewerkschaft anzunehmen«, machte aber<br />
genau dies durch die überzogene und ultral<strong>in</strong>ke Anklage gegen die »rechten Gewerkschaftsführer«<br />
nahezu unmöglich. Es war »bei nüchterner Analyse der <strong>in</strong>nergewerkschaftlichen<br />
Lage« 25 durchaus vorhersehbar, wie die Gewerkschaften auf<br />
die Anklagen reagieren würden und dass letztlich die <strong>in</strong> den Formulierungen der<br />
These lesbare Verletzung der Gewerkschaftsstatuten 26 sowie die parteipolitische<br />
Funktionalisierung gewerkschaftlicher Ziele nur zur Isolation führen konnten.<br />
In der Tat hatte »These 37« <strong>in</strong> der Folgezeit fatale Folgen. <strong>Die</strong> IG Metall reagierte<br />
mit e<strong>in</strong>em Revers, den sie ihren kommunistischen Funktionären zur Unterschrift<br />
vorlegte. Mit dieser Erklärung sollten die Funktionäre die <strong>KPD</strong>-These als gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlich<br />
ablehnen und sich gleichzeitig zu den Beschlüssen und Satzungen<br />
der IG Metall bekennen. 27 <strong>Die</strong> Verweigerung der Unterschrift zog e<strong>in</strong> gewerkschaftliches<br />
Funktionsverbot nach sich, die Unterschriftsleistung bedeutete für die<br />
23 Ebenda. Vgl. auch Tilman Fichter, Eugen Eberle: Kampf um Bosch, Berl<strong>in</strong> 1974, S. 184f.; <strong>Die</strong>trich Staritz,<br />
<strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O. S.1730; Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 81<br />
sowie These 50 <strong>in</strong> der Entschließung des »Münchener« Parteitags von 1951: <strong>Die</strong> gegenwärtige Lage und<br />
die Aufgaben der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 368f.<br />
24 <strong>Die</strong> gegenwärtige Lage und die Aufgaben der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 355.<br />
25 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 48.<br />
26 Vgl. Herbert Kuehl, <strong>Die</strong> Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> von <strong>1945</strong> bis 1956, a.a.O., S. 99.<br />
27 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 52.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 199<br />
Kommunisten zunächst die Distanzierung von den Beschlüssen der eigenen Partei.<br />
Damit waren die kommunistischen Gewerkschaftsfunktionäre <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e politische<br />
Zwickmühle gestürzt worden.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs hätte die <strong>KPD</strong> zu diesem Zeitpunkt durchaus noch flexibel reagieren<br />
und angesichts der absehbaren Konsequenzen die Unterschriftsleistung zum<strong>in</strong>dest<br />
tolerieren können. <strong>Die</strong> Partei verbot jedoch ihren Mitgliedern die Unterschrift des<br />
Reverses und drohte mit der Konsequenz des Parteiausschlusses. 28 Damit waren<br />
die <strong>KPD</strong>-Mitglieder <strong>in</strong> den Gewerkschaften vor die Alternative gestellt, entweder<br />
ihre gewerkschaftlichen Funktionen oder aber die Parteimitgliedschaft zu erhalten.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> verlor so »<strong>in</strong>nerhalb kürzester Frist ihre Basis unter den Funktionären der<br />
IG Metall«, und zwar durchgängig von der haupt- und ehrenamtlichen Leitungsebene<br />
bis h<strong>in</strong> zu den Vertrauensmännerkörpern <strong>in</strong> den Betrieben oder den Delegierten<br />
für Leitungswahlen auf Ortsebene. Viele Funktionäre, offenbar besonders<br />
auf den Leitungsebenen, entschieden sich <strong>in</strong> dieser Situation für die Gewerkschaft<br />
und verließen die Partei. 29 <strong>Die</strong>jenigen, die den Revers nicht unterschrieben, verloren<br />
ihre gewerkschaftlichen Funktionen, später häufig auch ihre Mitgliedschaft <strong>in</strong><br />
der Gewerkschaft. 30<br />
In der Tat also hatte sich die <strong>KPD</strong> »auf e<strong>in</strong>em zentralen Tätigkeitsfeld außerordentlich<br />
geschwächt« 31. <strong>Die</strong> »These 37« war der Höhepunkt der radikalisierten und<br />
<strong>in</strong>strumentalisierten Gewerkschaftspolitik der Partei seit 1950. Gleichzeitig markierte<br />
sie auch e<strong>in</strong>en vorläufigen Höhepunkt der bereits Jahre andauernden <strong>in</strong>nergewerkschaftlichen<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten,<br />
bei denen antikommunistisch orientierte Gewerkschaftsfunktionäre mit<br />
der SPD und oftmals auch im Zusammenspiel mit staatlichen Stellen versuchten,<br />
den E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>nerhalb der gewerkschaftlichen Gremien und Organisationen<br />
wie auch <strong>in</strong> den Betrieben zurückzudrängen. 32 <strong>Die</strong> Radikalisierung der <strong>KPD</strong>-<br />
Gewerkschaftspolitik und der Umstand, dass sie <strong>in</strong>nerhalb der Mitgliedschaft - bei<br />
allen für <strong>Bremen</strong> noch zu schildernden Widerständen - überhaupt auf Resonanz<br />
stieß und trotz der absehbaren Isolation nachvollzogen wurde, muss sicher auch<br />
vor dem H<strong>in</strong>tergrund dieser bis <strong>in</strong> die Betriebe reichenden »schleichenden Verfolgung«<br />
33 gesehen werden. In der Endbilanz aber hatte sich die <strong>KPD</strong> damit <strong>in</strong> den<br />
Gewerkschaften und den betrieblichen Vertretungen <strong>in</strong>haltlich isoliert, <strong>org</strong>anisato-<br />
28 <strong>Die</strong> Unterschriftsleistung hatte ke<strong>in</strong>eswegs zwangsläufig den Parteiausschluss zur Folge, wie anhand<br />
derBremer<strong>KPD</strong>nochzuzeigense<strong>in</strong>wird.<br />
29 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 48.<br />
30 So z.B. der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Bosch-Werke <strong>in</strong> Stuttgart, Eugen Eberle, der aufgrund<br />
der »These 37« aus dem IG Metall Hauptvorstand ausscheiden musste (Tilman Fichter und Eugen Eberle,<br />
Kampf um Bosch, a.a.O., S. 185ff.).<br />
31 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 48.<br />
32 Siehe die Beispiele bei Patrick Major, The Death of the <strong>KPD</strong>. Communism and Anti-Communism <strong>in</strong><br />
West Germany, <strong>1945</strong>-1956, Oxford 1997, S. 184ff.; Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 53ff.; Gudrun<br />
Schädel, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen von <strong>1945</strong>-1956, a.a.O.,<br />
S. 163ff.<br />
33 Patrick Major, The Death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 189 (»The radicalization of <strong>KPD</strong> union policy [...] must<br />
thus be seen <strong>in</strong> the context of this creep<strong>in</strong>g persecution«).
200<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
risch stark geschwächt und den Gewerkschaftsleitungen e<strong>in</strong>e willkommene Möglichkeit<br />
gegeben, mit adm<strong>in</strong>istrativen Maßnahmen den E<strong>in</strong>fluss von Kommunisten<br />
weiter zurückzudrängen und vielfach sogar völlig auszuschalten.<br />
Angesichts dieses <strong>in</strong>nerhalb kürzester Zeit angerichteten Scherbenhaufens revidierte<br />
die <strong>KPD</strong> auf dem Parteitag Ende 1954 <strong>in</strong> Hamburg den Umgang mit der These<br />
37 und der Frage der Reverse. Im Rechenschaftsbericht des Parteivorstandes hieß<br />
es: »Sollte es zur Sicherung der weiteren gewerkschaftlichen Arbeit [...] nicht zu<br />
umgehen se<strong>in</strong>, können von der Gewerkschaftsführung v<strong>org</strong>elegte Reverse unterschrieben<br />
werden, es sei denn, dass der Inhalt der Reverse selbst gegen grundsätzliche<br />
Interessen der Arbeiterklasse verstößt«. 34 Inhaltlich beschäftigte sich der Parteitag<br />
mit der These 37 nicht, er klammerte die Frage aus. 35 <strong>Die</strong> die Gewerkschaftspolitik<br />
behandelnde These 7 des Hamburger Parteitags bemühte sich lediglich, verbale<br />
Überspitzungen zu vermeiden. So sprach man jetzt nicht mehr pauschal von<br />
den »rechten Gewerkschaftsführern« sondern von »gewisse(n) Gewerkschaftsführer(n)«.<br />
36 Es sei nicht richtig, so Willi Mohn dazu <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Schlusswort, »e<strong>in</strong>fach<br />
von rechten Gewerkschaftsführern zu sprechen, sondern es muss <strong>in</strong> der gegenwärtigen<br />
Situation unsere Aufgabe se<strong>in</strong>, zu den Worten und Taten jedes Gewerkschaftsfunktionärs<br />
entsprechend se<strong>in</strong>er Handlung Stellung zu nehmen«. 37 Inhaltlich<br />
aber wurde die These 37 von 1951 ke<strong>in</strong>er Revision unterzogen, und nach wie<br />
vor stand im Zentrum der <strong>KPD</strong>-Gewerkschaftspolitik der Widerstand gegen die<br />
Remilitarisierung. 38 »<strong>Die</strong> politische Bedeutung ökonomischer Forderungen, wie<br />
z.B. nach E<strong>in</strong>führung der 40-Stunden-Woche, wurde noch nicht <strong>in</strong> vollem Maße erkannt.«<br />
39<br />
Nicht nur für die gewerkschaftlichen Positionen und den Organisationsgrad der<br />
Mitgliedschaft 40 hatte die These 37 Folgen. Ebenso bedeutsam waren die <strong>in</strong>nerparteilichen<br />
Konsequenzen. <strong>Die</strong>s waren zum e<strong>in</strong>en die vermeidbaren Konflikte mit der<br />
betrieblichen Basis. Zum anderen wird auch der schon zuvor vorhandene Trend <strong>in</strong><br />
der Mitgliedschaft, sich aus der Betriebsarbeit <strong>in</strong> die Wohngebietsgruppen oder <strong>in</strong><br />
die völlige Passivität zurückzuziehen, zum Teil - neben dem starken Antikommunismus<br />
von Seiten der SPD, Gewerkschaften und Arbeitgeber, durch den e<strong>in</strong>e<br />
kommunistische Betätigung im Betrieb auch den Verlust des Arbeitsplatzes nach<br />
sich ziehen konnte - auf die im Widerspruch zu den betrieblichen Realitäten stehenden<br />
Radikalisierungen der <strong>KPD</strong>-Politik zurückzuführen se<strong>in</strong>. 41 Bereits 1949 war<br />
34 Protokoll des Hamburger Parteitags der Kommunistischen Partei Deutschlands vom 28. bis 30. Dezember<br />
1954, Herausgeber: Parteivorstand der Kommunistischen Partei Deutschlands, o.O. o.J., S. 38.<br />
35 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 66.<br />
36 Protokoll des Hamburger Parteitags, a.a.O., S. 238.<br />
37 Ebenda, S. 223.<br />
38 Ebenda, S. 237.<br />
39 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 66.<br />
40 Nach Angaben von Judick/Schleifste<strong>in</strong>/Ste<strong>in</strong>haus (ohne Quellenangabe) waren 1954 »<strong>in</strong>folge der vorausgegangenen<br />
Ausschlüsse aus den Gewerkschaften, aber auch im Ergebnis sektiererischen Verhaltens<br />
[...] nur noch die Hälfte der Parteimitglieder gewerkschaftlich <strong>org</strong>anisiert« (Günter Judick, Josef<br />
Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 61).<br />
41 Vgl. auch Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1728f.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 201<br />
der Anteil der <strong>in</strong> den Betriebsgruppen erfassten Mitglieder <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Bundesland<br />
höher als ca. 21 Prozent, <strong>in</strong> vielen Fällen lag er sogar unter 10 Prozent. <strong>Die</strong>s lag weit<br />
unter dem Arbeiteranteil an der Mitgliedschaft (45% - 65%). 42 Auch für <strong>Bremen</strong><br />
lässt sich bis 1955 e<strong>in</strong> starkes S<strong>in</strong>ken der Zahl der Betriebsgruppen und e<strong>in</strong> überproportionaler<br />
Mitgliederverlust bei den Arbeitern feststellen.<br />
2. Betriebs- und Gewerkschaftspolitik der Bremer <strong>KPD</strong><br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftsfunktionen<br />
<strong>Die</strong> Anzahl sowie die Mitgliederstärke der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> lässt<br />
sich von Ende 1948 bis Ende 1951 relativ genau, danach bis zum Verbot 1956 nur<br />
tendenziell bestimmen. <strong>Die</strong> ersten vorliegenden Übersichten aus den <strong>in</strong>ternen Parteistatistiken<br />
stammen vom Dezember 1948 und geben für <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong>sgesamt neun<br />
Betriebsgruppen (Hafen, B<strong>org</strong>ward, Atlas-Werke, AG »Weser«, Norddeutsche Hütte,<br />
Francke-Werke, Stadtwerke, Reichsbahnausbesserungswerk Sebaldsbrück, Roland<br />
Mühle), für Bremerhaven zwei (Hafen, Seebeck-Werft) und für <strong>Bremen</strong>-Nord<br />
e<strong>in</strong>e (Vulkan-Werft) an. 43 Bei diesen <strong>in</strong>sgesamt zwölf Betriebsgruppen handelte es<br />
sich - wie der Bericht betont - um »arbeitende« Gruppen. <strong>Die</strong> tatsächliche Gesamtzahl<br />
an Betriebsgruppen, e<strong>in</strong>schließlich also der nicht regelmäßig tagenden und eher<br />
passiven, lag also eventuell zu dieser Zeit noch höher.<br />
Der Erste Sekretär Willy Knigge nannte im Januar 1949 <strong>in</strong>sgesamt 33 Betriebsgruppen,<br />
davon alle<strong>in</strong>e 22 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Stadt sowie sieben <strong>in</strong> Bremerhaven und vier<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord. 44 <strong>Die</strong>s war eher e<strong>in</strong>e Soll- als e<strong>in</strong>e Ist-Zustand Beschreibung, <strong>in</strong><br />
die vermutlich alle Betriebe, <strong>in</strong> denen überhaupt Kommunisten arbeiteten, e<strong>in</strong>bezogen<br />
wurden. <strong>Die</strong> im Zuge der Parteire<strong>org</strong>anisierung ab 1949 durchgeführten Mitgliederkontrollen<br />
und die dadurch nun regelmäßigeren und genaueren Statistiken<br />
revidierten diese überhöhten Zahlenangaben. Im April 1949 gaben die Organisationsberichte<br />
e<strong>in</strong>e Gesamtzahl von 24 Betriebsgruppen an, 45 im Juli und August 1949<br />
23 46 und ab Januar 1950 konstant 24 47.<br />
42 Vgl. Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 68; <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische<br />
Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1728.<br />
43 SAPMO I 11/20/15.<br />
44 Protokoll der Sekretariatssitzung der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong> am Sonntag, dem 16. Januar 1949, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/5.<br />
45 Ergebnis der Mitgliederkontrolle, Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
46 Organisationsberichtsbogen für Landesvorstände, Monat Juli 1949, Land <strong>Bremen</strong>; Organisationsberichtsbogen<br />
für Landesvorstände, Monat August 1949, Land <strong>Bremen</strong>, beide <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
47 Handschriftliche Tabelle <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/15.
202<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
Der im Mai 1950 vom Sekretariat beschlossene Organisationsplan 48 listete für<br />
<strong>Bremen</strong>-Stadt 16 (AG »Weser«, Hafen, Atlas-Werke, BBW-F<strong>in</strong>dorff, Stadtwerke, Roland-Mühle,<br />
Behörden, BBW-Gröpel<strong>in</strong>gen, Krages, Norddeutsche Hütte, B<strong>org</strong>ward,<br />
Schiermeyer, Bundesbahnausbesserungswerk Sebaldsbrück, Franke Werke, Gaswerk,<br />
Schellhaas und Druckemüller) und für <strong>Bremen</strong>-Nord drei Betriebsgruppen<br />
auf (Bremer Vulkan, Bremer Wollkämmerei, Norddeutsche Ste<strong>in</strong>gut). Für die<br />
Kreis<strong>org</strong>anisation Bremerhaven, die <strong>in</strong> dem Organisationsplan nicht erwähnt wird,<br />
kann von zwei weiteren Betriebsgruppen (Hafen und Seebeck-Werft) ausgegangen<br />
werden, so dass auch dieser Plan auf e<strong>in</strong>e Gesamtzahl von 24 Gruppen kommt. E<strong>in</strong>e<br />
Unterscheidung, ob es sich um »arbeitende« Gruppen handelt, erfolgte nicht<br />
mehr.<br />
<strong>Die</strong> Zahlen wurden ab Januar 1951, dem Zeitpunkt e<strong>in</strong>er weiteren <strong>in</strong>tensiven<br />
Mitgliederkontrolle aufgrund des bevorstehenden »Münchener« Parteitages,<br />
nochmals nach unten korrigiert. 49 Für den Mai 1951 wurden schließlich <strong>in</strong>sgesamt<br />
20 Betriebsgruppen genannt, davon elf <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Stadt, sechs <strong>in</strong> Bremerhaven und<br />
drei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord. 50<br />
<strong>Die</strong>se Zahlen waren gleichzeitig die letzten relativ genauen Angaben zu den Betriebsgruppen.<br />
Für die Folgezeit f<strong>in</strong>den sich nur noch zwei explizite Nennungen<br />
der Gesamtzahl sowie vere<strong>in</strong>zelte H<strong>in</strong>weise auf die Existenz und Stärke e<strong>in</strong>zelner<br />
Gruppen <strong>in</strong> den Betrieben. <strong>Die</strong> vorliegenden spärlichen Angaben lassen trotz der zu<br />
vermutenden statistischen Ungenauigkeiten jedoch den Schluss zu, dass die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />
den Jahren zwischen 1951 und 1956 e<strong>in</strong>en beträchtlichen Teil ihrer Betriebsgruppen<br />
sowie deren Mitglieder verlor. Im April 1953 gab der für die Org.-Abteilung der<br />
Landesleitung verantwortliche Sekretär Herbert Breidbach für das Land <strong>Bremen</strong><br />
die Anzahl der Betriebsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt neun an. 51 Breidbach bezog sich auf<br />
e<strong>in</strong>e Mitglieder vom Dezember 1952, was bedeutet, dass der Partei <strong>in</strong>nerhalb von<br />
gut anderthalb Jahren von 20 Betriebsgruppen elf verloren gegangen waren. Besonders<br />
drastisch fiel dieser Verlust <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Stadt auf, wo - unterstellt man zunächst<br />
die Korrektheit von Breidbachs Angaben - nur noch fünf der elf Betriebsgruppen<br />
von 1951 existierten (AG »Weser«, Hafen, B<strong>org</strong>ward, Goliath, Atlas-Werke). H<strong>in</strong>zu<br />
kam aber wohl noch m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e Betriebsgruppe bei den Gaswerken, die bereits<br />
seit spätestens 1948 existierte 52 und die auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Aufstellung vom September<br />
1955 noch erwähnt wird. <strong>Die</strong>se zeigt, dass wohl zum<strong>in</strong>dest dieses niedrige<br />
Niveau seit 1952 bis zum Verbot gehalten werden konnte. Aufgelistet wurden für<br />
den Kreis <strong>Bremen</strong>-Stadt die o.g. Betriebe sowie e<strong>in</strong>e weitere Gruppe bei Hansa-<br />
Waggon, wo bis etwa 1954 53 nur e<strong>in</strong> sog. Stützpunkt existiert hatte. 54 1955 existier-<br />
48 Arbeitsplan zum Aufbau der Partei im Lande <strong>Bremen</strong> und zur Durchführung der Neuwahlen (Beschluss der<br />
Sekretariatssitzung vom 6. Mai 1950), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/10.<br />
49 Handschriftliche Tabelle <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/15.<br />
50 Organisationsberichte vom Land <strong>Bremen</strong> für die Org.-Konferenz am 12.7.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
51 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> [18.4.53], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
52 SAPMO I 11/20/15.<br />
53 <strong>Die</strong> erste <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppenzeitung bei Hansa-Waggon erschien Ende 1954 (<strong>Die</strong> Hansa-Achse, Betriebszeitung<br />
für die Arbeiter und Angestellten der Hansa-Waggon, Nr. 1, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/14).
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 203<br />
ten also im gesamten Land <strong>Bremen</strong> noch maximal elf Betriebsgruppen der <strong>KPD</strong><br />
(sieben <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Stadt, je zwei <strong>in</strong> Bremerhaven und <strong>Bremen</strong>-Nord). 55<br />
Entsprechend der Anzahl von Betriebsgruppen der <strong>KPD</strong> sank die Zahl der <strong>in</strong><br />
diesen erfassten und aktiven Parteimitglieder. Zwischen April 1949 und Mai 1951<br />
gab die Organisationsstatistik zwischen 417 und 518 Betriebsgruppenmitglieder für<br />
das gesamte Land <strong>Bremen</strong> an. 56 E<strong>in</strong>e Aufschlüsselung nach Kreisen erfolgte nur<br />
Mitte 1951. Danach waren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Stadt 258 Mitglieder, <strong>in</strong> Bremerhaven 109 und<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord 104 Mitglieder <strong>in</strong> Betriebsgruppen <strong>org</strong>anisiert. 57 Auffällig ist das<br />
Verhältnis dieser Zahl zur Gesamtmitgliedschaft und deren Arbeiteranteil. <strong>Die</strong> 471<br />
<strong>in</strong> diesem Zeitraum erfassten Betriebsgruppenmitglieder entsprachen e<strong>in</strong>em Anteil<br />
an der gesamten Mitgliedschaft (2.341) von etwa 20 Prozent. Bei e<strong>in</strong>em Arbeiteranteil<br />
von gut 50 Prozent bedeutete dies, dass noch nicht e<strong>in</strong>mal die Hälfte der <strong>in</strong> der<br />
Partei <strong>org</strong>anisierten Arbeiter überhaupt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Betriebsgruppe erfasst waren. <strong>Die</strong>s<br />
entsprach e<strong>in</strong>em bundesweiten Trend, der schon spätestens seit 1949 e<strong>in</strong> Problem<br />
für die <strong>KPD</strong> war 58 und der auch nicht durch zahlreiche Appelle und Aktionen der<br />
Leitung gestoppt wurde. <strong>Die</strong> etwa 1949 e<strong>in</strong>geführte Betriebskassierung, die der besseren<br />
Erfassung der <strong>in</strong> den Betrieben tätigen Kommunisten dienen und die Betriebsgruppen<br />
stärken sollte, stieß offenbar auf Widerstand. E<strong>in</strong> Instrukteur kritisierte<br />
1949, dass »die Umstellung der Partei auf die Betriebsgruppenarbeit« noch<br />
»viel zu wenig vollzogen« sei. <strong>Die</strong> Kassierung <strong>in</strong> den Betrieben funktioniere nicht,<br />
»die Genossen werden vielmehr <strong>in</strong> ihren Wohngruppen erfasst«. Auch bei der Landesleitung<br />
bestünden »große Widerstände« gegen die Betriebskassierung. 59 E<strong>in</strong> wesentlicher<br />
Grund für diese Distanz zu den Betriebsgruppen wurde auf e<strong>in</strong>er Instrukteursberatung<br />
1951 genannt: »Das Leben unserer Genossen ist oft etwas e<strong>in</strong>geengt.<br />
Sie wollten teilweise nicht im Betrieb kassiert werden, weil sie nicht als Kommunisten<br />
erkannt werden möchten.« 60<br />
Nimmt man die genannten Zahlen zur Grundlage, verschlechterte sich <strong>in</strong> der<br />
Folgezeit sowohl die Mitgliederzahl der Betriebsgruppen als auch deren Anteil zur<br />
Gesamtmitgliedschaft noch weiter. Im Dezember 1952 waren demnach nur noch<br />
<strong>in</strong>sgesamt 230 Kommunisten <strong>in</strong> den Betriebsgruppen erfasst, dies entsprach bei e<strong>in</strong>er<br />
Mitgliederzahl von 1.940 e<strong>in</strong>em Anteil von etwa elf Prozent. 61 Das ohneh<strong>in</strong><br />
54 Bericht über den Zustand und die Aktivität der Grund<strong>org</strong>anisationen des Kreises <strong>Bremen</strong> (25.9.55), <strong>in</strong>: SAPMO<br />
I 11/20/15.<br />
55 <strong>Die</strong> SPD hatte Mitte der 1950er Jahre ca. 40-50 Betriebsgruppen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Vgl. Renate Meyer-Braun,<br />
<strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 100.<br />
56 SAPMO I 11/20/15, passim.<br />
57 Organisationsberichte vom Land <strong>Bremen</strong> für die Org.-Konferenz am 12.7.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
58 Vgl. <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1728; Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />
der Bundesrepublik, a.a.O., S. 68. Nach diesen Zahlen waren 1949 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> sogar nur 11,2 Prozent<br />
der Mitgliedschaft <strong>in</strong> Betriebsgruppen <strong>org</strong>anisiert.<br />
59 Bericht des Genossen K.E. Reuter über se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Wahlkampagne Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong> (1. August<br />
1949), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
60 Sem<strong>in</strong>aristische Beratung am 25.9.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
61 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> [18.4.53], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8. Über den Anteil<br />
von Arbeitern an der Mitgliedschaft liegen für diesen Zeitpunkt ke<strong>in</strong>e Zahlen mehr vor.
204<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
schon niedrige Niveau von 1951 war also e<strong>in</strong>em Zeitraum von gut anderthalb Jahren<br />
noch e<strong>in</strong>mal um über die Hälfte gesunken. Es liegen ke<strong>in</strong>erlei Angaben darüber<br />
vor, ob und <strong>in</strong> welchem Ausmaß dieser drastische Rückgang bei den Betriebsgruppen<br />
tatsächlich auf Parteiaustritte oder <strong>in</strong> der Mehrzahl auf Rückzug <strong>in</strong> die Wohngebietsgruppen,<br />
bzw. <strong>in</strong> die völlige Passivität zurückzuführen war. Abgesehen davon,<br />
dass diese Frage h<strong>in</strong>sichtlich der negativen Folgen für die Betriebsgruppen<br />
ohneh<strong>in</strong> eher zweitrangig war, kann angesichts der Entwicklungen <strong>in</strong> der Betriebsund<br />
Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> davon ausgegangen werden, dass e<strong>in</strong> beträchtlicher<br />
Teil dieses Verlustes tatsächlich auf Austritte zurückzuführen war.<br />
Zur Abnahme der betrieblichen - und gewerkschaftlichen - Präsenz der <strong>KPD</strong><br />
h<strong>in</strong>zu kam e<strong>in</strong>e zunehmende Passivität der Mitglieder <strong>in</strong> den verbliebenden Betriebsgruppen.<br />
Ähnlich wie <strong>in</strong> den übrigen Grunde<strong>in</strong>heiten geben die Berichte über<br />
Versammlungen der Betriebsgruppen bereits 1949/50 Teilnehmerzahlen zwischen<br />
lediglich 26 Prozent und 46 Prozent an. 62 Ab etwa 1951 häuften sich die Beschwerden<br />
der Leitung und von Instrukteuren über die mangelnde Aktivität <strong>in</strong> den Betrieben.<br />
Tenor war vor allem die Kritik an dem Rückzug <strong>in</strong> die Wohngebietsgruppen<br />
sowie dem »Zurückweichen vor der Organisierung und Auslösung von Aktionen,<br />
<strong>in</strong>sbesondere Streiks«, das sich bei e<strong>in</strong>em großen Teil der Betriebsfunktionäre<br />
bemerkbar mache. 63<br />
Verschiedene E<strong>in</strong>zelschilderungen wie von der Betriebsgruppe der Vulkan-<br />
Werft, bei der 1952 von 64 Mitgliedern lediglich die Hälfte kassiert, nur »9 Genossen<br />
aktiv im Parteileben« waren, und deren ganze politische Arbeit im Verkaufen<br />
»von 100 Betriebszeitungen« bestand, 64 zeigten die Gesamttendenz der Betriebsgruppen:<br />
<strong>Die</strong> Mehrheit der Kommunisten <strong>in</strong> den Betrieben war nicht (mehr) aktiv,<br />
nahm nicht an Betriebsgruppenversammlungen oder Aktionen teil und zog sich <strong>in</strong><br />
die Wohngebietsgruppen zurück. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war also auch und gerade <strong>in</strong> dem Bereich,<br />
den sie selbst als ihren bedeutsamsten betrachtete, <strong>in</strong> viel zu ger<strong>in</strong>gem Maße<br />
<strong>in</strong> der Lage, die eigene Mitgliedschaft zu aktivieren. Mehr noch: Offenbar gerade <strong>in</strong><br />
den Betrieben waren die größten Mitgliederverluste und vielleicht auch die stärkste<br />
Resignation zu verzeichnen.<br />
<strong>Die</strong> Zahl der Betriebsräte sowie der ehren- und hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre<br />
der <strong>KPD</strong> ist nur sehr ungenau zu bestimmen. <strong>Die</strong> Gewerkschaften veröffentlichten<br />
<strong>in</strong> der Regel bei der Bekanntgabe von Wahlergebnissen nicht die Parteizugehörigkeit<br />
der gewählten Funktionäre und auch die <strong>KPD</strong>-Presse, <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
die Tribüne der Demokratie, vermied <strong>in</strong> ihrer Berichterstattung die direkte Erwähnung<br />
der Parteizugehörigkeit und bezeichnete zur Hervorhebung der <strong>KPD</strong>-<br />
Mitglieder diese z.B. als »fortschrittliche Kandidaten«. Natürlich wurden aber - dies<br />
galt für <strong>KPD</strong> und SPD wie auch für den DGB und die E<strong>in</strong>zelgewerkschaften - sehr<br />
wohl <strong>in</strong>offizielle Statistiken über die Betriebs- und Gewerkschaftsvertretungen der<br />
62 Organisationsberichtsbogen für Landesvorstände, Monat Juli 1949, Land <strong>Bremen</strong>; Organisationsberichtsbogen<br />
für Landesvorstände, Monat August 1949, Land <strong>Bremen</strong>; Organisationsberichtsbogen für Landesvorstände, Monat<br />
Februar 1950, Land <strong>Bremen</strong>, alle <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
63 Politischer Wochenbericht für die Woche vom 2.-8. Februar 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
64 Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 19.-25.4.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 205<br />
Partei geführt, und auch aus der (Partei)-Presse lassen sich <strong>in</strong>direkte Rückschlüsse<br />
gew<strong>in</strong>nen. <strong>Die</strong> vorliegenden Materialien der Bremer <strong>KPD</strong> s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs eher spärlich,<br />
was die Nennung von Zahlen betrifft. <strong>Die</strong> folgende Tabelle gibt e<strong>in</strong>e Übersicht<br />
über die Betriebs- und Gewerkschaftsmandate der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, soweit diese aus<br />
den vorliegenden Quellen rekonstruierbar s<strong>in</strong>d.<br />
Tabelle 7: Betriebsratsmandate und gewerkschaftliche Funktionen der<br />
Bremer <strong>KPD</strong> 1947 bis 1953<br />
Datum Betriebsräte gewerkschaftliche Funktion<br />
1947 (Stadt) 65 87<br />
1948 (Stadt) 66 97<br />
Februar 1951 (Land) 67 76 196<br />
Mitte 1951(Land) 68 64 157<br />
Dezember 1951 (Land) 69 62 122<br />
1953 (Land) 70 45<br />
Unabhängig von den noch zu betrachtenden E<strong>in</strong>zelentwicklungen <strong>in</strong> den großen<br />
Betrieben B<strong>org</strong>ward, AG »Weser« und im Hafen zeichnen sich für die Gesamtentwicklung<br />
die gleichen Tendenzen wie im Bundesgebiet und wie bei der geschilderten<br />
quantitativen Entwicklung der Betriebsgruppen ab. Insgesamt verlor die <strong>KPD</strong><br />
zwischen 1948 und 1956 kont<strong>in</strong>uierlich an E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> den betrieblichen und gewerkschaftlichen<br />
Gremien, auch wenn dies ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e geradl<strong>in</strong>ige, <strong>in</strong> ihren<br />
Ursachen e<strong>in</strong>deutige und widerspruchslose Entwicklung war.<br />
»These 37« und die Folgen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Die</strong> aus der radikalisierten Gewerkschaftspolitik entstehenden Konflikte mit den<br />
Gewerkschaften sowie auch <strong>in</strong>nerhalb der <strong>KPD</strong> deuteten sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> erstmals<br />
anlässlich der Delegiertenversammlung und Vorstandswahl der Bremer IG Metall<br />
Anfang Februar 1951 an, also noch vor Verabschiedung der »These 37« auf dem<br />
<strong>KPD</strong>-Parteitag. Schon bei der Vorbereitung der Delegiertenwahlen kam es zu partei<strong>in</strong>ternen<br />
Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten über die Taktik <strong>in</strong> den Gewerkschaften.<br />
»<strong>Die</strong>se Fragen spielten bei allen Zusammenkünften der Metallarbeiter e<strong>in</strong>e Rolle. Es<br />
zeigten sich opportunistische Tendenzen <strong>in</strong> der Frage der Wahlen zu den Vorständen«,<br />
so Willi Lietzau auf e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Sitzung des Sekretariats mit Vertretern<br />
der Metallbetriebe. 71 Im Vorfeld der Wahlen hatte die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong> eigenes Flugblatt<br />
herausgegeben und <strong>in</strong> den Betrieben verteilt, was offenbar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Betriebs-<br />
65 Organisationsbericht der <strong>KPD</strong>-Stadtleitung, 14. Dezember 1948, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
66 Ebenda.<br />
67 Organisationsberichtsbogen für Landesvorstände, Monat: Februar 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
68 Organisations-Berichte vom Land <strong>Bremen</strong> für die Org.-Konferenz am 12.7.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
69 SAPMO I 11/20/16.<br />
70 Patrick Major, The Death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 156 (Tabelle 7).<br />
71 Protokoll der Sekretariatssitzung am 10. Januar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.
206<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
gruppen auf Widerstand stieß. Es habe »hauptsächlich bei der Betriebsgruppe<br />
B<strong>org</strong>ward harte Diskussionen gegeben«, berichtete die zuständige Abteilung »Arbeit<br />
und Soziales« (A. u. S.) der Landesleitung. »<strong>Die</strong> Genossen waren der Me<strong>in</strong>ung,<br />
das Flugblatt der Partei würde nur Schaden br<strong>in</strong>gen«. 72 Auf e<strong>in</strong>er vorbereitenden<br />
Versammlung der <strong>in</strong>sgesamt 75 gewählten <strong>KPD</strong>-Delegierten wurden weitere Differenzen<br />
deutlich. Strittig war vor allem die Frage, ob der alte IG-Metall-Vorstand<br />
bestätigt werden sollte oder ob die <strong>KPD</strong> eigene (Gegen-)Kandidaten aufstellen sollte.<br />
<strong>Die</strong>s war vor allem deshalb e<strong>in</strong>e heikle Frage, weil mit Johann Re<strong>in</strong>ers e<strong>in</strong> <strong>KPD</strong>-<br />
Mitglied als Kassierer dem IG-Metall-Vorstand angehörte und dort seit Jahren erfolgreiche<br />
Arbeit leistete. 73 Folgerichtig war es vor allem Re<strong>in</strong>ers, der sich gegen e<strong>in</strong>e<br />
<strong>in</strong>haltliche und personelle Kritik an der bestehenden Leitung - neben ihm die<br />
Sozialdemokraten Oskar Schwarz und Friedrich Düssmann - wandte. 74 Geme<strong>in</strong>sam<br />
mit anderen Genossen vertrat er die Auffassung, man solle sich nur auf die<br />
Wahl der sechs Beisitzer konzentrieren. <strong>Die</strong>s war jedoch offenbar e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheitenposition.<br />
<strong>Die</strong> A. und S.-Abteilung begründete die Ablehnung so:<br />
»Klargestellt wurde, dass dieser Weg die Politik des alten Vorstandes gutheißen würde, man<br />
auf jede Kritik am Vorstand verzichten müsse und somit selbst im Sumpf des Opportunismus<br />
landen würde. Es wurde beschlossen, fortschrittliche Gewerkschaftler dem alten Vorstand als<br />
Kandidaten entgegenzusetzen«. 75<br />
Mehr oder weniger direkt wurde damit vor allem Johann Re<strong>in</strong>ers Opportunismus<br />
v<strong>org</strong>eworfen und se<strong>in</strong>e Arbeit im IG-Metall-Vorstand kritisiert. Re<strong>in</strong>ers sah sich also<br />
bereits zu diesem Anlass mit dem wenig später durch die These 37 deutlich zutage<br />
tretenden Loyalitäts-Dilemma zwischen der zunehmend antikommunistischen<br />
Gewerkschaftsleitung und e<strong>in</strong>er radikalisierten und fraktionistischen Gewerkschaftspolitik<br />
der <strong>KPD</strong> konfrontiert.<br />
Zu ähnlichen Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten kam es auch anlässlich der Re<strong>org</strong>anisierung<br />
der Abteilung »Arbeit und Soziales« beim Landesvorstand, die die <strong>KPD</strong><br />
seit Anfang 1951 verstärkt betrieb. Bis dah<strong>in</strong> bestand die Abteilung lediglich aus e<strong>in</strong>em<br />
Mitarbeiter, nunmehr sollten Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsgruppenvertreter<br />
systematisch h<strong>in</strong>zugezogen werden und branchenspezifische Kommissionen<br />
bilden. Ziel war außerdem, »e<strong>in</strong>e bessere Durch<strong>org</strong>anisierung und politische<br />
Fundamentierung der Betriebsgruppen durchzusetzen«. 76 <strong>Die</strong> an die RGO-<br />
Politik der Weimarer Zeit er<strong>in</strong>nernde Bildung eigener Gewerkschaftskommissionen<br />
stieß auf Widerstand der Gewerkschafts- und Betriebsfunktionäre. Es seien<br />
»Schwierigkeiten bei der Kommissionsbildung« aufgetreten, berichtete der Vertreter<br />
der A. und S. Abteilung und nannte als Grund,<br />
72 Bericht der Abteilung Arbeit und Sozial vom 1.12.50 - 14.1.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
73 Vgl. zu Johann Re<strong>in</strong>ers dessen Autobiographie (Johann Re<strong>in</strong>ers, Erlebt und nicht vergessen. E<strong>in</strong>e politische<br />
Biographie, Fischerhude 1982) sowie Arne Andersen und Uwe Kiupel: IG Metall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>Die</strong><br />
ersten 100 Jahre, herausgegeben von der IG Metall <strong>Bremen</strong>, mit e<strong>in</strong>em Vorwort von He<strong>in</strong>z Me<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g,<br />
<strong>Bremen</strong> 1991, S. 49f.<br />
74 Bericht der Abteilung Arbeit und Sozial vom 1.1. - 31.1.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/19.<br />
75 Bericht der Abteilung Arbeit und Sozial vom 1.12.50 - 14.1.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
76 Bericht der Abteilung Arbeit und Sozial vom 1.1. - 31.1.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/19.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 207<br />
»dass maßgebliche Genossen, die <strong>in</strong> Gewerkschaftsfunktionen wie Hauptkassierer bei IG Metall,<br />
Sekretäre der IG-Holz und Eisenbahnergewerkschaft, die Aktionsarbeit als ›Fraktionsarbeit‹<br />
betiteln. Ferner s<strong>in</strong>d die Genossen noch nicht restlos davon überzeugt, dass man die<br />
Wurzeln der schlechten wirtschaftlichen Lage der Arbeiter aufzeigen muss, nämlich die Remilitarisierung<br />
und Wiederaufrüstung, die durch die Adenauer-Regierung betrieben wird. Sie<br />
erkennen noch nicht, dass man gegen die rechte Gewerkschaftsführung e<strong>in</strong>en schonungslosen<br />
Kampf führen muss.« 77<br />
Re<strong>in</strong>ers wurde vernünftigerweise dennoch erneut als Kandidat für den Kassiererposten<br />
im IG-Metall-Vorstand nom<strong>in</strong>iert. Als Kandidat für den Ersten Vorsitzenden<br />
der Bremer IG Metall wurde der FDJ-Landesvorsitzende und erst 23 Jahre<br />
alte Gerd Lieberum aufgestellt, als Kandidat für den Zweiten Vorsitzenden der<br />
B<strong>org</strong>ward-Arbeiter und spätere A. und S.-Sekretär der <strong>KPD</strong> Hans Meyer. 78 Auf der<br />
am 4. Februar 1951 tagenden IG-Metall-Delegiertenversammlung wurde schließlich<br />
Johann Re<strong>in</strong>ers als Kassierer wiedergewählt. Gerd Lieberum und Hans Meyer unterlagen<br />
bei der Wahl der beiden Vorsitzenden gegen Oskar Schwarz und Friedel<br />
Düssmann jeweils deutlich: Lieberum erhielt 118 (Schwarz: 276), Meyer 122 Stimmen<br />
(Düssmann: 271). 79 Auch bei der Wahl der sechs Beisitzer konnte ke<strong>in</strong>er der<br />
<strong>KPD</strong>-Kandidaten80 genügend Stimmen auf sich vere<strong>in</strong>igen. Bemerkenswert war das<br />
gute Ergebnis für Johann Re<strong>in</strong>ers, der von allen Vorstandsmitgliedern die meisten<br />
Stimmen (288) erhielt. 81<br />
Das herausragende Wahlergebnis für Johann Re<strong>in</strong>ers zeigte, dass die noch verbliebenden<br />
Positionen der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Gewerkschaften <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf persönlicher<br />
und nicht programmatischer Zustimmung basierten. Mit der auf dem Parteitag<br />
Anfang März 1951 verabschiedeten These 37 gefährdete und demontierte die Partei<br />
diese Positionen. Daneben gab sie den Gewerkschaften Gelegenheit, den kommunistischen<br />
E<strong>in</strong>fluss weiter zurückzudrängen und die bis dah<strong>in</strong> gescheiterten Ausgrenzungsversuche,<br />
z.B. gegen Johann Re<strong>in</strong>ers, 82 zu <strong>in</strong>tensivieren.<br />
Nach Verschickung der Reverse durch die IG Metall Mitte Juni 1951, mit denen<br />
sich die kommunistischen Gewerkschaftsfunktionäre von der These 37 distanzieren<br />
und zur IG Metall-Satzung bekennen sollten, sah es <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zunächst so aus, als<br />
würde die Unterzeichung unter den <strong>KPD</strong>-Mitgliedern weitestgehend auf Ablehnung<br />
stoßen. E<strong>in</strong> Instrukteur des Parteivorstandes konstatierte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht<br />
77 Ebenda.<br />
78 Ebenda.<br />
79 Bericht von der Vertreterversammlung von IG-Metall, die am 4. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> stattfand, <strong>in</strong>: SAPMO<br />
I 11/20/19.<br />
80 <strong>Die</strong>s waren Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann (Betriebsrat und Betriebsgruppenleiter der <strong>KPD</strong> bei B<strong>org</strong>ward), Kurt<br />
Kle<strong>in</strong>e-Beck (Betriebsratsvorsitzender bei Goliath), Gerd Lieberum (FDJ-Landesvorsitzender), Max<br />
Müller (Betriebsratsvorsitzender Norddeutsche Hütte), Joseph Sosna (Betriebsrat Vulkan-Werft) und<br />
Ge<strong>org</strong> Stöhr.<br />
81 Bericht von der Vertreterversammlung von IG-Metall, die am 4. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> stattfand, <strong>in</strong>: SAPMO<br />
I 11/20/19.<br />
82 Trotz se<strong>in</strong>er großen persönlichen Anerkennung auch bei sozialdemokratischen Gewerkschaftern hatte<br />
die SPD bereits 1948 versucht, Johann Re<strong>in</strong>ers aus dem Vorstand abwählen zu lassen, und ihm e<strong>in</strong>en<br />
eigenen Kandidaten entgegengestellt. Der Versuch scheiterte ebenso wie bei der geschilderten Delegiertenwahl<br />
1951 (vgl. Arne Andersen und Uwe Kiupel, IG Metall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 49f.).
208<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
über e<strong>in</strong>e Betriebsarbeiterkonferenz Anfang Juli 1951: »E<strong>in</strong> Teil der Genossen haben<br />
mit scharfer Ablehnung den Brief beantwortet, andere Genossen haben zuerst e<strong>in</strong>e<br />
Stellungnahme ihres Betriebes oder ihrer Abteilung im Betrieb verlangt und mit<br />
dieser Erklärung der Kollegen ihre Antwort geschrieben«. 83 E<strong>in</strong>e solche »Erklärung<br />
der Kollegen«, e<strong>in</strong>e Entschließung der Ressortversammlung der Elektrikerabteilung<br />
bei B<strong>org</strong>ward, legte z.B. Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann, Betriebsgruppenvorsitzender der <strong>KPD</strong>,<br />
se<strong>in</strong>em Antwortschreiben an die IG Metall bei. 84<br />
E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche L<strong>in</strong>ie zum Umgang mit den Reversen gab der Landesvorstand<br />
erst Mitte August 1951 auf e<strong>in</strong>er eigens dafür e<strong>in</strong>berufenen Sitzung der <strong>KPD</strong>-<br />
Gewerkschaftsfunktionäre vor. <strong>Die</strong> Funktionäre waren angeblich e<strong>in</strong>stimmig zu der<br />
Auffassung gekommen, e<strong>in</strong>e Unterschrift abzulehnen, und es seien bislang auch<br />
ke<strong>in</strong>e Unterschriftsleistungen bekannt geworden. 85<br />
Ob die Ablehnung der Unterschrift wirklich e<strong>in</strong>stimmig erfolgte, darf bezweifelt<br />
werden, wie sich spätestens im Dezember 1951 zeigte. <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
spitzte sich nun sowohl von Gewerkschaftsseite wie auch <strong>in</strong>nerhalb der <strong>KPD</strong> zu.<br />
Anfang des Monats enthob die IG Metall den kommunistischen Betriebsratsvorsitzenden<br />
bei der Masch<strong>in</strong>enbau-Firma Eickemeyer, Walter Gries, se<strong>in</strong>er gewerkschaftlichen<br />
Funktionen. 86 Gleichzeitig wurden nun erstmals <strong>KPD</strong>-Funktionäre bekannt,<br />
die das Revers unterzeichnet hatten. Namentlich genannt und <strong>in</strong> der Folgezeit<br />
scharf kritisiert wurden zwei Betriebsräte auf der AG »Weser« sowie Johann<br />
Re<strong>in</strong>ers als gewerkschaftlich am meisten exponierter <strong>KPD</strong>-Funktionär <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>.<br />
Re<strong>in</strong>ers hatte nach e<strong>in</strong>er Unterredung mit dem 2. IG-Metall Vorsitzenden Hans<br />
Brümmer den Revers unterschrieben, mit dem Vorbehalt, wie er später schrieb,<br />
»auch weiterh<strong>in</strong> me<strong>in</strong>e gegebenenfalls für erforderlich gehaltene Kritik aussprechen<br />
zu können«. 87<br />
<strong>Die</strong> Landesleitung versuchte zunächst, das Problem herunterzuspielen und berichtete<br />
dem Parteivorstand Anfang Dezember,<br />
»die politische Diskussion mit den Genossen bei der A.G. Weser hat dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Erfolg gehabt,<br />
dass die Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre, die den Revers unterschrieben haben,<br />
zugeben, dass das e<strong>in</strong> großer Fehler war. Sie geben auch zu, dass ihre bisherige Politik sie<br />
von den Kollegen im Betrieb trennt.« 88<br />
Ähnliches schrieb e<strong>in</strong> Instrukteur: Es sei »bereits gelungen, die Genossen zu überzeugen,<br />
wie falsch die von ihnen aufgestellte Theorie ist. So bereuen z.B. jetzt bei<br />
der Weser A.G. e<strong>in</strong>ige, dass sie ihre Unterschrift gegeben haben.« 89 Es habe aller-<br />
83 Bericht über Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionär-Konferenz am 1.7.1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/19.<br />
84 Ebenda.<br />
85 <strong>KPD</strong>-Landesleitung <strong>Bremen</strong> - Arbeit und Sozial -: An den Parteivorstand der <strong>KPD</strong> - Arbeit und Sozial (28. Aug.<br />
1951), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/19.<br />
86 Politischer Wochenbericht der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> [8. Dezember 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
87 Johann Re<strong>in</strong>ers, Kampf gegen Restauration oder Sozialpartnerschaft? <strong>Die</strong> Politik der IG Metall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />
<strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Almut Schwerd (Hrsg.): Zeitzeugen berichten, a.a.O., S. 31-41, hier<br />
S. 40.<br />
88 Politischer Wochenbericht der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> [8. Dezember 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
89 Bericht über <strong>Bremen</strong> aus der Zeit vom 20.11.-18.12.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 209<br />
d<strong>in</strong>gs »heftige Diskussionen« über die Reverse und die drohenden Funktionsenthebungen<br />
gegeben. Der Instrukteur nannte auch die für die Unterzeichnung der Reverse<br />
v<strong>org</strong>ebrachten Gründe:<br />
»<strong>Die</strong> Funktionsenthebungen entfernen unsere Genossen von der E<strong>in</strong>flussbasis ihrer Kollegen,<br />
ihre Me<strong>in</strong>ung dr<strong>in</strong>gt dann nicht mehr über e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Ressort h<strong>in</strong>aus. Man müsse taktisch<br />
alles versuchen, um die Genossen <strong>in</strong> den Gewerkschaften zu lassen (kommen mit verstümmelten<br />
Len<strong>in</strong>-Zitaten)«. 90<br />
Dass das <strong>KPD</strong>-Landessekretariat gewillt war, gegen die Funktionäre, die unterschrieben<br />
hatten, vorzugehen, zeigte wenige Tage später e<strong>in</strong> Artikel <strong>in</strong> der Tribüne<br />
der Demokratie von Ulrich Konetzka, <strong>in</strong> dem vor allem Johann Re<strong>in</strong>ers scharf angegriffen<br />
wurde. Konetzka unterstrich zunächst - nach e<strong>in</strong>er Kritik an dem »Erpressungsrevers«,<br />
der die Richtigkeit der These 37 nur bestätige - die hohe Bedeutung<br />
des Problems:<br />
»<strong>Die</strong> Unterzeichnung der Reverse bedeutet also, dass man die Beschlüsse der Partei widerruft,<br />
dass man sich von der Politik unserer Partei entfernt. Sie bedeutet aber darüber h<strong>in</strong>aus, dass<br />
man aufhört, die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten, denn die Kommunisten haben<br />
ke<strong>in</strong>e von den Interessen der Arbeiterklasse gesonderten Interessen. <strong>Die</strong> Reversunterzeichnung<br />
unterstützt also die arbeiterfe<strong>in</strong>dliche Politik der rechten DGB-Führung.« 91<br />
Re<strong>in</strong>ers wurde v<strong>org</strong>eworfen, die Len<strong>in</strong>-Zitate, die er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Aussprache zur<br />
Begründung für die Unterschrift angebracht hatte, seien aus dem Zusammenhang<br />
gerissen. Weiterh<strong>in</strong> konnte Konetzka ihn aus e<strong>in</strong>em Grund angreifen, der sich aus<br />
Re<strong>in</strong>ers’ Funktion als Kassierer ergab, ihn aber natürlich, mehr noch als die <strong>in</strong> erster<br />
L<strong>in</strong>ie symbolische Unterzeichnung des Revers, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Loyalitäts-Dilemma brachte:<br />
»Er ist auf dem abschüssigen Weg bereits soweit gekommen, dass er sich dazu hergibt, als<br />
ausführendes Organ, als Büttel zu fungieren. In der Durchführung der gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlichen<br />
Maßnahmen im <strong>Die</strong>nste der Kriegstreiber lässt er sich dazu missbrauchen, die Aufforderungen<br />
zur Ablieferung der Kassiererkarten usw. zu unterzeichnen und an solche Kollegen zu<br />
versenden, die nicht den Revers unterschrieben haben und die nun aus ihren gewerkschaftlichen<br />
Funktionen entfernt werden sollen«. 92<br />
<strong>Die</strong> Kritik an Johann Re<strong>in</strong>ers und den beiden AG »Weser« Betriebsräten hatte<br />
jedoch ke<strong>in</strong>e weiteren Folgen, wie überhaupt <strong>in</strong> der Folgezeit die These 37 <strong>in</strong> der<br />
Bremer <strong>KPD</strong> zwar thematisiert und Gegenstand von Ause<strong>in</strong>andersetzungen wurde,<br />
die Unterschriftsleistung aber - soweit dies aus den Quellen ersichtlich ist - nicht zu<br />
Konsequenzen <strong>in</strong> Form von Parteiausschlüssen führte.<br />
Auch Johann Re<strong>in</strong>ers blieb zunächst <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>, verlor jedoch weitgehend den<br />
Kontakt und die B<strong>in</strong>dung zur Partei, deren Politik er offenbar schon länger ablehnend<br />
gegenüberstanden hatte. Er schrieb 1989:<br />
»<strong>Die</strong> Satzung und die Mehrheitsbeschlüsse der Organisation [geme<strong>in</strong>t ist die IG Metall; HB]<br />
bestimmten me<strong>in</strong> Handeln. Damit geriet ich für die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>s Abseits. Deren radikale Vorstellungen<br />
ließen sich nicht mit den me<strong>in</strong>en länger vere<strong>in</strong>baren. <strong>Die</strong> <strong>in</strong> diesen Jahren erfolgten<br />
Austritte aus der <strong>KPD</strong>, die von Radikalismus geprägten Ausschlüsse, z.B. des befähigten Ru-<br />
90 Politischer Wochenbericht der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> [8. Dezember 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
91 Metallarbeiter, sichert gewerkschaftliche Demokratie!, Tribüne der Demokratie, 13.12.1951.<br />
92 Ebenda.
210<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
dolf Rafoth, waren für mich unerträglich. Auch ich rechnete damit, ausgeschlossen zu werden,<br />
doch man wollte ansche<strong>in</strong>end nicht. Selber auszutreten zögerte ich, weil ich mir nicht<br />
nachsagen lassen wollte, dies nur getan zu haben, um me<strong>in</strong>e Stellung bei der IG Metall zu festigen«.<br />
93<br />
Auch die Partei beließ es bei diesem Zustand, der vermutlich <strong>in</strong> ähnlicher Form<br />
auch für andere, noch <strong>in</strong> Gewerkschaftsfunktionen verbliebene Kommunisten<br />
galt. 94<br />
<strong>Die</strong> auffällige Zurückhaltung des Bremer Landessekretariats h<strong>in</strong>sichtlich der <strong>in</strong>nerparteilichen<br />
Konsequenzen der Reversunterzeichnung ließ sich auch <strong>in</strong> der Folgezeit<br />
beobachten. E<strong>in</strong> Instrukteur, der Anfang 1952 über »die politische Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
mit den Genossen, die den Erpresserrevers der DGB-Führung gegen die<br />
These 37 der Entschließung des Parteitages unterschrieben haben« berichtete, warf<br />
dem Landessekretariat vor, es führe »ke<strong>in</strong>en beharrlichen und konsequenten<br />
Kampf zur ideologischen Ause<strong>in</strong>andersetzung und Zerschlagung dieser fe<strong>in</strong>dlichen<br />
Auffassungen«. Er habe den E<strong>in</strong>druck, »als ob die Genossen vor diesen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
zurückweichen«. 95<br />
Dennoch wurde die These 37 <strong>in</strong> den folgenden Jahren immer wieder thematisiert<br />
und war Gegenstand <strong>in</strong>nerparteilicher Diskussionen. Der Schwerpunkt der<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung lag jedoch weniger auf der Ebene der hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre<br />
- von denen die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ohneh<strong>in</strong> nicht mehr viele<br />
stellte -, sondern vielmehr <strong>in</strong> den Betrieben selbst, an der Gewerkschaftsbasis, <strong>in</strong><br />
den Betriebsräten und den Vertrauensmännerkörpern, dort also, wo die <strong>KPD</strong> noch<br />
e<strong>in</strong>en relevanten E<strong>in</strong>fluss besaß.<br />
Gelegenheit zur öffentlichen Kritik an der Reversunterzeichnung bot sich der<br />
Bremer Parteileitung Mitte 1952 anlässlich des Austritts von Willi Ganzer, Mitglied<br />
der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe und Vertrauenskörperobmann bei den zum B<strong>org</strong>ward-<br />
Konzern gehörenden Goliath-Werken. Ganzer, der das Revers der IG Metall unterzeichnet<br />
hatte, hatte sich bei e<strong>in</strong>em zweitägigen »wilden« Streik der 2.500 Arbeiter<br />
bei Goliath <strong>in</strong> den Augen der Parteileitung zu passiv verhalten und »e<strong>in</strong> parteischädigendes<br />
Verhalten an den Tag [gelegt], <strong>in</strong>dem er trotz Rücksprache mit den<br />
Genossen der Betriebsgruppe und der Kreisleitung ke<strong>in</strong>e Maßnahmen zur Bildung<br />
e<strong>in</strong>er Streikleitung getroffen und e<strong>in</strong>e Reihe anderer wichtiger Parteiaufträge nicht<br />
erfüllt hat«. 96 Ganzer trat kurze Zeit später aus der <strong>KPD</strong> aus, wurde aber dennoch<br />
oder gerade deswegen zum Ziel scharfer Angriffe, bei denen es »weniger um se<strong>in</strong>e<br />
Person, sondern um e<strong>in</strong>ige grundsätzliche Fragen der Politik der Partei« 97 g<strong>in</strong>g. <strong>Die</strong><br />
<strong>KPD</strong>-Leitung nutzte den Fall, um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen Artikel <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie<br />
noch e<strong>in</strong>mal die These 37 zu rechtfertigen und das Unterschreiben der Rever-<br />
93 Johann Re<strong>in</strong>ers, Kampf gegen Restauration oder Sozialpartnerschaft?, a.a.O., S. 40.<br />
94 So me<strong>in</strong>te Hermann Gautier im Oktober 1952: »Wir haben uns zu wenig mit unseren Genossen, die<br />
führende Funktionen <strong>in</strong> der Gewerkschaft haben, beschäftigt. <strong>Die</strong>se haben den Kontakt zur Partei verloren,<br />
den wir wieder herstellen müssen.« (Protokoll der LSS am 9.10.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7).<br />
95 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 23.1. - 24.2.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
96 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 28.4. bis 23.5.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
97 <strong>Die</strong> Partei kann nicht vorwärts schreiten, ohne ständigen Kampf gegen den Opportunismus <strong>in</strong> ihren eigenen<br />
Reihen, Tribüne der Demokratie, 5./6.7.1952
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 211<br />
se als Ausdruck e<strong>in</strong>er weit darüber h<strong>in</strong>ausgehenden Gewerkschafts- und Parteife<strong>in</strong>dlichkeit<br />
h<strong>in</strong>zustellen. 98 Der von Arthur Böpple, Mitglied der Landesleitung<br />
und später Erster Bremer Kreissekretär, verfasste Artikel wies die Auffassung von<br />
Ganzer und anderen zurück, man könne auch ohne offen für die These 37 e<strong>in</strong>zutreten<br />
danach handeln. Es gebe, so Böpple, nur die Alternative zwischen der »L<strong>in</strong>ie<br />
Fettes - das heißt Unterordnung der Gewerkschafts<strong>org</strong>anisation unter die Politik<br />
Adenauers, das heißt e<strong>in</strong>en 2. Mai 1933, das heißt schließlich Krieg« und der »den<br />
Interessen der Arbeiter« dienenden Gewerkschaftspolitik, wie sie die These 37 festlege.<br />
<strong>Die</strong> von Ganzer und »e<strong>in</strong>igen anderen Genossen« v<strong>org</strong>ebrachte Argumentation,<br />
»wir können doch nicht zulassen, dass wir alle Funktionen <strong>in</strong> den Gewerkschaften<br />
verlieren« bezeichnete Böpple - mit Hilfe e<strong>in</strong>iger Len<strong>in</strong>-Zitate, die <strong>in</strong> dieser<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung auf beiden Seiten immer wieder e<strong>in</strong>e Rolle spielten - als »typisch<br />
opportunistische Auffassung«, die sich bei Ganzer schon länger gezeigt habe,<br />
<strong>in</strong>dem er nicht mehr regelmäßig <strong>in</strong> der Betriebsgruppe mitarbeitete, Aufträgen der<br />
Partei ausgewichen sei und nicht gewillt war, »selbstkritisch zu se<strong>in</strong>em Verhalten<br />
Stellung zu nehmen und sich zu revidieren. E<strong>in</strong> Genosse mit e<strong>in</strong>er solchen E<strong>in</strong>stellung<br />
muss zwangsläufig immer weiter <strong>in</strong> den Sumpf des Opportunismus abgleiten<br />
und zu e<strong>in</strong>em direkten Helfer für die Politik Adenauers werden.« Böpple kam<br />
schließlich zu dem Schluss, dass »unbelehrbare Opportunisten, die sich e<strong>in</strong>er kritischen<br />
und selbstkritischen Diskussion entziehen, an der Arbeit der Partei<strong>org</strong>anisation<br />
nicht teilnehmen, der Partei und der Arbeiterklasse nicht helfen vorwärts zu<br />
schreiten, sondern sie hemmen« aus der Partei »entfernt« werden müssten.<br />
Der Tenor des Artikels und der L<strong>in</strong>ie der Parteileitung - e<strong>in</strong>e klare Ausschlussdrohung<br />
- richtete sich nicht nur an Ganzer, sondern an alle, die die Reverse unterzeichnet<br />
hatten, bzw. sie <strong>in</strong> Zukunft vielleicht unterzeichnen wollten. Dennoch: Es<br />
blieb bei diesen verbalen Drohungen, Ganzer trat aus der Partei aus, wie vermutlich<br />
auch e<strong>in</strong>ige andere Gewerkschaftsfunktionäre. Gegen die verbliebenen Funktionäre,<br />
die das Revers unterzeichnet hatten, g<strong>in</strong>g die Parteileitung nicht weiter diszipl<strong>in</strong>arisch<br />
vor, und ähnliche Artikel wie der von Böpple erschienen <strong>in</strong> der Folgezeit<br />
nicht mehr.<br />
In dem Artikel war auch angedeutet, wie die Parteibasis vere<strong>in</strong>zelt versuchte,<br />
sich aus dem durch die These 37 entstandenen Dilemma zu befreien. Gegen die <strong>in</strong><br />
ihren Augen »opportunistische« Auffassung e<strong>in</strong>iger Funktionäre, die Unterschrift<br />
unter die Reverse lediglich als Formalie zu betrachten und trotzdem weiterh<strong>in</strong> die<br />
<strong>KPD</strong>-Gewerkschaftspolitik zu vertreten, konnte die Parteileitung immerh<strong>in</strong> noch<br />
argumentieren oder gar mit Ausschlussdrohungen v<strong>org</strong>ehen. Es gab aber offenbar<br />
auch andere Versuche, sich dem Dilemma zu entziehen. So traten beispielsweise e<strong>in</strong>ige<br />
IG-Metall Funktionäre zur Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) über,<br />
um e<strong>in</strong>em drohendem Ausschluss zuvorzukommen und um weiterh<strong>in</strong> Mitglied e<strong>in</strong>er<br />
Gewerkschaft bleiben zu können. 99 <strong>Die</strong> V<strong>org</strong>ehensweise der Betriebsgruppe bei<br />
der Hamburger Howaldt-Werft, die schlicht »vergessen« hatte, »e<strong>in</strong>ige Mitglieder<br />
98 Ebenda.<br />
99 Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 29.3. bis zum 4.4.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.
212<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
auszuschließen, die den Revers unterschrieben hatten« 100, wird auch e<strong>in</strong>e Handlungsoption<br />
e<strong>in</strong>iger Betriebsgruppen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> gewesen se<strong>in</strong>, lässt sich aber nicht<br />
belegen.<br />
<strong>Die</strong> Diskussion <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> über die Unterzeichnung der Reverse wurde<br />
nie wirklich beendet. E<strong>in</strong> akutes Problem wurde sie wieder im Dezember 1952 anlässlich<br />
der Wahlen zur Delegiertenversammlung der IG Metall. <strong>Die</strong> <strong>in</strong> den Betrieben<br />
gewählten kommunistischen Delegierten bekamen vom Bundesvorstand der<br />
Gewerkschaft erneut den Revers zugeschickt, mit der Aufforderung, sich von der<br />
»gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlichen« These 37 zu distanzieren. 101 E<strong>in</strong> Instrukteur der SED<br />
berichtete, es seien daraufh<strong>in</strong> »die verschiedensten falschen Me<strong>in</strong>ungen zutage getreten«,<br />
weil die Partei <strong>in</strong> der Vergangenheit nicht »systematisch Aufklärung über<br />
die These 37« betrieben habe. 102 <strong>Die</strong> Mehrzahl der <strong>KPD</strong>-Delegierten hatte sich für<br />
die Unterschrift des Revers ausgesprochen. »Fast alle Genossen«, so der Instrukteur,<br />
hätten dafür wiederum die Len<strong>in</strong>-Zitate über die unbed<strong>in</strong>gt notwendige Arbeit<br />
<strong>in</strong> den Gewerkschaften aus »Der ›l<strong>in</strong>ke Radikalismus‹, die K<strong>in</strong>derkrankheit im<br />
Kommunismus« als wesentliches Argument angeführt. 103 E<strong>in</strong>e weitere Begründung<br />
war das für die <strong>KPD</strong> ungünstige Kräfteverhältnis <strong>in</strong> den Gewerkschaften, das nicht<br />
ausreiche, um e<strong>in</strong>e erfolgversprechende Kampagne gegen die Reverse durchzuführen.<br />
<strong>Die</strong> These 37 sei pr<strong>in</strong>zipiell richtig, »aber man hätte sie nicht <strong>in</strong> der Form veröffentlichen<br />
sollen«, und man dürfe sich »<strong>in</strong> der jetzigen Situation« nicht der Gefahr<br />
aussetzen, »von den Massen getrennt zu werden«. 104<br />
Im Landessekretariat wusste man offenbar nicht, wie mit der nun wieder akut<br />
gewordenen Frage nach der Unterschriftenleistung umgegangen werden sollte. Es<br />
habe Diskussionen gegeben, berichtete der SED-Instrukteur. <strong>Die</strong>se Diskussionen<br />
führten nicht zu e<strong>in</strong>er endgültigen Entscheidung, »obwohl die Mehrzahl der Genossen<br />
gegen die Unterschriftsleistung aufgetreten ist«. 105 Was folgte, ist durchaus<br />
bemerkenswert: Das Bremer Sekretariat schickte e<strong>in</strong>en Vertreter zum Parteivorstand,<br />
»um unsere Stellung zur Unterschriftsleistung [...] e<strong>in</strong>deutig zu klären«. 106<br />
Wohlgemerkt, das Sekretariat wollte e<strong>in</strong>e Frage beim PV beantwortet haben, die ei-<br />
100 Herbert Kuehl, <strong>Die</strong> Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> von <strong>1945</strong> bis 1956, a.a.O., S. 117.<br />
101 Bericht über den E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vom 3. bis 21.12.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13. Der berichtende SED-<br />
Instrukteur beklagte anlässlich dieser Delegiertenwahlen die »zu späte Orientierung der Partei auf gewerkschaftspolitische<br />
Fragen« und führte dies <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf »die schlechte Anleitung durch den<br />
PV« zurück: »<strong>Die</strong> fast e<strong>in</strong>zigste Form der Anleitung [...] s<strong>in</strong>d Direktiven, die zu allgeme<strong>in</strong> gehalten s<strong>in</strong>d<br />
und <strong>in</strong> der Regel 2-3 Wochen zu spät e<strong>in</strong>treffen. So kam die Direktive des PV zu den Delegiertenwahlen,<br />
nachdem dieselben <strong>in</strong> Bremerhaven bereits abgeschlossen waren«.<br />
102 Ebenda.<br />
103 Das von den Befürwortern der Unterschrift genannte Zitat lautete: »Man muss all dem widerstehen<br />
können, muss zu jedwedem Opfer entschlossen se<strong>in</strong> und sogar - wenn es se<strong>in</strong> muss - alle möglichen<br />
Schliche, Listen und illegalen Methoden anwenden, die Wahrheit verschweigen und verheimlichen,<br />
nur um <strong>in</strong> die Gewerkschaften h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zukommen, <strong>in</strong> ihnen zu bleiben und <strong>in</strong> ihnen um jeden Preis<br />
kommunistische Arbeit zu leisten.« (W.I. Len<strong>in</strong>, Der »l<strong>in</strong>ke Radikalismus«, die K<strong>in</strong>derkrankheit im<br />
Kommunismus, <strong>in</strong>: W.I. Len<strong>in</strong>, Werke, Band 31, S. 5-106, hier S. 40).<br />
104 Bericht über den E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vom 3. bis 21.12.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
105 Ebenda.<br />
106 Ebenda.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 213<br />
gentlich längst geklärt war. Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> war bereits 1951 die Ablehnung der<br />
Unterschrift unter die Reverse als verb<strong>in</strong>dliche L<strong>in</strong>ie v<strong>org</strong>egeben worden. Trotzdem<br />
hielt es die Bremer Parteileitung noch Ende 1952 für nötig - offenbar aufgrund der<br />
starken Widerstände aus den Reihen der Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionäre<br />
und auch aufgrund eigener Unsicherheiten und Une<strong>in</strong>igkeiten - vom Parteivorstand<br />
»e<strong>in</strong>deutige« Handlungsanweisungen e<strong>in</strong>zuholen.<br />
Laut Bericht des SED-Instrukteurs stellte denn auch Fritz Rische107 <strong>in</strong> der betreffenden<br />
Aussprache mit dem Vertreter des Bremer Sekretariats fest, »dass die Frage<br />
der Unterschriftsleistung und die Diskussion im Zusammenhang mit der These 37<br />
nur im Land <strong>Bremen</strong> noch nicht geklärt sei, während <strong>in</strong> den anderen Ländern die<br />
Frage durch Diskussionen bereits abgeschlossen geklärt ist«. 108 Offenbar aber, und<br />
das wäre zum<strong>in</strong>dest überraschend, konnte auch der Parteivorstand nach dieser ersten<br />
Debatte nicht die gewünschte e<strong>in</strong>deutige Handlungsanweisung geben: »Erst<br />
nachdem e<strong>in</strong> zweiter Genosse nochmals zum PV gefahren ist, kam die Mitteilung:<br />
nicht unterschreiben, mit der entsprechenden Begründung«. 109<br />
Das Zögern der Parteileitungen lag vermutlich zum Teil auch <strong>in</strong> der absehbaren<br />
Verschärfung der Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>in</strong>nerhalb der IG Metall angesichts der bevorstehenden<br />
Delegierten- und Betriebsratswahlen begründet. Schon bei der Delegiertenkonferenz<br />
zur Wahl des Ortsvorstandes <strong>in</strong> Bremerhaven hatte die Gewerkschaftsleitung<br />
den kommunistischen Delegierten, die das Revers zuvor nicht unterzeichnet<br />
hatten, die Teilnahme an der Konferenz und die Ausstellung von Delegiertenausweisen<br />
verweigert.<br />
»Unsere Genossen Delegierten erzwangen mit Unterstützung der parteilosen Kollegen und<br />
e<strong>in</strong>iger Sozialdemokraten dann doch den E<strong>in</strong>lass. In e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>stündigen Debatte über die Reversunterschrift<br />
wurde von der Gewerkschaftsleitung begründet, warum unsere Genossen<br />
unterschreiben müssten, andernfalls sie nicht als Delegierte zu den Konferenzen zugelassen<br />
werden [...].« 110<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Delegierten legten außerdem e<strong>in</strong>e angeblich vom Parteivorstand <strong>in</strong><br />
Düsseldorf vorbereitete »Gegenerklärung« vor, die sie anstatt der Gewerkschaftsreverse<br />
bereit seien zu unterschreiben. <strong>Die</strong> Delegiertenversammlung lehnte dies mit<br />
dem H<strong>in</strong>weis ab, »dass unsere Genossen dann auch die von der Gewerkschaft v<strong>org</strong>elegte<br />
Erklärung unterschreiben könnten«. Der berichtende Instrukteur me<strong>in</strong>te,<br />
»der grundsätzliche Unterschied zwischen beiden Erklärungen« sei von den Kollegen<br />
nicht begriffen worden. 111 Unabhängig von den konkreten Abläufen der Kon-<br />
107 Friedrich (Fritz) Rische (1914-1994): Redakteur. SAJ, KJVD, 1932 <strong>KPD</strong>, 1933 illegale Arbeit im KJVD, Oktober<br />
1933 verhaftet, 1934 zweimal verurteilt (vier und 19 Monate Haft), <strong>1945</strong> <strong>KPD</strong> Ruhrgebiet, Mitglied<br />
des Wirtschaftsrats, 1949-1953 MdB, <strong>KPD</strong>-PV und Sekretariat, 1953 verhaftet, trotzdem Vertreter<br />
der <strong>KPD</strong> im Verbotsprozess, 1956 vom Bundesgerichtshof zu dreie<strong>in</strong>halb Jahren Gefängnis verurteilt<br />
(wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« wegen se<strong>in</strong>er Mitarbeit am Programm zur nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />
von 1952), nach vorzeitiger Entlassung zeitweise DDR und CSSR, <strong>1968</strong> Rückkehr <strong>in</strong> die<br />
BRD, Mitglied im PV der DKP.<br />
108 Bericht über den E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vom 3. bis 21.12.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
109 Ebenda.<br />
110 Ebenda.<br />
111 Ebenda.
214<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
ferenz und dem nicht vorliegenden Inhalt der »Gegenerklärung« wurde doch schon<br />
hier die Zuspitzung der Situation deutlich: auf der e<strong>in</strong>en Seite die Gewerkschaftsleitung,<br />
die entschlossen war, die Politik der Reverse konsequent durchzusetzen und<br />
den rechtmäßig <strong>in</strong> den Betrieben gewählten kommunistischen Delegierten die Teilnahme<br />
an der Konferenz und der Wahl des Ortsvorstandes zu verweigern; auf der<br />
anderen Seite die <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong> der sowohl an der Basis als auch <strong>in</strong> der Leitung die Frage<br />
der Unterzeichnung der Reverse strittig war, die aber auch nicht willens und fähig<br />
war, von der These 37 abzurücken oder wenigstens flexibel auf die Reverse zu reagieren.<br />
<strong>Die</strong> »Gegenerklärung« durch den Parteivorstand, sollte sie denn tatsächlich<br />
existiert haben, kann günstigstenfalls immerh<strong>in</strong> noch als e<strong>in</strong>e Art Entgegenkommen<br />
an die Gewerkschaften oder als Handlungsoption für die eigenen Gewerkschaftsfunktionäre<br />
gewertet werden, blieb aber letztendlich wirkungslos. Bei der Delegiertenkonferenz<br />
der IG Metall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 31. März 1953 spielte diese dann offenbar<br />
auch ke<strong>in</strong>e Rolle mehr. Vielmehr kam es dort <strong>in</strong> Folge der Frage der Zulassung<br />
kommunistischer Delegierter, die die Reverse nicht unterzeichnet hatten, zum Eklat<br />
und be<strong>in</strong>ahe zu Handgreiflichkeiten.<br />
Nach den der Konferenz vorausgegangenen Delegiertenwahlen, bei denen die<br />
<strong>KPD</strong> nach eigenen Angaben e<strong>in</strong>en absoluten Zuwachs von 175 Prozent erzielt hatte,<br />
112 versandte die IG Metall um den 19. März 1953 herum die Reverse an die<br />
kommunistischen und e<strong>in</strong>ige parteilose Delegierte, verbunden mit der Aufforderung,<br />
sie <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Woche zu unterschreiben. 113 H<strong>in</strong>tergrund dieser kurzen<br />
Frist war die Delegiertenkonferenz, die am 31. März stattf<strong>in</strong>den sollte und von der<br />
die <strong>KPD</strong>-Vertreter offenbar ferngehalten werden sollten. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> reagierte schnell<br />
undveröffentlichtewenigeTagespäter<strong>in</strong>derTribüne der Demokratie e<strong>in</strong>en Artikel<br />
des auf Kreisebene für Gewerkschaftsarbeit zuständigen Sekretärs Erich Funke, der<br />
die aufgrund der Reversverschickung durch die Gewerkschaftsleitung vorhersehbare<br />
Konfrontation <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> verschärfte. 114 NebenderüblichenArgumentation<br />
über die Bedeutung der These 37, die sich durch die Verschickung der Reverse erneut<br />
bestätigt habe, griff Funke vor allem die Bremer Ortsverwaltung der IG Metall<br />
scharf an. Namentlich den beiden Vorsitzenden Oskar Schwarz und Friedel Düssmann<br />
- Johann Re<strong>in</strong>ers wurde nicht erwähnt - warf er vor, sich h<strong>in</strong>ter dem Hauptvorstand<br />
<strong>in</strong> Frankfurt, von dem die Verschickung der Reverse ausg<strong>in</strong>g, zu »verkriechen«.<br />
»Jedem Kollegen ist jedoch klar, dass die Ortsverwaltung, vertreten durch Schwarz und<br />
Düssmann, die treibenden Kräfte dieser Aktion s<strong>in</strong>d. Sie s<strong>in</strong>d es, die die Namen und Adressen<br />
der fortschrittlichen Kollegen nach Frankfurt melden und so dem Hauptvorstand ermöglichen,<br />
e<strong>in</strong>en Ges<strong>in</strong>nungsterror und die Erpressung an diesen Kollegen anzuwenden.« 115<br />
112 Im Geiste Stal<strong>in</strong>s, neuen Erfolgen entgegen!, Tribüne der Demokratie, 2.4.1953.<br />
113 Vgl. Hendrik Bunke (Hrsg.), Willy Hundertmark - Er<strong>in</strong>nerungen an e<strong>in</strong> widerständiges Leben, <strong>Bremen</strong><br />
1997, Abb. S. 77.<br />
114 Organisiert den Kampf um die Erhaltung der <strong>in</strong>nergewerkschaftlichen Demokratie, Tribüne der Demokratie,<br />
26.3.1953.<br />
115 Ebenda.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 215<br />
Düssmann und Schwarz würden »e<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> im Interesse der Monopolkapitalisten«<br />
handeln und wollten die Gewerkschaft »vor den Kriegskarren der<br />
Imperialisten spannen«. Funkes Angriffe gegen die beiden gipfelten <strong>in</strong> dem Vorwurf,<br />
sie würden mit den Reversen »faschistische Methoden« anwenden, um »e<strong>in</strong>en<br />
Vertreterkörper zurechtzuschieben, von dem sie glauben, nichts befürchten zu<br />
brauchen«.<br />
Auf der Delegiertenkonferenz der IG Metall am 31. März 1953 kam es dann be<strong>in</strong>ahe<br />
zum Eklat. Nicht zur Konferenz zugelassene kommunistische Delegierte unter<br />
der Führung von Erich Funke ›stürmten‹ die Versammlung und wollten ihre Teilnahme<br />
erzw<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>e gewaltsame Ause<strong>in</strong>andersetzung wurde nur verh<strong>in</strong>dert<br />
durch den E<strong>in</strong>satz anderer Kommunisten, denen die IG Metall die Teilnahme nicht<br />
verwehrt hatte und die ihre Genossen schließlich überredeten, die Konferenz wieder<br />
zu verlassen. 116<br />
Bis zur vorsichtigen Revision der These 37 auf dem Hamburger Parteitag Ende<br />
1954 verstummte die Diskussion über die Frage der Unterschriften nie ganz, war<br />
jedoch nicht mehr Gegenstand spektakulärer öffentlicher Debatten und Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
wie anlässlich der IG-Metall Delegiertenkonferenz 1953. Thematisiert<br />
wurde sie nach wie vor vor allem auf der Ebene der Betriebe, und dort besonders<br />
von Seiten der Betriebsgruppen B<strong>org</strong>ward und AG »Weser«. Bei B<strong>org</strong>ward werde<br />
h<strong>in</strong>sichtlich der These 37 immer noch das Argument gebracht: »Grundsätzlich hat<br />
die Partei recht, aber man muss e<strong>in</strong>e andere Taktik anwenden«, so e<strong>in</strong> Mitglied des<br />
Landessekretariats Mitte 1954. 117 Ähnliche H<strong>in</strong>weise kamen von der AG »Weser«,<br />
wo»immerwiederüberdieThese37diskutiert«wurde. 118<br />
Bei der Auswertung des Hamburger Parteitages war denn auch die Frage des<br />
Umgangs mit der Revision der These 37 das zentrale Thema im Bremer Landessekretariat.<br />
Es hatte, wie nicht anders zu erwarten war, offenbar sofort nach dem Parteitag<br />
Diskussionen <strong>in</strong> der Partei gegeben, die nun die Funktionäre, die das Revers<br />
unterschrieben hatten, im Recht sahen. 119 Das Sekretariat bekam Rechtfertigungsprobleme<br />
und musste begründen, weshalb die Unterschrift der Reverse vor dem<br />
Parteitag falsch, danach jedoch zum<strong>in</strong>dest akzeptabel war. Hermann Gautier stellte<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht fest, »wir werden e<strong>in</strong>e Diskussion bekommen, war die Unterschrift<br />
unter dem Revers richtig oder nicht.« 120 In der Frage des Umgangs mit dieser<br />
Diskussion war sich das Sekretariat zwar weitgehend e<strong>in</strong>ig, der argumentative<br />
Notstand aber war klar erkennbar. »Damals«, so Hermann Gautier <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht,<br />
sei es richtig gewesen, die Unterschrift abzulehnen, diejenigen, die unterschrieben<br />
hatten, hätten »opportunistisch gehandelt«. Ähnlich argumentierte der<br />
Erste Sekretär des Kreises <strong>Bremen</strong> Arthur Böpple: Es dürfe nicht darauf verzichtet<br />
werden, »nachzuweisen, dass die Genossen, die unterschrieben haben, sich aus opportunistischen<br />
Gründen von der Politik der Partei distanziert haben. Sie haben<br />
116 Interview Willy Hundertmark,2; Interview Herbert Breidbach, 2.<br />
117 Protokoll der LSS v. 29.6.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
118 Protokoll der LSS v. 31.8.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
119 Protokoll der LSS v. 4.1.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9.<br />
120 Ebenda.
216<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
damals nicht unterschrieben, weil sie wussten, dass nach 4 Jahren dies geändert<br />
wird, sondern sie haben verzichtet auf den Kampf.« 121 Böpple lieferte auch gleich<br />
e<strong>in</strong> Beispiel, wie dieser Nachweis geführt werden könne. Man müsse jetzt klarmachen,<br />
»dass Unterschrift nicht gleich Unterschrift ist«.<br />
»Z.B. e<strong>in</strong> Genosse unterschreibt ohne Bedenken. E<strong>in</strong> anderer Genosse sagt, das verstößt gegen<br />
die <strong>in</strong>nergewerkschaftliche Demokratie und entfaltet e<strong>in</strong>en Kampf <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Branche. Das<br />
reicht aber nicht aus, um die Gewerkschaftsleitung zu zw<strong>in</strong>gen, den Revers zurückziehen. Er<br />
unterschreibt dann doch und arbeitet weiterh<strong>in</strong> für die Durchsetzung der DGB-Beschlüsse.<br />
Dann ist es politisch richtig und die Unterschrift des ersten Genossen ist falsch. Man muss<br />
immer davon ausgehen, ist der Unterschrift e<strong>in</strong>e Bewegung vorausgegangen oder nicht, und<br />
zweitens, wie führt der Genosse die Beschlüsse des DGB durch oder kämpft für deren Durchführung<br />
<strong>in</strong> der Funktion, die er durch die Unterschrift behalten hat.« 122<br />
Das war natürlich e<strong>in</strong>e völlig abstrakte und aus der Not konstruierte Interpretation,<br />
die unter anderem unterschlug, dass angesichts des Drucks von Seiten der<br />
Gewerkschaft wie auch durch die Partei selbst e<strong>in</strong>em kommunistischen Gewerkschaftsfunktionär<br />
wohl kaum Zeit und Raum für die »Entfaltung e<strong>in</strong>er Bewegung«<br />
geblieben wäre.<br />
Das durch die Revision der Reversfrage entstandene Legitimationsproblem war<br />
also deutlich. Gleichzeitig aber war diese Frage zu diesem Zeitpunkt nicht mehr<br />
von wirklicher politischer Bedeutung, denn der Schaden für die betrieblichen und<br />
gewerkschaftlichen Positionen der <strong>KPD</strong> war längst entstanden und nicht mehr zu<br />
beheben. Der E<strong>in</strong>flussverlust der Partei auf e<strong>in</strong>em zentralen Gebiet ihrer Politik und<br />
ihres Selbstverständnisses war dabei zu e<strong>in</strong>em Großteil auch dem massiven Antikommunismus<br />
der Gewerkschaften geschuldet und hätte sich <strong>in</strong> weniger drastischer<br />
Form auch ohne die These 37 vollzogen, wie es bereits vor 1951 absehbar war.<br />
Von größerer Bedeutung war die verfehlte Reverspolitik daher für die <strong>in</strong>nerparteiliche<br />
Situation. E<strong>in</strong> großer Teil der Parteiaustritte der Jahre ab 1951 wird - neben<br />
den von der Gesamtproblematik nicht zu trennenden »Säuberungen« - auf den<br />
Umgang mit der These 37 und dem dadurch für kommunistische Gewerkschafter<br />
entstandenen Dilemma zurückzuführen se<strong>in</strong>. 123 Ebensolches gilt für die bereits<br />
konstatierte Resignation der Betriebsgruppen: Wie sollte man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ohneh<strong>in</strong><br />
schwierigen, weil antikommunistisch geprägten Situation im Betrieb noch s<strong>in</strong>nvoll<br />
arbeiten können ohne gewerkschaftlichen Rückhalt? Gleichzeitig wurde e<strong>in</strong> Großteil<br />
der Mitglieder der Betriebsgruppen und der Gewerkschaftsfunktionäre <strong>in</strong> Opposition<br />
zur Parteileitung gebracht, 124 was <strong>in</strong> Anbetracht der deutlich gewordenen<br />
mehrheitlichen Zustimmung zu den Inhalten der These 37 durchaus vermeidbar<br />
gewesen wäre.<br />
121 Ebenda.<br />
122 Ebenda.<br />
123 Hermann Gautier spricht gar von »massenhaften« Austritten <strong>in</strong>folge der These 37 (Interview Hermann<br />
Gautier, 2).<br />
124 <strong>Die</strong> Mehrheit der Mitglieder <strong>in</strong> den Betriebsgruppen habe, nachdem die Folgen der These 37 sichtbar<br />
wurden, »ihre Kritik gegen die Parteiführung gerichtet, das war die Haupttendenz«, so Hermann Gautier<br />
aus heutiger Sicht (ebenda).
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 217<br />
»Nationale Politik« im Betrieb: <strong>Die</strong> Instrumentalisierung der Betriebsgruppen<br />
Bereits kurze Zeit nach der Resolution der 15. Tagung des Parteivorstandes von Anfang<br />
März 1950, mit der die gewerkschaftspolitische Radikalisierung der <strong>KPD</strong> und<br />
die Unterordnung der Betriebspolitik unter die nationale Politik e<strong>in</strong>geleitet worden<br />
war, wurde die Umsetzung dieser Politik durch die Bremer Parteileitung sichtbar.<br />
Es müsse allgeme<strong>in</strong> festgestellt werden, so e<strong>in</strong> Bericht des Sekretariats zur Vorbereitung<br />
der bevorstehenden Betriebsrätewahlen, »dass <strong>in</strong> Betriebsgruppen immer<br />
noch zu viel über ›Betriebsangelegenheiten‹ und zu wenig politisch diskutiert«<br />
werde. <strong>Die</strong> »ideologisch-politische Festigung der Partei« sei <strong>in</strong> den Betrieben nur<br />
mangelhaft vollzogen. 125 Damit waren die neuen Ziele der Betriebsgruppenarbeit<br />
und die Eckpunkte der Ause<strong>in</strong>andersetzung der nächsten Jahre bereits benannt: die<br />
Instrumentalisierung <strong>in</strong>nerbetrieblicher Angelegenheiten - <strong>in</strong> dem Bericht schon<br />
verdeutlicht durch die herabsetzenden Anführungszeichen bei den »Betriebsangelegenheiten«<br />
- zugunsten der allgeme<strong>in</strong>-politischen Ziele der Partei.<br />
Über bloße Aufforderungen oder Feststellungen des »ideologisch schwachen<br />
Niveaus der Betriebsgruppenleitungen« kam die Partei jedoch <strong>in</strong> der Folgezeit nicht<br />
h<strong>in</strong>aus. <strong>Die</strong> zögerliche Umsetzung der Beschlüsse des Parteivorstands zeigte sich<br />
auf e<strong>in</strong>er Tagung der Landesleitung am 7. April 1950. Der Erste Sekretär Willy<br />
Knigge nahm ausführlich Stellung zu der Resolution des PV - die e<strong>in</strong>e »Ergänzung<br />
und Konkretisierung an e<strong>in</strong>er wichtigen Front unserer Arbeit <strong>in</strong> den Betrieben und<br />
Gewerkschaften« darstelle - und kritisierte daran anknüpfend die bisherige Betriebsgruppenarbeit<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Es mangele immer noch an arbeitsfähigen Betriebsgruppenleitungen,<br />
auch <strong>in</strong> den übergeordneten Leitungen sei »noch nicht das genügende<br />
Verständnis für die Betriebsgruppenarbeit vorhanden«. 126<br />
Dabei blieb es. Knigge machte ke<strong>in</strong>erlei konkrete Vorschläge zur Verbesserung<br />
der von ihm und der PV-Resolution angesprochenen Mängel. <strong>Die</strong> übrigen Mitglieder<br />
der Landesleitung schilderten <strong>in</strong> der folgenden Diskussion lediglich e<strong>in</strong>ige<br />
konkrete Beispiele von Missständen oder auch erfolgreicher Arbeit <strong>in</strong> den Betriebsgruppen,<br />
stellten jedoch ke<strong>in</strong>erlei Bezug zur Resolution oder den Ausführungen<br />
von Knigge her. Willy Meyer-Buer me<strong>in</strong>te gar, die Resolution habe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Sätzen<br />
»e<strong>in</strong>en fehlerhaften Stil«, führte dies jedoch nicht weiter aus. 127<br />
In der Folgezeit blieb es zunächst bei dieser zögerlichen Umsetzung der <strong>in</strong> der<br />
Resolution des Parteivorstands skizzierten neuen L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> der Betriebspolitik und<br />
der Betriebsgruppen<strong>org</strong>anisation. <strong>Die</strong>s galt sowohl für die Betriebsgruppen selbst<br />
wie auch für die Bremer Parteileitung. Wie schon bei der <strong>org</strong>anisatorischen Umgestaltung<br />
zur Partei neuen Typus und der Titoismus-Kampagne wurden auch hier<br />
zentrale Beschlüsse und Richtl<strong>in</strong>ien des PV nur sehr langsam von der Bremer Partei<br />
aufgenommen<br />
Eswarsoschließlichauchke<strong>in</strong>Zufall,dasssichdieerstenAuswirkungenund<br />
Umsetzungen der beiden eng mite<strong>in</strong>ander verwobenen Bereiche der Parteiumges-<br />
125 Politischer Bericht des Sekretariats Land <strong>Bremen</strong>, März 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
126 Protokoll über die Landesvorstandssitzung am Freitag den 7. April 1950, Waller R<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />
127 Ebenda.
218<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
taltung und der Akzentverschiebung <strong>in</strong> der Betriebspolitik zeitlich nahezu parallel<br />
zeigten: <strong>Die</strong> Ablösung des alten Sekretariats und der Metallarbeiterstreik im Februar<br />
1951, den die Parteileitung versuchte, im S<strong>in</strong>ne der Ausrichtung auf die nationale<br />
Politik zu bee<strong>in</strong>flussen und damit vor allem am Widerstand der Betriebsgruppe<br />
B<strong>org</strong>ward scheiterte. 128 <strong>Die</strong>s waren die ersten offenkundigen Versuche der Neuorientierung<br />
der Betriebs- und Gewerkschaftspolitik <strong>in</strong> der Partei umzusetzen. Gleichzeitig<br />
wurden aber auch bereits die diesbezüglichen noch näher zu schildernden<br />
<strong>in</strong>nerparteilichen Schwierigkeiten und Konflikte bei der Umsetzung dieser L<strong>in</strong>ie<br />
deutlich.<br />
1952 wurde die Instrumentalisierung der Betriebsgruppen für die deutschlandund<br />
außenpolitischen Zielstellungen der Partei besonders deutlich. Zentraler Anlass<br />
war die Unterzeichnung der EVG-Verträge. Wieder erfolgte die explizite Orientierung<br />
der Betriebsgruppen auf die »Auslösung von Bewegungen gegen den Generalkriegsvertrag<br />
<strong>in</strong> den Betrieben« 129 relativ spät, nämlich etwa ab Mai 1952, zu<br />
e<strong>in</strong>er Zeit also, <strong>in</strong> der die Unterzeichnung der Verträge (27. Mai 1952) unmittelbar<br />
bevorstand. <strong>Die</strong> Landes<strong>org</strong>anisation stehe, so e<strong>in</strong> Bericht des Sekretariats von Mitte<br />
Mai 1952, »vor der Aufgabe, <strong>in</strong> der Zeit der ständig verschärften Situation <strong>in</strong> Betrieben<br />
und Stadtteilen Massenaktionen und Massenstreiks zu entwickeln, um<br />
hierdurch die Unterzeichnung des Generalkriegsvertrages zu verh<strong>in</strong>dern«. 130 Um<br />
dies zu erreichen, wurden die Betriebsgruppen wichtiger Betriebe (u.a. B<strong>org</strong>ward,<br />
AG »Weser«, Hafen) zu Sondersitzungen zusammengefasst und erhielten den Auftrag,<br />
<strong>in</strong> Betriebsratssitzungen und Belegschaftsversammlungen entsprechende Anträge<br />
e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen sowie Streikbeschlüsse herbeizuführen. 131 E<strong>in</strong> grundlegendes<br />
Problem war auch dabei die Mobilisierung der Parteimitglieder <strong>in</strong> den Betrieben<br />
für überbetriebliche und sehr hochgesteckte Zielsetzungen wie die Verh<strong>in</strong>derung<br />
der Unterzeichnung des EVG-Vertrages. Aus den Betriebsgruppen kamen denn die<br />
Aktivitäten auch nur spärlich. Schwerpunkt der ›betrieblichen‹ Aktionen gegen den<br />
»Generalkriegsvertrag« waren Agitationen von außen, wie z.B. Reden von Bürgerschaftsabgeordneten<br />
und anderer Parteiprom<strong>in</strong>enz vor den Betrieben. 132 Selbstkritisch<br />
bemerkte der Politische Wochenbericht des Sekretariats, dass sich dadurch<br />
»das Leben der Parteibetriebsgruppen« nicht entwickeln ließe. 133<br />
Tatsächlich war der S<strong>in</strong>n derartiger Aktionen im Sekretariat umstritten, wie sich<br />
auf e<strong>in</strong>er Sitzung unmittelbar nach Unterzeichnung des EVG-Vertrages zeigte. »Es<br />
tritt jetzt die Me<strong>in</strong>ung bei e<strong>in</strong>zelnen Genossen auf«, so Ulrich Konetzka, »dass uns<br />
diese Aktionen nichts weiter br<strong>in</strong>gen, dass sie nicht zum Erfolg führen, wir erreichen<br />
nichts damit, unsere Betriebsgruppen kommen nichts weiter. Unsere Betriebs-<br />
128 Siehe ausführlich unten.<br />
129 Politischer Wochenbericht des Sekretariats der LL vom 17. bis 23. Mai 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
130 Ebenda.<br />
131 Ebenda und Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 24. - 30. Mai 1952 des Sekretariates der LL <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/11.<br />
132 Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 24. - 30. Mai 1952 des Sekretariates der LL <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>:SAPMOI<br />
11/20/11.<br />
133 Politischer Wochenbericht des Sekretariats der LL vom 17. bis 23. Mai 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 219<br />
gruppenmüssenvon<strong>in</strong>nendieAktionenführen«. 134 Konetzka wandte sich gegen<br />
diese Auffassung. Man könne die Stärkung der Betriebsgruppen und die Aktionen<br />
vor den Betrieben nicht vone<strong>in</strong>ander trennen, sondern beides müsse »<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesunden<br />
Verhältnis« durchgeführt werden. Nach der Unterzeichnung des »Schandvertrags«<br />
müsse der Kampf dagegen »erst recht« verstärkt fortgeführt werden. Auf<br />
das Problem der Mobilisierung der Parteimitglieder für e<strong>in</strong>en solchen »Kampf«<br />
g<strong>in</strong>g He<strong>in</strong>rich Schramm e<strong>in</strong>: »Es werden jetzt die Me<strong>in</strong>ungen auftreten [...], jetzt ist<br />
er unterzeichnet, jetzt kann man nichts mehr ändern. Ich b<strong>in</strong> der Me<strong>in</strong>ung, wir<br />
müssen unseren Genossen das Kraftbewusstse<strong>in</strong> stärker beibr<strong>in</strong>gen«. Schramm<br />
sprach sich ebenfalls für die Beibehaltung der Aktionen vor den Betrieben aus, gab<br />
aber auch zu, dass sie vor allem im Hafen »gar nichts e<strong>in</strong>gebracht haben« und dass<br />
»solche Aktionen die systematische Arbeit der Betriebsgruppen« hemmen.<br />
Auf dieser Sitzung waren exemplarisch die Grundprobleme der Betriebsgruppen(politik)<br />
und des Verhältnisses zwischen Betriebsgruppen und Parteileitung<br />
deutlich geworden. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Leitung versuchte, die Betriebsgruppen zum wichtigsten<br />
Instrument e<strong>in</strong>er allen anderen Problemen übergeordneten Friedens- und<br />
Deutschlandpolitik zu machen, stieß dabei aber bei den Mitgliedern <strong>in</strong> den Betrieben<br />
oftmals entweder auf mangelnde Motivation oder e<strong>in</strong>e gewisse Renitenz.<br />
<strong>Die</strong>se Renitenz der Betriebskader war auch der Tatsache geschuldet, dass die<br />
Gewerkschaften versuchten, kommunistische Partei-Agitation auf Betriebsebene<br />
oder im Rahmen gewerkschaftlicher Aktionen zu verh<strong>in</strong>dern. Anlässlich e<strong>in</strong>er großen<br />
DGB-Demonstration gegen das Betriebsverfassungsgesetz am 5. Juni 1952 entfaltete<br />
die <strong>KPD</strong>-Leitung verschiedene Aktivitäten, die wiederum auf e<strong>in</strong>e Verknüpfung<br />
mit dem »Kampf gegen den Generalvertrag« h<strong>in</strong>auslief, der nur dann Erfolg<br />
haben könne, »wenn wir e<strong>in</strong>e breite Bewegung <strong>in</strong> den Betrieben auslösen«. 135 Zur<br />
Vorbereitung der Demonstration wurden mit Vertretern der Betriebsgruppen Sondersitzungen<br />
durchgeführt. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppen, <strong>in</strong>sbesondere die betrieblichen<br />
Vertrauensmänner der Partei, erhielten den Auftrag, »<strong>in</strong> ihren Ressorts Versammlungen<br />
durchzuführen und Kampflosungen für die kommende Demonstration<br />
des DGB annehmen zu lassen« sowie »<strong>in</strong> den vorher stattf<strong>in</strong>denden Betriebsräteund<br />
Vertrauensmännersitzungen Entschließungen e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen, die den Zusammenhang<br />
zwischen Generalvertrag und Betriebsverfassungsgesetz aufzeigen«. 136<br />
Der Versuch, »Kampflosungen« im S<strong>in</strong>ne der <strong>KPD</strong> sowie entsprechende Entschließungen<br />
<strong>in</strong> den Betrieben zu verabschieden, um die Gewerkschaftsdemonstration<br />
für das übergeordnete Ziel - »Kampf gegen den Generalvertrag« - zu nutzen, musste<br />
zu <strong>in</strong>nerbetrieblichen Konflikten führen und Gegenmaßnahmen der Gewerkschaften<br />
provozieren. <strong>Die</strong> Gewerkschaftsleitung verbot das Mitführen nicht von ihr<br />
genehmigter Parolen auf der Demonstration. Gleichzeitig hielten sich die Betriebsgruppen<br />
offenbar mit der Umsetzung der Beschlüsse zurück oder verweigerten sich<br />
ihnen gar. In den Automobilwerken B<strong>org</strong>ward und Goliath sei es nicht gelungen,<br />
134 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 29. Mai 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
135 Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 24. - 30. Mai 1952 des Sekretariates der LL <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>:SAPMOI<br />
11/20/11.<br />
136 Ebenda.
220<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
Ressortversammlungen e<strong>in</strong>zuberufen und die »Kampflosungen« zu beschließen,<br />
»die Genossen Vertrauensleute wichen vor der Aufgabenstellung zurück«, beschwerte<br />
sich der Politische Wochenbericht des Sekretariats und zitierte e<strong>in</strong>en <strong>KPD</strong>-<br />
Vertrauensmann bei B<strong>org</strong>ward:<br />
»Der Betriebsrat Buchholz (SPD) hat uns ausdrücklich verboten, Transparente mitzuführen,<br />
die nicht von der Gewerkschaft genehmigt s<strong>in</strong>d. Was nütze ich der Partei, wenn ich me<strong>in</strong>e<br />
Funktion als Vertrauensmann verliere und aus der Gewerkschaft ausgeschlossen werde. Wir<br />
zerschlagen hierdurch den e<strong>in</strong>heitlichen Charakter der Demonstration«. 137<br />
<strong>Die</strong> Parteileitung reagierte auf diese Argumentation mit Opportunismus-<br />
Vorwürfen und dem öffentlich bekundeten Willen zur stärkeren Kontrolle der Betriebsgruppen.<br />
Unmittelbar nach der DGB-Demonstration skizzierte Ulrich Konetzka<br />
die Position des Sekretariats:<br />
»Das Landessekretariat kümmerte sich <strong>in</strong> der Vergangenheit <strong>in</strong> ungenügendem Maße um die<br />
Betriebsgruppen [...] Ungenügende Verb<strong>in</strong>dung der nationalen Politik mit den sozialen Problemen<br />
der Arbeiterklasse, mangelnde Kenntnis über die entscheidenden V<strong>org</strong>änge <strong>in</strong> den Betrieben,<br />
<strong>in</strong>nerhalb der Gewerkschaften und der SPD, mangelndes Wissen über den Zustand<br />
unserer Betriebsgruppen s<strong>in</strong>d die Ursache für die fehlerhafte Arbeit des Landessekretariats <strong>in</strong><br />
Bezug auf die Anleitung der Kreisleitungen und der Betriebsgruppen. <strong>Die</strong>se ungenügende<br />
Anleitung durch das Landessekretariat ist Ursache für das Vorhandense<strong>in</strong> opportunistischer<br />
und sektiererischer Tendenzen bei vielen unserer Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionäre«.<br />
138<br />
›Mangelnde Anleitung‹ und nicht etwa e<strong>in</strong>e verfehlte, weil <strong>in</strong>strumentalisierte<br />
Politik <strong>in</strong> Betriebs- und Gewerkschaftsfragen war für das Sekretariat der Grund für<br />
die Differenzen mit den Betriebsfunktionären. Andere denkbare Konsequenzen,<br />
wie der 1952 im Sekretariat geäußerte Vorschlag von Albert Oltmanns, man müsse<br />
<strong>in</strong> die Leitungen »gute Betriebsfunktionäre e<strong>in</strong>bauen« und auch zu den Landesleitungssitzungen<br />
»viel mehr gute Betriebsarbeiter heranziehen«, um die bislang oftmals<br />
nicht gegebene Durchführbarkeit der Beschlüsse <strong>in</strong> den Betrieben zu gewährleisten,<br />
139 die also statt Diszipl<strong>in</strong>ierung eher auf den Dialog und e<strong>in</strong>e stärkere demokratische<br />
E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung der Betriebsgruppen <strong>in</strong> die Beschlussfassung der Leitungen<br />
setzten, wurden nie ernsthaft umgesetzt.<br />
<strong>Die</strong> zahlreichen von Sekretariats- und Kreisleitungsmitgliedern immer wieder<br />
mit Vertretern »problematischer« Betriebsgruppen geführten Gespräche können<br />
vor diesem H<strong>in</strong>tergrund kaum als ernsthafte Dialogversuche gewertet werden. Sie<br />
waren letztlich Diszipl<strong>in</strong>ierungsversuche im S<strong>in</strong>ne der Instrumentalisierung der Betriebsgruppen<br />
für die nationale Politik, die auf die Beseitigung »falscher und opportunistischer«<br />
Auffassungen zielte, nicht aber auf Kompromissf<strong>in</strong>dung oder e<strong>in</strong>e<br />
ernsthafte Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Betriebsfunktionären, die <strong>in</strong> ihren Betrieben<br />
den Widersprüchen zwischen der Parteil<strong>in</strong>ie und den realen Bed<strong>in</strong>gungen ausgesetzt<br />
waren und deren politische und gewerkschaftliche Arbeit durch diese Widersprüche<br />
erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht wurde.<br />
137 Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 31.5. - 6.6.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
138 Kommunique der Tagung der <strong>KPD</strong> Landesleitung <strong>Bremen</strong>, Tribüne der Demokratie, 16. Juni 1953.<br />
139 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 31. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 221<br />
Geradezu fatal war dabei die oft geäußerte Fehle<strong>in</strong>schätzung der Parteileitung,<br />
<strong>in</strong> den Betrieben habe man eigentlich gute Bed<strong>in</strong>gungen und genügend E<strong>in</strong>fluss zur<br />
Entwicklung e<strong>in</strong>er Massenbewegung gegen die West<strong>in</strong>tegration der Bundesrepublik<br />
sowie die »rechten Gewerkschaftsführer«, wenn es denn nur gelänge, die <strong>KPD</strong>-<br />
Funktionäre und die Arbeiter davon zu überzeugen, die betrieblichen und sozialen<br />
Probleme mit der Lösung der »nationalen Frage« zu verb<strong>in</strong>den. Der verbliebene<br />
E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Betrieben wurde im Laufe der 1950er Jahre zunehmend<br />
abhängig von e<strong>in</strong>zelnen Personen und Funktionären, die sich jahrelang als Vertrauensleute<br />
oder Betriebsräte die Anerkennung ihrer Kollegen erarbeitet hatten, dabei<br />
aber auch weitgehend unabhängig von der Partei und Parteipolitik agierten. 140 Bei<br />
weitem nicht die e<strong>in</strong>zigen, aber herausragende Beispiele für diese Entwicklung waren<br />
der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei B<strong>org</strong>ward Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann,<br />
der bei der Betriebsratswahl 1955 - die unmittelbar nach se<strong>in</strong>em Austritt aus der<br />
<strong>KPD</strong> stattfand - mehr Stimmen als der Betriebsratsvorsitzende Buchholz (SPD) erhielt,<br />
141 oder der langjährige Betriebsratsvorsitzende der Norddeutschen Hütte<br />
(später Klöckner) Max Müller. Solche Persönlichkeiten hatten ihren <strong>in</strong>ner- und auch<br />
außerbetrieblichen Status und E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie nicht wegen, sondern zunehmend<br />
eher ihrer <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft. Dort wo es solche Persönlichkeiten nicht gab<br />
oder wo Funktionäre weitgehend kongruent mit der Parteil<strong>in</strong>ie agierten, g<strong>in</strong>g dieser<br />
E<strong>in</strong>fluss zum<strong>in</strong>dest stärker, teilweise auch schlagartig zurück. So waren die E<strong>in</strong>zelpersönlichkeiten<br />
<strong>in</strong> den Betrieben e<strong>in</strong> gewisser Garant für kommunistische Positionen<br />
<strong>in</strong> den Betrieben, die trotz zunehmender Isolation der <strong>KPD</strong> und trotz e<strong>in</strong>es<br />
starken Antikommunismus gehalten werden konnten. <strong>Die</strong> Parteileitung beg<strong>in</strong>g<br />
zum e<strong>in</strong>en den Fehler, diese Positionen und den daraus resultierenden E<strong>in</strong>fluss als<br />
parteipolitischen, als Zeichen für die Stärke der <strong>KPD</strong> im Betrieb und »günstige Bed<strong>in</strong>gung«<br />
für Aktionen im S<strong>in</strong>ne der überbetrieblichen Ziele zu <strong>in</strong>terpretieren. Zum<br />
zweiten griff sie zur Durchsetzung dieser Ansprüche genau die Funktionäre an, die<br />
durch relativ parteiunabhängige Politik und Arbeit Garant starker Positionen waren.<br />
<strong>Die</strong> Instrumentalisierung der Betriebsgruppen für das Primat der <strong>in</strong>nen- und<br />
deutschlandpolitischen Ziele und die Unfähigkeit der Leitung, auf die Argumente<br />
der Betriebsfunktionäre e<strong>in</strong>zugehen, schwächte so nicht nur die Bedeutung der Partei<br />
<strong>in</strong> den Betrieben. Ähnlich wie beim Umgang mit der Reversfrage und der These<br />
37 waren die negativen <strong>in</strong>nerparteilichen Folgen m<strong>in</strong>destens ebenso deutlich.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> behielt diese <strong>in</strong>strumentalisierte Betriebspolitik pr<strong>in</strong>zipiell bis zum<br />
Verbot bei. Zu jeder sich bietenden Gelegenheit wie Lohnbewegungen, Streiks, Delegierten-<br />
und Betriebsratswahlen wurde von den Leitungs<strong>org</strong>anen die Verbesserung<br />
der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit gefordert. <strong>Die</strong>s jedoch nicht zur Durch-<br />
140 Auf den Punkt brachte dies 1953 e<strong>in</strong> betrieblicher Vertrauensmann der <strong>KPD</strong> und widersprach damit<br />
dem A. und S. Sekretär, der aufzeigen wollte, »welch e<strong>in</strong>e Wandlung <strong>in</strong> den Betrieben sich vollzogen<br />
hat, dass das Vertrauen zur Partei wächst, wenn unsere Genossen gute Arbeit leisten«: »So ist das<br />
nicht. Das Vertrauen ist nicht zur Partei. Das Vertrauen ist nur zur Person.«( Protokoll der LSS am 5.2.53,<br />
<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.).<br />
141 Vgl. Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Almut Schwerd (Hrsg.):<br />
Zeitzeugen berichten, a.a.O., S. 43-57, hier S. 50.
222<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
setzung gewerkschaftlicher und betrieblicher Ziele, sondern »um den Kampf gegen<br />
die Kriegspolitik der Adenauer-Regierung noch besser und entschiedener als bisher<br />
führen zu können«. 142 Das sich aus e<strong>in</strong>em solch großen Anspruch - der Betriebsratsund<br />
Delegiertenwahlen als »entscheidender als jede Parlamentswahl« betrachtete -<br />
143 ergebende krasse Missverhältnis zu den realen Bed<strong>in</strong>gungen und der Stärke der<br />
<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Betrieben war der Parteileitung <strong>in</strong> gewisser Weise sehr wohl bewusst.<br />
<strong>Die</strong>s führte aber nicht zu e<strong>in</strong>er flexibleren und realistischeren Politik, sondern wurde<br />
beharrlich mit dem Unvermögen und Unverständnis <strong>in</strong> den Betrieben erklärt.<br />
<strong>Die</strong> größte Schwäche bei der Initiierung außerparlamentarischer Aktionen sei, so<br />
e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied 1953, »dass unsere Genossen <strong>in</strong> den Betrieben und schon<br />
lange die Arbeiter nicht verstehen, den Zusammenhang dieser konkreten betrieblichen<br />
Fragen mit den politischen Fragen zu verb<strong>in</strong>den«. 144<br />
3. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppen: Drei Bremer Beispiele<br />
Betriebsgruppen als Basisopposition? Das Beispiel B<strong>org</strong>ward<br />
Im Zentrum der sich aus den geschilderten Widersprüchen und Fehle<strong>in</strong>schätzungen<br />
ergebenden <strong>in</strong>nerparteilichen Ause<strong>in</strong>andersetzungen stand seit 1950 e<strong>in</strong>e der<br />
größten und für die Bremer <strong>KPD</strong> bedeutsamsten Betriebsgruppen, nämlich die Betriebsgruppe<br />
im Stammwerk des Automobilkonzerns B<strong>org</strong>ward.<br />
Das seit 1924 Automobile produzierende Werk des Firmengründers und -leiters<br />
Carl B<strong>org</strong>ward hatte bereits <strong>in</strong> den 1930er Jahren und während des Krieges »e<strong>in</strong>e<br />
bedeutende Rolle sowohl <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> als auch <strong>in</strong>nerhalb der deutschen Automobilbranche«<br />
gespielt. 145 Seit 1949 bestand die dann so genannte B<strong>org</strong>ward-Gruppe aus<br />
drei Automobilwerken: die »Goliath-Werke GmbH«, die »Lloyd-Motoren-Werke<br />
GmbH« sowie das Stammwerk, die »Carl F.W. B<strong>org</strong>ward GmbH«. 146 B<strong>org</strong>ward<br />
wurde zum größten privaten Autokonzern <strong>in</strong> der Bundesrepublik und zum größten<br />
privaten Steuerzahler und Arbeitgeber <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Zwischen 1950 und 1960 nahm<br />
der Konzern »e<strong>in</strong>en rasanten Aufschwung«, was sich unter anderem <strong>in</strong> der Steigerung<br />
der Stückzahlen um ca. 400% und e<strong>in</strong>em Beschäftigungsstand von zuletzt<br />
knapp 23.000 Mitarbeitern zeigte. 147<br />
142 Sekretariatsvorlage zur Vorbereitung und Durchführung der Delegiertenwahlen <strong>in</strong> der Gewerkschaft, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/8.<br />
143 Sekretariatsvorlage zur Vorbereitung und Durchführung der Delegiertenwahlen <strong>in</strong> der Gewerkschaft, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/8; Protokoll L.S.S. vom 26.2.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
144 Protokoll v.d. LSS am 26.3.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
145 Vgl. Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall. Arbeit im Wirtschaftswunder. B<strong>org</strong>ward,<br />
Goliath, Lloyd, <strong>Bremen</strong> 1987, S. 17f.; dies., B<strong>org</strong>ward, Goliath, Lloyd, <strong>in</strong>: Karl-Ludwig Sommer (Hrsg.):<br />
<strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> den fünfziger Jahren: Politik, Wirtschaft, Kultur, <strong>Bremen</strong> 1989, S. 209-228.<br />
146 Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>ward, Goliath, Lloyd, a.a.O., S. 210.<br />
147 Ebenda.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 223<br />
<strong>Die</strong> Strukturen der Belegschaften <strong>in</strong> den drei Werken unterschieden sich dabei<br />
erheblich. Bei Goliath und Lloyd wies die Belegschaft e<strong>in</strong>en hohen Grad von unund<br />
angelernten Arbeitern auf und war gekennzeichnet von vielen unstetigen Beschäftigungsverhältnissen.<br />
<strong>Die</strong> »typischen Kennzeichen der Belegschaft im B<strong>org</strong>ward-Stammwerk«<br />
waren dagegen e<strong>in</strong> hoher Facharbeiteranteil (1960: 56 Prozent),<br />
e<strong>in</strong>e »hohe Seniorität«, das heißt e<strong>in</strong> hoher Anteil von langjährig Beschäftigten, sowie<br />
e<strong>in</strong>e »große betriebliche Integration«. 148 <strong>Die</strong> Gründe hierfür lagen vor allem <strong>in</strong><br />
den gewachsenen Strukturen des Stammwerkes, <strong>in</strong> dem bereits vor 1933 Autos<br />
produziert worden waren, während Goliath und vor allem Lloyd nach <strong>1945</strong> »aus<br />
dem Boden gestampft« wurden, sowie <strong>in</strong> den Unterschieden h<strong>in</strong>sichtlich des Produkts:<br />
In den beiden kle<strong>in</strong>eren und neuen Werken wurden vor allem die konjunkturabhängigeren<br />
Kle<strong>in</strong>wagen produziert, was <strong>in</strong> absatzschwachen Zeiten zu schnellen<br />
Entlassungen, <strong>in</strong> absatzstarken Zeiten zu vermehrten E<strong>in</strong>stellungen von - <strong>in</strong> erster<br />
L<strong>in</strong>ie ungelernten - Arbeitern führte. In dem hier zu behandelnden Stammwerk<br />
dagegen gab es <strong>in</strong>folge der hohen Seniorität und dem Stolz auf die dort hergestellten<br />
hochwertigeren Autos e<strong>in</strong>e sehr hohe Identifikation der Arbeiter mit dem Werk<br />
und se<strong>in</strong>en Produkten. H<strong>in</strong>zu kamen verschiedene Gratifikationen von Seiten der<br />
Firmenleitung (bis h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er eigenen Wohnsiedlung für Arbeiter <strong>in</strong> der Nähe des<br />
Werkes).<br />
<strong>Die</strong> Belegschaft des B<strong>org</strong>ward-Stammwerkes wies e<strong>in</strong>en sehr hohen gewerkschaftlichen<br />
Organisationsgrad auf. 95 Prozent der gewerblichen Arbeitnehmer waren<br />
Mitglied der IG Metall, »h<strong>in</strong>zu kam e<strong>in</strong> hervorragender und auch funktionierender<br />
gewerkschaftlicher Vertrauenskörper«. 149 Ähnliche Verhältnisse gab es im<br />
Goliath-Werk, im Lloyd-Werk lag der Organisationsgrad - auch wegen der oben<br />
bereits genannten Gründe - nicht ganz so hoch. Insgesamt stellte damit die B<strong>org</strong>ward-Belegschaft<br />
<strong>in</strong> der Bremer IG Metall ca. e<strong>in</strong> Drittel der Mitgliedschaft, 150 etwa<br />
zwei Drittel davon waren Arbeiter im Stammwerk. Schon aus diesem zahlenmäßigen<br />
Anteil ergab sich e<strong>in</strong>e starke und bestimmende Bedeutung <strong>in</strong>nerhalb der Bremer<br />
IG Metall. H<strong>in</strong>zu kam e<strong>in</strong>e gewisse Vorreiterrolle, <strong>in</strong>sbesondere des Stammwerkes,<br />
bei der Durchsetzung gewerkschaftlicher Forderungen und Lohnverbesserungen.<br />
»Ob es e<strong>in</strong> freier Sonnabend (wir von B<strong>org</strong>ward waren die ersten, die<br />
sonnabends nicht mehr gearbeitet haben), ob es e<strong>in</strong> neuer Manteltarif war, die anderen<br />
Betriebe der Bremer IG Metall hatten es eigentlich immer uns zu verdanken«.<br />
151 <strong>Die</strong>se Vorreiterrolle wurde den B<strong>org</strong>ward-Werken »als gewerkschaftlich<br />
best<strong>org</strong>anisierten Automobilwerk« auch vom Hauptvorstand der IG Metall zugemessen.<br />
Der Betriebsratsvorsitzende des B<strong>org</strong>ward-Stammwerkes Ernst Buchholz<br />
(SPD) war denn auch ehrenamtliches Mitglied des Hauptvorstands. 152<br />
148 Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 73.<br />
149 Ebenda, S. 78.<br />
150 Ebenda.<br />
151 So Karl Grobe, e<strong>in</strong>flussreiches Mitglied im B<strong>org</strong>ward-Betriebsrat und bis 1952 auch <strong>KPD</strong>-Mitglied. Zitiert<br />
nach: Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 106.<br />
152 Ebenda.
224<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
Aus der großen Bedeutung des Werkes für <strong>Bremen</strong> und für die Gewerkschaft<br />
ergab sich e<strong>in</strong>e entsprechende <strong>in</strong>ner- und auch außerbetriebliche Rolle der betrieblichen<br />
Vertretungs<strong>org</strong>ane. Der Sozialdemokrat Ernst Buchholz war seit 1949 Vorsitzender<br />
des seitdem von der SPD dom<strong>in</strong>ierten Betriebsrates. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte allerd<strong>in</strong>gs<br />
im Betrieb seit <strong>1945</strong> e<strong>in</strong>e starke Stellung und stellte 1948 kurzfristig auch den<br />
Betriebsratsvorsitzenden. 153 <strong>Die</strong>se Stellung blieb pr<strong>in</strong>zipiell trotz der SPD-<br />
Dom<strong>in</strong>anz <strong>in</strong> den folgenden Jahren bis 1955 erhalten. Sie war <strong>in</strong> starkem Maße zurückzuführen<br />
auf e<strong>in</strong>zelne, stark engagierte und e<strong>in</strong>flussreiche Personen wie Erw<strong>in</strong><br />
He<strong>in</strong>emann, bis 1955 zweiter Betriebsratsvorsitzender und auch Bürgerschaftsabgeordneter<br />
der <strong>KPD</strong>, und Karl Grobe, an dessen Person sich ab 1950 die ersten Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
zwischen der Betriebsgruppe und der Bremer Parteileitung<br />
entwickelten. Zwischen SPD und <strong>KPD</strong> gab es im Betrieb e<strong>in</strong>erseits »e<strong>in</strong> erbittertes<br />
R<strong>in</strong>gen«, andererseits aber auch, meist auf persönlicher Ebene, zahlreiche Berührungspunkte.<br />
154 Den harten Ause<strong>in</strong>andersetzungen vor allem anlässlich von Betriebsratswahlen<br />
stand geme<strong>in</strong>sames Handeln gegenüber, »dort, wo es um elementare<br />
Interessen der Belegschaft oder um persönliche Rechte von Individuen<br />
g<strong>in</strong>g«. 155 Auch diese »Geme<strong>in</strong>samkeiten« waren im wesentlichen auf das starke Solidarverhalten<br />
der B<strong>org</strong>ward-Belegschaft sowie die herausragenden E<strong>in</strong>zelpersonen<br />
bei der SPD wie auch bei der <strong>KPD</strong> zurückzuführen. Dem SPD-Betriebsratsvorsitzenden<br />
Ernst Buchholz wurden <strong>in</strong>tegrative Fähigkeiten zugeschrieben, die<br />
sich z.B. <strong>in</strong> der Deckung des Kommunisten Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann gegenüber der Geschäftsleitung<br />
ausdrückten, wenn der wegen e<strong>in</strong>er Fahrt nach Moskau se<strong>in</strong>en Urlaub<br />
überschritten hatte, 156 oder auch <strong>in</strong> der Vergabe von betrieblichen Funktionen<br />
an »opponierende <strong>KPD</strong>-Leute« 157.<br />
<strong>Die</strong> Betriebsgruppe der <strong>KPD</strong> bei B<strong>org</strong>ward gehörte mit 41 Mitgliedern bereits<br />
1946 zu den größten <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. 158 1951 hatte sie nach Angaben der <strong>KPD</strong> 81 Mitglieder.<br />
159 Sie war damit e<strong>in</strong>e der bedeutsamsten Betriebsgruppen der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>.<br />
Im Vergleich zu den Betriebsgruppen bei der AG »Weser« und im Hafen<br />
wurde die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward <strong>in</strong> Berichten der Bremer Leitung oder von Instrukteuren<br />
durchweg als besonders aktiv bezeichnet. Indiz dafür war auch die<br />
<strong>KPD</strong>-Betriebszeitung »Der Sche<strong>in</strong>werfer«, die mit e<strong>in</strong>er durchschnittlichen Auflage<br />
von 2.000 Stück erschien (1955) 160 und e<strong>in</strong>e der wenigen Betriebszeitung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
153 Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>ward, Goliath, Lloyd, S. 218f; Willi Elmers, Arbeitskämpfe<br />
bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49; Peter Brandt: Betriebsräte, Neuordnungsdiskussion und betriebliche Mitbestimmung<br />
<strong>1945</strong>-1948, a.a.O., S. 201.<br />
154 Vgl. Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 92 und 98ff.; Willi Elmers, Arbeitskämpfe<br />
bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49.<br />
155 Siehe die Beispiele bei Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 98ff.<br />
156 Vgl. ebenda, S. 99.<br />
157 So der IG.Metall-Kassierer Johann Re<strong>in</strong>ers, zitiert nach Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>ward,<br />
Goliath, Lloyd, a.a.O., S. 219.<br />
158 Vgl. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung. Aufbau, Ausprägung, Politik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>1945</strong>/46, Hamburg 1976, S. 202.<br />
159 Bericht, E<strong>in</strong>satz <strong>Bremen</strong> vom 16.3. bis 7.4.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
160 Siehe die Exemplare <strong>in</strong> SAPMO I 10/20/11.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 225<br />
war, die größtenteils von Mitgliedern der Betriebsgruppe selbst verfasst wurde. 161<br />
Allerd<strong>in</strong>gs sche<strong>in</strong>t der Anteil der tatsächlich an der aktiven Arbeit beteiligten Mitglieder<br />
der Betriebsgruppe auch nicht höher gewesen zu se<strong>in</strong> als <strong>in</strong> anderen Gruppen.<br />
Während des Metallarbeiterstreiks von 1951 beteiligten sich nach eigenen Angaben<br />
nur 20 von den <strong>in</strong>sgesamt ca. 80 Genossen aktiv an der Durchführung des<br />
Streiks. 162<br />
<strong>Die</strong> Stärke der relativ fest im Betrieb verankerten <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation<br />
mit dem gewerkschaftlichen Selbstbewusstse<strong>in</strong> der Gesamtbelegschaft war<br />
Grundlage der Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit der Parteileitung und deren Schwierigkeiten<br />
bei der Durchsetzung ihrer <strong>in</strong>strumentalisierten Gewerkschaftspolitik ab<br />
1950. Deutlich wurden die Differenzen erstmals anlässlich des vom B<strong>org</strong>ward-<br />
Stammwerk ausgehenden Bremer Metallarbeiterstreiks im Februar 1951.<br />
Bei der Vorbereitung und Durchführung des Streiks der »Landbetriebe«, d.h.<br />
der Nicht-Schiffbau-Betriebe <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, spielte die <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe e<strong>in</strong>e wichtige<br />
Rolle bei der Durchsetzung der Streikziele und auch - aus <strong>in</strong>nerparteilicher<br />
Sicht - bei der Verh<strong>in</strong>derung parteipolitischer Instrumentalisierungsversuche der<br />
Leitung. Ausgangspunkt des Streiks war die Kündigung des Lohntarifs durch die<br />
IG Metall Anfang 1951, die auf e<strong>in</strong>en von Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann (<strong>KPD</strong>) erwirkten Beschluss<br />
e<strong>in</strong>er Belegschaftsversammlung des B<strong>org</strong>ward-Stammwerkes im Dezember<br />
1950 zurückg<strong>in</strong>g. 163 Nachdem von Arbeitgeberseite ke<strong>in</strong>e Verhandlungsbereitschaft<br />
signalisiert wurde, beschlossen die Betriebsräte der drei B<strong>org</strong>ward-Werke die E<strong>in</strong>berufung<br />
e<strong>in</strong>er Vertrauensmännerversammlung für den 13. Februar 1951. Auf Initiative<br />
der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe beschloss diese Vertrauensmännerversammlung bei<br />
B<strong>org</strong>ward, nicht sofort e<strong>in</strong>en Streik auszurufen, sondern am nächsten M<strong>org</strong>en <strong>in</strong> allen<br />
Branchen Belegschaftsversammlungen e<strong>in</strong>zuberufen und die Lage dort zu<br />
schildern. 164 Karl Grobe begründete diese abwartende Taktik der Betriebsgruppe<br />
so:<br />
»E<strong>in</strong> Antrag <strong>in</strong> dieser VM-Vlg. [Vertrauensmännerversammlung; HB] den Streik sofort zu beschließen,<br />
wäre bei der Zusammensetzung der VM-Vlg. (12 KP - 25 SP-Mitglieder) abgelehnt<br />
worden, da von ›oben‹, von der Ortsverwtlg, noch ke<strong>in</strong>e Anweisung vorhanden und auch<br />
nicht zu erwarten war. [...]. E<strong>in</strong>e Abstimmung nur <strong>in</strong> der VM, ohne vorher die Belegschaft zu<br />
mobilisieren, wäre zweifelhaft gewesen.« 165<br />
<strong>Die</strong> Rücksichtnahme auf die betrieblichen Mehrheitsverhältnisse, <strong>in</strong> diesem Fall<br />
repräsentiert durch den Vertrauensmännerkörper, und das Bestreben, die Belegschaft<br />
möglichst e<strong>in</strong>heitlich h<strong>in</strong>ter die eigenen, an Lohnverbesserung orientierten<br />
Zielen des Streiks zu sammeln, charakterisierte schon das Verhalten der <strong>KPD</strong>-<br />
Betriebsgruppe im weiteren Verlauf des Streiks und die Gründe für die Ause<strong>in</strong>an-<br />
161 <strong>Bremen</strong>, LS-Sitzg. 16.3.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8. Andere Betriebszeitungen wurden oft von der Kreisoder<br />
Landesleitung verfasst.<br />
162 Diskussion von der Landesdelegiertenkonferenz am 25.2.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1.<br />
163 Vgl. die bei Eberwe<strong>in</strong>/Tholen abgedruckte Darstellung des Streiks von Karl Grobe (<strong>KPD</strong>) (Wilhelm<br />
Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 110ff.).<br />
164 Ebenda.<br />
165 Ebenda.
226<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
dersetzungen mit der Parteileitung. <strong>Die</strong> Taktik der Betriebsgruppe g<strong>in</strong>g auf: <strong>Die</strong><br />
Branchenversammlungen am 14. Februar nahmen die Arbeit nicht wieder auf und<br />
forderten e<strong>in</strong>e Lohnerhöhung um 20 Pfennig pro Stunde. <strong>Die</strong> beiden anderen Bremer<br />
B<strong>org</strong>ward-Werke, Goliath und Lloyd, schlossen sich dem Streik am selben Tag<br />
an.<br />
Bei Goliath hatte es bereits am Tag zuvor <strong>in</strong> zwei Abteilungen Arbeitsniederlegungen<br />
gegeben. <strong>Die</strong> Gewerkschaft unterstützte den Streik zu diesem Zeitpunkt<br />
noch nicht, angeblich weil man erst noch die Genehmigung des IG-Metall Hauptvorstands<br />
e<strong>in</strong>holen wollte. 166 Allerd<strong>in</strong>gs war das Verhalten der Bremer Gewerkschaftsleitung<br />
e<strong>in</strong> widersprüchliches. Karl Grobe berichtete, zusammen mit dem<br />
B<strong>org</strong>ward-Betriebsrat habe die Ortsverwaltung versucht, »die Kollegen ›zur Vernunft‹<br />
zu br<strong>in</strong>gen und erst die weiteren Verhandlungen abzuwarten«, gleichzeitig<br />
aber den Betriebsratsvorsitzenden der Goliath-Werke, Kle<strong>in</strong>e-Beck (<strong>KPD</strong>), aufgefordert,<br />
»den Kampf durchzuziehen«. 167 Das war <strong>in</strong> der Tat e<strong>in</strong> »merkwürdiges<br />
Spiel« 168, stimmt aber übere<strong>in</strong> mit der Darstellung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em wenige Tage später<br />
verfassten Bericht des <strong>KPD</strong>-Sekretariats an den Parteivorstand, <strong>in</strong> dem vermerkt<br />
wurde, es habe auf der Sitzung der Betriebsräte mit der Gewerkschaftsleitung am<br />
12. Februar 1951 e<strong>in</strong>en »besonderen H<strong>in</strong>weis an den Betriebsrat Goliath (Gen. Kle<strong>in</strong>e-Beck)<br />
zu beg<strong>in</strong>nen« gegeben. 169 Danach hätten also die kurzzeitigen Arbeitsniederlegungen<br />
bei Goliath am folgenden Tag die Rückendeckung der Gewerkschaft<br />
gehabt. Auch am M<strong>org</strong>en des 14. Februar, so der Bericht weiter, habe sich die Gewerkschaftsleitung<br />
h<strong>in</strong>ter die streikende Belegschaft gestellt. Tatsächlich schien also<br />
die Bremer Ortsverwaltung der IG Metall den Streik bei Goliath vorbehaltlos zu unterstützen,<br />
während sie im B<strong>org</strong>ward-Stammwerk eher zögerlich auftrat. <strong>Die</strong> Belegschaft<br />
beschloss am Nachmittag des 14. Februar 1951 dennoch, den Streik fortzusetzen<br />
und bildete e<strong>in</strong> Streikkomitee mit vier <strong>KPD</strong>- und sechs SPD-Mitgliedern sowie<br />
drei Parteilosen. 170 E<strong>in</strong> <strong>KPD</strong>-Sekretariatsmitglied sprach allerd<strong>in</strong>gs später von e<strong>in</strong>er<br />
»paritätischen Zusammensetzung« des Streikkomitees. 171<br />
Das Landessekretariat der <strong>KPD</strong> beschäftigte sich noch am selben Abend mit<br />
dem Streik. 172 Der Erste Sekretär Willy Knigge - dessen Ablösung wie die des ganzen<br />
Sekretariats zu diesem Zeitpunkt ja schon beschlossene Sache war und der das<br />
Sekretariat auf eben dieser Sitzung zustimmte - berichtete kurz vom Stand der D<strong>in</strong>ge<br />
und forderte, den Streik »mit aller Konsequenz« zu unterstützen. 173 Er kritisierte<br />
aber auch die schlechte »Verb<strong>in</strong>dung von Betrieb zu Parteileitung« und warf den<br />
»Genossen im Betrieb« Opportunismus und »Angst vor ›politischer Bee<strong>in</strong>flussung‹«<br />
vor. 174 Worauf konkret diese Vorwürfe beruhten, ist <strong>in</strong> dem Sitzungsproto-<br />
166 Vgl. Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O. S. 45.<br />
167 Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 113.<br />
168 So Karl Grobe, ebenda.<br />
169 An den Parteivorstand der <strong>KPD</strong>, Düsseldorf. Betrifft: Metallarbeiterstreik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/19.<br />
170 Nach Angaben vom Karl Grobe (Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 113).<br />
171 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
172 Ebenda und Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 113.<br />
173 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
174 Ebenda.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 227<br />
koll nicht vermerkt, aber Knigge formulierte damit bereits am ersten Tag die Ziele<br />
des Sekretariats im Streik und die wesentlichen Aspekte der folgenden Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
mit der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward. Das Sekretariat beschloss schließlich,<br />
»zwei Genossen zur Kontrolle der Maßnahmen und zur Hilfestellung <strong>in</strong> der Nähe<br />
des Betriebes bereitzustellen. Des weiteren ist das ganze Sekretariat während der<br />
Dauer des Streiks sofort zur Verfügung«. 175<br />
Das Sekretariat maß dem Metallarbeiterstreik, der zu diesem Zeitpunkt noch<br />
auf die drei B<strong>org</strong>ward-Betriebe beschränkt war, also e<strong>in</strong>e große Bedeutung zu. <strong>Die</strong><br />
bundesweite Relevanz für die <strong>KPD</strong> war offensichtlich: B<strong>org</strong>ward war e<strong>in</strong>er der<br />
größten Automobilkonzerne der Bundesrepublik, und der Streik war bundesweit<br />
der erste größere seit Verabschiedung der gewerkschaftspolitischen Resolution des<br />
Parteivorstandes im März 1950. Der <strong>KPD</strong> bot sich damit erstmals die Möglichkeit,<br />
lohnpolitische Bewegungen größeren Umfangs für das <strong>in</strong> der Resolution postulierte<br />
Primat der »nationalen Politik« zu nutzen. Es gelang ihr allerd<strong>in</strong>gs nicht, was <strong>in</strong> erheblichem<br />
Maße auch an der eigenen Betriebsgruppe bei B<strong>org</strong>ward lag.<br />
Angeblich hatte das Sekretariat <strong>in</strong> dieser Sitzung auch gefordert, »e<strong>in</strong>en ›Sitzstreik‹<br />
durchzuführen«. 176 In den Goliath-Werken hielten die Arbeiter den Betrieb<br />
bis zum Mittag des 15. Februar 1951 besetzt und versuchten tatsächlich, e<strong>in</strong>en Sitzstreik<br />
durchzuführen. 177 Bei B<strong>org</strong>ward habe Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann (<strong>KPD</strong>) mit e<strong>in</strong>er<br />
Gruppe weiterer Kollegen am M<strong>org</strong>en des 15. Februar ebenfalls versucht, den Betrieb<br />
zu besetzen und der »Anweisung der KP-Ltg.« zu folgen, »nach kurzer Rücksprache<br />
und kurzer Debatte« aber »die S<strong>in</strong>nlosigkeit dieser Parole« e<strong>in</strong>gesehen und<br />
den Betrieb wieder verlassen. 178 <strong>Die</strong> Betriebsgruppe hatte sich also - wenn auch offenbar<br />
zunächst nicht geschlossen - dem Sekretariat widersetzt. Karl Grobe schildert<br />
die daraus resultierende Ause<strong>in</strong>andersetzung so:<br />
»15. Febr.: Mittags Sitzung der KP-Funktionäre mit Knigge (KP-Pol.-Leit). Heftige Kontroverse.<br />
Wirft uns Opportunismus vor. Wir hätten die Betriebe besetzt halten müssen, dann hätte<br />
Bgw. [B<strong>org</strong>ward] die Polizei gerufen, dann wäre die Streikwirkung größer gewesen! Unsere<br />
Auffassung, die Kollegen wollen zunächst e<strong>in</strong>mal mehr Geld <strong>in</strong> der Lohntüte und ke<strong>in</strong>e Straßenschlachten,<br />
wird als typischer Opportunismus zurückgewiesen. Aber die Genossen aus<br />
den Betrieben waren anderer Me<strong>in</strong>ung und wenn man schon e<strong>in</strong> Streikkomitee bildet, dann<br />
muss die Entscheidung auch dort gefällt werden. Jedenfalls s<strong>in</strong>d die Gen. nicht Kn. [Knigges]<br />
Me<strong>in</strong>ung-.« 179<br />
Der Streik weitete sich, nachdem ihn die IG Metall anerkannt hatte, <strong>in</strong> der Folgezeit<br />
auf alle »Landbetriebe« der metallverarbeitenden Industrie <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> aus.<br />
175 Ebenda.<br />
176 So die Darstellung von Karl Grobe (Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S.<br />
113). In dem vorliegenden Sitzungsprotokoll f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e entsprechende Forderung nicht.<br />
177 An den Parteivorstand der <strong>KPD</strong>, Düsseldorf. Betrifft: Metallarbeiterstreik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/19;<br />
Karl Grobe schildert ähnliches: »Goliath streikt. Sitzstreik! Sehen aber die S<strong>in</strong>nlosigkeit e<strong>in</strong> und verlassen<br />
mittags das Werk.« (Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 113).<br />
178 So Karl Grobe (Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 113).<br />
179 Ebenda.
228<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
E<strong>in</strong> Arbeitgeberangebot e<strong>in</strong>er Lohnerhöhung um 10 Pfennig pro Stunde wurde am<br />
17. Februar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Urabstimmung mit 86,8 Prozent Ne<strong>in</strong>-Stimmen abgelehnt. 180<br />
Anlässlich des Arbeitgeberangebots und der Urabstimmung beschloss die <strong>KPD</strong>,<br />
e<strong>in</strong> eigenes Flugblatt an die streikenden Arbeiter herauszugeben, was die Betriebsgruppe<br />
aber wiederum ablehnte, »um die Streikfront nicht aufzusplittern«. 181 <strong>Die</strong>se<br />
Weigerung wurde später e<strong>in</strong> zentraler Kritikpunkt des Sekretariats an der Betriebsgruppe.<br />
<strong>Die</strong>se hatte die Auffassung vertreten, »dass es jetzt nicht Aufgabe der Partei<br />
se<strong>in</strong> kann <strong>in</strong> den Kampf e<strong>in</strong>zugreifen, sondern sie sollte e<strong>in</strong> Flugblatt an die Bevölkerung<br />
herausgeben«. 182 <strong>Die</strong>s war offenbar zunächst auch der geme<strong>in</strong>same Beschluss<br />
von Betriebsgruppe und Sekretariat, wurde aber »auf Veranlassung des PV.<br />
Vertreters, Gen. Rische, zurückgestellt«. 183 Warum der Parteivorstand die Herausgabe<br />
e<strong>in</strong>es Flugblattes an die Bevölkerung ablehnte, ist nicht klar. E<strong>in</strong>deutig aber<br />
war, dass die Parteileitung auf e<strong>in</strong>er direkten politischen Bee<strong>in</strong>flussung des Streiks<br />
bestand und damit <strong>in</strong> Konflikt zur Betriebsgruppe geriet.<br />
Zwei Tage später versuchte die Partei weiter, die Streikaktionen auszuweiten.<br />
Der SED-Instrukteur forderte, so die Schilderung von Grobe, die »sofortige E<strong>in</strong>berufung<br />
von Streikversammlungen, Bildung von neuen Streikkomitees184, Aktionen,<br />
Plakate, Öfftl. Versammlungen, Große Streikverslg. etc.« 185 Karl Grobes Kommentar<br />
verdeutlicht noch e<strong>in</strong>mal die gegensätzlichen Auffassungen zwischen Parteileitung<br />
und Betriebsgruppe:<br />
»Ke<strong>in</strong>e Ahnung und E<strong>in</strong>schätzung der wirklichen Kraft und Stärke der Partei. Durchführung<br />
dieser Aktionen und Parolen muss <strong>in</strong> dieser augenblicklichen Situation zur Isolierung und<br />
Sektiererei führen. Natürlich werden gegenteilige Auffassungen als opportunistische und titoistische<br />
Abweichungen gebrandmarkt«. 186<br />
Der Streik endete schließlich nach e<strong>in</strong>wöchiger Dauer am 21. Februar 1951 mit<br />
e<strong>in</strong>em Kompromiss, der e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Lohnerhöhung um 16 Pfennig pro Stunde<br />
vorsah. <strong>Die</strong>sem Ergebnis stimmten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Urabstimmung 59,7 Prozent der Metallarbeiter<br />
zu, 39,6 Prozent lehnten ihn ab. Am 22. Februar 1951 wurde die Arbeit <strong>in</strong><br />
den Betrieben wieder aufgenommen. 187<br />
180 Ebenda, S. 114.<br />
181 Ebenda, S. 113.<br />
182 So Karl Grobe auf der wenige Tage später tagenden Landesdelegiertenkonferenz (Diskussion von der<br />
Landesdelegiertenkonferenz am 25.2.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1).<br />
183 So Willy Knigge auf e<strong>in</strong>er Sekretariatssitzung am 21. Februar 1951 (Bericht von e<strong>in</strong>er Sitzung des Sekretariats<br />
am 21. Febr. 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6).<br />
184 Das zunächst von der Belegschaft gebildete Streikkomitee war nach Anerkennung des Streiks durch<br />
die IG Metall durch e<strong>in</strong>e zentrale Streikleitung ersetzt worden, der lediglich die Betriebsratsvorsitzenden<br />
angehörten.<br />
185 Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 114.<br />
186 Ebenda.<br />
187 Der Streik hatte im übrigen e<strong>in</strong> Nachspiel <strong>in</strong> der Bremischen Bürgerschaft und der IG Metall. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong><br />
hatte bereits während des Streiks <strong>in</strong> der Bürgerschaft die Bewilligung von 100.000 DM zur Unterstützung<br />
der Metallarbeiter beantragt. In der Verhandlung darüber am 15. März 1951 begründete der <strong>KPD</strong>-<br />
Abgeordnete He<strong>in</strong>rich Nolte diesen Antrag u.a. damit, dass die gewerkschaftliche Streikunterstützung<br />
nicht so hoch se<strong>in</strong> konnte, »dass e<strong>in</strong> völliger Ausgleich für die Löhne vorhanden war, so dass viele Arbeiterfamilien<br />
<strong>in</strong> bitterste Not gestürzt wurden« (Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 15.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 229<br />
Noch am Abend nach der Urabstimmung kommentierte Willy Knigge im <strong>KPD</strong>-<br />
Sekretariat das Ergebnis. E<strong>in</strong> »besseres Resultat« - das hieß: e<strong>in</strong>e Ablehnung des<br />
Angebots - wäre möglich gewesen, wenn sich die Partei aktiver bei Verteilung von<br />
eigenen Flugblättern gezeigt hätte. 188 Es war offensichtlich, dass er die Hauptverantwortungdafürden<strong>KPD</strong>-Funktionären<strong>in</strong>denBetriebenzumaß.<strong>Die</strong>sehätten<br />
»opportunistische Auffassungen« gezeigt wie z.B. »›<strong>Die</strong> Kollegen s<strong>in</strong>d noch nicht<br />
genügend geschult und haben seit 30 Jahren zum ersten Male e<strong>in</strong>en Streik geführt‹«.<br />
»Das ist Versöhnlertum«, so Knigge. 189<br />
<strong>Die</strong> Kontroverse offenbarte sich endgültig auf der drei Tage später folgenden<br />
Landesdelegiertenkonferenz, auf der die Auswertung des Metallarbeiterstreiks zum<br />
zentralen Thema wurde und die »Neuwahl« des Sekretariats <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund<br />
drängte. Hermann Gautier, neuer Erster Sekretär, stellte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat zunächst<br />
den gerade beendeten Metallarbeiterstreik als »besten Beweis« für die Möglichkeit<br />
der »Aktionse<strong>in</strong>heit zwischen sozialdemokratischen, kommunistischen und parteilosen<br />
Arbeitern« dar. 190 Er me<strong>in</strong>te damit vor allem die zu Beg<strong>in</strong>n des Streiks gebildeten<br />
betrieblichen Streikkomitees, die nach wenigen Tagen aufgelöst und durch<br />
e<strong>in</strong>e zentrale Streikleitung ersetzt worden waren. Gautier formulierte deutlich, <strong>in</strong><br />
welchem Zusammenhang diese »Aktionse<strong>in</strong>heit« und die Streikkomitees für die<br />
<strong>KPD</strong> von Bedeutung waren: »Es kommt jetzt darauf an, die im Kampf geschmiedete<br />
Aktionse<strong>in</strong>heit weiter zu festigen und auf e<strong>in</strong>e höhere Ebene des Kampfes um<br />
politische Forderungen [...] zu heben. <strong>Die</strong> gebildeten Streikausschüsse müssen <strong>in</strong><br />
Aktionsausschüsse gegen Remilitarisierung umgebildet werden...« 191 Der »entscheidende<br />
Fehler« während des Streiks habe dar<strong>in</strong> gelegen, »dass es der Partei<br />
nicht gelungen ist, den streikenden Metallarbeitern zum Bewusstse<strong>in</strong> zu br<strong>in</strong>gen,<br />
dass ihr Kampf um Lohnerhöhung e<strong>in</strong>e der wirksamsten Formen des Widerstandes<br />
gegen Remilitarisierung und Wiederaufrüstung ist.« 192 Gautiers Kritik, deren Tenor<br />
sich auch <strong>in</strong> der später veröffentlichen Resolution der Delegiertenkonferenz wieder-<br />
März 1951, S. 102). Der 2. IG Metall Bevollmächtigte und SPD-Abgeordnete Friedel Düßmann wies den<br />
Antrag scharf zurück und nutzte die Gelegenheit, um die <strong>KPD</strong> pauschal anzugreifen. Nolte - ebenfalls<br />
IG-Metall-Mitglied - bef<strong>in</strong>de sich mit diesem Antrag »auf e<strong>in</strong>em gewerkschaftsschädigenden Weg«.<br />
<strong>Die</strong> IG Metall könne »ihre Kämpfe« alle<strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzieren, Nolte wolle lediglich se<strong>in</strong> Ansehen bei der Parteileitung<br />
heben, die versucht habe, den Streik und die Gewerkschaften »<strong>in</strong> die Hand zu bekommen«<br />
(ebenda, S. 104). Oskar Schulze, Vorsitzender der Bremer IG Metall und SPD-Abgeordneter, griff Nolte<br />
ebenfalls scharf an: »Wir wissen, was die <strong>KPD</strong> aus diesem Streik machen wollte [...]. Sie wollte diesen<br />
Streik, weil er e<strong>in</strong>er der ersten größeren war, wahrnehmen, um ihn politisch auszunutzen. Dagegen<br />
werden sich die Gewerkschaften wehren. E<strong>in</strong> Lohn- und Tarifstreik ist e<strong>in</strong> Lohn- und Tarifstreik, und<br />
wer versucht, ihn <strong>in</strong> das politische Fahrwasser zu br<strong>in</strong>gen, verstößt gegen die gewerkschaftlichen<br />
Grundsätze. Das hat Herr Nolte getan.« (ebenda, S. 105). Der Antrag der <strong>KPD</strong> wurde erwartungsgemäß<br />
abgelehnt (ebenda, S. 106).<br />
188 Bericht von e<strong>in</strong>er Sitzung des Sekretariats am 21. Febr. 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
189 Ebenda.<br />
190 Bremer Metallarbeiterstreik bestätigt Wilhelm Pieck, Tribüne der Demokratie, 3./4.3.51.<br />
191 Ebenda.<br />
192 Ebenda.
230<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
fand, 193 traf vor allem die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward und deren Weigerung, e<strong>in</strong><br />
Flugblatt der Partei unter den Streikenden zu verteilen:<br />
»E<strong>in</strong>ige Genossen lehnten die Notwendigkeit ab, von der Partei aus an die streikenden Metallarbeiter<br />
e<strong>in</strong> Flugblatt herauszugeben, <strong>in</strong> dem die Partei zur Gesamtlage <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit<br />
dem Streik Stellung nehmen wollte. Sie begründeten ihre Haltung damit, dass die Partei sich<br />
<strong>in</strong> diesen Kampf nicht ›e<strong>in</strong>mischen‹ dürfe, da es sich um e<strong>in</strong>en von der Gewerkschaft sanktionierten<br />
Streik handele. Hier zeigt sich doch e<strong>in</strong>e Unterschätzung der Rolle der Partei. Selbstverständlich<br />
hat unsere Partei bei solchen Kämpfen doch den kämpfenden Arbeitern wie der<br />
übrigen Arbeiterschaft und der ganzen Bevölkerung etwas zu sagen. Wie sollte die Partei ihre<br />
führende Rolle verwirklichen, wenn es nicht möglich wäre, während e<strong>in</strong>er solchen Aktion laufend<br />
der Bevölkerung und den kämpfenden Arbeitern den Standpunkt unserer Partei <strong>in</strong> dieser<br />
oder jener Frage aufzuzeigen.« 194<br />
In der Diskussion der Delegiertenkonferenz am folgenden Tag stand wiederum<br />
der Metallarbeiterstreik im Mittelpunkt. Stellungnahmen kamen vor allem von<br />
Mitgliedern der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward, die sich gegen die Vorwürfe Gautiers<br />
verteidigten. 195 Dabei bestritten sie nicht die von Gautier postulierte Notwendigkeit<br />
der Politisierung des Streiks, lehnten aber Alle<strong>in</strong>gänge der <strong>KPD</strong> ab. Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>eman<br />
begründete die Haltung der Betriebsgruppe:<br />
»Es ist so, dass wenn e<strong>in</strong>e gewisse Bewegung ausgelöst wurde, man e<strong>in</strong>e gewisse Basis haben<br />
muss um die politische Zielsetzung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Wir waren der Auffassung, dass wir im<br />
ersten Moment dieses Kampfes versuchen mussten e<strong>in</strong>e geschlossene Kampffront zu bekommen.<br />
Wir fassten e<strong>in</strong>en Beschluss, dass die Streikkomitees versuchen sollen e<strong>in</strong> Flugblatt oder<br />
e<strong>in</strong>e Resolution herauszubr<strong>in</strong>gen, welches auf diese D<strong>in</strong>ge h<strong>in</strong>weisen sollte.« 196<br />
He<strong>in</strong>emann me<strong>in</strong>te außerdem, es sei teilweise sehr wohl gelungen, »den streikenden<br />
Metallarbeitern das Bewusstse<strong>in</strong> zu stärken«, und hob die <strong>in</strong>itiative Rolle<br />
der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe bei der Auslösung des Streiks hervor: »Wir waren richtunggebend.«<br />
197<br />
Andere argumentierten ähnlich. Erich Funke, Mitglied der Betriebsgruppe bei<br />
Lloyd, me<strong>in</strong>te, »dass wir <strong>in</strong> diesen Kampf e<strong>in</strong>getreten s<strong>in</strong>d, um nicht e<strong>in</strong>e Welt zu<br />
verändern, sondern aus wirtschaftlichen Gründen. Ich denke, wir haben zu oft den<br />
10. Schritt getan, ehe wir den ersten taten«. 198 Hans Meyer, Mitglied der Betriebsgruppe<br />
B<strong>org</strong>ward und später Sekretär für Arbeit und Soziales:<br />
»Ich b<strong>in</strong> der Auffassung: ›Es führen mehrere Wege nach Rom‹. Wenn die Verhältnisse des Betriebes<br />
nicht dafür geschaffen s<strong>in</strong>d, die Menschen zu dieser Abstimmung [gegen die Remilitarisierung;<br />
HB] zu bewegen, dann glaube ich, ist [...] die größte Bewegung im Kampf gegen die<br />
Remilitarisierung die Aktion selbst«. 199<br />
Den schärfsten Widerspruch zu Hermann Gautier formulierte Karl Grobe, bis<br />
zu dieser Landesdelegiertenkonferenz selbst noch Mitglied des Sekretariats:<br />
193 Für die friedliche Lösung der deutschen Frage, Tribüne der Demokratie, 28.2.1951.<br />
194 Bremer Metallarbeiterstreik bestätigt Wilhelm Pieck, Tribüne der Demokratie, 3./4.3.51.<br />
195 Diskussion von der Landesdelegiertenkonferenz am 25.2.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1.<br />
196 Ebenda.<br />
197 Ebenda.<br />
198 Ebenda.<br />
199 Ebenda.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 231<br />
»Der Gen. Gautier sagte gestern <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat, dass die Betr.Gruppe B<strong>org</strong>ward auf dem<br />
Standpunkt steht, dass erst der wirtschaftliche und dann der politische Kampf geführt werden<br />
muss. Das ist nicht der Fall und ich frage den Gen. Knigge, der <strong>in</strong> letzter Zeit wiederholt <strong>in</strong><br />
der Betriebsgruppe war, ob er diese Tendenz bei uns festgestellt hat. Wenn man im Sekretariat<br />
weiß, dass diese Tendenz schon lange bei uns herrscht, dann ist es me<strong>in</strong>er Ansicht nach e<strong>in</strong><br />
großes Versäumnis der Parteileitung, dass sie sich nicht schon lange darum gekümmert hat.<br />
[...] Man soll nicht die eigenen Fehler und Schwächen auf die Betriebsgruppen abwälzen«. 200<br />
Grobe betonte die <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Augen besondere Bedeutung des betrieblichen<br />
Streikkomitees h<strong>in</strong>sichtlich der Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten und Parteilosen.<br />
Das entscheidende sei gewesen, »mit ihnen zu e<strong>in</strong>er geschlossenen Handlung«<br />
zu kommen:<br />
»Es wäre falsch gewesen, wenn wir gesagt hätten, wir machen jetzt die Aktionse<strong>in</strong>heit unter<br />
Führung der Kommunisten. Wir müssen danach trachten, dass wir uns das Vertrauen der<br />
Kollegen durch unsere gute Haltung err<strong>in</strong>gen und somit zur Führung kommen. [...] Wir waren<br />
uns darüber im klaren, dass wir im Streikkomitee e<strong>in</strong>es Tages zu politischen Diskussionen<br />
kommen werden. Aber wir wollten diese Diskussionen, die sehr wahrsche<strong>in</strong>lich zu e<strong>in</strong>em<br />
Bruch geführt hätten, auch nicht heraufprovozieren.« 201<br />
<strong>Die</strong> Differenzen waren auf der Landesdelegiertenkonferenz also sehr deutlich<br />
geworden. Schärfster Opponent des Sekretariats, dem er bis dah<strong>in</strong> selbst noch angehört<br />
hatte, war Karl Grobe, was sich <strong>in</strong> der Zeit zuvor schon angedeutet hatte.<br />
Grobe war bereits anlässlich des III. Parteitags der SED und seit den Maßregelungen<br />
gegen Hermann Gautier und Wilhelm Meyer-Buer im August 1950 <strong>in</strong> Widerspruch<br />
zur neuen L<strong>in</strong>ie der Partei geraten. Seit dieser Ause<strong>in</strong>andersetzung war<br />
Grobe den Sekretariatssitzungen meistens unentschuldigt ferngeblieben, nahm se<strong>in</strong>e<br />
Aufgaben als Sekretariatsmitglied also nicht mehr wahr. 202 Das übrige Sekretariat<br />
führte deshalb e<strong>in</strong>ige Aussprachen mit ihm, 203 ergriff aber ke<strong>in</strong>e weiteren Maßnahmen,<br />
vermutlich, weil zu diesem Zeitpunkt die »Neuwahlen« und die Ablösung<br />
des gesamten Sekretariats ohneh<strong>in</strong> unmittelbar bevorstanden. Nach dem Metallarbeiterstreik<br />
und der Landesdelegiertenkonferenz blieb Grobe zunächst noch Mitglied<br />
der <strong>KPD</strong>. Er zahlte jedoch ke<strong>in</strong>e Beiträge mehr und trat schließlich im Juli<br />
1952 aus der Partei aus. 204<br />
<strong>Die</strong> auf der Landesdelegiertenkonferenz erstmals zu Tage getretenen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
eskalierten <strong>in</strong> der Folgezeit. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward wurde<br />
zum Brennpunkt <strong>in</strong>nerparteilicher Diskussionen und Gegensätze, oder, wie es Willy<br />
Meyer-Buer aus se<strong>in</strong>er Sicht 1952 ausdrückte: »<strong>Die</strong> Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward ist<br />
seit Jahr und Tag der Pfuhl aller derer, die parteife<strong>in</strong>dliche Tendenzen vertreten.«<br />
205<br />
200 Ebenda.<br />
201 Ebenda.<br />
202 Vgl. die Sekretariatsprotokolle <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
203 Protokoll von der Sekretariatssitzung am 27. Dezember 1950, <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />
204 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 31. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
205 Landesleitungssitzung am 11. Mai 1952; <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.
232<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
Besonders im Zusammenhang mit den Säuberungskampagnen 1951/52 stand<br />
auch die B<strong>org</strong>ward-Betriebsgruppe im Zentrum der Kritik, und ihre leitenden Mitglieder<br />
wurden immer wieder des »Opportunismus« bezichtigt.<br />
Offen angegriffen wurde die Betriebsgruppe auf der Kreisdelegiertenkonferenz<br />
am 9. März 1952. Das Hauptreferat der Konferenz - wahrsche<strong>in</strong>lich gehalten vom<br />
Ersten Kreissekretär - beschäftigte sich ausgiebig mit den »Problemen des Kampfes<br />
gegen den Opportunismus«. 206 <strong>Die</strong> dar<strong>in</strong> geäußerte Kritik an der Betriebsgruppe<br />
B<strong>org</strong>ward basierte wiederum auf dem Streitpunkt um die Frage nach der Durchsetzbarkeit<br />
politischer Ziele <strong>in</strong> den Betrieben. <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>schätzung der dortigen Situation<br />
war mehr als optimistisch und maß der <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e Vorreiterrolle zu:<br />
»Ohne dass wir die Situation <strong>in</strong> den Betrieben überschätzen, können wir sagen, dass die Arbeiter<br />
<strong>in</strong> ganz Westdeutschland bereit s<strong>in</strong>d, gegen Adenauers Pläne das Mittel des politischen<br />
Massenstreiks e<strong>in</strong>zusetzen. [...] Unsere Partei kann mit Stolz sagen, dass sie <strong>in</strong> dieser Bewegung<br />
die führende Kraft war und ist. Wo unsere Partei sich nicht an die Spitze des Kampfes<br />
gestellt hat, wo Genossen die Kampfbereitschaft der Arbeiter unterschätzten [...], wo unsere<br />
Genossen dem Kampf auswichen oder ihn gar sabotierten, da kam es noch nicht und konnte<br />
es auch noch nicht zu den Streikbewegungen kommen.« 207<br />
Verantwortlich für das bisherige Ausbleiben von »politischen Massenstreiks«<br />
und das Scheitern der <strong>KPD</strong>-Politik waren also die widerspenstigen Betriebsgruppen.<br />
Im folgenden nannte der Autor die <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Augen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> dafür Verantwortlichen,<br />
nämlich - im wesentlichen - die leitenden Funktionäre der B<strong>org</strong>ward-<br />
Betriebsgruppe:<br />
»S<strong>in</strong>d diese verderblichen Auffassungen, die uns <strong>in</strong> den Bremer Betrieben geh<strong>in</strong>dert haben,<br />
den Kampf gegen die Kriegspolitik Adenauers <strong>in</strong> Aktionen überzuleiten, nicht durch die EntwicklungdesletztenhalbenJahrestreffendwiderlegtworden?WassagendennnundieGenossen<br />
Karl Grobe, Paul Kratsch, Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann von B<strong>org</strong>ward [...] ? S<strong>in</strong>d sie bereit, ihre<br />
opportunistischen Auffassungen und Handlungen wenigstens e<strong>in</strong>zusehen und bereit, sie zu<br />
korrigieren oder s<strong>in</strong>d sie immer noch der Me<strong>in</strong>ung, den Kampf gegen die Remilitarisierung<br />
könne man nicht <strong>in</strong> ihrem Betrieb führen? [...] Der Opportunismus und das Sektierertum von<br />
Genossen äußert sich gerade <strong>in</strong> dieser entscheidenden Frage.« 208<br />
Den drei direkt Angesprochenen wurde außerdem private und politische Kontakte<br />
zu Re<strong>in</strong>hold Popall v<strong>org</strong>eworfen:<br />
»In e<strong>in</strong>em Artikel209 hat vor e<strong>in</strong>igen Wochen der Genosse Konetzka den Weg Re<strong>in</strong>hold Popalls<br />
aufgezeigt und dabei die Genossen aufgefordert, die Gast waren bei Popall [...], sich zu<br />
äußern. Es kann doch niemand behaupten wollen, dort habe man sich über das Wetter oder<br />
über die nächste Kartoffelernte unterhalten. <strong>Die</strong> Genossen Karl Grobe, Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann,<br />
Paul Kratsch [...] haben sich bisher noch nicht geäußert [...]. <strong>Die</strong> Partei ist verpflichtet, von allen<br />
Genossen, die ständigen Kontakt mit solch e<strong>in</strong>em Genossen wie Re<strong>in</strong>hold Popall hatten,<br />
206 Zu den Problemen des Kampfes gegen den Opportunismus und des Sektierertums (handschriftlicher Vermerk:<br />
»Teil e<strong>in</strong>es Referats auf der Kreisdelegiertenkonferenz <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 9.3.52«), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />
Der Autor des Referats ist nicht genannt. Üblich war aber auf solchen Delegiertenkonferenzen, dass<br />
das Referat vom Ersten Sekretär gehalten wurde.<br />
207 Ebenda, S. 3.<br />
208 Ebenda, S. 4f.<br />
209 <strong>Die</strong> Re<strong>in</strong>igung der <strong>KPD</strong> von Opportunisten und Parteife<strong>in</strong>den ist die Voraussetzung für ihren Sieg!, Tribüne<br />
der Demokratie, 16./17.2.1952.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 233<br />
e<strong>in</strong>e klare Stellungnahme zu hören. [...]. Teilen diese genannten Genossen die opportunistischen<br />
Auffassungen Re<strong>in</strong>hold Popalls, oder was haben sie getan, um ihn von se<strong>in</strong>em verhängnisvollen<br />
Weg abzubr<strong>in</strong>gen. Dass die Genossen bis heute geschwiegen haben, sche<strong>in</strong>t aber<br />
zu beweisen, dass es ihre Argumente ebenfalls s<strong>in</strong>d. Während e<strong>in</strong>er Silvesterfeier sagte e<strong>in</strong>er<br />
dieser Genossen: ›Man gut, dass das nicht auf Tonband aufgenommen wurde, was hier<br />
heute Abend gesagt worden ist‹.« 210<br />
<strong>Die</strong> Säuberungskampagne hatte die Betriebsgruppen erreicht, mehr noch: Zum<strong>in</strong>dest<br />
e<strong>in</strong>ige ihrer e<strong>in</strong>flussreichsten Vertreter, besonders die von B<strong>org</strong>ward, standen<br />
im Mittelpunkt der Opportunismus-Vorwürfe. Es dürfe, so e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied<br />
im Juli 1952, im »Kampf gegen den Opportunismus« nicht nur zu Popall Stellung<br />
genommen werden,<br />
»es muss <strong>in</strong>sbes. zu dem Stand der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward Stellung genommen werden.<br />
Dort ist die Auswirkung solcher Tendenzen am stärksten [...]. In die Landesleitung kann man<br />
nicht nur den Fall Popall h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>tragen, sondern generell den Kampf führen und die Namen<br />
nennen wo sie sitzen, dann werden die Genossen es begreifen und wir werden vorankommen.«<br />
211<br />
Zu Parteiverfahren kam es jedoch nicht. Karl Grobe, der im Mittelpunkt der<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzungen gestanden hatte und dem im Sekretariat weiterh<strong>in</strong> Vorwürfe<br />
gemacht wurden - z.B. die angebliche Verwendung von »Tito-Material« für die<br />
<strong>KPD</strong>-Betriebszeitung bei B<strong>org</strong>ward -212 trat im Juli 1952 aus der Partei aus.<br />
Der Rest der Betriebsgruppe wehrte sich weiter gegen die Kritik und öffentliche<br />
Anprangerung und kritisierte ihrerseits das Sekretariat. Auf e<strong>in</strong>em »Generalmitgliederappell«,<br />
d.h. e<strong>in</strong>er Vollversammlung der Betriebsgruppe, unter der Leitung<br />
des Sekretariatsmitglieds Herbert Breidbach Ende Juli 1952 wurde diese Kritik sehr<br />
deutlich geäußert. In Breidbachs Bericht heißt es:<br />
»Der Gen. Paul Kratsch sagte, es ist nicht richtig, jedes D<strong>in</strong>g personeller Art <strong>in</strong> die Zeitung zu<br />
br<strong>in</strong>gen und sich gegenseitig fertigzumachen. Im letzten Jahr s<strong>in</strong>d viele solcher D<strong>in</strong>ge geschehen<br />
und sehr oft immer erst dann, wenn es bereits zu spät war. [...Später] sprach er davon,<br />
dass die Leitungen ohne dass sich junge Genossen bewähren, diese zu schnell <strong>in</strong> höhere Funktionen<br />
der Partei br<strong>in</strong>gen. 213<br />
<strong>Die</strong> Kritik richtete sich also nicht nur gegen den Umgang mit der Betriebsgruppe<br />
und hatte ihre Ursachen offensichtlich auch <strong>in</strong> den neuen Organisationsstrukturen<br />
und dem seit der Landesdelegiertenkonferenz latenten Generationsproblem <strong>in</strong><br />
der Partei. <strong>Die</strong> übrigen anwesenden Genossen, so Breidbach, unterstützten Paul<br />
Kratsch:<br />
»Sie s<strong>in</strong>d der Ansicht, es fehlt das richtige Verhältnis zwischen Landesleitung, Kreisleitung<br />
und Betriebsgruppe. <strong>Die</strong> Genossen dieser Leitungen kommen mit e<strong>in</strong>er ›v<strong>org</strong>efassten‹ Me<strong>in</strong>ung<br />
zur Betriebsgruppe und sie fordern, dass endlich das Landes-Sekretariat und auch das<br />
Kreissekretariat <strong>Bremen</strong> wirklich selbstkritisch zu ihrer Arbeit Stellung nehmen [...].<br />
Es gab so noch e<strong>in</strong>e ganze Reihe D<strong>in</strong>ge, über die Genossen Popall, Grobe, Kratsch, He<strong>in</strong>emann<br />
usw. und immer wieder kam zum Ausdruck, man hat uns falsch behandelt von der Landeslei-<br />
210 Zu den Problemen des Kampfes, a.a.O., S. 8.<br />
211 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 17. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
212 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 9. April 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
213 Über die Durchführung des General-Mitgliederappells bei B<strong>org</strong>ward, [28.7.52], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.
234<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
tung, kle<strong>in</strong>e Fehler unsererseits hat man nicht kameradschaftlich mit uns durchgesprochen,<br />
sondern gleich als Opportunismus usw. h<strong>in</strong>gestellt, um zugleich eigene Fehler zu verdecken.<br />
Ich fragte sie, warum sie nicht jedes Mal, wenn ihrer Ansicht nach etwas falsch gemacht würde<br />
von der Leitung sofort durch e<strong>in</strong>e offene Kritik <strong>in</strong> der Partei oder <strong>in</strong> der Presse Stellung<br />
nähmen. Sie w<strong>in</strong>kten ab und me<strong>in</strong>ten, das hätten sie ja immer getan, aber das sei zwecklos.<br />
[...] Alle Genossen, die dort anwesend waren [...] haben e<strong>in</strong>e v<strong>org</strong>efasste Me<strong>in</strong>ung gegen die<br />
Landes- und Kreisleitung <strong>Bremen</strong>. Sie s<strong>in</strong>d der Ansicht, dass diese Leitungen nichts oder nur<br />
sehr wenig von Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit verstehen, ihnen deshalb oft unrichtige<br />
Aufgaben stellten und dadurch dazu beitrugen, dass ihre e<strong>in</strong>stmals so starke Betriebsgruppe<br />
heute so daniederliegt.« 214<br />
Deutlicher konnte die Unzufriedenheit mit den Parteileitungen nicht formuliert<br />
werden. Es war e<strong>in</strong>e pr<strong>in</strong>zipielle Opposition gegen die Politik und Struktur der Leitungsgremien<br />
wie auch gegen die mangelnde <strong>in</strong>nerparteiliche Demokratie. H<strong>in</strong>zu<br />
kamen die Probleme der Betriebsgruppe mit dem Primat der Deutschlandpolitik,<br />
die Herbert Breidbach, als Vertreter des Sekretariats, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung als wesentlich<br />
betrachtete:<br />
»Ich sehe die tieferen Ursachen (das kam allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> dieser Besprechung nicht klar zum<br />
Ausdruck) dafür dar<strong>in</strong>, dass diese Genossen, unklar <strong>in</strong> den Fragen der nationalen Politik unserer<br />
Partei, vor Aufgaben, die sich daraus für sie ergaben, zurückwichen. Als daraufh<strong>in</strong> die<br />
Kritik durch übergeordnete Leitungen e<strong>in</strong>setzte, nahmen sie diese nicht sachlich und selbstkritisch<br />
an und versuchten, ihre Schwächen zu überw<strong>in</strong>den, sondern betrachteten diese Kritik<br />
als e<strong>in</strong>e persönliche. Sie g<strong>in</strong>gen dann nicht den Weg der offenen Aussprache <strong>in</strong> Mitgliederversammlungen,<br />
Betriebsarbeiterzusammenkünften usw., sondern machten ihrem Ärger und ihren<br />
falschen Auffassungen <strong>in</strong> Zusammenkünften außerhalb der Partei mit anderen zur Arbeit<br />
der Landesleitung gleichfalls negativ e<strong>in</strong>gestellten Genossen Platz.« 215<br />
Breidbachs Vorschläge zum weiteren Umgang mit diesen Unzufriedenheiten<br />
verdeutlichten, dass das Sekretariat nicht gewillt war, die von der Betriebsgruppe<br />
e<strong>in</strong>geforderte Dialogbereitschaft zu zeigen:<br />
»Me<strong>in</strong>er Ansicht nach wird hier nicht das helfen, was die Genossen selbst immer wieder vorschlagen,<br />
nämlich persönliche Aussprachen mit ihnen über all die D<strong>in</strong>ge, mit denen sie nicht<br />
klarkommen. Ich würde vorschlagen, e<strong>in</strong>en starken Genossen für diesen Betrieb für längere<br />
Zeit als ständigen Instrukteur verantwortlich zu machen. In den kommenden Funktionärssitzungen,<br />
Mitgliederversammlungen und auf den Schulungsabenden ist dann äußerstes Gewicht<br />
auf die ständige [...] Diskussion über die nationale Politik der Partei zu legen und <strong>in</strong> jeder<br />
dieser Sitzungen s<strong>in</strong>d daraus sich ergebende konkrete zunächst kle<strong>in</strong>e Aufgaben den Genossen<br />
als Beschlüsse zu übertragen. Nur über diesen Weg der politischen Weiterentwicklung<br />
und des systematischen Heranführens an die Arbeit kann m.E. nach bei B<strong>org</strong>ward der jetzige<br />
schlechte Zustand überwunden werden.« 216<br />
E<strong>in</strong> solcher Umgang mit der Problematik - kontrollierend, adm<strong>in</strong>istrativ und belehrend<br />
- war genau das V<strong>org</strong>ehen, das die Betriebsgruppe am Sekretariat kritisierte.<br />
<strong>Die</strong>se Unflexibilität gegenüber den Belangen der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward war<br />
allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der Landesleitung und auch im Sekretariat nicht unumstritten. Es kam<br />
214 Ebenda.<br />
215 Ebenda.<br />
216 Ebenda.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 235<br />
auch hier vere<strong>in</strong>zelt zur Kritik am Umgang mit der B<strong>org</strong>ward-Betriebsgruppe. Auf<br />
e<strong>in</strong>er Landesleitungssitzung am 11. Mai 1952, <strong>in</strong> der es im wesentlichen um den Fall<br />
Popall und die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward g<strong>in</strong>g, äußerten e<strong>in</strong>ige Leitungsmitglieder<br />
diese Kritik. Bob Freg<strong>in</strong> forderte e<strong>in</strong>e Anerkennung der positiven Arbeit der Betriebsgruppe<br />
und machte auch dem Sekretariat Vorwürfe:<br />
»Dem Genossen He<strong>in</strong>emann ist es gelungen, e<strong>in</strong>ige B<strong>org</strong>ward-Kollegen zu DDR zu schicken.<br />
Ich will damit zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen, dass wenn die Betriebsgruppen gute Arbeit leisten,<br />
diese auch anerkannt wird. Wenn e<strong>in</strong> Genosse e<strong>in</strong>e gute Arbeit getan hat, muss man sie auch<br />
anerkennen. Lieber zweimal als überhaupt nicht. Der sogenannte Holzhammer muss verschw<strong>in</strong>den.<br />
Wenn e<strong>in</strong> Genosse vom Landes-Sekr. <strong>in</strong> die Betriebsgruppensitzungen geht, muss<br />
er mit den Genossen ausgiebig diskutieren und nicht, wie es der Genosse Willi Meyer-Buer<br />
gesagt hat, also Genossen, ich habe heute nicht viel Zeit, das muss schnell gehen, hält e<strong>in</strong> pol.<br />
Referat und ist dann wieder verschwunden. Ich wundere mich nicht, wenn wir nach e<strong>in</strong>em<br />
Jahr dann nur noch <strong>in</strong>aktive Genossen haben <strong>in</strong> der Betriebsgruppe.« 217<br />
Mehr Diskussions- und Dialogbereitschaft forderte auch Albert Oltmanns, der<br />
zuvor bereits den Umgang mit den Popalls kritisiert hatte:<br />
Ȁhnlich liegen die D<strong>in</strong>ge mit der Frage der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward. Ich sprach gestern mit<br />
dem Genossen Paul Kratsch. Es handelt sich hier um die Betriebszeitung ›Der Sche<strong>in</strong>werfer‹.<br />
Sie hatten ihre Manuskripte e<strong>in</strong>gereicht. <strong>Die</strong> Kreisleitung war hiermit nicht e<strong>in</strong>verstanden und<br />
die Betriebsgr. bekam von Erich Funke e<strong>in</strong> Schreiben, dass sie Betriebsgruppenzeitung nicht<br />
ersche<strong>in</strong>en kann. Das ist vor 8 Wochen passiert. Solange schon kommt ke<strong>in</strong>e Zeitung heraus.<br />
Vorher ist die Zeitung <strong>in</strong> großen Auflagen verteilt worden. Der Genosse Erich Funke hat nicht<br />
geschrieben, was sie falsch gemacht haben. Man soll hier viel vorsichtiger se<strong>in</strong> und muss anders<br />
mit den Genossen <strong>in</strong> den Betrieben diskutieren und sprechen. Man darf auch nicht sagen,<br />
wie der Gen. Willi Meyer-Buer, dass die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward e<strong>in</strong> Sumpf wäre. Das ist<br />
falsch. Man kann nicht alle B<strong>org</strong>ward-Genossen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Topf werfen.« 218<br />
Oltmanns, zu diesem Zeitpunkt immerh<strong>in</strong> Zweiter Landessekretär und für Kaderfragen<br />
zuständig, bekräftigte diese zum<strong>in</strong>dest differenziertere und selbstkritische<br />
Me<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sekretariatssitzung am 31. Juli 1952, wenige Tage nach der<br />
geschilderten Sitzung mit der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward, an der auch Oltmanns<br />
teilgenommen hatte:<br />
»Es wird viel das Wort, das ist Opportunismus geprägt, aber wir haben unseren Genossen<br />
noch nicht gesagt, wor<strong>in</strong> der Opportunismus sich ausdrückt. Wenn wir jetzt am Montag die<br />
Aussprache mit den Genossen von der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward hatten, zeigt sie uns, dass<br />
wir <strong>in</strong> der Vergangenheit e<strong>in</strong>ige D<strong>in</strong>ge nicht gesehen haben.« 219<br />
<strong>Die</strong> »Entwicklung des Kampfes gegen Opportunismus«, so Oltmanns weiter, »können<br />
wir nur entwickeln, wenn wir die Kritik von unten nach oben fördern«. 220 Das<br />
war e<strong>in</strong>e zum<strong>in</strong>dest teilweise Anerkennung der pr<strong>in</strong>zipiellen Berechtigung der Kritik<br />
durch die B<strong>org</strong>ward-Betriebsgruppe. In der E<strong>in</strong>schätzung des Verhaltens der Betriebsgruppe<br />
als »Opportunismus« bestand im Sekretariat E<strong>in</strong>igkeit, une<strong>in</strong>s war<br />
man sich über den daraus resultierenden Umgang mit der Problematik. Wilhelm<br />
217 Landesleitungssitzung am 11. Mai 1952; <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.<br />
218 Ebenda.<br />
219 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 31. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
220 Ebenda.
236<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
Meyer-Buer monierte, man könne mit der Betriebsgruppe ke<strong>in</strong>e Beratung »über<br />
Opportunismus und Parteife<strong>in</strong>dlichkeit führen, ohne dass das Sekretariat e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche<br />
Me<strong>in</strong>ung hat«. 221<br />
Meyer-Buer war der für die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward zuständige Sekretär 222<br />
und offensichtlich auch ihr schärfster Kritiker Karl Grobe hatte ihm sogar die<br />
Hauptverantwortung für die Ause<strong>in</strong>andersetzungen zugewiesen (»Meyer-Buer hat<br />
die ganze Betriebsgruppe zerschlagen«) 223. In dieser Sekretariatssitzung musste er<br />
jedoch Kritik h<strong>in</strong>nehmen. V<strong>org</strong>eworfen wurde ihm mangelnde Selbstkritik und e<strong>in</strong><br />
zu »persönliches Angehen« der Diskussion. Albert Oltmanns me<strong>in</strong>te zum Verhalten<br />
Meyer-Buers auf der Betriebsgruppensitzung: »Ich hatte den E<strong>in</strong>druck, Willi, als<br />
wenn du schlachten wolltest«. 224<br />
<strong>Die</strong> Differenzen im Sekretariat konnten jedoch die generellen Streitpunkte mit<br />
der Betriebsgruppe seit dem Metallarbeiterstreik nicht verdecken. Der Vorwurf des<br />
Opportunismus und der Nichtakzeptanz des Primats der politischen Ziele stand<br />
seitens der Parteileitung. <strong>Die</strong> Repräsentanten der Betriebsgruppe blieben bei ihrer<br />
E<strong>in</strong>stellung, die dieses Primat im wesentlichen ja nicht leugnete, aber die Durchsetzungsfähigkeit<br />
im Betrieb bezweifelte. Inwieweit diese Opposition der leitenden<br />
Funktionäre <strong>in</strong>nerhalb der Betriebsgruppe Konsens war, lässt sich nicht sagen.<br />
Festzustellen waren aber die Folgen der Ause<strong>in</strong>andersetzung. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte mit<br />
Karl Grobe e<strong>in</strong>en ihrer anerkanntesten und beliebtesten Funktionäre bei B<strong>org</strong>ward<br />
verloren, der se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auch nach se<strong>in</strong>em Austritt behielt. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe<br />
selbst wurde durch die Entwicklungen stark geschwächt, wofür auch die erwähnten<br />
H<strong>in</strong>weise auf die »daniederliegende« Betriebsgruppe und die »Zerschlagung«<br />
sprechen. Es gibt auch H<strong>in</strong>weise auf e<strong>in</strong>en starken Mitgliederverlust und e<strong>in</strong>e zunehmende<br />
Passivität. Bei der geschilderten Mitgliederversammlung im Juli 1952<br />
waren lediglich zehn Mitglieder anwesend. Der Bericht behauptete, dies seien etwa<br />
30 Prozent der Gesamtmitgliedschaft, die sich demnach auf nur noch etwa 30 gegenüber<br />
80 im Februar 1951 belaufen hätte. Auch wenn diese Zahlen vermutlich so<br />
nicht zutreffen, <strong>in</strong>dizieren sie dennoch zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>en starken Rückzug der <strong>KPD</strong>-<br />
Mitglieder bei B<strong>org</strong>ward aus der aktiven Arbeit.<br />
Schwer zu beurteilen ist, <strong>in</strong>wieweit die partei<strong>in</strong>ternen Ause<strong>in</strong>andersetzungen,<br />
die Diskussionen um die These 37, die personelle Ausdünnung der Betriebsgruppe<br />
oder auch der Parteiaustritt von Karl Grobe Auswirkungen auf die Stellung der<br />
Partei im Betrieb hatten. Bei den Betriebsratswahlen im April 1953 gelangte Erw<strong>in</strong><br />
He<strong>in</strong>emann wieder <strong>in</strong> den Betriebsrat. 225 Bei der vorhergehenden Wahl des Vertrauensmännerkörpers<br />
waren elf <strong>KPD</strong>-Mitglieder gewählt worden. 226 Auch hier<br />
zeigte sich, dass Kommunisten trotz der Parteipolitik und der Gegenmaßnahmen<br />
der IG Metall <strong>in</strong> die gewerkschaftlichen Funktionen gewählt wurden. <strong>Die</strong>s galt vor<br />
221 Ebenda.<br />
222 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 2.<br />
223 Landesleitungssitzung am 11. Mai 1952; <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.<br />
224 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 31. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
225 Vgl. Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 100.<br />
226 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> [18.4.53], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 237<br />
allem für Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann, der wie schon 1951 auch bei dieser Wahl von se<strong>in</strong>er<br />
Abteilung als Kandidat durchgesetzt und als Vertrauensmann gewählt wurde, trotz<br />
der Versuche von Gewerkschaftsleitung und Betriebsrat, die Kandidatur von der<br />
Unterschrift des Revers zur These 37 abhängig zu machen. 227<br />
<strong>Die</strong> Reversfrage war <strong>in</strong> den Jahren 1953 und 1954 e<strong>in</strong>es der Hauptthemen der<br />
weiter schwelenden Differenzen zwischen der Betriebsgruppe und dem Sekretariat.<br />
228 Daneben blieben aber auch die grundsätzlichen Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten<br />
und Konflikte weiter deutlich. Immer wieder gab es Besprechungen zwischen Sekretariat<br />
und Betriebsgruppe, bei denen sich »sozusagen 2 Lager gegenüber gestanden«<br />
hätten, wie es e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied 1953 ausdrückte. 229 1954 bezeichnete<br />
Hermann Gautier die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward als »politisch krank«. Es gebe <strong>in</strong><br />
der Gruppe die Tendenz, »dass niemand daran glaubt, dass wir was erreichen können«.<br />
230 Allerd<strong>in</strong>gs wurden im Sekretariat auch immer noch Me<strong>in</strong>ungen geäußert,<br />
die der Betriebsgruppe trotz der <strong>in</strong>haltlichen Gegensätze zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> Recht auf<br />
Kritik e<strong>in</strong>räumten und weiter den Dialog mit ihr forderten. He<strong>in</strong>rich Reichel me<strong>in</strong>te<br />
Anfang 1954 - kurz nachdem das Sekretariat e<strong>in</strong>e erneute Überprüfung der Betriebsgruppe<br />
B<strong>org</strong>ward beschlossen hatte -, er sehe »e<strong>in</strong>e ganze Reihe berechtigter<br />
Kritik von Seiten der Betriebsgruppe«:<br />
»Es ist e<strong>in</strong>e Unterlassungssünde von der LL und KL, dass wir auf die Kritiken [...] nicht e<strong>in</strong>gegangen<br />
[s<strong>in</strong>d]. Ich b<strong>in</strong> der Me<strong>in</strong>ung, auf der Betriebsgruppensitzung muss zu drei D<strong>in</strong>gen gut<br />
untermauert Stellung genommen werden: 1.) 17. Juni, 2.) These 37, 3.) Frage der Leitung. Nur<br />
wenn unsere Genossen, die dazu sprechen, sich leiten lassen von e<strong>in</strong>er kameradschaftlichen<br />
Art und Weise besteht die Möglichkeit, den anderen Genossen aufzuzeigen, dass sie mit ihrer<br />
E<strong>in</strong>stellung im Unrecht s<strong>in</strong>d. H.[e<strong>in</strong>emann] u. K.[ratsch] (B<strong>org</strong>ward) haben <strong>in</strong> die Diskussionen<br />
D<strong>in</strong>ge gebracht, die direkt an Parteife<strong>in</strong>dlichkeit grenzen und wir müssen es <strong>in</strong> der Aussprache<br />
verstehen, diese Genossen <strong>in</strong> der Argumentation von den anderen zu trennen. Das<br />
bedeutet, dass wir selbstkritisch zu den Fehlern, die von der Leitung gemacht worden s<strong>in</strong>d,<br />
Stellung nehmen.«<br />
Reichels Stellungnahme repräsentierte nicht die Me<strong>in</strong>ung des gesamten Sekretariats,<br />
zeigte aber, dass <strong>in</strong> der Leitung immer noch Une<strong>in</strong>igkeit über den Umgang<br />
mit der Betriebsgruppe herrschte. Deutlich wurde aber auch, dass die <strong>in</strong>haltlichen<br />
Differenzen nach wie vor akut waren und sich ke<strong>in</strong>eswegs auf gewerkschaftspolitische<br />
Fragen beschränkten (17. Juni, Frage der Leitung). <strong>Die</strong>se waren dann allerd<strong>in</strong>gs<br />
wieder der Auslöser für die nächste große Kontroverse, die zum Austritt des<br />
Betriebsgruppenvorsitzenden Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann und zum Parteiausschluss der übrigen<br />
Betriebsgruppenleitung (Paul Kratsch und Willi Elmers) führte.<br />
Der Streit entzündete sich anlässlich der Betriebsratswahlen am 21./22. April<br />
1955. Bereits auf der ersten Sitzung der Betriebsgruppe mit dem Sekretariat zur<br />
Vorbereitung der Wahlen kam es am 12. April 1955 wieder zu über den eigentli-<br />
227 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 16.1.-11.2.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />
228 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 14.3. bis 2.4.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11(20/14; Protokoll der LSS v. 29.6.54, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 11/20/8; Protokoll der LSS v. 12.10.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
229 Protokoll der LSS v. 24.9.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
230 Protokoll der LSS v. 13.7.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.
238<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
chen Anlass h<strong>in</strong>ausgehende Kritik e<strong>in</strong>zelner Betriebsgruppenmitglieder an der<br />
Bremer Landesleitung und dem Sekretariat. Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann und Paul Kratsch<br />
me<strong>in</strong>ten, so der Bericht des Sekretariats,<br />
»dass <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denhofstraße [Sitz von <strong>KPD</strong>-Landesleitung und Sekretariat] e<strong>in</strong> zu großer<br />
Wasserkopf bestehe. E<strong>in</strong>e Kreisleitung sei nicht notwendig, deren Arbeit könne die Landesleitung<br />
mit erledigen. <strong>Die</strong> jetzige Zusammensetzung der K.L. und L.L. sei die Ursache dafür,<br />
dass über 100 alte Gen. <strong>in</strong>aktiv neben der Partei ständen. Sie hätten beide des öfteren Stellung<br />
genommen gegen die E<strong>in</strong>setzung verschiedener Funktionäre. <strong>Die</strong>ses sei nicht beachtet worden,<br />
im Gegenteil, sie seien als nicht auf der Parteil<strong>in</strong>ie liegende Gen. angesehen worden.« 231<br />
Das war wiederum die seit 1951 geführte Diskussion um die Kaderpolitik der<br />
Partei, die offenbar immer noch für erhebliche Unzufriedenheit mit der Parteileitung<br />
s<strong>org</strong>te. Das Landessekretariat beauftragte daraufh<strong>in</strong> sofort das Kreissekretariat,<br />
e<strong>in</strong>e weitere Sitzung mit der Betriebsgruppe durchzuführen und zu den Äußerungen<br />
von Kratsch und He<strong>in</strong>emann Stellung zu nehmen. »Es ist die Aufgabe der<br />
Vertreter des Kreis-Sekretariats der Betriebsgruppe, besonders den Gen. K. und H.<br />
klarzumachen, dass solche Äußerungen parteischädigend s<strong>in</strong>d und objektiv auf der<br />
L<strong>in</strong>ie der Argumentation des Klassengegners liegen.« 232 Zur Durchführung der bevorstehenden<br />
Betriebsrätewahlen sollten die Betriebsgruppen außerdem angeleitet<br />
werden,<br />
»die fortschrittlichen Gewerkschafter - Kommunisten, Sozialdemokraten und Parteilose - auf<br />
der Grundlage ihres E<strong>in</strong>tretens für die Interessen der Belegschaft und besonders ihres E<strong>in</strong>satzes<br />
für die Verwirklichung der Beschlüsse des 3. DGB-Kongresses zu popularisieren. [...]. In<br />
den Besprechungen mit unseren Betriebsgruppen kann nach gründlicher Überprüfung der<br />
jeweiligen konkreten Bed<strong>in</strong>gungen der e<strong>in</strong>zelnen Betriebe <strong>in</strong> den Betriebszeitungen oder auch<br />
<strong>in</strong> der Form e<strong>in</strong>es Flugblattes Stellung genommen werden zu den Aufgaben der Betriebsräte<br />
und <strong>in</strong> dem Zusammenhang entsprechend der Kandidatenliste von uns e<strong>in</strong> Vorschlag über<br />
die unserer Me<strong>in</strong>ung nach zu wählenden Kollegen gemacht werden«. 233<br />
Das war der entscheidende Beschluss, mit dem die jahrelangen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
zwischen der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward und dem Sekretariat schließlich eskalierten.<br />
Für die Betriebsratswahl bei B<strong>org</strong>ward war e<strong>in</strong>e gewerkschaftliche E<strong>in</strong>heitsliste<br />
aufgestellt worden. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Wahlen war<br />
diese Liste jedoch erstmals nicht im wesentlichen von der SPD-Betriebsgruppe aufgestellt,<br />
sondern von e<strong>in</strong>er Vertrauensmännerversammlung verabschiedet und<br />
empfohlen worden. 234 <strong>Die</strong> SPD hatte zur Wahl der ersten 21 Kandidaten auf der<br />
Liste aufgerufen. <strong>Die</strong>s waren 17 Sozialdemokraten, drei Parteilose sowie als e<strong>in</strong>ziger<br />
Vertreter der <strong>KPD</strong> Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann. 235 Der Beschluss des Landessekretariats,<br />
öffentlich durch Flugblätter eigene Kandidaten zu empfehlen, ignorierte nun völlig<br />
den im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen demokratischeren Entstehungsprozess<br />
der Liste und torpedierte außerdem das Pr<strong>in</strong>zip der gewerkschaftli-<br />
231 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 27.3. bis 12.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12.<br />
232 Nicht betiteltes und undatiertes Beschlussprotokoll, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9 [Blatt 162]. Aus den <strong>in</strong>haltlichen<br />
und chronologischen Zusammenhängen ergibt sich, dass die Sitzung am 14. April 1955 stattfand.<br />
233 Ebenda.<br />
234 Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49.<br />
235 Protokoll der LSS v. 21.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 239<br />
chen E<strong>in</strong>heitsliste. Beides bedeutete zwangsläufig e<strong>in</strong>e Konfrontation mit SPD und<br />
IG Metall, »e<strong>in</strong> persönlich und politisch diffamierendes Wäschewaschen« 236. Genau<br />
diese Konfrontation wollte die Betriebsgruppe der <strong>KPD</strong> »diesmal verh<strong>in</strong>dern«.<br />
237<br />
<strong>Die</strong> Sitzung des Kreissekretariats mit der Betriebsgruppe, auf der es schließlich<br />
zur offenen Konfrontation kam, fand am 16. April 1955 statt. 238 Anwesend waren<br />
zehn Mitglieder der Betriebsgruppe sowie e<strong>in</strong>ige Mitglieder des Kreissekretariats,<br />
u.a. auch Willy Meyer-Buer.<br />
Der berichtende Vertreter des Sekretariats schrieb: »In der Diskussion wurde<br />
ruhig und sachlich zu den Problemen Stellung genommen. Als wir zu der Aufgabenstellung<br />
übergehen wollten, nämlich m<strong>in</strong>destens 2 bis 3 Agitationsmaterialien<br />
zu den Betriebsrätewahlen herauszugeben, kam es zu scharfen Ause<strong>in</strong>andersetzungen.«<br />
239 <strong>Die</strong> Vertreter der Betriebsgruppe lehnten die Herausgabe von <strong>KPD</strong>-<br />
Materialien strikt ab. Es habe bereits bei der Aufstellung der Gewerkschaftsliste<br />
Schwierigkeiten gegeben, und man solle »Abstand davon nehmen, diese Schwierigkeiten<br />
erneut aufleben zu lassen.« 240 Flugblätter würden nur »Verleumdungen<br />
und neue Hetze« br<strong>in</strong>gen, »das hält dann die Kollegen ab, unsere Kandidaten zu<br />
wählen«. 241 H<strong>in</strong>zu käme, so Paul Kratsch, dass man es bei dem Betriebsratsvorsitzenden<br />
Ernst Buchholz (SPD) nicht mit e<strong>in</strong>em »politisch fairen Gegner« zu tun habe.<br />
»Der Buchholz hat dort e<strong>in</strong>e eigene Druckerei zur Verfügung und könnte uns <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Stunde mit Schmutz und Dreck antworten.« 242<br />
Nachdem sich gezeigt hatte, dass die anwesenden Vertreter der Betriebsgruppe<br />
nahezu e<strong>in</strong>hellig - lediglich e<strong>in</strong> Redner unterstützte die Haltung des Sekretariats -<br />
gegen e<strong>in</strong>en »Flugblattkrieg« 243 waren und ke<strong>in</strong> Parteimaterial im Betrieb verteilen<br />
wollten, kam es zum Eklat. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe wollte e<strong>in</strong>e Abstimmung herbeiführen.<br />
Willy Meyer-Buer, als Vertreter des Sekretariats, lehnte e<strong>in</strong>e solche »Abstimmung<br />
über die Politik der Partei« ab und habe sie verh<strong>in</strong>dert, so der Bericht des<br />
Sekretariats, woraufh<strong>in</strong> es »zu scharfen Ause<strong>in</strong>andersetzungen« kam. 244 Der Erste<br />
Sekretär der Betriebsgruppe Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann verließ schließlich mit den Worten<br />
»Ihr werdet noch von mir hören!« 245 vorzeitig die Sitzung und drohte damit, se<strong>in</strong>e<br />
236 So Willi Elmers‘ Charakterisierung der bisherigen »Wahlkämpfe« (Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei<br />
B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49).<br />
237 Ebenda.<br />
238 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 13.4. bis 17.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12. Willi Elmers<br />
nennt als Datum dieser Besprechung irrtümlich den 19. Mai 1955 (Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei<br />
B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49).<br />
239 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 13.4. bis 17.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12.<br />
240 Ebenda.<br />
241 Ebenda.<br />
242 Ebenda. Buchholz konnte als Betriebsratsvorsitzender die betriebseigene Druckerei bei B<strong>org</strong>ward benutzen.<br />
Vgl. auch Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49.<br />
243 Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49.<br />
244 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 13.4. bis 17.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12. Willi Elmers<br />
berichtet ähnlich: »<strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung wurde nun härter« (Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei<br />
B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49).<br />
245 Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49.
240<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
Kandidatur zum Betriebsrat zurückzuziehen. Wenige Stunden später hatte er se<strong>in</strong><br />
Parteibuch abgegeben und war aus der <strong>KPD</strong> ausgetreten. 246 Paul Kratsch, 2. Vorsitzender,<br />
und Willi Elmers, Kassierer der Betriebsgruppe, erklärten ihren Rückzug<br />
von der Kandidatenliste zur Betriebsratswahl. 247 Sie »wollten die D<strong>in</strong>ge erst e<strong>in</strong>mal<br />
an uns rankommen lassen, zu den Betriebsgruppensitzungen wollten wir erstmal<br />
nicht mehr h<strong>in</strong>gehen, wir hatten die Nase voll«. 248 Mit He<strong>in</strong>i Bresse erklärte e<strong>in</strong><br />
weiter Betriebsratskandidat se<strong>in</strong>en Rücktritt von der Kandidatur. 249<br />
Das Kreissekretariat reagierte sofort und beschloss die E<strong>in</strong>leitung von Ausschlussverfahren<br />
gegen Paul Kratsch, He<strong>in</strong>i Bresse und Willi Elmers. 250 <strong>Die</strong>ser Beschluss<br />
sollte von e<strong>in</strong>er außerordentlichen Kreisleitungssitzung am 27. April bestätigt<br />
werden. Weiterh<strong>in</strong> fasste das Kreissekretariat e<strong>in</strong>e Reihe von Beschlüssen -<br />
Herausgabe e<strong>in</strong>er Erklärung der Kreisleitung, E<strong>in</strong>berufung e<strong>in</strong>er Parteiaktivtagung<br />
sowie die Bildung e<strong>in</strong>er Untersuchungskommission -, um <strong>in</strong> der Partei »e<strong>in</strong>e Klärung<br />
über die opportunistischen Auffassungen zu der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit<br />
zu führen«. 251<br />
Das Landessekretariat bestätigte am 21. April diese Beschlüsse. Man müsse jetzt<br />
»Klarheit schaffen«, »damit die ganze Partei schnell e<strong>in</strong>e klare Ausrichtung bekommt<br />
und nicht überall falsche Diskussionen auftauchen. Denn es hat sich gezeigt,<br />
dass diese Genossen von B<strong>org</strong>ward schon sehr viele Genossen aufgesucht haben<br />
und die Sache dort falsch darstellen.« 252 Der Erste Kreissekretär fasste die<br />
Sichtweise des Sekretariats noch e<strong>in</strong>mal zusammen:<br />
»<strong>Die</strong> Sitzungen mit der Betriebsgruppe, die harten Ause<strong>in</strong>andersetzungen über diese politischen<br />
Fragen haben dazu geführt, dass wir zur Klärung e<strong>in</strong>er seit Jahren schwelenden Frage<br />
gekommen s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong> Genossen, die von der Parteil<strong>in</strong>ie abweichen, s<strong>in</strong>d zum offenen Auftreten<br />
gezwungen worden. Wenn die SPD bei B<strong>org</strong>ward ihre Kandidaten popularisiert und die Kollegen<br />
s<strong>in</strong>d mit dem alten Betriebsrat nicht mehr e<strong>in</strong>verstanden (wie aus Diskussionen herv<strong>org</strong>eht),<br />
s<strong>in</strong>d wir verpflichtet, den Kollegen zu sagen, welches die besten Kollegen, die <strong>in</strong> den<br />
neuen Betriebsrat gehören, s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong> Kollegen warten auf Vorschläge. Deshalb ist der Beschluss<br />
richtig, dass wir ihnen Kollegen nennen [...]. Wir dürfen dabei aber nicht auf die politische<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung verzichten (das wollten die Genossen der Betriebsgruppe<br />
nicht).« 253<br />
246 Willi Elmers berichtet, He<strong>in</strong>emann habe noch vor Ende der Sitzung »se<strong>in</strong>e Austrittserklärung und se<strong>in</strong><br />
Parteibuch durch den Briefkastenschlitz des Parteihauses geworfen« (Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei<br />
B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49). Im Bericht des Sekretariats hieß es, Paul Kratsch habe am nächsten M<strong>org</strong>en<br />
das Parteibuch He<strong>in</strong>emanns abgegeben (Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 13.4. bis<br />
17.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12).<br />
247 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 13.4. bis 17.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12.<br />
248 Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49f.<br />
249 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 13.4. bis 17.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12.<br />
250 Nicht betiteltes und datiertes Protokoll [17. oder 18. April 1955], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9 [Bl. 160]. <strong>Die</strong><br />
Datierung ergibt sich aus den <strong>in</strong>haltlichen Zusammenhängen und den Term<strong>in</strong>fristen der Beschlüsse.<br />
251 Ebenda.<br />
252 Protokoll der LSS. v. 21.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9.<br />
253 Ebenda. Unterstreichung im Orig<strong>in</strong>al.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 241<br />
<strong>Die</strong> Kreisleitung beschloss am 27. April 1955 die Ausschlussverfahren gegen<br />
Paul Kratsch und Willi Elmers wegen »Verstoß gegen das Parteistatut«. Kratsch<br />
wurden außerdem »parteife<strong>in</strong>dliche Diskussionen« v<strong>org</strong>eworfen. 254<br />
E<strong>in</strong>en Tag später wurden der Betriebsgruppe diese Beschlüsse unterbreitet. <strong>Die</strong><br />
verbliebenen Mitglieder nahmen jedoch die E<strong>in</strong>leitung der Ausschlussverfahren<br />
nicht widerspruchslos h<strong>in</strong>. Es habe »starke Ause<strong>in</strong>andersetzungen« <strong>in</strong>sbesondere<br />
mit Alfred Goedecke - dem neuen Ersten Sekretär der Betriebsgruppe - 255 gegeben.<br />
»<strong>Die</strong>ser war der Auffassung, dass man mit der E<strong>in</strong>leitung dieser Parteiverfahren<br />
die Arbeit der gesamten Betriebsgruppe zerschlagen würde.« 256 Schließlich aber erklärte<br />
sich die Betriebsgruppe »nach längerer Diskussion« mit den Maßnahmen<br />
e<strong>in</strong>verstanden. 257<br />
Den Abschluss der Ause<strong>in</strong>andersetzungen bildete e<strong>in</strong>e Erklärung der Kreisleitung<br />
<strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie. <strong>Die</strong> Erklärung bekräftigte natürlich zunächst die<br />
Haltung des Sekretariats, »dass mit der Entscheidung über die Betriebsratskandidaten<br />
auch gleichzeitig Entscheidungen über die Durchführung von Gewerkschaftsbeschlüssen,<br />
über soziale Forderungen, über politische Fragen und über Probleme<br />
unserer nationalen Politik getroffen werden« und e<strong>in</strong>e »Aufklärung der Belegschaft«<br />
über die Kandidaten daher notwendig gewesen sei. 258 <strong>Die</strong> Betriebsgruppe,<br />
besonders aber He<strong>in</strong>emann, Kratsch und Elmers, hätten dies jedoch abgelehnt und<br />
damit »die Kraft der Massen« unterschätzt. Sie seien der »Diskussion im Betrieb«<br />
ausgewichen aus Furcht vor den »Argumenten des Kollegen Buchholz«. »Damit<br />
verzichteten diese Genossen auf die führende Rolle der Partei.«<br />
Den Ablauf der Ause<strong>in</strong>andersetzung gab die Kreisleitung weitgehend richtig<br />
wieder, wie überhaupt der Tenor im Vergleich zu den polemischen und diffamierenden<br />
Ausfällen der Jahre 1951/52 etwas sachlicher war. <strong>Die</strong> Erklärung sprach<br />
auch die Kritik der Betriebsgruppe an der Leitung und die über die gewerkschaftspolitischen<br />
Differenzen h<strong>in</strong>ausgehenden Ursachen der Ause<strong>in</strong>andersetzung an:<br />
»Bekanntlich führt die Leitung der Partei seit über vier Jahren mit führenden Genossen bei<br />
B<strong>org</strong>ward Diskussionen über Pr<strong>in</strong>zipien der Partei. [...]. He<strong>in</strong>emann und der Genosse Kratsch<br />
haben sich ideologisch schon lange von der Partei gelöst, sonst wäre es nicht zu verstehen,<br />
dass sie <strong>in</strong> persönlichen Unterhaltungen die Leitung der Partei als e<strong>in</strong>en ›Wasserkopf‹ bezeichneten,<br />
[...] das ist nicht neu bei He<strong>in</strong>emann und dem Genossen Kratsch. Bereits nach der<br />
Landesdelegiertenkonferenz vor vier Jahren s<strong>in</strong>d sie gegen die Landesleitung aufgetreten mit<br />
der Begründung, dass die neue Leitung zu jung sei und dass durch sie alte und bewährte Genossen<br />
beiseite geschoben werden. Damals haben sie dem Landessekretariat den Vorwurf<br />
gemacht, die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward zerschlagen zu haben. [...] Es gibt auch <strong>in</strong> anderen<br />
Stadtteilen und Grunde<strong>in</strong>heiten Diskussionen über die angeblich falsche Kaderpolitik der Partei.<br />
<strong>Die</strong> Entwicklung He<strong>in</strong>emanns und des Genossen Kratsch zeigen, woh<strong>in</strong> solche Diskussio-<br />
254 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 24.4. bis 1.5.1955, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12.<br />
255 Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 50.<br />
256 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 24.4. bis 1.5.1955, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12.<br />
257 Ebenda.<br />
258 Festigt die Partei im Kampf gegen den Opportunismus, Tribüne der Demokratie, 3. Mai 1955.
242<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
nen führen. H<strong>in</strong>ter der angeblichen Unzufriedenheit mit der Kaderpolitik der Partei verbirgt<br />
sich oft die Ablehnung der Politik der Partei überhaupt.« 259<br />
E<strong>in</strong>e argumentative Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den angesprochenen Problemen<br />
leistete die Erklärung also nicht, sondern stellte sie wiederum <strong>in</strong> den Zusammenhang<br />
der »Parteife<strong>in</strong>dlichkeit«, He<strong>in</strong>emann und Kratsch wurde zudem »Brandlerismus«<br />
v<strong>org</strong>eworfen.<br />
Dabei hätte wenigstens das Ergebnis der Betriebsratswahl bei B<strong>org</strong>ward am 21.<br />
April 1955 Anlass zu e<strong>in</strong>er argumentativen Ause<strong>in</strong>andersetzung über die gewerkschaftspolitischen<br />
Differenzen gegeben. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> gelangte erstmals seit 1946 nicht<br />
<strong>in</strong> den Betriebsrat. Der aus der Partei ausgetretene Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann, vor se<strong>in</strong>em<br />
Parteiaustritt e<strong>in</strong>ziger Kommunist unter den ersten 21 Kandidaten auf der Gewerkschaftsliste,<br />
erhielt 4.107 Stimmen. Das waren etwa 59 Prozent aller abgegebenen<br />
Stimmen. He<strong>in</strong>emann hatte damit die meisten Stimmen aller Kandidaten und auch<br />
rund 500 mehr als der Betriebsratsvorsitzende Ernst Buchholz erhalten. 260<br />
<strong>Die</strong>ses für die Partei verheerende Ergebnis erwähnte die Kreisleitung <strong>in</strong> ihrer<br />
Erklärung nur beiläufig und schob die Verantwortung dafür vollständig der Betriebsgruppe<br />
zu: »Warum steht das Wahlresultat bei B<strong>org</strong>ward im Widerspruch zu<br />
den Wünschen der Kollegen? Weil die Betriebsgruppe der Partei nicht kämpferisch<br />
an ihre Aufgabe herangegangen ist.« 261<br />
Das Beispiel der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward zeigt detailliert die Folgen der <strong>in</strong>strumentalisierten<br />
und radikalisierten Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> seit 1950 auf,<br />
sowohl auf der betrieblichen Ebene als auch <strong>in</strong> <strong>in</strong>nerparteilicher H<strong>in</strong>sicht. Bereits<br />
beim Metallarbeiterstreik, der ersten größeren Gelegenheit für die Partei, die lohnpolitischen<br />
Forderungen der Arbeiterschaft mit ihrer nationalen Politik zu verknüpfen,<br />
zeigte sich die starke Renitenz der <strong>KPD</strong>-Betriebsfunktionäre gegen solche Vere<strong>in</strong>nahmungsversuche.<br />
Dass die Betriebsgruppe diese Widerstände über vier Jahre<br />
aufrechterhalten konnte, hatte verschiedene Gründe. Sie lagen zum Teil <strong>in</strong> der spezifischen<br />
Belegschafts- und Betriebsstruktur bei B<strong>org</strong>ward sowie der - bei allen<br />
auch hier vorhandenen Ause<strong>in</strong>andersetzungen und antikommunistischen Maßnahmen<br />
von Seiten der SPD und der Gewerkschaft - relativ guten und stabilen Zusammenarbeit<br />
<strong>in</strong> Betriebsrat und Vertrauensmännerkörper. Zum anderen ergab<br />
sich die Widerstandsfähigkeit der Betriebsgruppe auch aus der persönlichen Stärke<br />
e<strong>in</strong>zelner Funktionäre wie Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann, die gerade weil sie die betrieblichen<br />
und gewerkschaftlichen Belange sowie e<strong>in</strong>e diesbezügliche Zusammenarbeit mit<br />
dem sozialdemokratischen Betriebsrat über die Parteipolitik stellten, maßgeblich<br />
dafür verantwortlich waren, dass die <strong>KPD</strong> sich überhaupt noch Positionen im Betrieb<br />
erhalten konnte. Durch das Ignorieren und die Fehl<strong>in</strong>terpretation dieser Zusammenhänge<br />
trug die Parteileitung wesentlich zur Demontage dieser Positionen<br />
bei.<br />
259 Ebenda.<br />
260 Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 99f.; Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei<br />
B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 50.<br />
261 Festigt die Partei im Kampf gegen den Opportunismus, Tribüne der Demokratie, 3. Mai 1955.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 243<br />
Allerd<strong>in</strong>gs war dem Sekretariat wohl die Bedeutung der Betriebsgruppe wie<br />
auch ihrer herausragenden Funktionäre bewusst. Deren <strong>in</strong>nerbetriebliche und <strong>in</strong>nerparteiliche<br />
Stärke verh<strong>in</strong>derte immerh<strong>in</strong> vier Jahre ihren durchaus schon<br />
1951/52 vorstellbaren Ausschluss und zwang die Leitung, sich mit der der Parteil<strong>in</strong>ie<br />
widersprechenden Kritik ause<strong>in</strong>anderzusetzen und sie h<strong>in</strong>zunehmen. Daraus<br />
ergab sich für die Parteileitung e<strong>in</strong> besonderes <strong>in</strong>nerparteiliches Problem. In dem<br />
Moment, wo die Kritik über die betriebs- und gewerkschaftspolitischen Fragen h<strong>in</strong>ausg<strong>in</strong>g<br />
und sich gegen die Kaderpolitik, die Säuberungen, die nationale Politik<br />
oder gar den kritiklosen Umgang mit der DDR richtete, waren zentrale Aspekte<br />
sowohl der <strong>in</strong>nerparteilichen Struktur wie auch der politischen Programmatik der<br />
<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Frage gestellt, und das Sekretariat musste e<strong>in</strong>e Ausweitung solcher Opposition<br />
befürchten. <strong>Die</strong> Vehemenz, mit der <strong>in</strong> den entsprechenden Artikeln und Erklärungen<br />
immer wieder vor der »Parteife<strong>in</strong>dlichkeit« solcher Kritik gewarnt wurde,<br />
ist e<strong>in</strong> deutliches Indiz dafür. Gegen die Opposition prom<strong>in</strong>enter Genossen wie<br />
Rudolf Rafoth, Folkert Potrykus oder Re<strong>in</strong>hold Popall, die zwar e<strong>in</strong>e große <strong>in</strong>nerparteiliche<br />
Bedeutung, aber ke<strong>in</strong>e betrieblichen Positionen hatten, ließen sich<br />
1951/52 Ausschlüsse noch durchsetzen, wenn auch nur mit großen Schwierigkeiten.<br />
<strong>Die</strong> <strong>in</strong>nerbetriebliche Stärke und Verankerung verh<strong>in</strong>derte dies bei Funktionären<br />
wie Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann oder - auf gewerkschaftlicher Ebene - bei Johann Re<strong>in</strong>ers<br />
und ließ so die Betriebsgruppen zum wesentlichen Träger von Basisopposition <strong>in</strong><br />
der <strong>KPD</strong> werden. »<strong>Die</strong> Kritik an der Leitung«, so die E<strong>in</strong>schätzung von Wilhelm<br />
Meyer-Buer aus heutiger Sicht, »kam vor allem aus den Betrieben«. 262<br />
Betriebsgruppen zwischen Radikalisierung, Repression und Resignation:<br />
Das Beispiel AG »Weser«<br />
<strong>Die</strong> Entwicklung der <strong>KPD</strong> auf der traditionsreichen Großwerft AG »Weser« <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong>-Gröpel<strong>in</strong>gen verdeutlichte <strong>in</strong> zugespitzter und komprimierter Form das<br />
Spannungsfeld, <strong>in</strong> dem sich Kommunisten <strong>in</strong> den Betrieben bewegten. Zu betrachten<br />
s<strong>in</strong>d hier im wesentlichen die Jahre 1953 bis 1956, <strong>in</strong> denen die <strong>KPD</strong> als traditionell<br />
e<strong>in</strong>flussreiche Kraft auf der Werft zunächst von e<strong>in</strong>er radikalisierten Belegschaft<br />
mit e<strong>in</strong>er großen Mehrheit im Betriebsrat ausgestattet wurde und schließlich<br />
am Ende marg<strong>in</strong>alisiert ohne jegliches Betriebsratsmandat und ohne nennenswerten<br />
E<strong>in</strong>fluss unter den Arbeitern dastand.<br />
<strong>Die</strong> Belegschaft der AG »Weser« hatte seit Ende des 19. Jahrhunderts <strong>in</strong>nerhalb<br />
der Bremer Arbeiterbewegung e<strong>in</strong>e zentrale Rolle gespielt. <strong>Die</strong> Mehrheit der Belegschaft<br />
war dabei immer radikal <strong>in</strong> ihren betrieblichen und politischen Forderungen.<br />
Innerhalb der Bremer Sozialdemokratie war sie vor 1914 e<strong>in</strong> wichtiger Teil des l<strong>in</strong>ken<br />
Flügels und stellte ab 1916 die soziale Basis der »Bremer L<strong>in</strong>ksradikalen«, die<br />
ihr theoretisches Fundament durch e<strong>in</strong>e Reihe von sozialistischen Lehrern (Anton<br />
Pannekoek, Johann Knief, Karl Radek) erhielten und die schließlich zu den Mitbe-<br />
262 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 2.
244<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
gründern der <strong>KPD</strong> gehörten. 263 Bei der Durchsetzung ihrer politischen und betrieblichen<br />
Forderungen zeigte die Belegschaft der AG »Weser« e<strong>in</strong>e starke Kampfbereitschaft.<br />
Erste Streikerfahrungen hatte sie bereits 1886 gemacht, <strong>in</strong> den folgenden<br />
Jahren kam es immer wieder zu größeren Arbeitsausständen, die die Unternehmer<br />
teilweise mit Aussperrungen beantworteten und die oft auch ohne Unterstützung<br />
der Gewerkschaft geführt wurden. 264 <strong>Die</strong> durch diese Erfahrungen gestärkte Radikalität<br />
wurde auch nicht gebrochen durch die Erfahrungen der gescheiterten Bremer<br />
Räterepublik, <strong>in</strong> der die AG »Weser« Belegschaft die »treibende Kraft« 265 darstellte.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte nach 1919 e<strong>in</strong>en starken E<strong>in</strong>fluss auf der Werft und stellte bis<br />
Mitte der 1920er Jahre die Mehrheit im Betriebsrat, die sie jeweils gegen die sozialdemokratisch<br />
dom<strong>in</strong>ierte Gewerkschaftsliste errang. Mit der ultral<strong>in</strong>ken Wendung<br />
der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Jahren 1923-1925 g<strong>in</strong>g diese Mehrheit verloren. Nach der erneuten<br />
Radikalisierung im Zuge der RGO-Politik ab 1929 verlor die Partei zwar weitere Betriebsratsmandate,<br />
behielt aber auf der Werft e<strong>in</strong>en erheblichen E<strong>in</strong>fluss. 266<br />
Bis 1933 ergibt sich <strong>in</strong>sgesamt das Bild e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>takten Milieu verankerten<br />
Belegschaft, die »kampferfahren, aktionsbereit, hoch<strong>org</strong>anisiert und politisch<br />
radikal war« 267. Auch die nationalsozialistische Diktatur konnte die Arbeiterschaft<br />
der Werft nicht mehrheitlich gew<strong>in</strong>nen. <strong>Die</strong> Werft wurde zu e<strong>in</strong>em Sammelbecken<br />
des antifaschistischen Widerstands <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, »wozu auch die Praxis des Werftdirektors<br />
Stapelfeldt beitrug, ehemalige Arbeiterfunktionäre auf der Werft e<strong>in</strong>zustellen«.<br />
268<br />
Dem ersten Betriebsrat der AG »Weser« nach Kriegsende gehörten sechs Sozialdemokraten,<br />
fünf Kommunisten und e<strong>in</strong> Parteiloser an. 269 Nach dem Scheitern<br />
der E<strong>in</strong>heitsbestrebungen und der Auflösung der KGF ergab sich e<strong>in</strong> differenziertes<br />
Bild. Auf der »Bremer Dock- und Masch<strong>in</strong>enbau AG«, die aus der für die Demontage<br />
v<strong>org</strong>esehenen Werft ausgegliedert worden war, dom<strong>in</strong>ierten Sozialdemokraten<br />
den Betriebsrat, die <strong>KPD</strong> war hier überhaupt nicht vertreten. Der Betriebsrat der<br />
Demontagearbeiter (»AG Weser Räumung«) h<strong>in</strong>gegen bestand aus drei Kommunisten,<br />
drei Sozialdemokraten sowie drei Arbeitern mit unbekannter Parteizugehörigkeit.<br />
270 <strong>Die</strong> Gründe für diese deutlichen Unterschiede waren <strong>in</strong> der Belegschafts-<br />
263 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 140ff.; Jörg Wollenberg,<br />
<strong>Die</strong> AG »Weser« zwischen Sozialpartnerschaft und Klassenkampf, hrsg. von den Jungsozialisten<br />
<strong>in</strong> der SPD, Unterbezirksvorstand <strong>Bremen</strong>-West und Landesvorstand <strong>Bremen</strong>, Berl<strong>in</strong>-West und <strong>Bremen</strong><br />
1984.<br />
264 Vgl. zusammenfassend He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O.,<br />
S. 142.<br />
265 Ebenda, S. 141.<br />
266 Ebenda, S. 146.<br />
267 Ebenda.<br />
268 Ebenda, S. 147. <strong>Die</strong> Rolle Stapelfeldts ist <strong>in</strong> der Literatur allerd<strong>in</strong>gs umstritten.<br />
269 Peter Brandt, Betriebsräte, Neuordnungsdiskussion und betriebliche Mitbestimmung <strong>1945</strong>-1948, a.a.O.,<br />
S. 201.<br />
270 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 148f.; Peter Brandt,<br />
Betriebsräte, Neuordnungsdiskussion und betriebliche Mitbestimmung <strong>1945</strong>-1948, a.a.O., S. 201.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 245<br />
struktur zu suchen. <strong>Die</strong> Belegschaft der »Bremer Dock- und Masch<strong>in</strong>enbau« war<br />
gezielt aus der alten Kernbelegschaft ausgesucht worden und wies dementsprechend<br />
e<strong>in</strong>en sehr hohen Facharbeiteranteil auf, der Räumungsbetrieb dagegen war<br />
eher heterogen zusammengesetzt und beschäftigte viele Ungelernte. »Hier deutet<br />
sich schon an, was <strong>in</strong> den 1950er Jahren prägend für das politische Verhalten der<br />
Belegschaft werden sollte: <strong>Die</strong> langjährig beschäftigten Facharbeiter mit handwerklicher<br />
Qualifikation und Tradition optierten eher für die Sozialdemokratie, die Anund<br />
Ungelernten eher für die Kommunisten.« 271 In dem ersten nach der Wiedere<strong>in</strong>gliederung<br />
der »Bremer Dock- und Masch<strong>in</strong>enbau« 1948 gewählten Betriebsrat<br />
waren <strong>KPD</strong> (sechs Sitze) und SPD (fünf Sitze) wieder nahezu gleichstark vertreten.<br />
<strong>Die</strong>ses Gleichgewicht blieb bis 1953 erhalten, wobei allerd<strong>in</strong>gs der Betriebsratsvorsitzende<br />
immer von der SPD gestellt wurde. 272<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte also auch nach <strong>1945</strong> e<strong>in</strong>e starke Stellung im Betrieb. <strong>Die</strong>s galt<br />
auch für die Betriebsgruppe selbst. Bereits 1946 war sie e<strong>in</strong>e der wichtigsten <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> und mit 43 Mitgliedern auch die größte. 273 Noch 1955 hatte die Betriebsgruppe<br />
auf der AG »Weser« - nach Angaben des Landessekretariats - über 80 Mitglieder.<br />
274 Für die Partei hatte die Betriebsgruppe wie auch der gesamte Betrieb<br />
nicht nur deshalb e<strong>in</strong>e große Bedeutung. H<strong>in</strong>zu kam die oben geschilderte Tradition<br />
der Belegschaft <strong>in</strong>nerhalb der Bremer Arbeiterbewegung und für die <strong>KPD</strong> sowie<br />
die Verankerung und Dom<strong>in</strong>anz des Betriebes im Stadtteil Gröpel<strong>in</strong>gen und dem<br />
dortigen Milieu. 275 In Gröpel<strong>in</strong>gen konnte die <strong>KPD</strong> regelmäßig die höchsten Wahlergebnisse<br />
<strong>in</strong> ganz <strong>Bremen</strong> verzeichnen (1951: 14,2 Prozent). Ab 1950 hatte die Landes<strong>org</strong>anisation<br />
hier - <strong>in</strong> unmittelbarer Nachbarschaft zur AG Weser - ihre Parteizentrale,<br />
was die Werft zusätzlich zu e<strong>in</strong>em bevorzugten Agitationsobjekt der Partei<br />
machte.<br />
Zu e<strong>in</strong>em gewerkschafts- und landespolitischen und damit auch für die <strong>KPD</strong><br />
wirklich relevanten Betrieb wurde die AG »Weser« allerd<strong>in</strong>gs erst wieder mit der<br />
Wiederaufnahme des Schiffbaus im Jahre 1950. 1951 war die Belegschaft des Bremer<br />
Werks von 2.200 im Jahre 1949 auf 4.250 gestiegen. 276 Auch die Lohnbewegungen<br />
nahmen nun zu. Dabei knüpfte die Belegschaft wieder an ihre Traditionen von<br />
vor <strong>1945</strong> bzw. 1933 an. »<strong>Die</strong> Forderungen g<strong>in</strong>gen von der Belegschaft aus, die ihnen<br />
durch Aktionen Nachdruck verlieh. Sie wurden dann von der örtlichen Tarifkommission<br />
- bisweilen gegen den Willen der Gewerkschaftsführung - übernommen.<br />
271 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 149.<br />
272 Ebenda.<br />
273 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 202.<br />
274 Protokoll der LSS v. 8.2.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9. Für die Jahre zwischen 1946 bis 1955 liegen leider ke<strong>in</strong>e<br />
weiteren Mitgliederzahlen vor.<br />
275 Vgl. dazu ausführlich Peter Alheit, Hanna Haack, He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Renate Meyer-Braun: Gebrochene<br />
Modernisierung - Der langsame Wandel proletarischer Milieus. E<strong>in</strong>e empirische Vergleichsstudie<br />
ost- und westdeutscher Arbeitermilieus <strong>in</strong> den 1950er Jahren, unter Mitarbeit von Hendrik Bunke,<br />
Elke <strong>Die</strong>rßen, Jutta Friemann-Wille, Heidrun Herzberg, Kathr<strong>in</strong> Möller, Kar<strong>in</strong> Thomsen-Labahn, Andreas<br />
Wagner, 2 Bände, <strong>Bremen</strong> 1999.<br />
276 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 27 und Tabelle<br />
S. 30.
246<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
<strong>Die</strong> bei den Tarifverhandlungen erzielten Kompromisse stießen jedoch häufig auf<br />
Protest und Ablehnung der Belegschaft.« 277<br />
Bereits <strong>in</strong> diesen kle<strong>in</strong>eren, dem großen Werftarbeiterstreik von 1953 vorausgehenden<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzungen der Jahre 1951 und 1952 äußerte sich die radikalisierte<br />
Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong>. Sie fand ihren Ausdruck - neben massiver<br />
Kritik an dem »rechten Betriebsratsvorsitzenden Klatte« 278 (SPD)-vorallem<strong>in</strong>der<br />
Forderung nach der Bildung von betrieblichen »Kampfausschüssen«. Erstmals<br />
tauchte diese Forderung im Juli 1951 auf. 279 Sie zog sich <strong>in</strong> der Folgezeit bei allen<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzungen auf der Werft durch die Veröffentlichungen der Betriebsgruppe<br />
und der Tribüne der Demokratie. Zunächst wurde noch versucht, die Funktion<br />
solcher »nebengewerkschaftlichen« Betriebsgremien als Mittel zur Durchsetzung<br />
gewerkschaftlicher Ziele zu formulieren (»<strong>Die</strong> Kampfausschüsse werden der Gewerkschaftsleitung<br />
den notwendigen Rückhalt bei den Verhandlungen mit den Unternehmern<br />
geben«). 280 Sehr schnell aber wurde der kontroverse und auf These 37<br />
basierende Charakter dieser Forderung deutlich. Im Dezember 1951 schrieb die Tribüne<br />
der Demokratie: »<strong>Die</strong>se Kampfausschüsse mobilisieren die Belegschaften zum<br />
Kampf um ihre gerechten Forderungen und zw<strong>in</strong>gen dadurch auch die rechte Gewerkschaftsbürokratie,<br />
gegenüber allen Kollegen Farbe zu bekennen«. 281 <strong>Die</strong> Bildung<br />
solcher Ausschüsse gelang nicht, dokumentiert ist lediglich der erfolglose<br />
Versuch der Gründung von »Lohnkommissionen« anlässlich der Tarifause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
im August 1952, mit denen die <strong>KPD</strong> - nach e<strong>in</strong>er Urabstimmung der IG<br />
Metall, <strong>in</strong> der das Arbeitgeberangebot angenommen worden war - versuchte, e<strong>in</strong>e<br />
Fortsetzung des Lohnkonflikts zu erreichen. 282<br />
Innerhalb der Betriebsgruppe war dieser Kurs umstritten. Ab Ende 1951 wurden<br />
Konflikte deutlich, die sich zum e<strong>in</strong>en an der These 37 und dem Umgang mit<br />
der Reversfrage entzündeten, zum anderen an der Frage der Politisierung, d.h. der<br />
Thematisierung überbetrieblicher Probleme. <strong>Die</strong>se Konflikte wurden im wesentlichen<br />
wiederum zwischen e<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong>flussreichen Betriebsgruppenmitgliedern<br />
und Betriebsräten e<strong>in</strong>erseits und dem Sekretariat andererseits ausgetragen. Anders<br />
als bei B<strong>org</strong>ward jedoch zeigten sich die Differenzen auch <strong>in</strong>nerhalb der Betriebsgruppe.<br />
Im Zentrum der Kritik des Sekretariats standen vor allem die Betriebsräte Bernd<br />
Priemer - außerdem Leiter der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe - und He<strong>in</strong>rich Weber, die bei-<br />
277 Ebenda, S. 154. Zum Verlauf dieser Konflikte 1951/52 ebenda, S. 150ff.<br />
278 AG-Weser-Kollegen müssen Kampfausschüsse bilden, Tribüne der Demokratie, 14.12.1951. Den <strong>in</strong> diesem<br />
Artikel geäußerten Vorwurf gegen Klatte, er habe private Vere<strong>in</strong>barungen mit der Werksleitung getroffen,<br />
musste die Betriebsgruppe später - nach e<strong>in</strong>er entsprechenden Veröffentlichung <strong>in</strong> der SPD-<br />
Betriebsgruppenzeitung - wieder zurücknehmen (Werftecho, Nr. 1, Januar 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/12).<br />
279 Werftecho, Nr. 9, Juli 1951, <strong>in</strong> SAPMO I 10/20/12. <strong>Die</strong>ses Werftecho war noch ke<strong>in</strong>e explizite Veröffentlichung<br />
der Betriebsgruppe AG »Weser«, sondern war für alle Werftarbeiter im Land <strong>Bremen</strong> gedacht,<br />
evtl. sogar (dies geht aus vorhergehenden Ausgaben hervor) nur für die <strong>in</strong> Bremerhaven.<br />
280 Ebenda.<br />
281 AG-Weser-Kollegen müssen Kampfausschüsse bilden, Tribüne der Demokratie, 14.12.1951.<br />
282 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 153.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 247<br />
de die Reverse der IG Metall zur These 37 unterzeichnet hatten. 283 Das Sekretariat<br />
berichtete zwar bereits im Dezember 1951 »dass die Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre,<br />
die den Revers unterschrieben haben, zugeben, dass das e<strong>in</strong><br />
großer Fehler war«, 284 die Differenzen waren damit aber noch nicht beendet. Anlässlich<br />
<strong>in</strong>nerbetrieblicher Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die Verweigerung von Überstunden<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Ressorts und die Höhe des Weihnachtsgeldes Mitte Dezember<br />
1951 warf das Sekretariat allen fünf Betriebsräten der <strong>KPD</strong> vor, sie hätten »durch<br />
ihre opportunistische Haltung die Entwicklung der Bewegung« gegen die Überstunden<br />
gehemmt. 285<br />
<strong>Die</strong> Differenzen wurden <strong>in</strong> der Folgezeit zunächst <strong>in</strong> weiteren <strong>in</strong>ternen Diskussionen<br />
ausgetragen. Im Mai 1952 wurde die Betriebsgruppenleitung mit Bernd<br />
Priemer an der Spitze ausgewechselt. 286 Deutlich wurden nun auch die <strong>in</strong>ternen<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzungen auf der AG »Weser«. Als Hermann Prüser 287 - neuer Erster<br />
Sekretär der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe, der später e<strong>in</strong>e wichtige Rolle beim Werftarbeiterstreik<br />
1953 spielen sollte - im Juni 1952 auf e<strong>in</strong>er Ressortversammlung entsprechend<br />
der oben geschilderten Parteil<strong>in</strong>ie zur Wahl e<strong>in</strong>es »Kampfausschusses« aufforderte,<br />
war es se<strong>in</strong> eigener Genosse He<strong>in</strong>rich Weber, der dies als Versammlungsleiter<br />
verh<strong>in</strong>derte. 288 Für das Sekretariat war dies der Anlass, nunmehr verschärft<br />
gegen »den Opportunismus der Betriebsräte« vorzugehen. Weber und Priemer hätten<br />
es »seit e<strong>in</strong>em Jahr verstanden, die Partei immer wieder an der Nase<br />
herumzuführen«. 289 Man müsse »jetzt offensiv gegen sie v<strong>org</strong>ehen mit dem Ziel, sie<br />
aus der Partei auszuschließen. Man muss den Kollegen klarmachen, dass sie<br />
arbeiterfe<strong>in</strong>dlich handeln, dass sie schuld s<strong>in</strong>d, wenn es ke<strong>in</strong>e Lohnerhöhung gibt<br />
usw.«. 290 Das Sekretariat beauftragte Wilhelm Meyer-Buer, »geme<strong>in</strong>sam mit dem<br />
Kreis-Sekretariat <strong>Bremen</strong> und der Betriebsgruppe AG »Weser« Maßnahmen<br />
vorzubereiten, die den Ausschluss aus der Partei der Opportunisten Priemer,<br />
Naud<strong>in</strong>g und Weber zum Ziel haben«. 291 Der Ausschlussversuch verlief jedoch<br />
offenbar erfolglos. Zum<strong>in</strong>dest im Falle Webers gab es Widerstände vom<br />
zuständigen Kreissekretariat, das der Me<strong>in</strong>ung war, Weber dürfe noch nicht<br />
ausgeschlossen werden. Es sei »festgelegt worden«, so berichtete Wilhelm Meyer-<br />
Buer über se<strong>in</strong>e Gespräche mit der Kreisleitung, »dass mit dem Genossen Weber<br />
e<strong>in</strong>e Aussprache stattf<strong>in</strong>det. [...] Es soll erreicht werden, dass sich Weber aktiv am<br />
Kampf gegen die opportunistischen Elemente beteiligt. <strong>Die</strong> Genossen der<br />
283 Politischer Wochenbericht der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> [8. Dezember 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11;<br />
Bericht über <strong>Bremen</strong> aus der Zeit vom 20.11.-18.12.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
284 Politischer Wochenbericht der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> [8. Dezember 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
285 Politischer Wochenbericht v. Montag, d. 17.12 bis Sonnabend, d. 22.12.51, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/11.<br />
286 Politischer Wochenbericht des Sekretariats der LL vom 17. bis 23. Mai 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />
287 Hermann Prüser (1903-1989): Masch<strong>in</strong>enbauer, Werftarbeiter. <strong>KPD</strong>, 1928-1933 Mitglied der Bremischen<br />
Bürgerschaft, 1933-1935 illegale Arbeit und Haft, 1935 bis <strong>1968</strong> AG »Weser«, 1953 Betriebsratsvorsitzender,<br />
seit <strong>1968</strong> DKP.<br />
288 Politischer Wochenbericht v. 22. - 29.6.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11; Protokoll der Sekretariats-Sitzung am 3.<br />
Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
289 Protokoll der Sekretariats-Sitzung am 3. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
290 Ebenda.<br />
291 Ebenda.
248<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
schen Elemente beteiligt. <strong>Die</strong> Genossen der Kreisleitung s<strong>in</strong>d der Me<strong>in</strong>ung, dass<br />
man Weber mit den anderen nicht auf e<strong>in</strong>e Stufe stellen kann.« 292 Ob von den anderen<br />
betroffenen Betriebsräten <strong>in</strong> der Folgezeit jemand ausgeschlossen wurde, ist<br />
anhand der Quellen nicht genau festzustellen. Das Sekretariat schien die Ausschlüsse<br />
jedoch nicht mehr zu forcieren. Im Februar 1953 kritisierte Hermann Gautier<br />
im Sekretariat zwar erneut die Betriebsräte auf der AG »Weser« und warf ihnen<br />
sogar die Anwendung von »Agentenmethoden« vor. Das Sekretariat könne jedoch<br />
»nicht beschließen über den Ausschluss gegen solche Genossen, das ist Angelegenheit<br />
der Betriebsgruppe. Ihre Haltung muss man offen <strong>in</strong> der Presse unter Kritik<br />
stellen.« 293 Im April 1953 berichtete das Sekretariat, man sei auf der AG »Weser«<br />
»im verstärkten Maße gegen Opportunismus, Sektierertum und Sozialdemokratismus<br />
durch offene Kritik <strong>in</strong>nerhalb der Betriebsgruppe und im Betrieb v<strong>org</strong>egangen.<br />
Wir hatten hier von 12 Betriebsräten 5 Genossen, die aber, bis auf e<strong>in</strong>en, <strong>in</strong> der Praxis<br />
die Politik des sozialdemokratischen Betriebsratsvorsitzenden - Ruhe im Betrieb,<br />
Lohnbewegung abwürgen usw. - mitmachten«. E<strong>in</strong>er dieser Betriebsräte sei <strong>in</strong>zwischen<br />
»raus aus der Partei, zwei andere werden folgen«. 294<br />
Adm<strong>in</strong>istrative Maßnahmen ergriff das Sekretariat also offenbar nicht mehr. Sie<br />
wären angesichts der seit Anfang 1953 auf der Werft sichtbar werdenden Entwicklungen,<br />
die schließlich zu e<strong>in</strong>em sechswöchigen Werftarbeiterstreik führten, auch<br />
überflüssig gewesen, da die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> diesen Ereignissen e<strong>in</strong>e zentrale Rolle spielte<br />
und mit e<strong>in</strong>igen ihrer Positionen auf die Zustimmung der Mehrheit der Belegschaft<br />
traf.<br />
Nach kle<strong>in</strong>eren Arbeitsniederlegungen anlässlich der Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
um das Weihnachtsgeld im November/Dezember 1952 und e<strong>in</strong>em halbstündigen<br />
Streik der Brenner und Schweißer im Januar 1953 verschärfte sich die Lage auf der<br />
Werft Ende Januar 1953. Rationalisierungspläne der Direktion, die e<strong>in</strong>e Verdreifachung<br />
der Arbeitsleistungen vorsahen und erhebliche gesundheitliche Belastungen<br />
der betroffenen Arbeiter zur Folge gehabt hätten, führten zu spontanen, im wesentlichen<br />
von den Brennern und Schweißern ausgehenden Proteststreiks. 295 Am 30.<br />
Januar demonstrierten 3.000 Arbeiter vor dem Verwaltungsgebäude der Werft, forderten<br />
die Rücknahme der Pläne und stellten Forderungen nach e<strong>in</strong>er Veränderung<br />
des Akkordsystems. Auf e<strong>in</strong>er von der Demonstration ebenfalls geforderten, von<br />
Werftleitung und Betriebsrat aber lange h<strong>in</strong>ausgezögerten Betriebsversammlung<br />
am 17. Februar lehnte der Werftdirektor Schliephake, von dem die Rationalisierungspläne<br />
stammten, die Forderungen der Arbeiter ab, woraufh<strong>in</strong> die Brenner<br />
und Schweißer <strong>in</strong> den Streik traten. <strong>Die</strong>sen von drei Schichten geführten Ausstand<br />
beantworte die Werftleitung am folgenden Tage mit der Entlassung der gesamten<br />
292 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 11. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />
293 Protokoll der L.S.S. v. 19.2.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
294 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> [18.4.53], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
295 Vgl. ausführlich Andree Postel, »Alles annere is Tünkrom und ward aflehnt!«. Der Bremer Werftarbeiterstreik<br />
1953 - ArbeiterInnen zwischen Klassenkampf und Antikommunismus, Hausarbeit im Rahmen<br />
der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien, Gött<strong>in</strong>gen 1995, S. 68ff.; He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen,<br />
Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 155.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 249<br />
Nachtschicht der Brenner und Schweißer, <strong>in</strong>sgesamt 94 Arbeiter. Betriebsrat und<br />
Gewerkschaftsleitung stimmten der Entlassung zunächst zu, handelten aber<br />
schließlich doch auf Druck der betroffenen Abteilung mit der Direktion die Wiedere<strong>in</strong>stellung<br />
von 42 Arbeitern aus. 296<br />
<strong>Die</strong>se Ause<strong>in</strong>andersetzungen zum Jahresanfang 1953 waren im wesentlichen<br />
von den Brennern und Schweißern ausgegangen, unter denen der E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong><br />
traditionell groß war. 297 Klares Indiz für e<strong>in</strong> wachsendes Gewicht der Kommunisten<br />
<strong>in</strong> der Belegschaft war auch die Wahl der Vertrauensmänner Anfang Februar<br />
1953. Es wurden 22 <strong>KPD</strong>-Kandidaten gewählt (von <strong>in</strong>sgesamt 70 Vertrauensmännern).<br />
298 Zuvor war die Partei lediglich mit »6-8 Genossen« im Vertrauensmännerkörper<br />
vertreten gewesen. 299 Zum Vorsitzenden des Vertrauensmännerkörpers<br />
wurde mit Hermann Prüser ebenfalls e<strong>in</strong> Kommunist gewählt. 300<br />
Alle drei V<strong>org</strong>änge - die Radikalisierung der Belegschaft <strong>in</strong>folge verschärfter<br />
Arbeits- und Lohnbed<strong>in</strong>gungen, der zunehmende E<strong>in</strong>fluss der Kommunisten und<br />
die Wahl von Hermann Prüser zum Vertrauensobmann - h<strong>in</strong>gen eng mite<strong>in</strong>ander<br />
zusammen und kündigten die kurze Zeit später folgenden Ereignisse an. Mitte Februar<br />
kündigte die IG Metall aufgrund des Drucks der AG »Weser«-Belegschaft den<br />
Tarifvertrag für die Werft<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven. 301 Forderungen<br />
der Gewerkschaft waren u.a. die Erhöhung des Ecklohns um acht Pfennig pro<br />
Stunde, e<strong>in</strong>e Anhebung der Verdienste der Zeitlohnarbeiter, Erhöhung der Angestelltengehälter<br />
sowie e<strong>in</strong>e Erhöhung der Lehrl<strong>in</strong>gsbezüge und deren E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />
<strong>in</strong> den Tarifvertrag. 302 <strong>Die</strong> Verhandlungen für die <strong>in</strong>sgesamt 17.000 Beschäftigten<br />
scheiterten am 16. April 1953, da die Unternehmer diese Forderungen sämtlich ablehnten.<br />
303 <strong>Die</strong> daraufh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>berufenen Vertrauensmännerversammlungen der<br />
Werften beschlossen die Durchführung e<strong>in</strong>er Urabstimmung, bei der schließlich am<br />
22. April 1953 91,9 Prozent der <strong>org</strong>anisierten Werftarbeiter für den Streik stimmten.<br />
304 Am 25. April 1953 traten die 14.000 Werftarbeiter <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Bremerhavengeschlossen<strong>in</strong>denAusstand.<br />
Genau mit Streikbeg<strong>in</strong>n fanden auf der AG »Weser« vom 24. bis 27. April die<br />
Betriebsratswahlen statt, deren Ergebnis den Ereignissen während des Streiks wie<br />
auch darüber h<strong>in</strong>aus zusätzliche Dynamik und Konfliktpotentiale gab. <strong>Die</strong> Wahlen<br />
296 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 156.; Andree Postel,<br />
»Alles annere is Tünkrom und ward aflehnt!«, a.a.O., S. 71.<br />
297 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 156.<br />
298 Protokoll der L.L.S. v. 12.2.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8; E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats<br />
<strong>Bremen</strong> [18.4.53], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
299 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 16.1.-11.2.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />
300 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> [18.4.53], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8; Hermann Prüser,<br />
Werftarbeiterstreik und Absetzung des Betriebsrats. <strong>Die</strong> AG »Weser« 1952/53, <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen<br />
und Almut Schwerd (Hrsg.): Zeitzeugen berichten, a.a.O., S. 57-63, hier S. 58.<br />
301 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 156f.<br />
302 Andree Postel, »Alles annere is Tünkrom und ward aflehnt!«, a.a.O., S. 73; He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen<br />
Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 157.<br />
303 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 157.<br />
304 Ebenda.
250<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
brachten e<strong>in</strong>e klare Mehrheit für die <strong>KPD</strong>: Von <strong>in</strong>sgesamt 19 Betriebsräten stellte sie<br />
nun zwölf, die SPD drei, der Rest war parteilos. 305 Zum Betriebsratsvorsitzenden<br />
wurde Hermann Prüser gewählt, womit zum ersten Mal seit <strong>1945</strong> e<strong>in</strong> Kommunist<br />
diese Funktion auf der Werft bekleidete.<br />
Besondere Brisanz hatte die Wahl Prüsers <strong>in</strong>nergewerkschaftlich, h<strong>in</strong>sichtlich<br />
des Verhältnisses zwischen <strong>KPD</strong> auf der e<strong>in</strong>en sowie SPD und IG Metall auf der<br />
anderen Seite. <strong>Die</strong> IG Metall hatte Prüser bereits im März 1953 anlässlich dessen<br />
Wahl zum Vertrauensmännerobmann den Revers zur These 37 v<strong>org</strong>elegt. 306 Prüser<br />
unterschrieb nicht, woraufh<strong>in</strong> der IG Metall Hauptvorstand ihm am 10. April 1953<br />
jegliche gewerkschaftliche Funktionärstätigkeit untersagte. 307 »Obgleich die Mitgliedschaft<br />
im Betriebsrat, der ja ke<strong>in</strong> gewerkschaftliches Gremium ist, davon natürlich<br />
unberührt blieb, kann man sich die komplizierte Situation vorstellen, die<br />
nun entstand: E<strong>in</strong> von der IG Metall mit Funktionsverbot belegtes Mitglied wird<br />
Betriebsratsvorsitzender <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der wichtigsten Bremer Großbetriebe.« 308 H<strong>in</strong>zu<br />
kam, dass der neue Betriebsrat sich erst nach dem Streik konstituieren konnte, währenddessen<br />
also der alte mit dem sozialdemokratischen Vorsitzenden Theodor Klatte<br />
weiter amtierte. Auch dies musste zu Konflikten führen, »zumal der nicht wiedergewählte<br />
ehemalige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Labuske von der<br />
IGM als Streikleiter e<strong>in</strong>gesetzt wurde«. 309<br />
Für die <strong>KPD</strong> war die Wahl <strong>in</strong> zweifacher H<strong>in</strong>sicht bedeutsam. Neben dem großen<br />
Erfolg, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em für die Partei besonders zentralen Betrieb die klare Mehrheit<br />
im Betriebsrat sowie den Betriebsratsvorsitzenden zu stellen und damit erstmals<br />
seit Verabschiedung der These 37 e<strong>in</strong>e verme<strong>in</strong>tliche Bestätigung für die radikalisierte<br />
und politisierte Gewerkschaftspolitik erhalten zu haben, musste die Wahl<br />
Prüsers der Parteileitung auch als Erfolg <strong>in</strong>nerhalb bei den 1952/53 ausgetragenen<br />
Konflikten mit den »Opportunisten« <strong>in</strong> der eigenen Betriebsgruppe ersche<strong>in</strong>en.<br />
Prüser war der Vertreter der Betriebsgruppe, der bereits vor dem Streikbeg<strong>in</strong>n am<br />
ehesten versucht hatte, die Parteil<strong>in</strong>ie auf der AG »Weser« umzusetzen, vere<strong>in</strong>zelt<br />
sogar gegen den Widerstand von Weber und Priemer. Er hatte außerdem im Gegensatz<br />
zu diesen beiden den Revers der IG Metall nicht unterschrieben und daher<br />
gewerkschaftliches Funktionsverbot, war aber dennoch - <strong>in</strong> den Augen des <strong>KPD</strong>-<br />
Sekretariats vielleicht auch gerade deswegen - gewählt worden.<br />
<strong>Die</strong>se Ausgangslage - die e<strong>in</strong>e wesentlich günstigere war als noch beim Metallarbeiterstreik<br />
1951 - konnte die <strong>KPD</strong> nur als Ermutigung und gute Voraussetzung<br />
für e<strong>in</strong>e Gestaltung des Streiks <strong>in</strong> ihrem S<strong>in</strong>ne und e<strong>in</strong>e Zuspitzung des Konflikts<br />
305 Ebenda. E<strong>in</strong>e Übersicht über die Ergebnisse aller Werften im Lande <strong>Bremen</strong> gab auch e<strong>in</strong> <strong>KPD</strong>-<br />
Instrukteursbericht, der sogar von lediglich zwei von vormals acht Mandaten für die SPD sprach (Vorläufige<br />
Übersicht über das Ergebnis der Betriebsrätewahlen <strong>in</strong> den Werften im Land <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
11/20/14).<br />
306 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und die Absetzung des Betriebsrates<br />
der AG »Weser« 1953, <strong>in</strong>: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 5.<br />
Jahrgang, Heft 2, April 1990, S. 36-59, hier S. 41.<br />
307 Ebenda, S. 42f.<br />
308 Ebenda, S. 42.<br />
309 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 158.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 251<br />
mit den »rechten Gewerkschaftsführern« <strong>in</strong>terpretieren. Und tatsächlich wurde die<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischen SPD und IG Metall e<strong>in</strong>erseits und <strong>KPD</strong> andererseits<br />
zu e<strong>in</strong>em zentralen Thema des Streiks, der bis zum 10. Juni 1953 dauerte und damit<br />
der bis dah<strong>in</strong> längste <strong>in</strong> der Geschichte der Bundesrepublik war. 310<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> trat im Streik von Anfang an auf der Grundlage ihrer radikalisierten<br />
gewerkschaftspolitischen L<strong>in</strong>ie seit 1950/51 auf. 311 <strong>Die</strong> strategischen Rollen der unterschiedlichen<br />
Beteiligten waren dabei offenbar verteilt. <strong>Die</strong> Verquickung des<br />
Streiks mit dem »Kampf gegen das Adenauerregime«, mit den deutschlandpolitischen<br />
Themen also, geschah weitestgehend durch das Sekretariat und <strong>in</strong> der Tribüne<br />
der Demokratie. Bereits zwei Tage nach Streikbeg<strong>in</strong>n fasste Hermann Gautier <strong>in</strong><br />
der Parteizeitung die Sichtweise des Sekretariats unter der Überschrift »Werftarbeiterstreik<br />
- Aktion gegen das Adenauerregime« zusammen. 312 Mit der Durchsetzung<br />
der Lohnforderungen werde »die Verwirklichung der Generalvertragspolitik erheblich<br />
gefährdet«, so Gautier. Dementsprechend hatte das Sekretariat schon am Tag<br />
des Streikbeg<strong>in</strong>ns auf e<strong>in</strong>er eiligst e<strong>in</strong>berufenen »Versammlung der Genossen Metallarbeiter«<br />
vier verschiedene Maßnahmen als »wichtigste Aufgabe« der Partei <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> deklariert, von denen lediglich die vierte und letzte wenigstens ansatzweise<br />
die lohnpolitischen Ziele des Streiks ansprach (»Wahrung der e<strong>in</strong>heitlichen<br />
Kampffront für die gewerkschaftlichen M<strong>in</strong>destforderungen! Ke<strong>in</strong>e neuen Lohnforderungen!«).<br />
An erster Stelle der Maßnahmen stand explizit die Orientierung auf<br />
die politischen Ziele: »Der wirtschaftliche Kampf der Arbeiter <strong>in</strong> den Betrieben,<br />
<strong>in</strong>sbesondere jetzt der Werftarbeiter, muss auf der Grundlage des Programms der<br />
Nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands eng verbunden werden mit den politischen<br />
Ursachen.« 313 Es folgten der damit im engen Zusammenhang stehende<br />
»Kampf gegen das BVG [Betriebsverfassungsgesetz]« sowie die »ständige systematische<br />
Aufklärungsarbeit« unter den streikenden Werftarbeitern.<br />
Frühzeitig forderte die <strong>KPD</strong> die Ausweitung des Streiks auf andere Bremer und<br />
sogar westdeutsche Betriebe. Bereits <strong>in</strong> der ersten Stellungnahme <strong>in</strong> der Tribüne der<br />
Demokratie hatte Hermann Gautier erklärt: »Für die gesamte Arbeiterschaft Westdeutschlands<br />
sollte der Streik der Werftarbeiter das Signal se<strong>in</strong>, ebenfalls zum aktiven<br />
Kampf gegen die Adenauerpolitik überzugehen«. 314 Am Vorabend des 1. Mai<br />
310 Der Streikverlauf ist <strong>in</strong> der Literatur ausreichend aufgearbeitet und wird hier nicht weiter geschildert.<br />
Vgl. ausführlich Andree Postel, »Alles annere is Tünkrom und ward aflehnt!«, a.a.O. Außerdem:<br />
He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 157ff.; He<strong>in</strong>z-Gerd<br />
Hofschen, Werfarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und die Absetzung des Betriebsrats der AG<br />
»Weser« 1953, a.a.O.; für <strong>Bremen</strong>-Nord: Joachim Oltmann, Kalter Krieg und kommunale Integration.<br />
Arbeiterbewegung im Stadtteil <strong>Bremen</strong>-Vegesack <strong>1945</strong>-1956, Marburg a.d. Lahn 1987, S. 453ff.<br />
311 <strong>Die</strong> Rekonstruktion der Rolle und Ziele der <strong>KPD</strong> während des Werftarbeiterstreiks kann weitgehend<br />
nur auf Basis ihrer Veröffentlichungen (u.a. <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie, Werft-Echo, Flugblätter etc.)<br />
erfolgen. Exakt für die gesamte Dauer des Streiks fehlen <strong>in</strong> den vorliegenden Aktenbeständen die Protokolle<br />
des Landessekretariats wie auch die der Landesleitung. Interne Diskussionen lassen sich deshalb<br />
nur <strong>in</strong>direkt erschließen.<br />
312 Werftarbeiterstreik - Aktion gegen das Adenauerregime, Tribüne der Demokratie, 27.4.1953.<br />
313 Werftarbeiterstreik br<strong>in</strong>gt Adenauer dem Sturz näher, Tribüne der Demokratie, 29.4.1953.<br />
314 Werftarbeiterstreik - Aktion gegen das Adenauerregime, Tribüne der Demokratie, 27.4.1953.
252<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
1953 forderte die Landesleitung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Flugblatt an alle »Arbeiter und Angestellte<br />
im Lande <strong>Bremen</strong>« dazu auf, sich »mit den kämpfenden Werftarbeitern solidarisch<br />
zu erklären« und »noch heute... <strong>in</strong> Branchen und Abteilungsversammlungen<br />
die sofortige E<strong>in</strong>reihung <strong>in</strong> die Kampffront der Werftarbeiter« zu verlangen. 315<br />
Zehn Tage nach Streikbeg<strong>in</strong>n forderte die Tribüne der Demokratie auf der Titelseite,<br />
»Metall- und Hafenarbeiter müssen sich <strong>in</strong> die Kampffront der Werftarbeiter e<strong>in</strong>reihen!«<br />
316, und Hermann Gautier machte e<strong>in</strong>en Tag später unter der Überschrift<br />
»<strong>Die</strong> Streikfront muss erweitert werden« erneut deutlich, dass damit nicht nur die<br />
Bremer Betriebe geme<strong>in</strong>t waren:<br />
»<strong>Die</strong> Hafenarbeiter, die Arbeiter der übrigen Metall<strong>in</strong>dustrie sowie besonders die Werftarbeiter<br />
<strong>in</strong> Hamburg, Schleswig-Holste<strong>in</strong>, die selbst Lohnforderungen gestellt haben, müssen jetzt<br />
den Kampf zur Durchsetzung ihrer eigenen Forderungen auslösen. Das wäre für die Erfüllung<br />
ihrer gerechten Forderungen der geeignetste Zeitpunkt und wäre zugleich die beste Unterstützung<br />
für die kämpfenden Werftarbeiter an der Weser«. 317<br />
Während also die Parteileitung von Anfang an auch die übergeordnete politische<br />
Bedeutung des Streiks hervorhob und ihn <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne ausweiten wollte,<br />
blieben solche Forderungen und Aussagen <strong>in</strong> den Veröffentlichungen der Betriebsgruppe<br />
auf der AG »Weser« und den übrigen Werften weitgehend im H<strong>in</strong>tergrund.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Betriebszeitung Werft-Echo konzentrierte sich auf Informationen über den<br />
Streikverlauf und auf die Forderungen nach konsequenter Durchsetzung der gewerkschaftlichen<br />
Ziele, bei gleichzeitig scharfen Angriffen gegen die »rechten Gewerkschaftsführer«.<br />
318 <strong>Die</strong>s war e<strong>in</strong>e relativ basisnahe Orientierung der <strong>KPD</strong> an<br />
den unmittelbaren Interessen der streikenden Arbeiter, die ke<strong>in</strong>eswegs im Widerspruch<br />
zu den politischen Äußerungen der Parteileitung stand, sondern nur e<strong>in</strong>e<br />
unterschiedliche Rollenverteilung und vielleicht unterschiedliche Interessensschwerpunkte<br />
offenbarte: hier die Parteileitung, die ihre Instrumentalisierungspolitik<br />
zum Kern ihrer Aktivitäten machte, dort die Betriebsgruppe, die unmittelbarer<br />
im Geschehen stand und eher zwischen Partei-, Gewerkschafts- und Belegschafts<strong>in</strong>teressen<br />
lavieren musste.<br />
E<strong>in</strong> zentraler Punkt <strong>in</strong> Agitation und Handlungsweise der <strong>KPD</strong> auf der Werft<br />
während des Streiks war - und hier gab es ke<strong>in</strong>erlei Unterschiede zur Parteileitung<br />
und zur Tribüne der Demokratie - die scharfe Kritik an der Gewerkschafts- und<br />
Streikleitung. <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung entzündete sich dabei zunächst an der von<br />
der <strong>KPD</strong> von Beg<strong>in</strong>n des Streiks an geforderte Bildung e<strong>in</strong>er betrieblichen Streikleitung.<br />
<strong>Die</strong>s war zum e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e Forderung, die deutlich <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>ie der seit 1951/52<br />
von der Partei propagierten Bildung von »Kampfausschüssen« stand. Zum anderen<br />
richtete sie sich gegen die durch die Gewerkschaft gebildete zentrale Streikleitung,<br />
an der die <strong>KPD</strong> nicht beteiligt war und die von dem gerade abgewählten stellvertretenden<br />
Betriebsratsvorsitzenden Labuske (SPD) geführt wurde. Aus beiden<br />
315 Arbeiter und Angestellte im Lande <strong>Bremen</strong>!, Flugblatt der <strong>KPD</strong>-Landesleitung, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13.<br />
316 Feste Aktionse<strong>in</strong>heit der Werft-Streikfront, Tribüne der Demokratie, 5.5.1953.<br />
317 <strong>Die</strong> Streikfront muss erweitert werden, Tribüne der Demokratie, 6.5.1953.<br />
318 Vgl. die Ausgaben des Werft-Echo, Sonderausgabe, Informationsdienst der streikenden Werftarbeiter, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 10/20/13.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 253<br />
Gründen heraus war es für die <strong>KPD</strong> naheliegend, die Gründung e<strong>in</strong>er von ihr dom<strong>in</strong>ierten<br />
betrieblichen Streikleitung zu versuchen. Bereits unmittelbar vor Beg<strong>in</strong>n<br />
des Ausstands hatte die Betriebsgruppe AG »Weser« <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Flugblatt ebensolches<br />
gefordert und der Bremer Gewerkschaftsleitung Willkür bei der E<strong>in</strong>setzung<br />
der zentralen Streikleitung v<strong>org</strong>eworfen. 319 Auch <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie war<br />
kurz zuvor betont worden, e<strong>in</strong>e betriebliche Streikleitung sei notwendig für e<strong>in</strong>en<br />
»erfolgreichen Kampf«. 320 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> maß dieser gegen die Streikführung der IG Metall<br />
gerichteten Forderung oberste Priorität zu. Hermann Gautier hatte sofort nach<br />
Streikbeg<strong>in</strong>n die Schaffung »betrieblicher Kampf<strong>org</strong>ane« und die Erweiterung der<br />
zentralen Streikleitung durch »die Wahl von klassenbewussten, klarsehenden und<br />
mutigen Kollegen aus der Belegschaft« gefordert. 321 E<strong>in</strong>em SED-Instrukteur zufolge<br />
hatte das Sekretariat auch darauf gedrängt, die Streikleitungen bereits vor Streikbeg<strong>in</strong>n<br />
zu gründen, was aber an den »Genossen <strong>in</strong> den Betrieben« gescheitert sei. 322<br />
<strong>Die</strong> Gründung der betrieblichen Streikleitung auf der AG »Weser« erfolgte<br />
schließlich am 30. April 1953, also fünf Tage nach Streikbeg<strong>in</strong>n. 323 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> fühlte<br />
sich dazu vermutlich auch durch das kurz zuvor bekanntgegebene Ergebnis der Betriebsratswahl<br />
ermutigt. <strong>Die</strong> Konfrontation zur IG Metall war nun offensichtlich<br />
und sollte auch als solche verstanden werden. <strong>Die</strong>s verdeutlichten die von der <strong>KPD</strong><br />
gegebenen Begründungen. <strong>Die</strong> Tribüne der Demokratie schrieb, die Belegschaft erwarte<br />
von dieser betrieblichen Streikleitung, »dass die Fehlentscheidungen der<br />
Streikbruchleitung, die von den rechten Gewerkschaftsführern zusammengeschoben<br />
ist, sofort korrigiert und e<strong>in</strong>e Wiederholung solcher Fehler verh<strong>in</strong>dert wird«. 324<br />
Noch schärfer war der Ton der Begründung im Werft-Echo, <strong>in</strong> dem die Ernennung<br />
der Streikleitung durch den IG-Metall-Ortsvorstand mit Methoden der nationalsozialistischen<br />
DAF und dem »preußischen Kommiss« verglichen wurde. 325<br />
<strong>Die</strong> Partei hatte mit diesem unabhängig von der Gewerkschaft gegründeten betrieblichen<br />
Organ natürlich Legitimationsprobleme. <strong>Die</strong> Formulierung <strong>in</strong> der Tribüne<br />
der Demokratie hatte noch bewusst den E<strong>in</strong>druck erweckt, als handelte es sich um<br />
e<strong>in</strong>e von der gesamten Belegschaft gewählte Streikleitung (»<strong>Die</strong> AG-Weser Belegschaft<br />
wählte am Donnerstag aus ihrer Mitte nach demokratischen Grundsätzen e<strong>in</strong>e<br />
eigene Streikleitung«). 326 Das Werft-Echo gab dagegen zu, die Streikleitung sei<br />
»noch nicht von der gesamten Belegschaft gewählt und muss noch erweitert wer-<br />
319 Kollegen der AG-Weser, Flugblatt, o.O., o.J., <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13.<br />
320 Zum Streik um höheren Lohn entschlossen, Tribüne der Demokratie, 22.4.1953.<br />
321 Werftarbeiterstreik - Aktion gegen das Adenauerregime, Tribüne der Demokratie, 27.4.53.<br />
322 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 21.4. bis 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />
323 Verschärfter Kampf der Bremer Werftarbeiter, Tribüne der Demokratie, 2./3. Mai 1953.<br />
324 Verschärfter Kampf der Bremer Werftarbeiter, Tribüne der Demokratie, 2./3. Mai 1953. Der Vorwurf der<br />
»Streikbruchleitung« bezog sich auf e<strong>in</strong> Ereignis zwei Tage zuvor: Der Streikleiter der IG Metall Labuske<br />
hatte, nach Darstellung der <strong>KPD</strong>, e<strong>in</strong>e »Streikbrecherkolonne« angeführt und versucht, ihr Zugang<br />
zur Werft zu verschaffen (Lohnkampf - Kampf um demokratische Rechte, Tribüne der Demokratie,<br />
30.4.1953).<br />
325 Werft-Echo! Sonderausgabe, Informationsdienst der streikenden Werftarbeiter, Nr. 6, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13.<br />
326 Verschärfter Kampf der Bremer Werftarbeiter, Tribüne der Demokratie, 2./3. Mai 1953.
254<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
den«. Sie sei aber »überhaupt gewählt im Gegensatz zu dem e<strong>in</strong>gesetzten Streikleiter<br />
Labuske«. 327<br />
<strong>Die</strong> zunächst ausschließlich aus Kommunisten bestehende Streikleitung versuchte<br />
denn auch, sich möglichst schnell e<strong>in</strong>e breitere Legitimationsbasis zu verschaffen.<br />
Streikversammlungen auf der Werft wurden von der IG Metall nach wie<br />
vor verweigert und fanden <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nicht e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Mal statt. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>, die dies<br />
während des gesamten Streiks scharf kritisierte, versuchte durch eigene Werftarbeiterversammlungen<br />
diese Blockade zu umgehen und der eigenen Streikleitung mehr<br />
Breite und Legitimation zu verschaffen. 328 Sie scheiterte damit aber weitgehend.<br />
<strong>Die</strong> Partei konnte zu den eigenen Versammlungen nicht mehr als 250 bis 500 AG<br />
»Weser«-Arbeiter mobilisieren. 329 »<strong>Die</strong> betriebliche Streikleitung konnte sich während<br />
des Streiks«, schrieb e<strong>in</strong> SED-Instrukteur, »nicht die erforderliche Autorität<br />
erkämpfen, um alle Werftarbeiter der AG Weser geschlossen h<strong>in</strong>ter sich zu br<strong>in</strong>gen.«<br />
330 »Trotz Bemühungen« sei es ihr nicht gelungen, »sich wirklich an die Stelle<br />
des von der zentralen Streikleitung beauftragten Labuske zu setzen sondern sie hat<br />
ihre Arbeiten neben ihm durchgeführt«. 331 Dementsprechend waren die Handlungsspielräume<br />
der kommunistischen Streikleitung weitgehend beschränkt auf<br />
Stellungnahmen zum Streikverlauf, Entsendung von Delegationen »<strong>in</strong> den Hafen<br />
zur Verh<strong>in</strong>derung von Streikbrucharbeiten« und das Aufsuchen von Betriebsräten<br />
»von größeren Firmen zur Entwicklung der Solidaritätsbewegung«. 332<br />
<strong>Die</strong>se »Solidaritätsbewegung« war der zweite, diesmal nach außen gerichtete<br />
Schwerpunkt der Maßnahmen der <strong>KPD</strong>, mit denen der Streik auf e<strong>in</strong>e möglichst<br />
breite Basis gestellt werden sollte. Auch mit ihnen wurden Konfrontationen zur<br />
Gewerkschaft aufgebaut bzw. verstärkt. <strong>Die</strong> betriebliche Streikleitung rief mit Unterstützung<br />
des DFD den »Zentralen Solidaritätsausschuss« <strong>in</strong>s Leben, der Spenden<br />
der Bremer Bevölkerung und aus der DDR sammelte und an die Streikenden verteilte.<br />
333 Besonders richtete sich dieses Angebot an die nicht <strong>in</strong> der IG Metall <strong>org</strong>anisierten<br />
Werftarbeiter, die von der Gewerkschaft ke<strong>in</strong>e Unterstützung erhielten<br />
und gegen die mit Beg<strong>in</strong>n des Streiks e<strong>in</strong> Mitgliederaufnahmestopp verhängt worden<br />
war. <strong>Die</strong> Realisierung dieser unterstützenden Arbeit der Solidaritätsausschüsse<br />
gelang der <strong>KPD</strong> - trotz massiver Widerstände und Gegenmaßnahmen von Seiten<br />
der IG Metall und des Senats - relativ gut. Auch ist wohl davon auszugehen, dass<br />
durch diese materielle und moralische Unterstützungsleistung gerade die Un<strong>org</strong>anisierten<br />
an den Streik gebunden wurden. <strong>Die</strong> dem Ausschuss darüber h<strong>in</strong>aus von<br />
der <strong>KPD</strong> zugedachten Funktionen - die politische Unterstützung des Streiks <strong>in</strong> der<br />
übrigen Bremer Bevölkerung und se<strong>in</strong>e Ausweitung auf weitere Betriebe - konnte<br />
327 Werft-Echo! Sonderausgabe, Informationsdienst der streikenden Werftarbeiter, Nr. 6, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13.<br />
328 Erweiterte Streikleitung der AG-Weser-Belegschaft gewählt, Tribüne der Demokratie, 11. Mai 1953. Vgl.<br />
auch Andree Postel, »Alles annere is Tünkrom...«, a.a.O., S. 117.<br />
329 Erweiterte Streikleitung der AG-Weser-Belegschaft gewählt, Tribüne der Demokratie, 11. Mai 1953; Andree<br />
Postel, »Alles annere is Tünkrom…”, a.a.O., S. 117.<br />
330 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 21.4. bis 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />
331 Ebenda.<br />
332 Ebenda.<br />
333 Vgl. ausführlich Andree Postel, »Alles annere is Tünkrom..., a.a.O., S. 120ff.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 255<br />
dagegen kaum erfüllt werden. »Im Solidaritätsausschuss«, so der SED-Instrukteur<br />
resümierend, »stand die Frage der Unterstützung allzu sehr im Vordergrund, anstatt<br />
die zur Mitarbeit bereiten Werftarbeiter zur Entwicklung von Solidaritätsstreiks<br />
<strong>in</strong> anderen Betrieben heranzuziehen.« 334<br />
<strong>Die</strong> Politik der <strong>KPD</strong> im Streik war von e<strong>in</strong>er scharfen Agitation gegen die »rechten<br />
Gewerkschaftsführer« begleitet. Dabei wurden vor allem die IG Metall-<br />
Sekretäre Friedrich Düßmann (Ortsvorstand <strong>Bremen</strong>), Karl Wastl (<strong>Bremen</strong>-Nord,<br />
e<strong>in</strong> ehemaliger Kommunist) und He<strong>in</strong>rich Bohnsack (Bezirksleitung Hamburg), aber<br />
auch der eigene Genosse Johann Re<strong>in</strong>ers, 335 scharf angegriffen. Inhaltlich richteten<br />
sich die Angriffe gegen die Streikführung der IG Metall, der die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e zu<br />
große Kompromissbereitschaft und den undemokratischen Charakter der Streikleitung<br />
vorwarf. <strong>Die</strong> Anklagen g<strong>in</strong>gen bis zu der Behauptung, »Düßmann und Labuske<br />
<strong>org</strong>anisieren Streikbruch«. 336 Eigentlicher H<strong>in</strong>tergrund aber war natürlich<br />
die generelle L<strong>in</strong>ie der <strong>KPD</strong>-Politik gegen die »rechten Gewerkschaftsführer«, auf<br />
die während des Streiks immer wieder Bezug genommen wurde. 337<br />
Demgegenüber stand e<strong>in</strong>e Koalition aus IG Metall, SPD, Senat, Justiz und bürgerlicher<br />
Tagespresse, die ihrerseits antikommunistisch motiviert gegen die <strong>KPD</strong><br />
agitierten und handelten. 338 Während des Streiks ergab sich so zwischen IG Metall<br />
und <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e äußerst angespannte Situation, die aber zunächst noch nicht eskalierte.<br />
Nach dem Ende des Streiks jedoch hatte die Konfrontation für die <strong>KPD</strong> und speziell<br />
für Hermann Prüser harte Folgen.<br />
Der Werftarbeiterstreik wurde am 9. Juni 1953 beendet. <strong>Die</strong> IG Metall hatte unter<br />
Vermittlung von Arbeitssenator van Heukelum (SPD) mit den Unternehmern<br />
e<strong>in</strong>e Erhöhung des Ecklohns um fünf Pfennig ausgehandelt. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte konsequent<br />
die Annahme des - nach ihren Worten - »Schandangebots« abgelehnt, warf<br />
den Verhandlungsführern der IG Metall Verrat vor und forderte die Fortsetzung<br />
des Streiks. 339 Mit dieser Forderung nach »Weiterführung des Kampfes bis zur vollen<br />
Erfüllung aller gewerkschaftlichen Forderungen« 340 hatte die Partei die Mehrheit<br />
der gewerkschaftlich <strong>org</strong>anisierten Werftarbeiter auf ihrer Seite. Bei der Urabstimmung<br />
am 8. Juni stimmten rund 60 Prozent gegen die Annahme des Kompromisses<br />
und für die Fortsetzung des Streiks. Nach der Satzung der IG Metall war dafür<br />
jedoch e<strong>in</strong>e Dreiviertelmehrheit erforderlich, sodass die Arbeit auf den Werften<br />
am 10. Juni 1953 wieder aufgenommen wurde.<br />
334 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 21.4. bis 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />
335 So z.B. <strong>in</strong> Werft-Echo! Sonderausgabe, Informationsdienst der streikenden Werftarbeiter, Nr. 6, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/20/13.<br />
336 Werft-Echo! Sonderausgabe, Informationsdienst der streikenden Werftarbeiter, Nr. 4, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13<br />
337 Vgl. die Artikel zum Streik vor allem <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie, aberauchimWerft-Echo.<br />
338 Vgl. dazu ausführlich die Schilderung des Streikverlaufs bei Andree Postel., »Alles annere is<br />
Tünkrom...«, a.a.O., S. 72ff.<br />
339 Werft-Echo, Informationsdienst der streikenden Werftarbeiter, Nr. 33, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13; Werft-Echo, Informationsdienst<br />
der streikenden Werftarbeiter, Nr. 34, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13; Schandangebot wird abgelehnt!,<br />
Tribüne der Demokratie, 6./.7. Juni 1953.<br />
340 Schandangebot wird abgelehnt!, Tribüne der Demokratie, 6./.7. Juni 1953.
256<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> wertete den Streik <strong>in</strong>sgesamt dennoch als Erfolg. Im Sekretariat war<br />
man sich unmittelbar nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Urabstimmung e<strong>in</strong>ig<br />
<strong>in</strong> der Beurteilung. 341 Es sei damit zu rechnen gewesen, dass aufgrund der langen<br />
Dauer des Streiks die 75 Prozent Mehrheit für die Fortsetzung nicht zu erreichen<br />
gewesen wären. Trotzdem müsse den Werftarbeitern jetzt gesagt werden, »dass sie<br />
e<strong>in</strong>en entschlossenen Kampf geführt haben zur Verbesserung ihrer Lebenslage und<br />
gegen die Ausbeutungspolitik des Adenauer-Regimes. Denn trotzdem die Werftunternehmer<br />
jegliche Lohnerhöhung abgelehnt hatten [...] mussten sie schließlich 5<br />
Pfennig bewilligen.« 342 Damit, so Hermann Gautier, sei das Pr<strong>in</strong>zip durchbrochen<br />
worden, »dass ke<strong>in</strong>e Lohnerhöhungen gestellt werden dürfen. Das ist e<strong>in</strong> Beitrag<br />
zum nationalen Kampf gegen das Adenauer-Regime. <strong>Die</strong>ser Kampf hat die ganze<br />
Kriegspolitik der Adenauer-Reg. durche<strong>in</strong>andergebracht.« 343 Daneben stellten die<br />
offiziellen Äußerungen der Partei wiederum vor allem die Bedeutung des »Kampfes«<br />
gegen die »rechten SPD- und DGB-Führer« 344 heraus. <strong>Die</strong>se seien nunmehr<br />
»durch ihre Taten im Werftarbeiterstreik entlarvt«. 345 E<strong>in</strong>e Erklärung der <strong>KPD</strong>-<br />
Landesleitung erhob noch e<strong>in</strong>mal schwere Vorwürfe gegen die Führung der IG Metall:<br />
»Statt den Kampf mit allen Mitteln entschlossen zu führen und die Werftunternehmer zur Erfüllung<br />
der von Bohnsack & Co. selbst als bescheiden erklärten Forderungen zu zw<strong>in</strong>gen, taten<br />
sie alles, um den Unternehmern die Lage zu erleichtern und die Niederlage der Werftarbeiter<br />
vorzubereiten. Sie <strong>org</strong>anisierten unter dem Deckmantel sogenannter ›Notstandsarbeiten‹<br />
den Streikbruch, stimmten offen Streikbrucharbeit zu [...] und verh<strong>in</strong>derten mit allen Mitteln<br />
die E<strong>in</strong>beziehung der Landbetriebe der Metall<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> den Streik [...]. Sie hielten die<br />
Masse der Streikenden bewusst vom Kampf fern. [...]. Sie verh<strong>in</strong>derten die Bildung von gewählten<br />
betrieblichen Streikleitungen und setzten Polizei gegen die Streikenden e<strong>in</strong>, wenn die<br />
die Verwirklichung ihrer demokratischen Rechte forderten. [...]. <strong>Die</strong> Werftarbeiter und die<br />
ganze übrige Arbeiterschaft müssen erkennen, dass die Verräter <strong>in</strong> den Reihen der Gewerkschaften<br />
und der Arbeiterklasse, die rechten Gewerkschaftsführer, davongejagt werden müssen<br />
[...].« 346<br />
Das waren völlig verfehlte Angriffe. <strong>Die</strong> IG Metall hatte den Streik als »Machtkampf<br />
der Unternehmer ›gegen die gesamte Arbeitnehmerschaft und ihre Gewerkschaften‹<br />
begriffen«. In der sechswöchigen harten Ause<strong>in</strong>andersetzung g<strong>in</strong>g es der<br />
Gewerkschaft darum, »die Lohnstopp-Politik der Unternehmer zu durchbrechen<br />
und den Versuch der [...] Werft<strong>in</strong>dustriellen, die ›Lohn- und Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />
künftig diktieren‹ zu wollen, zurückzuweisen«. 347<br />
Neben den überzogenen Angriffen auf die Gewerkschaft und der be<strong>in</strong>ahe euphorischen<br />
Gesamte<strong>in</strong>schätzung des Streiks im Zusammenhang mit der eigenen<br />
341 Bericht über die Sitzung vom 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
342 Ebenda.<br />
343 Ebenda.<br />
344 Zu Fragen des Streiks auf den Werften, Tribüne der Demokratie, 11. Juni 1953.<br />
345 Der Streik bestätigt die Richtigkeit der These 37, Tribüne der Demokratie, 12. Juni 1953.<br />
346 Zum Abschluss des Werftarbeiterstreiks. Erklärung der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong>, TribünederDemokratie,<br />
13./14. Juni 1953.<br />
347 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 159.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 257<br />
Gewerkschaftspolitik zeigten sich partei<strong>in</strong>tern auch kritische Bewertungen, die vor<br />
allem die Betriebsgruppe der AG »Weser« betrafen. Es sei der Partei nicht gelungen,<br />
so Hermann Gautier auf der ersten Sekretariatssitzung nach dem Ende des<br />
Streiks, »dass die Arbeiter den Kampf <strong>in</strong> die eigenen Hände genommen haben«, die<br />
»Gewerkschaftsbürokratie« habe »den Kampf bis zum letzten Moment fest <strong>in</strong> der<br />
Hand« gehabt. 348 Gautier kritisierte, dass vor Streikbeg<strong>in</strong>n ke<strong>in</strong>e »eigenen Streikleitungen«<br />
gebildet worden seien. <strong>Die</strong> Ursachen dafür lägen <strong>in</strong> der »Schwäche der<br />
Partei«, besonders aber »<strong>in</strong> der Schwäche der Betriebsgruppen der Werften<br />
selbst«. 349 Es habe zwar während des Streiks e<strong>in</strong>e ständige Anleitung durch die<br />
Landesleitung und das Kreis-Sekretariat gegeben, dennoch gebe es <strong>in</strong> den Betriebsgruppen<br />
»e<strong>in</strong>e Reihe erheblicher Schwächen«. 350 Gautier wiederholte die bereits<br />
vor dem Streik gegen die Betriebsgruppe der AG »Weser« wie auch gegen andere<br />
Betriebsgruppen geäußerte Kritik:<br />
»<strong>Die</strong> Hauptschwäche liegt dar<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> großer Teil unserer Genossen das Programm der nationalen<br />
Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands nicht begriffen haben und dass e<strong>in</strong> großer Teil befangen<br />
ist im Gewerkschaftslegalismus. Unsere Genossen haben oftmals auf dem Standpunkt<br />
gestanden, ›die Partei hat recht, aber wir dürfen uns nicht <strong>in</strong> den Vordergrund stellen‹.« 351<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus wurden die beiden Betriebsratsmitglieder der <strong>KPD</strong> Säwecke<br />
und Weber angegriffen, die »ganz offen gezeigt haben, dass sie parteife<strong>in</strong>dliche Argumente<br />
<strong>in</strong> die Betriebsgruppe h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>tragen«. 352<br />
Auch die Kritik e<strong>in</strong>es SED-Instrukteurs g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ähnliche Richtung und<br />
sprach von »starken ideologischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen« <strong>in</strong> der Betriebsgruppe<br />
AG »Weser«. Zwar sei es gelungen, »die alten negativen Wortführer mehr <strong>in</strong> den<br />
H<strong>in</strong>tergrund zu drängen«, immer noch wären aber »e<strong>in</strong>zelne führende Betriebsgruppenfunktionäre<br />
unserer Partei sehr schlecht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung« getreten. 353<br />
<strong>Die</strong> Bewertung des Streiks durch das Sekretariat zeigte somit den seit 1951 üblichen<br />
Umgang mit der Betriebsgruppe, wie er sich auch beim Metallarbeiterstreik<br />
und der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward gezeigt hatten. Dennoch gab es auch Unterschiede.<br />
Anders als bei B<strong>org</strong>ward war es der <strong>KPD</strong> auf der AG »Weser« immerh<strong>in</strong><br />
gelungen, e<strong>in</strong>e eigene Streikleitung zu bilden, sich neben der Gewerkschaft zu positionieren<br />
und <strong>in</strong>nerhalb der Belegschaft damit Unterstützung zu f<strong>in</strong>den. Außerdem<br />
konnte sich diese L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong>nerhalb der Betriebsgruppe durchsetzen und der E<strong>in</strong>fluss<br />
348 Bericht über die Sitzung vom 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
349 Ebenda.<br />
350 Ebenda.<br />
351 Ebenda.<br />
352 Ebenda. Gautier schilderte e<strong>in</strong>e Sitzung mit der Betriebsgruppe AG »Weser« während des Streiks, auf<br />
der er die Problematik »Parteife<strong>in</strong>de« thematisiert hatte: »[Ich b<strong>in</strong>] ausgegangen vom Beschluss der 13.<br />
Tagung des ZK der SED über die Lehren aus dem Slansky-Prozess. Ich habe mich gestützt auf e<strong>in</strong>e der<br />
Schlussfolgerungen dieses Beschlusses, dass es der Hauptmangel war, dass es <strong>in</strong> den Leitungen ke<strong>in</strong>e<br />
kämpferische Ause<strong>in</strong>andersetzungen gab und ke<strong>in</strong> Auftreten der Leitungen und Grund<strong>org</strong>anisationen<br />
gegen parteife<strong>in</strong>dliche und falsche Auffassungen. <strong>Die</strong> Diskussion g<strong>in</strong>g dah<strong>in</strong>, ›ja der Hermann hat ja<br />
recht, aber so schlimm war das nun auch nicht‹. Sie fanden Ausreden, ohne auf den Grund der D<strong>in</strong>ge<br />
e<strong>in</strong>zugehen.«<br />
353 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 21.4. bis 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.
258<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
derjenigen Funktionäre, die die Konfrontation mit der IG Metall vermeiden wollten,<br />
war zurückgedrängt worden. Das Landessekretariat hatte zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
H<strong>in</strong>sicht aus den Fehlern des Metallarbeiterstreiks 1951 gelernt: Man hatte nicht<br />
mehr versucht, über den Streik und die Durchsetzung der Lohnforderungen h<strong>in</strong>ausgehende<br />
Ziele <strong>in</strong> die Belegschaft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zutragen. <strong>Die</strong>s war zwar immer noch<br />
e<strong>in</strong>e wesentliche Grundlage der <strong>KPD</strong>-Konzeption, die aber - anders als 1951 - im<br />
Rahmen e<strong>in</strong>er Rollenverteilung zwischen Betriebsgruppen und Parteileitung vor allem<br />
außerhalb des Betriebs - z.B. von der Tribüne der Demokratie - propagiert wurde.<br />
<strong>Die</strong> Betriebsgruppe konzentrierte sich dagegen auf die konsequente Durchsetzung<br />
der Lohnforderungen und die Angriffe gegen die IG Metall.<br />
Genau diese Konfrontation mit der Gewerkschaft aber war es, die zum e<strong>in</strong>en für<br />
die größten Widersprüche <strong>in</strong>nerhalb der Betriebsgruppe selbst s<strong>org</strong>te und zum anderen<br />
für die <strong>KPD</strong> auf der AG »Weser« schwere Konsequenzen hatte. E<strong>in</strong>zelne<br />
Funktionäre hatten bereits während des Streiks vor der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />
der IG Metall gewarnt und vor allem aus diesem Grund die Bildung e<strong>in</strong>er betrieblichen<br />
Streikleitung abgelehnt, da dies gegen die Statuten der Gewerkschaft verstoße.<br />
354 Auch Konsequenzen durch die Unternehmensleitung waren befürchtet worden:<br />
»Wir müssen vorsichtig se<strong>in</strong>, sonst werden alle 12 Genossen Betriebsräte wieder<br />
entlassen«, zitierte der SED-Instrukteur »e<strong>in</strong>zelne führende Betriebsfunktionäre«.<br />
355 Auch im Sekretariat war man sich dieser Gefahren bewusst und rechnete<br />
nach dem Streik sogar damit. Senat und Unternehmensleitung würden nun »Wert<br />
darauf legen, dass die Betriebe Ruhe haben und versuchen, die Kommunisten aus<br />
den Betrieben zu entfernen. Das bedeutet, dass man mit Maßregelungen rechnen<br />
muss, das haben uns der Hafenarbeiter- und verschiedene andere Streiks gezeigt.<br />
Und es liegt e<strong>in</strong>e Gefahr dar<strong>in</strong>, dass der Betriebsrat bei der AG-Weser nicht wieder<br />
<strong>in</strong> den Betrieb kommt.« 356 Hermann Gautier rechnete außerdem mit Maßregelungen<br />
der kommunistischen Betriebsratsmitglieder durch »die rechte Gewerkschaftsführung«.<br />
357<br />
<strong>Die</strong> Befürchtungen der Betriebsfunktionäre und des Sekretariats sollten sich<br />
schon bald als nur allzu berechtigt herausstellen. Gut zwei Wochen nach Beendigung<br />
des Streiks leitete die IG Metall gegen den neuen Betriebsratsvorsitzenden<br />
Hermann Prüser sowie alle anderen elf kommunistischen Mitglieder des Betriebsrats<br />
e<strong>in</strong> Ausschlussverfahren e<strong>in</strong>. 358 Begründet wurde dies mit den Aktivitäten<br />
während des Streiks. <strong>Die</strong> IG-Metall Ortsverwaltung schrieb an Hermann Prüser:<br />
»Während des Streiks hast du Dich laufend gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlich betätigt. Du hast entgegen<br />
den Anweisungen der Streikleitung und Ortsverwaltung der Industriegewerkschaft Metall e<strong>in</strong><br />
betriebliches Streikkomitee gebildet und Flugblätter mit gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlichen Parolen,<br />
354 Ebenda.<br />
355 Ebenda.<br />
356 Bericht über die Sitzung vom 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
357 Ebenda.<br />
358 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates<br />
der AG »Weser« 1953, a.a.O., S. 46.; siehe auch AG-Weser-Kollegen stehen geschlossen h<strong>in</strong>ter ihrem<br />
Betriebsrat, Tribüne der Demokratie, 11./12. Juli 1953.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 259<br />
mit de<strong>in</strong>er Unterschrift versehen, herausgegeben. Weiter hast du Versammlungen e<strong>in</strong>berufen<br />
und durchgeführt. <strong>Die</strong>se Versammlungen wurden dazu benutzt, um geme<strong>in</strong>sam mit den Un<strong>org</strong>anisierten<br />
e<strong>in</strong>e wüste Hetze gegen die Gewerkschaften und ihre verantwortlichen Leiter zu<br />
starten« 359<br />
<strong>Die</strong>se scharfen und »zweifellos überzogen(en)« 360 Vorwürfe waren sicher nicht<br />
nur als Reaktion auf die Aktivitäten des betrieblichen Streikkomitees und die ebenso<br />
überzogenen Angriffe der <strong>KPD</strong> auf die Leitung der IG Metall zu verstehen, sondern<br />
dienten offensichtlich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie der antikommunistisch motivierten<br />
Schwächung des gerade mit großer Mehrheit von der Belegschaft gewählten Betriebsrates.<br />
Prüser setzte sich zwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben gegen die Anschuldigungen<br />
zur Wehr und wies vor allem den Vorwurf der Gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlichkeit zurück,<br />
361 blieb damit aber erfolglos. Nach der Anhörung durch e<strong>in</strong>en Untersuchungsausschuss<br />
votierte dieser für den Ausschluss, der Prüser schließlich am 21.<br />
November vom IG-Metall Hauptvorstand mit der lapidaren Begründung mitgeteilt<br />
wurde, se<strong>in</strong> Verhalten während des Streiks sei »weitgehend nach den Anweisungen<br />
der <strong>KPD</strong> erfolgt«. 362<br />
Damit waren die politischen Mehrheitsverhältnisse auf der AG »Weser« aber<br />
noch nicht geändert, der von der <strong>KPD</strong> dom<strong>in</strong>ierte Betriebsrat noch nicht abgesetzt.<br />
<strong>Die</strong>s gelang jedoch nach arbeitsrechtlichen Maßnahmen der Unternehmensleitung<br />
gegen drei <strong>KPD</strong>-Mitglieder des Betriebsrates, die dazu führten, dass Hermann Prüser<br />
noch vor se<strong>in</strong>em Gewerkschaftsausschluss vom Posten des Betriebsratsvorsitzenden<br />
entfernt wurde. Auf e<strong>in</strong>er Betriebsversammlung der AG »Weser« am 9. Juli<br />
1953 hatte das Betriebsratsmitglied Robert Wilczek (<strong>KPD</strong>) die Verabschiedung e<strong>in</strong>er<br />
Protestresolution gegen e<strong>in</strong>en für den 12. Juli <strong>in</strong> Gießen geplanten Aufmarsch des<br />
rechtsradikalen »Stahlhelm-Bundes« beantragt. 363 Der Versammlungsleiter Wilhelm<br />
Lahrs, 2. Betriebsratsvorsitzender und ebenfalls <strong>KPD</strong>-Mitglied, ließ - gegen<br />
den Protest e<strong>in</strong>es sozialdemokratischen Betriebsratsmitglieds, der e<strong>in</strong>en Verstoß<br />
gegen das Betriebsverfassungsgesetz mutmaßte - über den Antrag abstimmen, der<br />
schließlich auch angenommen wurde. Am folgenden Tag sandte daraufh<strong>in</strong> Hermann<br />
Prüser als Vorsitzender des Betriebsrats e<strong>in</strong> Telegramm an die hessische<br />
Landesregierung mit dem Text: »<strong>Die</strong> Belegschaft der ›AG Weser‹ protestiert gegen<br />
den Stahlhelm-Aufmarsch <strong>in</strong> Gießen«. 364<br />
359 Zitiert nach He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des<br />
Betriebsrates der AG »Weser« 1953, a.a.O., S. 46.<br />
360 Ebenda.<br />
361 Hermann Prüser, Werftarbeiterstreik und Absetzung des Betriebsrats, a.a.O., S. 61; He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen,<br />
Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates der AG »Weser«<br />
1953, a.a.O., S. 47.<br />
362 Hermann Prüser, Werftarbeiterstreik und Absetzung des Betriebsrats, a.a.O., S. 61; He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen,<br />
Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates der AG »Weser«<br />
1953, a.a.O., S. 48<br />
363 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates<br />
der AG »Weser« 1953, a.a.O., S. 49.<br />
364 Ebenda. Siehe auch AG-Weser-Kollegen stehen geschlossen h<strong>in</strong>ter ihrem Betriebsrat, Tribüne der Demokratie,<br />
11./12. Juli 1953.
260<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
<strong>Die</strong> Werftleitung nahm dies zum Anlass, beim Arbeitsgericht gegen Prüser,<br />
Lahrs und Wilczek den Ausschluss aus dem Betriebsrat wegen Verstoßes gegen das<br />
Betriebsverfassungsgesetz zu beantragen. Das Arbeitsgericht <strong>Bremen</strong> folgte diesem<br />
Antrag und setzte mit Beschluss vom 21. August 1953 die drei Kommunisten als Betriebsräte<br />
ab. <strong>Die</strong> Urteilsbegründung berief sich dabei ausdrücklich auf den § 51<br />
BetrVG, der e<strong>in</strong>e parteipolitische Betätigung im Betrieb untersagte. 365<br />
Jetzt war auch der Weg für SPD, IG Metall und Unternehmensleitung frei, den<br />
mehrheitlich kommunistischen Betriebsrat wieder loszuwerden und den E<strong>in</strong>fluss<br />
der <strong>KPD</strong> auf der Werft nachhaltig zurückzudrängen. Um e<strong>in</strong>e Neuwahl des Betriebsrates<br />
zu erzw<strong>in</strong>gen, traten Mitte Oktober 1953 nach der Absetzung von Prüser,<br />
Lahrs und Wilczek die drei sozialdemokratischen Mitglieder des Betriebsrates<br />
zurück. Ihnen folgten wenige Tage später die Angestelltenbetriebsräte und fast alle<br />
Nachrücker. 366 <strong>Die</strong> dadurch notwendig gewordene Neuwahl des Betriebsrates<br />
wurde für den 4. und 5. Januar 1954 angesetzt.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war natürlich gegen die Gewerkschaftsausschlüsse und vor allem gegen<br />
die Absetzung der drei Betriebsräte durch das Arbeitsgericht agitatorisch vehement<br />
angegangen. 367 Sie hatte dabei immer wieder an die Belegschaft der AG<br />
»Weser« appelliert, gegen das Verfahren zu protestieren und die Absetzung von<br />
Prüser, Wilczek und Lahrs zu verh<strong>in</strong>dern, blieb damit aber weitgehend wirkungslos.<br />
<strong>Die</strong> Entfaltung von Protestmaßnahmen unter den Werftarbeitern gelang der<br />
<strong>KPD</strong> nicht, auch die Betriebsgruppe selbst hielt sich mit offenen Aktivitäten zurück.<br />
<strong>Die</strong> Kommunisten waren angesichts der scharfen Maßnahmen von IG Metall und<br />
Werftleitung nun offenbar <strong>in</strong> die Defensive geraten. »Unter e<strong>in</strong>em Teil unserer Genossen«,<br />
schrieb e<strong>in</strong> SED-Instrukteur, »gibt es gegenwärtig e<strong>in</strong>e immer stärker zutage<br />
tretende Angst um den Arbeitsplatz und e<strong>in</strong>e faktische Anerkennung des reaktionären<br />
Betriebsverfassungsgesetzes«. 368 Auch im Sekretariat war man sich dessen<br />
bewusst. Anlässlich des Bundestagswahlkampfes 1953 sprach der für die Betriebe<br />
zuständige Sekretär für Arbeit und Soziales von e<strong>in</strong>er weitverbreiteten Resignation<br />
365 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates<br />
der AG »Weser« 1953, a.a.O., S. 49ff. Dort auch ausführlich der weitere Verlauf der gerichtlichen<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung und deren juristische und politische E<strong>in</strong>ordnung. <strong>Die</strong> drei Ausgeschlossenen<br />
hatten Beschwerde gegen das Urteil e<strong>in</strong>gelegt, woraufh<strong>in</strong> die Sache bis <strong>in</strong> die höchste Instanz vor<br />
das Bundesarbeitsgericht g<strong>in</strong>g, das den Ausschluss schließlich im Mai 1955 bestätigte. Das Urteil erhielt<br />
grundsätzliche Bedeutung für das Arbeitsrecht.<br />
366 AG-Weser-Betriebsrat zurückgetreten, Tribüne der Demokratie, 17./18. Oktober 1953. Vgl. auch He<strong>in</strong>z-<br />
Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und Wirtschaftswunder, a.a.O., S. 165.<br />
367 Zum Verfahren vor dem Bremer Arbeitsgericht: Provokationen gegen AG-Weser-Betriebsräte, Tribüne der<br />
Demokratie, 12. August 1953; AG-Weser-Betriebsrat verteidigt Gewerkschaftssatzung, TribünederDemokratie,<br />
22./23. August 1953; »Hände weg von unseren Betriebsräten!«, Tribüne der Demokratie, 24. August<br />
1953; AG-Weser-Direktion tritt Arbeiterrechte mit Füßen!, Tribüne der Demokratie, 25. August 1953; Berufungsverhandlung<br />
gegen AG-Weser-Betriebsräte, Tribüne der Demokratie, 14. Oktober 1953; Gegen die Kruppdirektoren,<br />
Tribüne der Demokratie, 21. Oktober 1953; E<strong>in</strong> abgekartetes Spiel, Tribüne der Demokratie, 22.<br />
Oktober 1953; Mit Lüge und Verleumdung zu Felde gezogen, Tribüne der Demokratie, 23. Oktober 1953;<br />
Was notwendig ist, Tribüne der Demokratie, 12. November 1953. Zum Gewerkschaftsausschluss Prüsers:<br />
Gewerkschaft geschwächt, Tribüne der Demokratie, 23. Oktober 1953.<br />
368 Land: <strong>Bremen</strong> [14.9.1953], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 261<br />
<strong>in</strong> den Betrieben (»die Genossen weichen <strong>in</strong> erschreckendem Maße zurück«) und<br />
führte als Beispiel vor allem die AG »Weser« an. 369 Als Ursache der Resignation<br />
h<strong>in</strong>zu kam wohl auch die massive Verstärkung der antikommunistischen Stimmung<br />
<strong>in</strong>folge der Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 <strong>in</strong> der DDR.<br />
All dies waren für die <strong>KPD</strong> denkbar ungünstige Voraussetzungen für die nun anstehenden<br />
Betriebsratswahlen.<br />
Das Sekretariat nahm die Wahlen auf der AG »Weser« sehr ernst, und die gesamte<br />
Bremer Partei wurde auf die Vorbereitungen orientiert. Das Bremer Sekretariat<br />
gab dabei von Anfang an die Bildung e<strong>in</strong>er eigenen Kandidatenliste vor. <strong>Die</strong>se<br />
»betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste« hatte zweierlei Begründungen. Zum e<strong>in</strong>en hatte die IG<br />
Metall e<strong>in</strong>e »Gewerkschaftsliste« angekündigt, auf der die aus der Gewerkschaft<br />
ausgeschlossenen Kommunisten aus dem alten Betriebsrat nicht kandidieren konnten.<br />
<strong>Die</strong> Aufstellung dieser Gewerkschaftsliste wurde von e<strong>in</strong>er Vertrauensmännerversammlung<br />
der AG »Weser« am 11. November 1953 e<strong>in</strong>stimmig beschlossen.<br />
370 Bereits vor diesem Beschluss aber hatte das Sekretariat der <strong>KPD</strong> auf die betriebliche<br />
E<strong>in</strong>heitsliste orientiert, sie war also von der Partei politisch gewollt und<br />
nicht etwa nur e<strong>in</strong>e Reaktion auf die Gewerkschaftsliste. Mit dem Betriebsratsvorsitzenden<br />
Hermann Prüser hatte das Sekretariat sogar Diskussionen geführt, ob es<br />
überhaupt s<strong>in</strong>nvoll sei, auf der Vertrauensmännersitzung zu ersche<strong>in</strong>en. Prüser<br />
hatte dies abgelehnt mit der Begründung, »man sollte die Vertrauensmännersitzung<br />
nicht dadurch <strong>in</strong>teressant machen, dass man vergeblich versucht h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zukommen«.<br />
371 Das Sekretariat dagegen wollte auf dieser Sitzung vor allem die Aufstellung<br />
der Gewerkschaftsliste verh<strong>in</strong>dern. 372 Es gab also von vornhere<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e<br />
ernsthaften Versuche der <strong>KPD</strong>, auf die Gestaltung der Gewerkschaftsliste E<strong>in</strong>fluss<br />
zu nehmen. 373<br />
<strong>Die</strong> Durchsetzung und Propagierung der betrieblichen E<strong>in</strong>heitsliste sowie die<br />
Erstellung e<strong>in</strong>es »betrieblichen Forderungsprogramms« wurde für die <strong>KPD</strong> zum<br />
zentralen Thema der Vorbereitungen zur Betriebsratswahl. <strong>Die</strong>s galt auch für die<br />
Betriebsgruppe, <strong>in</strong> der die Aufstellung e<strong>in</strong>er eigenen Liste allerd<strong>in</strong>gs nicht unumstritten<br />
war, wie schon die Kandidatur e<strong>in</strong>zelner Kommunisten auf der Gewerkschaftsliste<br />
zeigte. Im Sekretariat wurde öfter beklagt, »dass noch bei weitem ke<strong>in</strong>e<br />
Klarheit besteht über die Aufstellung der betrieblichen E<strong>in</strong>heitsliste, auch bei den<br />
369 Protokoll der Landes-Sekretariats-Sitzung v. 18.8.53, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/8.<br />
370 Protokoll der LSS am 10.11.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8; Protokoll der LSS am 14.11.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
371 Protokoll der LSS am 10.11.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
372 Ebenda.<br />
373 Dass dies möglich gewesen wäre, zeigt die Tatsache, dass es e<strong>in</strong>igen Kommunisten <strong>in</strong> den Branchenversammlungen<br />
gelang, als Kandidaten für die Gewerkschaftsliste aufgestellt zu werden. Das Sekretariat<br />
beließ es trotz der Konkurrenz zur eigenen betrieblichen E<strong>in</strong>heitsliste dabei: »Sie sollen dort bleiben,<br />
damit wir wenn nachher der Betriebsrat gewählt ist, mit diesem e<strong>in</strong>e ersprießliche Zusammenarbeit<br />
erreichen können. Wir haben nichts davon, wenn wir sie dazu br<strong>in</strong>gen von der Gewerkschaftsliste<br />
zurückzutreten.« (Protokoll der LSS v. 8.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8). <strong>Die</strong> Betriebsgruppe dagegen hatte<br />
beschlossen, »dass ke<strong>in</strong> Genosse auf der ›gewerkschaftlichen E<strong>in</strong>heitsliste‹ kandidieren kann.« (Protokoll<br />
der LSS am 1.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8).
262<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
führenden Genossen« im Betrieb. 374 Es herrsche noch »ke<strong>in</strong>e volle Überzeugung«,<br />
dass die Orientierung des Sekretariats richtig ist. 375 Auch die Mobilisierung der<br />
Mitglieder auf der Werft gelang nur dürftig. An den Betriebsgruppensitzungen<br />
nahmen auch während des Wahlkampfes nicht mehr als 20 Genossen teil, 376 und<br />
der <strong>in</strong> dieser Zeit durchgeführte Umtausch der Parteibücher zur Erfassung und Aktivierung<br />
der Mitgliedschaft lief ausgerechnet auf der AG »Weser«, die dafür aufgrund<br />
der bevorstehenden Betriebsratswahl als besonders beispielhafter Schwerpunktbetrieb<br />
auserkoren war, nur äußerst schleppend. 377<br />
<strong>Die</strong> betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste, die nach Angaben der <strong>KPD</strong> die Zustimmung der<br />
Mehrheit e<strong>in</strong>er Betriebsversammlung 378 und e<strong>in</strong>iger Branchenversammlungen gefunden<br />
hatte, wurde trotz der Bedenken <strong>in</strong> der Betriebsgruppe e<strong>in</strong>gereicht und veröffentlicht.<br />
379 Sie enthielt 25 Kandidaten, davon - nach Angaben der <strong>KPD</strong> - »etwa<br />
40%«, 380 also zehn Kommunisten, unter ihnen Hermann Prüser, Willi Lahrs und<br />
Robert Wilczek.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> betrieb den Wahlkampf relativ zurückhaltend und versuchte vor allem,<br />
zu scharfe Angriffe gegen die IG Metall zu vermeiden. Der Wahlkampf dürfe<br />
»nicht gegen die sogn. Gewerkschaftsliste geführt werden«, hieß es im Sekretariat.<br />
Es solle vielmehr argumentiert werden, »dass diese Liste nicht den Interessen der<br />
Belegschaft dient, wobei aber die Kollegen, die auf ihr kandidieren, nicht über e<strong>in</strong>en<br />
Kamm geschert werden können«. 381 Auch die Tribüne der Demokratie agierte nur<br />
vorsichtig gegen die Gewerkschaftsliste: »Selbstverständlich kandidieren auch auf<br />
der sogenannten Gewerkschaftsliste viele gute ehrliche Gewerkschafter, die für die<br />
E<strong>in</strong>heit der Belegschaft s<strong>in</strong>d, aber sie kandidieren zumeist an aussichtsloser Stelle«.<br />
382<br />
<strong>Die</strong> SPD-Betriebsgruppe dagegen war »mit e<strong>in</strong>er starken antikommunistischen<br />
Propaganda aktiv geworden« und bezeichnete die <strong>KPD</strong> als »Gewerkschaftsspalter«.<br />
383 Noch am ersten Tag der Betriebsratswahl plakatierte auch die IG Metall im<br />
Betrieb mit der Aufschrift: »Gebt der Kommunistischen Spalterliste die richtige<br />
Antwort! Wählt Liste 1 - Gewerkschaftsliste!«. 384<br />
Der Vorwurf der »Gewerkschaftsspaltung« ignorierte natürlich völlig den eigenen<br />
Anteil der IG Metall am Zustandekommen der betrieblichen E<strong>in</strong>heitsliste, näm-<br />
374 Protokoll der LSS v. 24.11.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
375 Protokoll der LSS am 1.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
376 Protokoll der LSS v. 24.11.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
377 Protokoll der LSS v. 8.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
378 Ebenda; Werftarbeiter e<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung: Betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste, Tribüne der Demokratie, 5./6. Dezember<br />
1953. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte auf der Belegschaftsversammlung angeblich versucht, die beiden Listen zu verschmelzen<br />
(Protokoll der LSS v. 8.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8).<br />
379 Protokoll der LSS v. 8.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8; Nur die Besten wählen!, Tribüne der Demokratie, 16.<br />
Dezember 1953.<br />
380 Protokoll der LSS v. 8.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
381 Ebenda.<br />
382 Nur die Besten wählen!, Tribüne der Demokratie, 16. Dezember 1953.<br />
383 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates<br />
der AG »Weser« 1953, a.a.O., S. 56.<br />
384 Spalter am Werk!, Tribüne der Demokratie, 6. Januar 1954.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 263<br />
lich den Ausschluss der kommunistischen Betriebsräte. Dennoch kam diese Argumentation<br />
bei der Belegschaft offenbar an. <strong>Die</strong> Gewerkschaftsliste erhielt 2.620 von<br />
3.958 abgegebenen Stimmen, also fast zwei Drittel. <strong>Die</strong> betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste mit<br />
den Kandidaten der <strong>KPD</strong> erhielt 1.265 Stimmen. 385 In den Betriebsrat gewählt wurden<br />
damit 17 Kandidaten der Gewerkschaftsliste und acht der betrieblichen E<strong>in</strong>heitsliste.<br />
386 <strong>Die</strong> Mehrheitsverhältnisse des alten Betriebsrates waren damit völlig<br />
umgekehrt worden, zumal auch die Zahl der Betriebsräte von 19 auf 29 erhöht worden<br />
war.<br />
<strong>Die</strong> Wahl hatte nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Jahr nach der für die <strong>KPD</strong> so erfolgreichen Betriebsratswahl<br />
und dem großen Streik e<strong>in</strong>e verheerende Niederlage für die Partei<br />
gebracht. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> g<strong>in</strong>g öffentlich <strong>in</strong> der Folgezeit auf das Ergebnis nicht weiter e<strong>in</strong>.<br />
In der Tribüne der Demokratie erschienen lediglich zwei kurze Meldungen über den<br />
Wahlausgang, die mit dem H<strong>in</strong>weis auf die wiedergewählten Prüser, Lahrs und<br />
Wilczek versuchten, die positiven Aspekte <strong>in</strong> den Vordergrund zu stellen. 387 Das<br />
Sekretariat beschloss die E<strong>in</strong>setzung e<strong>in</strong>er Kommission, die e<strong>in</strong>e Analyse der Betriebsratswahl<br />
erarbeiten sollte. 388 Ergebnisse dieser Analyse fanden sich <strong>in</strong> der<br />
Folgezeit nicht.<br />
Mit dieser Wahl war der E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> auf der AG »Weser« gebrochen. <strong>Die</strong><br />
IG Metall nutzte das für sie gute Ergebnis für weitere adm<strong>in</strong>istrative Maßnahmen<br />
gegen die Kommunisten. Unmittelbar nach der Wahl leitete sie gegen alle Kandidaten<br />
der betrieblichen E<strong>in</strong>heitsliste Ausschlussverfahren e<strong>in</strong>. 389 Der neugewählte Betriebsratsvorsitzende<br />
Gustav Böhrnsen (SPD) amtierte die nächsten 25 Jahre. Mit<br />
ihm vollzog sich auf der Werft zwischen 1954 und 1956 der Ȇbergang vom betrieblichen<br />
Handeln, bei dem autonome Basisaktivitäten mit gewerkschaftlichen<br />
Strategien zusammenwirkten, zum nahezu ausschließlich <strong>in</strong>stitutionalisierten Barga<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
durch die Gewerkschaften«. 390 Innerhalb dieser Institutionen war die <strong>KPD</strong><br />
aber durch das massive V<strong>org</strong>ehen der IG Metall sowie durch die eigenen Fehle<strong>in</strong>schätzungen<br />
und Radikalisierungen bedeutungslos geworden.<br />
<strong>Die</strong> Partei äußerte sich auf der Werft nicht mehr oder g<strong>in</strong>g zum<strong>in</strong>dest nicht<br />
mehr auf Konfrontationskurs. Gerade die 1954 noch gewählten Betriebsräte hielten<br />
sich dabei zurück. Bereits im Juni 1954 stellte das Sekretariat fest: »<strong>Die</strong> Genossen<br />
Betriebsräte auf der AG Weser vertreten die Ansicht, dass man als Betriebsrat nicht<br />
<strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten könne, weil das BVG bestehe. Es wäre besser ke<strong>in</strong>e Funktion<br />
im Betrieb zu bekleiden, dann könne man besser auftreten.« 391 Hermann Prüser,<br />
385 Absicht der Kruppdirektion durchkreuzt, Tribüne der Demokratie, 8. Januar 1954.<br />
386 Jetzt Forderungsprogramm verwirklichen!, Tribüne der Demokratie, 9. Januar 1954.<br />
387 Absicht der Kruppdirektion durchkreuzt, Tribüne der Demokratie, 8. Januar 1954; Jetzt Forderungsprogramm<br />
verwirklichen!, Tribüne der Demokratie, 9. Januar 1954.<br />
388 Protokoll der LSS v. 12.1.54. E<strong>in</strong>e Diskussion zu dem schlechten Ergebnis f<strong>in</strong>det sich im Protokoll nicht,<br />
hatte aber vermutlich - aufgrund des Beschlusses zur E<strong>in</strong>setzung e<strong>in</strong>er Kommission - stattgefunden.<br />
Das Protokoll trägt den Vermerk: »E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gehendes Protokoll kann nicht angefertigt werden, da die<br />
Unterlagen schnellstens vernichtet wurden«.<br />
389 Anschlag auf Gewerkschaftse<strong>in</strong>heit, Tribüne der Demokratie, 16./17. Januar 1954.<br />
390 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 167.<br />
391 Protokoll der LSS v. 29.6.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.
264<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
dem noch 1957 und 1960 die Wiederaufnahme <strong>in</strong> die IG Metall verweigert wurde,<br />
392 trat ebenso wie andere zuvor aktive Kommunisten politisch auf der Werft<br />
nicht mehr <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Gerade im Fall des kurzzeitigen Betriebsratsvorsitzenden<br />
waren die gewerkschaftlichen Ausschlussmaßnahmen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den<br />
arbeitsrechtlichen Konsequenzen des BVG und dem drohenden Arbeitsplatzverlust<br />
offenbar besonders wirksam geworden. 393<br />
Auch die übrige Betriebsgruppe verfiel nun endgültig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zustand zwischen<br />
Resignation und Lethargie e<strong>in</strong>erseits sowie Kritik bzw. Schuldzuweisungen<br />
an das Sekretariat andererseits. <strong>Die</strong> Betriebsgruppenleitung, so e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied<br />
im März 1954, sei »e<strong>in</strong> richtiger Haufen«. 394 Im August 1954 berichtete Hermann<br />
Prüser <strong>in</strong> der Landesleitung, die Betriebsgruppe auf der AG »Weser« sei »ideologisch<br />
schwach. In der letzten Zeit kommen nur noch 2 - 3 Genossen, trotzdem<br />
wir 60 haben.« 395 Prüsers Schilderung der Betriebsgruppe war von e<strong>in</strong>em nahezu<br />
dramatischen und auch hilflos-resignativen Ton gekennzeichnet:<br />
»Es bestehen Unklarheiten über die betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste, die wir damals aufgestellt haben.<br />
Es gibt Genossen, die behaupten, das Verhalten im Werftarbeiterstreik im letzten Jahr mit<br />
dem Solidaritäts-Ausschuss war falsch. E<strong>in</strong>ige Genossen me<strong>in</strong>en, die betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste<br />
war gegen die Gewerkschaftsliste gerichtet. Das war nicht der Fall und <strong>in</strong> diese Richtung haben<br />
wir auch nie diskutiert. [...]. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe tritt nicht offensiv, auch nicht <strong>in</strong> Lohnfragen<br />
auf. <strong>Die</strong> Kampfentschlossenheit, die im Werftarbeiterstreik da war, ist ausgelöscht. Wir<br />
müssen das wiederbekommen, aber wie? [...] Ich weiß nicht, wie wir da rankommen sollen.<br />
<strong>Die</strong> Genossen kommen nicht zu den Betriebsgruppenversammlungen, aber im Betrieb reden<br />
sie über unsere Politik falsch.« 396<br />
Prüsers Beitrag h<strong>in</strong>terließ E<strong>in</strong>druck. Das sei »e<strong>in</strong>e sehr ernste Lage«, so Hermann<br />
Gautier <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Schlusswort der Landesleitungssitzung. Gautiers »Ursachenanalyse«<br />
verdeutlichte aber auch, dass das Sekretariat offenbar die wirklichen<br />
Gründe des Zustandes der Betriebsgruppe nicht wahrnehmen wollte oder konnte,<br />
sondern nur reflexartig und pauschal den E<strong>in</strong>fluss von Parteife<strong>in</strong>den vermutete:<br />
»Das ist e<strong>in</strong>e Arbeit von Brandleragenten, die es darauf absehen, diese entscheidende<br />
Betriebsgruppe kampfunfähig zu machen«. 397<br />
Das Sekretariat beschäftigte sich auf se<strong>in</strong>er folgenden Sitzung noch e<strong>in</strong>mal ausführlich<br />
mit der Betriebsgruppe. Wiederum wurde vor allem den »parteife<strong>in</strong>dlichen<br />
392 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates<br />
der AG »Weser« 1953, a.a.O., S. 57f.; Hermann Prüser, Werftarbeiterstreik und Absetzung<br />
des Betriebsrats, a.a.O., S. 61.<br />
393 Herbert Breidbach berichtet, Prüsers Verbleiben im Betrieb sei dem neuen Betriebsratsvorsitzenden zu<br />
verdanken gewesen, der dies jedoch vom politischen Stillschweigen Prüsers abhängig machte: »Hermann<br />
blieb nur, weil Gustav Böhrnsen sich für ihn e<strong>in</strong>gesetzt hat und gesagt hat, ›gut Hermann, du<br />
bleibst, aber hier im Betrieb ke<strong>in</strong> politisches Wort mehr. Du gehst wieder re<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Werkzeugschlosserei,<br />
gehst an de<strong>in</strong>en Arbeitsplatz zurück. Wir br<strong>in</strong>gen es e<strong>in</strong>fach nicht übers Herz, dich rauszuschmeißen,<br />
<strong>in</strong> de<strong>in</strong>em Alter kriegst du nirgendwo mehr Arbeit als Werftarbeiter.‹ Und Hermann hat<br />
seitdem die Klappe nicht mehr aufgemacht, was zu verstehen war.« (Interview Herbert Breidbach, 2).<br />
394 Protokoll der LSS v. 29.6.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
395 Protokoll der Landesleitungssitzung am 29. August 1954, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.<br />
396 Ebenda.<br />
397 Ebenda.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 265<br />
Argumenten« <strong>in</strong> der Betriebsgruppe die Hauptverantwortung für deren schlechten<br />
Zustand gegeben. Es werde, so der Sekretär für Arbeit und Soziales, vor allem die<br />
betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste als falsch bezeichnet, aber auch These 37 sei immer noch<br />
e<strong>in</strong> Thema. 398 Als Hauptverantwortliche dafür wurden die bereits vor 1953 <strong>in</strong> die<br />
Kritik des Sekretariats geratenen Weber, Saewecke und Warneke genannt, aber<br />
auch der Betriebsgruppenvorsitzende und abgesetzte Betriebsrat Willi Lahrs. Das<br />
Sekretariat behandelte das Problem nahezu ausschließlich unter dem Aspekt der<br />
Parteife<strong>in</strong>dlichkeit und der »Brandler-Agenten« und g<strong>in</strong>g die Lösung des Problems<br />
nur von dieser Seite an. Es sollte - wie für andere wichtige Betriebe auch - e<strong>in</strong> Instrukteurskollektiv<br />
gebildet werden, um <strong>in</strong> der Betriebsgruppe argumentativ gegen<br />
die »falschen Auffassungen« vorzugehen und sie zu mobilisieren. Diszipl<strong>in</strong>arische<br />
Maßnahmen gegen die Kritisierten wurden zwar nicht beschlossen, Hermann Gautier<br />
formulierte aber das Ziel der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Betriebsgruppe: »Wir<br />
brauchen da gar nicht lange reden. Wenn wir <strong>in</strong> der Betriebsgruppe e<strong>in</strong>e solche Lage<br />
geschaffen haben, dass der größte Teil erkennt, Weber, Saewecke usw. s<strong>in</strong>d<br />
Fe<strong>in</strong>de der Arbeiterklasse, dann werden sie ausgeschlossen«. 399<br />
<strong>Die</strong> angestrebte Mobilisierung der Betriebsgruppe gelang mit diesen - die Realitäten<br />
und eigentlichen Ursachen der Entwicklung auf der AG »Weser« völlig ignorierenden<br />
- adm<strong>in</strong>istrativen Vorhaben nicht. Der vorläufige Tiefpunkt für die <strong>KPD</strong><br />
auf der AG »Weser« wurde schließlich mit der Betriebsratswahl Anfang Januar<br />
1956 erreicht: Erstmals seit <strong>1945</strong> gelangte ke<strong>in</strong> Kommunist <strong>in</strong> den Betriebsrat. Im<br />
Gegensatz zu 1954 war diesmal nur e<strong>in</strong>e Liste aufgestellt worden, auf der Kommunisten<br />
aber nur auf den h<strong>in</strong>teren Rängen kandidieren konnten. In den Betriebsrat<br />
gewählt wurden - wie von der IG Metall empfohlen - die ersten 17 Kandidaten der<br />
Liste. »Der an 17. Stelle stehende Gewerkschaftskandidat hat immer noch 400<br />
Stimmen mehr auf sich vere<strong>in</strong>igen können als der weiter unten auf der 52 Kandidaten<br />
umfassenden Liste stehende erste <strong>KPD</strong>-Kandidat«, vermeldeten zufrieden die<br />
Bremer Nachrichten unter der Überschrift »Leistungen zwangen <strong>KPD</strong> nieder«. 400 Natürlich<br />
waren auch die kommunistischen Kandidaten Gewerkschaftsmitglieder.<br />
Nicht nur dies verschwieg die bürgerliche Presse, sondern auch die Tatsache, dass<br />
viele auf der Werft bekannte Kommunisten wegen der Ausschlüsse aus der IG Metall<br />
gar nicht auf der gewerkschaftlichen E<strong>in</strong>heitsliste - die die <strong>KPD</strong> im übrigen<br />
selbst befürwortet und gefordert hatte - 401 kandidieren konnten. Für e<strong>in</strong>e weitere<br />
Schwächung der <strong>KPD</strong> hatte zuvor die Direktion der Werft ges<strong>org</strong>t, <strong>in</strong>dem sie den<br />
Betriebsrat und Ersten Sekretär der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe Willi Lahrs und e<strong>in</strong> weiteres<br />
kommunistisches Betriebsratsmitglied fristlos entließ. 402 <strong>Die</strong>Niederlagebeider<br />
398 Protokoll der LSS v. 31.8.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
399 Ebenda.<br />
400 Leistungen zwangen <strong>KPD</strong> nieder, Bremer Nachrichten 6. Januar 1956.<br />
401 Erstmals im November 1955 (E<strong>in</strong>heitsliste, Tribüne der Demokratie, 17. November 1956).<br />
402 Lahrs war seit Oktober 1955 Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft und als solcher mit e<strong>in</strong>er Delegation<br />
nach Genf gereist, woraufh<strong>in</strong> ihn die Werftleitung wegen »unbefugten Verlassen des Betriebsgeländes«<br />
fristlos entließ. E<strong>in</strong>e Klage beim Arbeitsgericht blieb für Lahrs erfolglos (Arbeitsgericht lehnt<br />
Klage Willi Lahrs ab, Tribüne der Demokratie, 19. Dezember 1955). Lahrs wurde daraufh<strong>in</strong> als hauptamtlicher<br />
Parteifunktionär von der <strong>KPD</strong> beschäftigt, die ihn aber nur kurze Zeit später im Februar 1956
266<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
Betriebsratswahl war somit die logische Konsequenz der Defensive, <strong>in</strong> der sich die<br />
<strong>KPD</strong> auf der Werft seit dem Ende des Streiks 1953 befand.<br />
In diesen drei Jahren waren auf der AG »Weser« die Gründe für die betriebsund<br />
gewerkschaftspolitische Defensive der <strong>KPD</strong> deutlich geworden. <strong>Die</strong> Repressionen<br />
und adm<strong>in</strong>istrativen Maßnahmen e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> ihrer antikommunistischen Motivation<br />
sehr e<strong>in</strong>igen Koalition aus Gewerkschaft, SPD, Unternehmensleitung, Staat<br />
und Justiz ließen der <strong>KPD</strong> nur sehr wenig Raum für e<strong>in</strong>e eigenständige Politik im<br />
Betrieb und bedrohten ganz massiv nicht nur deren politischen E<strong>in</strong>fluss sondern<br />
auch die materielle Existenz ihrer Mitglieder. Dem standen die Parteileitung und<br />
e<strong>in</strong>e radikalisierte und <strong>in</strong>strumentalisierte Betriebs- und Gewerkschaftspolitik gegenüber,<br />
die zum e<strong>in</strong>en oftmals an den betrieblichen Realitäten vorbeig<strong>in</strong>g, zum<br />
anderen Gewerkschaft und Unternehmensleitung willkommene Argumentationshilfen<br />
und Anlässe für ihre Maßnahmen gegen die <strong>KPD</strong> schaffte. Der Streik 1953<br />
hatte aber auch gezeigt, dass die Partei mit dieser Politik bei e<strong>in</strong>er zeitweise radikalisierten<br />
Belegschaft zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> Teilen auf Zustimmung stieß. Dazwischen stand<br />
die <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe, die e<strong>in</strong>erseits besonders während des Streiks die radikale<br />
Gewerkschaftspolitik umsetzte und ihr größtenteils zustimmte, <strong>in</strong> der andererseits<br />
aber auch die pr<strong>in</strong>zipiellen Widersprüche dieser Politik und e<strong>in</strong>e partielle Opposition<br />
zum Sekretariat sichtbar wurden.<br />
Letzte Bastionen: <strong>Die</strong> Betriebsgruppe Hafen und der Hafenarbeiterstreik 1955<br />
<strong>Die</strong> Entwicklung und Rolle der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe im Bremer Hafen wies im<br />
Vergleich zu B<strong>org</strong>ward und der AG »Weser« neben e<strong>in</strong>igen Parallelen signifikante<br />
Unterschiede auf. Besonders deutlich wurde dies anlässlich des - von Gewerkschaft,<br />
SPD und Öffentlichkeit als »wild« deklarierten - zweiwöchigen Hafenarbeiterstreiks<br />
1955, der maßgeblich von der <strong>KPD</strong> bee<strong>in</strong>flusst und <strong>in</strong>itiiert worden war.<br />
Auch die e<strong>in</strong>ige Monate zuvor durchgeführte Betriebsratswahl verdeutlichte Unterschiede<br />
zu anderen Bremer Großbetrieben. Während auf der AG »Weser« und<br />
B<strong>org</strong>ward zu diesem Zeitpunkt der E<strong>in</strong>fluss der Kommunisten nahezu völlig beseitigt<br />
war, wurde im Hafen e<strong>in</strong> Kommunist zum Betriebsratsvorsitzenden des Hafenbetriebsvere<strong>in</strong>s<br />
(HBV) gewählt.<br />
<strong>Die</strong> Belegschafts- und Betriebsstruktur im Hafen unterschied sich von der anderer<br />
Großbetriebe erheblich. Im wesentlichen wurde die Arbeit im Hafen von zwei<br />
Betrieben durchgeführt. <strong>Die</strong> im öffentlichen Besitz bef<strong>in</strong>dliche Bremer Lagerhaus<br />
Gesellschaft (BLG) war für die Infrastruktur im Hafen und für e<strong>in</strong>en Großteil des<br />
Umschlags verantwortlich; die dortigen Arbeiter war fest angestellt. Im Hafenbetriebsvere<strong>in</strong><br />
(HBV), <strong>in</strong> dem die übrigen Hafenbetriebe <strong>org</strong>anisiert waren, wurden<br />
dagegen vor allem sogenannte »Unständige« beschäftigt. <strong>Die</strong>se Unständigen stell-<br />
wegen »schwerer Verstöße gegen die E<strong>in</strong>heit der Partei, die Pr<strong>in</strong>zipien der <strong>in</strong>nerparteilichen Demokratie<br />
und die Parteidiszipl<strong>in</strong>« ausschloss (Mitteilung der <strong>KPD</strong>-Landesleitung <strong>Bremen</strong> über den Ausschluss von<br />
Willi Lahrs aus der <strong>KPD</strong>, Tribüne der Demokratie, 10./11. März 1956). Der Darstellung der Landesleitung<br />
zufolge waren weniger politische Differenzen, sondern persönliche Fehlleistungen Lahrs’ ausschlaggebend<br />
für den Ausschluss.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 267<br />
ten die Mehrheit der Hafenarbeiter und waren <strong>in</strong> der Weimarer Republik <strong>in</strong> erster<br />
L<strong>in</strong>ie die Träger von Streiks und spontanen Aktionen gewesen, auch gegen den<br />
Willen der Gewerkschaft. 403 Beide Betriebe hatten e<strong>in</strong>en eigenen Betriebsrat, waren<br />
aber seit 1950 im Gesamthafenbetrieb zusammengeschlossen, der erstmals den Unständigen<br />
e<strong>in</strong>en festen M<strong>in</strong>destlohn garantierte. 404<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte im Hafen bereits während der Weimarer Republik e<strong>in</strong>e starke<br />
Stellung gehabt, sowohl bei den fest beschäftigten Arbeitern der BLG - erst ab 1930<br />
g<strong>in</strong>g hier ihr E<strong>in</strong>fluss zurück - als auch und vor allem bei den Unständigen. 405 Für<br />
die Partei war der Hafen nicht nur deshalb e<strong>in</strong> zentraler Betrieb. H<strong>in</strong>zu kam die<br />
große, im Verlauf der 1950er Jahre noch zunehmende wirtschaftliche Bedeutung für<br />
<strong>Bremen</strong> sowie se<strong>in</strong>e Rolle - neben Bremerhaven - als e<strong>in</strong> zentraler Nachschub- und<br />
Umschlagshafen der amerikanischen Streitkräfte <strong>in</strong> Deutschland. Vor allem letzteres<br />
machte den Hafen ab 1950 im Zuge der nationalen Politik zum Schwerpunktbetrieb<br />
der <strong>KPD</strong>, dem sie e<strong>in</strong>e »zentrale Bedeutung [...] für den Kampf um den Frieden<br />
und damit für die gesamte politische Arbeit« 406 beimaß.<br />
<strong>Die</strong> Erfüllung dieser Ansprüche gelang vor Ort zunächst überhaupt nicht. Instrukteure<br />
von SED und <strong>KPD</strong>-Parteivorstand kritisierten 1950/51 öfter das Bremer<br />
Sekretariat und die Betriebsgruppe. Das Sekretariat sei, so e<strong>in</strong> Instrukteur 1950, ȟber<br />
die Lage im Hafen erschreckend wenig unterrichtet. Es gibt ke<strong>in</strong> System der direkten<br />
Anleitung der Partei<strong>org</strong>anisation <strong>in</strong> den Häfen durch das Sekretariat.« 407 <strong>Die</strong><br />
hiesige Landesleitungsabteilung für Arbeit und Soziales bezeichnete Anfang 1951<br />
die Betriebsgruppe beim HBV als »arbeitsunfähig« und wies die Verantwortung<br />
dafür den beiden <strong>KPD</strong>-Betriebsräten von Hörsten und Raschen zu. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe<br />
bei der BLG wurde dagegen als »aktiv« bezeichnet. 408<br />
<strong>Die</strong> Instrumentalisierungsversuche gelangen also im Hafen trotz der ihm zugemessenen<br />
Bedeutung für die Deutschlandpolitik der Partei genauso wenig wie <strong>in</strong><br />
den anderen Betrieben. Auch die Hafenarbeiter erreichte die <strong>KPD</strong> mit dieser Zielsetzung<br />
kaum, trotz e<strong>in</strong>iger groß angelegter Versuche wie z.B. e<strong>in</strong>er deutschlandweiten<br />
»Friedenskonferenz der Hafenarbeiter und Seeleute« im Juli 1950. 409 Anlässlich<br />
e<strong>in</strong>es Streiks <strong>in</strong> den niederländischen Häfen Rotterdam und Amsterdam im<br />
August 1950 beklagte der vom Parteivorstand e<strong>in</strong>gesetzte Instrukteur die mangelnde<br />
Bereitschaft zur Solidarität unter den Bremer Hafenarbeitern und das mangelhafte<br />
»Parteibewusstse<strong>in</strong> und die Parteimoral der Genossen« <strong>in</strong> der Betriebsgruppe.<br />
410<br />
E<strong>in</strong>en immerh<strong>in</strong> gewissen Erfolg <strong>in</strong> den Mobilisierungsbemühungen konnte die<br />
<strong>KPD</strong> mit dem dreitägigen »wilden« Hafenarbeiterstreik im Oktober 1951 verzeich-<br />
403 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Arbeit und Arbeiter im Überseehafen, <strong>in</strong>: Klaus Schlottau, Daniel Tilgner<br />
(Hrsg.), Der Bremer Überseehafen, <strong>Bremen</strong> 1999, S. 125-146, hier S. 136ff.<br />
404 Ebenda, S. 143.<br />
405 Ebenda, S. 139.<br />
406 Bericht über Instruktion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven am 7.8.1950, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/2.<br />
407 Ebenda.<br />
408 Bericht der Abteilung Arbeit und Sozial vom 1.1. - 31.1.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/19.<br />
409 Vgl. Kapitel 4.<br />
410 Instrukteurbericht, 30. August 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.
268<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
nen, der se<strong>in</strong>e öffentliche Wirkung aber vor allem durch das massive E<strong>in</strong>greifen<br />
von staatlicher Seite und die Vermittlungsversuche von Wilhelm Kaisen erzielte.<br />
Ausgangspunkt des Streiks waren zentrale Lohnverhandlungen zwischen ÖTV und<br />
Arbeitgebern für die deutschen Seehäfen, die mit e<strong>in</strong>em Schlichtungsangebot endeten.<br />
Darüber führte die ÖTV am 18. und 19. Oktober 1951 e<strong>in</strong>e Urabstimmung<br />
durch, <strong>in</strong> der die erforderliche Mehrheit von 75 Prozent für die Ablehnung nicht erreicht<br />
wurde. Das von der Gewerkschaft ausgehandelte Angebot galt damit als angenommen.<br />
Mit Arbeitsbeg<strong>in</strong>n am folgenden Montag (22. Oktober 1951) traten daraufh<strong>in</strong><br />
die Arbeiter im Überseehafen <strong>in</strong> den Streik und verlangten die Wiederaufnahme<br />
der Verhandlungen auf der Grundlage der ursprünglichen Lohnforderung.<br />
411 Am nächsten Tag schlossen sich auch die übrigen Hafenarbeiter (Industriehäfen<br />
u.a.) dem Streik an, zugleich waren auch die Hamburger Hafenarbeiter <strong>in</strong><br />
den Ausstand getreten. 412<br />
Bürgerliche Medien, Unternehmer und die ÖTV stellten sich von Anfang an gegen<br />
den als »wild« und »kommunistisch gesteuert« bezeichneten Ausstand. <strong>Die</strong><br />
ÖTV hatte sich sofort vom Streik distanziert, zur sofortigen Wiederaufnahme der<br />
Arbeit aufgefordert und erklärt, »für die Nichtaufnahme der Arbeit trägt jeder e<strong>in</strong>zelne<br />
selbst die Konsequenzen«. 413 <strong>Die</strong> Gewerkschaft verweigerte also jegliche Unterstützung<br />
materieller oder juristischer Art. Der Hafenbetriebsvere<strong>in</strong> als Arbeitgeber<br />
schaltete e<strong>in</strong>en Tag nach Streikbeg<strong>in</strong>n sogar e<strong>in</strong>e Anzeige im Weser-Kurier, <strong>in</strong><br />
der es hieß, »unverantwortliche politische Elemente« hätten »versucht, den Arbeitsfrieden<br />
des Hafens <strong>Bremen</strong> zu stören und die Arbeitsverteilung verh<strong>in</strong>dert«. 414<br />
Schützenhilfe erhielt der HBV e<strong>in</strong>en Tag später vom Herausgeber des Weser-<br />
Kurier, Hans Hackmack (SPD), der unter der Überschrift »Wilder Streik« den Streikenden<br />
»Gewalt und Terror« und »ungesetzliche Arbeitsbeh<strong>in</strong>derung« vorwarf.<br />
<strong>Die</strong> dafür Verantwortlichen seien »im kommunistischen Lager« zu suchen. »Überall<br />
spürt man fremde Drahtzieher«, so Hackmack. 415 <strong>Die</strong> Gründe für diese Reaktionen<br />
waren offensichtlich: die zentrale Bedeutung der Häfen für die Bremer Wirtschaft,<br />
416 e<strong>in</strong>e seit der Weimarer Republik für ihre Neigung zu spontanen und radikalen<br />
Aktionen bekannte Belegschaft, die sich außerdem durch die hohe Zahl von<br />
Unständigen <strong>in</strong> ihrer Struktur und <strong>in</strong> ihrer Kontrollierbarkeit erheblich von der<br />
»fester« Betriebe unterschied, sowie der zwar schwankende, aber nach wie vor große<br />
E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> dieser Belegschaft.<br />
411 Wilder Streik im Überseehafen, Weser-Kurier, 23. Oktober 1951.<br />
412 Hafenarbeiterstreik greift um sich, Weser-Kurier, 24. Oktober 1951. Siehe auch Gerald Sommer, Streik im<br />
Hamburger Hafen. Arbeiterprotest, Gewerkschaften und <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: Ergebnisse, Heft 13 (1981).<br />
413 Wilder Streik im Überseehafen, Weser-Kurier, 23. Oktober 1951.<br />
414 Hafenarbeiter!, Anzeige Weser-Kurier, 23. Oktober 1951.<br />
415 Wilder Streik, Weser-Kurier, 24. Oktober 1951.<br />
416 Der Herausgeber des Weser-Kuriers, Hans Hackmack, äußerte dies propagandistisch zugespitzt, aber<br />
im Kern zutreffend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kommentar: »Würde e<strong>in</strong> wilder Streik die bremischen Häfen für längere<br />
Zeit stilllegen, so würde jeder Zweig des Wirtschaftslebens unserer Freien Hansestadt <strong>in</strong> Mitleidenschaft<br />
gezogen. Denn auf Unsicherheit <strong>in</strong> Seehäfen reagiert der Welthandel erfahrungsgemäß sehr<br />
schnell und verlagert die Arbeit durch Umleitung der Überseeschiffe <strong>in</strong> jene Häfen, wo Arbeitsfriede<br />
herrscht.« (Wilder Streik, Weser-Kurier, 24. Oktober 1951).
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 269<br />
In der Tat hatte die <strong>KPD</strong> offensichtlich bei der Initiierung und Durchführung<br />
des Streiks e<strong>in</strong>e erhebliche Rolle gespielt. E<strong>in</strong>en Tag nach Bekanntgabe des Schiedsspruches<br />
(16. Oktober 1951) beschloss das Bremer Landessekretariat verschiedene<br />
Maßnahmen, mit denen die Hafenarbeiter auf e<strong>in</strong>e Ablehnung des Angebots orientiert<br />
werden sollten. 417 Am 19. Oktober, am ersten Tag der Urabstimmung, rechnete<br />
das Sekretariat damit, »dass im Hafen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> über 75% der Hafenarbeiter gegen<br />
den Schiedsspruch stimmen« und beschloss: »Es muss alles <strong>in</strong> Bewegung gesetzt<br />
werden, damit sofort nach Bekanntwerden des Abstimmungsresultates der Hafen<br />
stillgelegt werden kann (Besprechung mit Betriebsgruppe usw.).« 418 <strong>Die</strong> Planungen<br />
umfassten außerdem die Herausgabe e<strong>in</strong>e Flugblatts der Landesleitung, das am<br />
darauffolgenden Wochenende im Hafen verteilt wurden, die »Vorbereitung der Solidaritätsbewegungen«<br />
sowie die Schaffung e<strong>in</strong>er zentralen Streikleitung, »die<br />
ständig <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Hamburg den Kampf der Hafenarbeiter anleitet«. 419<br />
<strong>Die</strong> Streikleitung wurde am ersten Tag des Streiks gebildet und tatsächlich gehörten<br />
ihr mehrheitlich Kommunisten an. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> versuchte außerdem u.a. durch<br />
Auftritte von Hermann Gautier, Wilhelm Meyer-Buer und anderen Bürgerschaftsabgeordneten,<br />
Streikverlauf und -<strong>in</strong>halte zu bee<strong>in</strong>flussen und ihn auf andere Nordseehäfen<br />
(Emden, Brake, Bremerhaven) auszudehnen.<br />
Am zweiten Tag des Streiks eskalierten die Ause<strong>in</strong>andersetzungen, was vor allem<br />
am massiven E<strong>in</strong>greifen von Polizeikräften lag, die <strong>in</strong>zwischen das Hafengelände<br />
abgesperrt hatten. E<strong>in</strong>e Demonstration der Hafenarbeiter versuchte e<strong>in</strong>e der<br />
Sperren zu durchbrechen, woraufh<strong>in</strong> die Polizei gewaltsam unter E<strong>in</strong>satz von<br />
Gummiknüppeln gegen die Demonstranten v<strong>org</strong><strong>in</strong>g. Auch e<strong>in</strong>e Demonstration vor<br />
dem Bremer Rathaus wurde gewaltsam aufgelöst, außerdem wurden sieben Hafenarbeiter<br />
verhaftet. 420<br />
Wohl auch als Reaktion auf diese Eskalation schalteten sich nun der Senat und<br />
besonders Wilhelm Kaisen <strong>in</strong> die Ereignisse e<strong>in</strong>. Kaisen veröffentlichte e<strong>in</strong>en Aufruf<br />
an die Hafenarbeiter und forderte sie zur Wiederaufnahme der Arbeit auf. <strong>Die</strong> Erklärung<br />
enthielt, bis auf die unverb<strong>in</strong>dliche Zusage, »dass niemand gemaßregelt<br />
wird, wenn er jetzt se<strong>in</strong>e Arbeit wieder aufnimmt«, ke<strong>in</strong>erlei Zugeständnisse oder<br />
gar Anzeichen von Verständnis für die Streikgründe, sondern wiederholte die<br />
Vorwürfe, der Streik diene »politischen Zwecken der <strong>KPD</strong>«. Relativ unverblümt<br />
waren Kaisens Drohungen gegen die Arbeiter: »die Staats<strong>org</strong>ane s<strong>in</strong>d verpflichtet,<br />
jeden Staatsbürger bei der Ausübung se<strong>in</strong>er Tätigkeit gegen Terror und Gewaltmaßnahmen<br />
zu schützen. Hafenarbeiter, das gilt auch für euch!«. Das bedeutete<br />
nichts anderes als die Androhung weiterer staatlicher Gewalt zwecks Beendigung<br />
des Streiks. Kaisens Aufruf endete dramatisch: »Isoliert die Terroristen, verlasst<br />
nicht die gewerkschaftliche Basis bei Lohnkämpfen! E<strong>in</strong> Schritt ab vom Wege im<br />
S<strong>in</strong>ne der kommunistischen Drahtzieher - und das Chaos ist da! Ersche<strong>in</strong>t daher<br />
417 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 17. Oktober 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
418 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 19. Oktober 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />
419 Ebenda.<br />
420 Streikwellen schlugen vom Hafen <strong>in</strong> die Stadt und Täglich 120000 DM Streikschäden, Weser-Kurier, 24. Oktober<br />
1951.
270<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
zur ordnungsgemäßen Arbeitsvermittlung!«. 421 Kaisen beließ es nicht bei diesem<br />
Aufruf. Noch am Tag der Veröffentlichung erschien der Präsident des Senats persönlich<br />
im Hafen und sprach vor e<strong>in</strong>er Versammlung der Streikenden. Hier machte<br />
er nun erstmals auch leichte Zugeständnisse und sicherte den Arbeitern im Falle<br />
der Beendigung des Streiks e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>malige Zahlung von Kartoffelgeld zu. Parallel<br />
dazu hatte auch die ÖTV angeboten, die während des Streiks ausgefallenen Löhne<br />
zu zahlen. 422 <strong>Die</strong> Arbeiter lehnten dennoch zunächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er von Kaisen <strong>in</strong>itiierten<br />
Abstimmung die Beendigung des Streiks ab, wohl auch unter dem E<strong>in</strong>druck weiterer,<br />
kurz zuvor erfolgter Verhaftungen zweier Kommunisten aus der Streikleitung.<br />
Am nächsten Tag jedoch brach der Streik nach nur dreitägiger Dauer zusammen,<br />
ohne dass die Forderungen erfüllt worden waren. <strong>Die</strong> Mehrheit der Arbeiter<br />
nahm zur Mittagsschicht die Arbeit wieder auf. 423 <strong>Die</strong> Mischung aus staatlicher<br />
Gewalt, antikommunistischer Rhetorik und materiellen Zusícherungen hatte offenbar<br />
gewirkt. Für die <strong>KPD</strong> war dies ebenfalls e<strong>in</strong>e Niederlage, die zwei Aspekte sehr<br />
deutlich gemacht hatte: Sie war kurzfristig durchaus <strong>in</strong> der Lage gewesen, die wenig<br />
homogene und spontaneistisch orientierte Belegschaft im Hafen zu mobilisieren,<br />
auch die festangestellten Arbeiter der BLG. Sie war aber nicht fähig, dem staatlichen<br />
E<strong>in</strong>greifen wirksam entgegenzutreten, die Durchsetzung der Forderungen zu<br />
erreichen und den Streik mit ihren allgeme<strong>in</strong>en politischen Zielen zu verb<strong>in</strong>den.<br />
In der E<strong>in</strong>schätzung des Streiks hob die Parteileitung vor allem die <strong>in</strong> ihren Augen<br />
positiven Aspekte hervor. Hermann Gautier betonte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Stellungnahme<br />
vor dem Parteivorstand die »gute Kampfmoral« während des Streiks, die die<br />
partei<strong>in</strong>ternen Kritiker vor allem bei B<strong>org</strong>ward widerlegt habe. <strong>Die</strong> Arbeiter hätten<br />
deren Argument, »die seien nicht bereit zu kämpfen, e<strong>in</strong>deutig widerlegt«. <strong>Die</strong><br />
Partei habe gerade deshalb an Ansehen gewonnen, »weil wir entgegen dieser<br />
falschen Auffassung, dass sich unsere Partei nicht e<strong>in</strong>mischen dürfe, von Anfang an<br />
e<strong>in</strong>e selbständige Haltung <strong>in</strong> diesem Kampf e<strong>in</strong>genommen haben, weil wir den<br />
Arbeitern aufgezeigt haben, was sie machen müssen.« Fehler sah Gautier lediglich<br />
im Fehlen e<strong>in</strong>er zentralen Streikleitung für alle Häfen und »dass wir nicht die<br />
Taktik der rechten Gewerkschaftsführer erkannt haben, den Hafenarbeitern die<br />
Führung aus der Hand zu nehmen«. 424 Geradezu euphorisch beurteilte e<strong>in</strong><br />
Vertreter der Betriebsgruppe die Ergebnisse des Streiks für die <strong>KPD</strong>:<br />
»Es kann festgestellt werden, dass alle Hafenarbeiter während des Streiks auf die kommunistischen<br />
Genossen gesehen haben. Das ist das Entscheidende, dass wir als Kommunistische<br />
Partei von Anfang an das Heft <strong>in</strong> der Hand hatten, um auch die [Streik-] Leitung richtig <strong>in</strong> die<br />
Wege zu br<strong>in</strong>gen. [...] <strong>Die</strong> Zeiten s<strong>in</strong>d vorbei, wo die Kommunistische Partei als e<strong>in</strong> isoliertes<br />
Häufle<strong>in</strong> neben der Arbeiterklasse stand. Heute ist die Zeit bereits da, wo die Kommunistische<br />
Partei die Arbeiterklasse wirklich zum Kampf und zum Sieg führen muss.« 425<br />
421 Hafenarbeiter!, Anzeige Weser-Kurier, 24. Oktober 1951.<br />
422 Verständigungsvorschlag der Gewerkschaft ÖTV, Weser-Kurier, 25. Oktober 1951.<br />
423 Der wilde Streik ist zusammengebrochen, Weser-Kurier, 26. Oktober 1951. In Hamburg dagegen dauerte<br />
der Streik noch bis zum 9. November 1951 (Gerald Sommer, Streik im Hamburger Hafen, a.a.O.).<br />
424 2. Tagung des PV der <strong>KPD</strong> 9.-11.11.1951, Bd. 2, S. 456ff., <strong>in</strong>: SAPMO DY IV/10.03/238.<br />
425 2. Tagung des PV der <strong>KPD</strong> 9.-11.11.1951, Bd. 1, S. 204f., <strong>in</strong>: SAPMO DY IV/10.03/237.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 271<br />
<strong>Die</strong> Freude von Parteileitung und Betriebsgruppe über die führende Rolle der<br />
<strong>KPD</strong> während des Streiks war zwar, was die Auslösung und Durchführung betraf,<br />
<strong>in</strong> gewissem Maße berechtigt. Das schnelle und nahezu ergebnislose Ende der Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
jedoch und die Entwicklung der folgenden Jahre widersprachen<br />
dem Optimismus. <strong>Die</strong> ÖTV schloss im Januar 1952 sieben Bremer Hafenarbeiter<br />
wegen gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlichen Verhaltens während des Streiks aus. Unter ihnen<br />
war auch der kommunistische Vorsitzende der Streikleitung. 426 <strong>Die</strong> Betriebsgruppe<br />
war <strong>in</strong>folge des massiven staatlichen E<strong>in</strong>greifens, der schnellen Beendigung des<br />
Streiks und der Gewerkschaftsausschlüsse <strong>in</strong> der Folgezeit offenbar zunächst nahezu<br />
<strong>in</strong>aktiv. Der Streik von 1951 habe »e<strong>in</strong>e nicht unerhebliche Depression h<strong>in</strong>terlassen«,<br />
die Betriebsgruppe sei »sehr getroffen« und »die Aktivität der Genossen gehemmt«<br />
gewesen, hieß es später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Instrukteursbericht. 427 Nach wie vor<br />
nahm der Hafen als Schwerpunktbetrieb e<strong>in</strong>e zentrale Stellung <strong>in</strong> der Konzeption<br />
des Sekretariats e<strong>in</strong>, das sich aber weiter nicht besonders darum kümmerte. 428<br />
Trotzdem behielt die Partei vor allem im Hafenbetriebsvere<strong>in</strong> ihren E<strong>in</strong>fluss. Bei<br />
den Betriebsratswahlen 1953 gelangte sie mit m<strong>in</strong>destens zwei Vertretern <strong>in</strong> den<br />
HBV-Betriebsrat. 429 Nach Angaben der <strong>KPD</strong> konnte »der alte Betriebsratsvorsitzende<br />
<strong>in</strong> der konstituierenden Sitzung nur e<strong>in</strong>e Stimme mehr bekommen als der<br />
ebenfalls für den Vorsitzenden v<strong>org</strong>eschlagene Genosse«. 430 Bei der Bremer Lagerhausgesellschaft<br />
gelangte die <strong>KPD</strong> nicht <strong>in</strong> den Betriebsrat. 431<br />
1955 gelang es dann der <strong>KPD</strong>, diesen trotz der Niederlage beim Streik 1951 und<br />
der Lethargie der Betriebsgruppe aufrechterhaltenen latenten E<strong>in</strong>fluss unter den<br />
Hafenarbeitern zu nutzen und sogar zu stärken. Sichtbarstes Zeichen dafür war die<br />
Wahl des Kommunisten Karl Lampe zum HBV-Betriebsratsvorsitzenden. Bei den<br />
Betriebsratswahlen am 28. und 29. April 1955 wurden fünf Mitglieder der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />
den <strong>in</strong>sgesamt 17-köpfigen Betriebsrat des HBV gewählt. 432 Wie 1953 erhielt die<br />
SPD lediglich e<strong>in</strong> Mandat, der Rest entfiel auf parteilose Kandidaten. 433 Bei der<br />
konstituierenden Betriebsratssitzung weigerte sich der bisherige Vorsitzende und<br />
spätere ÖTV-Sekretär Max Hilse, der bei den Wahlen die meisten Stimmen erhalten<br />
426 Gerald Sommer, Streik im Hamburger Hafen, a.a.O., S. 83f.<br />
427 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />
428 So monierte e<strong>in</strong>e Instrukteur<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong>er Sekretariatsitzung, sie »wundere sich«, dass <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Sitzung<br />
des Sekretariats Stellung zum Schwerpunkt Hafen genommen werde. »Es müssen die dafür verantwortlichen<br />
Genossen doch berichten, was dort gemacht wurde.« (Protokoll der Sekretariats-Sitzung am 3.<br />
Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7).<br />
429 Arbeitsbüro, 10.8.55, Anlage 3)., <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/71. Der Instrukteursbericht gab e<strong>in</strong>e<br />
Übersicht über die Bremer Betriebsratswahlen 1955, enthielt aber auch die Ergebnisse der letzten Wahlen<br />
von 1953. Laut dieser Übersicht war die SPD im Betriebsrat von 1953 nur mit e<strong>in</strong>em Sitz vertreten,<br />
die Mehrzahl der Betriebsräte war parteilos.<br />
430 Zwischenbericht zum Stal<strong>in</strong>-Aufgebot d. Land <strong>Bremen</strong> bis zum 15.4.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
431 Ebenda.<br />
432 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102. Andere<br />
Quellen von <strong>KPD</strong> und SED sprachen von vier bzw. sechs <strong>KPD</strong>-Mandaten (Analyse des Hafenarbeiterstreiks<br />
1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188; Arbeitsbüro, 10.8.55, Anlage 3, <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO<br />
DY 2/10/.02/71).<br />
433 Arbeitsbüro, 10.8.55, Anlage 3, <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/71.
272<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
hatte, im neuen Betriebsrat mit Karl Lampe zusammenzuarbeiten und schlug stattdessen<br />
den Kommunisten als Betriebsratsvorsitzenden vor. <strong>Die</strong>ser wurde daraufh<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>stimmig gewählt. 434 Auch bei der Bremer Lagerhausgesellschaft gelang es der<br />
<strong>KPD</strong> wieder, mit zwei Mandaten vertreten zu se<strong>in</strong>. 435<br />
Bereits zuvor war die <strong>KPD</strong> im Hafen wieder aktiver geworden und hatte dadurch<br />
bei dieser Wahl »beachtliche Erfolge« 436 erzielt. <strong>Die</strong> Betriebsgruppenzeitung<br />
»De Stauhoken« erschien ab Anfang 1955 wieder regelmäßig 437 und wurde zu dem<br />
am häufigsten ersche<strong>in</strong>enden Betriebs<strong>org</strong>an der Bremer Partei. Spätere Analysen<br />
der <strong>KPD</strong> schrieben dem Blatt e<strong>in</strong>en wesentlichen Anteil an dem Ergebnis der Betriebsratswahl<br />
wie auch bei der Vorbereitung des im Herbst folgenden Streiks<br />
zu. 438<br />
Nach der Wahl von Karl Lampe wurde die Arbeit weiter <strong>in</strong>tensiviert, sowohl <strong>in</strong><br />
»atmosphärischer« H<strong>in</strong>sicht - es gelang der Partei, e<strong>in</strong>e Delegation mit mehr als der<br />
Hälfte der Hafenbetriebsräte zusammenzustellen, die die Häfen <strong>in</strong> Rostock und<br />
Wismar besuchte und dort e<strong>in</strong> »geme<strong>in</strong>sames Kampfprogramm für die Herstellung<br />
e<strong>in</strong>er gesamtdeutschen Zusammenarbeit« aufstellte - 439 alsauch<strong>in</strong>derEntwicklung<br />
betrieblicher Forderungen. <strong>Die</strong>se mündeten schließlich <strong>in</strong> konkreten Forderungen<br />
nach e<strong>in</strong>er Teuerungszulage auf den Schichtlohn um 2,- DM, die Zahlung<br />
e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>kellerungsbeihilfe von 80,- DM und die Zahlung e<strong>in</strong>er Erschwerniszulage<br />
von 3 DM für die Sackträger. <strong>Die</strong>se Forderungen - propagiert im »Stauhoken« - 440<br />
wurden auch an die ÖTV herangetragen, die deren Durchsetzung auf betrieblicher<br />
Ebene jedoch ablehnte, da sie »tarifliche Forderungen« seien. 441 <strong>Die</strong> Entwicklung<br />
und Aufstellung der Forderungen liefen also an der Gewerkschaft wie auch am Betriebsrat<br />
mit dem kommunistischen Vorsitzenden vorbei.<br />
E<strong>in</strong>e Belegschaftsversammlung des HBV verlieh den Forderungen am 18. September<br />
1955 noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>stimmig Nachdruck. 442 <strong>Die</strong> Versammlung beauftragte<br />
den Betriebsrat, unverzüglich über die Forderungen mit dem HBV zu verhandeln<br />
und setzte ihm e<strong>in</strong>e Frist von e<strong>in</strong>er Woche, nach der über die Ergebnisse berichtet<br />
werden sollte. 443 »<strong>Die</strong>se Betriebsversammlung wurde von der Betriebsgruppe der<br />
<strong>KPD</strong> bis <strong>in</strong> alle E<strong>in</strong>zelheiten gründlich vorbereitet und dadurch die e<strong>in</strong>stimmige<br />
434 Wochenbericht der Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong> vom 2.5. bis 9.5. 1955, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12. Der Bericht<br />
gab ke<strong>in</strong>e Erklärung für dieses Verhalten von Hilse.<br />
435 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />
436 Ebenda.<br />
437 Vgl. die Exemplare <strong>in</strong> SAPMO I 10/20/15.<br />
438 »Dadurch, dass diese Betriebszeitung <strong>in</strong> der Lage war, alle betrieblichen Probleme, Wünsche und Forderungen<br />
der Hafenarbeiter aufzugreifen, e<strong>in</strong>gehend zu behandeln, wurde der Stauhoken populär und<br />
als die Betriebszeitung der Hafenarbeiter anerkannt«, hieß es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der Berichte. (Analyse des Hafenarbeiterstreiks<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102). Andere Berichte formulierten<br />
ähnlich.<br />
439 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />
440 Z.B. Teuerungszulage erkämpfen, De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter [1.9.55], <strong>in</strong>:<br />
SAPMO I 10/20/15.<br />
441 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />
442 »Mit Sanella und Haferflocken ist es nicht getan«, Tribüne der Demokratie, 20. September 1955.<br />
443 Hafenarbeiter auf dem richtigen Weg, Tribüne der Demokratie, 23. September 1955.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 273<br />
Annahme der Beschlüsse auch gesichert«, hieß es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em späteren Bericht. 444 Tatsächlich<br />
hatte die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>tensiv für den Besuch der an e<strong>in</strong>em Sonntag stattf<strong>in</strong>denden<br />
Betriebsversammlung geworben und dabei auch die aufgestellten Forderungen<br />
noch e<strong>in</strong>mal begründet. 445 Während der Versammlung trat vor allem der junge Hafenarbeiter<br />
und Kommunist Gerd Lieberum als Redner hervor und positionierte<br />
sich gegen den Vertreter der ÖTV. 446 Der 27-Jährige war bis 1951 Landesvorsitzender<br />
der FDJ gewesen, seitdem Mitglied der <strong>KPD</strong>-Kreisleitung und zum Zeitpunkt<br />
der Betriebsversammlung 1955 auch Kandidat der Partei für die am 9. Oktober anstehenden<br />
Bürgerschaftswahlen. Der E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> war also sehr deutlich, und<br />
Lieberum wurde beim nachfolgenden Streik auch Vorsitzender und Sprecher der<br />
Streikleitung.<br />
<strong>Die</strong> Gespräche zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung fanden bis zum<br />
festgelegten Term<strong>in</strong> (25. September 1955) ke<strong>in</strong> Ergebnis. Der Hafenbetriebsvere<strong>in</strong><br />
lehnte die Teuerungs- und Erschwerniszulagen ab, für die E<strong>in</strong>kellerungsbeihilfe sei<br />
er nicht zuständig. 447 <strong>Die</strong> Belegschaft hielt die Forderungen jedoch aufrecht und<br />
beauftragte den Betriebsrat e<strong>in</strong> zweites Mal, mit den Unternehmern zu verhandeln.<br />
<strong>Die</strong> Betriebsgruppe der <strong>KPD</strong> gab e<strong>in</strong>e dementsprechende Sondernummer des Stauhoken<br />
heraus und forderte den Betriebsrat auf, am 29. September um 14 Uhr<br />
(Schichtwechsel) vor Schuppen 13 Bericht zu erstatten. 448 <strong>Die</strong>se Versammlung stellte<br />
den Beg<strong>in</strong>n des über zweiwöchigen Hafenarbeiterstreiks dar.<br />
Bereits die Ankündigung der Versammlung hatte die Polizei veranlasst, ab acht<br />
Uhr m<strong>org</strong>ens auf dem Schuppengelände zu patrouillieren. 449 Zum angekündigten<br />
Zeitpunkt waren schließlich drei Hundertschaften und e<strong>in</strong> Wasserwerfer aufgefahren.<br />
Trotzdem versammelten sich etwa 1.500 bis 2.000 Hafenarbeiter auf dem Gelände,<br />
verließen es jedoch nach Aufforderungen der Polizei wieder und zogen vor<br />
e<strong>in</strong>e Vermittlungsstelle. 450 Auch dort waren starke Polizeikräfte aufgefahren, die<br />
sich jedoch nach entsprechenden Forderungen der Arbeiter wieder zurückzogen.<br />
Statt des Betriebsratsvorsitzenden Karl Lampe, der eigentlich den Arbeitern Bericht<br />
über die Verhandlungen erstatten sollte, sprach zunächst der Direktor des Hafenbetriebsvere<strong>in</strong>s<br />
Dr. Bierwirth, der dem Kommunisten angeblich zuvor Redeverbot erteilt<br />
hatte. 451 Bierwirth lehnte noch e<strong>in</strong>mal alle Forderungen der Belegschaft ab und<br />
444 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />
445 Auf zur Betriebsversammlung, De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter [16.9.55], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/20/15.<br />
446 Hafenarbeiter auf dem richtigen Weg, Tribüne der Demokratie, 23. September 1955.<br />
447 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />
448 Ebenda; Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />
2/10.03/102; Beschlüsse durchführen!-fordern Bremer Hafenarbeiter, Tribüne der Demokratie, 28. September<br />
1955. Schuppen 13 war e<strong>in</strong> historischer Ort für den Hafen und die Arbeiterversammlungen, von<br />
hier g<strong>in</strong>gen fast alle Hafenstreiks aus.<br />
449 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />
450 Ebenda. <strong>KPD</strong> und bürgerliche Medien schrieben den konfliktlosen Ablauf übere<strong>in</strong>stimmend dem »ruhigen<br />
Verhalten« der Arbeiter zu. Der Weser-Kurier schrieb außerdem: »Zusätzlich besänftigte die Polizei<br />
noch die Gemüter über Lautsprecher mit ›La Paloma‹-Melodien.« (Lösch- und Ladearbeitern ruhten<br />
gestern im Hafen, Weser-Kurier, 30. September 1955).<br />
451 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.
274<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
erklärte, e<strong>in</strong>e Zustimmung läge ohneh<strong>in</strong> nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Macht. 452 Auch der anwesende<br />
Vertreter der ÖTV forderte die Arbeiter auf, wieder an die Arbeit zu gehen,<br />
da ihr Verhalten die laufenden Rahmentarifverhandlungen gefährde. Karl Lampe<br />
schloss sich dieser Argumentation an und forderte ebenfalls zur Besonnenheit und<br />
Wiederaufnahme der Arbeit auf. Damit war e<strong>in</strong>e bemerkenswerte Situation entstanden:<br />
Der kommunistische Vorsitzende des Betriebsrates stellte sich nicht h<strong>in</strong>ter<br />
die Forderungen der großen Mehrheit der Belegschaft, die zuvor von se<strong>in</strong>er eigenen<br />
Partei maßgeblich vorangetrieben und formuliert worden waren.<br />
<strong>Die</strong> Belegschaft nahm entgegen der Aufforderungen ihres Betriebsratsvorsitzenden<br />
die Arbeit nicht wieder auf und wählte auf Initiative von Gerd Lieberum<br />
e<strong>in</strong>e Delegation, die die weiteren Verhandlungen zur Durchsetzung der Forderungen<br />
führen sollte. <strong>Die</strong> Unternehmensleitung verweigerte e<strong>in</strong> Gespräch mit dieser<br />
Delegation. Damit hatte der Streik begonnen. Am nächsten m<strong>org</strong>en schloss sich<br />
auch die Frühschicht der Arbeitsniederlegung an. Insgesamt befanden sich damit<br />
alle Arbeiter des Hafenbetriebsvere<strong>in</strong>s im Streik. 453 <strong>Die</strong> Belegschaft der Bremer Lagerhaus-Gesellschaft<br />
schloss sich dagegen dem Streik nicht an.<br />
Wie bereits 1951 machten die bürgerlichen Zeitungen sofort Stimmung gegen<br />
den Ausstand und bezeichneten ihn als »wilden Streik« und »e<strong>in</strong>deutig kommunistisch<br />
gelenkt«. 454 Der Bremer Senat hielt sich diesmal mit Äußerungen und Interventionen<br />
zurück, setzte allerd<strong>in</strong>gs die starke Polizeipräsenz während der gesamten<br />
Dauer des Streiks fort. Bereits am zweiten Tag wurden die Hafenzugänge abgesperrt<br />
und nur noch fest Beschäftigte mit entsprechenden Ausweisen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gelassen.<br />
455 <strong>Die</strong> ÖTV wiederholte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erklärung noch e<strong>in</strong>mal das Argument von der<br />
Gefährdung der Rahmentarifverhandlungen: »<strong>Die</strong> durch verantwortungslose Kräfte<br />
angezettelte Arbeitsniederlegung hat uns erheblich zurückgeworfen. Der Gang<br />
der Verhandlungen darf nicht noch weiter erschwert werden. Es ist notwendig,<br />
dass die Arbeit wiederaufgenommen wird.« 456<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> stellte sich vorbehaltlos h<strong>in</strong>ter den Streik und versuchte dabei von Anfang<br />
an, ihn auf andere Häfen und die Bremer Metallbetriebe zu erweitern. »Es<br />
herrschte im Sekretariat Klarheit darüber, alles daranzusetzen, den Streik auszubreiten«,<br />
so e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terner Bericht. Das Ziel wurde weder für die Bremer Betriebe<br />
(»trotzdem e<strong>in</strong>ige Versuche von der Kreis- und Landesleitung und auch der Betriebsgruppe<br />
unternommen wurden«) 457 noch für die anderen Seehäfen erreicht. 458<br />
Besonders im wichtigen Hamburger Hafen gelang es nicht - obwohl »fast täglich<br />
Delegationen der Streikenden entsandt« wurden - Solidaritätsaktionen auszulösen.<br />
452 Lösch- und Ladearbeitern ruhten gestern im Hafen, Weser-Kurier, 30. September 1955.<br />
453 3700 Hafenarbeiter im wilden Streik, Weser-Kurier, 1. Oktober 1955.<br />
454 Ebenda.<br />
455 Vgl. die Erklärung des Polizeipräsidenten (ebenda).<br />
456 Ebenda.<br />
457 Vgl. auch die zahlreichen Flugblätter der <strong>KPD</strong> an die Arbeiter <strong>in</strong> der Metall<strong>in</strong>dustrie, <strong>in</strong> der zu dieser<br />
Zeit Tarifverhandlungen stattfanden, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/10.<br />
458 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102. Wie<br />
beim Werftarbeiterstreik 1953 fehlen für die gesamte Dauer des Streiks im Hafen die Protokolle des<br />
Landesekretariats.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 275<br />
Entsprechende Versuche von drei kommunistischen Betriebsratsmitgliedern wurden<br />
von der Hamburger Unternehmensleitung mit sofortiger Entlassung beantwortet.<br />
459<br />
E<strong>in</strong>en Tag nach Streikbeg<strong>in</strong>n bildete die Belegschaft e<strong>in</strong>e Streikleitung, der neben<br />
dem Sprecher Gerd Lieberum e<strong>in</strong> weiterer Kommunist sowie »e<strong>in</strong>ige gute parteilose<br />
Kollegen und Sozialdemokraten« angehörten. 460 <strong>Die</strong> Streikleitung bestand<br />
zunächst »ausschließlich aus jungen Kollegen« 461, was die ÖTV <strong>in</strong> ihrer Gegenagitation<br />
versuchte auszunutzen. Sie sprach <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erklärung vom 4. Oktober 1955<br />
von »berufsfremden Agitatoren«: »Der Hauptredner der illegalen Streikleitung ist<br />
e<strong>in</strong> im Hafenleben noch völlig unerfahrener Mensch. Setzt se<strong>in</strong>en Parolen eure Berufserfahrung<br />
und eure objektive gewerkschaftliche Haltung entgegen«. 462<br />
<strong>Die</strong> Zusammenarbeit zwischen Streikleitung und <strong>KPD</strong> war von Anfang an eng<br />
und <strong>in</strong>tensiv. <strong>Die</strong>s betraf zunächst vor allem die Informationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit,<br />
e<strong>in</strong> aufgrund der Betriebs- und Belegschaftsstruktur und den öffentlichen<br />
Anfe<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong> diesem Streik besonders wichtiger Aspekt. Bei der Ausarbeitung<br />
der von der Streikleitung herausgegebenen Informationen an die Hafenarbeiter<br />
gab »die Partei auf Wunsch der Streikleitung [...] die größtmögliche Hilfe«. 463<br />
Um den e<strong>in</strong>seitigen Presseberichten entgegenzuarbeiten, veranstaltete die Streikleitung<br />
»auf Empfehlung« des <strong>KPD</strong>-Landessekretariats e<strong>in</strong>e Pressekonferenz, die<br />
zwar auch von den bürgerlichen Medien »sehr gut besucht war«, von diesen aber<br />
dennoch <strong>in</strong> der Berichterstattung weitgehend ignoriert wurde. 464 Zur Informationsverbreitung<br />
blieb der Streikleitung so vor allem die Tribüne der Demokratie, die<br />
die Verlautbarungen der Streikenden im Wortlaut veröffentlichte 465 und die während<br />
des Streiks kostenlos im Hafen verteilt wurde.<br />
Obwohl nach Angaben der <strong>KPD</strong> zunächst »die Organisation durch die Streikleitung«<br />
»äußerst schwach« war, 466 gelang es <strong>in</strong> den ersten Tagen, die Belegschaft geschlossen<br />
h<strong>in</strong>ter den Streik zu br<strong>in</strong>gen. Weder die erneuten Aufforderungen zur<br />
Wiederaufnahme der Arbeit durch Gewerkschaft und Betriebsratsvorsitzenden<br />
noch die vom HBV am 4. Oktober ausgesprochene Entlassung aller streikenden Hafenarbeiter<br />
führten zum Abbruch des Streiks. 467<br />
Nach nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>er Woche war schließlich e<strong>in</strong> erster Erfolg zu verzeichnen,<br />
der aber gleichzeitig die Streikfront bröckeln ließ. E<strong>in</strong>e anlässlich des Streiks e<strong>in</strong>be-<br />
459 E<strong>in</strong>stimmiger Beschluss: »Weiter streiken!«, Tribüne der Demokratie, 5. Oktober 1955; Streik im Hafen flaut<br />
weiter ab, Weser-Kurier, 7. Oktober 1955.<br />
460 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />
461 Ebenda.<br />
462 Ebenda.<br />
463 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />
464 Ebenda.<br />
465 <strong>Die</strong> erste Erklärung der Streikleitung wurde am 4. Oktober veröffentlicht und rekapitulierte vor allem<br />
Streikgründe und -beg<strong>in</strong>n (Unser Kampf - e<strong>in</strong>e gerechte Sache. Erklärung der Streikleitung der Bremer Hafenarbeiter,<br />
Tribüne der Demokratie, 4. Oktober 1955).<br />
466 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />
467 E<strong>in</strong>stimmiger Beschluss: »Weiter streiken!«, Tribüne der Demokratie, 5. Oktober 1955; 37 Gänge nahmen<br />
gestern Arbeit auf, Weser-Kurier, 5. Oktober 1955.
276<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
rufene Delegiertenkonferenz der ÖTV Fachgruppe 6 (Hafen) beschloss am 5. Oktober<br />
1955, die laufenden Rahmentarifverhandlungen durch Lohnverhandlungen zu<br />
ergänzen, trotz des noch elf Monate laufenden Lohntarifvertrags. 468 <strong>Die</strong> Delegierten<br />
forderten aber gleichzeitig mit großer Mehrheit zur Beendigung des Streiks<br />
auf. 469 <strong>Die</strong> Verhandlungen wurden tatsächlich am folgenden Tag aufgenommen. 470<br />
<strong>Die</strong> Streikleitung erklärte, »das Kampfprogramm der Streikenden könne nun auf<br />
die Forderung nach e<strong>in</strong>em nichtrückzahlbaren E<strong>in</strong>kellerungsgeld <strong>in</strong> Höhe von 80<br />
DM beschränkt werden«. 471 Der Beschluss zur Aufnahme von Lohnverhandlungen<br />
und der Aufruf zur Beendigung des Streiks hätten unter den Arbeitern »e<strong>in</strong>e große<br />
Wirkung erzielt« und »stark deprimierend« gewirkt, so e<strong>in</strong>e Analyse der <strong>KPD</strong>. 472<br />
Tatsächlich ließen sich wohl e<strong>in</strong>e Reihe von Arbeitern <strong>in</strong> der Folge des ÖTV-<br />
Beschlusses wieder vermitteln, und e<strong>in</strong>zelne Betriebe nahmen die Arbeit wieder<br />
auf. Der von den bürgerlichen Medien <strong>in</strong> den folgenden Tagen vermittelte E<strong>in</strong>druck,<br />
der Streik breche nun zusammen, erwies sich jedoch als falsch. 473 Es gelang<br />
der Streikleitung zunächst, auch unter H<strong>in</strong>weis auf die nach wie vor stark präsenten<br />
Polizeikräfte, deren Abzug nun zusätzlich gefordert wurde, die Fortführung des<br />
Streiks durch die Mehrheit der Hafenarbeiter zu erreichen. 474<br />
Dennoch war der Streikleitung bewusst, dass sich der Ausstand nicht mehr lange<br />
würde aufrecht halten lassen.<br />
»<strong>Die</strong> Tatsache, dass im Hafen weit über Tausend Streikbrecher an der Arbeit waren, dass nach<br />
Hamburg umgeleitete Schiffe dort bearbeitet und nach ke<strong>in</strong>er Seite Verhandlungsmöglichkeiten<br />
bestanden, sowie der Umstand, dass die materielle Lage der Kollegen zur schweren Last<br />
wurde, erforderten seitens der Streikleitung, sich ernsthaft mit der Beendigung [...] zu befassen.«<br />
475<br />
Es g<strong>in</strong>g jetzt auch für die <strong>KPD</strong> um e<strong>in</strong>en geordneten und von der Streikleitung<br />
respektive der Partei kontrollierten Abbruch des Streiks. »Das Landessekretariat hat<br />
von dem Augenblick an, wo sich zeigte, dass e<strong>in</strong>e Verbreiterung des Streiks nicht<br />
mehr gel<strong>in</strong>gen würde, den Plan für e<strong>in</strong>en geschlossenen Abbruch des Streiks festgelegt«,<br />
hieß es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em späteren Bericht. Es habe Klarheit darüber bestanden, »dass<br />
es unter ke<strong>in</strong>en Umständen zu e<strong>in</strong>em Zusammenbruch des Streiks kommen dürfe«.<br />
476<br />
Zwei Ankündigungen der ÖTV setzten dabei die Streikleitung weiter unter<br />
Druck: Zum e<strong>in</strong>en hatte die Gewerkschaft verlauten lassen, sie wolle e<strong>in</strong>e Abstim-<br />
468 Erster Streikerfolg: ÖTV will Lohnverhandlungen aufnehmen, Tribüne der Demokratie, 6. Oktober 1955.<br />
469 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />
470 Auch am siebenten Streiktag feste Kampffront, Tribüne der Demokratie, 7. Oktober 1955.<br />
471 Erster Streikerfolg: ÖTV will Lohnverhandlungen aufnehmen, Tribüne der Demokratie, 6. Oktober 1955;<br />
Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />
472 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />
473 37 Gänge nahmen gestern Arbeit auf, Weser-Kurier, 5. Oktober 1955; Über 600 Hafenarbeiter nahmen die Arbeit<br />
auf, Weser-Kurier, 6. Oktober 1955; Streik im Hafen flaut weiter ab, Weser-Kurier, 7. Oktober 1955.<br />
474 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188. Vgl. auch Bremer Streikfront<br />
steht, Tribüne der Demokratie, 10. Oktober 1955.<br />
475 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />
476 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 277<br />
mung über die Beendigung des Streiks durchführen, zum anderen sollten am 14.<br />
Oktober die <strong>in</strong> Hamburg stattf<strong>in</strong>denden Lohnverhandlungen abgeschlossen werden.<br />
Für die <strong>KPD</strong> ergab sich nun plötzlich zusätzlich die Gefahr, dass es womöglich<br />
die ÖTV se<strong>in</strong> würde, die den Streik zu e<strong>in</strong>em Abschluss brachte. »Jetzt galt es, der<br />
Gewerkschaftsleitung zuvorzukommen, um der Streikleitung nicht das Gesetz zum<br />
Handeln aus den Händen reißen zu lassen und damit das ihr während des ganzen<br />
Streiks entgegen gebrachte Vertrauen der Hafenkollegen zu erhalten«, beschrieb die<br />
spätere Analyse der Landesleitung die Lage. 477<br />
Hermann Gautier machte auf e<strong>in</strong>er Tagung des Bundesparteivorstands noch<br />
e<strong>in</strong>mal den großen E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> auf die Entscheidung zum Abbruch des<br />
Streiks deutlich:<br />
»Wir standen vor der Frage, wie lange wir <strong>in</strong> dieser Situation <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong> werden, diesen<br />
Kampf noch zu halten, und wir s<strong>in</strong>d nach langen Beratungen zu der Auffassung gekommen,<br />
man muss e<strong>in</strong>en Schritt tun, um den Streik geschlossen zu beenden. Es gab zwei Möglichkeiten:<br />
Entweder hätte die Streikleitung am Sonntag m<strong>org</strong>en mit 200 oder 300 Aufrechten alle<strong>in</strong><br />
draußen gestanden, weil alles andere langsam <strong>in</strong> den Betrieb geschlichen wäre, oder man<br />
muss e<strong>in</strong>en solchen Schritt tun, den Streik geschlossen zu beenden, und wir haben uns für das<br />
letztere entschieden. Wir haben das also durch die Streikleitung beschließen lassen [sic!; HB],<br />
obwohl es dabei noch e<strong>in</strong>en sehr schweren Kampf gab. <strong>Die</strong> Mitglieder der Streikleitung waren<br />
noch nicht alle davon überzeugt, dass man den Kampf abbrechen müsse.« 478<br />
<strong>Die</strong> Streikleitung kündigte daraufh<strong>in</strong> die Belegschaftsversammlung und die Abstimmung<br />
über die Beendigung des Streiks für den 14. Oktober 1955 an. 479 Gerd<br />
Lieberum appellierte als Sprecher der Streikleitung auf der am nächsten Tag stattf<strong>in</strong>denden<br />
Versammlung an die noch ca. 800 anwesenden Streikenden, »für den<br />
Abschluss des Streikes ihre Stimme abzugeben«. 480 In der anschließenden geheimen<br />
Abstimmung sprachen sich etwa 78 Prozent der Arbeiter für diesen Vorschlag<br />
aus. Damit war der »wilde« Hafenarbeiterstreik nach 15 Tagen beendet. Am selben<br />
Tag wurde das Ergebnis der Verhandlungen zwischen ÖTV und Unternehmern bekannt<br />
gegeben: Der neue Lohntarifvertrag sah e<strong>in</strong>e Erhöhung der Schichtlöhne um<br />
1,10 DM auf 16 DM vor. 481<br />
<strong>Die</strong>ses Ergebnis der Lohnverhandlungen der ÖTV konnte durchaus als e<strong>in</strong> Erfolg<br />
des ohne gewerkschaftliche Unterstützung geführten Streiks gewertet werden,<br />
da die Verhandlungen über den - eigentlich noch zehn Monate gültigen - Tarifvertrag<br />
ja überhaupt erst aufgrund der Arbeitsniederlegung aufgenommen worden<br />
477 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />
478 Stenographische Niederschrift der 21. Parteivorstandstagung am 15./16.10. 1955, SAPMO DY IV<br />
2/10.03/244.<br />
479 Montag erneut Urabstimmung <strong>in</strong> Bremer Metallbetrieben, Tribüne der Demokratie, 14. Oktober 1955. <strong>Die</strong><br />
Überschrift - Untertitel: Nach beachtlichen Streikerfolgen stimmen Hafenarbeiter heute über Wiederaufnahme<br />
der Arbeit ab - verdeutlichte noch e<strong>in</strong>mal den Versuch e<strong>in</strong>er irgendwie gearteten Ausweitung des Hafenarbeiterstreiks<br />
- mit dessen Beendigung die <strong>KPD</strong> wohl schon fest rechnete - auf die Lohnverhandlungen<br />
der Metall<strong>in</strong>dustrie.<br />
480 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />
481 Für 30 000 Hafenarbeiter neue Tarife beschlossen, Weser-Kurier, 15. Oktober 1955; Bremer Hafenstreik erkämpft<br />
16 DM pro Schicht, Tribüne der Demokratie, 15./16. Oktober 1955. Den Streikenden war das Ergebnis<br />
der Lohnverhandlungen wahrsche<strong>in</strong>lich bei der Abstimmung noch nicht bekannt.
278<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
waren und wohl auch nur aufgrund des Drucks auf Gewerkschaft und Unternehmer<br />
zu e<strong>in</strong>em so schnellen Abschluss gebracht werden konnten. <strong>Die</strong> Streikleitung<br />
zog e<strong>in</strong> entsprechend positives Fazit: »<strong>Die</strong> gleichen Unternehmer, die unsere Forderungen<br />
strikt ablehnten und sogar die bed<strong>in</strong>gungslose Kapitulation der streikenden<br />
Hafenarbeiter forderten, wurden an den Verhandlungstisch gezwungen. <strong>Die</strong> Verhandlungen<br />
über den neuen Lohntarif waren von ihnen nicht v<strong>org</strong>esehen«. 482<br />
Für die <strong>KPD</strong> stand bei der Bewertung des Streiks neben der Lohnerhöhung<br />
auch die eigene maßgebliche Rolle während des Streiks im Vordergrund. Hermann<br />
Gautier bilanzierte den Streik auf der oben bereits erwähnten Parteivorstandssitzung<br />
so:<br />
»E<strong>in</strong> Ergebnis haben wir <strong>in</strong> diesem Kampf ohne Zweifel: <strong>Die</strong> Autorität unserer Partei ist gestiegen,<br />
das Kampfbewusstse<strong>in</strong> hat sich gezeigt und ist gestärkt, und selbst, wenn die Unternehmer<br />
e<strong>in</strong>en Teil der Streikenden maßregeln sollten, was sie versuchen werden, b<strong>in</strong> ich der<br />
Me<strong>in</strong>ung, dass wir trotzdem im Hafen jetzt genügend Kumpel haben, die auch <strong>in</strong> der Zukunft<br />
den Kampf für die Rechte der Arbeiter fortführen werden.« 483<br />
Der Hafenarbeiterstreik hatte gezeigt, dass die <strong>KPD</strong> noch 1955 <strong>in</strong> der Lage war,<br />
die Arbeiter e<strong>in</strong>es der wichtigsten Wirtschaftsbereiche <strong>Bremen</strong>s zu mobilisieren<br />
und gegen den Widerstand der Gewerkschaft e<strong>in</strong>en zum<strong>in</strong>dest teilweise erfolgreichen<br />
Kampf zu führen. Dass dies auch gegen den Willen des eigenen Betriebsratsvorsitzenden<br />
geschah, machte den Streik für die Partei um so bemerkenswerter und<br />
hatte schließlich auch Folgen: Karl Lampe wurde knapp e<strong>in</strong>en Monat später aus der<br />
<strong>KPD</strong> ausgeschlossen.<br />
Der Ausschluss war absehbar gewesen. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe wollte bereits während<br />
des Streiks zu Lampes Verhalten Stellung nehmen, wurde davon aber durch<br />
das Landessekretariat abgehalten. »Wir haben gesagt, wir wollen diese Geschichte<br />
nicht während des Streiks machen; aber wir werden uns mit den Betriebsräten nach<br />
dem Streik sehr ernst ause<strong>in</strong>anderzusetzen haben«, berichtete Hermann Gautier vor<br />
dem Parteivorstand. 484 Unmittelbar nach Beendigung des Streiks, am 16. Oktober<br />
1955, wurde das Parteiverfahren gegen Lampe »auf Beschluss der Mitgliedschaft<br />
der Betriebsgruppe Hafen« eröffnet. Es endete am 10. November mit dem Ausschluss<br />
des Betriebsratsvorsitzenden »wegen parteischädigenden Verhaltens und<br />
wegen se<strong>in</strong>es Paktierens mit dem Unternehmer während des Hafenarbeiterstreiks«.<br />
485 Wesentlicher Punkt der von der Betriebsgruppe veröffentlichten Ausschlussbegründung<br />
war Lampes Passivität während des Streiks. Dabei machte sie<br />
die Konflikte zwischen dem Betriebsratsvorsitzenden und der kommunistisch geführten<br />
Streikleitung deutlich:<br />
482 Bremer Hafenstreik erkämpft 16 DM pro Schicht, Tribüne der Demokratie, 15./16. Oktober 1955.<br />
483 Stenographische Niederschrift der 21. Parteivorstandstagung am 15./16.10. 1955, SAPMO DY IV<br />
2/10.03/244.<br />
484 Ebenda.<br />
485 An alle Hafenarbeiter!, De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter [11.11.55], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/20/15. <strong>Die</strong> Ausschlussbegründung der Betriebsgruppe ist gekürzt wiedergegeben <strong>in</strong> Betriebsratsmitglied<br />
verlor Vertrauen, Tribüne der Demokratie, 15. November 1955.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 279<br />
»<strong>Die</strong> Streikleitung hat während des Streikkampfes [...] e<strong>in</strong>e harte Ause<strong>in</strong>andersetzung mit e<strong>in</strong>igen<br />
Betriebsräten, vornehmlich mit Karl Lampe, geführt, um zu erreichen, dass der Betriebsrat<br />
sich auf die Seite der Streikenden stellt. <strong>Die</strong> Streikleitung vermochte jedoch trotz aller<br />
Anstrengungen nicht, Karl Lampe von se<strong>in</strong>em Standpunkt abzubr<strong>in</strong>gen und ihm klar zu machen,<br />
dass das Betriebsverfassungsgesetz e<strong>in</strong> arbeiterfe<strong>in</strong>dliches Gesetz sei, und daher niemals<br />
Arbeitsgrundlage e<strong>in</strong>es Arbeitervertreters se<strong>in</strong> könne. Bis zum letzten Streiktage hat Karl<br />
Lampe mit anderen freigestellten Betriebsräten sich den Streikkampf se<strong>in</strong>er Kollegen Hafenarbeiter<br />
gegen die Front der Unternehmer und des Staatsapparates vom stillen Betriebsratszimmer<br />
im Verwaltungsgebäude des HBV aus angesehen. Er, der taktisch kluge Betriebsratsvorsitzende,<br />
rechtfertigte auf se<strong>in</strong>e Art das Vertrauen der Hafenarbeiter - er verschanzte sich<br />
h<strong>in</strong>ter dem BVG.« 486<br />
Während die Begründung der Betriebsgruppe im Wesentlichen die V<strong>org</strong>änge<br />
während des Streiks <strong>in</strong> den Vordergrund stellte, verwies die Erklärung der Kreisleitung<br />
auch auf die - erst e<strong>in</strong> halbes Jahr zuvor bei B<strong>org</strong>ward besonders sichtbar gewordenen<br />
- pr<strong>in</strong>zipiellen <strong>in</strong>nerparteilichen Konflikte:<br />
»<strong>Die</strong> Ursache für das arbeiter- und parteischädigende Verhalten Karl Lampes ist dar<strong>in</strong> zu sehen,<br />
dass er zwar große Mühe aufwandte, um die Paragraphen solcher Bonner Unternehmergesetze<br />
wie des BVG zu studieren, aber sich <strong>in</strong> den letzten Jahren weder gründlich mit der<br />
marxistisch-len<strong>in</strong>istischen Theorie der Arbeiterklasse noch mit den Dokumenten der <strong>KPD</strong> beschäftigte.<br />
[...]. Darauf ist auch zurückzuführen, dass Karl Lampe genau wie zum Beispiel die<br />
ehemaligen Mitglieder der <strong>KPD</strong>, Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann und Paul Kratsch, ke<strong>in</strong> Vertrauen <strong>in</strong> die<br />
Kraft der Arbeiterklasse und die Politik der <strong>KPD</strong> hat. So ›prophezeite‹ er schon <strong>in</strong> den ersten<br />
Tagen des Hafenarbeiterstreiks den ›Zusammenbruch‹ der Streikfront. Ebenso ist darauf zurückzuführen,<br />
dass Karl Lampe zum Träger und Verbreiter brandleristischer Argumente<br />
wurde, die darauf abzielen, e<strong>in</strong>en Gegensatz zwischen Parteileitungen und Parteimitgliedschaft,<br />
zwischen alten und jungen Kadern <strong>in</strong> die <strong>KPD</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zutragen. Karl Lampe war nicht<br />
bereit, selbstkritisch zu se<strong>in</strong>en Fehlern Stellung zu nehmen. Alle sachlichen Argumente der<br />
von ihm selbst mitgewählten Leitung der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe des Hafens lehnte er ab, u.a.<br />
mit der Begründung, diese Genossen [...] seien zu jung, um ihn im Auftrage der Partei zur<br />
Verantwortung zu ziehen.« 487<br />
Damit wurde deutlich, dass auch dieser Konflikt und der Ausschluss Lampes<br />
im Kontext der <strong>in</strong>nerparteilichen Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die Betriebspolitik seit<br />
1951 stand. Im Vergleich zu den Entwicklungen bei B<strong>org</strong>ward und auf der AG<br />
»Weser« hatte die <strong>KPD</strong> jedoch im Hafenarbeiterstreik von 1955 relativ erfolgreich<br />
agiert. Erstmals gelang es, e<strong>in</strong> betriebliches Streikkomitee zu etablieren, und die Belegschaft<br />
handelte unabhängig von der Gewerkschaft.<br />
<strong>Die</strong> ausgeprägte, aber ke<strong>in</strong>esfalls konstante Autonomie der Hafenarbeiter hatte<br />
ihre Ursachen <strong>in</strong> der offenen Betriebsstruktur und dem Status der unständigen Arbeiter<br />
im HBV. Im Vergleich zu »festen« Betrieben machte diese Struktur es auch<br />
der Gewerkschaft und der SPD schwerer, sich im Hafen als dom<strong>in</strong>ierende Kraft zu<br />
etablieren und wie bei B<strong>org</strong>ward und der AG »Weser« Träger des <strong>in</strong>stitutionalisierten<br />
Barga<strong>in</strong><strong>in</strong>g zu werden.<br />
486 An alle Hafenarbeiter!, De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter [11.11.55], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />
10/20/15<br />
487 Kommunisten gehören an die Spitze der kämpfenden Arbeiterschaft! Erklärung des Sekretariats der <strong>KPD</strong>-<br />
Kreisleitung <strong>Bremen</strong> zum Ausschluss Karl Lampes, Tribüne der Demokratie, 26./27. November 1955.
280<br />
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />
Nachdem die <strong>KPD</strong> dort letztlich auch an diesem Prozess gescheitert war, konnte<br />
sie sich im Hafen noch 1955 - zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt also, an dem sie <strong>in</strong> den anderen<br />
Betrieben bereits marg<strong>in</strong>alisiert war - erfolgreich an die Spitze der Belegschaft stellen.<br />
Im wesentlichen agierte sie dabei auf ihrer gewerkschaftspolitischen L<strong>in</strong>ie seit<br />
1950, verzichtete bei diesem Streik aber weitgehend auf Instrumentalisierungsversuche.<br />
Der Hafen war somit der letzte wichtige Bremer Betrieb, <strong>in</strong> dem sich die <strong>KPD</strong><br />
Mitte der 1950er Jahre noch als relevante Kraft halten konnte. Anders als z.B. bei<br />
der AG »Weser« gelang es auch nach diesem Streik Gewerkschaft und SPD trotz<br />
massiver Versuche nicht, den E<strong>in</strong>fluss der Kommunisten entscheidend zurückzudrängen.<br />
Wie von der Parteileitung befürchtet, kam es <strong>in</strong>folge des Streiks zu Maßregelungen<br />
von Gewerkschafts- und Unternehmerseite. <strong>Die</strong> ÖTV leitete Ausschlussverfahren<br />
gegen alle Mitglieder der Streikleitung e<strong>in</strong>. 488 Fünf Betriebsräte -<br />
unter ihnen drei <strong>KPD</strong>-Mitglieder -, die sich h<strong>in</strong>ter den Streik gestellt hatten, wurden<br />
nur unter der Bed<strong>in</strong>gung wieder e<strong>in</strong>gestellt, dass sie ihr Mandat niederlegten. 489<br />
Sämtliche Mitglieder der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe wurden zunächst nicht wieder vermittelt<br />
und erhielten mehrere Tage ke<strong>in</strong>e Arbeit. 490 Mehrere andere Streikende bekamen<br />
bei ihrer Wiedere<strong>in</strong>stellung Verwarnungen ausgesprochen. 491<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe protestierte zwar wiederholt im Stauhoken gegen das<br />
V<strong>org</strong>ehen von Unternehmern und ÖTV, 492 es kam jedoch zu ke<strong>in</strong>en Gegenaktionen<br />
der Belegschaft mehr. Auf der ersten Belegschaftsversammlung nach dem Streik<br />
zeigte sie dann jedoch noch e<strong>in</strong>mal die Widerständigkeit gegen die <strong>in</strong>stitutionalisierten<br />
Aushandlungsprozesse. <strong>Die</strong> Versammlung sprach dem Betriebsrat »fast<br />
e<strong>in</strong>mütig« das Misstrauen aus und beschloss die Neuwahl. 493<br />
Für diese Wahl am 3. und 4. Februar 1956 wurden drei Kandidatenlisten aufgestellt.<br />
Liste 1 war bereits im Dezember von der ÖTV und der SPD aufgestellt worden.<br />
Auf der Liste 3 kandidierte der noch amtierende und nun parteilose Betriebsratsvorsitzende<br />
Karl Lampe. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> agitierte zunächst vehement gegen die Aufstellung<br />
der anderen beiden Listen und forderte e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Gewerkschaftsliste,<br />
494 stellte dann aber doch am 15. Januar 1956 e<strong>in</strong>e eigene Liste auf, u.a. mit ihren<br />
488 Wir dulden ke<strong>in</strong>e Ausschlussverfahren der besten unserer Kollegen!, De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer<br />
Hafenarbeiter [11.11.55], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/15.<br />
489 Hafen-Streikleitung bleibt bestehen, Tribüne der Demokratie, 21. Oktober 1955; Analyse des Hafenarbeiterstreiks<br />
1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188. Es war der Betriebsratsvorsitzende Lampe, der den<br />
Betriebsräten dies mitteilte, was die Betriebsgruppe später als weiteren Grund für se<strong>in</strong>en Ausschluss<br />
anführte.<br />
490 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />
491 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />
492 Vgl. De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter [11.11.55], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/15; Siehe auch<br />
Solidarität mit gemaßregelten Kollegen, Tribüne der Demokratie, 27. Oktober 1955.<br />
493 Neuwahl des Betriebsrates beschlossen, Tribüne der Demokratie, 17. November 1955; Analyse des Hafenarbeiterstreiks<br />
1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />
494 Vgl. die diversen Ausgaben von De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter, <strong>in</strong>:SAPMOI<br />
10/20/15, erstmals am 20. Dezember 1955.
Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 281<br />
bisherigen Betriebsratsmitgliedern und auch e<strong>in</strong>igen Parteilosen. 495 Es kam zu e<strong>in</strong>em<br />
hitzigen Wahlkampf, <strong>in</strong> dem sich SPD und <strong>KPD</strong> gegenseitig der Gewerkschaftsspaltung<br />
bezichtigten und für das Nichtzustandekommen e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen<br />
Liste verantwortlich machten. 496 Bei den Wahlen stimmte schließlich e<strong>in</strong>e Mehrheit<br />
von 54 Prozent (1.015 Stimmen) der Hafenarbeiter für die von ÖTV und SPD propagierte<br />
Liste 1. <strong>Die</strong> Liste 2 der <strong>KPD</strong> erhielt 26,7 Prozent (516 Stimmen), Liste 3<br />
(Karl Lampe) 18,5 Prozent (359 Stimmen). Im neuen HBV-Betriebsrat g<strong>in</strong>gen damit<br />
von <strong>in</strong>sgesamt 15 Sitzen acht an die Kandidaten der Liste 1, vier an die Liste der<br />
<strong>KPD</strong> und drei an die von Karl Lampe. 497<br />
Damit hatte die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> etwa die Zahl ihrer Betriebsräte und ihren E<strong>in</strong>fluss im<br />
Hafen trotz der vehementen Angriffe vor allem durch die SPD halten können. Dass<br />
dies nicht nur auf die Erfolge während des Streiks zurückzuführen war, sondern<br />
von e<strong>in</strong>er festen Basis im Hafen zeugte, verdeutlichte die Entwicklung <strong>in</strong> den folgenden<br />
Jahren, auch nach dem Verbot im August 1956: Noch 1960 konnten Kommunisten<br />
die Mehrheit im Betriebsrat erlangen, bei den folgenden Wahlen konnte<br />
die SPD mit massivem, auch öffentlichem E<strong>in</strong>satz diese Mehrheit zwar zurückerobern,<br />
die Kommunisten blieben jedoch im Betrieb selbst wie auch im Betriebsrat<br />
während der gesamten 1960er Jahre präsent.<br />
495 Noch heute e<strong>in</strong>heitliche Betriebsratswahl möglich, De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter [ohne<br />
Datum], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/15; Liste 3 - <strong>Die</strong> Kandidaten für e<strong>in</strong>en besseren Betriebsrat, Tribüneder<br />
Demokratie, 16. Januar 1956.<br />
496 Siehe diverse Ausgaben von De Stauhoken, z.B. Warum 3 Listen zur Betriebsratswahl?, De Stauhoken, Betriebszeitung<br />
der Bremer Hafenarbeiter [27.1.56], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/15; Bremer Bürgerzeitung, 21. Januar<br />
1956.<br />
497 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> vom 20.1. - 5.2.1956, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12; Bremer Hafenarbeiter schenken<br />
Liste 2 starkes Vertrauen, Tribüne der Demokratie, 7. Februar 1956.
Kapitel 6<br />
Politische Justiz und Verbot<br />
1. Verfolgung vor dem Verbot<br />
Bereits vor dem Verbot der <strong>KPD</strong> am 17. August 1956 wurde die Partei durch adm<strong>in</strong>istrative<br />
Ausgrenzungen, Verfassungsschutzbeobachtung, politische Prozesse und<br />
Berufsverbote <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art Halblegalität gedrängt. Das Verbot war somit »für die Politische<br />
Justiz gegen Kommunisten ke<strong>in</strong>eswegs konstitutiv«. 1<br />
»Bereits 1950/51 war das Ausmaß der Verfolgung erheblich. Schon die Besatzungsmächte<br />
hatten e<strong>in</strong>e »Vielzahl von Strafbestimmungen erlassen« und wandten<br />
diese »auch mehrfach gegen die politische Betätigung von Kommunisten an«. Unter<br />
anderem war der Parteivorsitzende Max Reimann trotz se<strong>in</strong>er Mitgliedschaft im<br />
Parlamentarischen Rat 1949 verurteilt und <strong>in</strong>haftiert worden. 2 Weitere Maßnahmen<br />
der Besatzungsmächte waren mehrfache Zeitungsverbote - die letzten noch 1951 -<br />
und Infiltrationsversuche.<br />
Fanden diese Maßnahmen zwar mit Unterstützung, aber ohne Verantwortung<br />
deutscher Behörden statt, so wurden diese erstmals eigenständig aktiv mit der Entfernung<br />
von Kommunisten aus dem öffentlichen <strong>Die</strong>nst. Im September 1950 beschloss<br />
die Bundesregierung e<strong>in</strong>en Erlass über die »Politische Betätigung von Angehörigen<br />
des öffentlichen <strong>Die</strong>nstes gegen die demokratische Grundordnung« und<br />
erklärte dar<strong>in</strong> die Mitgliedschaft <strong>in</strong> 13 namentlich aufgeführten Organisationen als<br />
»unvere<strong>in</strong>bar mit den <strong>Die</strong>nstpflichten«. 3 Betroffenwarennebender<strong>KPD</strong>»mitallen<br />
ihren Unter<strong>org</strong>anisationen« u.a. die »Freie Deutsche Jugend« (FDJ), die »Vere<strong>in</strong>igung<br />
der Verfolgten des Naziregimes« (VVN) und weitere, als der <strong>KPD</strong> nahestehend<br />
geltende Organisationen. Aufgeführt waren auch zwei rechtsextremistische<br />
Vere<strong>in</strong>igungen, aber schon der Text der Verordnung machte den primär antikommunistischen<br />
Charakter der Maßnahme deutlich: »[...] wer <strong>in</strong>sbesondere im Auftrag<br />
oder im S<strong>in</strong>ne der auf Gewalthandlungen abzielenden Beschlüsse des 3. Parteitages<br />
der kommunistischen SED und des sogenannten ›Nationalen Kongresses‹ wirkt,<br />
1 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 127.<br />
2 Vgl. ebenda, a.a.O., S. 52ff. Hier auch weitere Beispiele. Zum Fall Max Reimanns siehe auch dessen eigene<br />
Darstellung <strong>in</strong>: Max Reimann, Entscheidungen <strong>1945</strong>-1956, Frankfurt a.M. 1973, S. 135ff.<br />
3 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 54. Hier auch e<strong>in</strong>e Liste der<br />
genannten Organisationen.
Politische Justiz und Verbot 283<br />
macht sich e<strong>in</strong>er schweren Pflichtverletzung schuldig«. 4 <strong>Die</strong> Regelung wurde von<br />
nahezu allen Bundesländern übernommen 5 und zeigte ihre Wirkung - neben der<br />
weiteren öffentlichen Ausgrenzung und Stigmatisierung von Kommunisten und<br />
der <strong>KPD</strong> - wohl vor allem bei den kommunistischen Arbeitern <strong>in</strong> den Kommunen. 6<br />
Seit 1950 g<strong>in</strong>g die Polizei im ganzen Bundesgebiet gegen <strong>KPD</strong>-Veranstaltungen<br />
vor und löste teilweise mit Gewalt kommunistische Demonstrationen und Versammlungen<br />
auf. 7 Auch gegen kommunistische Propaganda und gegen DDR-<br />
Kontakte wurde massiv v<strong>org</strong>egangen. 8 Beides traf zu diesem Zeitpunkt <strong>in</strong> erster<br />
L<strong>in</strong>ie die FDJ, die schließlich auch am 26. Juni 1951 per Verordnung von der Bundesregierung<br />
für verfassungswidrig erklärt und verboten wurde. 9 Weitere Verbotsverordnungen<br />
betrafen 1951 die Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und<br />
die »Vere<strong>in</strong>igung der Verfolgten des Naziregimes« (VVN), deren Durchsetzung jedoch<br />
<strong>in</strong> den Ländern und bei den Gerichten teilweise auf Schwierigkeiten stieß. 10<br />
Am 31. August 1951 trat das 1. Strafrechtsänderungsgesetz (wegen se<strong>in</strong>er ungewöhnlich<br />
schnellen Verabschiedung durch den Bundestag auch »Blitzgesetz« genannt)<br />
<strong>in</strong> Kraft. Es nannte als neuen Straftatbestand die »Staatsgefährdung« (§§ 88 -<br />
99 StGB). 11 Als Staatsgefährdung galt e<strong>in</strong>e Handlung, die »darauf h<strong>in</strong>zielt, die Bundesrepublik<br />
Deutschland ganz oder teilweise unter fremde Botmäßigkeit zu br<strong>in</strong>gen,<br />
ihre Selbständigkeit sonst zu beseitigen oder e<strong>in</strong>en Teil des Bundesgebietes<br />
loszulösen«. 12 Der S<strong>in</strong>n dieser Ergänzung war e<strong>in</strong>e Ausdehnung des politischen<br />
Strafrechts <strong>in</strong> das Vorfeld der klassischen Hoch- und Landesverratsparagraphen.<br />
Politisch war dieses Gesetz, wie Alexander von Brünneck schreibt, »e<strong>in</strong>deutig und<br />
ausschließlich gegen die Kommunisten gerichtet«. 13<br />
Das 1. Strafrechtsänderungsgesetz stellte bis zum Verbot 1956 die wesentliche<br />
juristische Grundlage zur Bekämpfung der <strong>KPD</strong> und ihr als nahestehend geltender<br />
Organisationen oder Aktivitäten dar. Von 1951 bis 1956 wurden <strong>in</strong>sgesamt 3.060<br />
Personen wegen politischer Delikte (Hochverrat, Staatsgefährdung und Landesverrat)<br />
rechtskräftig verurteilt, davon alle<strong>in</strong>e 2.548 aufgrund der §§ 88-98 StGB (Staats-<br />
4 Ebenda, S. 54.<br />
5 Ebenda, S. 55. Ausnahme war Würtemberg-Hohenzollern.<br />
6 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP <strong>1945</strong>-1990, a.a.O., S. 85. In <strong>Bremen</strong> gab es aufgrund des Erlasses zahlreiche<br />
Parteiaustritte.<br />
7 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 57ff. Bei e<strong>in</strong>er dieser Demonstrationen<br />
- der kommunistisch <strong>org</strong>anisierten »Jugendkarawane« <strong>in</strong> Essen - kam es im Mai 1952<br />
zu schweren Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen der Polizei und e<strong>in</strong>em Teil der 30000 Teilnehmer, <strong>in</strong> deren<br />
Verlauf der 21jährige FDJler Phillip Müller von der Polizei erschossen wurde.<br />
8 Ebenda, S. 60ff.<br />
9 Ebenda, S. 64f.<br />
10 Ebenda, S. 62ff.<br />
11 <strong>Die</strong> wichtigsten Bestimmungen des Gesetzes s<strong>in</strong>d abgedruckt bei Alexander von Brünneck, Politische<br />
Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 387 - 401. Zur Entstehungsgeschichte des Gesetzes siehe auch ebenda,<br />
S. 71ff.; außerdem: Rolf Gössner, <strong>Die</strong> vergessenen Justizopfer des kalten Krieges. Über den unterschiedlichen<br />
Umgang mit der deutschen Geschichte <strong>in</strong> Ost und West, mit e<strong>in</strong>em Vorwort von He<strong>in</strong>rich<br />
Hannover, Hamburg 1994, S. 50ff.<br />
12 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 389 (§ 88).<br />
13 Ebenda, S. 73ff; Zitat S. 73.
284<br />
Politische Justiz und Verbot<br />
gefährdung). 14 Hierunter fallen auch die rechtsradikalen Täter, wobei aber davon<br />
ausgegangen werden muss, dass der ganz überwiegende Teil der Verurteilten<br />
Kommunisten oder ihnen Nahestehende waren. 15<br />
In <strong>Bremen</strong> hatte der Senat bereits vor dem Erlass der Bundesregierung gegen<br />
Kommunisten im öffentlichen <strong>Die</strong>nst vom Herbst 1950 Richtl<strong>in</strong>ien zur »E<strong>in</strong>schränkung<br />
des kommunistischen E<strong>in</strong>flusses« ausgearbeitet. Auf Grund dieser Richtl<strong>in</strong>ien<br />
trat der Haushaltsausschuss der Bürgerschaft zurück, um so das e<strong>in</strong>zige kommunistische<br />
Mitglied, Wilhelm Meyer-Buer, loszuwerden. Der stellvertretende amerikanische<br />
Landeskommissar äußerte daraufh<strong>in</strong> befriedigt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit<br />
Bürgermeister Kaisen und Innensenator Ehlers, dass <strong>Bremen</strong> damit das erste Land<br />
<strong>in</strong> Westdeutschland sei, »das aktive Maßnahmen gegen e<strong>in</strong>e kommunistische Infiltration<br />
unternommen habe«. 16 <strong>Die</strong> Folgen des Erlasses für die Verankerung der <strong>KPD</strong><br />
im öffentlichen <strong>Die</strong>nst waren schwerwiegend. <strong>Die</strong> Mehrzahl der <strong>in</strong> den ersten<br />
Nachkriegsjahren <strong>in</strong> staatliche und öffentliche Institutionen gelangten Kommunisten<br />
verließ offenbar die Partei, um nicht den Arbeitsplatz zu verlieren. Im November<br />
1950 berichtete e<strong>in</strong> Instrukteur, dass aufgrund der Richtl<strong>in</strong>ien gegen Kommunisten<br />
im öffentlichen <strong>Die</strong>nst »22 Genossen ihren Austritt aus der <strong>KPD</strong> erklärt« hätten.<br />
17 <strong>Die</strong> Zahl war vermutlich weit untertrieben. <strong>Die</strong> Partei verlor <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zwischen<br />
Oktober und Dezember 1950 über 300 Mitglieder, nachdem die Zahlen zuvor<br />
stabil gewesen waren. E<strong>in</strong> derartig drastischer Verlust kann nur mit den Repressionen<br />
gegen Kommunisten im öffentlichen <strong>Die</strong>nst erklärt werden. Auch exponierte<br />
Mitglieder verließen die <strong>KPD</strong>: Hermann Schwager, Bürgerschaftsmitglied und Betriebsratsvorsitzender<br />
im Arbeitsamt Bremerhaven, trat im Oktober 1950 aus der<br />
Partei aus. Andere prom<strong>in</strong>ente Kommunisten dagegen konnten im öffentlichen<br />
<strong>Die</strong>nst und <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> bleiben: Maria Krüger, Bürgerschaftsabgeordnete der <strong>KPD</strong><br />
und Leiter<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sonderschule, erhielt Unterstützung vom Kollegium ihrer Schule<br />
wie auch von Bildungssenator Christian Paulmann (SPD). 18<br />
Nach der Verabschiedung des »Blitzgesetzes« durch den Bundestag im Sommer<br />
1951 setzte auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong>e massive Ermittlungstätigkeit gegen Kommunisten<br />
e<strong>in</strong>. Als »staatsgefährdend« galten dabei schon das Verteilen von regierungsfe<strong>in</strong>dlichen<br />
Flugblättern oder Kontakte <strong>in</strong> die DDR. Betroffen waren auch die Mitglieder<br />
der Bürgerschaftsfraktion. <strong>Die</strong> meisten dieser Ermittlungsverfahren wurden e<strong>in</strong>gestellt<br />
und führten nicht zur Anklage. Dennoch kam es auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zu mehreren<br />
14 Ebenda, S. 276.<br />
15 Alexander von Brünneck geht davon aus, »dass die nicht zur Politischen Justiz gegen Kommunisten<br />
zählenden Verurteilungen nur e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>gen, mit etwa 10% anzusetzenden Anteil aller Verurteilungen<br />
wegen politischer Delikte ausmachen«. Ebenda, S. 274 und S. 236.<br />
16 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 191f.<br />
17 Land: <strong>Bremen</strong>, Dauer der Reise: 18. - 28.11.50, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
18 Ebenda. Paulmann ignorierte schlicht Maria Krügers <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft, die nach den Richtl<strong>in</strong>ien zu<br />
ihrer Entlassung hätte führen müssen. Nach Darstellung des Instrukteurs teilte Paulmann Maria Krüger<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit, »dass er Kenntnis davon habe, dass 14 Lehrer an ihrer Schule gegen e<strong>in</strong>e<br />
evtl. Entlassung ihrer Person s<strong>in</strong>d und er auch selbstverständlich ke<strong>in</strong>e Ahnung habe und auch nicht<br />
wisse, dass sie Mitglied der <strong>KPD</strong> wäre«.
Politische Justiz und Verbot 285<br />
Prozessen und Verurteilungen, die <strong>in</strong> der Regel zur Bewährung ausgesetzt wurden.<br />
19<br />
<strong>Die</strong> ersten größeren politischen Prozesse gegen Kommunisten <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> waren<br />
1955/56 mehrere Verfahren gegen <strong>in</strong>sgesamt 20 Mitglieder der bereits verbotenen<br />
FDJ. 20 <strong>Die</strong> Anklageschrift der Staatsanwaltschaft im ersten dieser Verfahren umfasste<br />
717 Seiten und beschuldigte die Angeklagten u.a. der »Rädelsführerschaft <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er verfassungsfe<strong>in</strong>dlichen Vere<strong>in</strong>igung«, der »Geheimbündelei« und der »Mitgliedschaft<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung«. <strong>Die</strong> Verfahren endeten allesamt mit<br />
Urteilen, »deren Maß den ehrgeizigen Aufwand der Staatsanwaltschaft kaum rechtfertigte:<br />
Bewährungsstrafen bis zu zehn Monaten«. 21<br />
<strong>Die</strong> zahlreichen und mit hohem Aufwand betriebenen Ermittlungsverfahren<br />
führtenjedochauch<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>dazu,dassdie<strong>KPD</strong>bereitsvordemVerbotkrim<strong>in</strong>alisiert<br />
und damit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art Halbillegalität gedrängt wurde. <strong>Die</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vergleichsweise<br />
liberale Rechtsprechung änderte nichts an Funktion und Wirksamkeit<br />
der politischen Justiz. <strong>Die</strong>se lag vor allem dar<strong>in</strong>, dem gesellschaftlichen und politischen<br />
Antikommunismus e<strong>in</strong>e rechtliche Fundierung zu geben, Kommunisten zu<br />
krim<strong>in</strong>alisieren und sie aus dem legalen politischen Spektrum zu verdrängen.<br />
He<strong>in</strong>rich Hannover schätzt die Folgen für die <strong>KPD</strong> treffend so e<strong>in</strong>:<br />
»Ich glaube schon, dass das e<strong>in</strong> vernichtender Schlag war, weil <strong>in</strong> der deutschen Bevölkerung<br />
dieses obrigkeitsstaatliche Denken doch sehr stark verankert ist. Wenn da also beispielsweise<br />
e<strong>in</strong> Haftbefehl erlassen wird, dann gilt so e<strong>in</strong> Mensch doch gleich als Krim<strong>in</strong>eller. Dass man<br />
diese Kommunisten krim<strong>in</strong>alisierte, ist ja <strong>in</strong> der breiten Masse nie als e<strong>in</strong>e Form politischer<br />
Verfolgung erkannt worden, die haben ja tatsächlich geglaubt, das seien Krim<strong>in</strong>elle. Insofern<br />
war das schon vernichtend für die Kommunisten.« 22<br />
19 Beispielhafte Schilderungen von Kommunistenprozessen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>: He<strong>in</strong>rich Hannover, Kommunistenprozesse<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge et al. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg, a.a.O., S.<br />
147ff.; He<strong>in</strong>rich Hannover, <strong>Die</strong> Republik vor Gericht, 1954-1974. Er<strong>in</strong>nerungen e<strong>in</strong>es unbequemen<br />
Rechtsanwalts, Berl<strong>in</strong> 1998, S. 42ff.; Hendrik Bunke (Hrsg.), Willy Hundertmark. Er<strong>in</strong>nerungen an e<strong>in</strong><br />
widerständiges Leben, <strong>Bremen</strong> 1997, S. 78ff. Hundertmark wurde zwischen 1953 und 1956 drei Mal<br />
verurteilt. E<strong>in</strong>ige Anklageschriften, Vorladungen und Urteilsbegründungen f<strong>in</strong>den sich im Privatarchiv<br />
Willy Hundertmark.<br />
20 He<strong>in</strong>rich Hannover, Kommunistenprozesse <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 148ff.; Wolfgang Merkel und Beenhard<br />
Oldigs: M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 70.<br />
21 He<strong>in</strong>rich Hannover, Kommunistenprozesse <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 148f. Hannover, damals Verteidiger<br />
der Angeklagten, führt die vergleichsweise milden Urteile auf die Liberalität des Vorsitzenden Richters<br />
zurück, der e<strong>in</strong>e »Ausnahmeersche<strong>in</strong>ung ... im bundesdeutschen Justizapparat« gewesen sei: »Se<strong>in</strong>e<br />
Verhandlungsführung unterschied sich wohltuend von dem Verfolgungseifer, den man <strong>in</strong> Kommunistenprozessen<br />
der 50er und 60er Jahre andernorts traf« (ebenda). Zwei der Angeklagten waren von Gerichten<br />
<strong>in</strong> anderen Städten bereits verurteilt worden und hatten auch Gefängnisstrafen verbüßt (Wolfgang<br />
Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 70).<br />
22 Interview He<strong>in</strong>rich Hannover. Siehe zu den ideologischen Auswirkungen der politischen Justiz auch<br />
Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 342ff.
286<br />
Politische Justiz und Verbot<br />
2. Das Verbot und die Folgen <strong>in</strong> der BRD<br />
Am 22. November 1951 stellte die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht<br />
<strong>in</strong> Karlsruhe den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der <strong>KPD</strong>. Unmittelbar<br />
zuvor, am 19. November 1951, hatte die Regierung auch das Verbot der<br />
faschistischen »Sozialistischen Reichspartei« (SRP) beantragt, wodurch »offenbar<br />
beide Parteien <strong>in</strong> dasselbe ›totalitäre‹ Licht gerückt werden« sollten. 23 Das Verfahren<br />
gegen die SRP endete bereits am 23. Oktober 1952 mit e<strong>in</strong>em Verbot der Partei,<br />
das <strong>KPD</strong>-Verfahren dagegen zog sich bis 1956 h<strong>in</strong>. Das Bundesverfassungsgericht<br />
beschloss am 24. Januar 1952 die Durchführung des Verfahrens. Es folgten Durchsuchungen<br />
beim Parteivorstand und bei den elf Landesleitungen, bei denen umfangreiches<br />
Material beschlagnahmt wurde, das vermutlich auch für anderweitige<br />
Ermittlungen und Verfahren gegen Kommunisten benutzt wurde. 24<br />
Der Beg<strong>in</strong>n der mündlichen Verhandlung wurde jedoch bis 1954 h<strong>in</strong>ausgezögert,<br />
da das Bundesverfassungsgericht offensichtlich Zweifel an der politischen<br />
Opportunität des Verbotsantrags hatte. 25 Der Präsident des BVerfG suchte im November<br />
1954 Bundeskanzler Adenauer auf, »um zu klären, ob die Bundesregierung<br />
weiter an ihrem Antrag festhalte«. 26 <strong>Die</strong> Bundesregierung zog den Antrag nicht zurück,<br />
woraufh<strong>in</strong> die mündliche Verhandlung am 23. November 1954 eröffnet wurde.<br />
Sie wurde nach 51 Verhandlungstagen und e<strong>in</strong>er umfangreichen Beweisaufnahme,<br />
die »im wesentlichen auf e<strong>in</strong>e Sammlung von belastenden Zitaten aus den<br />
der <strong>KPD</strong> zugerechneten Veröffentlichungen« h<strong>in</strong>auslief, am 14. Juli 1955 abgeschlossen.<br />
27<br />
Am 17. August 1956 verkündete der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts<br />
schließlich das Urteil. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> wurde für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst.<br />
In der Urteilsbegründung 28 heißt es, dass die <strong>KPD</strong> sich zur Lehre des Marxismus-<br />
Len<strong>in</strong>ismus, der als Ziel die »Errichtung e<strong>in</strong>er sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung<br />
auf dem Wege über die proletarische Revolution und die Dikta-<br />
23 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 117.<br />
24 Ebenda.<br />
25 Siehe hierzu Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S.87; Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik,<br />
a.a.O., S. 114; Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 117.<br />
26 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 117. Der 1954 verstorbene<br />
erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts war »e<strong>in</strong> erklärter Gegner des Verbotsprozesses gegen<br />
die <strong>KPD</strong>« (<strong>Die</strong>ther Posser, Anwalt im Kalten Krieg. Deutsche Geschichte <strong>in</strong> politischen Prozessen 1951<br />
-<strong>1968</strong>, Bonn 2000, S. 147).<br />
27 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 118. Vgl. zum Verlauf des<br />
Verfahrens ausführlich Gerd Pfeiffer, Hans-Ge<strong>org</strong> Strickert (Hrsg.), <strong>KPD</strong>-Protzes. Dokumentarwerk zu<br />
dem Verfahren über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der<br />
Kommunistischen Partei Deutschlands vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts, 3 Bde.,<br />
Karlsruhe 1956; aus <strong>KPD</strong>-Sicht: Weißbuch, der Kommunistischen Partei Deutschlands über die mündlichen<br />
Verhandlungen im Verbotsprozess vor dem Bundesverfassungsgericht <strong>in</strong> Karlsruhe, zusammengestellt<br />
nach dem amtlichen Verhandlungsprotokoll des Gerichts, herausgegeben vom Parteivorstand<br />
der Kommunistischen Partei Deutschlands, Berl<strong>in</strong> (Ost) 1955.<br />
28 Vgl. Gerd Pfeiffer, Hans-Ge<strong>org</strong> Strickert (Hrsg.), <strong>KPD</strong>-Prozess, a.a.O., Band 3, S. 581ff.
Politische Justiz und Verbot 287<br />
tur des Proletariats« 29 habe, bekenne und diese auch aktiv anwende. <strong>Die</strong>s sei jedoch<br />
mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvere<strong>in</strong>bar, da die Diktatur<br />
des Proletariats »auf die une<strong>in</strong>geschränkte Herrschaft der Kommunistischen Partei<br />
h<strong>in</strong>auslaufe, die allgeme<strong>in</strong>e Geltung der Grundrechte, <strong>in</strong>sbesondere des Gleichheitssatzes,<br />
beseitige« 30 sowie die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie,<br />
wie z.B. das Mehrparteiensystem, negiere. Das Gericht betonte, dass es damit ke<strong>in</strong><br />
Urteil über den Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus als Wissenschaft fälle. 31<br />
Ausschlaggebend für das Verbot war aber offensichtlich die Beurteilung der aktuellen<br />
Politik der <strong>KPD</strong>, für die das Gericht im wesentlichen das »Programm der<br />
Nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands« von 1952 zur Grundlage nahm. 32<br />
Das Urteil wertete dieses Programm als »Angriff gegen die freiheitliche demokratische<br />
Grundordnung«. 33 <strong>Die</strong> Revision wesentlicher Teile dieser Programmatik<br />
durch die Erklärung des Parteivorstandes vom 18. März 1956 (»Es muss und kann<br />
anders werden«) ignorierte das Gericht. Auch den von der <strong>KPD</strong> im H<strong>in</strong>blick auf die<br />
Programmrevision beantragten Neue<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Beweisaufnahme lehnte das Bundesverfassungsgericht<br />
ab. 34 »So wurde die <strong>KPD</strong> am 17. August 1956 auch wegen<br />
e<strong>in</strong>er Politik verboten, die sie zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr vertrat.« 35<br />
Noch am Tag der Verkündung des Urteils wurden überall im Bundesgebiet die<br />
Büros der <strong>KPD</strong> durchsucht und geschlossen. Insgesamt wurden (nach e<strong>in</strong>er<br />
Aufstellung von Hans Kluth) 2.500 Büros und Wohnungen durchsucht, 199 Büros,<br />
35 Druckereien, Verlage und Zeitungsredaktionen geschlossen und 199 Funktionäre<br />
festgenommen. 36 Außerdem wurde sämtliches Vermögen der <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>gezogen. 37<br />
Das Verbotsurteil des Bundesverfassungsgericht bewirkte zunächst die völlige<br />
Zerschlagung der legalen <strong>KPD</strong> und anderer als kommunistisch geltende Organisationen.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus diente es aber auch, <strong>in</strong> Ergänzung zum bisherigen politischen<br />
Strafrecht, als zusätzliche Legitimation und Möglichkeit zur Verfolgung von<br />
Kommunisten. Von großer Bedeutung <strong>in</strong> diesem Zusammenhang war die Bestimmung<br />
des Urteils, dass Zuwiderhandlungen des Verbots nach §§ 42, 47 des Bun-<br />
29 Zitiert nach Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 122.<br />
30 Ebenda.<br />
31 Ebenda, S. 123f.; Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 87.<br />
32 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 124. Vgl. auch die Darstellung<br />
des am Urteil beteiligten Bundesverfassungsrichters Mart<strong>in</strong> Drath, auf die sich von Brünneck bezieht,<br />
<strong>in</strong>: Urteil: <strong>KPD</strong>-Verbot aufheben. Politisches und Rechtliches zum Verbot der <strong>KPD</strong> (Protokoll des<br />
Öffentlichen Hear<strong>in</strong>gs über die Problematik des <strong>KPD</strong>-Verbots mit Gästen aus der Bundesrepublik und<br />
aus dem Ausland am 5. Juni 1971 <strong>in</strong> der Mercator-Halle <strong>in</strong> Duisburg, Köln 1971, S. 48-58, hier S. 49, sowie<br />
den entsprechenden Abschnitt <strong>in</strong> der Urteilsbegründung (Gerd Pfeiffer, Hans-Ge<strong>org</strong> Strickert<br />
[Hrsg.], <strong>KPD</strong>-Prozess, a.a.O., Band 3, S. 679ff.<br />
33 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 125f.<br />
34 Ebenda, S. 125.<br />
35 Ebenda.<br />
36 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 118.<br />
37 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 132ff.
288<br />
Politische Justiz und Verbot<br />
desverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bestraft werden. 38 Als Zuwiderhandlung<br />
galt die Fortführung der verbotenen <strong>KPD</strong> sowie die Bildung von Ersatz<strong>org</strong>anisationen,<br />
darüber h<strong>in</strong>aus auch die Förderung derselben; selbst der Versuch e<strong>in</strong>er Förderung<br />
war strafbar. 39 Mit diesen allgeme<strong>in</strong>en Bestimmungen konnte praktisch jede<br />
politische Betätigung von Kommunisten strafrechtlich verfolgt werden. <strong>Die</strong> §§ 42,<br />
47 BVerfGG stellten somit e<strong>in</strong>e Erweiterung der bisherigen Staatsschutzbestimmungen<br />
dar und wurden dementsprechend von den Gerichten angewandt.<br />
Aufgrund von § 90a Abs. 3 StGB (»Ist die Vere<strong>in</strong>igung e<strong>in</strong>e politische Partei im<br />
räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so darf die Tat erst verfolgt werden,<br />
nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass die Partei verfassungswidrig<br />
ist«) konnte nun - nach dem Verbot - auch die e<strong>in</strong>fache Betätigung für<br />
die <strong>KPD</strong>, selbst wenn sie vor 1956 lag, verfolgt und verurteilt werden. Erst 1961 erklärte<br />
das Bundesverfassungsgericht § 90a Abs. 3 StGB für nichtig. 40<br />
Neben den Organisationsdelikten wurden auch sämtliche politischen Me<strong>in</strong>ungsäußerungen<br />
- <strong>in</strong>sbesondere publizistische - von Kommunisten 41 sowie politische<br />
Kontakte <strong>in</strong> die DDR 42 als Zuwiderhandlung gegen das <strong>KPD</strong>-Verbot verfolgt.<br />
Insgesamt s<strong>in</strong>d zwischen 1956 und <strong>1968</strong> ca. 4.000 Personen wegen kommunistischer<br />
Betätigung verurteilt worden, die Zahl der Ermittlungsverfahren zwischen 1951<br />
und <strong>1968</strong> gibt von Brünneck mit ungefähr 125.000 an. 43 »Bei allen politischen Delikten<br />
zwischen 1956 und <strong>1968</strong> betrug das Verhältnis von Verurteilungen zu staatsanwaltschaftlichen<br />
Ermittlungsverfahren etwa 1 zu 19«. 44 <strong>Die</strong>ses krasse Missverhältnis<br />
verdeutlicht den enormen Aufwand und die Intensität mit der die politische<br />
Justiz gegen Kommunisten betrieben wurde. Bereits im Vorfeld der gerichtlichen<br />
Verfahren gab es »e<strong>in</strong> ausgedehntes Feld staatsanwaltschaftlicher und polizeilicher<br />
Ermittlungstätigkeit« 45, die oft aus nur ger<strong>in</strong>gen Anlässen <strong>in</strong> Gang gesetzt wurde.<br />
Nach 1963 nahmen die Fälle der Verfolgung von Kommunisten stark ab. Das<br />
allmähliche E<strong>in</strong>setzen der Entspannungspolitik sowie die programmatische Wandlung<br />
der <strong>KPD</strong> - bei ihrer gleichzeitigen politischen Bedeutungslosigkeit - machten<br />
die These von der kommunistischen Gefahr unglaubwürdig und ließen den »Anachronismus<br />
der Kommunistenverfolgung« 46 <strong>in</strong> das öffentliche Bewusstse<strong>in</strong> rücken.<br />
Mit der Verabschiedung des 8. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 29. Mai <strong>1968</strong>, das<br />
wesentliche Bestimmungen von 1951 aufhob, 47 sowie mit e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>en Monat später<br />
erlassenen Amnestie für alle im Zusammenhang mit der Kommunistenverfolgung<br />
38 Vgl. ebenda, S. 134. § 42 bestimmt, dass »vorsätzliche Zuwiderhandlungen« gegen e<strong>in</strong>e Entscheidung<br />
des BVG mit m<strong>in</strong>destens 6 Monaten Gefängnis bestraft werden, § 47 erklärt § 42 bei Parteiverboten für<br />
anwendbar.<br />
39 Ebenda, S. 135.<br />
40 Ebenda, S. 150.<br />
41 Ebenda, S. 175ff.<br />
42 Ebenda, S. 196ff.<br />
43 Ebenda, S. 236ff.. <strong>Die</strong>se Zahl ist laut von Brünneck eher zu niedrig als zu hoch geschätzt.<br />
44 Ebenda, S. 244.<br />
45 Ebenda, S. 245.<br />
46 Ebenda, S. 353.<br />
47 Ebenda, S. 324f.
Politische Justiz und Verbot 289<br />
stehenden Straftaten 48 war die politische Justiz gegen Kommunisten praktisch beendet.<br />
3. Das Verbot <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Der im November 1951 gestellte Verbotsantrag der Bundesregierung hatte auf die<br />
eigentliche Arbeit der Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zunächst nur e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>gen E<strong>in</strong>fluss. E<strong>in</strong><br />
SED-Instrukteur berichtete, es »zeigten sich <strong>in</strong> allen Partei<strong>org</strong>anisationen Tendenzen,<br />
dieses Verbot nicht ernst zu nehmen. Man argumentierte [...], dass wir heute<br />
e<strong>in</strong>e wesentlich andere Situation haben wie 1933; viele Genossen glaubten, daraus<br />
die Schlussfolgerung ziehen zu können, es könne überhaupt nichts Schlimmes passieren«.<br />
49 <strong>Die</strong>se E<strong>in</strong>stellungen hielten sich pr<strong>in</strong>zipiell bis zum Verbot 1956 <strong>in</strong> der<br />
Partei. »Es gibt Me<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> der Mitgliedschaft«, so e<strong>in</strong> Instrukteur 1955, »die Partei<br />
wird nicht verboten. [...]. Es ist die Auffassung vorhanden: Uns kann ke<strong>in</strong>er.« 50<br />
Auch über die Art e<strong>in</strong>er eventuell bevorstehenden Illegalität herrschte Unsicherheit.<br />
Insbesondere die älteren Mitglieder g<strong>in</strong>gen wohl von ähnlichen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
wie zur Zeit des Faschismus aus und rechneten mit Massenverhaftungen<br />
oder Schlimmerem. <strong>Die</strong>se Auffassung wurde sicher nicht von allen Mitgliedern geteilt,<br />
51 <strong>in</strong>sgesamt aber g<strong>in</strong>g die Partei wohl - natürlich auch aufgrund der Erfahrung<br />
des Faschismus - von e<strong>in</strong>er wesentlich schärferen Illegalität aus als sie dann tatsächlich<br />
e<strong>in</strong>trat.<br />
<strong>Die</strong>s musste vor allem für die Parteileitung gelten. Grundkonzept der unmittelbar<br />
nach dem Antrag 1951 e<strong>in</strong>setzenden Vorbereitungen der <strong>KPD</strong> war daher, e<strong>in</strong>erseits<br />
bis zur letzten M<strong>in</strong>ute legal weiterzuarbeiten, gleichzeitig aber e<strong>in</strong>e sogenannte<br />
»Zweite L<strong>in</strong>ie« zu schaffen. 52 <strong>Die</strong>se sollte nach dem Verbot die Leitungen übernehmen,<br />
um die Partei nicht »völlig kopflos« dastehen zu lassen, 53 denn man g<strong>in</strong>g<br />
davon aus, dass die ortsbekannten Funktionäre als erstes verhaftet werden würden.<br />
54 Für diese zweite L<strong>in</strong>ie wurden erstmals bereits Anfang 1952 Funktionäre aus<br />
der öffentlichen Arbeit herausgezogen und <strong>in</strong> anderen Bundesländern auf die Leitungstätigkeit<br />
nach dem Verbot vorbereitet. In <strong>Bremen</strong> betraf dies den Ersten Sekre-<br />
48 Ebenda, S. 325f.<br />
49 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom: 20.11. - 18.12. 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />
50 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 24.3. bis 4.5. 1955, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />
51 Willy Hundertmark spricht von zwei L<strong>in</strong>ien zum Verbot: »<strong>Die</strong> e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie vertrat die Auffassung, dass<br />
es wieder große Massenverhaftungen geben würde, wie bei den Nazis. Es gäbe schon KZs <strong>in</strong> der Lüneburger<br />
Heide usw. Und die andere L<strong>in</strong>ie war, die Bundesrepublik Deutschland kann nicht mehr so<br />
handeln wie die Nazis gehandelt haben. Dafür s<strong>in</strong>d die Nachbarn <strong>in</strong> West und Ost viel zu misstrauisch.«<br />
(Interview Willy Hundertmark,1). Hermann Gautier stellt die Situation ähnlich dar (Interview<br />
Hermann Gautier, 3).<br />
52 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., a.a.O., S. 82.<br />
53 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />
54 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S.83.
290<br />
Politische Justiz und Verbot<br />
tär Hermann Gautier, den Zweiten Sekretär Willi Lietzau sowie den Kadersekretär<br />
Willi Seipel. 55 Nachdem sich 1952 zeigte, dass e<strong>in</strong> Verbot nicht unmittelbar bevorstand,<br />
wurden viele der Maßnahmen und die »Zweite L<strong>in</strong>ie« zunächst weitgehend<br />
wieder aufgegeben. Hermann Gautier kehrte im September 1952 nach <strong>Bremen</strong> zurück<br />
und übernahm wieder die Leitung der Partei. Erst ab 1955, mit Abschluss der<br />
mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht, wurden wieder<br />
Funktionäre für Aufgaben nach e<strong>in</strong>em Verbot vorbereitet. Auch Hermann Gautier<br />
1955 verließ e<strong>in</strong>ige Zeit die Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und g<strong>in</strong>g vermutlich <strong>in</strong> die Zweite L<strong>in</strong>ie.<br />
56<br />
Neben diesen <strong>org</strong>anisatorischen Umstellungen, die die <strong>KPD</strong> mit ihrem ohneh<strong>in</strong><br />
relativ kle<strong>in</strong>en Funktionärskadern zusätzlich belasteten, 57 versuchte die Partei die<br />
Öffentlichkeit wie auch die eigene Mitgliedschaft gegen den Prozess und e<strong>in</strong> eventuelles<br />
Verbot zu mobilisieren. Dabei wurde immer wieder versucht, den Verbotsantrag<br />
<strong>in</strong> größere Zusammenhänge zu stellen. »Wir müssen uns dessen bewusst<br />
se<strong>in</strong>«, so beispielsweise e<strong>in</strong>e Sekretariatsvorlage von 1953, »dass das Schicksal der<br />
deutschen Nation wesentlich mit dem Schicksal der <strong>KPD</strong> zusammenhängt«. Der<br />
Versuch, die <strong>KPD</strong> zu verbieten, sei »e<strong>in</strong>e Maßnahme zur Vorbereitung e<strong>in</strong>es neuen<br />
imperialistischen Krieges«. 58 Schon aufgrund dieser Verknüpfung konnte angesichts<br />
der Isolation der <strong>KPD</strong> und der antikommunistischen Stimmung <strong>in</strong> der Bevölkerung<br />
e<strong>in</strong>e wirksame Mobilisierung der Öffentlichkeit nicht gel<strong>in</strong>gen.<br />
Mit Beg<strong>in</strong>n der mündlichen Verhandlungen <strong>in</strong> Karlsruhe im November 1954<br />
begann der Protest gegen den Verbotsprozess phasenweise andere politische Themen<br />
<strong>in</strong> der Partei zu überlagern. Im Vordergrund der Agitation, so e<strong>in</strong> Instrukteur<br />
1955, stünden »nicht genügend die Frage, die die Menschen am meisten bewegten,<br />
sondern die Fragen des Verbotsprozesses«, und drückte damit ungewollt auch das<br />
Des<strong>in</strong>teresse der breiten Bevölkerung am Verbotsprozess aus. Das Des<strong>in</strong>teresse<br />
zeigte sich auch an den Teilnehmerzahlen der Kundgebungen:<br />
»Alle Kundgebungen und Demonstrationen der Partei [...] wurden immer unter der gleichen<br />
Losung ›Gegen den Verbotsprozess‹ durchgeführt. [...]. Da die Partei schon monatelang<br />
Kundgebungen und Versammlungen mit dem gleichen Thema durchgeführt hat, ist verständlich,<br />
wenn die Versammlungen der letzten Wochen nur ger<strong>in</strong>g besucht waren. Am 15. Juni<br />
nahmen an e<strong>in</strong>er solchen Kundgebung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nicht e<strong>in</strong>mal annähernd 200 Menschen teil.<br />
Das war für <strong>Bremen</strong> die schlechteste Kundgebung seit langer Zeit«. 59<br />
1956 begann die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ihre Aktivitäten gegen das drohende Verbot<br />
wieder zu <strong>in</strong>tensivieren und versuchte dabei vor allem <strong>in</strong> die SPD und die Gewerk-<br />
55 Vgl. Kapitel 2.<br />
56 Gautier besuchte nach eigenen Angaben e<strong>in</strong>e längere Parteischule (Interview Hermann Gautier, 3).<br />
Andere Interviewpartner geben an, er sei im Zuge der Vorbereitung auf das Verbot <strong>in</strong> die Zweite L<strong>in</strong>ie<br />
abberufen worden. Gautier war etwa seit Anfang 1956 wieder <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Nach dem Verbot leitete<br />
Gautier kurze Zeit die Partei<strong>org</strong>anisation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Bundesland (ebenda).<br />
57 »Der Aufbau dieser 2. L<strong>in</strong>ie hat die Partei doch e<strong>in</strong>iges an Kraft gekostet und die Wirksamkeit ihrer politischen<br />
Tätigkeit ist natürlich dadurch e<strong>in</strong>geschränkt worden.« (Interview Hermann Gautier, 3).<br />
58 Sekretariatsvorlage zur Durchführung von Maßnahmen gegen das beabsichtigte Verbot der <strong>KPD</strong> und Verstärkung<br />
des Kampfes zur Verteidigung der demokratischen Rechte, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />
59 E<strong>in</strong>satz vom: 13. Juni bis 17. Juli 1955, Land: <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.
Politische Justiz und Verbot 291<br />
schaften zu wirken. Im März, als die Partei offenbar davon ausg<strong>in</strong>g, dass das Urteil<br />
des Bundesverfassungsgerichts noch im selben Monat bevorstünde, suchten Mitglieder<br />
der Kreis- und Landesleitung führende Funktionäre von SPD und DGB auf<br />
und baten sie um Stellungnahmen zu dem »geplanten Verbot«, die dann <strong>in</strong> der Tribüne<br />
der Demokratie veröffentlicht wurden. 60 E<strong>in</strong>e ganze Reihe dieser »Prom<strong>in</strong>enten«<br />
sprach sich aus verschiedenen Gründen gegen e<strong>in</strong> Verbot der <strong>KPD</strong> aus, allerd<strong>in</strong>gs,<br />
me<strong>in</strong>t Herbert Breidbach, habe e<strong>in</strong> Großteil auch »gekniffen«. 61 So auch der<br />
Präsident des Senats, Wilhelm Kaisen. <strong>Die</strong>sen suchten Hermann Gautier und Willi<br />
Meyer-Buer am 23. März 1956 auf und baten ihn um e<strong>in</strong>e Stellungnahme zu dem<br />
erwarteten Karlsruher Urteil. 62 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>, so Hermann Gautier, sei der Me<strong>in</strong>ung,<br />
dass wenn <strong>in</strong>sbesondere die SPD-geführten Länder sich gegen das Verbot aussprechen<br />
würden, dieses nicht verkündet werden könnte. Kaisen äußerte <strong>in</strong> diesem Gespräch,<br />
dass auch er es nicht für richtig halte, die <strong>KPD</strong> zu diesem Zeitpunkt zu verbieten<br />
und bot an, ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben um e<strong>in</strong>e persönliche Stellungnahme zu<br />
bitten. <strong>Die</strong>s tat Hermann Gautier im Namen der Landesleitung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben<br />
vom 24. März 1956, 63 wohl<strong>in</strong>derErwartung,dassKaisensichähnlichäußernwürde<br />
wie <strong>in</strong> dem Gespräch. Das Schreiben Kaisens vom 26. März 1956 entsprach dann<br />
aber ke<strong>in</strong>eswegs diesen Erwartungen: Kaisen lehnte e<strong>in</strong>e persönliche Stellungnahme<br />
ab, da er den »Stand der Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht<br />
nicht kenne« und es außerdem nicht üblich sei, zu e<strong>in</strong>em schwebenden Verfahren<br />
Stellung zu nehmen. »Ob es e<strong>in</strong>e echte Alternative zu e<strong>in</strong>em Verbot gibt, kann<br />
schließlich nur die <strong>KPD</strong> selbst wissen. <strong>Die</strong> Aufhebung der Parteiverbote dort, wo<br />
sie selbst regiert, würde <strong>in</strong> diesen Zusammenhang gehören«. 64 <strong>Die</strong> <strong>in</strong> dem Gespräch<br />
geäußerte Ablehnung des Verbots tauchte <strong>in</strong> dem Schreiben nicht auf, Kaisen<br />
hatte wohl Bedenken, sich als Senatspräsident öffentlich für den Erhalt der <strong>KPD</strong><br />
auszusprechen. <strong>Die</strong> Tribüne der Demokratie veröffentlichte daraufh<strong>in</strong> lediglich, dass<br />
Kaisen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit Vertretern der <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong> Verbot der Partei als »außerordentlich<br />
unglücklich und unklug« bezeichnet habe. 65<br />
Bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts setzte die <strong>KPD</strong> ihre Maßnahmen<br />
zur Mobilisierung der Öffentlichkeit gegen e<strong>in</strong> Verbot fort. Es wurden weiterh<strong>in</strong><br />
Stellungnahmen von SPD- und Gewerkschaftsfunktionären veröffentlicht, <strong>in</strong> den<br />
Betrieben wurden Flugblätter verteilt, und von <strong>KPD</strong>-Versammlungen wurden Entschließungen<br />
verabschiedet die u.a. auch an den Bundestag und die Bremer Bürgerschaft<br />
gesandt wurden. 66 Dabei wurde immer wieder <strong>in</strong>sbesondere an SPD und<br />
Gewerkschaften appelliert, das Verbot zu verh<strong>in</strong>dern. 67<br />
60 Verbotsplan stößt auf Ablehnung, Tribüne der Demokratie 29. März 1956.<br />
61 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />
62 Aktennotiz der Senatskanzlei v. 24.3.56 <strong>in</strong>: StaB 3-K.13.Nr.100.<br />
63 In: StaB 3-K.13.Nr.100<br />
64 Schreiben Wilhelm Kaisen an <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> (26. März 1956), <strong>in</strong>: StaB 3-K.13.Nr.100.<br />
65 Verbotsplan stößt auf Ablehnung, Tribüne der Demokratie 29. März 1956.<br />
66 So z.B. e<strong>in</strong>e Versammlung der <strong>KPD</strong> Gröpel<strong>in</strong>gen vom 23. April 1956 (StaB 3-K.13.Nr.100).<br />
67 So heißt es zum Beispiel <strong>in</strong> der Entschließung e<strong>in</strong>er Kreisdelegiertenkonferenz vom 5./6.Mai 1956:<br />
»Wir fordern die Bevölkerung <strong>Bremen</strong>s, besonders die sozialdemokratischen Genossen und Gewerkschafter<br />
auf, mit uns geme<strong>in</strong>sam die demokratischen Rechte und die Freiheit der <strong>KPD</strong>, wie die freie Be-
292<br />
Politische Justiz und Verbot<br />
Unmittelbar vor dem Verbot versuchte die <strong>KPD</strong> noch e<strong>in</strong>mal, den öffentlichen<br />
Protest zu mobilisieren, ohne dabei selbst noch wirklich an e<strong>in</strong>en Erfolg zu glauben.<br />
Am 15. August rief die Landesleitung »die Bevölkerung und alle Mitglieder der<br />
<strong>KPD</strong> im Lande <strong>Bremen</strong>« auf, an e<strong>in</strong>er Protestkundgebung am folgenden Tag teilzunehmen.<br />
68 An der Kundgebung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Gröpel<strong>in</strong>gen beteiligten sich nach Aussagen<br />
der Partei »rund 1000 Bremer Werktätige«, um »zur Verteidigung der <strong>KPD</strong><br />
aufzurufen«. He<strong>in</strong>rich Schramm und Arthur Böpple forderten <strong>in</strong> ihren Reden noch<br />
e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>sbesondere »die sozialdemokratischen Klassengenossen« auf, »jetzt Schulter<br />
an Schulter mit den Kommunisten und parteilosen Arbeitern dafür S<strong>org</strong>e zu<br />
tragen, dass die Adenauerära begraben werde«. 69 In der letzten legalen Ausgabe<br />
der Tribüne der Demokratie vom 17. August 1956 wurden auch noch e<strong>in</strong>mal Stellungnahmen<br />
von Gewerkschaftsfunktionären - u.a. Gustav Böhrnsen, Betriebsratsvorsitzender<br />
der AG »Weser« - gegen e<strong>in</strong> Verbot veröffentlicht. 70<br />
Insgesamt gesehen waren die Appelle und Bemühungen der <strong>KPD</strong> zur Mobilisierung<br />
der Öffentlichkeit gegen e<strong>in</strong> Verbot wenig erfolgreich. Freilich waren sie<br />
wohl auch von Seiten der Partei eher gedacht als Vorbereitung auf die bevorstehende<br />
Illegalität, <strong>in</strong> der Hoffnung, dass sich Sozialdemokraten und Gewerkschafter<br />
mit der verbotenen Arbeiterpartei <strong>KPD</strong> solidarisieren oder wenigstens verstärkt mit<br />
Kommunisten zusammenarbeiten würden.<br />
»...man kennt sich ja.« <strong>Die</strong> Verbotsmaßnahmen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Bereits wenige M<strong>in</strong>uten nach Verkündung des Urteils <strong>in</strong> Karlsruhe am 17. August<br />
1956 wurden <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> sämtliche Parteibüros der <strong>KPD</strong> und die der sogenannten<br />
»Tarn<strong>org</strong>anisationen« durch e<strong>in</strong> Sonderkommando der Bremer Polizei besetzt und<br />
durchsucht. 71 Im e<strong>in</strong>zelnen waren dies die Büros der Landesleitung und der Kreisleitung<br />
<strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denhofstraße (Robert-Stamm-Haus), das Kreisbüro <strong>Bremen</strong>-Nord<br />
<strong>in</strong> Vegesack sowie e<strong>in</strong>e Parteibaracke <strong>in</strong> der Wiedaustraße. Weiterh<strong>in</strong> wurden auch<br />
die Büros des »Landesfriedenskomitees«, des »Ausschusses für Bürgerrechte«, des<br />
»Arbeitskreises für Land- und Forstwirtschaft«, des »Demokratischen Kulturbundes«<br />
sowie die ebenfalls <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denhofstraße untergebrachten Redaktionsräume<br />
der »Tribüne der Demokratie« durchsucht und geschlossen. 72<br />
Beschlagnahmt wurden <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie »Propagandamaterial« und Büroausstattungen,<br />
außerdem wurde e<strong>in</strong> Konto der <strong>KPD</strong> (Saldo: 15,90 DM) gesperrt. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong><br />
hatte natürlich sämtliche eventuell für die Polizei <strong>in</strong>teressante Materialien rechtzei-<br />
tätigung für alle Organisationen der Arbeiterklasse und demokratischen Bewegungen zu verteidigen.«<br />
(Für die Verteidigung der demokratischen Rechte, Tribüne der Demokratie 17. Mai 1956).<br />
68 Heraus zu <strong>KPD</strong>-Protestkundgebung!, Tribüne der Demokratie 15. August 1956.<br />
69 Fackeldemonstration gegen <strong>KPD</strong>-Verbot, Tribüne der Demokratie 17. August 1956.<br />
70 Tribüne der Demokratie, 17. August 1956.<br />
71 Acht <strong>KPD</strong>-Zentren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geschlossen, Weser-Kurier 18. August 1956. <strong>Die</strong> Aktion war natürlich geplant.<br />
Der Senat hatte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vertraulichen Sitzung am 14. August 1956 »Maßnahmen für den Fall e<strong>in</strong>es<br />
Verbots der <strong>KPD</strong> durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts« beschlossen (Aktennotiz <strong>in</strong> StaB 3-<br />
K.13.Nr.100).<br />
72 Acht <strong>KPD</strong>-Zentren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geschlossen, Weser-Kurier 18. August 1956.
Politische Justiz und Verbot 293<br />
tig aus den Büros entfernt. 73 <strong>Die</strong> Behörden rechneten wohl auch nicht ernsthaft mit<br />
größeren Funden. 74 Laut Bericht e<strong>in</strong>es SED-Instrukteurs habe Wirtschaftssenator<br />
Hermann Wolters Mitgliedern der <strong>KPD</strong>-Landesleitung unmittelbar vor dem Verbot<br />
sogar geraten, »alles beiseite« zu schaffen. Man werde mit den Maßnahmen »erst<br />
beg<strong>in</strong>nen, wenn wir annehmen müssen, dass ihr re<strong>in</strong> Schiff gemacht habt«. 75 Auch<br />
Materialien aus den Büros der sogenannten Tarn<strong>org</strong>anisationen wurden vor dem<br />
Verbot beseitigt, da man auch hier mit Durchsuchungen rechnete. 76<br />
Dementsprechend lief die gesamte Polizeiaktion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> relativ ruhig und<br />
konfliktfrei ab, nach den Worten der <strong>KPD</strong>-Bürgerschaftsabgeordneten Maria Krüger<br />
sogar »albern«. 77 Irgende<strong>in</strong>e Art von Widerstand wurde den Polizisten nicht<br />
entgegengesetzt, und es gab ke<strong>in</strong>erlei Verhaftungen oder Festnahmen, was der Polizeipräsident<br />
von Bock und Pollach so kommentierte: »Das kann <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> auch<br />
nicht passieren, man kennt sich ja.« 78 E<strong>in</strong> SED-Instrukteur bestätigte die staatliche<br />
Zurückhaltung. <strong>Die</strong> Polizei habe sich »beim Auftreten entschuldigt und ist also<br />
nicht brutal v<strong>org</strong>egangen«. 79 <strong>Die</strong> Hausdurchsuchungen bei e<strong>in</strong>zelnen Funktionären<br />
liefen ähnlich ab und seien »formal« durchgeführt worden. 80 <strong>Die</strong> Privatwohnungen<br />
leitender Funktionäre und der vier Bürgerschaftsabgeordneten wurden nicht<br />
durchsucht. »<strong>Die</strong> Erfahrung hat uns gelehrt, dass e<strong>in</strong>e Nachlese bei den führenden<br />
Leuten s<strong>in</strong>nlos ist. Deshalb haben wir es gar nicht erst versucht«, so der Polizeipräsident.<br />
81<br />
Der Senat konnte also am 21. August zurecht feststellen, »dass die Maßnahmen<br />
anlässlich des Verbots der <strong>KPD</strong> durch das Bundesverfassungsgericht ohne Zwischenfälle<br />
verlaufen« seien. 82 Zu e<strong>in</strong>em bereits <strong>in</strong> dieser Sitzung angesprochenen<br />
Sonderthema entwickelte sich das Robert-Stamm-Haus, <strong>in</strong> dem die Landes- und die<br />
Kreisleitung der <strong>KPD</strong> untergebracht waren. Das Haus war Eigentum der 1946 gegründeten<br />
»Robert-Stamm-Genossenschaft« und an die <strong>KPD</strong> nur vermietet. Es<br />
handelte sich also eigentlich nicht um Partei-, sondern um Privatvermögen mehre-<br />
73 Dazu Maria Krüger: »Es war ja nicht so, dass man auf e<strong>in</strong> Gerichtsurteil wartete, was noch irgendwo <strong>in</strong><br />
der Luft schwebte. <strong>Die</strong> Partei sagte: Aus unserem Haus <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denhofstraße verschw<strong>in</strong>det alles! Da<br />
ist nicht e<strong>in</strong> Fitz, wenn die Durchsuchung kommt und die Beschlagnahme. Und jeder von euch macht<br />
se<strong>in</strong>e Wohnung »sauber«, und Gnade euch, die f<strong>in</strong>den bei Euch etwas, was sie nicht f<strong>in</strong>den sollen!« Zitiert<br />
nach Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 291.<br />
74 Der Weser-Kurier schilderte e<strong>in</strong>e Büro-Durchsuchung wörtlich: »KP-Mann: ‚Da s<strong>in</strong>d sie ja.’ Polizeibeamter:<br />
‚Na, viel wird ja wohl nicht mehr zu holen se<strong>in</strong>.’ KP-Mann: Denken Sie denn, wir s<strong>in</strong>d von gestern?’«<br />
(Acht <strong>KPD</strong>-Zentren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geschlossen, Weser-Kurier 18. August 1956).<br />
75 Arbeitsbüro, 23.8.56, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />
76 Rolf Stelljes über die Durchsuchung des Büros des Landesfriedenskomitees : »Sie kamen am 17. August<br />
1956 <strong>in</strong>s Büro und haben dann festgestellt, an irgendwelchen Nägeln hängen nur noch kle<strong>in</strong>e Zettelchen<br />
[...]. Da stand überall drauf: ›Hier h<strong>in</strong>g mal was‹. Also, wir haben die regelrecht ›vergackeiert‹«.<br />
(Interview Rolf Stelljes).<br />
77 Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 291.<br />
78 Acht <strong>KPD</strong>-Zentren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geschlossen, Weser-Kurier 18. August 1956.<br />
79 Arbeitsbüro, 23.8.56, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />
80 Ebenda.<br />
81 Acht <strong>KPD</strong>-Zentren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geschlossen, Weser-Kurier 18. August 1956.<br />
82 Auszug aus dem Senatsprotokoll vom 21. August 1956, <strong>in</strong>: StaB 3-K.13.Nr.100.
294<br />
Politische Justiz und Verbot<br />
rer Personen, die größtenteils ihre Wiedergutmachungszahlungen <strong>in</strong> die Genossenschaft<br />
<strong>in</strong>vestiert hatten. Dennoch wurden am 17. August zunächst Akten und Vermögen<br />
der Genossenschaft beschlagnahmt. Innensenator Adolf Ehlers teilte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Schreiben vom 22. August dem Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister mit, dass dieses Material<br />
sichergestellt wurde und dass es sich dabei wahrsche<strong>in</strong>lich um Eigentum der <strong>KPD</strong><br />
handele. Ehlers bat das Innenm<strong>in</strong>isterium um den Erlass e<strong>in</strong>er Verfügung, wonach<br />
das Vermögen der Genossenschaft - also auch das Haus <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denhofstraße -<br />
zugunsten der Bundesrepublik e<strong>in</strong>gezogen werde. 83 Nachdem diese Verfügung ergangen<br />
war, klagte die Genossenschaft dagegen, verlor allerd<strong>in</strong>gs den Prozess mit<br />
der Begründung, die Verteilung auf mehrere Genossen sei nur e<strong>in</strong>e Tarnung der<br />
wirklichen Eigentumsverhältnisse gewesen. 84<br />
Das Problem der <strong>KPD</strong>-Bürgerschaftsmandate<br />
Das Bundesverfassungsgericht hatte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Urteilsspruch zu der Frage, ob mit<br />
dem Verbot der Partei auch die kommunistischen Mandate <strong>in</strong> den Länderparlamenten<br />
verfallen, ke<strong>in</strong>e Stellung bezogen. <strong>Die</strong>s führte <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zu e<strong>in</strong>er bundesweit<br />
e<strong>in</strong>maligen Entwicklung.<br />
Zunächst schien die Lage e<strong>in</strong>deutig. <strong>Die</strong> Presse meldete e<strong>in</strong>en Tag nach dem<br />
Verbot, dass aufgrund von § 35 des 1955 verabschiedeten Bremischen Wahlgesetzes<br />
die vier kommunistischen Abgeordneten ihre Sitze <strong>in</strong> der Bürgerschaft verlieren<br />
würden. 85 Bereits zwei Tage später jedoch wies der Bürgerschaftspräsident August<br />
Hagedorn (SPD) darauf h<strong>in</strong>, dass zunächst das Präsidium der Bürgerschaft zusammentreten<br />
müsse, um über die Aberkennung der Mandate zu beschließen. 86<br />
<strong>Die</strong>s geschah am 3. September 1956 - allerd<strong>in</strong>gs mit e<strong>in</strong>em anderen Ergebnis als erwartet:<br />
Der Vorstand der Bürgerschaft beschloss, vor e<strong>in</strong>er eventuellen Aberkennung<br />
der <strong>KPD</strong>-Mandate den Staatsgerichtshof zu e<strong>in</strong>er Stellungnahme anzurufen<br />
und e<strong>in</strong>en dementsprechenden Antrag dem Plenum der Bürgerschaft zur Beschlussfassung<br />
vorzulegen. 87<br />
<strong>Die</strong> Sitzung der Bürgerschaft zu diesem Thema fand am 12. September 1956<br />
statt. Zu Beg<strong>in</strong>n der Debatte - an der die vier kommunistischen Abgeordneten nicht<br />
teilnahmen - begründete August Hagedorn noch e<strong>in</strong>mal ausführlich die rechtlichen<br />
Bedenken des Bürgerschaftsvorstandes. 88 In § 35 des Bremischen Wahlgesetzes sei<br />
zwar festgelegt, dass die Mitglieder e<strong>in</strong>er verbotenen Partei ihre Mandate <strong>in</strong> der<br />
Bürgerschaft verlieren. <strong>Die</strong>s sei jedoch lediglich als Ausführungsbestimmung zu e<strong>in</strong>em<br />
entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu betrachten. Als alle<strong>in</strong>ige<br />
Rechtsgrundlage des Mandatsverlustes würde § 35 nicht ausreichen, da er<br />
83 Auszug aus dem Senatsprotokoll vom 21. August 1956, <strong>in</strong>: StaB 3-K.13.Nr.100.<br />
84 Interview He<strong>in</strong>rich Hannover.<br />
85 Acht <strong>KPD</strong>-Zentren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geschlossen, Weser-Kurier 18. August 1956.<br />
86 Noch im Besitz der Immunität, Weser-Kurier 21. August 1956.<br />
87 KP-Abgeordnete weiter <strong>in</strong> Bürgerschaft, Weser-Kurier 4. September 1956.<br />
88 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 12. September 1956, S. 307 ff. Siehe auch Hartes R<strong>in</strong>gen<br />
um Schicksal der KP-Mandate, Weser-Kurier 13. September 1956.
Politische Justiz und Verbot 295<br />
sonst <strong>in</strong> Widerspruch zu § 80 der Landesverfassung 89 stünde. Daher sei der »Kern<br />
des Problems« die Frage, ob sich der Verlust der Mandate direkt aus dem Urteil des<br />
Bundesverfassungsgerichts ergebe. <strong>Die</strong>se Frage sei vom Vorstand der Bürgerschaft,<br />
aufgrund der unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu diesem Thema, nicht endgültig<br />
zu klären gewesen. Man befände sich deshalb »<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em echten Zweifel« und<br />
wolle zur Klärung den Staatsgerichtshof anrufen.<br />
Während die Überlegungen des Präsidiums, wie Hagedorn ausdrücklich betonte,<br />
re<strong>in</strong> rechtlicher Natur waren, kamen <strong>in</strong> der nachfolgenden Debatte <strong>in</strong> der Bürgerschaft<br />
auch politische Aspekte zum Vorsche<strong>in</strong>. CDU und DP vertraten die Me<strong>in</strong>ung,<br />
dass mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts »auf das zw<strong>in</strong>gendste alles<br />
klargestellt« sei. 90 Artikel 21 des Grundgesetzes (nach dem die <strong>KPD</strong> verboten<br />
worden war) sei e<strong>in</strong>e zw<strong>in</strong>gende Verfassungsdirektive, die das »demokratische<br />
Staatswesen« vor sie bedrohenden E<strong>in</strong>richtungen schützen solle, »unabhängig davon,<br />
ob sie akut gefährlich oder weniger gefährlich s<strong>in</strong>d«. Denn, so Marwede<br />
(CDU), »die Gefahr, die von der durch Moskau gesteuerten <strong>KPD</strong> her droht, ist [...]<br />
zu jeder Zeit, <strong>in</strong> jeder Form, <strong>in</strong> jeder Größe beträchtlich«. <strong>Die</strong> FDP argumentierte<br />
ähnlich. 91 Als e<strong>in</strong>zige der vier Fraktionen sprach sich die SPD für den Antrag des<br />
Vorstandes aus. Se<strong>in</strong>e Fraktion, so ihr Vorsitzender Richard Boljahn, teile die rechtlichen<br />
Bedenken des Präsidiums. <strong>Die</strong> entscheidende Frage sei, ob tatsächlich lediglich<br />
die Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts ausreiche, Bremer Landesrecht<br />
zu brechen und die Mandate zu streichen. <strong>Die</strong> SPD habe daran starke<br />
Zweifel und deshalb müsse »unsern Brüdern und Schwestern im Osten gegenüber<br />
noch e<strong>in</strong>mal ganz klar unter Beweis« gestellt werden, »dass wir bis zur letzten Konsequenz<br />
den alten Rechtsgrundsatz verwirklicht sehen möchten: Im Zweifelsfall zu<br />
Gunsten des Angeklagten!«. <strong>Die</strong> Bürgerschaft nahm schließlich mit den Stimmen<br />
der SPD und e<strong>in</strong>iger Abgeordneten der anderen Parteien den Antrag des Präsidiums<br />
an, das Schicksal der KP-Mandate vom Staatsgerichtshof klären zu lassen. 92<br />
<strong>Die</strong> sozialdemokratischen Senatoren teilten die Me<strong>in</strong>ung ihrer Bürgerschaftsfraktion<br />
nicht. Der Senat äußerte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sitzung vom 16. Oktober 1956 die Auffassung,<br />
dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit § 35 des<br />
Bremischen Wahlgesetzes ausreichend sei, um den kommunistischen Abgeordneten<br />
ihr Mandat zu entziehen. Weiterh<strong>in</strong> sprach er sich »entschieden für e<strong>in</strong> Verbot<br />
jeglicher Versammlungen und Veranstaltungen, zu denen ehemalige Abgeordnete<br />
89 § 80 der Landesverfassung regelt »abschließend« die Voraussetzungen, unter denen die Mitgliedschaft<br />
<strong>in</strong> der Bürgerschaft erlischt. <strong>Die</strong>s s<strong>in</strong>d lediglich der freiwillige Verzicht auf das Mandat oder der Wegfall<br />
e<strong>in</strong>er für die Wählbarkeit maßgebenden Vorraussetzung.<br />
90 So der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion Marwede (Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft,<br />
12. September 1956, S. 311). Vgl. auch Appell an Staatsgerichtshof umstritten, Weser-Kurier 5.<br />
September 1956.<br />
91 Ihr Fraktionsvorsitzender Ge<strong>org</strong> Bortscheller - der sich <strong>in</strong> der Debatte gegen die Anrufung des Staatsgerichtshofes<br />
ausgesprochen und vom »automatischen Untergang der Mandate« geredet hatte - enthielt<br />
sich <strong>in</strong> der namentlichen Abstimmung der Stimme.<br />
92 Das genaue Ergebnis der namentlichen Abstimmung <strong>in</strong> Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft,<br />
12. September 1956, S. 327.
296<br />
Politische Justiz und Verbot<br />
der <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>laden, aus«. 93 Letzteres bezog sich auf e<strong>in</strong>e rechtliche Unklarheit, die<br />
sich aus der vorläufigen Nichtaberkennung der Mandate ergab. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-<br />
Abgeordneten hatten auf e<strong>in</strong>em öffentlichen Plakat zu e<strong>in</strong>er Versammlung e<strong>in</strong>geladen.<br />
94 Innensenator Ehlers (SPD) me<strong>in</strong>te diese verbieten zu müssen, sah sich dabei<br />
aber mit der Situation konfrontiert, dass die Veranstalter immer noch Abgeordnete<br />
der Bürgerschaft waren, somit unter Immunitätsschutz standen und nicht ohne<br />
weiteres strafrechtlich belangt werden konnten. In dieser rechtlich zweifelhaften Situation<br />
wollte sich Ehlers durch die Erklärung des Senats offenbar Rückendeckung<br />
verschaffen, 95 was ihm auch gelang: Der Senat sprach sich für e<strong>in</strong> Verbot der<br />
Veranstaltung aus. 96<br />
<strong>Die</strong> mündliche Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof über den Antrag des<br />
Bürgerschaftspräsidiums fand am 3. November 1956 statt. Der Antrag enthielt folgende<br />
drei Fragen:<br />
»1. Haben diejenigen Mitglieder der Bürgerschaft, welche der Kommunistischen Partei<br />
Deutschlands vor deren Auflösung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.<br />
August 1956 angehörten, ihren Sitz <strong>in</strong> der Bürgerschaft verloren?<br />
2. Bejahendenfalls, zu welchem Zeitpunkt ist dieser Verlust e<strong>in</strong>getreten bzw. wird er e<strong>in</strong>treten?<br />
3. Bejahendenfalls, gilt die gleiche Folge für die Mitgliedschaft dieser Abgeordneten zur<br />
Stadtbürgerschaft?« 97<br />
<strong>Die</strong> vier Abgeordneten Wilhelm Meyer-Buer, He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich, Hermann Gautier<br />
und Maria Krüger wurden <strong>in</strong> der Verhandlung von Professor Kröger (Berl<strong>in</strong>)<br />
und Rechtsanwalt Böhmer (Düsseldorf) vertreten, die auch die Prozessbevollmächtigten<br />
der <strong>KPD</strong> vor dem Bundesverfassungsgericht gewesen waren. Sie beantragten,<br />
»dass der Staatsgerichtshof erkennen möge, dass die Bürgerschaftsmandate der<br />
Abgeordneten [...], die zur Zeit der Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom 17. August 1956 Abgeordnete der Kommunistischen Partei<br />
Deutschlands waren, nicht erloschen s<strong>in</strong>d«. 98 Zur Begründung führten sie u.a. aus,<br />
dass sich im Grundgesetz ke<strong>in</strong> unmittelbarer und zw<strong>in</strong>gender Zusammenhang zwischen<br />
Parteienverbot und Mandatsverlust erkennen lasse. Vielmehr fordere das<br />
Grundgesetz mit se<strong>in</strong>em Bekenntnis zum freien Mandat <strong>in</strong> Artikel 38 gerade den<br />
gegenteiligen Schluss. 99 Weiterh<strong>in</strong> sei es auch nicht aufgrund von § 35 des Bremi-<br />
93 Auszug aus dem Senatsprotokoll vom 16. Oktober 1956, <strong>in</strong>: StaB 3-K.13. Nr.100.<br />
94 Allerd<strong>in</strong>gs nicht als <strong>KPD</strong>, sondern lediglich als »vier Abgeordnete der Bürgerschaft«.<br />
95 In dem Protokoll der Senatssitzung heißt es wörtlich: »Nach se<strong>in</strong>er, Herrn Senator Ehlers, Auffassung<br />
verpflichte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ihn, jede Tätigkeit der <strong>KPD</strong> und ihrer ehemaligen<br />
Mitglieder zu unterb<strong>in</strong>den und daher auch jede Versammlung zu untersagen. Er bitte den Senat, diese<br />
Ansicht zu bestätigen.«( Auszug aus dem Senatsprotokoll vom 16. Oktober 1956, <strong>in</strong>: StaB 3-K.13. Nr.100.).<br />
96 Ebenda. Siehe auch Senat untersagt Wählerversammlung, Weser-Kurier 17. Oktober 1956.<br />
97 Wortlaut <strong>in</strong> Hartes R<strong>in</strong>gen um Schicksal der KP-Mandate, Weser-Kurier 13. September 1956.<br />
98 Niederschrift der Sitzung des Staatsgerichtshofs am 3. November 1956, <strong>Bremen</strong>o.J.,S.5.<br />
99 <strong>Die</strong>ser H<strong>in</strong>weis auf Art. 38 war neu. In diesem Zusammenhang wies Prof. Kröger auch auf die widersprüchliche<br />
Argumentation des Bundesverfassungsgerichts h<strong>in</strong>: Wenn es e<strong>in</strong>en zw<strong>in</strong>genden Zusammenhang<br />
zwischen Partei und Abgeordnetenmandat gebe - wie er <strong>in</strong> dem Urteil gegen die SRP festgestellt<br />
worden war -, dann müsse auch der Parteiwechsel e<strong>in</strong>es Abgeordneten den Mandatsverlust zur
Politische Justiz und Verbot 297<br />
schen Wahlgesetzes möglich, die Mandate für verloren zu erklären, da er im Widerspruch<br />
zu § 80 der Landesverfassung stünde und damit verfassungswidrig sei.<br />
<strong>Die</strong>ser Widerspruch könne nur durch e<strong>in</strong>en Spruch des Bundesverfassungsgerichts<br />
»geheilt« werden. <strong>Die</strong>s sei jedoch nur im konkreten Falle der SRP geschehen, nicht<br />
aber generell. 100<br />
Der Staatsgerichtshof verkündete se<strong>in</strong> Urteil am 5. Januar 1957: <strong>Die</strong> Abgeordneten<br />
der <strong>KPD</strong> verloren ihre Sitze <strong>in</strong> der Bürgerschaft als Landtag, nicht aber die <strong>in</strong><br />
der Stadtbürgerschaft. 101 In der Begründung heißt es, dass sich der Mandatsverlust<br />
nicht aus dem <strong>KPD</strong>-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergebe, das <strong>in</strong> diesem<br />
konkreten Fall ke<strong>in</strong>e »B<strong>in</strong>dungswirkung« habe. 102 Anwendbar sei aber § 35 des<br />
Bremischen Wahlgesetzes, der durch die »Auslegung des Artikels 21 Abs.2 GG als<br />
e<strong>in</strong>e Norm des lebenden Rechts« 103 von se<strong>in</strong>er Verfassungswidrigkeit geheilt sei.<br />
<strong>Die</strong>se Heilung gelte allerd<strong>in</strong>gs nicht bezüglich der Mandate <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft.<br />
Hier handele es sich um e<strong>in</strong> vom Landesparlament unterscheidbares Organ,<br />
<strong>in</strong> dem nicht eigentliche politische Entscheidungen fallen. Von daher sei die Stellung<br />
der Abgeordneten <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft von der - auf Bundestag und Landesparlamente<br />
beschränkten - Auslegung des Artikels 21 GG nicht betroffen.<br />
Bemerkenswert an diesem Urteil war, dass gleichzeitig mit der Urteilsbegründung<br />
auch zwei M<strong>in</strong>derheiten-Gutachten veröffentlicht wurden. Das war <strong>in</strong> der<br />
deutschen Justizgeschichte e<strong>in</strong>malig: Bis dah<strong>in</strong> wurde immer nur die Mehrheitsme<strong>in</strong>ung<br />
verkündet, die Abstimmungsergebnisse blieben geheim. 104 Das erste Gutachten<br />
- unterschrieben vom Präsidenten des Staatsgerichtshofes Lifschütz, dem<br />
Bremer Richter Spr<strong>in</strong>gstub und dem Marburger Professor Wolfgang Abendroth -<br />
vertrat die Auffassung, dass es ke<strong>in</strong>e bundes- oder landesrechtliche Grundlage für<br />
die Aberkennung der Landtagsmandate gebe. <strong>Die</strong> Abgeordneten seien rechtlich<br />
Vertreter des ganzen Volkes und von daher unabhängig von dem Geschick ihrer<br />
Partei, auch wenn deren Verfassungswidrigkeit festgestellt wurde. Weiterh<strong>in</strong> sei<br />
das Bundesverfassungsgericht nicht berechtigt gewesen, über den Wegfall der<br />
Mandate zu bestimmen, da dies vom Gesetzgeber ausdrücklich den Parlamenten<br />
selbst vorbehalten worden sei und deshalb auch das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht<br />
bewusst ke<strong>in</strong>e derartige Möglichkeit be<strong>in</strong>halte. Das Bundesverfassungsgericht<br />
befände sich also »<strong>in</strong> offenem Widerspruch« zu diesem Gesetz. 105 Das<br />
Folge haben. <strong>Die</strong>se Konsequenz sei aber, mit Berufung auf Artikel 38, tatsächlich nie gezogen worden.<br />
(Niederschrift der Sitzung des Staatsgerichtshofs am 3. November 1956, S.11f.).<br />
100 Niederschrift der Sitzung des Staatsgerichtshofs am 3. November 1956, S.20.<br />
101 Das Urteil, die Begründung sowie die abweichenden Ansichten s<strong>in</strong>d nachzulesen <strong>in</strong>: Entscheidungen<br />
des Staatsgerichtshofes der Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong> 1950-1969, herausgegeben vom Präsidenten des<br />
Staatsgerichtshofes, <strong>Bremen</strong> 1970, S. 73-92.<br />
102 Ebenda, S. 78.<br />
103 Ebenda, S. 79<br />
104 Vgl. Drei Me<strong>in</strong>ungen, Der Spiegel Nr. 8/1957.<br />
105 In Artikel 41 GG ist festgelegt, dass der Bundestag entscheidet, ob e<strong>in</strong> Abgeordneter se<strong>in</strong> Mandat verloren<br />
hat. Indirekt warfen die drei Richter damit dem Bundesverfassungsgericht Verfassungswidrigkeit<br />
vor. Noch deutlicher wird dieser Vorwurf mit der folgenden Aussage: »Aufgrund derjenigen Erfahrungen,<br />
die das deutsche Volk im März 1933 mit den Wirkungen derartiger außerparlamentarischer
298<br />
Politische Justiz und Verbot<br />
zweite Gutachten - unterzeichnet vom Präsidenten des Landgerichts Dr. Arndt,<br />
dem Gött<strong>in</strong>ger Professor Weber und dem Präsidenten des Bremer Landessozialgerichts<br />
Dr. Rohwer-Kahlmann - vertrat dagegen die Ansicht, dass die kommunistischen<br />
Mandate sowohl im Landtag als auch <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft verfallen<br />
müssten. § 35 des Bremischen Wahlgesetzes sei <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Teil verfassungswidrig<br />
und deshalb auch auf die Mandate <strong>in</strong> der Kommunalvertretung, die e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit<br />
mit dem Landesparlament bilde, anwendbar. Das Urteil stellte also e<strong>in</strong>en Kompromiss<br />
zwischen den beiden gegensätzlichen Auffassungen dar, bei dem offenbar der<br />
an ke<strong>in</strong>em der beiden Gutachten beteiligte Richter Raschhofer ausschlaggebend<br />
war.<br />
<strong>Die</strong> beiden Vertreter der ehemaligen kommunistischen Abgeordneten kündigten<br />
nach Ende der Verhandlung e<strong>in</strong>e Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht<br />
gegen die Aberkennung der Landtagsmandate an, 106 was auch dem<br />
Bürgerschaftspräsidenten mitgeteilt wurde. August Hagedorn wies jedoch sofort<br />
darauf h<strong>in</strong>, dass dies ke<strong>in</strong>e rechtsaufschiebende Wirkung haben werde. 107 In der<br />
Bürgerschaftssitzung vom 30. Januar 1957 schließlich teilte Hagedorn mit, dass der<br />
Vorstand der Bürgerschaft, entsprechend dem Urteil des Staatsgerichtshofes, den<br />
vier Abgeordneten der <strong>KPD</strong> ihr Landtagsmandat aberkannt habe. 108<br />
Nach Verkündung des Urteils, so berichtet Wilhelm Meyer-Buer, kam der Polizeipräsident<br />
von Bock und Pollach zu ihm und sprach dem Kommunisten se<strong>in</strong> Bedauern<br />
über den Entzug der Landtagsmandate aus, gratulierte ihm aber auch<br />
gleichzeitig zum Erhalt der Sitze <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft. 109 Andere Reaktionen<br />
waren nicht so freundlich. Der Spruch des Staatsgerichtshofes wurde von allen Parteien<br />
stark kritisiert. Durch den Erhalt der Stadtbürgerschafts-Mandate könnten die<br />
Kommunisten weiterh<strong>in</strong> politisch tätig se<strong>in</strong>, da jedes kommunalpolitische Problem<br />
auch bundes- oder landespolitische Anknüpfungspunkte habe. Außerdem könne<br />
ihnen nun auch schwerlich die Herausgabe e<strong>in</strong>es Mitteilungsblattes oder die Abhaltung<br />
von Versammlungen verwehrt werden. 110 Innensenator Ehlers erwog sogar<br />
e<strong>in</strong>e Änderung von Artikel 148 der Landesverfassung, nach dem die Entscheidungen<br />
des Staatsgerichtshofes auch für die Stadtbürgerschaft gelten. Ehlers verstieg<br />
sich zu der Behauptung, e<strong>in</strong> wesentlicher Grund für das Urteil sei dar<strong>in</strong> zu sehen,<br />
»dass der Vorsitzende des Gerichts die Landesverfassung offenbar nicht ausreichend<br />
kenne«. 111 Das war vielleicht nicht ganz ernst geme<strong>in</strong>t, zeigt aber, dass die<br />
Korrektur der Zusammensetzung des Parlaments machen musste, muss dieser Verfassungsgrundsatz<br />
als besonders wichtig ersche<strong>in</strong>en. Es ist nicht wesentlich verschieden, ob E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> die Struktur des<br />
Parlaments wie 1933 durch die Exekutive oder durch die richterliche Gewalt erfolgen.« (Entscheidungen<br />
des Staatsgerichtshofes der Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 86)<br />
106 Kommunisten verlieren ihre Landtagsmandate, Weser-Kurier 7. Januar 1957.<br />
107 KP-Mandate vor Karlsruher Richtern, Weser-Kurier 8. Januar 1957. <strong>Die</strong> Verfassungsbeschwerde der vier<br />
Abgeordneten wurde vom Bundesverfassungsgericht am 14. Mai 1957 als unzulässig abgelehnt. (Verhandlungen<br />
der Bremischen Bürgerschaft, 19. Juni 1957, S. 126).<br />
108 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 30. Januar 1957, S.1f.<br />
109 Interview Meyer-Buer, 1.<br />
110 Kommunisten verlieren ihre Landtagsmandate, Weser-Kurier 7. Januar 1957.<br />
111 Auszug aus Senatsprotokoll v. 8.1.57, <strong>in</strong>: StaB 3-B.1.Nr.358.
Politische Justiz und Verbot 299<br />
Entscheidung des Staatsgerichtshofes durchaus überraschend und ärgerlich für den<br />
Senat war.<br />
Politische Justiz nach dem Verbot<br />
Der Erhalt der Bürgerschaftsmandate <strong>in</strong>dizierte, dass die politischen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
für die Bremer <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der folgenden Illegalität vergleichsweise günstig waren.<br />
H<strong>in</strong>zu kamen die zahlreichen persönlichen Kontakte zwischen Sozialdemokraten<br />
und Kommunisten und e<strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt relativ liberales politisches Klima, wodurch<br />
die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wesentlich bessere Voraussetzungen hatte als <strong>in</strong> anderen Städten<br />
und Bundesländern. 112 Auch das Ausmaß der juristischen Verfolgung war <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> ger<strong>in</strong>ger als <strong>in</strong> anderen Städten, wohl auch ger<strong>in</strong>ger als von der <strong>KPD</strong> erwartet,<br />
und nicht mit der Illegalitätsphase von 1933-<strong>1945</strong> gleichzusetzen. 113<br />
Gelegentlich sah sich die Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> veranlasst, die Mitglieder vor allzu<br />
viel S<strong>org</strong>losigkeit zu warnen. Anlässlich der Verhaftung mehrerer Funktionäre <strong>in</strong><br />
Oldenburg schrieb die illegale Tribüne der Demokratie im Februar 1957:<br />
»<strong>Die</strong>se Tatsachen zeigen uns, dass der Fe<strong>in</strong>d nicht schläft [...]. Darum ist es notwendig, aufs<br />
Strengste die gegenwärtig notwendigen Regeln unserer Arbeit e<strong>in</strong>zuhalten, nicht aber aus<br />
Freundschaft, oder bei e<strong>in</strong>em der ehemals führenden Genossen, oder aus anderen Gründen<br />
davon abzuweichen. Darum ist es notwendig, jeder Ersche<strong>in</strong>ung der S<strong>org</strong>losigkeit entschieden<br />
entgegenzutreten, auch wenn bei uns lange nichts passiert ist.« 114<br />
In der Tat konnten natürlich die Verhältnisse <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nicht als gänzlich harmlos<br />
betrachtet werden. Auch nach dem Verbot gab es Bespitzelung, Verfolgung und<br />
politische Justiz gegen Kommunisten. <strong>Die</strong> staatlichen Stellen beschränkten sich dabei<br />
aber weitgehend auf die Überwachung der <strong>KPD</strong>. Zu Verhaftungen von Funktionären<br />
aus der illegalen Leitung der Partei kam es <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nicht. Schwerpunkt<br />
der politischen Justiz war, wie bereits vor dem Verbot, die umfangreiche Ermittlungstätigkeit.<br />
Wie weit diese selbst <strong>in</strong> private Bereiche reichte und wie sehr das<br />
politische und gesellschaftliche Klima auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vom Antikommunismus bestimmt<br />
war, mag e<strong>in</strong> Beispiel von 1957 aus den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten<br />
veranschaulichen. 115<br />
112 »In Hannover war das schwieriger. Da s<strong>in</strong>d zwei- dreimal Leitungen hochgegangen, das heißt verhaftet<br />
worden. <strong>Die</strong> haben uns da auch Spitzel e<strong>in</strong>geschleust. Aber hier <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> war das im Grunde genommen<br />
e<strong>in</strong> relativ friedliches Pflaster, wo man mit solchen D<strong>in</strong>gen nicht rechnen brauchte.« (Interview<br />
Breidbach, 1).<br />
113 »In der ganzen Bundesrepublik, würde ich heute sagen, war das Verbot nicht zu vergleichen mit dem<br />
Verbot der Faschisten, wo ja direkte körperliche Vernichtung betrieben wurde. In <strong>Bremen</strong> war es dazu<br />
noch besonders loyal gehandhabt: Hier haben sich ja Sozialdemokraten wie Adolf Ehlers und andere<br />
kaum getraut, Kommunisten mal festzunehmen. Ich will das nicht überschätzen und übertreiben, aber<br />
von e<strong>in</strong>er ‚harten’ Illegalitätsphase kann man wirklich nicht sprechen.« (Interview Breidbach, 1). Alle<br />
anderen Interviewpartner berichten ähnliches.<br />
114 S<strong>org</strong>losigkeit hilft dem Fe<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>: Tribüne der Demokratie 3(10), 2. Hälfte Februar 1957.<br />
115 Ermittlungsakten Staatsanwaltschaft <strong>Bremen</strong>, Band XV, Az 10 Js 159/57 (StaB 4,89/3). Alle folgenden<br />
Zitate ebenda.
300<br />
Politische Justiz und Verbot<br />
E<strong>in</strong> Hausbesitzer hatte e<strong>in</strong>e Mieter<strong>in</strong> angezeigt, weil sie angeblich <strong>in</strong> ihrem Keller<br />
Materialien der verbotenen <strong>KPD</strong> lagerte. Er übergab das Material der Polizei,<br />
mit der zusätzlichen Bemerkung, dass Frau Meyer 116 »jede Nacht unterwegs ist«.<br />
Bei den betreffenden Materialien handelte es sich um Flugblätter der <strong>KPD</strong> von 1952<br />
(!), trotzdem setzten nun Polizei und Staatsanwaltschaft e<strong>in</strong> Ermittlungsverfahren<br />
<strong>in</strong> Gang. Bei e<strong>in</strong>er Vernehmung der übrigen Hausbewohner wurde festgestellt,<br />
»dass die Meyer trotz ihrer körperlichen Frische ke<strong>in</strong>er Beschäftigung nachgeht und<br />
von der Wohlfahrt lebt. Fast ke<strong>in</strong>en Abend kommt sie vor 24.00 Uhr nach Hause.<br />
Sonnabend ist sie um 1.35 Uhr <strong>in</strong> ihre Wohnung zurückgekehrt«. Aus der Aufbewahrung<br />
der Flugblätter und den Denunziationen der Hausbewohner versuchte<br />
dann das zuständige Kommissariat e<strong>in</strong>e illegale Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> zu konstruieren:<br />
»[...] so muss durch die Aufbewahrung der alten Flugblätter doch angenommen werden, dass<br />
sie sich politisch und zwar für die <strong>KPD</strong> oder deren Tarn<strong>org</strong>anisationen betätigt. H<strong>in</strong>zu<br />
kommt, dass sie fast jeden Abend unterwegs ist und nach Aussagen der Mitbewohner erst um<br />
oder nach Mitternacht nach Hause kommt. Sie selbst empfängt zu Hause so gut wie ke<strong>in</strong>en<br />
Besuch, wodurch der Verdacht e<strong>in</strong>er illegalen Tätigkeit außerhalb des Hauses noch bekräftigt<br />
wird.«<br />
<strong>Die</strong> Polizei führte dann aufgrund dieser »Verdachtsmomente« sogar e<strong>in</strong>e Hausdurchsuchung<br />
durch, die aber ebenso wie die anschließende Vernehmung der Verdächtigen<br />
nichts weiteres ergab. Das Verfahren wurde schließlich e<strong>in</strong>gestellt.<br />
Der Fall steht stellvertretend für zahlreiche andere Ermittlungsverfahren der<br />
Staatsanwaltschaft und verdeutlicht sowohl die durch das Verbot noch verstärkte<br />
Wirkung der politischen und juristischen Ausgrenzung von Kommunisten als auch<br />
die Ger<strong>in</strong>gfügigkeit der Anlässe für e<strong>in</strong> Ermittlungsverfahren. <strong>Die</strong> allermeisten dieser<br />
Verfahren führten wie <strong>in</strong> dem Beispiel nie zu e<strong>in</strong>er Anklage, wohl aber unter<br />
Umständen zu gesellschaftlicher Isolierung und Denunziation der Verdächtigen.<br />
<strong>Bremen</strong> erlebte während der Illegalität der <strong>KPD</strong> lediglich e<strong>in</strong>en großen politischen<br />
Prozess gegen e<strong>in</strong>en Kommunisten, der aber e<strong>in</strong> umso anschaulicheres Beispiel<br />
für die V<strong>org</strong>ehensweise der Politischen Justiz wie auch für die speziellen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> darstellte. Im Frühjahr 1963 stand Wilhelm Meyer-Buer als<br />
Angeklagter vor dem Landgericht. 117<br />
Meyer-Buer hatte sich 1961 als E<strong>in</strong>zelkandidat um e<strong>in</strong> Bundestagsmandat beworben,<br />
und forderte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Wahlversammlung dazu auf, ihn, »den Kommunisten«,<br />
zu wählen. Nachfolgende Wahlveranstaltungen wurden daraufh<strong>in</strong> von der<br />
Polizei unterbunden. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der <strong>KPD</strong> war nicht der<br />
e<strong>in</strong>zige kommunistische E<strong>in</strong>zelkandidat: In der gesamten Bundesrepublik bewarben<br />
sich <strong>in</strong>sgesamt 34 ehemalige Mitglieder der <strong>KPD</strong> um e<strong>in</strong> Mandat im Bundestag.<br />
<strong>Die</strong> Justiz g<strong>in</strong>g gegen die Kandidaten vor: <strong>Die</strong> vier Hamburger E<strong>in</strong>zelkandidaten<br />
wurden im September 1962 wegen Verstoßes gegen das Verbot der <strong>KPD</strong> verur-<br />
116 Name geändert.<br />
117 Siehe zu diesem Prozess ausführlich He<strong>in</strong>rich Hannover, <strong>Die</strong> Republik vor Gericht, a.a.O., S. 105-128;<br />
ders., Kommunistenprozesse <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 151-154; Wilhelm Meyer-Buer, Als Kommunist vor<br />
Gericht, <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge et al. (Hrsg.): <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg, <strong>Bremen</strong> 1991, S. 155-160.
Politische Justiz und Verbot 301<br />
teilt. 118 Gegen Meyer-Buer wurde schließlich im Oktober 1962 Anklage erhoben.<br />
Der Vorwurf lautete, er habe sich »im Sommer 1961 auf Weisung der Führung der<br />
illegalen <strong>KPD</strong> zur Förderung ihrer Ziele <strong>in</strong> der Bundesrepublik als kommunistischer<br />
E<strong>in</strong>zelkandidat zur Bundestagswahl« beworben, 119 und sich dabei dazu bekannt,<br />
Kommunist zu se<strong>in</strong>. Er habe die politischen Thesen der <strong>KPD</strong> vertreten und<br />
»hetzerische Angriffe gegen die verfassungsmäßige Ordnung und Mitglieder der<br />
Bundesregierung« geführt. 120 <strong>Die</strong> 198 Seiten umfassende Anklageschrift versuchte<br />
zu beweisen, dass es sich bei der Kandidatur von Meyer-Buer und den übrigen<br />
kommunistischen Bewerbern um e<strong>in</strong>e von der illegalen <strong>KPD</strong> gelenkte Aktion handelte.<br />
Der anschließende Strafprozess vor der Großen Strafkammer III des Landgerichts<br />
wurde am 25. April 1963 eröffnet. 121 Er fand <strong>in</strong> der Bremer Öffentlichkeit e<strong>in</strong>e<br />
äußerst große und ungewöhnliche Aufmerksamkeit. Weser-Kurier und Bremer Nachrichten<br />
berichteten ausführlich über fast jeden der 15 Verhandlungstage und zitierten<br />
dabei auch aus <strong>in</strong> der Verhandlung verlesenen Reden Meyer-Buers oder aus<br />
Programmen der <strong>KPD</strong>. Beim Gericht g<strong>in</strong>gen vor Eröffnung der Verhandlung zahlreiche<br />
Proteste - unter anderem von der Bremer Polizeigewerkschaft oder dem Erzbischof<br />
von Canterbury - e<strong>in</strong>. 122 <strong>Die</strong>se große Aufmerksamkeit für e<strong>in</strong>en Kommunistenprozess<br />
ist nur dadurch zu erklären, dass Meyer-Buer <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong>e bekannte<br />
Persönlichkeit war und sich durch se<strong>in</strong>e Arbeit <strong>in</strong> der Bürgerschaft - das zeigte der<br />
Prozessverlauf - auch <strong>in</strong> Kreisen se<strong>in</strong>er politischen Gegner persönliche Anerkennung<br />
erworben hatte. H<strong>in</strong>zu kam, dass der Kaufmann Meyer-Buer nicht <strong>in</strong> das typische<br />
Bild e<strong>in</strong>es »echten Proletariers« und Kommunisten passte, was ihn für das<br />
bürgerliche <strong>Bremen</strong> vielleicht eher akzeptabel machte: »Er war ja nicht nur Kommunist,<br />
sondern er hatte ja auch e<strong>in</strong>en sehr bürgerlichen Beruf. Er hatte e<strong>in</strong> Uhrenund<br />
Silberwarengeschäft und galt als vermögender Mann damals. Da hatten die<br />
Leute Schwierigkeiten: Wie wird so e<strong>in</strong>er Kommunist?« 123<br />
Meyer-Buer war seit 1931 Mitglied der <strong>KPD</strong> und als solches bereits von der nationalsozialistischen<br />
Justiz zweimal zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden.<br />
Er verbrachte mehrere Jahre <strong>in</strong> Zuchthäusern und <strong>in</strong> Konzentrationslagern und erlitt<br />
dabei schwerste Misshandlungen, die ihn zum Schwerbeschädigten machten.<br />
Über 20 Jahre später stand er nun erneut wegen illegaler Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> vor<br />
e<strong>in</strong>em deutschen Gericht.<br />
Im Verlaufe des Prozesses wurden zahlreiche Passagen aus bei Meyer-Buer beschlagnahmten<br />
Materialien der <strong>KPD</strong> sowie zwei Reden des Angeklagten wörtlich<br />
verlesen. 124 Damit sollte bewiesen werden, dass er sich <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit<br />
118 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 158.<br />
119 Zitiert nach He<strong>in</strong>rich Hannover, Kommunistenprozesse <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, S. 151.<br />
120 Ebenda.<br />
121 Ebenda. Siehe auch Anklage wirft Rädeslführerschaft vor, Weser-Kurier 26. April 1963.<br />
122 Wilhelm Meyer-Buer, Als Kommunist vor Gericht, a.a.O., S. 156.<br />
123 Interview He<strong>in</strong>rich Hannover.<br />
124 Das tagelange Verlesen kommunistischer Materialien veranlasste die Verteidigung zu der Feststellung:<br />
»Das läuft ja jetzt schon fast auf Fortsetzung der verbotenen <strong>KPD</strong> h<strong>in</strong>aus«, zitiert nach e<strong>in</strong>er privaten<br />
Prozessmitschrift, S. 49 (Privatarchiv Meyer-Buer).
302<br />
Politische Justiz und Verbot<br />
den Zielen der verbotenen Partei befand und se<strong>in</strong>e Kandidatur von dieser gesteuert<br />
war. Aus dem gleichen Grund wurden die Äußerungen der anderen Kandidaten<br />
mite<strong>in</strong>ander verglichen, wobei der dazu vernommene Beamte des Bundeskrim<strong>in</strong>alamtes<br />
feststellte, dass »<strong>in</strong> den Gedankengängen« Übere<strong>in</strong>stimmungen festgestellt<br />
werden konnten. So habe sich beispielsweise der im <strong>KPD</strong>-Wahlprogramm enthaltene<br />
Gedankengang »Krieg oder Frieden, atomare Aufrüstung oder allgeme<strong>in</strong>e Abrüstung«<br />
<strong>in</strong> den Materialien von elf Kandidaten befunden, »Schluss mit der Atomund<br />
Raketenrüstung« bei Meyer-Buer und zwölf weiteren Kandidaten. 125<br />
Natürlich waren diese Forderungen nicht verfassungswidrig und fanden sich<br />
auch bei anderen Parteien. Selbst die Staatsanwaltschaft musste zugeben, dass auch<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Enzyklika des Papstes ähnliches vorkam. Trotzdem schien es der Anklage<br />
e<strong>in</strong> Beweis für die Steuerung Meyer-Buers durch die <strong>KPD</strong>.<br />
Im weiteren Verlauf der Verhandlung wurden auf Antrag der Verteidigung<br />
auch mehrere prom<strong>in</strong>ente Bremer Politiker als Zeugen gehört. Meyer-Buer wurde<br />
als sachlicher Politiker und als e<strong>in</strong> Mensch mit »anständiger Ges<strong>in</strong>nung und aufrechtem<br />
Charakter« 126 beschrieben, der sich von anderen Kommunisten »durch<br />
se<strong>in</strong>e ausgesprochene Intelligenz« 127 unterschieden und »sich <strong>in</strong> der Bürgerschaft<br />
immer den demokratischen Spielregeln unterworfen« 128 habe. »Wäre Meyer-Buer<br />
nicht Kommunist, dann wäre er e<strong>in</strong>e Zierde der Demokratie« me<strong>in</strong>te Senator Ge<strong>org</strong><br />
Bortscheller (FDP). 129 Negativ äußerte sich lediglich Wilhelm Kaisen, der Meyer-<br />
Buer als e<strong>in</strong>en »politischen Wirrkopf« bezeichnete. 130<br />
Im Schlussplädoyer des Staatsanwaltes wurde dann noch e<strong>in</strong>mal deutlich, worum<br />
es <strong>in</strong> diesem Prozess - wie auch <strong>in</strong> anderen dieser Art - tatsächlich g<strong>in</strong>g, nämlich<br />
um »die juristische Praktizierung des politischen Antikommunismus als Staatsideologie«<br />
131. Der Staatsanwalt argumentierte politisch gegen die <strong>KPD</strong> und verteidigte<br />
die Bundesregierung, der er »Friedensliebe« besche<strong>in</strong>igte. 132 Meyer-Buer sei es bei<br />
se<strong>in</strong>er Kandidatur darum gegangen, die Ziele der verbotenen <strong>KPD</strong> zu vertreten, die<br />
er dadurch maßgeblich gefördert habe. Auch habe e<strong>in</strong>e Steuerung durch die illegale<br />
Partei v<strong>org</strong>elegen und: »Selbst wenn das Gericht me<strong>in</strong>en sollte, e<strong>in</strong>e Steuerung sei<br />
nicht mit letzter Sicherheit anzunehmen, muss er trotzdem bestraft werden. [...]. E<strong>in</strong>e<br />
Willensübere<strong>in</strong>stimmung ist dabei ausreichend, auch stillschweigendes E<strong>in</strong>verständnis.«<br />
133<br />
125 Prozessmitschrift, S. 74 (Privatarchiv Meyer-Buer).<br />
126 So August Hagedorn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Aussage vor dem Gericht (Kaisen sagt m<strong>org</strong>en als Zeuge aus, Weser-<br />
Kurier 9. Mai 1963).<br />
127 So der Direktor der Bürgerschaft, Wolfgang Müller (ebenda).<br />
128 Justizsenator Ulrich Graf (FDP) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Zeugenaussage (Prozessmitschrift, S. 89)<br />
129 Höhepunkt im Prozeß Meyer-Buer, Weser-Kurier 10. Mai 1963.<br />
130 »Er ist e<strong>in</strong> politischer Wirrkopf”, Weser-Kurier 11. Mai 1963.<br />
131 Interview Hannover.<br />
132 In den Ausführungen des Staatsanwaltes heißt es wörtlich: »Es ist auch e<strong>in</strong> weiteres Beispiel für die<br />
Friedensliebe der Bundesregierung, dass sie auf ABC-Waffen verzichtet hat. Von e<strong>in</strong>em so kle<strong>in</strong>en<br />
Land wie der Bundesrepublik kann sich die SU nicht bedroht fühlen. Das ist e<strong>in</strong>e Realität.« (Prozessmitschrift,<br />
S. 111)<br />
133 Ebenda, S. 113.
Politische Justiz und Verbot 303<br />
Man muss es noch e<strong>in</strong>mal betonen: Für e<strong>in</strong>e Verurteilung wegen Förderung der<br />
illegalen <strong>KPD</strong> reichte dem Staatsanwalt e<strong>in</strong> »stillschweigendes E<strong>in</strong>verständnis« mit<br />
deren Zielen. Noch deutlicher wird der Charakter der Anklage <strong>in</strong> der Begründung<br />
des Strafantrages, womit der Staatsanwalt, so Meyer-Buer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schlussrede, e<strong>in</strong>e<br />
wörtliche Formulierung aus den Urteilen von 1934 und 1936 übernommen habe:<br />
»[...] der Angeklagte ist e<strong>in</strong> unbelehrbarer, fanatischer Anhänger der <strong>KPD</strong>. Um ihn<br />
<strong>in</strong> der gebotenen Weise abzuschrecken, halte ich e<strong>in</strong>e Gefängnisstrafe für erforderlich,<br />
die über der M<strong>in</strong>deststrafe von 6 Monaten liegen muss.« 134 Dass er aber an<br />
diese Abschreckung wohl selber nicht glaubte, gab der Staatsanwalt dann e<strong>in</strong> paar<br />
Sätze später zu: »Mir ist klar, dass der Angeklagte se<strong>in</strong>e Ges<strong>in</strong>nung nicht aufgibt.<br />
Das braucht er auch nicht. Wir haben ke<strong>in</strong>e Ges<strong>in</strong>nungsjustiz.« 135<br />
Das Gericht verurteilte Meyer-Buer am 20. Mai 1963 wegen Verstoßes gegen das<br />
<strong>KPD</strong>-Verbot zu acht Monaten Gefängnis und setzte die Strafe auf fünf Jahre zur<br />
Bewährung aus. 136 Zwar sei nicht mit letzter Sicherheit bewiesen, so die Urteilsbegründung,<br />
dass Meyer-Buer auf Weisung der illegalen <strong>KPD</strong>-Leitung gehandelt habe.<br />
Es sei aber e<strong>in</strong>deutig, dass er sich über das Verbot h<strong>in</strong>weggesetzt und für die<br />
<strong>KPD</strong> geworben habe, um sie <strong>in</strong> der politischen Situation des Bundestagswahlkampfes<br />
1961 <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung zu br<strong>in</strong>gen. 137<br />
134 Ebenda, S. 114.<br />
135 Ebenda.<br />
136 Gefängnisstrafe für Meyer-Buer, Weser-Kurer 21. Mai 1963.<br />
137 Ebenda und He<strong>in</strong>rich Hannover, Kommunistenprozesse <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 154. Natürlich bedeutete<br />
der Prozess aber auch, trotz der Verurteilung, e<strong>in</strong>en gewissen Erfolg für die <strong>KPD</strong>. Durch die breite Berichterstattung<br />
<strong>in</strong> den Medien waren die <strong>KPD</strong> und ihre Ziele e<strong>in</strong>er breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht<br />
worden. <strong>Die</strong>s sieht auch Meyer-Buer so: »<strong>Die</strong> Gesamtheit der Zeugenaussagen und Erklärungen,<br />
selbst des Staatsanwaltes, sowie die Urteilsbegründung bedeuteten e<strong>in</strong>en großen Erfolg für die Öffentlichkeitsarbeit<br />
unserer Partei. <strong>Die</strong> Leser der bremischen Zeitungen konnten erfahren, welche Aufgaben<br />
die <strong>KPD</strong> sich bezüglich der Sicherung des Friedens gestellt und wie jeder e<strong>in</strong>zelne Kommunist diese<br />
Aufgaben zu se<strong>in</strong>er persönlichen Pflicht gemacht hatte.« (Wilhelm Meyer-Buer, Als Kommunist vor<br />
Gericht, a.a.O., S. 160). Meyer-Buer war auch mit dieser Zielsetzung <strong>in</strong> den Prozess gegangen (ebenda,<br />
S. 158f.).
Kapitel 7<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
1. Überblick: Zur Entwicklung der illegalen<br />
<strong>KPD</strong> auf Bundesebene<br />
Organisation<br />
<strong>Die</strong> Umstellung der Partei<strong>org</strong>anisation auf die Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität gelang<br />
der <strong>KPD</strong> nach dem Verbot unterschiedlich. Unproblematisch war die Etablierung<br />
e<strong>in</strong>er arbeitsfähigen Parteispitze. Sofort nach dem Verbot übernahm anstelle des<br />
Parteivorstandes e<strong>in</strong> Zentralkomitee mit dem Vorsitzenden Max Reimann - der bereits<br />
seit 1954 <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> lebte - die Führung der <strong>KPD</strong>. 1 Weiterh<strong>in</strong> wurden e<strong>in</strong>gerichtet:<br />
e<strong>in</strong> Politbüro (1957), die zentrale Parteikontrollkommission (1958) und e<strong>in</strong><br />
Sekretariat des Zentralkomitees (1960). 2 <strong>Die</strong> Schaffung dieses Apparates geschah <strong>in</strong><br />
enger Abstimmung und Verflechtung mit der SED. 3 <strong>Die</strong> Spitzengremien der Partei<br />
waren komplett <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> angesiedelt und führten dort »e<strong>in</strong> eigenes, vor Gegnern<br />
wie Anhängern gleichermaßen abgeschirmtes Leben«. 4<br />
Als schwierig erwies sich dagegen der Umbau der unteren Partei<strong>org</strong>anisationen.<br />
Der Apparat sollte nun zergliedert werden. <strong>Die</strong> Landes<strong>org</strong>anisationen wurden<br />
<strong>in</strong> Bezirks<strong>org</strong>anisationen umgewandelt. <strong>Die</strong> Leitungen <strong>in</strong> den Bezirken und Kreisen<br />
hatten die Form von Dreier-Gruppen und wurden sofort nach dem Verbot im Zuge<br />
des Konzepts der Zweiten L<strong>in</strong>ie von ortsfremden Funktionären übernommen. <strong>Die</strong>s<br />
bedeutete e<strong>in</strong>e - wie sich herausstellte unnötige - Erschwernis der illegalen Arbeit,<br />
weil die neu e<strong>in</strong>gesetzten Funktionäre oftmals die örtlichen Gegebenheiten nicht<br />
kannten, was aber gerade unter den Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität besonders wichtig<br />
gewesen wäre. 5<br />
1 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 83.<br />
2 Andreas Voigt, Nach dem Verbot. <strong>Die</strong> kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland 1956-1961, dargestellt<br />
anhand illegaler <strong>KPD</strong>-Publizistik, Magisterarbeit Universität Hamburg 1989 (ms.), S. 20; Ge<strong>org</strong><br />
Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 91.<br />
3 Vgl. zum Organisationsaufbau auch: Kommunistische Tätigkeit <strong>in</strong> der Bundesrepublik im Jahre 1964 (Bericht<br />
des Bundesm<strong>in</strong>isters des Innern), <strong>in</strong>: Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage »Das Parlament«),<br />
Nr. 33/1965, Schaubild S. 27. Zu weiteren E<strong>in</strong>zelheiten (Sitzungen des ZK, andere »zentrale Ereignisse«)<br />
siehe Andreas Voigt, Nach dem Verbot, a.a.O., S. 20f.<br />
4 Andreas Voigt, Nach dem Verbot, a.a.O., S. 19.<br />
5 Ebenda.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 305<br />
<strong>Die</strong> Grund<strong>org</strong>anisationen sollten <strong>in</strong> Fünfer-Gruppen arbeiten. 6 <strong>Die</strong>s stellte sich<br />
als langwierige und teilweise nicht durchführbare Aufgabe heraus, da viele Mitglieder<br />
der legalen Partei an e<strong>in</strong>er Arbeit <strong>in</strong> der Illegalität ke<strong>in</strong> Interesse mehr hatten<br />
und die <strong>KPD</strong> so viel Zeit und Anstrengungen für die Erfassung noch zur Partei<br />
stehender Genossen und ihrer Organisation <strong>in</strong> Dreier- und Fünfer-Gruppen aufwenden<br />
musste. 7 <strong>Die</strong> Erfassung der alten Mitgliedschaft gelang der Partei nur äußerst<br />
unzureichend. E<strong>in</strong> Jahr nach dem Verbot konstatierte das Politbüro, die Aktivität<br />
beschränke sich »im wesentlichen auf e<strong>in</strong>en verhältnismäßig engen Kreis, der -<br />
mit erheblichen Schwankungen nach oben und unten - im Durchschnitt bei etwa 10<br />
Prozent der im Zeitpunkt des Verbots erfassten Parteimitgliedschaft liegt«. 8 <strong>Die</strong><br />
Zahl der arbeitenden <strong>KPD</strong>-Mitglieder war danach zu diesem Zeitpunkt - legt man<br />
e<strong>in</strong>e ungefähre Mitgliederzahl von 80.000 zum Zeitpunkt des Verbots zugrunde -<br />
nicht höher als 8000. 9 Noch Ende 1960 hatte sich diese Bilanz nicht pr<strong>in</strong>zipiell verbessert:<br />
»Nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger Prozentsatz der Mitglieder, die vor dem Verbot der Partei angehörten, ist<br />
heute <strong>in</strong> der illegalen Parteiarbeit erfasst. Tausende Genossen s<strong>in</strong>d nach wie vor nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Partei<strong>org</strong>anisation oder <strong>in</strong> die <strong>org</strong>anisierte Parteiarbeit e<strong>in</strong>bezogen. [...]. Politisch selbständig<br />
arbeitende und aktionsfähige Grund<strong>org</strong>anisationen gibt es nur wenige. Zahlenmäßig und <strong>org</strong>anisatorisch<br />
s<strong>in</strong>d sie schwach.« 10<br />
<strong>Die</strong> Schwäche der Grunde<strong>in</strong>heiten war auch zurückzuführen auf Probleme <strong>in</strong><br />
den Anleitungsstrukturen. <strong>Die</strong> Schaffung bzw. Aufrechterhaltung der Verb<strong>in</strong>dung<br />
zu übergeordneten E<strong>in</strong>heiten erwies sich nach dem Verbot als schwierig, nicht zuletzt<br />
auch wegen der Zusammensetzung der Leitungen mit ortsfremden Funktionären.<br />
Viele Mitglieder und Grund<strong>org</strong>anisationen blieben oft längere Zeit ohne Kontakt<br />
zu weisungsberechtigten Führungsgremien und somit auch ohne Anweisung.<br />
Dort, wo nicht e<strong>in</strong>zelne Mitglieder oder Gruppen von sich aus die Initiative ergriffen<br />
und ohne Anleitung von oben Parteiarbeit leisteten, kam die politische und <strong>org</strong>anisatorische<br />
Arbeit zum Erliegen. Selbstständigkeit und Aktionsgrad der Grunde<strong>in</strong>heiten<br />
waren bereits vor dem Verbot e<strong>in</strong> großes Problem der <strong>KPD</strong> gewesen, das<br />
jetzt unter den Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität umso stärkere Wirkungen zeigte.<br />
Das Kernproblem der <strong>KPD</strong> nach dem Verbot war neben der <strong>org</strong>anisatorischen<br />
Erfassung der Mitgliedschaft die Verb<strong>in</strong>dung von legaler und illegaler Arbeit. In<br />
den Thesen des Parteitages von 1957 wurde dies so zusammengefasst:<br />
»Wir brauchen e<strong>in</strong>e kampffähige illegale Organisation, die die Regeln der Konspiration e<strong>in</strong>hält,<br />
aber andererseits überall <strong>in</strong> den Betrieben, Gewerkschaften, Massen<strong>org</strong>anisationen, überall<br />
wo die Massen s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> allen Volksschichten arbeitet. Dabei müssen nicht nur alle bestehenden<br />
legalen Möglichkeiten genutzt werden; die Kommunisten müssen vielmehr darum<br />
6 Ebenda.<br />
7 Vgl. Andreas Voigt, Nach dem Verbot, a.a.O., S. 15.<br />
8 Stenographisches Protokoll der 6. ZK-Tagung der Kommunistischen Partei Deutschlands [1957], <strong>in</strong>: SAPMO<br />
DY IV 2/10.03/249.<br />
9 Judick/Schleifste<strong>in</strong>/Ste<strong>in</strong>haus nennen für die Jahre 1956 - 1960 e<strong>in</strong>e Zahl von 12.000 <strong>org</strong>anisierten Mitgliedern.<br />
(Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 83).<br />
10 Organisationspolitische Richtl<strong>in</strong>ien der <strong>KPD</strong> (Dez. 1960), <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/93, S. 8ff.
306<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
kämpfen, sich weitere Möglichkeiten des legalen Auftretens zu verschaffen, um den Rahmen<br />
der Illegalität zu sprengen.« 11<br />
Auch dies gelang der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den ersten Jahren des Verbots nur sehr unzureichend.<br />
<strong>Die</strong> Parteidelegiertenkonferenz von 1960 musste feststellen, dass es<br />
»e<strong>in</strong>e große Enge <strong>in</strong> der Entwicklung der Beziehungen zu den Massen und den<br />
Massen<strong>org</strong>anisationen« gebe, 12 und konstatierte gleichzeitig <strong>in</strong> der Partei aufkommende<br />
»Stimmungen des Abwartens, des Schwankens, des Zurückweichens vor<br />
dem Gegner [....] Es gibt sogar Genossen, die die Notwendigkeit der Partei und der<br />
<strong>org</strong>anisierten Parteiarbeit bestreiten.« 13<br />
Mit Beg<strong>in</strong>n der 1960er Jahre hatte die <strong>KPD</strong> die genannten Probleme erkannt und<br />
modifizierte ihre Organisationspr<strong>in</strong>zipien. Wichtigste Änderung war die Besetzung<br />
der Bezirksleitungen mit örtlichen Funktionären. 14 <strong>Die</strong> vom Politbüro im Dezember<br />
1960 verabschiedeten neuen <strong>org</strong>anisationspolitischen Richtl<strong>in</strong>ien begründeten dies<br />
so:<br />
»<strong>Die</strong> bisherigen Erfahrungen mit den örtlich ansässigen Leitungsmitgliedern können nur positiv<br />
gewertet werden. In ihrem Heimatgebiet verwurzelt, verfügen diese Kader über konkrete<br />
Kenntnisse der Mitglieder und Organisationsprobleme <strong>in</strong> ihrem Bezirk. Ortsansässige Leitungskader<br />
s<strong>in</strong>d stärker mit dem lebendigen Leben verbunden, was die Orientierung auf die<br />
legale Massenarbeit der Partei erleichtert. [...] Auch zeigen die Erfahrungen, dass bei kluger<br />
Arbeitsweise die illegale Arbeit besser dem Gegner gegenüber abgesichert werden kann. Je<br />
mehr natürliche lebendige Verb<strong>in</strong>dungen zu Genossen, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern<br />
bestehen, um so schwerer wird es dem Gegner se<strong>in</strong>, die wirklich leitenden Kräfte der Organisation<br />
zu identifizieren. <strong>Die</strong>se Taktik erweist sich auch deshalb als zweckmäßig, weil dem<br />
Gegner bereits seit langem unser Schema der bisherigen Leitungsarbeit mit fremden Kadern<br />
bekannt ist.« 15<br />
Illegale Funktionäre durften ke<strong>in</strong>en Kontakt zu den neuen legalen Bezirksleitungen<br />
unterhalten, was sowohl der politischen und personellen Stabilität der Leitungsstrukturen,<br />
als auch der Absicherung des nach wie vor vorhandenen illegalen<br />
Organisationsapparates diente. 16 Ergänzt wurde diese Abschottung der neuen legalen<br />
Strukturen durch verschiedene Maßnahmen wie den »Fortfall der schriftlichen<br />
Abrechnung, die Begrenzung der schriftlichen Berichterstattung auf die wichtigsten<br />
Schwerpunkte und die Überbr<strong>in</strong>gung dieser Berichte durch Kuriere und nicht<br />
durch BL-Mitglieder«. 17<br />
11 Thesen des Parteitags der <strong>KPD</strong> 1957, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 2, S. 175ff., hier S. 226.<br />
12 Beschluss der Parteidelegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong> 1960, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 2, S.<br />
229ff., hier S. 276.<br />
13 Ebenda, S. 273.<br />
14 »Allgeme<strong>in</strong> ist systematisch darauf Kurs zu nehmen, die Leitungen mit legalen bezirkseigenen Kadern<br />
zu besetzen« (Organisationspolitische Richtl<strong>in</strong>ien der <strong>KPD</strong> (Dez. 1960), SAPMO DY IV 2/10.03/93, S. 36).<br />
15 Organisationspolitische Richtl<strong>in</strong>ien der <strong>KPD</strong> (Dez. 1960), SAPMO DY IV 2/10.03/93, S. 36.<br />
16 Informationen der ZPKK [Zentrale Parteikontrollkommission] an das PB und Sekretariat, Nr. 54: Erfahrungen<br />
und Lehren aus den wichtigsten Aktionen des Gegners und Prozessen der jüngsten Zeit (10.2.1962), <strong>in</strong>:<br />
SAPMO DY IV 2/10.03/92.<br />
17 Ebenda.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 307<br />
Juristische Voraussetzung für die Modifizierung der Leitungs<strong>org</strong>anisation war<br />
e<strong>in</strong> Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1961, das die bis dah<strong>in</strong> nach § 90a<br />
mögliche nachträgliche Bestrafung abschaffte. 18<br />
E<strong>in</strong>e weitere Änderung betraf die Organisation der Grunde<strong>in</strong>heiten. Da sich die<br />
Fünfer-Gruppen als nicht effektiv erwiesen hatten, konnten nun auch Grund<strong>org</strong>anisationen<br />
auf der Basis von »Wirkungsbereichen« gegründet werden. <strong>Die</strong>s war auch<br />
die Konsequenz aus der Tatsache, dass <strong>in</strong>zwischen viele Kommunisten <strong>in</strong> legalen<br />
Bewegungen arbeiten und zusammenkommen konnten. 19<br />
Es wurden jetzt auch bei der Mitgliederwerbung wieder Erfolge erzielt: Während<br />
zwischen 1956 und 1960 nur etwa 220 neue Mitglieder geworben wurden,<br />
konnten 1962 bereits mehr Mitglieder aufgenommen werden »als <strong>in</strong> den ersten vier<br />
Jahren der Illegalität zusammengenommen«. 20 <strong>Die</strong> Gesamtzahl der noch <strong>in</strong> der Partei<br />
erfassten Mitglieder ist nicht genau festzustellen, die Angaben schwanken zwischen<br />
6.000 und 20.000. 21<br />
Programmatik<br />
<strong>Die</strong> wichtigsten programmatischen Änderungen nach dem Verbot betrafen weiter<br />
die Deutschlandpolitik, deren primäres Ziel nach dem Beitritt der Bundesrepublik<br />
zur NATO nun die Anerkennung der DDR und der als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges<br />
gezogenen Grenzen wurde. Bereits mit der am 15./16.Oktober 1955 verabschiedeten<br />
Programmatischen Erklärung »<strong>Die</strong> neue Lage und die neuen Aufgaben<br />
<strong>in</strong> Westdeutschland« hatte die <strong>KPD</strong> diese Abkehr vom Ziel e<strong>in</strong>es neutralen Gesamtdeutschlands<br />
e<strong>in</strong>geleitet, was jedoch <strong>in</strong> den Monaten vor dem Verbot kaum<br />
noch zum Tragen gekommen war.<br />
Auf dem ersten illegalen Parteitag der <strong>KPD</strong> im Juni 1957 wurde der Kurswechsel<br />
genauer bestimmt. 22 <strong>Die</strong> Partei forderte »im Interesse der Annäherung der beiden<br />
deutschen Staaten und der Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands« die Aufnahme<br />
von Verhandlungen mit der DDR. 23 Langfristig hielt der Parteitag die Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />
immer noch für möglich, nannte aber als Bed<strong>in</strong>gungen u.a. den Austritt der<br />
Bundesrepublik aus der NATO, die »Wiederherstellung der demokratischen Rechte<br />
18 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 101.<br />
19 Ebenda.<br />
20 Ebenda.<br />
21 Nach Judick/Schleifste<strong>in</strong>/Ste<strong>in</strong>haus »stieg die Zahl der erfassten Parteimitglieder <strong>in</strong> der zweiten Hälfte<br />
der 60-er Jahre auf 15.000« (ebenda). Siehe aber dazu auch Andreas Voigt, der bemerkt, dass »allgeme<strong>in</strong>«<br />
die Mitgliederzahl der illegalen Partei mit 6.000-7.000 angegeben werde (Andreas Voigt, Nach<br />
dem Verbot, a.a.O., S. 124). <strong>Die</strong>se Zahl deckt sich mit den Zahlen, die der Verfassungsschutzbericht für<br />
1964 nennt (Bericht des Bundesm<strong>in</strong>isters des Innern, <strong>Die</strong> Kommunistische Tätigkeit <strong>in</strong> der Bundesrepublik<br />
im Jahre 1964, a.a.O., S. 26). Siegfried Heimann schätzt die Zahl der »illegal arbeitenden Kader«<br />
auf 7.000-20.000 (Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, <strong>in</strong>: Richard Stöss [Hrsg.],<br />
Parteien-Handbuch. <strong>Die</strong> Parteien der Bundesrepublik Deutschland <strong>1945</strong>-1980, Band 1, S. 901-981, hier<br />
S. 972).<br />
22 Thesen des Parteitags der <strong>KPD</strong> 1957, a.a.O., S. 175ff.<br />
23 Ebenda, S. 175.
308<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
des Volkes«, sowie die »Zurückdrängung der Macht der Monopole«. 24 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> betonte<br />
ausdrücklich, dass dies »ke<strong>in</strong>e sozialistischen Bed<strong>in</strong>gungen für die Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />
Deutschlands« seien, 25 und forderte die »Zusammenarbeit aller nationalen<br />
Kräfte im Kampf gegen Militarismus, für Frieden, Demokratie und die Wiedervere<strong>in</strong>igung«<br />
26.<br />
Auch die Parteidelegiertenkonferenz von 1960 verknüpfte politische Vorstellungen<br />
mit dem Ziel der Wiedervere<strong>in</strong>igung. <strong>Die</strong> Konferenz beschloss e<strong>in</strong> Aktionsprogramm,<br />
mit dessen Verwirklichung <strong>in</strong> der Bundesrepublik die Bed<strong>in</strong>gungen geschaffen<br />
würden, »die e<strong>in</strong>e friedliche Wiedervere<strong>in</strong>igung möglich machen; denn<br />
nur der demokratische, friedliche Weg ist der reale Weg zur Wiedervere<strong>in</strong>igung.« 27<br />
E<strong>in</strong>e friedliche Lösung der deutschen Frage sei nur möglich durch die Anerkennung<br />
der Existenz zweier deutscher Staaten, die über e<strong>in</strong>e Konföderation zu e<strong>in</strong>er<br />
verbesserten Zusammenarbeit und schließlich zur Wiedervere<strong>in</strong>igung kommen<br />
könnten. 28 Dabei ließ die <strong>KPD</strong> allerd<strong>in</strong>gs die künftige Gesellschaftsordnung e<strong>in</strong>es<br />
wiedervere<strong>in</strong>igten Deutschlands, das lediglich als friedliebend und demokratisch<br />
charakterisiert wurde, offen. »<strong>Die</strong>se unscharfen Formulierungen spiegelten im<br />
Grunde genommen bereits die Tatsache wider, dass es für die Wiederherstellung<br />
der nationalen E<strong>in</strong>heit ke<strong>in</strong>e konkreten Vorstellungen mehr gab.« 29<br />
Auf ihrem zweiten illegalen Parteitag im Juni 1963 forderte die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
»Programmatischen Erklärung« wiederum die friedliche Koexistenz und e<strong>in</strong>e Konföderation<br />
zwischen der Bundesrepublik und der DDR. 30 Allerd<strong>in</strong>gs wurde auch<br />
festgestellt: »Solange die Bundesrepublik durch das Monopolkapital und den Militarismus<br />
beherrscht wird, gibt es ke<strong>in</strong>e Wiedervere<strong>in</strong>igung mit der Deutschen Demokratischen<br />
Republik«. 31<br />
Der Parteitag - der auch e<strong>in</strong> neues Statut verabschiedete - 32 proklamierte als<br />
Ziel e<strong>in</strong>e auf dem Grundgesetz basierende friedliche und demokratische Ordnung<br />
<strong>in</strong> der Bundesrepublik, die getragen werden solle »von den Klassen und Schichten,<br />
die die überwältigende Mehrheit unseres Volkes bilden: von der Arbeiterklasse,<br />
den Bauern, den Geistesschaffenden, den städtischen Mittelschichten und den<br />
friedliebenden Kreisen der Bourgeoisie«. 33 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> betonte, dass sie ke<strong>in</strong>e revolutionäre<br />
Strategie mehr verfolge. Im Gegenteil, sie machte sich jetzt gewisser-<br />
24 Ebenda, S. 189f.<br />
25 Ebenda, S. 190.<br />
26 Ebenda, S. 207.<br />
27 Beschluss der Parteidelegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong> 1960, a.a.O., S. 258f.<br />
28 Ebenda, S. 259.<br />
29 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 95.<br />
30 Der Weg zur Rettung des Friedens, zum Schutz der demokratischen Rechte, zu sozialer Sicherheit. Programmatische<br />
Erklärung der Kommunistischen Partei Deutschlands - beschlossen vom Parteitag der <strong>KPD</strong> 1963, <strong>in</strong>: Parteitag<br />
1963 der Kommunistischen Partei Deutschlands. Protokoll, Berl<strong>in</strong> (Ost) 1963, S. 419ff.<br />
31 Ebenda, S. 438.<br />
32 Statut der Kommunistischen Partei Deutschlands. E<strong>in</strong>stimmig beschlossen auf dem Parteitag der <strong>KPD</strong> 1963, <strong>in</strong>:<br />
Parteitag 1963 der Kommunistischen Partei Deutschlands. Protokoll, a.a.O., S. 469ff.<br />
33 Programmatische Erklärung der Kommunistischen Partei Deutschlands - beschlossen vom Parteitag der <strong>KPD</strong><br />
1963, a.a.O., S. 462.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 309<br />
maßen zum Verteidiger des Grundgesetzes, <strong>in</strong>dem sie erklärte, dass die Kluft, »die<br />
gegenwärtig zwischen den demokratischen Forderungen der Verfassung und den<br />
realen politischen Verhältnissen besteht« durch e<strong>in</strong>e neue demokratische Ordnung<br />
beseitigt werden müsse. 34 Mit dieser demokratischen Ordnung - gekennzeichnet<br />
durch die »Überw<strong>in</strong>dung des Militarismus und Imperialismus« und der »Entmachtung<br />
des Monopolkapitals« - wären auch die H<strong>in</strong>dernisse für e<strong>in</strong>e Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />
der beiden deutschen Staaten beseitigt: »Zwischen e<strong>in</strong>er friedlichen und demokratischen<br />
Bundesrepublik und dem sozialistischen Friedensstaat der Arbeiter<br />
und Bauern, der Deutschen Demokratischen Republik, wird es ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>er Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />
entgegenstehenden politischen Schwierigkeiten mehr geben.« 35<br />
In dem im Februar <strong>1968</strong> v<strong>org</strong>estellten Programmentwurf präzisierte die <strong>KPD</strong> ihre<br />
Vorstellungen über den »Weg zur Lösung der nationalen Frage«. 36 »Heute bestehen<br />
zwei Staaten deutscher Nation, und offensichtlich für e<strong>in</strong>e längere Zeit. Sie<br />
können und müssen normale, gleichberechtigte staatliche Beziehungen zue<strong>in</strong>ander<br />
herstellen, um zu e<strong>in</strong>en friedlichen Neben- und Mite<strong>in</strong>ander zu gelangen« 37,hießes<br />
<strong>in</strong> dem Entwurf. Damit war die Wiedervere<strong>in</strong>igung als »historisches Fernziel« 38<br />
deklariert, gleichzeitig wurde zum ersten Mal e<strong>in</strong>e konkrete Aussage über die Gesellschaftsordnung<br />
im wiedervere<strong>in</strong>igten Deutschlands getroffen: »Das künftige<br />
gee<strong>in</strong>te Deutschland, das wir Kommunisten im Interesse des arbeitenden Volkes<br />
erstreben, wird sozialistisch se<strong>in</strong>.« 39 <strong>Die</strong> Vere<strong>in</strong>igung könne nur »das Ergebnis e<strong>in</strong>es<br />
längeren historischen Prozesses, tiefgehender demokratischer und gesellschaftlicher<br />
Umgestaltungen <strong>in</strong> der Bundesrepublik se<strong>in</strong>«, 40 entscheidende Voraussetzung<br />
dafür sei die »Entmachtung des Monopolkapitals«. 41 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> betonte, dass<br />
sie dabei »den friedlichen und demokratischen Weg der sozialistischen Umwälzung«<br />
42 anstrebe, allerd<strong>in</strong>gs werde »das herrschende Großkapital se<strong>in</strong>e Macht und<br />
se<strong>in</strong>e Privilegien nicht freiwillig« aufgeben 43.<br />
Gründung der DKP<br />
Seit Mitte der 1960er Jahre war die Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots Gegenstand <strong>in</strong>tensiver<br />
öffentlicher Debatten. 44 <strong>Die</strong> Partei selbst hatte von Anfang an diese Forderung<br />
erhoben, stieß damit jedoch erst jetzt auf nennenswerte Resonanz. <strong>Die</strong>s hatte meh-<br />
34 Ebenda.<br />
35 Ebenda, S. 463.<br />
36 Programm der <strong>KPD</strong> - Entwurf (Februar <strong>1968</strong>), <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 2, S. 395ff.,<br />
hier S. 435.<br />
37 Ebenda, S. 436.<br />
38 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 111.<br />
39 Programm der <strong>KPD</strong> - Entwurf, (Februar <strong>1968</strong>), a.a.O., S. 437.<br />
40 Ebenda, S. 436.<br />
41 Ebenda, S. 437.<br />
42 Ebenda, S. 423.<br />
43 Ebenda, S. 424.<br />
44 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 105; Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische<br />
Partei, a.a.O., S. 903; Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 326.
310<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
rere Gründe. 45 Das <strong>KPD</strong>-Verbot stand <strong>in</strong> Widerspruch zur nach dem Mauerbau<br />
allmählich e<strong>in</strong>setzenden Entspannungspolitik, die <strong>in</strong> Westdeutschland zu e<strong>in</strong>er veränderten<br />
deutschlandpolitischen Strategie führte. <strong>Die</strong>se Strategie des »Wandels<br />
durch Annäherung« - zum erstenmal propagiert 1963 von Egon Bahr (SPD) - g<strong>in</strong>g<br />
von der gesicherten Existenz der DDR aus und zielte auf die Beseitigung der H<strong>in</strong>dernisse,<br />
die e<strong>in</strong>er möglichen Wiedervere<strong>in</strong>igung zu e<strong>in</strong>em späteren Zeitpunkt im<br />
Wege standen. Das Verbot der <strong>KPD</strong> konnte aber durchaus als e<strong>in</strong> solches H<strong>in</strong>dernis<br />
e<strong>in</strong>er Verständigungspolitik mit der Sowjetunion und der DDR begriffen werden.<br />
Parallel dazu führte außerdem die starke öffentliche Kritik an der Kommunistenverfolgung<br />
durch die Politische Justiz zu e<strong>in</strong>er Diskussion um die Zweckmäßigkeit<br />
des <strong>KPD</strong>-Verbots.<br />
Spätestens 1967 war die Wiederzulassung e<strong>in</strong>er kommunistischen Partei im<br />
Pr<strong>in</strong>zip unumstritten. Strittig war jedoch, <strong>in</strong> welcher Form dies geschehen sollte.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> selbst bestand auf der Aufhebung des Verbots. Anfang 1967 46 gründeten<br />
fünf ehemalige Mitglieder 47 der Partei e<strong>in</strong>en »Initiativausschuss für die Wiederzulassung<br />
der <strong>KPD</strong>«, der sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em offenen Brief an die Bundesregierung für die<br />
Wiederzulassung und gegen die Neugründung aussprach. Als Gründe wurden genannt,<br />
dass bei e<strong>in</strong>er Neugründung die Gefahr e<strong>in</strong>es erneuten Verbots als Ersatz<strong>org</strong>anisation<br />
bestünde, und dass es ohne Amnestie für Kommunisten ke<strong>in</strong>e Sicherheit<br />
gebe, gefahrlos politisch arbeiten zu können. 48<br />
Auf Seiten der Bundesregierung und der Länderregierungen kristallisierte sich<br />
dagegen die Me<strong>in</strong>ung heraus, dass e<strong>in</strong>e Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots rechtlich<br />
nicht möglich sei, der Neugründung e<strong>in</strong>er kommunistischen Partei jedoch nichts im<br />
Wege stünde. <strong>Die</strong>se Auffassung hatte Bundesjustizm<strong>in</strong>ister He<strong>in</strong>emann bereits im<br />
Juli 1967 vertreten, 49 ihr schlossen sich die Innenm<strong>in</strong>ister der Länder auf e<strong>in</strong>er Konferenz<br />
am 12. Oktober 1967 an. 50<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> g<strong>in</strong>g jedoch auf dieses Angebot zur Neugründung nicht e<strong>in</strong>, sondern<br />
bestand weiterh<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong>er Wiederzulassung. Um diese Forderung zu unterstreichen,<br />
wurde auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz am 8. Februar <strong>1968</strong> der Entwurf e<strong>in</strong>es Par-<br />
45 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 105ff.; Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische<br />
Partei, a.a.O., S. 903f.<br />
46 Das Datum ist <strong>in</strong> der Literatur unterschiedlich angegeben: Heimann gibt den 13. März 1967 an (Siegfried<br />
Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S. 904), Fülberth den Februar 1967 (Ge<strong>org</strong><br />
Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 108).<br />
47 Karl Schabrod, Franz Ahrens, Manfred Kapluck, Kurt Erlebach und Richard Scher<strong>in</strong>ger; vgl. Siegfried<br />
Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S. 905; Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O.,<br />
S. 108.<br />
48 Vgl. Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S. 904.<br />
49 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 109.<br />
50 Beschlossen wurde folgende Sprachregelung: »<strong>Die</strong> Gründung e<strong>in</strong>er neuen <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik,<br />
die sich <strong>in</strong> ihrer Zielsetzung und <strong>in</strong> ihrer Tätigkeit deutlich von der alten <strong>KPD</strong> unterscheidet, ist [...]<br />
nach Art. 21 Abs. 1 GG ohne Zulassung möglich. Auf den Namen e<strong>in</strong>er solchen Partei kommt es nicht<br />
an [...]. E<strong>in</strong>e Wiederzulassung der früheren <strong>KPD</strong> mit ihrem alten Programm ist ohne Verfassungsänderung<br />
nicht möglich.« (zitiert nach Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S.<br />
905).
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 311<br />
teiprogramms der <strong>KPD</strong> v<strong>org</strong>estellt. 51 Zu dieser Pressekonferenz reisten auch drei<br />
ZK-Mitglieder aus Ost-Berl<strong>in</strong> an. <strong>Die</strong> Vorstellung des Programmentwurfs sollte vor<br />
allem belegen, dass die <strong>KPD</strong> ke<strong>in</strong>e verfassungsfe<strong>in</strong>dlichen Ziele verfolge. Daneben<br />
sollte aber wohl auch getestet werden, ob e<strong>in</strong> öffentliches Auftreten der <strong>KPD</strong> von<br />
den Behörden toleriert würde. 52 <strong>Die</strong>s schlug jedoch fehl: die Pressekonferenz wurde<br />
vom hessischen Innenm<strong>in</strong>ister wegen »Fortführung e<strong>in</strong>er verbotenen Partei« untersagt,<br />
zwei der Veranstalter wurden festgenommen. 53<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> beharrte öffentlich zunächst weiter auf die Wiederzulassung. Intern<br />
und <strong>in</strong> der SED existierten aber spätestens seit Juni <strong>1968</strong> konkrete Planungen für die<br />
Neugründung e<strong>in</strong>er kommunistischen Partei. 54 E<strong>in</strong>e Vorlage des SED-Arbeitsbüros<br />
(Titel: »Über die weitere Entwicklung der Kommunistischen Partei <strong>in</strong> Westdeutschland«)<br />
vom 25. Juni <strong>1968</strong> konstatierte: »Gegenwärtig ist e<strong>in</strong> Zeitpunkt herangereift,<br />
da die westdeutschen Kommunisten sowohl vor der dr<strong>in</strong>genden Notwendigkeit<br />
stehen als auch günstige Möglichkeiten haben, sich als Bundesdeutsche Kommunistische<br />
Partei legal zu konstituieren.« 55<br />
<strong>Die</strong> Vorlage begründete die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er Neugründung mit der Entwicklung<br />
<strong>in</strong> der Bundesrepublik und den dafür unter den Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität<br />
nicht ausreichenden Kräften der Partei:<br />
»Gleichzeitig stehen die Kommunisten vor der Tatsache, dass <strong>in</strong> der neuen Etappe der imperialistischen<br />
Entwicklung <strong>in</strong> Westdeutschland die Renazifizierung des gesellschaftlichen Lebens<br />
beschleunigt wird und die Formierung der Rechtskräfte schneller voranschreitet als die<br />
Entwicklung und Verbreiterung der antifaschistisch-demokratischen Bewegung. Angesichts<br />
e<strong>in</strong>er solchen Lage ist es e<strong>in</strong> dr<strong>in</strong>gendes Erfordernis, dass die Kommunistische Partei <strong>in</strong> der<br />
Bundesrepublik ihren historisch notwendigen Platz voll ausfüllt, ihre führende Rolle im antifaschistisch-demokratischen<br />
Kampf mit Leben erfüllt und den Formierungsprozess der antifaschistisch-demokratischen<br />
Kräfte maximal fördert [...]. Dazu ist es für die Partei notwendig,<br />
dass sie erstens als Partei der Bundesrepublik auftritt und dass sie zweitens ihre Tätigkeit frei<br />
entfaltet [...].<br />
<strong>Die</strong> rasche Entwicklung der aktiven Bewegung <strong>in</strong> den letzten Monaten, aber ebenso die außerordentlichen<br />
Unklarheiten über die Strategie und Taktik des Kampfes unter breiten Teilen<br />
der antifaschistisch-demokratischen Kräfte haben die objektive Rolle der Kommunistischen<br />
Partei für die Bundesrepublik wie nie zuvor <strong>in</strong> den letzten Jahren sichtbar gemacht. Gleichzeitig<br />
wird für die demokratischen Kräfte wie auch für die Kommunisten selbst immer spürbarer,<br />
dass angesichts der hohen Anforderungen und der großen Möglichkeiten die Kraft und<br />
die Fähigkeit der Partei und ihrer Führung nicht ausreichen.<br />
<strong>Die</strong> praktische Entwicklung lässt klar erkennen: die Legalisierung der Kommunistischen Partei,<br />
so wie sie vor dem Verbot bestand, ist gegenwärtig und <strong>in</strong> absehbarer Zukunft nicht real.<br />
51 Vgl. Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S. 904; Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und<br />
DKP, a.a.O., S. 110.<br />
52 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S.110.<br />
53 Ebenda und Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S. 905.<br />
54 Siehe dazu ausführlich Hans-Peter Müller, Gründung und Frühgeschichte der DKP im Lichte der SED-<br />
Akten, <strong>in</strong>: Klaus Schroeder (Hrsg.): Geschichte und Transformation des SED-Staates. Beiträge und Analysen,<br />
Berl<strong>in</strong> 1994, S. 251-285, hier S. 262ff.<br />
55 Über die weitere Entwicklung der Kommunistischen Partei <strong>in</strong> Westdeutschland [25.6.1868], <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />
2/10.03/223. Der Name ist im Orig<strong>in</strong>al zentriert abgesetzt.
312<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
Andererseits bef<strong>in</strong>det sich der imperialistische Gegner <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schwierigen taktischen Situation<br />
mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>geschränkten Handlungsspielraum. Der legalen Konstituierung e<strong>in</strong>er Bundesdeutschen<br />
Kommunistischen Partei könnte er im Augenblick kaum mit e<strong>in</strong>em Frontalangriff<br />
begegnen.«<br />
Im Weiteren wurden <strong>in</strong> der Vorlage programmatische Grundlagen der neu zu<br />
gründenden Partei und erste konkrete Schritte der Konstituierung skizziert. Grundlage<br />
der Programmatik sollte der Programmentwurf der <strong>KPD</strong> vom Februar se<strong>in</strong>.<br />
»Lediglich die klarere Profilierung als Partei der Bundesrepublik bildet im gewissen<br />
S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>e Neuorientierung.« Zum Ablauf der Neukonstituierung schlug das SED-<br />
Papier die E<strong>in</strong>berufung e<strong>in</strong>er »Initiativkonferenz zur Konstituierung der Bundesdeutschen<br />
Kommunistischen Partei« vor, die als erste Maßnahmen u.a. den Aufruf<br />
zur Konstituierung, e<strong>in</strong>e Grundsatzerklärung, die E<strong>in</strong>berufung des ersten Parteitages<br />
für April 1969 sowie e<strong>in</strong>en diese Maßnahmen vorbereitenden Ausschuss beschließen<br />
sollte. 56<br />
Endgültig Kurs auf e<strong>in</strong>e Neugründung nahm die <strong>KPD</strong> kurze Zeit später, nach<br />
e<strong>in</strong>em Gespräch der <strong>KPD</strong>-Funktionäre Grete Thiele und Max Schäfer mit Bundesjustizm<strong>in</strong>ister<br />
Gustav He<strong>in</strong>emann am 4. Juli <strong>1968</strong>. He<strong>in</strong>emann empfahl die Neugründung<br />
e<strong>in</strong>er kommunistischen Partei und bezeichnete dies als e<strong>in</strong>zige Möglichkeit<br />
für die legale Arbeit von Kommunisten. 57 Das Gespräch mit He<strong>in</strong>emann war<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich für die <strong>KPD</strong> der letzte Anstoß, e<strong>in</strong>er Neugründung den Vorzug zu<br />
geben. H<strong>in</strong>zu kam, dass die Partei - auch aufgrund der Intervention von Truppen<br />
des Warschauer Paktes <strong>in</strong> der CSSR im August <strong>1968</strong> - e<strong>in</strong>e erneute Isolierung <strong>in</strong>nerhalb<br />
des l<strong>in</strong>ken Spektrums fürchten musste, wenn sie nicht die Möglichkeit zur legalen<br />
Arbeit bekam. Angesichts der Studentenrevolte und e<strong>in</strong>er starken Außerparlamentarischen<br />
Opposition me<strong>in</strong>te die <strong>KPD</strong>, »nicht mehr auf die durch legale Arbeit<br />
besseren politischen E<strong>in</strong>flussmöglichkeiten verzichten zu können«. 58 Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus waren durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz (29. Mai <strong>1968</strong>) und die Amnestie<br />
für im Zusammenhang mit der Kommunistenverfolgung stehende Straftaten<br />
(28. Juni <strong>1968</strong>) wichtige H<strong>in</strong>dernisse, die die <strong>KPD</strong> zuvor gegen e<strong>in</strong>e Neugründung<br />
genannt hatte, entfallen.<br />
Am 26. September <strong>1968</strong> schließlich wurde auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz <strong>in</strong> Frankfurt<br />
a.M. die Konstituierung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) bekannt<br />
56 In etwa nach diesem Entwurf verlief später die Gründung der DKP. <strong>Die</strong> v<strong>org</strong>eschlagene »Initiativkonferenz«<br />
konstituierte sich als vorbereitender Ausschuss oder »Gründungsausschuss«, der auf e<strong>in</strong>er<br />
Pressekonferenz im September schließlich die Konstituierung der DKP bekannt gab. Auch der vorbereitende<br />
Ausschuss konstituierte sich als »Bundesausschuss«. Der erste Parteitag der DKP fand dann<br />
tatsächlich im April 1969 statt (vgl. Wilhelm Mens<strong>in</strong>g, Wir wollen unsere Kommunisten wieder haben...,<br />
Demokratische Starthilfen für die Gründung der DKP, Zürich und Osnabrück 1989, S. 31ff.).<br />
57 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 110; Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische<br />
Partei, a.a.O., S. 906; Wilhelm Mens<strong>in</strong>g, Wir wollen unsere Kommunisten wieder haben, S. 11ff.<br />
58 Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S. 906.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 313<br />
gegeben. 59 <strong>Die</strong> illegale <strong>KPD</strong> existierte jedoch offenbar zunächst weiter, ihr Vorsitzender<br />
Max Reimann trat erst am 27. September 1971 der DKP bei. 60<br />
2. <strong>Die</strong> Umstellung der Bremer <strong>KPD</strong>-Organisation<br />
nach dem Verbot<br />
<strong>Die</strong> Leitung der Partei nach dem Verbot übernahmen auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ortsfremde<br />
Funktionäre, die aus verschiedenen Bundesländern kamen (u.a. Hamburg, Hessen,<br />
Ruhrgebiet) und dort teilweise bekannte Kommunisten gewesen waren. Lediglich<br />
Herbert Breidbach gehörte nach eigenen Angaben <strong>in</strong> der ersten Zeit der Illegalität<br />
der als Dreiergruppe <strong>org</strong>anisierten Führung der Bremer Partei<strong>org</strong>anisation an. 61<br />
<strong>Die</strong> Mitglieder der Gruppe wurden ständig gewechselt, nach sechs bis acht Monaten<br />
schied e<strong>in</strong> Mitglied aus und wurde durch e<strong>in</strong>en neuen, ebenfalls ortsfremden<br />
Funktionär ersetzt. 62 <strong>Die</strong>ses bis etwa 1961 praktizierte System stellte sich auch <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> als h<strong>in</strong>derlich für die politische Arbeit der illegalen <strong>KPD</strong> heraus. »Was weiß<br />
jemand, der aus Bayern kommt, über die landes- und kommunalpolitischen Gegebenheiten<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>? Bis er die begriffen hat, wird er wieder abgezogen.« 63<br />
Daneben bedeutete e<strong>in</strong>e Leitung mit Nicht-Bremern auch e<strong>in</strong>e erhöhte Gefahr »aufzufliegen«.<br />
64<br />
59 Das offizielle Datum der Konstituierung war der 25. September <strong>1968</strong>, die dazugehörige Erklärung zur<br />
Neukonstituierung e<strong>in</strong>er Kommunistischen Partei war vom 22. September datiert.<br />
60 Zum Verhältnis <strong>KPD</strong>/DKP siehe Wilhelm Mens<strong>in</strong>g, Wir wollen unsere Kommunisten wiederhaben,<br />
a.a.O., S. 69ff. Max Reimann war für e<strong>in</strong>en Vorsitz der neuen Partei nicht <strong>in</strong> Frage gekommen, um nicht<br />
e<strong>in</strong>e Kont<strong>in</strong>uität zur alten <strong>KPD</strong> deutlich zu machen. Reimann, der sich zunächst lange gegen e<strong>in</strong>e Neugründung<br />
gesperrt hatte (Wilhelm Mens<strong>in</strong>g, Wir wollen unsere Kommunisten wiederhaben, a.a.O., S.<br />
35), hatte den Vorsitz der neuen Partei durchaus beansprucht. Hermann Gautier, an der Gründung der<br />
DKP maßgeblich beteiligt: »Max Reimann wollte natürlich sofort wieder der Vorsitzende dieser legalen<br />
Partei werden. Aber wir waren alle der Auffassung, das sei ja nun nicht gerade die richtige Lösung.<br />
Wir wollten natürlich von vornhere<strong>in</strong> auch deutlich machen durch die Persönlichkeiten, die wir an die<br />
Spitze der Partei stellten, dass das nicht e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e Fortsetzung der illegalen <strong>KPD</strong> war.« (Interview<br />
Hermann Gautier, 3). Ge<strong>org</strong> Fülberth weist auch darauf h<strong>in</strong>, dass »ke<strong>in</strong>eswegs alle Mitglieder der illegalen<br />
<strong>KPD</strong> zur DKP« g<strong>in</strong>gen. Unklar ist allerd<strong>in</strong>gs, ob dies im E<strong>in</strong>vernehmen mit der <strong>KPD</strong>-Leitung geschah,<br />
um e<strong>in</strong>e Art stille Reserve für den Fall des Scheiterns der DKP - deren Gründung angesichts e<strong>in</strong>es<br />
eventuell erneut drohenden Verbots ja auch e<strong>in</strong> Wagnis darstellte - zu bilden (Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong><br />
und DKP, a.a.O., S. 118). Vgl. auch Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung,<br />
a.a.O., S. 114, die me<strong>in</strong>en, dass es »auch nicht wenige« Kommunisten gab, »die nach wie vor auf e<strong>in</strong>e<br />
Wiederzulassung der <strong>KPD</strong> setzten und daher zunächst e<strong>in</strong>e abwartende Haltung e<strong>in</strong>nahmen«.<br />
61 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />
62 Ebenda.<br />
63 Ebenda.<br />
64 »Wenn wir mit drei Bremern irgendwo gesessen hätten und hätten nicht gerade belastende Papiere bei<br />
uns gehabt, hätte uns niemand was können. Aber wenn ich mit e<strong>in</strong>em aus dem Ruhrgebiet, mit e<strong>in</strong>em<br />
aus Hessen [...] zusammengesessen habe und da wäre die Polizei re<strong>in</strong>gekommen, konnt' ich reden was<br />
ich wollte: Ich saß mit zwei ihnen bekannten Kommunisten zusammen!« (ebenda).
314<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
Erschwerend für die Umstellung der Leitungsstrukturen wirkte sich auch die<br />
Erweiterung des Zuständigkeitsgebietes aus. Bereits kurz vor dem Verbot waren<br />
die umliegenden Kreise Verden, Osterholz-Scharmbeck, Delmenhorst und Wesermarsch<br />
h<strong>in</strong>zugekommen. Später wurde die Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong> zum Bezirk<br />
<strong>Bremen</strong>-Weser/Ems, der sich dann bis Ostfriesland (Aurich, Emden) erstreckte. 65<br />
<strong>Die</strong> ersten Wochen nach dem Verbot verbrachte die Bremer Partei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art<br />
Abwartehaltung und trat öffentlich kaum <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Geplante Aktionen, wie<br />
z.B. das Malen von Parolen an Häuserwände, wurden nicht durchgeführt. 66 Es sei<br />
zwar abgesprochen gewesen, sofort nach dem Verbot Losungen zu malen, so die<br />
Begründung der dafür e<strong>in</strong>geteilten Mitglieder, es »war jedoch ke<strong>in</strong> Verantwortlicher<br />
dafür da, welcher mit uns die Losungen malen konnte«. 67 Ebenso scheiterte<br />
die für den Tag nach dem Verbot geplante Herausgabe e<strong>in</strong>er »Extraausgabe« der<br />
Tribüne der Demokratie und die Verteilung des Aufrufs 68 des Parteivorstands zum<br />
Verbot der <strong>KPD</strong>. 69 <strong>Die</strong> naheliegenden Gründe für diese Schwierigkeiten schildert<br />
Hermann Gautier:<br />
»Obwohl das ja eigentlich seit Jahren erwartet worden war, hat der Schock durch das Verbot<br />
natürlich auch zunächst e<strong>in</strong>e gewisse Wirkung gehabt. Es hat e<strong>in</strong> bisschen gedauert bis sich<br />
die illegalen Leitungen zusammengefunden und irgendwas produziert haben. Es gab auch<br />
welche, die Angst hatten, die sagten, ›um Gottes Willen, lasst mich mal zufrieden damit, ich<br />
möchte nicht wegen der Herstellung e<strong>in</strong>er illegalen Kle<strong>in</strong>zeitung <strong>in</strong> den Knast gehen‹. <strong>Die</strong>sen<br />
ersten Schock zu überw<strong>in</strong>den, das hat schon hier oder da etwas gedauert.« 70<br />
E<strong>in</strong> Instrukteur bezeichnete Stimmung und Moral <strong>in</strong> der Bremer Partei unmittelbar<br />
nach dem Verbot dennoch als gut, e<strong>in</strong>e »Niedergeschlagenheit« sei nicht festzustellen.<br />
71 Tatsächlich begannen zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>zelne Grunde<strong>in</strong>heiten bald wieder<br />
zu arbeiten. <strong>Die</strong> ersten Wohngebietsgruppen tagten nach etwa vier Wochen wieder<br />
<strong>in</strong> Privatwohnungen. 72 <strong>Die</strong> größten, auch nach außen gerichteten Aktivitäten kamen<br />
aus den Betriebsgruppen. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe Hafen trat angeblich bereits vier<br />
Tage nach dem Verbot wieder zusammen, 73 und Ende September 1956 tauchte im<br />
Hafen die erste illegale Ausgabe der Betriebszeitung »De Stauhoken« auf. 74 <strong>Die</strong><br />
beiden Betriebszeitungen der <strong>KPD</strong> auf der AG »Weser«, der Vulkan- und der Seebeck-Werft,<br />
»Werftecho« und »Wir blenden auf«, erschienen ebenfalls nicht e<strong>in</strong>mal<br />
65 Vgl. auch: <strong>Die</strong> kommunistische Tätigkeit <strong>in</strong> der Bundesrepublik im Jahre 1966 (Bericht des Bundesm<strong>in</strong>isters<br />
des Innern), <strong>in</strong>: Aus Politik und Zeitgeschehen (Beilage zur Wochenzeitung das Parlament) B<br />
28/67, Schaubild S. 16.<br />
66 Arbeitsbüro, 23.8.56, <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/ 20/14.<br />
67 Ebenda.<br />
68 Erklärung des PV der <strong>KPD</strong> zum Parteiverbot, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 2, S. 153ff.<br />
69 Arbeitsbüro, 23.8.56, <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/ 20/14.<br />
70 Interview Hermann Gautier, 3.<br />
71 Arbeitsbüro, 23.8.56, <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/ 20/14.<br />
72 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />
73 Arbeitsbüro, 23.8.56, <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/ 20/14.<br />
74 Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft <strong>Bremen</strong>, Politische Sachen 1955-1959, Band IV - XVI (StaB 4,89/3;<br />
künftig zitiert als »Ermittlungsakten«), hier Band IX. Das Blatt war vom HBV-Betriebsratsvorsitzenden<br />
Schröder (SPD) bei der Polizei abgegeben worden.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 315<br />
vier Wochen nach dem Verbot erstmals wieder auf den Werften. 75 <strong>Die</strong> erste illegale<br />
Ausgabe der Parteizeitung Tribüne der Demokratie erschien vermutlich ebenfalls spätestens<br />
Mitte September 1956. 76 <strong>Die</strong> »Zeitung« bestand jetzt aus acht, später zehn<br />
eng beschriebenen, hektographierten DIN A4 Seiten und trug den Untertitel »Organ<br />
der Kommunistischen Partei Deutschlands, Land <strong>Bremen</strong>«. Sie kam <strong>in</strong> der Folgezeit<br />
bis vermutlich 1959 etwa alle zwei Wochen zur Verteilung.<br />
Thematischer Schwerpunkt <strong>in</strong> diesen ersten illegalen Publikationen der Bremer<br />
<strong>KPD</strong> war erwartungsgemäß das Verbot der Partei, das <strong>in</strong> Beziehung zur kurz zuvor<br />
vom Bundestag verabschiedeten Wehrpflicht gesetzt wurde. So hieß es beispielsweise<br />
im Werft-Echo unter der Überschrift »Schützt den Jahrgang 1937! Freiheit für<br />
die <strong>KPD</strong>!«, das Bundesverfassungsgericht habe auf Anweisung Adenauers die <strong>KPD</strong><br />
verbieten müssen, da diese die »entschiedenste Kämpfer<strong>in</strong>« gegen die Wehrpflicht<br />
sei. 77 Außerdem wurde immer wieder betont, dass die <strong>KPD</strong> trotz des Verbots weiter<br />
arbeite: »<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> wurde verboten, aber der Geist lebt. [...]. Man kann nicht e<strong>in</strong>e<br />
Partei verbieten, deren ganzes Schaffen auf das Glück und die Wohlfahrt der Menschen<br />
gerichtet ist. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> ist da und sie bleibt da!«, hieß es z.B. im Stauhoken. 78<br />
<strong>Die</strong> Demonstration der Weiterexistenz der Partei musste zwangsläufig zunächst<br />
e<strong>in</strong>e Hauptaufgabe der Grunde<strong>in</strong>heiten se<strong>in</strong>, vor allem der Wohngebietsgruppen,<br />
deren Wirkungsfeld noch beschränkter war als das der Betriebsgruppen. <strong>Die</strong> Sichtagitation<br />
der Partei wurde ab Herbst 1956 durchaus bemerkbar. <strong>Die</strong>s geschah mit<br />
Hilfe von gemalten Wandparolen, kle<strong>in</strong>en Handzetteln und ähnlichem, auf denen<br />
Parolen wie z.B. »<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> lebt«, »Freiheit für die <strong>KPD</strong>« oder »<strong>Die</strong> Kommunistische<br />
Partei <strong>in</strong> ihrem Lauf hält weder Ochs noch Adenauer auf! Kämpft für die Legalität<br />
der <strong>KPD</strong>!« zu lesen waren. 79 Im Bundestagswahlkampf 1957 kamen gefälschte 10-<br />
Mark Sche<strong>in</strong>e zur Verteilung, die auf der Rückseite e<strong>in</strong>e Stellungnahme der <strong>KPD</strong><br />
zur Wahl enthielten. 80 Beispiele für erfolgreiche Aktionen wurden <strong>in</strong> der Tribüne der<br />
75 Das betreffende »Werft-Echo« erschien ohne Nummer oder Datum, ist aber wahrsche<strong>in</strong>lich, wie aus<br />
dem Inhalt herv<strong>org</strong>eht, Anfang September geschrieben und verteilt worden. <strong>Die</strong>s bestätigen auch Erkenntnisse<br />
der Bremer Polizei: »[...] wurde <strong>in</strong> Erfahrung gebracht, dass [...] etwa 4 Wochen nach dem<br />
KP-Verbot vor der AG »Weser« e<strong>in</strong>e Betriebszeitung der Bremer Werftarbeiter - ohne Nr. - gefunden<br />
wurde.« (Ermittlungsakten, Band XI). Das Ersche<strong>in</strong>en der beiden Betriebszeitungen wurde auch <strong>in</strong><br />
»Neues Deutschland« gemeldet (Neues Deutschland 4. Oktober 1956), wodurch die Polizei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
überhaupt erst auf die Flugschriften aufmerksam wurde und das auch erst mit reichlicher Verspätung:<br />
<strong>Die</strong> Anzeige datiert vom 15. Januar 1957.<br />
76 <strong>Die</strong> erste vorliegende Ausgabe ist mit »2. Okt. Hälfte 56« datiert und trägt die Nummer 194. <strong>Die</strong> Nr.<br />
197 (2. Hälfte November) ist mit dem Zusatz »(5)« versehen. Von daher ist anzunehmen, dass Nr. 194<br />
bereits die zweite Ausgabe war.<br />
77 Wörtlich heißt es <strong>in</strong> dem Beitrag: »<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war und bleibt die entschiedenste Kämpfer<strong>in</strong> gegen Militarismus<br />
und Barras, für Frieden und E<strong>in</strong>heit und Sozialismus. Adenauer und Blank wollen die deutsche<br />
Jugend erneut gegen ihren Willen <strong>in</strong> den Waffenrock pressen. Darum musste das Bundesverfassungsgericht<br />
auf Anweisung Adenauers 4 Wochen nach Annahme des Wehrpflichtgesetzes die <strong>KPD</strong> verbieten.«<br />
(»Werft-Echo«, Betriebszeitung der Bremer Werftarbeiter, o.O. o.J.)<br />
78 »De Stauhoken«, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter, o.O. o.J. (vermutlich Ende September<br />
1956).<br />
79 Ermittlungsakten, Band XI.<br />
80 Ermittlungsakten, Band XVI.
316<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
Demokratie geschildert und mit der Aufforderung an die Mitglieder verbunden, diese<br />
Aktivitäten zu steigern. 81<br />
E<strong>in</strong>e derartige Arbeit konnte freilich nur dort stattf<strong>in</strong>den, wo die Wohngebietsgruppen<br />
oder e<strong>in</strong>zelne Mitglieder von sich aus die Initiative ergriffen und, ohne auf<br />
Anleitung von oben zu warten, entsprechende Aktivitäten zeigten. <strong>Die</strong> massiven<br />
Aufforderungen <strong>in</strong> der illegalen Parteizeitung und die Art der Schilderungen - jedes<br />
kle<strong>in</strong>e Beispiel von Sichtagitation wurde beschrieben und als Erfolg gewertet -<br />
deuten aber darauf h<strong>in</strong>, dass die Aktivitäten der Grunde<strong>in</strong>heiten nicht nur <strong>in</strong> diesem<br />
Bereich eher spärlich waren. <strong>Die</strong> geschilderten Umstellungsschwierigkeiten<br />
und das Warten auf die Leitung setzte sich fort. »Der alte aktive Kern der Partei ist<br />
bereit, auch weiter aktiv zu arbeiten, nur wissen die Genossen oft nicht, wie sie es<br />
anpacken sollen, sie warten auf Anleitung«, schrieb e<strong>in</strong> Instrukteur im November<br />
1956 und gab auch gleich e<strong>in</strong>e wesentliche Begründung: »Alte Mängel der Partei,<br />
z.B., dass die Initiative jedes e<strong>in</strong>zelnen Genossen zu wenig entfaltet wurde, wirken<br />
sich jetzt hemmend aus«. 82 Traten diese Schwierigkeiten schon bei dem »aktiven<br />
Kern« der Mitgliedschaft auf - der ja bereits vor 1956 zusehends kle<strong>in</strong>er geworden<br />
war -, war es naheliegend, dass die zuvor weitgehend passiven Mitglieder sich nun<br />
vollends aus der Parteiarbeit zurückzogen, sich auf Zusammenkünfte <strong>in</strong> den<br />
Grunde<strong>in</strong>heiten beschränkten oder auch das Verbot zum Anlass nahmen, die Partei<br />
ganz zu verlassen. 83<br />
Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> verlor die Partei so - trotz der vergleichsweise günstigen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
- weiter Mitglieder. Besonders negativ wirkte sich jetzt auch die<br />
ungünstige Alterstruktur aus. <strong>Die</strong> verfehlte Jugendpolitik der vergangenen Jahre<br />
und das Verbot der FDJ hatten bereits vor 1956 nur verschw<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>ge<br />
Neuaufnahmen <strong>in</strong> der Altersgruppe der unter 25-Jährigen zur Folge gehabt. Jetzt,<br />
<strong>in</strong> der Illegalität, waren sie nahezu unmöglich. <strong>Die</strong> über 50-Jährigen dagegen, die<br />
die große Mehrheit der Mitgliedschaft stellten, waren verständlicherweise<br />
aufgrund ihres Alters und der Erfahrungen des Faschismus größtenteils nicht mehr<br />
bereit, noch e<strong>in</strong>mal illegal zu arbeiten. 84 Neuaufnahmen gab es zwischen 1956 und<br />
1960 wie <strong>in</strong> der gesamten Bundesrepublik auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> so gut wie ke<strong>in</strong>e. <strong>Die</strong><br />
Situation besserte sich erst im Laufe der 1960er Jahre, nachdem das politische Klima<br />
für Kommunisten etwas günstiger geworden war und die legale Arbeit immer<br />
mehr <strong>in</strong> den Vordergrund rückte. In dieser Zeit konnte die Bremer Organisation<br />
angeblich bis zu 50 Neuaufnahmen jährlich verzeichnen. 85 Trotzdem konnte der<br />
81 So z.B. <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie 15(22), Ende Juli 1957: »E<strong>in</strong>ige Grunde<strong>in</strong>heiten haben <strong>in</strong> den vergangenen<br />
Wochen gute Beispiele der Sichtagitation geschaffen. So prangte bei B<strong>org</strong>ward an der Mauer<br />
»Ohne <strong>KPD</strong> - ke<strong>in</strong>e freien Wahlen!« und bei Goliath »Freiheit für die <strong>KPD</strong>«. [...] Gemalte Losungen,<br />
Streuzettel, Klebestreifen und sogar selbst hergestellte Plakate haben e<strong>in</strong>e große Wirkung. Überall,<br />
massenhaft, unaufhörlich muss der Name unserer Partei <strong>in</strong> der mündlichen Aufklärung, durch unsere<br />
Materialien und durch e<strong>in</strong>e vielseitige Sichtagitation <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten.«<br />
82 Land: <strong>Bremen</strong>/Niedersachsen, E<strong>in</strong>satz: vom 16.10. - 3.11. 1956, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />
83 Ebenda. Auch ehemals prom<strong>in</strong>ente Mitglieder wie die ehemalige Gesundheitssenator<strong>in</strong> Käthe Popall<br />
und der IG-Metall Kassierer Johann Re<strong>in</strong>ers brachen anlässlich des Verbots endgültig mit der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong><br />
der sie aber schon zuvor isoliert waren.<br />
84 Wilhelm Meyer-Buer: »Da waren viele Alte, die die Illegalität unter den Nazis schon mitgemacht hatten,<br />
die hatten denn auch die Nase voll.« (Interview Meyer-Buer, 1).
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 317<br />
Neuaufnahmen jährlich verzeichnen. 85 Trotzdem konnte der Mitgliederschwund<br />
nicht aufgehalten werden: Zur Zeit der Gründung der DKP <strong>1968</strong> waren die Mitgliederzahlen<br />
der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> von 1.200 (1956) auf ca. 700 bis 800 gesunken. 86<br />
<strong>Die</strong> Organisierung der verbliebenen Mitglieder <strong>in</strong> den Grunde<strong>in</strong>heiten nach<br />
dem Pr<strong>in</strong>zip der Fünfer-Gruppen gelang auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nicht und wurde offenbar<br />
auch als nicht notwendig erachtet:<br />
»<strong>Die</strong> Fünfer-Organisationen waren natürlich graue Theorie, als mehr und mehr klar wurde,<br />
dass so e<strong>in</strong> strenges, scharfes Verbot gar nicht durchgezogen wurde. [...] Wir haben <strong>in</strong> unserer<br />
Gruppe <strong>in</strong> diesem Haus Versammlungen gemacht mit 10-14 Leuten. Von wegen nur als Fünfer-Gruppen<br />
zusammenkommen, das hat bei uns <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> so nicht funktioniert, ist so auch<br />
nicht gemacht worden. Wir haben nach Möglichkeit die Gruppen zusammengehalten.« 87<br />
<strong>Die</strong> Zusammenkünfte der Gruppen fanden größtenteils <strong>in</strong> Privatwohnungen, 88<br />
aber auch <strong>in</strong> Lokalen statt. So tagten beispielsweise verschiedene Gröpel<strong>in</strong>ger Basisgruppen<br />
im Clubzimmer e<strong>in</strong>es Skatvere<strong>in</strong>s. 89 Insgesamt beschränkte sich die Arbeit<br />
der Wohngebietsgruppen90 <strong>in</strong> den ersten Jahren der Illegalität im wesentlichen<br />
auf Diskussionen und das Verteilen von Flugblättern und ähnlichem Material. <strong>Die</strong><br />
Wirkung ihrer illegalen Parteiarbeit war damit zunächst sehr ger<strong>in</strong>g.<br />
3. <strong>Die</strong> politische Arbeit bis 1960<br />
<strong>Die</strong> politische Arbeit der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den ersten Jahren der Illegalität konzentrierte sich<br />
nach wie vor auf die Friedenspolitik. Primäres Ziel musste dabei gerade unter den<br />
Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität die Schaffung von Bündnissen mit nichtkommunistischen<br />
Organisationen und die Beteiligung von Kommunisten an außerparlamentarischen<br />
Bewegungen se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong>s gelang zunächst kaum <strong>in</strong> nennenswertem Maße.<br />
In den ersten Monaten nach dem Verbot war <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie die<br />
Ablehnung der Wehrpflicht e<strong>in</strong> zentrales Thema. <strong>Die</strong> betroffenen Jugendlichen<br />
wurden aufgefordert, sich dem Kriegsdienst zu verweigern und der E<strong>in</strong>berufung<br />
ke<strong>in</strong>e Folge zu leisten. Sie müssten »ihr demokratisches Recht der Kriegsdienstverweigerung<br />
<strong>in</strong> Anspruch nehmen«, und: »Deshalb sollte auch ke<strong>in</strong> Jugendlicher zur<br />
Erfassung h<strong>in</strong>gehen, wenn er die Aufforderung erhält, sonst würde er den ersten<br />
Schritt zur Rekrutierung tun und damit helfen, unser Volk abermals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Katastrophe<br />
zu stürzen. Das will doch ke<strong>in</strong>er!« 91.<br />
85 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />
86 Ebenda.<br />
87 Ebenda.<br />
88 Interviews Wilhelm Meyer-Buer (1), Herbert Breidbach (1), Willy Hundertmark (1).<br />
89 Interview Willy Hundertmark, 1.<br />
90 Zur Arbeit der Betriebsgruppen siehe Kapitel 7.4.<br />
91 »Wehret den Anfängen«, Tribüne der Demokratie Nr. 194, 2. Okt. Hälfte 1956.
318<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
In <strong>Bremen</strong> erlebte die »Internationale der Kriegsdienstgegner« (IdK) - die Mitte<br />
der 1950er Jahre von überwiegend gewerkschaftlich und sozialdemokratisch orientierten<br />
Jugendlichen gegründet worden war - nach der E<strong>in</strong>führung der Wehrpflicht<br />
e<strong>in</strong>en starken Mitgliederboom. 92 <strong>Die</strong> IdK rief zur Wehrdienstverweigerung auf,<br />
richtete Beratungsstellen für Wehrpflichtige e<strong>in</strong> und führte verschiedene Aktionen<br />
gegen die Wehrerfassung durch. 93 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> unterstützte die IdK und ihre Aktivitäten.<br />
<strong>Die</strong> Tribüne der Demokratie berichtete über Aktionen der Organisation und stellte<br />
sie als Beweis für den erfolgreichen Widerstand der Jugendlichen gegen die<br />
Wehrpflicht und für den Frieden heraus. 94 Gleichzeitig wurde zur Unterstützung<br />
der IdK aufgefordert: <strong>Die</strong> Jugend brauche »jetzt und sofort den Schutz aller Gegner<br />
der Wiederaufrüstung«, um »die Adenauer-Regierung mit allen Mitteln daran zu<br />
h<strong>in</strong>dern, die Wehrpflicht durchzuführen«. 95 Dafür sei jetzt das »geme<strong>in</strong>same Handeln<br />
aller antimilitaristischen Kräfte, vor allem der Arbeiter<strong>org</strong>anisationen« notwendig.<br />
96 Arbeiter, Betriebsräte, Gewerkschaften und die Jugend<strong>org</strong>anisationen<br />
wurden aufgefordert, die Jugendlichen bei deren Widerstand zu unterstützen:<br />
»In den Betrieben sollten die Jugendlichen darauf dr<strong>in</strong>gen, dass die Belegschaften, besonders<br />
aber die Gewerkschaften und Vertrauensmännerkörper ihnen schützend zur Seite stehen. Den<br />
Jugend<strong>org</strong>anisationen entsteht hierbei e<strong>in</strong>e große Aufgabe, die nicht alle<strong>in</strong>e durch Tanzveranstaltungen,<br />
wie sie vom Jugendr<strong>in</strong>g <strong>org</strong>anisiert werden, gelöst werden kann. Es ist richtig,<br />
dass die Jugend tanzt, anstatt auf den Kasernenhöfen gedrillt zu werden und auf den<br />
Schlachtfeldern zu verbluten. Aber gerade deshalb muss der Jugendr<strong>in</strong>g mehr unternehmen<br />
als nur die Organisierung von Tanzveranstaltungen.« 97<br />
Zwar beteiligten sich auch Bremer Kommunisten an der IdK und den Aktionen<br />
gegen die Wehrpflicht, 98 ihr E<strong>in</strong>fluss und ihre Zahl blieben aber ger<strong>in</strong>g. <strong>Die</strong> IdK bestand<br />
größtenteils aus Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und Parteilosen. 99 <strong>Die</strong>s<br />
galt ebenso für die 1958 <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie von SPD und DGB <strong>in</strong>itiierte Kampagne<br />
»Kampf dem Atomtod« (KdA). 100 <strong>Die</strong> KdA konnte <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> breite Kreise der Be-<br />
92 Zur IdK und zur Kriegsdienstverweigerung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> siehe ausführlich Christoph Butterwegge, Friedenspolitik<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nach dem Zweiten Weltkrieg, a.a.O., S. 186ff. Außerdem Dorothee Colberg-<br />
Tjadens, <strong>Die</strong> Gründung der Bremer IdK; Detlef Dahlke, Kriegsdienstverweigerung als Gewissenentscheidung<br />
und Protesthaltung, beide <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge et al. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg,<br />
a.a.O., S. 179ff. und S. 184ff.<br />
93 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 186ff.<br />
94 Vgl. z.B. <strong>Bremen</strong>s Jugend trotzt der Wehrpflicht, Tribüne der Demokratie Nr. 197(5), 2. Hälfte November<br />
1956; Kundgebung der Wehrdienstgegner <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>: Ne<strong>in</strong> dem Wehrdienst, Tribüne der Demokratie Nr.<br />
198(6), 1. Hälfte Dezember 1956.<br />
95 Kundgebung der Wehrdienstgegner <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>: Ne<strong>in</strong> dem Wehrdienst, Tribüne der Demokratie Nr. 198(6), 1.<br />
Hälfte Dezember 1956.<br />
96 Ebenda<br />
97 Auch Drohbriefe schüchtern nicht e<strong>in</strong>, Tribüne der Demokratie Nr. 197(5), 2. Hälfte November 1956.<br />
98 Vgl. Herbert Breidbach, Das <strong>KPD</strong>-Verbot und die illegale Arbeit bis <strong>1968</strong>, <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge et<br />
al. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg, a.a.O., S. 137-146, hier S. 140. Breidbach nennt namentlich zwei<br />
Kommunisten.<br />
99 Vgl. Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 189. Vorsitzender der IdK war seit<br />
Oktober 1956 der Sozialdemokrat und Gewerkschaftsfunktionär Detlef Dahlke.<br />
100 Siehe zur KdA-Kampagne <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ausführlich Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit<br />
von Landespolitik und Parteil<strong>in</strong>ie, a.a.O., S. 233ff.; Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong>
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 319<br />
völkerung gegen die atomare Wiederbewaffnung der Bundeswehr mobilisieren. So<br />
nahmen an der Kundgebung zum 1. Mai 1958, die der DGB ganz unter das Motto<br />
»Kampf dem Atomtod« gestellt hatte, rund 80.000 Menschen teil. E<strong>in</strong>e vom örtlichen<br />
KdA-Ausschuss am 13. Mai 1958 veranstaltete Großkundgebung, auf der<br />
auch Wilhelm Kaisen sprach, fand über 25.000 Teilnehmer. 101 Parallel zu diesen<br />
Straßenaktionen beschloss die Bremische Bürgerschaft am 7. Mai mit den Stimmen<br />
von SPD und FDP e<strong>in</strong> Volksbefragungsgesetz, nach dem die Bürger <strong>Bremen</strong>s am<br />
22. Juni folgende Fragen beantworten sollten: »1. S<strong>in</strong>d sie mit e<strong>in</strong>er atomaren Bewaffnung<br />
deutscher Streitkräfte e<strong>in</strong>verstanden? 2. S<strong>in</strong>d sie damit e<strong>in</strong>verstanden,<br />
dass im Lande <strong>Bremen</strong> Abschussvorrichtungen für atomare Sprengkörper angelegt<br />
werden?«.<br />
<strong>Die</strong> Volksbefragung wurde jedoch auf Antrag der Bundesregierung am 12. Juni<br />
1958 vom Bundesverfassungsgericht per e<strong>in</strong>stweiliger Verfügung gestoppt und<br />
schließlich am 30. Juli 1958 als verfassungswidrig verboten. Das bedeutete auch das<br />
faktische Ende der KdA-Bewegung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. SPD und DGB verzichteten fortan<br />
auf außerparlamentarische Aktionen, ohne die Unterstützung der beiden Groß<strong>org</strong>anisationen<br />
jedoch konnte die Friedensbewegung ke<strong>in</strong>e größeren Massenproteste<br />
mehr auf die Straße br<strong>in</strong>gen.<br />
<strong>Die</strong> Kampagne »Kampf dem Atomtod« als breite, von den Arbeiter<strong>org</strong>anisationen<br />
getragene Massenbewegung entsprach eigentlich genau dem Bündniskonzept<br />
der <strong>KPD</strong>. Bereits 1957 schrieb die »Tribüne der Demokratie« unter der Überschrift<br />
»Volksfront gegen Atomkrieg«:<br />
»Noch nie gab es e<strong>in</strong>e solche breite umfassende Bewegung. Gewerkschaften, SPD, Frauenausschüsse,<br />
Jugendverbände, kirchliche Vere<strong>in</strong>igungen und viele andere soziale und kulturelle<br />
Organisationen erklärten sich gegen die Atomrüstung und fassten Kampfbeschlüsse. Käme es<br />
zu e<strong>in</strong>em Zusammenschluss all dieser Kräfte, es würde e<strong>in</strong>e wahre Volksfront gegen Atomkrieg<br />
stehen! Und wenn es trotz der großen Bereitschaft der Massen noch nicht zu umfassenden<br />
Aktionen gekommen ist, dann deshalb, weil die Bewegung zersplittert ist, weil jede<br />
Organisation alle<strong>in</strong>e handelt und die Massen nicht ihre mächtige Kraft spüren, die sie besitzen,<br />
wenn sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitlichen Aktionen auftreten. <strong>Die</strong>se Zersplitterung zu überw<strong>in</strong>den, e<strong>in</strong>e<br />
e<strong>in</strong>heitliche feste Front aller Gegner der Atomrüstung zu schaffen, das ist das Gebot der Stunde!«<br />
102<br />
Mit der KdA-Bewegung waren diese Vorstellungen, wenn auch nur für kurze<br />
Zeit, im Pr<strong>in</strong>zip verwirklicht. Dementsprechend waren natürlich auch Kommunisten<br />
an den Aktionen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> beteiligt. Insbesondere <strong>in</strong> den Betrieben arbeiteten<br />
sie an Beschlüssen und Kundgebungsaufrufen gegen die Wiederbewaffnung und<br />
zur geplanten Volksbefragung mit. 103 <strong>Die</strong> Bremer Bezirksleitung der <strong>KPD</strong> hatte be-<br />
<strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 154ff. Für die KdA auf Bundesebene siehe vor allem Hans-Karl Rupp, Außerparlamentarische<br />
Opposition <strong>in</strong> der Ära Adenauer, a.a.O.<br />
101 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 175.<br />
102 Volksfront gegen Atomkrieg, Tribüne der Demokratie Nr. 15(22), Ende Juli 1957.<br />
103 Herbert Breidbach, Das <strong>KPD</strong>-Verbot und die illegale Arbeit bis <strong>1968</strong>, a.a.O., S. 138.
320<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
reits anlässlich der Erklärung der »Gött<strong>in</strong>ger Achtzehn« 104 im April 1957 die Mitglieder<br />
aufgefordert,<br />
»alles zu tun zur Unterstützung der 18 Wissenschaftler, zur Unterstützung der Bewegung gegen<br />
die Atomkriegsvorbereitungen. Alle Voraussetzungen s<strong>in</strong>d gegeben, bis zu den Bundestagswahlen<br />
e<strong>in</strong>e breite Bewegung gegen die Bonner Regierung und ihre Atomkriegspolitik zu<br />
<strong>org</strong>anisieren. Setzt eure ganze Kraft für diese Bewegung e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Arbeiter, die Gewerkschaften,<br />
das ganze Volk wird dann umso schneller die Bedeutung und Stärke der <strong>KPD</strong> erkennen«.<br />
105<br />
Der E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> auf die Bewegung blieb jedoch auch hier nur sehr ger<strong>in</strong>g<br />
und auf die Initiative e<strong>in</strong>zelner Kommunisten beschränkt. <strong>Die</strong>s lag zum e<strong>in</strong>en an<br />
dem rigide ausgrenzenden Antikommunismus von SPD, Gewerkschaften und anderen<br />
Friedenskräften, zum anderen aber auch an der Lethargie und e<strong>in</strong>er der Illegalität<br />
geschuldeten Handlungsunfähigkeit der Partei. Anfang 1958 beklagte sich<br />
Hermann Gautier darüber auf e<strong>in</strong>er ZK-Tagung:<br />
»[Es ist] <strong>in</strong> der Partei e<strong>in</strong>fach nicht dr<strong>in</strong>, dass diese Frage des Kampfes um den Frieden und<br />
gegen die Atomrüstung die entscheidende Frage ist, die man überall <strong>in</strong> den Mittelpunkt rücken<br />
muss [...] dieser Gedanke, dass das die entscheidende Frage ist, dass es auf uns ankommt,<br />
ist <strong>in</strong> der Partei nicht dr<strong>in</strong>. <strong>Die</strong>se Orientierung fehlt. Das hängt natürlich auch damit<br />
zusammen, dass unsere ganze Arbeit <strong>in</strong> der Organisation noch zu schwach entwickelt ist, dass<br />
<strong>in</strong> den Leitungen, ganz zu schweigen von den Grund<strong>org</strong>anisationen, politisch viel zu wenig<br />
diskutiert wird. <strong>Die</strong> Genossen beschäftigen sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mit <strong>org</strong>anisatorischen und <strong>org</strong>anisationstechnischen<br />
Fragen.« 106<br />
Das Ziel der <strong>KPD</strong>, nach dem Verbot verstärkt legal <strong>in</strong> Friedensbündnissen zu<br />
arbeiten, konnte also zunächst nicht verwirklicht werden. Für die Öffentlichkeitsarbeit<br />
und das legale Wirken der Partei ungleich wichtiger waren deshalb <strong>in</strong> den ersten<br />
Jahren der Illegalität die Gruppe der »Unabhängigen Sozialisten« (US) <strong>in</strong> der<br />
Stadtbürgerschaft sowie das Auftreten bei Wahlen.<br />
104 Im April 1957 veröffentlichten 18 westdeutsche Atomwissenschaftler <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>e Erklärung, <strong>in</strong><br />
der sie sich gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen aussprachen. Anlass<br />
war e<strong>in</strong>e Erklärung von Bundeskanzler Adenauer wenige Tage zuvor, <strong>in</strong> der er e<strong>in</strong>e solche Atombewaffnung<br />
befürwortete. <strong>Die</strong> Atomphysiker warnten vor der Zerstörungskraft der sogenannten »taktischen«<br />
Atombomben und lehnten es ab, sich <strong>in</strong> irgend e<strong>in</strong>er Weise an deren Entwicklung zu beteiligen.<br />
<strong>Die</strong> Erklärung erregte weltweites Aufsehen und löste <strong>in</strong> der Bundesrepublik e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Diskussion<br />
und Bewegung gegen die Atombewaffnung aus, die schließlich zur KdA-Kampagne führte. Vgl. dazu<br />
ausführlich Hans-Karl Rupp, Außerparlamentarische Opposition <strong>in</strong> der Ära Adenauer, a.a.O., S. 73ff.<br />
(dort auch der Wortlaut der Erklärung und e<strong>in</strong>e Liste der Unterzeichner, S. 74f.). Zur Reaktion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit, a.a.O., S. 226ff.; Christoph Butterwegge,<br />
Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 155ff.<br />
105 Kommunistische Partei Deutschlands, Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong>: An alle Mitglieder der <strong>KPD</strong>! Genoss<strong>in</strong>nen<br />
und Genossen! [13. April 1957], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/3.<br />
106 Stenographische Niederschrift der 8. Tagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO DY IV 2/10.03/251, S. 135.
<strong>Die</strong> Bundestagswahl 1957<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 321<br />
<strong>Die</strong> Bundestagswahl im September 1957 war für die <strong>KPD</strong> die erste größere Gelegenheit,<br />
an die Öffentlichkeit zu treten, verbunden mit dem Zwang zu e<strong>in</strong>er Wahlempfehlung.<br />
In <strong>Bremen</strong> kam es über diese Frage zu <strong>in</strong>tensiven partei<strong>in</strong>ternen Diskussionen<br />
und Ause<strong>in</strong>andersetzungen, die e<strong>in</strong>e zwar kle<strong>in</strong>e, aber <strong>in</strong>sgesamt ›lebendige‹<br />
Parteibasis offenbarte.<br />
Politbüro und Zentralkomitee der <strong>KPD</strong> beschlossen zunächst im Februar 1957<br />
die Aufstellung von E<strong>in</strong>zelkandidaten der Partei und außerdem, für die Zweitstimme<br />
(Landeslisten) auf die Wahl der SPD zu orientieren. 107 Veröffentlicht wurden<br />
diese Orientierungen im Bundestagswahlprogramm (März 1957), wobei e<strong>in</strong>e<br />
namentliche Wahlempfehlung für die SPD vermieden wurde. 108<br />
Hermann Gautier - seit der Entscheidung des Staatsgerichtshofes Anfang 1957<br />
wieder <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, um die legalen Auftrittsmöglichkeiten als Bürgerschaftsabgeordneter<br />
zu nutzen - war als E<strong>in</strong>zelkandidat für den Wahlkreis <strong>Bremen</strong>-West v<strong>org</strong>esehen.<br />
Gautier gelang es nicht, diese Kandidatur <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong>nerparteilich<br />
durchzusetzen. Besonders <strong>in</strong> dem betreffenden Wahlkreis gab es nach Gautiers Angaben<br />
»aktiven Widerstand«. 109 Gautier schilderte die Bremer V<strong>org</strong>änge auf e<strong>in</strong>er<br />
ZK-Tagung im Juli 1957, nachdem das Politbüro die im Februar beschlossene Wahltaktik<br />
wieder geändert hatte: Auf die Aufstellung von E<strong>in</strong>zelkandidaten sollte nun<br />
doch verzichtet und außerdem e<strong>in</strong> Wahlaufruf zugunsten der SPD veröffentlicht<br />
werden. 110<br />
Obwohl damit die E<strong>in</strong>zelkandidaturen verworfen wurden, kritisierte das Politbüro<br />
Gautier für die Nichtdurchsetzung des Beschlusses vom Februar und verlangte<br />
Rechenschaft, warum er »nicht alles getan habe, damit diese Taktik durchgeführt<br />
107 Stenographische Niederschrift der 3. Tagung des Zentralkomitees der <strong>KPD</strong> 23./25. Februar 1957, SAPMO DY<br />
IV 2/10.03/248.<br />
108 Wörtlich hieß es: »Wir lassen uns nicht durch das undemokratische V<strong>org</strong>ehen der Bonner Regierung<br />
daran h<strong>in</strong>dern, selbständig <strong>in</strong> den Wahlkampf e<strong>in</strong>zugreifen, so wie wir zu allen politischen Fragen von<br />
Bedeutung selbständig Stellung nehmen. Sollte sich unsere Partei nicht selbst zur Wahl stellen können,<br />
dann fordern wir die Wähler auf, solchen Kandidaten ihre Stimmen zu geben, deren Grundsätze unserem<br />
Programm am nächsten kommen. Dann fordern wir die Wähler auf, ihre erste Stimme den Wahlkreiskandidaten<br />
zu geben, die durch ihr Verhalten <strong>in</strong> der Vergangenheit und durch die Klarheit ihres<br />
Programms die beste Gewähr dafür bieten, dass sie auch nach der Wahl konsequent für e<strong>in</strong>e Politik des<br />
Friedens und der Sicherheit, für die Interessen der Arbeiterklasse und der Bauern e<strong>in</strong>treten. [...] Wenn<br />
es unserer Partei unmöglich gemacht wird, eigene Landeslisten aufzustellen, dann fordern wir die<br />
Wähler auf, ihre zweite Stimme den Landeslisten der Partei zu geben, die sich für e<strong>in</strong>e Wende <strong>in</strong> der<br />
Bundespolitik e<strong>in</strong>setzen will und die der Arbeiterschaft am nächsten steht.« (Bundestagswahlprogramm<br />
der <strong>KPD</strong> 1957, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 2, S. 157ff., hier S. 172f.; Hervorhebungen<br />
im Orig<strong>in</strong>al).<br />
109 Stenographisches Protokoll der 6. Tagung der Kommunistischen Partei Deutschlands, SAPMO DY IV<br />
2/10.03/249.<br />
110 Auf der darüber beratenden ZK-Tagung gab es noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>tensive Diskussionen über die Frage der<br />
Wahltaktik (Stenographisches Protokoll der 6. Tagung der Kommunistischen Partei Deutschlands, SAPMO DY<br />
IV 2/10.03/249). Vgl. Andreas Voigt, Nach dem Verbot, a.a.O., S. 40ff; Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong><br />
und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 91. Wortlaut des Aufrufs: Schlagt Adenauer, den Fe<strong>in</strong>d unseres<br />
Volkes! Wahlaufruf der <strong>KPD</strong> zu den Bundestagswahlen 1957, Juli 1957, <strong>in</strong>: <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> lebt und kämpft. Dokumente<br />
der Kommunistischen Partei Deutschlands 1956-1962, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1963, S. 120ff.
322<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
wurde«. 111 Gautier schilderte daraufh<strong>in</strong> vor dem Zentralkomitee, nach nochmaliger<br />
Aufforderung des Parteivorsitzenden Max Reimann (»Das ist e<strong>in</strong> sehr wichtiger<br />
Fall«), ausführlich die V<strong>org</strong>änge <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. 112<br />
Demnach war <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> bereits vor Weihnachten 1956 die Frage nach<br />
dem Verhalten zur Bundestagswahl im September 1957 aufgetaucht. »<strong>Die</strong> Genossen<br />
standen auf dem Standpunkt, es gibt für uns nichts anderes, man muss SPD wählen,<br />
und diese L<strong>in</strong>ie wurde systematisch, weil sie <strong>in</strong> den Leitungen saßen, <strong>in</strong> die<br />
Partei h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen.« Gautier maß die Verantwortung dafür den Funktionären<br />
zu, »die <strong>in</strong> den mittleren Leitungen der Partei sitzen, <strong>in</strong> den Kreisleitungen, <strong>in</strong> den<br />
Stadtteilleitungen«. Als Hauptopponenten Gautiers traten Willy Hundertmark - <strong>in</strong><br />
dieser Zeit Stadtteilleiter <strong>in</strong> Gröpel<strong>in</strong>gen - 113 und, ebenfalls aus Gröpel<strong>in</strong>gen, Erich<br />
Funke hervor, die nach Gautiers Worten, »früher <strong>in</strong> der Landesleitung und <strong>in</strong> unserer<br />
Partei<strong>org</strong>anisation e<strong>in</strong>e große Rolle gespielt haben und die auch <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />
durch ihre Tätigkeit sich immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> der Partei gesichert<br />
haben«.<br />
<strong>Die</strong> Bremer Parteibasis votierte also sehr früh für e<strong>in</strong>e Unterstützung der SPD<br />
bei der Bundestagswahl und wich von dieser E<strong>in</strong>stellung auch nicht nach dem Februar-Beschluss<br />
des ZK ab, Gautier als E<strong>in</strong>zelkandidaten aufzustellen. Es kam zu<br />
schweren Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen Hundertmark und Funke e<strong>in</strong>erseits und<br />
dem ehemaligen Landesvorsitzenden Gautier andererseits. <strong>Die</strong> Bremer Verantwortlichen<br />
lehnten die E<strong>in</strong>zelkandidatur vehement ab, verdächtigten Gautier, er »möchte<br />
gern se<strong>in</strong> Bild an den Anschlagsäulen sehen, oder vielleicht reizen ihn die Diäten<br />
e<strong>in</strong>es Bundestagsabgeordneten«, und argumentierten, e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelkandidatur würde<br />
»unser Verhältnis zu den Sozialdemokraten stören«. <strong>Die</strong> Notwendigkeit zur Abgrenzung<br />
gegenüber dem sozialdemokratischen E<strong>in</strong>zelkandidaten mache die Empfehlung,<br />
mit der Zweitstimme SPD zu wählen, letztlich unglaubwürdig. Der Widerstand<br />
g<strong>in</strong>g so weit, dass Funke sogar androhte, im Falle der Kandidatur Gautiers<br />
auch öffentlich dagegen aufzutreten.<br />
Schon diese Opposition gegen e<strong>in</strong>en Beschluss des Zentralkomitees wie auch<br />
die e<strong>in</strong>deutige Option auf die Wahl der SPD war bemerkenswert, wenn auch nicht<br />
unbed<strong>in</strong>gt verwunderlich angesichts der Brisanz des Frage und der selbst im ZK<br />
vorhandenen Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten und langen Diskussionen. <strong>Die</strong> Verärgerung<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong>dizierte aber auch erstmals e<strong>in</strong> pr<strong>in</strong>zipielles <strong>in</strong>nerparteiliches<br />
Phänomen, das se<strong>in</strong>e Ursachen <strong>in</strong> den gänzlich andersartigen Organisationsstrukturen<br />
<strong>in</strong> der Illegalität hatte. <strong>Die</strong> vor Ort arbeitenden Kommunisten begannen, sich<br />
eigenständiger und unabhängiger von den zentralen Leitungen zu verhalten. <strong>Die</strong><br />
vor dem Verbot errichteten, e<strong>in</strong>seitig von oben nach unten oktroyierten Entscheidungsstrukturen<br />
wurden angesichts der Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität zusehends<br />
wirkungslos. Zwei von Hermann Gautier zitierte Äußerungen Erich Funkes mach-<br />
111 Stenographisches Protokoll der 6. Tagung der Kommunistischen Partei Deutschlands, SAPMO DY IV<br />
2/10.03/249.<br />
112 Ebenda, S. 111ff. Folgende Zitate ebenda.<br />
113 Vgl. Hendrik Bunke (Hrsg.), Willy Hundertmark, a.a.O., S. 85.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 323<br />
ten das <strong>in</strong> diesem Fall deutlich. Zum e<strong>in</strong>en betonte Funke die Eigenständigkeit und<br />
Verantwortung der örtlichen Kreis-, bzw. Stadtteilleitung für diese Frage:<br />
»Wie kannst du dich überhaupt unterstehen, über den Kopf der Leitung h<strong>in</strong>weg solche D<strong>in</strong>ge<br />
e<strong>in</strong>zuleiten? Du setzt dich e<strong>in</strong>fach über den Kopf der Leitung h<strong>in</strong>weg und diskutierst e<strong>in</strong>e solche<br />
Frage. Was s<strong>in</strong>d das für Zustände?! Wenn man das früher gemacht hätte, wo du der verantwortliche<br />
Mann <strong>in</strong> der Leitung warst, da hättest du aber mit uns verfahren.«<br />
<strong>Die</strong> folgende ›Frage‹ brachte die Problematik auf den Punkt: »Wer sagt mir<br />
denn, dass das die L<strong>in</strong>ie der Partei ist, dass der Hermann hier kandidieren soll?<br />
Wer bestätigt mir denn das eigentlich?«. Zweifellos waren die schwieriger gewordenen<br />
Kommunikationswege bei der Vermittlung der Parteil<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong> zentrales Problem<br />
der <strong>KPD</strong> nach dem Verbot. In diesem Fall nutzten es Funke und Hundertmark<br />
- die vermutlich sehr wohl wussten, dass die Kandidatur Gautiers der Parteil<strong>in</strong>ie<br />
entsprach - um die Position der Gröpel<strong>in</strong>ger Stadtteil<strong>org</strong>anisation gegen das ZK<br />
und Gautier durchzusetzen. Auch Gautier selbst machte gegenüber dem ZK die<br />
Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität für die Nichtdurchsetzung der Parteibeschlüsse verantwortlich:<br />
»Es ist natürlich so, das kostet heute natürlich mehr Zeit als während der Legalität der Partei.<br />
Während der Legalität der Partei hätten wir e<strong>in</strong>e solche Geschichte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Parteiaktivtagungen,<br />
wenn es noch so hart hergegangen wäre, gelöst. Aber bei dem jetzigen Zustand der<br />
Partei, wo viele Genossen schwanken, nicht wissen, wo sie sich h<strong>in</strong>orientieren sollen, ist das<br />
bedeutend schwieriger.«<br />
In diesem Fall war es nicht nur schwieriger, sondern unmöglich: <strong>Die</strong> Bremer<br />
Parteibasis setzte sich durch. Es kam schließlich zu e<strong>in</strong>er Kreiskonferenz, auf der<br />
sich die Mehrheit der Anwesenden gegen e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelkandidatur Gautiers aussprach.<br />
114<br />
Öffentlich angedeutet hatte sich die klare Option für die SPD bereits Anfang<br />
März, als das Bundestagswahlprogramm des ZK noch nicht bekannt war. E<strong>in</strong><br />
Grußschreiben an den SPD-Landesparteitag forderte zu e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>heitlichen Handeln<br />
gegen die Bonner Regierung auf und formulierte Vorschläge für e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen<br />
Wahlkampf. Es gelte, ȟber das Trennende h<strong>in</strong>weg das geme<strong>in</strong>same<br />
Handeln zustande kommen zu lassen«. 115<br />
Am 9. Juli 1957 - wiederum vor Veröffentlichung des zentralen Wahlaufrufs der<br />
Partei - richtete die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>en Brief zur Führung des Bundestagswahlkampfes an<br />
den Bremer SPD-Landesvorstand, <strong>in</strong> dem noch mal betont wurde, dass für die <strong>KPD</strong><br />
das oberste Ziel bei den Bundestagswahlen die Niederlage der CDU sowie die Verh<strong>in</strong>derung<br />
der Atomrüstung sei. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> sei bereit, die SPD »<strong>in</strong> allen Maßnahmen<br />
zu unterstützen, die die Massen gegen die Adenauer-Politik <strong>in</strong> Bewegung br<strong>in</strong>gt<br />
und den Menschen zu e<strong>in</strong>er klaren Entscheidung bei den Bundestagswahlen verhilft.«<br />
116<br />
114 Gautier sprach vor dem ZK von »dieser berühmten Konferenz«.<br />
115 Handeln wir geme<strong>in</strong>sam!, Tribüne der Demokratie, Nr. 4(11), 1. Hälfte März 1957.<br />
116 Geme<strong>in</strong>sam Adenauer schlagen, Tribüne der Demokratie Nr.14(21), Mitte Juli 1957.
324<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
NachdemAufrufdesZKder<strong>KPD</strong>vom20.Juli,derauch<strong>in</strong><strong>Bremen</strong><strong>in</strong>Form<br />
von Flugblättern veröffentlicht wurde, 117 forderte die Bremer <strong>KPD</strong> nun auch offen<br />
dazu auf, die SPD zu wählen. <strong>Die</strong> Gegner der E<strong>in</strong>zelkandidatur Hermann Gautiers<br />
sahen sich bestätigt, man habe »die Partei vor e<strong>in</strong>er falschen Entscheidung bewahrt«.<br />
118<br />
Trotzdem sah sich die Partei natürlich auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> weiterh<strong>in</strong> im Rechtfertigungszwang<br />
gegenüber den Mitgliedern. 119 <strong>Die</strong> Tribüne der Demokratie betonte <strong>in</strong><br />
der Folgezeit, dass mit e<strong>in</strong>em Wahlsieg der SPD ke<strong>in</strong>e grundlegende Änderung der<br />
politischen Verhältnisse e<strong>in</strong>treten werde, sondern dass es zunächst vor allem darum<br />
gehe »Adenauer e<strong>in</strong>e Niederlage bei den Bundestagswahlen zu bereiten«. 120<br />
<strong>Die</strong>se Betonung der Kritik an der SPD schien vor allem notwendig zu se<strong>in</strong>, um<br />
nicht den E<strong>in</strong>druck zu erwecken, die SPD verfolge eigentlich die gleichen Ziele wie<br />
die <strong>KPD</strong>, wodurch diese <strong>in</strong> den Augen der Wähler und auch der Mitglieder als überflüssig<br />
dagestanden hätte. Dementsprechend hob die Tribüne der Demokratie hervor,<br />
dass es nur die <strong>KPD</strong> sei, »die den Massen e<strong>in</strong>e klare Orientierung zu geben<br />
vermag«. 121 <strong>Die</strong> Thesen des <strong>KPD</strong> Parteitages 1957 seien Ausdruck der Forderungen<br />
der Massen nach Frieden und Wohlstand und wiesen den Weg zur Erfüllung dieser<br />
Forderungen. »<strong>Die</strong>ses den Massen zu erläutern, das ist die wichtigste Aufgabe der<br />
Kommunisten im Wahlkampf.« 122 Daher dürfe die <strong>KPD</strong> sich nicht auf den Aufruf<br />
zur Wahl der SPD beschränken, sondern müsse vielmehr e<strong>in</strong>en eigenen und selbständigen<br />
Wahlkampf führen:<br />
»Wir dürfen <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall auf die Führung e<strong>in</strong>es eigenen Wahlkampfes verzichten. Wir können<br />
doch nicht dazu schweigen, wenn durch das Verbot unsere Partei geh<strong>in</strong>dert wird, sich an<br />
den Wahlen zu beteiligen! Würden wir den Aufruf unserer Partei so verstehen, dass wir uns<br />
zum Anhängsel der SPD machen, würde dies die Aktionse<strong>in</strong>heit ke<strong>in</strong>en Schritt vorwärts br<strong>in</strong>gen.«<br />
123<br />
117 Ermittlungsakten, Band XV.<br />
118 So zitierte Max Reimann Willy Hundertmark (Stenographisches Protokoll der 6. Tagung der Kommunistischen<br />
Partei Deutschlands, SAPMO DY IV 2/10.03/249, S. 118).<br />
119 Auch <strong>in</strong> dem Aufruf des ZK wurden diese Probleme deutlich: »Wir Kommunisten wissen, dass mit der<br />
Niederlage der Adenauer-Partei bei den Wahlen noch nicht die grundlegende Änderung der Politik<br />
und der gesellschaftlichen Verhältnisse <strong>in</strong> der Bundesrepublik erreicht wird. Dennoch treten wir dafür<br />
e<strong>in</strong>, der SPD den Sieg bei den Bundestagswahlen zu sichern und die Bildung e<strong>in</strong>er sozialdemokratisch<br />
geführten Regierung zu ermöglichen.« (Wähler<strong>in</strong>nen und Wähler <strong>in</strong> Stadt und Land. Aufruf der Kommunistischen<br />
Partei Deutschlands zur Bundestagswahl 1957, Flugblatt o.O, o.J). Der Aufruf ist ebenfalls abgedruckt<br />
<strong>in</strong> Freies Volk, Nr. 27(44), Ende Juli 1957.<br />
120 So heißt es z.B. <strong>in</strong> der ersten Ausgabe der Tribüne der Demokratie nach dem Aufruf: »Damit alle Kräfte<br />
vere<strong>in</strong>igt werden, um Adenauer e<strong>in</strong>e Niederlage bei den Bundestagswahlen, hat das Zentralkomitee<br />
der Partei dazu aufgerufen, die Stimme der SPD zu geben. Wir müssen zugleicherzeit der Illusion entgegentreten,<br />
dass mit e<strong>in</strong>em Wahlsieg der SPD die Wende <strong>in</strong> der Politik der Bundesrepublik herbeigeführt<br />
ist, auf die die Massen hoffen.« (Um die Verwirklichung der Beschlüsse des Parteitages, Tribüneder<br />
Demokratie Nr.15(22), Ende Juli 1957).<br />
121 Ebenda.<br />
122 Ebenda.<br />
123 Um die Verwirklichung der Beschlüsse des Parteitages 1957, Tribüne der Demokratie Nr. 17(24), 1. Hälfte<br />
August 1957. Hier wird auch e<strong>in</strong> weiteres Motiv der Beteiligung am Wahlkampf deutlich, nämlich <strong>in</strong><br />
der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die <strong>KPD</strong> trotz Verbots weiterexistiert und auch noch von Bedeutung
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 325<br />
<strong>Die</strong> Mitglieder wurden aufgefordert, sich aktiv am Wahlkampf zu beteiligen<br />
und Kontakt zu Sozialdemokraten zu suchen:<br />
»Das wichtigste ist die Aufklärung <strong>in</strong> Wort und Schrift. [...]. Wir müssen mehr als zuvor aus<br />
uns herausgehen, sichern, dass unsere Wahlmaterialien breit gestreut werden. Wichtig ist,<br />
dass unsere Betriebs- und Wohngebiets<strong>org</strong>anisationen eigene Flugblätter herausgeben, wo sie<br />
zu betrieblichen und örtlichen Fragen Stellung nehmen und diese mit der Entscheidung zu<br />
den Bundestagswahlen verb<strong>in</strong>den. Jeder Genosse sollte sich zur Pflicht machen, unverzüglich<br />
sozialdemokratische Genossen aufzusuchen, um mit ihnen zu beraten, wie der Wahlkampf<br />
geme<strong>in</strong>sam geführt werden kann, um e<strong>in</strong>e Niederlage Adenauers zu sichern.« 124<br />
Tatsächlich tauchten <strong>in</strong> den Wochen vor der Wahl verstärkt Materialien der<br />
<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> auf. Verteilt wurden der Aufruf des ZK, die Thesen des Parteitags<br />
sowie zahlreiche andere Flugblätter wie z.B. der bereits erwähnte gefälschte 10-<br />
Mark Sche<strong>in</strong>, auf dessen Rückseite Forderungen der <strong>KPD</strong> zur Wahl abgedruckt waren<br />
und der unterschrieben war mit »Wählt SPD! Kommunistische Partei Deutschlands«.<br />
125 Außerdem wurden z.B. CDU-Plakate mit Losungen wie »Wählt SPD -<br />
Freiheit für die <strong>KPD</strong>!« oder »Wählt SPD - Kämpft mit der <strong>KPD</strong>!« überklebt, und es<br />
kamen zahlreiche kle<strong>in</strong>e Handzettel mit ähnlichen Parolen zur Verteilung. 126<br />
Inwieweit der Wahlaufruf Erfolge zeigte, ist nicht genau festzustellen. Indiz dafür,<br />
dass die ehemalige <strong>KPD</strong>-Wählerschaft tatsächlich mehrheitlich für die SPD<br />
stimmte, waren die Ergebnisse <strong>in</strong> den Ortsteilen, <strong>in</strong> denen die <strong>KPD</strong> bei der Bürgerschaftswahl<br />
1955 relativ hohe Stimmenanteile (zwischen neun und 17 Prozent) verzeichnen<br />
konnte (Industriehäfen, Neuenland, Osterfeuerberg, Gröpel<strong>in</strong>gen, Oslebshausen,<br />
Burg-Grambke). Hier erzielte die SPD im Vergleich zu den Bürgerschaftswahlen<br />
von 1955 e<strong>in</strong>en Stimmenzuwachs zwischen 2,1 und 15 Prozentpunkten,<br />
während <strong>in</strong> allen anderen Ortsteilen ihr Anteil rückgängig war. 127<br />
<strong>Die</strong> Gruppe »Unabhängige Sozialisten« (US) <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft<br />
<strong>Die</strong> vier Abgeordneten der ehemaligen <strong>KPD</strong>-Fraktion - Wilhelm Meyer-Buer, Maria<br />
Krüger, Hermann Gautier und He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich - benannten sich Mitte Oktober<br />
1956 - also noch vor dem Urteil des Staatsgerichtshofes, das ihnen erlaubte bis 1959<br />
<strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft vertreten zu se<strong>in</strong> - zur Gruppe »Unabhängige Sozialisten«<br />
(US) um. 128 Natürlich bedeutete die Möglichkeit, im Parlament legal auftreten zu<br />
können, e<strong>in</strong>en enormen Vorteil für die Bremer <strong>KPD</strong>: »Das war sozusagen e<strong>in</strong> Teil<br />
ist. So heißt es beispielsweise auch <strong>in</strong> dem o.e. Brief an die SPD vom 9. Juli: »Wenn auch die reaktionären<br />
Kreise <strong>in</strong> Bonn unsere Partei als e<strong>in</strong>e ›bedeutungslose Gruppe‹ - die sie jedoch trotz dieser ›Bedeutungslosigkeit‹<br />
verbieten ließ - h<strong>in</strong>zustellen versucht, so beweisen doch viele Tatsachen, <strong>in</strong>sbesondere<br />
das Ergebnis der letzten Betriebsrätewahlen, dass der E<strong>in</strong>fluss und das Ansehen der Kommunisten unter<br />
der Bevölkerung gewachsen ist.« (Geme<strong>in</strong>sam Adenauer schlagen, Tribüne der Demokratie Nr. 14(21),<br />
Mitte Juli 1957).<br />
124 Um die Verwirklichung der Beschlüsse des Parteitages, Tribüne der Demokratie Nr.15(22), Ende Juli 1957.<br />
125 Ermittlungsakten, Band XV und XVI.<br />
126 Ermittlungsakten Band XVI.<br />
127 Materialien Statistisches Landesamt <strong>Bremen</strong> (Wahlamt).<br />
128 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 17. Oktober 1956.
326<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
der Öffentlichkeitsarbeit der sich <strong>in</strong> der Illegalität bef<strong>in</strong>denden Partei. So haben es<br />
auch alle aufgefasst.« 129 <strong>Die</strong>s wurde denn auch von den Abgeordneten, respektive<br />
der <strong>KPD</strong> versucht zu nutzen.<br />
Noch im Oktober 1956 gab die US erstmals ihr Mitteilungsblatt Weser-Post heraus,<br />
mit dem sie, so die Abgeordneten im Geleitwort, »die demokratische Öffentlichkeit<br />
unseres Landes über unsere Ansicht zu allen wichtigen, die Interessen der<br />
werktätigen Menschen berührenden Probleme, sowie über unsere Tätigkeit <strong>in</strong>- und<br />
außerhalb des Parlaments <strong>in</strong>formieren« wollten. 130 Angekündigt war zunächst e<strong>in</strong><br />
zweiwöchiges Ersche<strong>in</strong>en. <strong>Die</strong>se erste Ausgabe wurde allerd<strong>in</strong>gs sofort beschlagnahmt,<br />
die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungsverfahren wegen Fortführung der<br />
illegalen <strong>KPD</strong> gegen die Herausgeber e<strong>in</strong>. 131 Außerdem wurden aufgrund e<strong>in</strong>es<br />
Senatsbeschlusses öffentliche Versammlungen der Abgeordneten verboten und entsprechende<br />
Ankündigungsplakate beschlagnahmt. 132 <strong>Die</strong> US protestierte gegen<br />
diese aufgrund der noch nicht getroffenen Entscheidung des Staatsgerichtshofes<br />
möglichen, rechtlich allerd<strong>in</strong>gs zweifelhaften Maßnahmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em offenen Brief an<br />
die Bürgerschaft und warf der Justiz »Ges<strong>in</strong>nungsverfolgung« und E<strong>in</strong>griff »<strong>in</strong> die<br />
Kompetenz des Parlaments« vor. 133<br />
Mit dem Urteil des Staatsgerichtshofes war der rechtliche Status der ehemaligen<br />
<strong>KPD</strong>-Abgeordneten dann gesichert. <strong>Die</strong> zweite Ausgabe der Weser-Post erschien<br />
daraufh<strong>in</strong> Ende Januar 1957 134 und ab diesem Zeitpunkt relativ regelmäßig etwa alle<br />
zwei Wochen.<br />
Schon das Geleitwort der ersten Ausgabe hatte deutlich gemacht, dass die Weser-Post<br />
ke<strong>in</strong>esfalls nur die Thematiken behandeln wollte, die <strong>in</strong> den Zuständigkeitsbereich<br />
der (Stadt-)Bürgerschaft fielen. Das Blatt wurde quasi e<strong>in</strong> legales Organ<br />
der illegalen <strong>KPD</strong>, vermutlich das e<strong>in</strong>zige <strong>in</strong> der gesamten Bundesrepublik. <strong>Die</strong> Artikel<br />
nahmen Stellung zu allen wesentlichen deutschland- und friedenspolitischen<br />
Entwicklungen. <strong>Die</strong> kommunalen Themen standen im H<strong>in</strong>tergrund und wurden <strong>in</strong><br />
gewohnter Manier mit den bundespolitischen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht.<br />
Auch <strong>in</strong> der eigentlichen Parlamentstätigkeit der US stand die Öffentlichkeitsarbeit<br />
für die <strong>KPD</strong> im Vordergrund. Politisch konnte die US ohneh<strong>in</strong> kaum etwas<br />
bewegen, zumal sie nur <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft vertreten, also von den wesentlichen<br />
landespolitischen Entscheidungen ausgeschlossen war. 135 <strong>Die</strong> Beschränkung<br />
129 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 1.<br />
130 Zum Geleit, Weser-Post, Mitteilungsblatt der Bürgerschaftsabgeordneten H. <strong>Die</strong>trich, H. Gautier, M.<br />
Krüger, W. Meyer-Buer, Nummer 1, Ende Oktober 1956 [Privatarchiv Hermann Gautier].<br />
131 StaB 3-B.1. Nr.94 (3).<br />
132 Auszug aus Senatsprotokoll vom 16. Oktober 1956, <strong>in</strong>: StaB 3-K.13. Nr.100.<br />
133 Offener Brief an alle Abgeordneten der Bremer Bürgerschaft und die Bevölkerung des Landes <strong>Bremen</strong> (18. Dezember<br />
1956), <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier.<br />
134 Weser-Post, Mitteilungsblatt der Bürgerschaftsabgeordneten H. <strong>Die</strong>trich, H. Gautier, M. Krüger, W.<br />
Meyer-Buer, Nummer 2, Ende Januar 1957 [Privatarchiv Hermann Gautier].<br />
135 Allerd<strong>in</strong>gs bekam die Gruppe der US von der Bürgerschaftsverwaltung auch die Materialien des Landtags<br />
zugeschickt. Hermann Gautier führt dies auf das Wohlwollen des sozialdemokratischen Bürgerschaftspräsidenten<br />
August Hagedorn zurück, der immer alles getan habe, »um unsere Lage nicht noch<br />
weiter zu erschweren« (Interview Hermann Gautier, 3).
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 327<br />
auf re<strong>in</strong> kommunalpolitische Themen h<strong>in</strong>derte die US jedoch nicht daran, auch und<br />
<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie bundespolitische Thematiken zu behandeln. »<strong>Die</strong> konnten uns e<strong>in</strong><br />
Thema h<strong>in</strong>legen, was sie wollten: Wir haben immer die große Politik da re<strong>in</strong>gebracht.«<br />
136 Besonders die Haushalts- und F<strong>in</strong>anzdebatten der Stadtbürgerschaft<br />
nutzte die US für allgeme<strong>in</strong>politische Reden. »<strong>Die</strong> F<strong>in</strong>anzlage <strong>Bremen</strong>s und damit<br />
die Lebensfähigkeit dieses ohneh<strong>in</strong> schon zur Kritik veranlassenden Haushalts<br />
wird von zwei Seiten bee<strong>in</strong>flusst: von der krisenhaften Entwicklung der kapitalistischen<br />
Wirtschaft, die auch die Bundesrepublik erfasst hat, und zweitens durch die<br />
Aufrüstungspolitik der Bundesregierung«, sagte Wilhelm Meyer-Buer anlässlich<br />
der Haushaltsdebatte 1958 und umriss damit präzise die <strong>in</strong>haltlichen Schwerpunkte<br />
der US. 137 Der Haushalt <strong>Bremen</strong>s lasse sich nur durch Kürzung der Zahlungen an<br />
die »Bonner Rüstungskasse« sanieren: »E<strong>in</strong>e wesentliche Verbesserung unseres Etats<br />
ist durch ke<strong>in</strong> anderes Mittel zu erreichen als durch solche Maßnahmen, die die<br />
verhängnisvolle Aufrüstung Westdeutschlands stoppen und die atomare Bewaffnung<br />
verh<strong>in</strong>dern.« 138 <strong>Die</strong> Haushaltsreden, die Wilhelm Meyer-Buer und Hermann<br />
Gautier für die US 1957 bis 1959 hielten, wurden zu großen wirtschaftlichen und<br />
politischen Grundsatzerörterungen (»Gestatten Sie mir, der eigentlichen Analyse<br />
unseres Haushalts e<strong>in</strong>ige allgeme<strong>in</strong>e Darlegungen der westdeutschen Haushaltswirtschaft<br />
vorauszuschicken«) 139, die <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie der öffentlichen Verbreitung<br />
politischer Inhalte der <strong>KPD</strong> dienen sollten und auch nur konnten. Ähnlich war es<br />
mit den von der US zahlreich gestellten Änderungsanträgen zum Haushalt, die <strong>in</strong><br />
der Regel von der Stadtbürgerschaft erst gar nicht verhandelt wurden. Richard Boljahn,<br />
Fraktionsvorsitzender der SPD, dazu <strong>in</strong> der Haushaltsdebatte 1958: »Sie werden<br />
sich gewundert haben, dass me<strong>in</strong>e politischen Freunde zu den Anträgen der<br />
US-Gruppe ke<strong>in</strong>e Stellung genommen haben. E<strong>in</strong>e Überschlagsrechnung von mir<br />
hat ergeben, dass die Anträge, die die US-Gruppe <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft gestellt<br />
hat, an Ausgaben e<strong>in</strong>e Summe von 16.212.500 DM ergeben.« Das, so Boljahn, unterstreiche<br />
den »unmöglichen S<strong>in</strong>n« der gestellten Anträge, die US könne nicht <strong>in</strong><br />
Anspruch nehmen, <strong>in</strong> der Öffentlichkeit noch ernst genommen zu werden. 140<br />
Bei aller Kont<strong>in</strong>uität der Thematiken und der primären Nutzung des Parlaments<br />
als öffentliches Agitationsforum vermied die US jedoch weitgehend die rhetorische<br />
Schärfe und offensichtliche Plumpheit der Argumentation der Jahre nach<br />
1951. Sie setzte damit die auf stärkere E<strong>in</strong>beziehung kommunaler Themen orientierte<br />
parlamentarische L<strong>in</strong>ie seit 1954 fort. Dass die parlamentarische Tätigkeit dabei<br />
durchaus e<strong>in</strong>en eigenständigen Stellenwert besaß und ernst genommen wurde,<br />
136 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 1.<br />
137 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft (Stadtbürgerschaft), 26. März 1958, S. 24.<br />
138 Ebenda.<br />
139 Wilhelm Meyer-Buer <strong>in</strong> der Haushaltsdebatte 1957 (Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft<br />
(Stadtbürgerschaft) 28. März 1957, S. 18).<br />
140 Ebenda.
328<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
zeigten vor allem die schulpolitischen Beiträge von Maria Krüger, die sehr sachlich<br />
und fundiert waren. 141<br />
Dennoch hatte die US vor allem als legales Forum der verbotenen <strong>KPD</strong> Bedeutung,<br />
zumal die Abgeordneten natürlich ihren Status nutzen und auch außerhalb<br />
des Parlaments agieren, Veranstaltungen und Versammlungen <strong>org</strong>anisieren oder<br />
Flugblätter verteilen konnten. Dass der Öffentlichkeit bekannt war, dass diese Abgeordneten<br />
Kommunisten waren, war dabei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong>dernis, sondern<br />
eher noch förderlich. Hermann Gautier veranschaulichte dies auf e<strong>in</strong>er Parteivorstandssitzung<br />
anhand der Verteilung von Flugblättern vor Bremer Betrieben:<br />
»Wir machen das immer so, dass wir vier uns aufteilen: e<strong>in</strong>er geht zur AG Weser, e<strong>in</strong> anderer<br />
zum Hafen, der dritte zur Werft, der letzte zu Seebeck <strong>in</strong> Bremerhaven. Wenn wir dann sagen,<br />
dass sich die Bürgerschaft gegen die Atomrüstung aussprechen soll, dann kommen sie alle an<br />
und sagen: Endlich mal wieder die Kommunisten! Da gibt es natürlich auch e<strong>in</strong>ige, die mich<br />
persönlich kennen, die zu mir sagen: Lebste auch noch? Wie geht dir's denn?« 142<br />
Das war sicher e<strong>in</strong>e idealtypische Schilderung, gibt aber dennoch treffend die<br />
Atmosphäre <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und den Handlungsspielraum der <strong>in</strong> der Stadt als Kommunisten<br />
bekannten Abgeordneten wieder. Aus dieser Bedeutung der besonderen legalen<br />
Möglichkeiten ergab sich e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle der illegalen Partei<strong>org</strong>anisation,<br />
die aber andererseits auch von dem Abgeordnetenstatus der Mitglieder<br />
der US-Gruppe profitierte. Versammlungen mit Abgeordneten der Bürgerschaft<br />
konnten schwerlich als e<strong>in</strong> Treffen der verbotenen <strong>KPD</strong> ausgelegt werden. Auch<br />
dies nutzte die Partei. In der Weser-Post wurden gar regelmäßige »Bürostunden« -<br />
unter Angabe der Uhrzeiten - der vier Abgeordneten <strong>in</strong> der Privatwohnung von<br />
Maria Krüger angekündigt, <strong>in</strong> denen »Auskünfte für alle Interessenten <strong>in</strong> sozialen,<br />
kommunalen und politischen Fragen erteilt« werden sollten. 143 E<strong>in</strong> besseres legales<br />
Kontaktforum für <strong>KPD</strong>-Mitglieder war gar nicht denkbar.<br />
<strong>Die</strong> politische Wirkung der US <strong>in</strong> der Bürgerschaft blieb freilich ger<strong>in</strong>g. Den Akteuren<br />
selbst war dies bewusst. Hermann Gautiers E<strong>in</strong>schätzungen auf Parteivorstandstagungen<br />
waren zwar positiv, aber sehr verhalten. »Ich glaube«, so Gautier<br />
im Mai 1958, »dass die Herausgabe unserer Zeitung und damit also die Tatsache,<br />
dass wir eben da s<strong>in</strong>d [sic!] als ehemals bekannte Kommunisten, doch e<strong>in</strong>en gewissen<br />
E<strong>in</strong>fluss ausgeübt hat«. 144 Nüchterner und <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>schätzung der Effektivität<br />
der legalen Auftrittsmöglichkeiten wohl auch realistischer waren Kommentare anderer<br />
ZK-Mitglieder: »In <strong>Bremen</strong> haben wir noch 4 Genossen im Geme<strong>in</strong>deparlament.<br />
Hat unsere Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ihr Gesicht besser gezeigt als anderswo? Ich<br />
glaube, das kann man nicht sagen«. 145<br />
141 Siehe z.B. Wir brauchen mehr Lehrer <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, Weser-Post, Nummer 7, Ende Juli 1957 [Privatarchiv<br />
Hermann Gautier].<br />
142 Stenographische Niederschrift der 8. Tagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands<br />
[Januar 1958], <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/251, S. 133.<br />
143 Siehe z.B. Weser-Post, Nummer 2, Ende Januar 1957 [Privatarchiv Hermann Gautier].<br />
144 Protokoll der 9. Tagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands, Mitte Mai 1958, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO DY IV 2/10.03/252.<br />
145 Stenographische Niederschrift der 7. Tagung des ZK der <strong>KPD</strong> am 28. und 29.9. 1957, <strong>in</strong>:SAPMODYIV<br />
2/10.03/250.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 329<br />
E<strong>in</strong> neues legales Forum: <strong>Die</strong> »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für<br />
Frieden und Verständigung«<br />
1959 endete die Legislaturperiode der Bremischen Bürgerschaft, und es war absehbar,<br />
dass die Abgeordneten der US alle<strong>in</strong>e ke<strong>in</strong>e Chance haben würden, wieder <strong>in</strong><br />
das Landes- und Stadtparlament e<strong>in</strong>zuziehen. Schon die Zulassung zur Wahl am<br />
11. Oktober 1959 war unwahrsche<strong>in</strong>lich. <strong>Die</strong> parlamentarische Präsenz war aber natürlich<br />
trotz ihrer politischen Bedeutungslosigkeit als legales Öffentlichkeitsforum<br />
für die Partei wichtig und daher erhaltenswert. Darüber h<strong>in</strong>aus bot der Bürgerschaftswahlkampf<br />
e<strong>in</strong>e weitere gute Gelegenheit, programmatische Inhalte der Partei<br />
publik zu machen. Möglich war dies nur mit Bündnispartnern, speziell aus der<br />
nichtkommunistischen Friedensbewegung. Auch um hier wieder präsent zu se<strong>in</strong>,<br />
bot sich der Versuch e<strong>in</strong>er Sammlungsbewegung anlässlich der Wahl an.<br />
<strong>Die</strong> Initiative zur Gründung e<strong>in</strong>es friedens- und damit bundespolitisch orientierten<br />
Wahlbündnisses zur Bürgerschaftswahl g<strong>in</strong>g nicht von den Bremer Abgeordneten<br />
der <strong>KPD</strong> aus, sondern von der Parteileitung <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong>. Das Politbüro<br />
beschloss am 26./27. Juni 1959, <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> (und für die ebenfalls bevorstehenden<br />
Landtagswahlen <strong>in</strong> Württemberg) »e<strong>in</strong>e Sammlung aller Gegner der CDU-Politik<br />
und der atomaren Aufrüstung zu erreichen, um durch geme<strong>in</strong>same Wahlabmachungen<br />
die Voraussetzungen zu schaffen, die Prozentklauseln zu überw<strong>in</strong>den und<br />
den Befürwortern e<strong>in</strong>er neuen demokratischen Politik den Weg <strong>in</strong> die Parlamente<br />
zu ermöglichen«. 146 Der Beschluss basierte auf e<strong>in</strong>er Vorlage, die detailliert die e<strong>in</strong>zuleitenden<br />
Maßnahmen sowie Programmatik und Wahltaktik der zu gründenden<br />
»Wählervere<strong>in</strong>igung« festlegte. 147 <strong>Die</strong> aufgelisteten programmatischen Forderungen<br />
behandelten primär friedens- und deutschlandpolitische Aspekte, ganz oben<br />
standen die »Durchsetzung e<strong>in</strong>er Politik der Entspannung und des Friedens <strong>in</strong> der<br />
Bundesrepublik« sowie »die E<strong>in</strong>stellung der atomaren Bewaffnung der Bundesrepublik«.<br />
148 Auch die Schritte zur Gründung e<strong>in</strong>es dafür e<strong>in</strong>tretenden Wahlbündnisses<br />
nannte die Vorlage. <strong>Die</strong> »Unabhängigen Sozialisten« sollten sich mit e<strong>in</strong>em Brief<br />
an verschiedene Organisationen, Betriebsräte und E<strong>in</strong>zelpersönlichkeiten wenden<br />
mit dem »Vorschlag auf Durchführung e<strong>in</strong>er Aussprache zwecks geme<strong>in</strong>samen<br />
Auftretens bei der kommenden Wahl gegen die Bonner Politik und ihre Träger <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> und Bremerhaven. [...] Nachdem die Zustimmungserklärungen bei der<br />
Gruppe der Unabhängigen Sozialisten vorliegen, soll von ihnen die E<strong>in</strong>berufung<br />
e<strong>in</strong>er solchen Aussprache erfolgen«. 149 <strong>Die</strong>se erste Versammlung sollte die »allgeme<strong>in</strong>en<br />
Grundsätze« behandeln sowie den Beschluss für »die Bildung e<strong>in</strong>er Wählervere<strong>in</strong>igung«<br />
fassen. E<strong>in</strong>e »zweite Zusammenkunft« sollte das Wahlprogramm<br />
beschließen und die Kandidaten aufstellen. 150<br />
146 Sitzung PB 26./27. Juni 1959, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/257.<br />
147 Vorlage: Vorbereitung der Bürgerschaftswahl <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und der Geme<strong>in</strong>devertretung <strong>in</strong> Bremerhaven, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO DY IV 2/10.03/257.<br />
148 Ebenda.<br />
149 Ebenda.<br />
150 Ebenda.
330<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
ExaktnachdiesemPlanverliefdann<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>dieGründungder»Bremer<br />
Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für Frieden und Verständigung«.<br />
Wilhelm Meyer-Buer schrieb mit Datum vom 14. Juli 1959 - gut zwei Wochen nach<br />
dem Beschluss des Politbüros - den Brief an die verschiedenen Organisationen der<br />
Friedensbewegung und an mehrere E<strong>in</strong>zelpersonen. 151 Es gehe bei den Wahlen, so<br />
Meyer-Buer, vorrangig nicht um landes- oder kommunalpolitische Themen, da diese<br />
»aufs engste verbunden« seien mit der von atomarer Aufrüstung bestimmten<br />
Entwicklung <strong>in</strong> Westdeutschland und der gesamtdeutschen Situation. »Ob unsere<br />
spezifischen bremischen Belange ihre Befriedigung f<strong>in</strong>den, hängt <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie davon<br />
ab, dass es gel<strong>in</strong>gt, für die Zukunft e<strong>in</strong>e Atmosphäre des gesicherten Friedens<br />
zu schaffen.« 152 <strong>Die</strong> Bürgerschaftswahlen, so Meyer-Buer weiter, »könnten aufgrund<br />
aller äußeren und <strong>in</strong>neren Umstände zu e<strong>in</strong>em Bekenntnis der Bevölkerung<br />
des Landes <strong>Bremen</strong> für e<strong>in</strong>e Veränderung der Politik <strong>in</strong> der Bundesrepublik werden.<br />
<strong>Die</strong> notwendigste Voraussetzung dazu wäre, dass sich die konsequentesten<br />
Gegner der gegenwärtigen Bonner Politik zusammenschließen«. 153 <strong>Die</strong>se bräuchten<br />
<strong>in</strong> anderen Fragen nicht übere<strong>in</strong> zustimmen und könnten ihre volle Selbständigkeit<br />
wahren, notwendig sei jedoch vor den Bürgerschaftswahlen e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches Auftreten<br />
und die Koord<strong>in</strong>ierung der verschiedenen Bestrebungen. Weitere konkrete<br />
Schritte waren <strong>in</strong> dem Schreiben noch nicht genannt. Meyer-Buer schloss mit der<br />
Bemerkung, es liege ihm viel daran, »Ihre Gedanken zu dem angesprochenen Thema<br />
kennenzulernen. <strong>Die</strong> absichtlich unprogrammatische Darlegung e<strong>in</strong>es auch Sie<br />
<strong>in</strong>teressierenden Gegenstandes wird es Ihnen leichter machen, sich zu äußern und<br />
mir Ihre eigene Auffassung mitzuteilen«. 154<br />
Genau e<strong>in</strong>en Monat später, am 14. August, folgte - wie <strong>in</strong> der Vorlage des Politbüros<br />
geplant - das zweite Schreiben mit der E<strong>in</strong>ladung zu e<strong>in</strong>er vorbereitenden<br />
Versammlung. Absender war wiederum Wilhelm Meyer-Buer, gezeichnet hatten<br />
daneben auch der Tierarzt Dr. Erich Jacob, die Sozialrichter<strong>in</strong> Käthe Gläsemann<br />
sowie der Werftarbeiter Walter Oberle. 155 Man habe sich entschlossen, »die Bildung<br />
e<strong>in</strong>er Wählervere<strong>in</strong>igung anzustreben«, »um den Gegnern der Atompolitik und allen<br />
Anhängern der Verständigung e<strong>in</strong>en festen Platz <strong>in</strong> der Bürgerschaft zu sichern«.<br />
156<br />
Nach der vorbereitenden Versammlung und der Bildung e<strong>in</strong>es provisorischen<br />
Vorstands am 20. August 1959 fand am 27. August 1959 die ordentliche Gründungsversammlung<br />
der »Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für Frie-<br />
151 Brief: Wilhelm Meyer-Buer, 14. Juli 1959, <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier. Außerdem <strong>in</strong>: StaB 7,1076-<br />
1. Vgl. hierzu und dem folgenden auch Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S.<br />
199ff.<br />
152 Brief: Wilhelm Meyer-Buer, 14. Juli 1959, <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier.<br />
153 Ebenda.<br />
154 Ebenda.<br />
155 Brief: Wilhelm Meyer-Buer, 14. August 1959, <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier. Walter Oberle war<br />
Mitglied der <strong>KPD</strong>.<br />
156 Ebenda.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 331<br />
den und Verständigung« statt. 157 <strong>Die</strong> anwesenden 38 Gründungsmitglieder wählten<br />
den parteilosen Tierarzt Dr. Erich Jacob zum 1. Vorsitzenden und Wilhelm<br />
Meyer-Buer zu se<strong>in</strong>em Stellvertreter. Weiterh<strong>in</strong> wurde e<strong>in</strong> Statut 158 verabschiedet<br />
und e<strong>in</strong>e Kandidatenliste für die Bürgerschaftswahlen aufgestellt, der auch die vier<br />
Abgeordneten der US angehörten. In dem außerdem verabschiedeten, zehn Punkte<br />
umfassenden Programm zur Bürgerschaftswahl wurde <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die E<strong>in</strong>stellung<br />
der atomaren Aufrüstung der Bundesrepublik, die Beendigung des Kalten<br />
Krieges und die Beschränkung der Rüstungsausgaben gefordert. Daneben wurden<br />
aber auch soziale Maßnahmen wie Wohnungsbau, Bau von Schulen und Krankenhäusern<br />
und - als letzter Punkt - »Senkung der Steuern und Preise« verlangt. 159<br />
Von ihrer Gründung bis zur Wahl am 11. Oktober 1959 blieben der Wählervere<strong>in</strong>igung<br />
gerade e<strong>in</strong>mal sechs Wochen Zeit. Der kurze Wahlkampf wurde dennoch<br />
engagiert und mit verhältnismäßig großem materiellen Aufwand geführt. 160 Das<br />
Ergebnis der Wahl war für die Wählervere<strong>in</strong>igung und die sie tragende illegale<br />
<strong>KPD</strong> enttäuschend: Sie erzielte e<strong>in</strong>en Stimmenanteil von 2,6 Prozent, das entsprach<br />
10.153 Wählerstimmen, und kam nicht <strong>in</strong> die Bürgerschaft.<br />
Das Ergebnis zeigte, dass es der Wählervere<strong>in</strong>igung mit ihrer sozialistische Inhalte<br />
aussparenden Programmatik nur sehr begrenzt gelang, die rund 17.000 <strong>KPD</strong>-<br />
Wähler von 1955 für sich für sich zu gew<strong>in</strong>nen und zu mobilisieren. Deutlich wird<br />
dies vor allem <strong>in</strong> den klassischen Arbeiterbezirken <strong>Bremen</strong>s, die ehemals Hochburgen<br />
der <strong>KPD</strong> waren. In den Ortsteilen Osterfeuerberg, Gröpel<strong>in</strong>gen und Oslebshausen<br />
erzielte die Wählervere<strong>in</strong>igung zwischen 5,5 und 7,0 Prozent der Stimmen. 161<br />
<strong>Die</strong>s waren zwar im Vergleich zu den anderen Ortsteilen die höchsten Stimmenanteile,<br />
das Ergebnis der <strong>KPD</strong> bei den Wahlen von 1955 (zwischen 11,8 und 13,8 Prozent)<br />
konnte die Wählervere<strong>in</strong>igung damit jedoch nicht annähernd erreichen. 162 E<strong>in</strong><br />
Großteil der ehemaligen <strong>KPD</strong>-Stimmen dürfte der SPD zugute gekommen se<strong>in</strong>, die<br />
ihren Anteil <strong>in</strong> den genannten Ortsteilen im Vergleich zu 1955 beträchtlich steigern<br />
konnte. 163<br />
157 Protokoll der ordentlichen Gründungsversammlung der »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung,<br />
für Frieden und Verständigung« am 27.8.59, <strong>in</strong>: StaB 7,1076-1.<br />
158 Statut der »Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für Frieden und Verständigung«, <strong>in</strong>: Privatarchiv<br />
Hermann Gautier.<br />
159 Programm der Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für Frieden und Verständigung, abgedruckt <strong>in</strong>:<br />
Christoph Butterwegge et al. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg, a.a.O., S. 218f.<br />
160 Siehe diverse Plakate, Flugblätter und Broschüren <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier; vgl. auch Christoph<br />
Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 201f.<br />
161 Materialien Statistisches Landesamt <strong>Bremen</strong> (Wahlamt).<br />
162 Auch wenn das Ergebnis immer noch durchaus als Indiz für den vergleichsweise langsamen Niedergang<br />
der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> gedeutet werden kann (vgl. Andreas Voigt, nach dem Verbot, a.a.O., S. 44<br />
und S. 134).<br />
163 In Osterfeuerberg von 59,3 auf 68,2 Prozent, <strong>in</strong> Gröpel<strong>in</strong>gen von 58,6 auf 68,8 Prozent und <strong>in</strong> Oslebshausen<br />
von 62,2 auf 70,8 Prozent (Materialien Statistisches Landesamt <strong>Bremen</strong>). Hermann Gautier<br />
vermutet ebenfalls, dass »ganz bewusste <strong>KPD</strong>-Wähler« 1959 SPD wählten, um zum e<strong>in</strong>en angesichts<br />
der vermuteten Erfolglosigkeit der Wählervere<strong>in</strong>igung ihrer Stimme mehr Gewicht gegen »die<br />
Schwarzen« zu verleihen, und weil ihnen zum anderen die Programmatik der Wählervere<strong>in</strong>igung zu<br />
sehr auf friedenspolitische Aspekte konzentriert war (Interview Hermann Gautier, 3).
332<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> sah den Wahlausgang dennoch als Erfolg. »Freies Volk«, das Organ<br />
des Zentralkomitees, wertete den klaren Wahlsieg der SPD (die mit 54,9 Prozent ihr<br />
bis dah<strong>in</strong> höchstes Ergebnis <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> erzielt hatte) als e<strong>in</strong>e Absage an die Bonner<br />
Regierungspolitik, was die Bremer Sozialdemokraten verpflichte, »die Herrschaft<br />
Adenauers <strong>in</strong> Bonn schonungslos anzugreifen«. 164 Ähnlich äußerte sich später auch<br />
die Wählervere<strong>in</strong>igung und wertete die »trotz Benachteiligung« erzielten rund<br />
10.000 Wählerstimmen als »positives Resultat«. 165<br />
<strong>Die</strong> Wählervere<strong>in</strong>igung sollte »e<strong>in</strong> überparteilicher Zusammenschluss von<br />
Männern und Frauen aus verschiedenen politischen und weltanschaulichen Richtungen«<br />
166 se<strong>in</strong>, blieb aber tatsächlich auf die <strong>KPD</strong> und ihr engstes Umfeld beschränkt.<br />
Und nicht e<strong>in</strong>mal das konnte genügend mobilisiert werden: <strong>Die</strong> Mitgliederzahlen<br />
blieben ger<strong>in</strong>g, 167 und für die Unterstützung des Wahlkampfes konnten<br />
auch nur wenige Kommunisten gewonnen werden. 168 Unter den Bed<strong>in</strong>gungen des<br />
Kalten Krieges war daher e<strong>in</strong> Erfolg der Wählervere<strong>in</strong>igung eigentlich von vornhere<strong>in</strong><br />
ausgeschlossen, auch wenn die nach nur kurzer Vorbereitungszeit erzielten<br />
10.000 Stimmen zum<strong>in</strong>dest als Achtungserfolg angesehen werden konnten. Politisches<br />
Gewicht auf parlamentarischer Ebene und <strong>in</strong>nerhalb der Friedensbewegung<br />
konnte die <strong>KPD</strong> wie mit den vorangegangenen Bündnisbestrebungen und der Bürgerschaftspräsenz<br />
der »Unabhängigen Sozialisten« nicht gew<strong>in</strong>nen.<br />
Ihre primäre Bedeutung lag denn auch vielmehr <strong>in</strong> der Möglichkeit für die<br />
<strong>KPD</strong>, bzw. für die vier Abgeordneten der US und andere Kommunisten, an den<br />
Wahlen teilzunehmen und im Wahlkampf offen auftreten zu können. Von daher ist<br />
die »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für Frieden und Verständigung«<br />
im wesentlichen als Öffentlichkeitsforum und lokale Ersatz<strong>org</strong>anisation<br />
und der verbotenen <strong>KPD</strong> zu charakterisieren. Als solche war sie offenbar gedacht,<br />
169 und als solche arbeitete sie auch <strong>in</strong> der Folgezeit weiter. Sie wurde <strong>in</strong> den<br />
1960er Jahren zu e<strong>in</strong>er legalen Plattform der verbotenen Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. <strong>Die</strong> Wählervere<strong>in</strong>igung<br />
veranstaltete Versammlungen und Kundgebungen, brachte Erklärungen<br />
heraus und beschränkte sich dabei nicht auf rüstungspolitische Themen. 170<br />
Nicht-Kommunisten zogen sich offenbar aus der Organisation zurück. Vorsitzende<br />
wurden mit Walter Oberle und Wilhelm Meyer-Buer zwei <strong>KPD</strong>-Mitglieder. Im Zuge<br />
der allmählichen Verbesserung des politischen Klimas ab Mitte der 1960er Jahre<br />
traten auf den nun sehr häufig veranstalteten öffentlichen Versammlungen aus-<br />
164 Von <strong>Bremen</strong> müssen jetzt starke Impulse ausgehen, Freies Volk Nr. 42, 3. Oktober-Woche 1959 (zitiert nach<br />
Andreas Voigt, Nach dem Verbot, a.a.O., S. 43).<br />
165 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 203.<br />
166 Für e<strong>in</strong>e friedliche Zukunft, Wahlbroschüre der »Wählervere<strong>in</strong>igung« zur Bürgerschaftswahl 1959, <strong>in</strong>:<br />
StaB 7,1076-1.<br />
167 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 201.<br />
168 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 1.<br />
169 Wilhelm Meyer-Buer spricht denn auch von dem »negativen Abschneiden unserer Partei 1959« und<br />
von den Bemühungen, »wieder anzuknüpfen an die Periode vor dem Verbot der Partei«. (Interview<br />
Wilhelm Meyer-Buer, 1).<br />
170 Siehe z.B. die Erklärung der »Wählervere<strong>in</strong>igung« zur B<strong>org</strong>ward-Krise 1961 <strong>in</strong> Neues Echo 9/1961<br />
(Beilage).
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 333<br />
schließlich bekannte <strong>KPD</strong>-Mitglieder als Redner auf (Wilhelm Meyer-Buer, Hermann<br />
Gautier, Ulrich Konetzka, Herbert Breidbach, Maria Krüger). 171 Ohneh<strong>in</strong><br />
wurde ab 1961 der bündnispolitische Aspekt der Wählervere<strong>in</strong>igung mit der Gründung<br />
der »Deutschen Friedensunion« (DFU) obsolet.<br />
Insgesamt markiert die Gründung der Wählervere<strong>in</strong>igung trotz ihrer politischen<br />
Wirkungslosigkeit e<strong>in</strong>en Wendepunkt <strong>in</strong> der illegalen Arbeit der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong>, der es bis zu diesem Zeitpunkt - trotz der Existenz der US, die ja ke<strong>in</strong>e politische<br />
Organisation im eigentlichen S<strong>in</strong>ne darstellte - im wesentlichen nicht gelungen<br />
war, sich breitere legale politische Betätigungsfelder zu schaffen, und somit auf<br />
die weitgehend wirkungslose illegale Tätigkeit beschränkt blieb. <strong>Die</strong>s begann sich<br />
mit Beg<strong>in</strong>n der 1960er Jahre langsam zu ändern.<br />
4. Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 1956-<strong>1968</strong><br />
Der politischen Arbeit <strong>in</strong> den Betrieben und Gewerkschaften maß die <strong>KPD</strong> auch <strong>in</strong><br />
der Illegalität e<strong>in</strong>e zentrale Rolle bei. In den Thesen des illegalen Parteitages von<br />
1957 hieß es:<br />
»Der wichtigste Kampfplatz für die Kommunisten s<strong>in</strong>d die Betriebe, vor allem die Großbetriebe;<br />
denn hier wird die Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischen Kapital und Arbeit am unmittelbarsten<br />
geführt. Darum muss man entschieden allen Tendenzen der Verlagerung der Parteiarbeit<br />
aus den Wohngebieten entgegentreten, da das die Gefahr der Isolierung der Partei von entscheidenden<br />
Arbeiterschichten bedeutet.« 172<br />
E<strong>in</strong> solcher Anspruch stand freilich im Gegensatz zu dem bereits vor dem Verbot<br />
massiven E<strong>in</strong>flussverlust der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Betrieben sowie dem meist schlechten<br />
Zustand der Betriebsgruppen und ihrem starken Mitgliederverlust. <strong>Die</strong> Formulierung<br />
<strong>in</strong> der Parteitagsthese deutete schon an, dass sich Kommunisten nach dem<br />
Verbot nicht an ihrem Arbeitsplatz, sondern - wenn überhaupt - <strong>in</strong> ihren Wohngebietsgruppen<br />
politisch engagierten, e<strong>in</strong>e Tendenz, die ja auch schon vor dem Verbot<br />
zu beobachten war und die jetzt unter den verschärften Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität<br />
die Betriebsgruppen auf den letzten »harten Kern« der Mitgliedschaft reduzierte.<br />
Der Verzicht auf politische Aktivität im Betrieb für die <strong>KPD</strong> war verständlich. E<strong>in</strong>e<br />
kommunistische Betätigung im Betrieb war für den E<strong>in</strong>zelnen wesentlich gefährlicher<br />
als die oft eher im kle<strong>in</strong>en, privaten Rahmen bleibende Arbeit <strong>in</strong> den Wohngebieten:<br />
Wer sich im Betrieb der illegalen Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> verdächtig machte,<br />
musste mit dem Verlust se<strong>in</strong>es Arbeitsplatzes rechnen. 173 Der Rückzug war nicht<br />
171 Siehe z.B. Berichte über diverse öffentliche Versammlungen der Wählervere<strong>in</strong>igung 1966 <strong>in</strong> Neues Echo,<br />
November und Dezember 1966.<br />
172 Thesen des Parteitags der <strong>KPD</strong> 1957, a.a.O., S. 226.<br />
173 Wilhelm Meyer-Buer zur Mitgliederentwicklung: »Der Kalte Krieg und se<strong>in</strong>e Kampagne wirkte sich<br />
besonders stark <strong>in</strong> den Betrieben aus, und viele Genossen fürchteten natürlich, durch exponiertes Auf-
334<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
auf die erste, vielleicht noch durch Unsicherheit geprägte Zeit nach dem Verbot beschränkt.<br />
1957 monierte die Tribüne der Demokratie: »Es gibt <strong>in</strong> unserem Land immer<br />
noch Betriebe, und nicht nur Kle<strong>in</strong>betriebe, <strong>in</strong> denen mehrere Genossen arbeiten,<br />
ohne Kontakt untere<strong>in</strong>ander zu haben. Wie kann das angehen? Manche Genossen<br />
s<strong>in</strong>d immer noch der Me<strong>in</strong>ung, dass ihre Arbeit <strong>in</strong> der Wohngruppe nützlicher<br />
ist.« 174<br />
In den folgenden Jahren änderte sich dieses Bild nicht. Während der gesamten<br />
IllegalitäthattenauchdiegrößtenBetriebsgruppen<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>nichtmehralszehn<br />
bis 15 Mitglieder. E<strong>in</strong>ige aus den vorliegenden Quellen ersichtliche Zahlen belegen<br />
dies. Demnach waren bei B<strong>org</strong>ward 1961 sieben <strong>KPD</strong>-Mitglieder erfasst, 175 die AG-<br />
»Weser« Betriebsgruppe hatte 1962 noch 14 Mitglieder, 176 und die Hafenbetriebsgruppe<br />
bezifferte ihre Mitgliederstärke auf zwölf 177. Auf der Klöckner-Hütte wurde<br />
erst 1962 e<strong>in</strong>e Betriebsgruppe mit fünf Mitgliedern gegründet. 178<br />
Zu der personellen Ausdünnung h<strong>in</strong>zu kamen <strong>in</strong> der ersten Zeit nach dem Verbot<br />
die für die gesamte Partei wirksamen Probleme bei der Organisationsumstellung<br />
und die mangelnde Unterstützung durch die illegalen und ortsfremden Leitungen.<br />
Noch e<strong>in</strong> Jahr nach dem Verbot empfahl die Tribüne der Demokratie den Leitungs<strong>org</strong>anen,<br />
der Betriebsarbeit mehr Aufmerksamkeit zu schenken: »[...] auch<br />
unsere Leitungen haben oftmals versäumt, die Genossen davon zu überzeugen,<br />
dass ihr Aufgabengebiet der Betrieb ist [....] Auch muss die Landesleitung besser<br />
die Arbeit <strong>in</strong> den Betrieben anleiten und mehr die Betriebsfragen <strong>in</strong> den Mittelpunkt<br />
rücken.« 179<br />
Trotz dieser Schwierigkeiten kamen die ersten öffentlichen Lebenszeichen der<br />
<strong>KPD</strong> nach dem Verbot aus den Betrieben. Bereits vier Wochen nach dem Verbot erschienen<br />
<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wieder die ersten Betriebszeitungen der <strong>KPD</strong>. Während der<br />
folgenden Jahre bis <strong>1968</strong> erschienen die meisten Betriebszeitungen selten und eher<br />
sporadisch. Ausnahme war »De Stauhoken« aus dem Bremer Hafen, wie e<strong>in</strong>e Aufstellung<br />
des SED-Arbeitsbüros von 1966 zeigt. 180<br />
treten <strong>in</strong> ihrem Betrieb ihre Arbeit zu verlieren, und s<strong>in</strong>d weggeblieben, e<strong>in</strong> ganz verständlicher V<strong>org</strong>ang.«<br />
(Interview Meyer-Buer, 1).<br />
174 Mehr Aufmerksamkeit für Betriebsfragen, Tribüne der Demokratie 17(24), 1. Hälfte August 1957.<br />
175 Information über die Aussprache des Politbüros des ZK der <strong>KPD</strong> mit den 1. Bezirkssekretären vom 13.9.1961, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO DY IV 2/10.03/55. Wilhelm Meyer-Buer schätzt die Zahl auf ca. 15 (Interview Meyer-Buer, 1).<br />
176 Aus der Beratung mit den 2. Sekretären (8. und 9.9.1962), <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/55.<br />
177 Bericht über e<strong>in</strong>e Aussprache mit Genossen vom Hafen <strong>Bremen</strong> am 5.10.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />
2/10.03./106.<br />
178 Auszüge aus e<strong>in</strong>em Brief der Leitung im Land vom 31.1.1962, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/105. Im Verlaufe<br />
der 1960er Jahre wuchs die Gruppe dann ungefähr auf das Niveau der anderen Großbetriebe. Herbert<br />
Breidbach schätzt, dass die Klöckner-Betriebsgruppe <strong>in</strong> etwa 17 bis 18 Mitglieder gehabt habe (Interview<br />
Herbert Breidbach, 1).<br />
179 Aus dem Leben der Partei, Tribüne der Demokratie 17(24), 1. Hälfte August 1957.<br />
180 Aufstellung der beim Arbeitsbüro e<strong>in</strong>gegangenen Betriebszeitungen der <strong>KPD</strong>, Stand April 1966, <strong>in</strong>: SAPMO IV<br />
2/10.03/134. Für das Jahr 1964 enthält die Liste ke<strong>in</strong>e Angaben. E<strong>in</strong>e andere Quelle gibt - ohne e<strong>in</strong>zelne<br />
Namensnennung - für dieses Jahr fünf verschiedene Betriebszeitungen mit <strong>in</strong>sgesamt 21 Ausgaben an,<br />
was <strong>in</strong> etwa dem Bild der übrigen Jahre entspricht (Anlage zur Sitzung vom 12.7.1967: Statistik Betriebszeitungen,<br />
Übersicht über die Entwicklung der Betriebszeitungen 1962-1966, <strong>in</strong>: SAPMO IV 2/10.03/66).
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 335<br />
Tabelle 8: Ersche<strong>in</strong>ungshäufigkeit von <strong>KPD</strong>-Betriebszeitungen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 1959 bis 1965<br />
1959 1960 1961 1962 1963 1965<br />
De Stauhoken (Hafen) 7 4 6 16 12 12<br />
Der Knurrhahn (Fischereihafen<br />
Bremerhaven)<br />
6 - - 1 - -<br />
Werft-Echo (AG »Weser«) - 1 2 3 5 1<br />
Wir blenden auf (Seebeck-<br />
Werft, bis 1962 auch Vulkan-<br />
Werft)<br />
2 1 - 7 6 6<br />
Vulkanarbeiter (Vulkan-Werft) - - - 3 3 -<br />
Atlas-Echo (Atlas-Werke) - - 1 2 - -<br />
Bl<strong>in</strong>ker (Lloyd-Werke) - 3 3 - - -<br />
Sche<strong>in</strong>werfer (B<strong>org</strong>ward) - 2 - - - -<br />
Der Stahlwerker (Klöckner) - - - - - 1<br />
Bauarbeiter (Baubetriebe) - - - - 2 1<br />
<strong>Die</strong> Übersicht gibt die tatsächlichen Zahlen vermutlich nicht ganz genau wieder - es<br />
handelte sich um die beim SED-Arbeitsbüro <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gegangenen Zeitungen<br />
- wohl aber doch <strong>in</strong> der Tendenz. »De Stauhoken« war die e<strong>in</strong>zige <strong>in</strong> jedem Jahr regelmäßig<br />
ersche<strong>in</strong>ende Betriebszeitung der <strong>KPD</strong>, woraus sich schon e<strong>in</strong> Rückschluss<br />
auf die später noch zu behandelnde Stärke und Rolle der Partei im Hafen<br />
ziehen lässt. <strong>Die</strong> übrigen erschienen mehr oder weniger selten und weit weniger<br />
kont<strong>in</strong>uierlich. Zu den aufgelisteten kamen vermutlich vere<strong>in</strong>zelt ersche<strong>in</strong>ende<br />
Blätter aus kle<strong>in</strong>eren Betrieben. 181<br />
Unter den Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität war für Kommunisten <strong>in</strong> den Betrieben<br />
die Zusammenarbeit mit den übrigen Betriebs- und Interessensgruppen besonders<br />
wichtig. E<strong>in</strong> für die <strong>KPD</strong> selten positives Beispiel dafür war die Klöckner-Hütte, seit<br />
Mitte der 1950er Jahre e<strong>in</strong>er der größten Betriebe <strong>Bremen</strong>s. »Ob im Schmutzkatalog<br />
e<strong>in</strong> bestimmter Passus im S<strong>in</strong>ne der Arbeiter geregelt wird, da vertraten rechte und<br />
l<strong>in</strong>ke Sozialdemokraten sowie die Kommunisten die gleiche Auffassung«, beschreibt<br />
der Betriebsrat Bonno Schütter die Verhältnisse bei Klöckner. 182 Hier - wie<br />
auch schon im V<strong>org</strong>ängerwerk Norddeutsche Hütte - war mit Max Müller e<strong>in</strong><br />
Kommunist langjähriger Betriebsratsvorsitzender, unabhängig von parteipolitischen<br />
Mehrheitsverhältnissen und Ause<strong>in</strong>andersetzungen.<br />
181 Das Deutsche Industrie<strong>in</strong>stitut erwähnte für das Jahr 1960 zusätzlich zu den o.g. »Solidarität« (Textilbetriebe)<br />
und »E<strong>in</strong>e Zeitung für Automobil<strong>in</strong>dustrie«. <strong>Die</strong> SED- und <strong>KPD</strong>-Quellen nennen diese nicht<br />
(Deutsches Industrie<strong>in</strong>stitut [Hrsg.], Kommunistische Betriebs- und Ortszeitungen, [Berichte zu Gewerkschaftsfragen<br />
1/61], Köln 1961). E<strong>in</strong>e Aufstellung des SED-Arbeitsbüros von 1967 nennt zusätzlich<br />
noch »Wir bauen auf« (zwei Ausgaben) (Aufstellung der beim Arbeitsbüro e<strong>in</strong>gegangenen Betriebszeitungen<br />
der <strong>KPD</strong>, Januar-August 1967, <strong>in</strong>: SAPMO IV 2/10.03/134).<br />
182 Zitiert nach Arne Andersen und Uwe Kiupel, IG Metall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 60. Erst <strong>1968</strong>/69 kam es zu<br />
größeren parteipolitischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen bei Klöckner (ebenda). Schütter selbst gehörte der<br />
Gruppe Arbeiterpolitik an.
336<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
Müllers E<strong>in</strong>fluss resultierte wie schon vor dem <strong>KPD</strong>-Verbot offenbar auf persönlicher<br />
Stärke und eben Kooperation. Klöckner sei damit, so Schütter, e<strong>in</strong>e Ausnahme<br />
von der sonstigen »ideologisch-politische(n) E<strong>in</strong>heit SPD/IG-Metall« gewesen,<br />
bei der das Parteibuch über den betrieblichen Aufstieg entschieden habe. Bei<br />
Klöckner habe sich »traditionell immer e<strong>in</strong>e gewisse L<strong>in</strong>ke« gehalten, »KP-Leute,<br />
die sich von der offiziellen L<strong>in</strong>ie ihrer Partei [...] wenig bee<strong>in</strong>flussen ließen. Genau<br />
genommen waren es e<strong>in</strong> Mann und e<strong>in</strong>e Frau, die sagten: ›Im Betrieb treten wir<br />
nicht als Kommunisten, sondern als Arbeiterfunktionäre auf, die versuchen, für die<br />
Kollegen was rauszuholen!‹«. 183 Dementsprechend existierte e<strong>in</strong>e <strong>KPD</strong>-<br />
Betriebsgruppe überhaupt erst seit 1962. 184 Über die Zahl der <strong>KPD</strong>-Mandate - die ja<br />
offenbar <strong>in</strong> diesem Fall nicht entscheidend waren - liegen kaum Angaben vor. Noch<br />
1961 vermerkte e<strong>in</strong>e Übersicht des Arbeitsbüros, bei Klöckner seien »erstmalig 2<br />
Genossen auf die Betriebsratsliste« gelangt. 1965 sprach allerd<strong>in</strong>gs Innensenator<br />
Hans Koschnick von »e<strong>in</strong>er gewissen Bedeutung im negativen S<strong>in</strong>ne« des Klöckner-<br />
Betriebsrats, da er »überwiegend mit KP-Anhängern« besetzt sei. 185<br />
Neben diesem Sonderfall konnte sich die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität nur im Hafen e<strong>in</strong>en<br />
großen E<strong>in</strong>fluss erhalten. Das häufige und regelmäßige Ersche<strong>in</strong>en der Betriebszeitung<br />
»De Stauhoken« deutet bereits auf e<strong>in</strong>e zum<strong>in</strong>dest stabile und e<strong>in</strong>flussreiche<br />
Position im Betrieb h<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe selbst war allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />
größer als die <strong>in</strong> anderen Bremer Großbetrieben: 1963 waren zwölf Parteimitglieder<br />
erfasst. 186<br />
<strong>Die</strong> Betriebszeitung, so e<strong>in</strong>ige Mitglieder der Gruppe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch <strong>in</strong> Ost-<br />
Berl<strong>in</strong>, »f<strong>in</strong>det im Betrieb meist Anklang und wird auch von den Arbeitern gelesen<br />
und weitergegeben. Der Mangel besteht dar<strong>in</strong>, dass die Mitarbeit an der Zeitung<br />
sehr schwach ist und der Inhalt der Zeitung oft von der Leitung alle<strong>in</strong> bestritten<br />
wird«. 187 Politisch war die Betriebsgruppe nicht aktiv. »Alle Diskussionen bei uns<br />
drehen sich ausschließlich um soziale und gewerkschaftliche Probleme im Hafen.<br />
Zur Diskussion über politische Fragen kommen wir nicht oder nur selten.« 188 Auch<br />
Schulungen gebe es nur selten und »die legalen Möglichkeiten, besonders die Schulung<br />
<strong>in</strong> der Gewerkschaft« würden »trotz guter Möglichkeiten für Diskussion und<br />
E<strong>in</strong>wirkung nicht genutzt«. 189 Der Verfasser des Berichts über das Gespräch mit der<br />
Betriebsgruppe vermerkte denn auch kritisch se<strong>in</strong>en »E<strong>in</strong>druck, dass sich die Genossen<br />
zu sehr illegal fühlen und nicht davon ausgehen, dass sie am sichersten<br />
183 Bonnos langer Marsch durch die »Hütte«. Bearbeitung e<strong>in</strong>es Interview-Textes vom 24. Februar 1970, <strong>in</strong>:<br />
Olaf D<strong>in</strong>né, Jochen Grünwaldt, Peter Kuckuk (Hrsg.), anno dunnemals - 68 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>Bremen</strong> 1998, S.<br />
175-186, hier S. 175.<br />
184 Auszüge aus e<strong>in</strong>em Brief der Leitung im Land vom 31.1.1962, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/105.<br />
185 Polizei das letzte Mittel gegen illegales Wirken, Weser-Kurier, 24. September 1965.<br />
186 Bericht über e<strong>in</strong>e Aussprache mit den Genossen vom Hafen <strong>Bremen</strong> am 5.10.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />
2/10.03/106.<br />
187 Ebenda.<br />
188 Ebenda.<br />
189 Ebenda.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 337<br />
s<strong>in</strong>d, je mehr sie legal auftreten. E<strong>in</strong>e kollektive Arbeit <strong>in</strong> der Leitung gibt es kaum<br />
und dementsprechend erst recht nicht <strong>in</strong> der Betriebsgruppe«. 190<br />
Trotz dieser ›Mängel‹ der Betriebsgruppe konnte sich die <strong>KPD</strong> ihre im Hafen<br />
traditionell starke Stellung im Betriebsrat sichern. Dem 1960 gewählten 15-köpfigen<br />
Betriebsrat gehörten elf <strong>KPD</strong>-Mitglieder oder als Sympathisanten geltende Arbeiter<br />
an. <strong>Die</strong> Sozialdemokraten kamen auf lediglich drei Mandate. 191<br />
<strong>Die</strong> folgende Betriebsratswahl im Februar 1962 war begleitet von e<strong>in</strong>em massiven<br />
Wahlkampf der SPD, mit dem die starke <strong>KPD</strong>-Stellung gebrochen werden sollte.<br />
Initiator war das Bremer SPD-Betriebsgruppensekretariat unter der Leitung von<br />
Horst Stäcker. Man habe im Hafen, so Stäcker, »e<strong>in</strong>en erbitterten Kampf auszufechten«.<br />
Zwar sei der »E<strong>in</strong>fluss des KP-Stauhokens« durch die eigene Hafenarbeiterzeitung<br />
(»D<strong>in</strong> Maker«) zurückgedrängt worden, allerd<strong>in</strong>gs würden erst die Betriebsratswahlen<br />
»Aufschluss darüber geben, wie weit sich die sozialdemokratische<br />
Betriebsgruppe durchsetzen konnte. E<strong>in</strong>e weitere noch verbesserte Aufklärungsund<br />
Schulungsarbeit über die illegale KP-Arbeit wird auch <strong>in</strong> Zukunft unumgänglich<br />
se<strong>in</strong>.« 192 <strong>Die</strong> offensichtlich parteipolitisch und antikommunistisch motivierte<br />
Kampagne der SPD führte, so Stäcker später, zu »stürmischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
während des Wahlkampfes« 193 und war relativ erfolgreich. In dem neuen Betriebsrat<br />
hatte die SPD mit acht Mandaten die Mehrheit, vier Mandate g<strong>in</strong>gen an<br />
<strong>KPD</strong>-Mitglieder. 194 <strong>Die</strong> SPD zog im »D<strong>in</strong> Maker« e<strong>in</strong> triumphierendes Fazit:<br />
»<strong>Die</strong> Mehrheitsverhältnisse haben sich geändert, denn erstmals zog der alte kommunistische<br />
Trick nicht mehr, durch leere Versprechungen <strong>in</strong> den Betriebsversammlungen und mit Hilfe<br />
e<strong>in</strong>es verrosteten Stauhakens die Hafenarbeiter zu verdummen. Ihre demagogische Rechnung<br />
g<strong>in</strong>g nicht auf; die Kollegen ließen sich nicht übertölpeln. Das Ergebnis dieser Wahl zeigt<br />
deutlich, dass die bremischen Hafenarbeiter klar erkannt haben, dass die Freunde der Ulbricht-Mauer<br />
ke<strong>in</strong>e Vertreter von Freiheit, Demokratie und sozialem Fortschritt se<strong>in</strong> können.<br />
<strong>Die</strong> Maker haben mit ihrem Stimmzettel den Handlangern des unmenschlichen Zonen-<br />
Regimes die Quittung erteilt und statt dessen junge und bewährte Gewerkschafter gewählt,<br />
von denen sie überzeugt se<strong>in</strong> können, dass diese ihren Wählerauftrag konsequent und ohne<br />
jede Nebenabsicht vertreten.« 195<br />
<strong>Die</strong> drastische Wortwahl machte die Motive der SPD für den massiven E<strong>in</strong>satz<br />
im Hafen sehr deutlich. Neben dem offensichtlichen Antikommunismus - der e<strong>in</strong><br />
halbes Jahr nach dem Mauerbau <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> auch hervorragend als Wahlkampfmittel<br />
von der SPD e<strong>in</strong>gesetzt werden konnte und die <strong>KPD</strong> vermutlich viele Stimmen kostete<br />
- war dies die Angst vor e<strong>in</strong>em kommunistisch <strong>org</strong>anisierten Hafenstreik wie<br />
190 Ebenda.<br />
191 SPD warnt vor Ulbrichts Freunden, Weser-Kurier, 29. Feburar 1964.<br />
192 SPD Ortsvere<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, Jahresbericht 1960/61, ausschnittweise zitiert <strong>in</strong> SAPMO IV 2/10.02/71.<br />
193 SPD warnt vor Ulbrichts Freunden, Weser-Kurier, 29. Februar 1964.<br />
194 <strong>Die</strong> SPD sprach von »sechs ›KP-Verdächtige(n)‹« (SPD warnt vor Ulbrichts Freunden, Weser-Kurier, 29.<br />
Februar 1964), die <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe gab die Zusammensetzung des Betriebsrats mit »4 <strong>KPD</strong>, 3<br />
Sympathisierende, 8 SPD« an (Bericht über e<strong>in</strong>e Aussprache mit den Genossen vom Hafen <strong>Bremen</strong> am<br />
5.10.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/106).<br />
195 D<strong>in</strong> Maker. <strong>Die</strong> Zeitung für die Arbeiter und Angestellten <strong>in</strong> den bremischen Häfen, Mai 1962, <strong>in</strong>:AdsD,SPD-<br />
LO <strong>Bremen</strong> (I), Mappe 37.
338<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
1955. Horst Stäcker formulierte dies anlässlich der nächsten Betriebsratswahl 1964<br />
explizit. <strong>Die</strong> Wahlen im Hafen hätten »e<strong>in</strong>e politische Bedeutung, und die SPD wolle<br />
auf jeden Fall verh<strong>in</strong>dern, dass sich wilde Streiks <strong>in</strong> den Häfen von <strong>Bremen</strong> wiederholen«.<br />
196 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe und erst recht die illegale Partei wären allerd<strong>in</strong>gs<br />
wohl kaum noch zur Organisation e<strong>in</strong>es großen Streiks <strong>in</strong> der Lage gewesen.<br />
Es g<strong>in</strong>g der SPD eher um die Beseitigung des kommunistischen E<strong>in</strong>flusses im<br />
Hafen, das »letzte Bollwerk der <strong>KPD</strong>«. 197<br />
So griff das Betriebssekretariat der SPD 1964 erneut <strong>in</strong> den Wahlkampf im Hafen<br />
e<strong>in</strong> und warnte vor den »Freunden Ulbrichts«. <strong>Die</strong> Mehrheitsverhältnisse im<br />
Betriebsrat hatten sich <strong>in</strong>zwischen wieder geändert. Für zwei ausgeschiedene sozialdemokratische<br />
Betriebsräte waren <strong>KPD</strong>-Mitglieder nachgerückt, was Horst Stäcker<br />
zum Anlass nahm, erneut »der nach Osten blickenden Gruppe den Kampf«<br />
anzusagen. 198<br />
Nach der Wahl schrieb Neues Echo 199, das SPD-Betriebsgruppensekretariat habe<br />
sich »<strong>in</strong> massiver und unqualifizierter Weise <strong>in</strong> die Wahlvorbereitungen e<strong>in</strong>gemischt<br />
und e<strong>in</strong>e Reihe von Kandidaten, bewährte Hafenarbeiterfunktionäre, Betriebsräte<br />
und Delegierte der ÖTV als ›kommunistisch unterwandert‹ zu diffamieren<br />
versucht.« 200 Das Ergebnis war ähnlich wie 1964: Mit neun Sitzen erlangte die<br />
SPD wiederum die Mehrheit im Betriebsrat, sechs Sitze g<strong>in</strong>gen an Kommunisten<br />
oder als <strong>KPD</strong>-Sympathisanten geltende Hafenarbeiter. 201 Auch bei dieser Betriebsratswahl<br />
hatte die <strong>KPD</strong> also ihre starke Stellung im Hafen behaupten können. Der<br />
SPD gelang es während der gesamten Illegalität nicht, das »letzte Bollwerk der<br />
<strong>KPD</strong>« zu beseitigen. 202<br />
Mit dieser starken Stellung war der Hafen neben Klöckner für die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Ausnahme. In den übrigen Bremer Großbetrieben hatte die Partei während der Illegalität<br />
wie auch schon e<strong>in</strong>ige Zeit vor dem Verbot ke<strong>in</strong>en wesentlichen E<strong>in</strong>fluss<br />
mehr. Bei B<strong>org</strong>ward hatte die <strong>KPD</strong> ihre damals noch relativ starke Position bereits<br />
1955 durch die Ause<strong>in</strong>andersetzungen der Betriebsgruppe mit der Parteileitung<br />
und die Austritte bzw. Ausschlüsse von He<strong>in</strong>emann, Kratsch und Elmers selbst zunichte<br />
gemacht. Bei der Betriebsratswahl 1957 kam vermutlich noch e<strong>in</strong> Kommunist<br />
<strong>in</strong> den Betriebsrat, 203 1959 und 1961 jeweils zwei. 204 <strong>Die</strong> B<strong>org</strong>ward-Werke g<strong>in</strong>gen<br />
196 SPD warnt vor Ulbrichts Freunden, Weser-Kurier, 29. Februar 1964.<br />
197 Ebenda.<br />
198 Ebenda.<br />
199 Neues Echo erschien erstmals Ende 1959 und war e<strong>in</strong>e legale Zeitung der Bremer <strong>KPD</strong> (siehe unten).<br />
200 Betriebsratswahl im Hafen, Neues Echo Nr. 11, 14. März 1964.<br />
201 Neues Echo zitierte Horst Stäcker, der von sechs »kommunistenfreundlichen« Betriebsräten sprach (Betriebsratswahl<br />
im Hafen, Neues Echo Nr. 11, 14. März 1964).<br />
202 Über die nachfolgenden Betriebsratswahlen ist nichts bekannt. Sicher ist nur, dass <strong>KPD</strong>-Mitglieder e<strong>in</strong>ige<br />
Sitze halten konnten.<br />
203 Vgl. Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 51. Elmers nennt Alfred Goedeke, der 1955<br />
Leiter der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe geworden war, bezeichnet ihn aber als »parteilosen Kandidaten«. Bei<br />
dieser Wahl wurde außerdem e<strong>in</strong> weiteres Mal deutlich, wie sehr die <strong>KPD</strong>-Stellung <strong>in</strong> den B<strong>org</strong>ward-<br />
Stammwerken auf dem persönlichen E<strong>in</strong>fluss des 1955 ausgetretenen Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann beruht hatte:<br />
He<strong>in</strong>emann bekam die weitaus meisten Stimmen, an zweiter Stelle stand der 1952 aus der <strong>KPD</strong> ausgetretene<br />
Karl Grobe (ebenda).
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 339<br />
im Sommer 1961 <strong>in</strong> den Konkurs und stellten den Betrieb e<strong>in</strong>. 205 Während der etwa<br />
e<strong>in</strong> halbes Jahr zuvor e<strong>in</strong>setzenden, bundesweit bedeutsamen Krise des drittgrößten<br />
deutschen Automobilkonzerns und zumal nach der Bekanntgabe der Stilllegung<br />
verhielt sich die B<strong>org</strong>ward-Belegschaft völlig passiv. 206 Auch der <strong>KPD</strong> gelang<br />
- trotz e<strong>in</strong>es massiven E<strong>in</strong>satzes der Bezirksleitung und auch e<strong>in</strong>iger Unterstützung<br />
aus der DDR - 207 ke<strong>in</strong>e Aktivierung der sich sehr stark mit dem Betrieb identifizierenden<br />
und auf ihre gewählten Vertretungen (Betriebsrat und IG Metall) vertrauenden<br />
Belegschaft. »<strong>Die</strong> Kreisleitung der Partei«, berichtete der Erste Bezirkssekretär<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Aussprache mit dem <strong>KPD</strong>-Politbüro, »hat alles mögliche getan, um die<br />
Arbeiter zum Kampf zu mobilisieren. Aber es zeigte sich doch, dass der E<strong>in</strong>fluss<br />
der Kommunisten weit ger<strong>in</strong>ger ist als der E<strong>in</strong>fluss von Kaisen und des DGB. H<strong>in</strong>zu<br />
kommt, dass unsere Betriebsgruppe bei B<strong>org</strong>ward nur 7 Genossen umfasste, und<br />
die waren während der Entlassungen auf Urlaub <strong>in</strong> der DDR«. 208<br />
<strong>Die</strong> Bedeutungslosigkeit der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Betrieben fand ihren Höhepunkt <strong>in</strong> der<br />
Betriebsgruppe der AG-»Weser«. Hier war die Partei bereits seit den Ereignissen<br />
um den Streik von 1953 völlig isoliert. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe war <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zustand der<br />
Resignation und Lethargie geraten, aus dem sie sich schon gar nicht während der<br />
Illegalität befreien konnte. 1962 waren auf der Werft noch 14 Mitglieder <strong>in</strong> der<br />
<strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe erfasst. Alle Mitglieder waren über 50 Jahre alt, zwei über 60.<br />
Neuaufnahmen hatte es »seit vielen Jahren« ke<strong>in</strong>e gegeben. 209 <strong>Die</strong>starkeÜberalterung<br />
war bei weitem nicht das e<strong>in</strong>zige Problem der Betriebsgruppe. E<strong>in</strong> Bericht des<br />
Arbeitsbüros der SED von 1963 über e<strong>in</strong>e Aussprache mit Mitgliedern der Betriebsgruppe<br />
zeichnete e<strong>in</strong> düsteres Bild, das den Zustand der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> ihrer ehemaligen<br />
traditionsreichen Hochburg anschaulich schilderte und die verschiedenen Aspekte<br />
und Ursachen verdeutlichte:<br />
»<strong>Die</strong> Genossen schätzten selbst e<strong>in</strong>, dass es ke<strong>in</strong> Parteileben <strong>in</strong> der Betriebsgruppe gibt,<br />
ke<strong>in</strong>erlei Aktivität und ke<strong>in</strong>e Gewerkschaftsarbeit. Sie s<strong>in</strong>d mit diesem Zustand unzufrieden,<br />
möchten verändern, wissen aber nicht wie. Ke<strong>in</strong> Genosse will etwas tun (14 Genossen <strong>in</strong> der<br />
204 Übersicht über die bisherigen Ergebnisse der Betriebsrätewahlen - nach bis zum 2. Mai 1961 vorliegenden unvollständigen<br />
Informationen, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/181. <strong>Die</strong> Angaben <strong>in</strong> der Übersicht des SED-<br />
Arbeitsbüros waren sehr knapp: »Bei B<strong>org</strong>ward wurde der letzte BR mit 2 Gen. wieder gewählt.«<br />
205 Vgl. dazu ausführlich Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 129ff.<br />
206 Vgl. ebenda, S. 199ff.<br />
207 <strong>Die</strong> Unterstützung kam aus dem für <strong>Bremen</strong> zuständigen SED-Bezirk Schwer<strong>in</strong>: »Bei Ausbruch der<br />
B<strong>org</strong>ward-Krise im Frühjahr 1961 wurde durch die SED-Bezirksleitung <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit dem<br />
FDGB e<strong>in</strong>e Gruppe von Genossen zur Unterstützung der Bremer Freunde gesandt. <strong>Die</strong> Gruppe half<br />
den westdeutschen Freunden bei der Herausgabe von vier Flugblättern, die die Betrugs- und Verschleierungspolitik<br />
der B<strong>org</strong>ward-Gruppe und des Betriebsrates entlarvten« (Über die Situation und die<br />
Aufgaben im E<strong>in</strong>flussgebiet <strong>Bremen</strong>-Norddeutschland 1961, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.02/10). E<strong>in</strong> Mitglied<br />
der B<strong>org</strong>ward-Betriebsgruppe machte später auf e<strong>in</strong>er <strong>KPD</strong>-Konferenz gezielte E<strong>in</strong>schüchterungsversuche<br />
und Entlassungsmaßnahmen gegen Kommunisten von Seiten des Betriebsrates, der SPD, der<br />
»rechten Gewerkschaftsführer« und auch des Verfassungsschutzes für den fehlenden Widerstand der<br />
Betriebsgruppe und der Belegschaft verantwortlich (Propagandakonferenz der <strong>KPD</strong>, 18.-19. Februar 1962,<br />
<strong>in</strong>: SAPMO DY IV2/10.03/21).<br />
208 Informationen über die Aussprache des Politbüros des ZK der <strong>KPD</strong> mit den 1. Bezirkssekretären vom 13.9.1961,<br />
<strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/55.<br />
209 Aus der Beratung mit den 2. Sekretären (8. und 9.9. 1962), <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/55.
340<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
Betriebsgruppe bei ca. 70 Genossen früher, als die Partei die Mehrheit im Betriebsrat hatte).<br />
Heute ke<strong>in</strong> Betriebsrat mehr, noch etwa 3 - 4 Genossen als Vertrauensleute (bei etwa 80 Vertrauensleuten<br />
im gesamten Betrieb), die aber kaum auftreten.<br />
Genosse Hermann (Sekretär): 210<br />
›<strong>Die</strong> Genossen tun nichts mehr, weil sie als Vertrauensmänner abgelöst oder aus der Gewerkschaft<br />
ausgeschlossen s<strong>in</strong>d. Das können sie nicht verw<strong>in</strong>den.‹<br />
›Wir s<strong>in</strong>d als Kommunisten im Betrieb gebrandmarkt, weil wir vorher e<strong>in</strong>e radikale Politik<br />
gemacht haben. Es hat ke<strong>in</strong>en Zweck, etwas zu tun, wir kommen doch nicht voran. <strong>Die</strong> Mehrzahl<br />
der Genossen sagen, wir s<strong>in</strong>d müde und alt, was sollen wir denn machen?‹<br />
<strong>Die</strong> Hauptschwäche der Betriebsgruppe besteht <strong>in</strong> ihrer mangelnden Gewerkschaftsarbeit<br />
und <strong>in</strong> ihrer Ablehnung, mit den sozialdemokratischen Genossen zusammenzuarbeiten (starkes<br />
Sektierertum). Fast die gesamte Betriebsgruppe (e<strong>in</strong>schließlich der Leitung) ist aus der<br />
Gewerkschaft ausgeschlossen; haben ke<strong>in</strong>erlei Verb<strong>in</strong>dung mehr, tun aber von sich aus auch<br />
nichts, um wieder aufgenommen zu werden. Infolgedessen ist auch nicht bekannt, was <strong>in</strong> der<br />
Gewerkschaft los ist.<br />
E<strong>in</strong>e Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten gibt es gar nicht. ›Persönliche Aussprachen von<br />
Genossen zu Genossen gibt es ab und zu mal, aber sobald e<strong>in</strong> Dritter h<strong>in</strong>zukommt, ist es aus.<br />
Was sollen wir also machen? <strong>Die</strong> wollen ja nicht, also lassen wir sie auch. [...] Der ganze Betriebsrat<br />
(SPD) ist antikommunistisch, mit dem kann man nicht reden.‹<br />
Als aber mal doch der Betriebsratsvorsitzende (SPD) zu unserem Genossen kam (ehemaliger<br />
Betriebsratsvorsitzender) und wollte e<strong>in</strong>en Rat von ihm, bekam er zur Antwort: ›Jetzt auf<br />
e<strong>in</strong>mal kommst Du. Ich kann Dir auch nicht helfen, sieh doch zu, wie Du fertig wirst. Sonst<br />
braucht Ihr uns doch auch nicht!‹.<br />
Oder solche Me<strong>in</strong>ungen: ›Ich kann mit e<strong>in</strong>em Sozialdemokraten im Betrieb nicht über die<br />
Mauer diskutieren, da b<strong>in</strong> ich e<strong>in</strong> toter Mann. Ich spreche überhaupt nicht über die Mauer<br />
(sprich DDR), nur über betriebliche Fragen‹. ›Es hat ke<strong>in</strong>en Zweck, im Betrieb über die DDR<br />
zu reden, dann s<strong>in</strong>d wir von vornhere<strong>in</strong> unten durch.‹ ›Wir können doch nicht mit Leuten zusammengehen,<br />
die früher mal <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> waren, dort groß geworden s<strong>in</strong>d und - als es bei uns<br />
anders kam - zur SPD g<strong>in</strong>gen und von dort ihren Posten bekamen. Das s<strong>in</strong>d doch Demagogen<br />
und Verräter. Vielleicht sollten wir diese Leute später, wenn wir die Macht haben, gar wieder<br />
<strong>in</strong> unsere Partei aufnehmen?‹ ›Mit jedem Sozialdemokraten gehe ich zusammen, aber nicht<br />
mit solchen Leuten wie Ehlers, Wolters.‹<br />
Obwohl etwa 1200 Arbeiter des Betriebes schon <strong>in</strong> der DDR waren (davon sicher etliche schon<br />
mehrere Male), gibt es mit diesen Arbeitern ke<strong>in</strong>e Aussprachen oder überhaupt Verb<strong>in</strong>dung.<br />
Es wurde auch aus diesem Kreis ke<strong>in</strong>er neu <strong>in</strong> die Partei aufgenommen, obwohl 25 davon für<br />
die engere Auswahl <strong>in</strong> Aussicht genommen wurden. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe ist stark überaltert.<br />
Es ist zwar der Wille da, etwas zu tun - besonders vom Genossen Hermann, Sekretär der Betriebsgruppe<br />
-, aber er ist alle<strong>in</strong> zu schwach dazu. ›Werft-Echo‹ ersche<strong>in</strong>t sehr sporadisch; es<br />
gibt ke<strong>in</strong>e Redaktionskommission im Betrieb. Bisher wurde sie <strong>in</strong> den meisten Fällen von der<br />
Kreisleitung gemacht.« 211<br />
<strong>Die</strong> meisten der geschilderten Probleme der Gruppe waren nicht e<strong>in</strong>mal der Illegalität<br />
geschuldet, sondern hatten ihre Ursachen <strong>in</strong> den Entwicklungen vor dem<br />
210 Geme<strong>in</strong>t ist der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Hermann Prüser.<br />
211 Zur Aussprache mit der Betriebsgruppe AG Weser, <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/106. Unterstreichungen<br />
im Orig<strong>in</strong>al.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 341<br />
Verbot: die Gewerkschaftsausschlüsse und die damit verbundene Isolation im Betrieb,<br />
der Antikommunismus, sowie e<strong>in</strong> tiefes Misstrauen gegen die SPD oder e<strong>in</strong>zelne<br />
ihrer Funktionäre. <strong>Die</strong> persönliche Enttäuschung über diesen ›Gang der Geschichte‹<br />
war deutlich spürbar und verband sich mit der starken Überalterung. <strong>Die</strong>s<br />
war die Generation der ›alten‹, noch <strong>in</strong> der Weimarer Republik sozialisierten<br />
Kommunisten, die <strong>in</strong> mancher H<strong>in</strong>sicht (z.B. SPD) noch <strong>in</strong> den alten Schemata<br />
dachten und trotz - oder gerade wegen - ihrer realen politischen Bedeutungslosigkeit<br />
an e<strong>in</strong>er Zukunftsperspektive der Machtergreifung festhielten (»Vielleicht sollten<br />
wir diese Leute später, wenn wir an der Macht s<strong>in</strong>d, gar wieder <strong>in</strong> unsere Partei<br />
aufnehmen?«).<br />
Pr<strong>in</strong>zipiell, wenn wohl auch nicht so zugespitzt, galten die Probleme der AG<br />
»Weser« für alle anderen Betriebsgruppen. <strong>Die</strong> Ursachen der Isolation waren schon<br />
lange vor dem Verbot wirksam gewesen und konnten unter den Bed<strong>in</strong>gungen der<br />
Illegalität nicht überwunden werden, schon alle<strong>in</strong> aus dem Grund, dass für die Betriebsgruppen<br />
kaum neue Mitglieder geworben werden konnten. 212 Auch für die<br />
Vertretung <strong>in</strong> den Gewerkschaften galt dies. Insofern blieb der <strong>KPD</strong> gar nichts anderes<br />
übrig, als die Betriebe und Gewerkschaften zunächst, trotz aller programmatischen<br />
Prioritätszuweisungen, als Plattform für die außerbetrieblichen Politikfelder,<br />
vor allem die Friedenspolitik, zu betrachten. Maximal noch die Mobilisierung<br />
und Politisierung der Belegschaften gab die <strong>KPD</strong> als Ziel von Betriebsratswahlen<br />
aus, wie e<strong>in</strong> resümierender Beschluss des Politbüros zu den Betriebsratswahlen von<br />
1961 zeigt:<br />
»<strong>Die</strong> Partei hatte sich [...] das Ziel gesetzt, die Betriebsrätewahlen maximal zu nutzen, um <strong>in</strong><br />
der Arbeiterklasse die wichtigsten Fragen des Kampfes um Frieden, Demokratie und soziale<br />
Sicherheit, die Bändigung des Militarismus und die Zurückdrängung der Macht der Monopole<br />
zu diskutieren [sic!]. [...] <strong>Die</strong> Betriebsratswahlen boten die Möglichkeit, zu betrieblichen und<br />
gewerkschaftlichen Aktionen gegen Atomrüstung und Notstandsgesetze zu kommen. [...] E<strong>in</strong>e<br />
solche politische Mobilisierung der Belegschaften und e<strong>in</strong>e Aktivierung des gewerkschaftlichen<br />
Kampfes ist nicht gelungen, obwohl objektiv die Möglichkeiten gegeben waren.« 213<br />
Von den <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppen g<strong>in</strong>gen trotz dieser Ansprüche der Parteileitung<br />
letztendlich ke<strong>in</strong>e Impulse für Aktionen der Friedensbewegung aus. Das hatte se<strong>in</strong>e<br />
Ursachen nicht nur <strong>in</strong> der strukturellen und personellen Schwäche, sondern auch<br />
im Des<strong>in</strong>teresse der Betriebsgruppen selbst, die im Betrieb entweder gar nicht mehr<br />
(AG »Weser«) oder ausschließlich <strong>in</strong> Betriebsfragen (Hafen) auftraten. Genau diese<br />
betrieblichen Probleme aber wie auch allgeme<strong>in</strong>e soziale Fragen stellte die Partei<br />
weitgehend <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund. Das Engagement <strong>in</strong> der Friedensbewegung und<br />
die primäre Zielsetzung, vor allem <strong>in</strong> das nichtkommunistische und bürgerliche<br />
Lager h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuwirken, mussten letztlich bei den kommunistischen Betriebsfunktionären<br />
auch zu Befremden führen. <strong>Die</strong> beiden legalen Foren für Kommunisten <strong>in</strong><br />
212 »Das Kernproblem ist, wenn man zwölf Jahre verboten ist, dann kommt ja nicht das h<strong>in</strong>zu, was h<strong>in</strong>zu<br />
kommen muss. Insofern wird man allmählich schwächer, auch <strong>in</strong> den Betrieben.« (Interview Herbert<br />
Breidbach, 1).<br />
213 Beschluss des PB: E<strong>in</strong>schätzung und Schlussfolgerungen zu den Ergebnissen der Betriebsrätewahlen 1961, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO DY IV 2/10.03/181.
342<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
<strong>Bremen</strong>, die »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für Frieden<br />
und Verständigung« und ab 1960 die Zeitung »Neues Echo - Zwischen Weser und<br />
Ems, Zeitschrift für Entspannung, Verständigung und Frieden« machten schon <strong>in</strong><br />
ihrem Namen den Schwerpunkt deutlich. Betriebliche und gewerkschaftliche Themen<br />
waren hier zunächst völlig unterrepräsentiert. Es gab für kommunistische<br />
Funktionäre <strong>in</strong> den Betrieben ke<strong>in</strong> legales Forum, das programmatisch Betriebs-,<br />
Gewerkschafts- und soziale Fragen wenigstens mit der Friedenspolitik gleichwertig<br />
<strong>in</strong> den Vordergrund stellte. Auch e<strong>in</strong>e personelle Repräsentanz wurde vermisst.<br />
Anlässlich der Bürgerschaftswahl 1963, <strong>in</strong> der die <strong>KPD</strong> die »Deutsche Friedensunion«<br />
(DFU) unterstützte, hätten »viele Genossen«, so der Bericht der Bremer Bezirksleitung,<br />
»die Frage gestellt, warum auf der Liste der DFU ke<strong>in</strong>e bekannten Betriebsund<br />
Gewerkschaftsfunktionäre kandidieren«. 214<br />
Auch die Gewerkschaftsarbeit zielte primär auf die Deutschland- und Friedenspolitik.<br />
Anlässlich der Diskussion des neuen DGB-Grundsatzprogramms nannte<br />
die Bezirksleitung 1963 für die Anleitung der Betriebsgruppen an erster Stelle die<br />
Schwerpunkte »Verzicht auf atomare Ausrüstung der Bundeswehr«, »Forderung<br />
nach Abrüstungs<strong>in</strong>itiativen seitens der Bundesrepublik«, »Verzicht auf Gewalt und<br />
Bekenntnis zum Pr<strong>in</strong>zip des Verhandelns, der Herstellung sachlicher Beziehungen<br />
zwischen den beiden deutschen Staaten«. Ziel war »die Entwicklung des Kampfes<br />
der Gewerkschaften gegen Imperialismus und Militarismus für Frieden, Demokratie<br />
und sozialen Fortschritt«. 215<br />
E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> den Gewerkschaften hatte sich die <strong>KPD</strong> mit diesen Schwerpunkten<br />
bis dah<strong>in</strong> nicht verschaffen können. Abgesehen davon, dass viele <strong>KPD</strong>-Mitglieder,<br />
vor allem <strong>in</strong> Folge der Ause<strong>in</strong>andersetzungen um These 37, immer noch aus den<br />
Gewerkschaften ausgeschlossen waren, machte auch der Antikommunismus e<strong>in</strong>e<br />
E<strong>in</strong>flussnahme schwer. Besonders nach dem Bau der Berl<strong>in</strong>er Mauer im August<br />
1961 wurde dies noch e<strong>in</strong>mal deutlich. »Da kochte die Volksseele«, so Willy Hundertmark<br />
über die Stimmung auf e<strong>in</strong>er Delegiertenversammlung der IG Metall. 216<br />
Der Erste Bezirkssekretär berichtete darüber beim Politbüro und beschrieb auch,<br />
wie schwer es für Kommunisten war, dieser Stimmung etwas entgegenzusetzen:<br />
»<strong>Die</strong> Massen haben der Hetze gegen die DDR im großen und ganzen zugestimmt, denn der<br />
Antikommunismus ist tief verwurzelt. In e<strong>in</strong>er Gewerkschaftsvertreterversammlung mit 360<br />
Teilnehmern s<strong>in</strong>d 4 Genossen aufgetreten und haben pr<strong>in</strong>zipiell unseren Standpunkt dargelegt,<br />
fanden damit aber ke<strong>in</strong>en Anklang. In dieser Vertreterversammlung waren 22 Genossen<br />
214 Bericht über e<strong>in</strong>e Aussprache mit der BL <strong>Bremen</strong> am 13.10.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/106.<br />
215 Abschrift/15.8.63: Perspektivplan bis Ende des Jahres (<strong>Bremen</strong>), <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/55. <strong>Die</strong>s entsprach<br />
auch den Schwerpunktsetzungen der kurz zuvor vom Parteitag verabschiedeten Programmatischen<br />
Erklärung der <strong>KPD</strong> (Programmatische Erklärung der Kommunistischen Partei Deutschlands, beschlossen<br />
vom Parteitag 1963, a.a.O.).<br />
216 Interview Willy Hundertmark, 2. Hundertmark sprach nach eigenen Angaben auch auf der Konferenz<br />
und war von e<strong>in</strong>em ebenfalls anwesenden Genossen davor gewarnt worden: »Du willst da rauf? <strong>Die</strong><br />
schlagen dich tot!« (ebenda).
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 343<br />
anwesend, bei e<strong>in</strong>er Abstimmung über e<strong>in</strong>e Hetzentschließung gegen die DDR haben aber<br />
nur 7 dagegen gestimmt, die anderen 15 haben nicht e<strong>in</strong>mal dafür den Mut aufgebracht.« 217<br />
Etwa ab 1963 begann sich jedoch das Klima offenbar auch <strong>in</strong> den Gewerkschaften<br />
langsam zu ändern. Das Verhältnis zu SPD und Gewerkschaften sei »nicht mehr<br />
so gereizt wie früher«, berichtete die Bezirksleitung im März 1963. »Jetzt gehen unsere<br />
Genossen auch wieder <strong>in</strong> das Gewerkschaftshaus und haben auch Gespräche<br />
mit Sekretären.« 218 E<strong>in</strong> halbes Jahr später bestätigte die Bezirksleitung noch e<strong>in</strong>mal<br />
den E<strong>in</strong>druck, »dass es <strong>in</strong> der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit der Partei e<strong>in</strong>e<br />
aufsteigende Tendenz gibt«:<br />
»<strong>Die</strong> Genossen der BL begründeten die Verbesserung der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit<br />
unter anderem damit, dass <strong>in</strong> den Gewerkschafts- und Vertreterversammlungen unseren Genossen<br />
gegenüber e<strong>in</strong>e größere Aufgeschlossenheit vorhanden ist. Unsere Genossen können<br />
heute - im Gegensatz zu früher - dort auftreten und werden auch angehört. Besonders <strong>in</strong> Fragen<br />
der Notstandsgesetze und bei sozialen Problemen f<strong>in</strong>den sie Zustimmung. Auch <strong>in</strong> der<br />
Frage des extremen, militanten Antikommunismus gibt es heute e<strong>in</strong>e für die Genossen günstigere<br />
Atmosphäre.« 219<br />
<strong>Die</strong> Konstatierung e<strong>in</strong>es günstigeren Klimas passte zu den Entwicklungen auf<br />
anderen Gebieten (z.B. der Frage des <strong>KPD</strong>-Verbots) <strong>in</strong>folge der sich allmählich<br />
wandelnden deutschlandpolitischen Prämissen (»Wandel durch Annäherung«).<br />
Bezeichnend war, dass es gerade nicht die bis dah<strong>in</strong> von der <strong>KPD</strong> auch für die Betriebs-<br />
und Gewerkschaftsarbeit <strong>in</strong> den Vordergrund gestellte Friedenspolitik war,<br />
mit der man allmählich auf Zustimmung <strong>in</strong> den Gewerkschaften hoffen konnte,<br />
sondern beispielsweise die Debatte um die Notstandsgesetzgebung, <strong>in</strong> der sich die<br />
Gewerkschaften spätestens seit dem DGB-Kongress 1962 <strong>in</strong>tensiv engagiert hatten.<br />
220<br />
Beide Aspekte - das günstigere Klima sowie die vermehrte E<strong>in</strong>beziehung sozialer<br />
und <strong>in</strong>nenpolitischer Themen - wurden für die <strong>KPD</strong> verstärkt wirksam mit dem<br />
E<strong>in</strong>setzen der ersten großen Rezession der Bundesrepublik und der Bildung der<br />
Großen Koalition 1966. Für die Bremer <strong>KPD</strong> fand dies erstmals öffentlich positive<br />
Resonanz anlässlich der Bürgerschaftswahl 1967, bei der auf der Liste der DFU<br />
zahlreiche Gewerkschafter und Kommunisten kandidierten. Offensichtlich unter<br />
starkem E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> hatte die DFU bei dieser Wahl erstmals nicht die Friedenspolitik,<br />
sondern soziale Forderungen <strong>in</strong> den Mittelpunkt ihrer Programmatik<br />
gestellt und erreichte damit das bundesweit beste Ergebnis ihrer Geschichte (4,2<br />
Prozent der Stimmen). Das Wahlergebnis wie auch die Kandidatenliste war dabei<br />
nicht nur Ausdruck e<strong>in</strong>es günstiger werdenden Klimas <strong>in</strong> den Gewerkschaften,<br />
sondern auch der (Bremer) Höhepunkt e<strong>in</strong>es allmählichen Wandels der illegalen<br />
Arbeit der <strong>KPD</strong> und ihrer Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den 1960er Jahren.<br />
217 Information über die Aussprache des Politbüros des ZK der <strong>KPD</strong> mit den 1. Bezirkssekretären vom 13.9.1961, <strong>in</strong>:<br />
SAMPO DY IV 2/10.03/55.<br />
218 Me<strong>in</strong>ungen von <strong>KPD</strong>-Genossen zur Aktionse<strong>in</strong>heit und SPD (10.5.63), <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/106.<br />
219 Bericht über e<strong>in</strong>e Aussprache mit der BL <strong>Bremen</strong> am 13.10.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/106.<br />
220 Vgl. Eberhard Schmidt, Ordnungsfaktor oder Gegenmacht. <strong>Die</strong> politische Rolle der Gewerkschaften,<br />
a.a.O., S. 64ff.
344<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
5. Der Wandel der illegalen Arbeit <strong>in</strong> den 1960er Jahren<br />
<strong>Die</strong> Entwicklung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den 1960er Jahren war vor allem gekennzeichnet<br />
durch die Zunahme legaler politischer Betätigungsfelder für Kommunisten. Der<br />
<strong>KPD</strong> war es <strong>in</strong> den ersten Jahren nach dem Verbot kaum gelungen, sich <strong>in</strong> der Friedensbewegung<br />
oder anderen Massen<strong>org</strong>anisationen zu verankern und auch sonst<br />
hatte sie nur wenig legale Wirkungsmöglichkeiten, blieb also weitgehend auf die<br />
großenteils uneffektive illegale Arbeit der Grunde<strong>in</strong>heiten beschränkt. <strong>Die</strong>s galt<br />
auch für <strong>Bremen</strong>, wenn auch mit E<strong>in</strong>schränkungen, berücksichtigt man die Abgeordneten<br />
im Stadtparlament, die aber letztendlich ohne breitere politische Wirkung<br />
blieben.<br />
<strong>Die</strong>se Mängel <strong>in</strong> der Parteiarbeit hatte die Partei selbst erkannt. In den Beschlüssen<br />
der Parteidelegiertenkonferenz vom Februar 1960 wurde konstatiert, dass es<br />
»noch e<strong>in</strong>e große Enge <strong>in</strong> der Entwicklung zu den Massen und den Massen<strong>org</strong>anisationen«<br />
gebe. 221 Es gelte,<br />
»das <strong>in</strong> der Partei noch stark vorhandene Zurückweichen vor der Massenarbeit zu überw<strong>in</strong>den.<br />
Alle Parteie<strong>in</strong>heiten, alle Mitglieder und Funktionäre der Partei müssen die Möglichkeiten<br />
des legalen Auftretens voll ausnutzen. [...] Es gibt für jeden Kommunisten vielseitige Möglichkeiten<br />
des legalen Auftretens.« 222<br />
Im Verlauf der 1960er Jahre wurden die Bed<strong>in</strong>gungen für das legale Auftreten<br />
von Kommunisten zunehmend günstiger, was von der <strong>KPD</strong> auch genutzt wurde.<br />
<strong>Die</strong> illegale Arbeit trat nun immer mehr <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund und beschränkte sich<br />
weitgehend auf die <strong>org</strong>anisatorischen Notwendigkeiten. E<strong>in</strong>e Voraussetzung dafür<br />
war, dass die Bezirksleitungen nun wieder von Ortsansässigen übernommen wurden,<br />
die sich <strong>in</strong> den örtlichen politischen Gegebenheiten auskannten. Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
wurde die Führung der Partei 1961/62 wieder von ehemaligen Mitgliedern<br />
der Landes- und Kreisleitung übernommen. »Dann hatte man begriffen«, so Herbert<br />
Breidbach, »dass die Führungsarbeit mit Fremden vor Ort sehr viel riskanter<br />
ist, als wenn es die dortigen Funktionäre s<strong>in</strong>d«. 223<br />
Schwerpunkt der politischen Arbeit von Kommunisten wurde die Tätigkeit <strong>in</strong><br />
legalen Organisationen und Bewegungen. In diesen konnten sie sich durch Anerkennung<br />
des Grundkonsens und unter Ausschluss sozialistischer und parteispezifischer<br />
Ziele sowie mit großen persönlichem Engagement - Kommunisten übernahmen<br />
e<strong>in</strong>en Großteil der sogenannten Kle<strong>in</strong>arbeit (Flugblätter verteilen etc.) -<br />
allmählich die Akzeptanz und Tolerierung durch die übrigen Mitglieder regelrecht<br />
erarbeiten. Damit wurde gleichzeitig, wie Ge<strong>org</strong> Fülberth schreibt, »<strong>in</strong> diesem Teil<br />
der außerparlamentarischen Opposition das Bewusstse<strong>in</strong> von der Möglichkeit<br />
kommunistischer Präsenz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nicht-kommunistischen, aber zugleich nichtantikommunistischen<br />
Bewegung« gefördert. 224<br />
221 Beschluss der Parteidelegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong> 1960, a.a.O., S. 276.<br />
222 Ebenda, S. 276f.<br />
223 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />
224 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 99.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 345<br />
Bereits vor der Umstellung der Organisationspr<strong>in</strong>zipien und unmittelbar nach<br />
der Gründung der »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung« vollzog die Bremer <strong>KPD</strong> mit der<br />
Etablierung e<strong>in</strong>er regelmäßig ersche<strong>in</strong>enden Zeitung e<strong>in</strong>en wichtigen Schritt <strong>in</strong><br />
Richtung legale Arbeit. Mitte Dezember 1959 erschien im Maria-Krüger-Verlag das<br />
erste Mal Neues Echo (Untertitel: »Zwischen Weser und Ems, Zeitschrift für Entspannung,<br />
Verständigung und Frieden«). Offizielle Herausgeber waren die ehemalige<br />
<strong>KPD</strong>-Bürgerschaftsabgeordnete Maria Krüger und Walter Oberle, faktisch<br />
handelte es sich um e<strong>in</strong>e Publikation der illegalen <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>.<br />
Neues Echo erschien zunächst e<strong>in</strong>mal, ab Mitte Mai 1960 zweimal monatlich und<br />
schließlich ab 1964 wöchentlich. <strong>Die</strong> Zeitung konnte dabei weitgehend ungeh<strong>in</strong>dert<br />
verbreitet werden. Lediglich anlässlich der ersten Ausgaben von 1960 wurden e<strong>in</strong>ige<br />
Exemplare wegen »Beleidigung und Verunglimpfung« beschlagnahmt. Das gegen<br />
die Herausgeber e<strong>in</strong>geleitete Ermittlungsverfahren wurde e<strong>in</strong>gestellt nachdem<br />
sich herausgestellt hatte, dass es sich bei von der Staatsanwaltschaft beanstandeten<br />
Passagen um Zitate von Chruschtschow handelte, die auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen bürgerlichen<br />
Tageszeitungen erschienen waren.<br />
Inhaltlich konzentrierte sich Neues Echo auf die Berichterstattung über und Werbung<br />
für alle oppositionellen Kräfte, an denen Kommunisten beteiligt waren, wie<br />
z.B. die Ende 1960 gegründete DFU, die Ostermarschbewegung und die Wählervere<strong>in</strong>igung,<br />
sowie die politischen Themen derselben, <strong>in</strong>sbesondere friedenspolitische<br />
Fragen. Daneben waren aber auch die Berichterstattung aus den Betrieben und<br />
Gewerkschaften sowie - zunächst noch zurückhaltend - über die DDR und die Sowjetunion<br />
thematische Schwerpunkte.<br />
<strong>Die</strong> bis Mitte der 1960er Jahre festzustellende Zurückhaltung h<strong>in</strong>sichtlich der<br />
Propagierung der Politik von DDR und Sowjetunion und die Konzentration auf<br />
konsensfähige, nicht ausschließlich parteipolitisch geprägte friedenspolitische<br />
Themen <strong>in</strong> Neues Echo wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternen Analyse des Politbüros 1964 scharf<br />
kritisiert. Für die Zeitung sei »charakteristisch, dass <strong>in</strong> der Grundfrage unserer Zeit,<br />
des Kampfes für die Erhaltung des Friedens, ke<strong>in</strong>e eigene, von den Lebens<strong>in</strong>teressen<br />
der Nation ausgehende politische Konzeption - entsprechend der Programmatischen<br />
Erklärung des Parteitages 1963 der <strong>KPD</strong> - sichtbar ist«. 225 Ab Mitte der 1960er<br />
Jahre wurde Neues Echo dann aber doch zusehends zu e<strong>in</strong>em Blatt, das sich offen<br />
zum Sozialismus, zur DDR und zur Sowjetunion bekannte. Gleichzeitig wurde nun<br />
verstärkt für die Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots geworben. Ende März 1969, nach der<br />
Gründung der DKP, erschien Neues Echo letztmalig und g<strong>in</strong>g auf <strong>in</strong> der neugegründeten<br />
Parteizeitung der DKP, Unsere Zeit (UZ).<br />
Natürlich stellte 1960 die Herausgabe e<strong>in</strong>er legalen Zeitung e<strong>in</strong>en enormen<br />
Fortschritt für die Arbeit der illegalen <strong>KPD</strong> dar, auch wenn sie nicht offen e<strong>in</strong>e<br />
»Parteizeitung« se<strong>in</strong> konnte. H<strong>in</strong>zu kam die Möglichkeit, unter dem Namen der legalen<br />
Zeitschrift Veranstaltungen durchzuführen: Ab 1964 fand e<strong>in</strong>mal pro Jahr das<br />
offiziell von Neues Echo veranstaltete Pressefest <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bekannten Lokal <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord<br />
statt. <strong>Die</strong> Pressefeste waren sehr gut besucht - das erste fand angeblich<br />
225 E<strong>in</strong>schätzung des »Neuen Echo«, <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/131.
346<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
1.300 Teilnehmer - 226 und stellten letztlich auch große »Vollversammlungen« der<br />
<strong>KPD</strong> dar, auf denen die gesamte Bremer Partei legal zusammenkommen konnte.<br />
<strong>Die</strong> Bedeutung von Neues Echo - wie auch anderer <strong>in</strong> dieser Zeit bundesweit von<br />
der <strong>KPD</strong> etablierter legaler Zeitschriften - 227 als »Möglichkeit zur Verbreitung fortschrittlicher<br />
Ideen« 228 g<strong>in</strong>g aber auch über den Kreis der Partei und deren Interesse<br />
h<strong>in</strong>aus: »Neues Echo wollte ja nicht nur die Arbeit der illegalen <strong>KPD</strong> an die Leute<br />
ranbr<strong>in</strong>gen, sondern e<strong>in</strong>fach werben für bestimmte politische Ziele«, so Rolf Stelljes,<br />
Redakteur bei Neues Echo, zur Zielsetzung der Zeitung. 229 Damit wurde sie letztendlich<br />
auch für andere oppositionelle Gruppen wichtig, denen <strong>in</strong> der bürgerlichen<br />
Presse ke<strong>in</strong> Raum gegeben wurde, und die über das Organ der <strong>KPD</strong> Öffentlichkeitsarbeit<br />
betreiben konnten.<br />
Außerparlamentarische Arbeit: Das Beispiel Ostermärsche<br />
Beispielhaft für die außerparlamentarischen Bewegungen, <strong>in</strong> denen Kommunisten<br />
mit tragender, aber nicht bestimmender Rolle mitarbeiteten und allmählich akzeptiert<br />
wurden, waren die Ostermärsche. <strong>Die</strong> Ostermarschbewegung entstand 1960<br />
parallel zu dem Versuch, mit der DFU die Opposition gegen die atomare Aufrüstung<br />
der Bundeswehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er parlamentarisch agierenden Partei zusammenzufassen.<br />
230 Nachdem sich die SPD 1958 aus der KdA-Bewegung zurückgezogen hatte,<br />
konnte diese zwar von anderen Kräften weitergeführt werden, die Friedensbewegung<br />
verschwand aber weitgehend aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. <strong>Die</strong> Neuformierung<br />
der Proteste geschah <strong>in</strong> Form der Ostermärsche, die <strong>in</strong> der Bundesrepublik<br />
das erste Mal im Frühjahr 1960, zunächst noch mit relativ ger<strong>in</strong>ger Beteiligung,<br />
stattfanden. Vorbild waren die seit 1958 <strong>in</strong> England <strong>org</strong>anisierten Ostermärsche.<br />
Es wurden örtliche »Ostermarschausschüsse« gebildet, später schuf sich die<br />
Bewegung mit der »Kampagne für Abrüstung« e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Organisationsform.<br />
Der erste Bremer Ostermarsch fand 1960 statt und hatte nur wenig Teilnehmer<br />
und Resonanz. In der Folgezeit jedoch entwickelten sich die Ostermärsche auch <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> immer mehr zu großen Massendemonstrationen, auf denen ab Mitte der<br />
1960er Jahre auch zunehmend die Notstandsgesetze und der Vietnam-Krieg thematisiert<br />
wurden. Es bildete sich e<strong>in</strong> Bremer Ostermarschausschuss, der sich nicht nur<br />
auf die Organisierung der Märsche beschränkte, sondern auch zu anderen Gelegenheiten<br />
Veranstaltungen und Demonstrationen durchführte.<br />
226 Großartiges Pressefest mit 1300 Teilnehmern, Neues Echo 39/1964, 25. September 1964.<br />
227 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 101f.<br />
228 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 101.<br />
229 Interview Rolf Stelljes.<br />
230 Siehe hierzu und dem folgenden ausführlich Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O.,<br />
S. 208 ff. Außerdem: Christoph Butterwegge, Jochen Dressel, Volker Tegeler und Ulla Voigt (Hrsg.), 30<br />
Jahre Ostermarsch. E<strong>in</strong> Beitrag zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland und e<strong>in</strong> Stück<br />
Bremer Stadtgeschichte, <strong>Bremen</strong> 1990 (Broschüre).
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 347<br />
<strong>Die</strong> Ostermarschbewegung versuchte sich selbst zunächst sehr stark von kommunistischen<br />
E<strong>in</strong>flüssen abzugrenzen und ließ aus Angst vor e<strong>in</strong>er »Unterwanderung«<br />
ke<strong>in</strong>e Organisationen, sondern nur E<strong>in</strong>zelpersonen zur Teilnahme zu. Trotzdem<br />
wurden die Ostermärsche sofort als kommunistisch unterwandert diffamiert<br />
und angegriffen. <strong>Die</strong> SPD warnte ihre Mitglieder vor e<strong>in</strong>er Teilnahme an den Märschen<br />
und drohte mit Ordnungsverfahren. Dennoch beteiligten sich zunehmend<br />
auch Sozialdemokraten an den Ostermärschen und der »Kampagne für Abrüstung«.<br />
Sprecher des Bremer Ortsausschusses war mit Detlef Dahlke ebenfalls e<strong>in</strong><br />
SPD-Mitglied.<br />
Trotz der starken äußeren Diffamierungen und obwohl es <strong>in</strong> der Bewegung<br />
selbst starke antikommunistische Vorbehalte gab, nahmen Kommunisten von Anfang<br />
an an den Ostermärschen teil, waren an der Vorbereitung beteiligt und arbeiteten<br />
auch <strong>in</strong> der »Kampagne für Abrüstung« mit. So sei es ke<strong>in</strong> Zufall gewesen,<br />
schreibt Herbert Breidbach, der auch im Bremer Ostermarschausschuss mitarbeitete,<br />
»dass an der Spitze des ersten Ostermarsches im Norden der Bundesrepublik [...]<br />
die jungen Kommunisten Fritz Bolte und Erich Pape das Transparent Ostermarsch<br />
Bergen-Hohne/<strong>Bremen</strong> trugen und viele <strong>KPD</strong>-Mitglieder [...] aktiv teilnahmen.« 231<br />
Dabei sahen sich Kommunisten <strong>in</strong>nerhalb der Bewegung zunächst mit starken<br />
Vorbehalten und Ausgrenzungsversuchen konfrontiert, die es vor allem bei Sozialdemokraten<br />
und weniger bei den Christen gab. <strong>Die</strong>se Hemmungen wurden aber offensichtlich<br />
allmählich überwunden. Zur Grundl<strong>in</strong>ie der Ostermarschbewegung<br />
wurde, »wenn auch mit Hängen und Würgen«, 232 niemanden wegen se<strong>in</strong>er kommunistischen<br />
Ges<strong>in</strong>nung auszugrenzen, solange er sich zu den Zielen und<br />
Grundsätzen der Bewegung bekennt und sie nicht für parteipolitische Zwecke<br />
missbraucht. <strong>Die</strong>ser Grundsatz wurde von den Kommunisten befolgt. Ohneh<strong>in</strong> sei<br />
die Teilnahme am Ostermarsch für sie »ke<strong>in</strong>e Frage e<strong>in</strong>er Tarn<strong>org</strong>anisation« gewesen,<br />
me<strong>in</strong>t Herbert Breidbach, »das hätten wir so oder anders gemacht.« 233<br />
Auch deswegen gelang es der <strong>KPD</strong> als Partei<strong>org</strong>anisation kaum, die Ostermarschbewegung<br />
wirklich <strong>in</strong> ihrem S<strong>in</strong>ne zu bee<strong>in</strong>flussen oder <strong>in</strong> ihr als e<strong>in</strong> eigenständiger<br />
Faktor auch öffentlich präsent zu se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Berichte und E<strong>in</strong>schätzungen<br />
der <strong>KPD</strong> aus den Jahren 1961 bis 1969 zeigen, dass sich die Parteil<strong>in</strong>ie, nach der<br />
Kommunisten <strong>in</strong> der Bewegung arbeiten sollten, nicht durchsetzen ließ oder gar<br />
nichtbiszudenAdressaten<strong>in</strong>dene<strong>in</strong>zelnenAusschüssendurchdrang. 234 Bekannte<br />
Kommunisten traten kaum als Redner oder öffentliche Akteure <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Der<br />
E<strong>in</strong>fluss von Kommunisten <strong>in</strong> der Bewegung war e<strong>in</strong> mitarbeitender, ke<strong>in</strong> bestimmender.<br />
Kommunisten würden zwar, so e<strong>in</strong> Bericht aus <strong>Bremen</strong> noch 1967, »als aktive<br />
Kräfte für die Vorbereitung und Durchführung des Ostermarsches anerkannt,<br />
231 Herbert Breidbach, Das <strong>KPD</strong>-Verbot und die illegale Arbeit bis <strong>1968</strong>, a.a.O., S. 142.<br />
232 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />
233 Ebenda.<br />
234 Siehe die umfangreichen Berichte <strong>in</strong> SAPMO DY IV 2/10.03/201-206 [Ostermarschbewegung 1961-<br />
1969].
348<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
aber noch nicht gleichberechtigt«. 235 E<strong>in</strong>großesundimmerwiedervonihrbemängeltes<br />
Manko der Ostermarschbewegung war <strong>in</strong> den Augen der <strong>KPD</strong> auch die nur<br />
wenig vorhandene Beteiligung aus der Arbeiterschaft, den Gewerkschaften und der<br />
SPD. 236<br />
Politik auf parlamentarischer Ebene:<br />
Deutsche Friedensunion (DFU) und Wahlbeteiligungen<br />
Parallel zur Wiederbelebung der Friedensbewegung auf außerparlamentarischer<br />
Ebene durch die Ostermarschbewegung gründete sich am 17. September 1960 die<br />
»Deutsche Friedensunion« (DFU). <strong>Die</strong> DFU war gedacht als auf Partei-Ebene agierendes<br />
Sammelbecken der verschiedenen Friedens- und Oppositionsgruppen <strong>in</strong> der<br />
Bundesrepublik. Ausschlaggebend für die Gründung war, dass viele Mitglieder<br />
dieser Gruppen die SPD als nicht mehr wählbar ansahen, nachdem sich diese auf<br />
ihrem Godesberger Parteitag 1959 zur Marktwirtschaft und zur Landesverteidigung<br />
bekannt hatte, und nachdem der stellvertretende SPD-Vorsitzende Herbert<br />
Wehner <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bundestagsrede am 30. Juni 1960 den außenpolitischen Kurswechsel<br />
der Partei (Bekenntnis zur NATO und zur Westorientierung) markiert hatte. 237<br />
An der DFU und ihrer Gründung waren von Anfang an Kommunisten beteiligt.<br />
Für die <strong>KPD</strong> hatte dieses Interesse und Engagement mehrere Gründe. <strong>Die</strong> Partei<br />
stand ebenso wie die übrigen oppositionellen Gruppen vor dem Problem, dass ihre<br />
Vorstellungen <strong>in</strong> der SPD, zu deren Wahl die <strong>KPD</strong> noch 1957 aufgerufen hatte,<br />
nicht mehr vertreten waren. Weiterh<strong>in</strong> entsprach die DFU der Konzeption e<strong>in</strong>er<br />
»E<strong>in</strong>heitsfront« und Bündnispolitik, wie sie bereits auf dem illegalen Parteitag 1957<br />
formuliert worden war, bis dah<strong>in</strong> aber nie wirksam werden konnte. Daneben bot<br />
die DFU auch die Möglichkeit, legale politische und eventuell sogar parlamentarische<br />
Arbeit zu leisten. 238<br />
Zu den Unterzeichnern des Gründungsaufrufes der DFU gehörte mit Hermann<br />
Gautier auch e<strong>in</strong> bekannter Bremer Kommunist. 239 <strong>Die</strong> Gründung des Bremer Lan-<br />
235 SAPMO DY IV 2/10.03/65 (Bericht des Politbüros über die Vorbereitung des Ostermarsches 1967, ohne<br />
Überschrift und Datum).<br />
236 Siehe die umfangreichen Berichte <strong>in</strong> SAPMO DY IV 2/10.03/201-206 [Ostermarschbewegung 1961-<br />
1969]; für <strong>Bremen</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/65 (Bericht des Politbüros über die Vorbereitung des Ostermarsches<br />
1967, ohne Überschrift und Datum).<br />
237 Vgl. zur DFU ausführlich: Rolf Schönfeldt, <strong>Die</strong> Deutsche Friedensunion, <strong>in</strong>: Richard Stöss, Parteien-<br />
Handbuch. <strong>Die</strong> Parteien der Bundesrepublik Deutschland <strong>1945</strong> - 1980, Band 1, S. 848-876; Lorenz<br />
Knorr, Geschichte der Friedensbewegung <strong>in</strong> der Bundesrepublik, Köln 1983, S. 122ff.<br />
238 Vgl. Rolf Schönfeldt, <strong>Die</strong> Deutsche Friedensunion, a.a.O., S. 853f.<br />
239 Herman Gautier war allerd<strong>in</strong>gs - im Zusammenhang mit se<strong>in</strong>en Aktivitäten <strong>in</strong> der DFU - im Juli 1961<br />
unter dem Verdacht der illegalen Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Köln festgenommen worden und kehrte erst<br />
im Mai 1962 aus der Untersuchungshaft zurück. Unter anderem hatten sich Wilhelm Kaisen und August<br />
Hagedorn für se<strong>in</strong>e Freilassung e<strong>in</strong>gesetzt. Erst im Januar 1966 begann der Prozess gegen Hermann<br />
Gautier vor dem Bundesgerichtshof. Im Juli 1966 verurteilte ihn das Gericht zu acht Monaten<br />
Gefängnis, die Strafe war mit der Untersuchungshaft abgegolten. Siehe dazu diverse Artikel im Weser-<br />
Kurier (8.7.1961, 11.1.1966, 12.1.1966, 13.1.1966, 14.1.1966, 18.1.1966, 20.7.1966, 22.7.1966, 23.7.1966), Der
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 349<br />
desverbandes, an der mit Walter Oberle (Mitherausgeber von Neues Echo) undRolf<br />
Stelljes (Geschäftsführer des Landesfriedenskomitees) ebenfalls Kommunisten beteiligt<br />
waren, erfolgte am 18. Februar 1961, 240 erster Landesvorsitzender wurde der<br />
Pfarrer Robert Hartke. 241 Auch die »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung« schloss sich als<br />
korporatives Mitglied der DFU an. 242<br />
<strong>Die</strong> DFU sollte bereits zur bevorstehenden Bundestagswahl am 17. September<br />
1961 antreten. Im Juni 1961 wurde die Bremer Landesliste der DFU bekannt gegeben,<br />
Spitzenkandidat wurde Robert Hartke. Auf der zwölfköpfigen Kandidatenliste<br />
waren außer Maria Krüger ke<strong>in</strong>e bekannten Kommunisten vertreten. 243<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte <strong>in</strong> ihrem Wahlprogramm vom April 1961 die Frage des konkreten<br />
Wahlverhaltens noch offengelassen, 244 entschloss sich aber dann doch zur Unterstützung<br />
der DFU, nachdem e<strong>in</strong>e Reihe von Kandidaturen kommunistischer<br />
E<strong>in</strong>zelbewerber gescheitert war. In <strong>Bremen</strong> kündigte im Mai 1961 Wilhelm Meyer-<br />
Buer se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelkandidatur für den Wahlkreis <strong>Bremen</strong>-West an. Auf e<strong>in</strong>er Wahlversammlung<br />
im Niederdeutschen Theater am 9. Juni 1961 bekannte sich Meyer-<br />
Buer offen dazu, Kommunist zu se<strong>in</strong> (was <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> aber sowieso jeder wusste),<br />
und forderte dazu auf, ihm als solchen bei den Bundestagswahlen die Stimme zu<br />
geben. Er kündigte weitere Veranstaltungen an, zu denen es jedoch nicht mehr<br />
kam. Am 13. Juni 1961 wurde die Wohnung Meyer-Buers durchsucht 245 und zahlreiches<br />
Material beschlagnahmt, angekündigte Versammlungen des Kandidaten<br />
wurden von der Polizei unterbunden. <strong>Die</strong> Staatsanwaltschaft leitete e<strong>in</strong> Ermittlungsverfahren<br />
e<strong>in</strong>, und klagte Meyer-Buer schließlich wegen Unterstützung der<br />
verbotenen <strong>KPD</strong> an. 246<br />
<strong>Die</strong> Unterstützung der DFU durch die <strong>KPD</strong> musste im Wahlkampf Folgen haben.<br />
Der Partei schlug »der eisige W<strong>in</strong>d des Kalten Krieges entgegen«. 247 Nach dem<br />
Bau der Berl<strong>in</strong>er Mauer am 13. August 1961 248 verschärfte sich der Antikommunismus<br />
<strong>in</strong> der Bundesrepublik und <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. <strong>Die</strong> DFU sah sich dem Vorwurf der<br />
kommunistischen Unterwanderung ausgesetzt und musste sich teilweise wüste Beschimpfungen<br />
(»Handlanger des Terrors«) gefallen lassen, besonders von Seiten<br />
der SPD, für die die DFU e<strong>in</strong>e Konkurrent<strong>in</strong> darstellte. 249 Kundgebungen und andere<br />
Veranstaltungen wurden massiv gestört, der Wahlkampf der DFU immer<br />
wieder beh<strong>in</strong>dert. Auch <strong>in</strong>nerparteilich kam es zu Spannungen: Der Bremer Vorsit-<br />
Spiegel 31/1966 und Neues Echo (9/1961, 28/1965, 45/1965); außerdem umfangreiche Materialien <strong>in</strong><br />
Privatarchiv Hermann Gautier sowie Interview Hermann Gautier.<br />
240 Verzicht auf Atomrüstung gefordert, Weser-Kurier, 20. Februar 1961.<br />
241 Vgl. Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 204.<br />
242 Ebenda.<br />
243 Neues Echo Nr. 13/1961 und 19/1961.<br />
244 Bundestagswahlprogramm der <strong>KPD</strong> 1961, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> -<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 2, S. 287ff.<br />
245 Neues Deutschland, 15. Juli 1961.<br />
246 Siehe Kapitel 6.<br />
247 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 205.<br />
248 In Neues Echo wurde der Bau der Mauer unter der Überschrift »Größte Agentenzentrale der Welt<br />
lahmgelegt« verteidigt (Neues Echo, Nr. 17/1961).<br />
249 Vgl. Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 205.
350<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
zende und Spitzenkandidat Robert Hartke erklärte se<strong>in</strong>en Rücktritt und warf der<br />
DFU vor, die Gefahr des Kommunismus unterschätzt zu haben. 250 Nach der Wahl<br />
traten weitere Mitglieder (u.a. der zweite Vorsitzende <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>) mit derselben Begründung<br />
aus der Partei aus. 251<br />
Unter diesen Umständen konnte es nicht verwundern, dass die DFU bei der<br />
Bundestagswahl am 17. September 1961 nicht mehr als 1,9 Prozent der Stimmen erhielt.<br />
In <strong>Bremen</strong> lag ihr Ergebnis mit 3,0 Prozent (12.639 Stimmen) über dem Bundesdurchschnitt.<br />
Neues Echo bezeichnet nach der Wahl das Ergebnis als »mehr als<br />
e<strong>in</strong> Achtungserfolg«, der trotz der massiven Beh<strong>in</strong>derungen der DFU im Wahlkampf<br />
erzielt worden sei. 252<br />
In den folgenden Jahren war die DFU im wesentlichen als Wahlpartei aktiv und<br />
bezog dabei zunehmend auch <strong>in</strong>nenpolitische Themen mit e<strong>in</strong>. Für die <strong>KPD</strong> bot die<br />
Friedensunion damit vor allem die Möglichkeit, sich aktiv an Bürgerschafts- und<br />
Bundestagswahlen zu beteiligen.<br />
Zur Bürgerschaftswahl 1963 bewarb sich die DFU mit e<strong>in</strong>er Kandidatenliste, auf<br />
der auch mehrere bekannte Bremer Kommunisten standen, u.a. Wilhelm Meyer-<br />
Buer, Hermann Gautier, Maria Krüger und Arthur Böpple. 253 <strong>Die</strong> »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung«<br />
erklärte, dass sie sich selbst nicht wieder an den Wahlen beteiligen,<br />
sondern die DFU unterstützen werde. 254 <strong>Die</strong> beiden Spitzenkandidaten der DFU<br />
(Erich Jacob und Wilhelm Meyer-Buer) waren denn auch identisch mit denen der<br />
Wählervere<strong>in</strong>igung von 1959. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> beteiligte sich <strong>in</strong>tensiv am Wahlkampf und<br />
gab als Ziel desselben sowie e<strong>in</strong>iger anderer Aktionen zum 6. August und 1. September<br />
die »Verstärkung des Kampfes aller demokratischen und Friedens<strong>org</strong>anisationen«<br />
vor. »Dem CDU-Kurs der ›Politik der Stärke‹ muss mit diesen Aktionen<br />
und dem Wahlkampf e<strong>in</strong>e neue entscheidende Niederlage bereitet werden«, hieß es<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Planungspapier der Bezirksleitung. 255<br />
Das Ergebnis der Wahlen vom 29. September 1963 war für die DFU wenig ermutigend<br />
und lag sogar noch niedriger als bei der Bundestagswahl 1961 unmittelbar<br />
nach dem Mauerbau. Sie erhielt 10.607 Stimmen (2,7 Prozent), was <strong>in</strong> etwa dem<br />
Ergebnis der Wählervere<strong>in</strong>igung von 1959 entsprach. Auch die Resultate der übrigen<br />
Parteien, <strong>in</strong>sbesondere der CDU, waren für die DFU nicht erfreulich. <strong>Die</strong> SPD<br />
erzielte wie 1959 wiederum die absolute Mehrheit, die CDU konnte gar ihren - allerd<strong>in</strong>gs<br />
sehr niedrigen - Stimmenanteil von 1959 (14,8 Prozent) nahezu verdoppeln<br />
(28,9 Prozent). Auch die FDP und die DP zogen wieder <strong>in</strong> die Bürgerschaft e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong><br />
DFU flüchtete sich <strong>in</strong> Zweckoptimismus und sah »das wichtigste Ergebnis der Bürgerschaftswahlen<br />
<strong>in</strong> der Tatsache, dass sich die Mehrheit der Wähler gegen die Adenauer-Politik<br />
ausgesprochen hat«, so Landesgeschäftsführer <strong>Die</strong>tmar T<strong>in</strong>nei. 256<br />
250 Ebenda.<br />
251 Ebenda, S. 206.<br />
252 Nach der Wahl, Neues Echo 20/1961.<br />
253 Das s<strong>in</strong>d die Kandidaten der DFU, Neues Echo 15/1963.<br />
254 Im Bündnis mit der DFU, Neues Echo 13/1963.<br />
255 Perspektivplan bis Ende des Jahres (<strong>Bremen</strong>), <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/55.<br />
256 Handeln und verhandeln!, Neues Echo 20/1963. Siehe auch ebenda: <strong>Die</strong> Bürgerschaftswahl 1963.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 351<br />
<strong>Die</strong> <strong>in</strong>terne Wahlanalyse der <strong>KPD</strong>-Bezirksleitung war kritischer. »Ziel des<br />
Wahlkampfes war, der CDU e<strong>in</strong>e Niederlage zu bereiten und die 5-%-Klausel zu<br />
überspr<strong>in</strong>gen. Das Ziel wurde nicht erreicht.« 257 Ursache dafür sei die »Atmosphäre<br />
des Kalten Krieges« und der Antikommunismus, dem sich auch die eigenen Genossen<br />
nicht entschieden genug oder falsch entgegen gestellt hätten:<br />
»Offensiver Kampf gegen den Antikommunismus besteht ja nicht dar<strong>in</strong>, zur DDR etwas zu<br />
sagen, wenn der Gegner mit se<strong>in</strong>er Hetze kommt. Es ist e<strong>in</strong>e ständige Aufgabe, die konkretes<br />
Wissen über die Verhältnisse, über den Aufbau, über alle Fragen der DDR voraussetzt. Und<br />
gerade konkretes Wissen fehlt oft. Viele Genossen, die ehrlich die DDR verteidigen wollen,<br />
verfallen deshalb oft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schwarz-Weiß-Malerei, die andere Menschen nicht überzeugt.«<br />
258<br />
Ansonsten beurteilte die Bezirksleitung den E<strong>in</strong>satz der Parteimitglieder positiv.<br />
Träger des DFU-Wahlkampfes war demnach die <strong>KPD</strong>:<br />
»Es wurde erreicht, dass e<strong>in</strong> großer Teil der Partei sich aktiv am Wahlkampf beteiligte. Im wesentlichen<br />
wurden alle Arbeiten von den Kadern der Partei getragen. [...] Das betrifft Flugblattverteilung,<br />
Plakataktionen, Diskussionen, Schutz der Versammlungen, Organisierung der<br />
Mahnwachen und im Grunde genommen alle Aufgaben, die mit der Führung des Wahlkampfes<br />
<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehen.« 259<br />
Der Aufwand habe jedoch <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Verhältnis zum Wahlergebnis gestanden,<br />
gab die Bezirksleitung später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er »Aussprache« <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> zu, und kritisierte<br />
den großen Materialaufwand. Es seien besonders <strong>in</strong> der letzten Woche vor der<br />
Wahl »e<strong>in</strong>e Unmenge von Plakaten, Flugblättern und anderen Wahlmaterialien der<br />
DFU von den Genossen vertrieben« worden, politische Gespräche mit der Bevölkerung<br />
seien kaum noch möglich gewesen. »Wenn wir <strong>in</strong> der letzten Woche noch e<strong>in</strong><br />
Flugblatt oder Plakat mehr bekommen hätten, hätten unsere Genossen alles h<strong>in</strong>geworfen.«<br />
260<br />
<strong>Die</strong> Analyse der Bezirksleitung betrachtete aber auch die DFU h<strong>in</strong>sichtlich ihrer<br />
Programmatik und ihrer Rolle als ›Wahlpartei‹ eher kritisch.<br />
»Trotz der im allgeme<strong>in</strong>en richtigen politischen Ziele gab es <strong>in</strong> der Darlegung e<strong>in</strong>er konstruktiven<br />
Landespolitik erhebliche Schwächen. So wurde z.B. das Ziel, für die traditionellen Wirtschaftszweige<br />
<strong>Bremen</strong>s (Häfen und Werften) e<strong>in</strong> konstruktives Programm auszuarbeiten, nur<br />
ungenügend verwirklicht. Auch <strong>in</strong> der Darlegung der landes- und kommunalpolitischen Ziele<br />
der DFU gab es erhebliche Mängel. Aber gerade diese Fragen spielen im Landtagswahlkampf<br />
e<strong>in</strong>e große Rolle.« 261<br />
Es müsse <strong>in</strong> Zukunft »e<strong>in</strong>e ständige Orientierung auf die landes- und kommunalpolitischen<br />
Probleme« geben. <strong>Die</strong> Bezirksleitung forderte mehr Kont<strong>in</strong>uität <strong>in</strong><br />
der politischen Arbeit. <strong>Die</strong> DFU sei seit der letzten Bundestagswahl »praktisch nicht<br />
<strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung getreten«. E<strong>in</strong> Wahlkampf könne nicht gewonnen werden, wenn<br />
nur <strong>in</strong> den letzten vier Wochen »alle Anstrengungen unternommen werden«. 262<br />
257 Bericht und E<strong>in</strong>schätzung der Bremer Bürgerschaftswahlen 29.9.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.03/55.<br />
258 Ebenda.<br />
259 Ebenda.<br />
260 Bericht über e<strong>in</strong>e Aussprache mit der BL <strong>Bremen</strong> am 13.10.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/106.<br />
261 Bericht und E<strong>in</strong>schätzung der Bremer Bürgerschaftswahlen 29.9.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.03/55.<br />
262 Ebenda.
352<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
E<strong>in</strong>e derartige Orientierung gab es auch <strong>in</strong> der Folgezeit nicht, die DFU blieb im<br />
wesentlichen e<strong>in</strong>e ›Wahlpartei‹. <strong>Die</strong> Bundestagswahlen 1965 brachten ihr ke<strong>in</strong> besseres<br />
Ergebnis als zuvor. Während die Partei auf Bundesebene sogar noch Stimmen<br />
verlor (sie erhielt nur 1,3 Prozent), konnte der Bremer Landesverband mit 2,7 Prozent<br />
immerh<strong>in</strong> <strong>in</strong> etwa se<strong>in</strong> Ergebnis von 1961 halten, wenn auch mit leichten<br />
Stimmenverlusten. Auf der Landesliste stand an zweiter Stelle das <strong>KPD</strong>-Mitglied<br />
He<strong>in</strong>z Röpke (Betriebsrat bei Klöckner), der auch als Direktkandidat der DFU im<br />
Wahlkreis <strong>Bremen</strong>-West auftrat. 263<br />
Schwerpunkt des Wahlkampfes der DFU <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> waren 1965 zum ersten Mal<br />
die geplanten Notstandsgesetze. Mit dem Motto »Notstandsgegner <strong>in</strong>s Parlament«<br />
sollten vor allem Gewerkschafter angesprochen werden, da sich der DGB zunehmend<br />
gegen die Notstandsgesetzgebung aussprach, die SPD aber eher für e<strong>in</strong>e Annahme<br />
votierte, und damit, so die Argumentation der DFU, für Notstandsgegner<br />
nicht wählbar sei. 264 <strong>Die</strong> verstärkte Orientierung auf <strong>in</strong>nenpolitische und gewerkschaftliche<br />
Themen hatte bei dieser Wahl noch ke<strong>in</strong>erlei Erfolge gebracht. E<strong>in</strong> gewisser<br />
E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> - mit dem Direktkandidaten He<strong>in</strong>z Röpke sowie etwa drei<br />
bis vier weiteren, eher unbekannten Kommunisten auf der Landesliste der DFU -<br />
war zwar festzustellen, g<strong>in</strong>g jedoch nicht über das bei den Wahlen zuvor gezeigte<br />
Maß h<strong>in</strong>aus und hatte außerdem nicht die erhoffte Wirkung <strong>in</strong> Gewerkschaftskreisen.<br />
<strong>Die</strong>s änderte sich mit der nächsten Bürgerschaftswahl im Oktober 1967, bei denen<br />
die DFU mit e<strong>in</strong>er stark auf Arbeiter<strong>in</strong>teressen und soziale Probleme ausgerichteten<br />
Programmatik auf 4,2 Prozent der Stimmen kam und damit das bundesweit<br />
höchste Wahlergebnis ihrer Geschichte erzielen konnte. <strong>Die</strong> Wahl war auch e<strong>in</strong> Erfolg<br />
für die illegale <strong>KPD</strong>, die den Großteil der Kandidaten stellte und entscheidend<br />
Programmatik und Wahlkonzept mitbestimmt hatte.<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> begann früh mit der Planung und Vorbereitung der Wahlen. Dabei<br />
war zunächst gar nicht sicher, ob die DFU überhaupt als eigenständige Partei bei<br />
den Bürgerschaftswahlen antreten sollte. E<strong>in</strong>e Vorlage für das Politbüro der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />
Ost-Berl<strong>in</strong> schlug im März 1967 vor, »e<strong>in</strong> Wahlbündnis aller demokratischen und<br />
friedliebenden Kräfte für die Bürgerschaftswahlen zu <strong>org</strong>anisieren. <strong>Die</strong>ses Bündnis<br />
der sozialistischen und demokratischen Kräfte soll e<strong>in</strong> antimonopolistisches und<br />
demokratisches Bündnis se<strong>in</strong>, das sich stark auf die Arbeiterklasse und ihre Gewerkschaften<br />
orientiert.« 265 Das Bündnis sollte u.a. gebildet werden von der »Bremer<br />
Wählervere<strong>in</strong>igung«, der DFU, dem »Arbeitskreis gegen die Notstandsgesetze«<br />
und der »Vere<strong>in</strong>igung unabhängiger Sozialisten« (VUS). <strong>Die</strong> Vorlage schlug<br />
auch gleich e<strong>in</strong>ige Namen wie »Demokratische L<strong>in</strong>ke«, »Demokratische Opposition«<br />
oder »Vere<strong>in</strong>igte L<strong>in</strong>ke« vor. 266<br />
263 Wählt Notstandsgegner <strong>in</strong> den Bundestag, Neues Echo 21/1965.<br />
264 Vgl. die Wahlkampfkampagne der DFU <strong>in</strong> Neues Echo Juli - September 1965.<br />
265 Vorlage für das Politbüro. Zu den Bürgerschaftswahlen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 1. Oktober 1967 [29. März 1967], S.8,<strong>in</strong>:<br />
SAPMO DY 2/10.03/65.<br />
266 Ebenda.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 353<br />
Das Politbüro lehnte jedoch die Bildung e<strong>in</strong>es solchen Wahlbündnisses ab. <strong>Die</strong><br />
Ablehnung basierte vor allem auf e<strong>in</strong>em Bericht von Hermann Gautier über die Situation<br />
der <strong>in</strong> der Vorlage genannten Organisationen und die »Ergebnisse erster<br />
Aussprachen«. <strong>Die</strong> diversen sozialistischen Splittergruppen wie die VUS hätten <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> »nur e<strong>in</strong>en verschw<strong>in</strong>dend kle<strong>in</strong>en Anhängerkreis und kaum Mitglieder«.<br />
Ihr E<strong>in</strong>fluss sei »gänzlich unbedeutend, so dass von daher ke<strong>in</strong>e nennenswerte Unterstützung<br />
für e<strong>in</strong> Wahlbündnis zu erwarten ist«. Es gebe auch ke<strong>in</strong>e Aussichten,<br />
»Sozialdemokraten bzw. sozialdemokratische oder bekannte parteilose Gewerkschaftsfunktionäre<br />
für e<strong>in</strong> Zusammengehen mit der kommunistischen Wählervere<strong>in</strong>igung<br />
und der DFU oder für e<strong>in</strong>e Kandidatur auf der Liste e<strong>in</strong>er fortschrittlichdemokratischen<br />
Wahlunion zu gew<strong>in</strong>nen«. Es bedeute daher, so das Politbüro,<br />
»ke<strong>in</strong>e Verbreiterung, sondern e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>engung, wenn die DFU nun e<strong>in</strong>e Gruppierung<br />
unterstützen soll, die <strong>in</strong> ihrer Breite kaum über die von den Kommunisten getragene<br />
Wählervere<strong>in</strong>igung h<strong>in</strong>ausgeht«. E<strong>in</strong> Politbüromitglied bemerkte außerdem,<br />
»dass die Parteigruppe <strong>in</strong> der Spitze der DFU nach Prüfung aller Umstände<br />
entschieden abrät, die DFU auf die Unterstützung e<strong>in</strong>er wesentlich engeren Gruppierung<br />
im Wahlkampf zu verpflichten; das würde auch die ohneh<strong>in</strong> schwierige<br />
Lage <strong>in</strong> der DFU noch mehr komplizieren«. Es gebe deshalb, so das Politbüro, »ke<strong>in</strong>e<br />
andere Möglichkeit, als alle Kräfte auf die Unterstützung der DFU zu konzentrieren«.<br />
267<br />
Das Politbüro übernahm aber die <strong>in</strong> der Vorlage genannten politischen Zielstellungen<br />
und beschloss »die Bildung e<strong>in</strong>er Wahlliste, die unter dem Namen der DFU<br />
kandidiert, auf der aber sowohl Vertreter der DFU, der Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung,<br />
des Arbeitskreises der Bremer Notstandsgegner und E<strong>in</strong>zelpersönlichkeiten - möglichst<br />
auch solche, die <strong>in</strong> der Arbeiterklasse und den Gewerkschaften Namen haben<br />
- kandidieren«. 268 Verabschiedet wurden außerdem die <strong>in</strong> der Vorlage genannten<br />
Grundzüge der Wahlprogrammatik und -ziele sowie e<strong>in</strong>e Reihe von der Bremer<br />
Bezirksleitung durchzuführenden Maßnahmen. <strong>Die</strong> »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung«<br />
sollte bereits im Mai 1967 »mit e<strong>in</strong>em besonders an die Arbeiter und Angestellten<br />
und ihre Gewerkschaften gerichteten Programm an die Öffentlichkeit treten« und<br />
außerdem mit der DFU und den anderen Organisationen Absprachen über das<br />
Bündnis und den Wahlkampf treffen. Spätestens im Juni sollte die DFU schließlich<br />
Wahlprogramm und Kandidatenliste veröffentlichen. 269<br />
<strong>Die</strong> Vorbereitung des Wahlkampfes begann noch im April 1967. Der Landesvorstand<br />
der DFU verbreitete nach e<strong>in</strong>er Vorstandssitzung am 21. April 1967 e<strong>in</strong>e<br />
Presserklärung, <strong>in</strong> der die Partei zur Zusammenarbeit »aller nicht von der Großen<br />
Koalition repräsentierten politischen Kräfte« aufrief. <strong>Die</strong> DFU werde sich bemühen,<br />
»das Auftreten der außerparlamentarischen Opposition zu koord<strong>in</strong>ieren«. 270<br />
267 Brief: Arbeitsbüro [Max Spangenberg] an Hermann Matern, 27.4.67, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/65.<br />
268 Beschluss der Vollsitzung des PB vom 30.- 31.3.1967, Zu den Bürgerschaftswahlen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 1. Oktober<br />
1967, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/199.<br />
269 Ebenda.<br />
270 Presseerklärung der DFU <strong>Bremen</strong> und Alle oppositionellen Kräfte zusammenführen!, Neues Echo 28. April<br />
1967, Nr. 17/18 1967.
354<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
Wie vom Politbüro v<strong>org</strong>esehen, trat die »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung« bereits<br />
Anfang Mai 1967 an die Öffentlichkeit. Auf e<strong>in</strong>er Landesmitgliederversammlung<br />
am 4. Mai 1967 erklärte sie, dass sie auf der Liste der DFU kandidieren werde, »als<br />
entschiedene Vertreter<strong>in</strong> der Interessen der arbeitenden Bevölkerung« und »<strong>in</strong> enger<br />
Verbundenheit mit der demokratischen Opposition, der DFU und den Notstandsgegnern«.<br />
271 Verabschiedet wurde auch e<strong>in</strong> Wahlprogramm, das <strong>in</strong> weiten<br />
Teilen mit den im Beschluss des Politbüros genannten Grundzügen der Wahlprogrammatik<br />
identisch war. Schon der Titel »Im Mittelpunkt: Der arbeitende Mensch«<br />
verdeutlichte klar die Zielrichtung. Enthalten waren e<strong>in</strong> Sofortprogramm (u.a. Kürzung<br />
des Rüstungsetats, Sicherung der Arbeitsplätze, höhere Löhne und Renten,<br />
Mieterschutz, Senkung der Lohnsteuer) sowie e<strong>in</strong> »demokratisches Entwicklungsprogramm«,<br />
das die »gesellschaftliche Stellung der arbeitenden Menschen fördern<br />
und ihren sozialen Besitzstand mehren« sollte. 272 Damit hatte die Wählervere<strong>in</strong>igung<br />
erstmals nicht die Friedens- und Deutschlandpolitik <strong>in</strong> den Mittelpunkt ihrer<br />
Programmatik gestellt, sondern vor allem <strong>in</strong>nenpolitische, soziale und auch sozialistische<br />
Forderungen (»Begrenzung der wirtschaftlichen Macht der großen Konzerne<br />
durch Überführung der Konzernbetriebe <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>eigentum«) 273 propagiert.<br />
Mehr im Mittelpunkt als zuvor standen außerdem landespolitische Themen und<br />
Entwicklungsperspektiven. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte damit auch die Konsequenzen aus den<br />
Erfahrungen der Bürgerschaftswahl von 1963 gezogen. Dass e<strong>in</strong>e solche Neuorientierung<br />
nötig und überhaupt möglich war, war auf die veränderten <strong>in</strong>nenpolitischen<br />
Bed<strong>in</strong>gungen zurückzuführen. 1966/67 geriet die Bundesrepublik <strong>in</strong> die erste<br />
größere Rezession seit dem »Wirtschaftswunder«. H<strong>in</strong>zu kamen die Bildung der<br />
Großen Koalition 1966 und das Erstarken der außerparlamentarischen Opposition<br />
im Zuge der Studentenbewegung, die 1967 ihre ersten Höhepunkte hatte und durch<br />
die auch sozialistische Theorien und Forderungen wieder auf breiteres Interesse<br />
und größere Akzeptanz trafen. Gleichzeitig hatte sich das <strong>in</strong>nenpolitische Klima<br />
allmählich liberalisiert. <strong>Die</strong> Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots wurde <strong>in</strong> der Öffentlichkeit<br />
zunehmend diskutiert, so dass Kommunisten bzw. die <strong>KPD</strong> verstärkt öffentlich<br />
auftreten konnten.<br />
Das Wahlprogramm und die Kandidatenliste der DFU wurden auf e<strong>in</strong>em Landeswahlkongress<br />
am 9. Juni beschlossen. 274 Das Programm enthielt zwar noch allgeme<strong>in</strong>e<br />
Kritik an der Rüstung, die konkreten Forderungen bezogen sich jedoch<br />
fast ausschließlich auf <strong>in</strong>nen- und sozialpolitische Themen (Sicherung von Arbeitsplätzen,<br />
Ausbau sozialer Infrastruktur und des Bildungswesens, Ausbau der De-<br />
271 Forderungsprogramm für die Arbeiter, Neues Echo 12. Mai 1967, Nr. 19/1967.<br />
272 Im Mittelpunkt: Der arbeitende Mensch. Forderungsprogramm der Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung, Bürgerschaftswahl<br />
1967, <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier. <strong>Die</strong> <strong>in</strong>haltliche Neuorientierung kam auch <strong>in</strong> der Verkürzung<br />
des Namens der Wählervere<strong>in</strong>igung zum Ausdruck: »gegen atomare Aufrüstung, für Frieden<br />
und Verständigung« wurde schlicht entfernt.<br />
273 Im Mittelpunkt: Der arbeitende Mensch. Forderungsprogramm der Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung, Bürgerschaftswahl<br />
1967, <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier.<br />
274 Der demokratischen Opposition Gehör im Parlament verschaffen, Neues Echo 16. Juni 1967, Nr. 24/1967.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 355<br />
mokratie und Ablehnung der Notstandsgesetze). Erst an letzter Stelle stand die<br />
Forderung nach »Sicherheit durch e<strong>in</strong>e Politik des Friedens und der Abrüstung«. 275<br />
Zur Kandidatenliste erklärte die DFU, sie habe ihre Liste »unabhängigen Personen<br />
und verschiedenen oppositionellen Gruppierungen zur Verfügung gestellt. Da<br />
die Auswirkungen der gescheiterten Bonner Politik die Berufstätigen zuerst treffen<br />
und Arbeitsplätze sowie sozialer Besitzstand nicht mehr gesichert s<strong>in</strong>d, hat sie ihre<br />
Liste besonders Vertretern der Arbeiterschaft geöffnet.« 276 <strong>Die</strong> Vertreter der<br />
Arbeiterschaft waren hauptsächlich Kommunisten. Von den 25 Kandidaten der<br />
DFU für den Wahlbereich <strong>Bremen</strong> waren fast die Hälfte bekannte <strong>KPD</strong>-Mitglieder,<br />
als Spitzenkandidat trat Hermann Gautier an. 277<br />
Auch im Wahlkampf traten für die DFU <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die kommunistischen<br />
Kandidaten auf. <strong>Die</strong> Kle<strong>in</strong>arbeit <strong>in</strong> den Stadtteilen, so Herbert Breidbach, habe<br />
»vorwiegend auf den Schultern von Kommunisten« gelegen, »das war die eigentliche<br />
Basis - die DFU hatte ja nicht <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne Gruppen, Parteigruppen. Das war<br />
unsere Arbeit.« 278 Neu war bei dieser Wahl, dass die kommunistischen Kandidaten<br />
auch offen als Kommunisten auftraten. »Zum ersten Mal seit vielen Jahren«, so e<strong>in</strong>e<br />
spätere Wahlanalyse der <strong>KPD</strong>, seien »<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gezielten Aktion bekannte Kommunisten<br />
wieder vor den Betrieben aufgetreten«. 279 <strong>Die</strong> Stimmung <strong>in</strong> der Bevölkerung<br />
für die Politik der Partei sei durch die Bildung der Großen Koalition offensichtlich<br />
günstiger geworden. »Wo es Diskussionen gab, haben wir feststellen können, dass<br />
der primitive Antikommunismus ger<strong>in</strong>ger geworden ist«. 280<br />
Das Ergebnis der Bürgerschaftswahlen am 1. Oktober 1967 musste der DFU wie<br />
vor allem auch der <strong>in</strong>zwischen verstärkt nach Wiederzulassung strebenden <strong>KPD</strong> als<br />
Bestätigung ersche<strong>in</strong>en: 281 Sie erzielte 17.240 Stimmen (4,2 Prozent). Damit verfehlte<br />
sie zwar den E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die Bürgerschaft, konnte aber im Vergleich zu 1963 fast<br />
7000 Stimmen h<strong>in</strong>zugew<strong>in</strong>nen. Gleichzeitig war dies das mit Abstand beste Ergebnis,<br />
das die DFU auf Bundesebene jemals <strong>in</strong> Landtags- oder Bundestagswahlen erzielen<br />
konnte. 282<br />
Offenbar hatte die DFU mit ihrer auf Arbeitnehmer<strong>in</strong>teressen zugeschnittenen<br />
und im wesentlichen von der <strong>KPD</strong> formulierten Programmatik nun auch die Wäh-<br />
275 Es kann der Bremer nicht <strong>in</strong> Frieden leben, wenn es den Bonnern nicht gefällt. Programm für <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven,<br />
<strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier. Der Name DFU tauchte auf dem Titel des Programms gar<br />
nicht auf. Auf der Innenseite heißt es lediglich »Programm der demokratischen Opposition (DFU) zur<br />
Bürgerschaftswahl«.<br />
276 Der demokratischen Opposition Gehör im Parlament verschaffen, Neues Echo 16. Juni 1967, Nr. 24/1967.<br />
277 Ebenda. Zwölf der 25 Kandidaten waren mit Sicherheit Mitglieder der <strong>KPD</strong>. Es ist aber davon auszugehen,<br />
dass dies auch auf e<strong>in</strong>ige andere, weniger bekannte zutraf.<br />
278 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />
279 Beschluss des Politbüros vom 6. Oktober 1967, Zur Wahle<strong>in</strong>schätzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />
2/10.03/199. Siehe auch z.B. Foto und Kurzartikel über Hermann Gautier bei e<strong>in</strong>er Flugblattverteilung<br />
vor der AG »Weser«, <strong>in</strong> Im Mittelpunkt: Der arbeitende Mensch, Neues Echo 14. Juli 1967, Nr. 28/1967.<br />
280 Beschluss des Politbüros vom 6. Oktober 1967, Zur Wahle<strong>in</strong>schätzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />
2/10.03/199.<br />
281 Siehe Erklärung der Deutschen Friedensunion, Landesverband <strong>Bremen</strong>, zum Ausgang der Bremer Bürgerschaftswahlen<br />
1967, Neues Echo 6. Oktober 1967, Nr. 40/1967.<br />
282 Vgl. Rolf Schönfeldt, <strong>Die</strong> Deutsche Friedensunion, a.a.O., S. 868.
356<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
ler <strong>in</strong> den Arbeiterbezirken ansprechen können. Ihre besten Ergebnisse erzielte sie<br />
<strong>in</strong> den Ortsteilen Osterfeuerberg (12,3 Prozent), Gröpel<strong>in</strong>gen (8,3 Prozent) und Oslebshausen<br />
(7,4 Prozent), allesamt ehemalige Hochburgen der <strong>KPD</strong>. Hier hatte auch<br />
die SPD - die <strong>in</strong>sgesamt über 30.000 Stimmen verlor und auf nur noch 46 Prozent<br />
kam - ihre stärksten Verluste zu verzeichnen.<br />
Relativiert wurde das für die DFU positive Ergebnis allerd<strong>in</strong>gs durch den<br />
Wahlerfolg der rechtsradikalen NPD, die mit 8,8 Prozent der Stimmen <strong>in</strong> die Bürgerschaft<br />
e<strong>in</strong>zog. 283 Auch <strong>in</strong> den meisten der genannten Ortsteile konnte die NPD<br />
e<strong>in</strong>en höheren Stimmenanteil erzielen als die DFU. 284<br />
<strong>Die</strong> Wahlanalyse des Politbüros der <strong>KPD</strong> stellte deshalb auch zunächst den Erfolg<br />
der NPD und die starken Stimmenverluste der SPD <strong>in</strong> den Vordergrund. Das<br />
Hauptergebnis der Wahlen sei »e<strong>in</strong>deutig e<strong>in</strong>e Rechtsentwicklung« und der E<strong>in</strong>zug<br />
der NPD <strong>in</strong> die Bürgerschaft e<strong>in</strong>e »alarmierende Entwicklung«. Man müsse das Ergebnis<br />
für die faschistische NPD »sehr ernst e<strong>in</strong>schätzen«. Das Politbüro vermutete,<br />
»dass die NPD offensichtlich der Hauptgew<strong>in</strong>ner des Stimmenverlustes von der<br />
SPD war. Das sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> Ausdruck dafür zu se<strong>in</strong>, dass viele mit der Politik der<br />
großen Koalition unzufriedene Wähler diesmal dieser neofaschistischen Partei ihre<br />
Stimme gegeben haben«. 285<br />
Das Wahlergebnis für die DFU bezeichnete das Politbüro als »bedeutungsvoll«<br />
und »beachtlichen Erfolg«. »Zum ersten Mal seit vielen Jahren haben wir e<strong>in</strong> Ergebnis<br />
erzielt, das nahe an die 5-Prozent-Klausel heranreicht [...]. Wenn man dabei<br />
berücksichtigt, dass wir mit 17.000 Stimmen fast das Ergebnis der letzten erfolgreichen<br />
Wahlen für die Partei im Jahre 1955 erreichten [...], dann unterstreicht das diesen<br />
Erfolg.«<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> führte den relativen Erfolg hauptsächlich auf die <strong>in</strong>haltliche Neuorientierung<br />
der DFU zurück, die bei den Wählern auf mehr Verständnis gestoßen sei.<br />
Auch die Zusammensetzung der Kandidatenliste habe deutlich gemacht,<br />
»dass wir uns auf die Arbeiter und auf die werktätigen Schichten konzentrieren [...]. Wichtig<br />
ist vor allem, dass e<strong>in</strong>e ganze Reihe Kommunisten auf diesen Listen standen, und dass <strong>in</strong> der<br />
Bevölkerung auch anerkannt wurde, dass die Kommunisten <strong>in</strong> der Vergangenheit die besten<br />
Interessenvertreter für die sozialen und demokratischen Interessen der Bevölkerung waren,<br />
und dass sich das Auftreten der Kommunisten auf den Listen der demokratischen Opposition<br />
positiv bemerkbar gemacht hat«. 286<br />
Das Ergebnis der Bremer Bürgerschaftswahlen, die <strong>in</strong>haltliche Neuorientierung<br />
und die vorangegangenen Überlegungen zur Gründung e<strong>in</strong>es neuen Wahlbündnissesmarkierten<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>dieAbkehrder<strong>KPD</strong>vonderhauptsächlichaufdieFriedenspolitik<br />
orientierten DFU. Konkrete Überlegungen dazu waren <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> bereits<br />
vor der Wahl angestellt worden. E<strong>in</strong>e Vorlage des für die <strong>KPD</strong> zuständigen<br />
283 Bereits 1959 hatte die rechtsradikale DRP mit 3,8 Prozent mehr Stimmen erzielen können als die Bremer<br />
Wählervere<strong>in</strong>igung.<br />
284 Materialien Statistisches Landesamt (Wahlamt).<br />
285 Beschluss des Politbüros vom 6. Oktober 1967, Zur Wahle<strong>in</strong>schätzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />
2/10.03/199.<br />
286 Ebenda.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 357<br />
SED-Arbeitsbüros kam im September 1967 zu e<strong>in</strong>er skeptischen E<strong>in</strong>schätzung der<br />
DFU. <strong>Die</strong> Entwicklung der DFU seit ihrer Gründung habe gezeigt, dass das Konzept<br />
der Schaffung e<strong>in</strong>er breiten Sammlungsbewegung offensichtlich gescheitert<br />
sei:<br />
»<strong>Die</strong> DFU blieb e<strong>in</strong>e fast wirkungslose M<strong>in</strong>derheit, die nicht fähig wurde, <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>e Klasse<br />
oder Schicht, geschweige denn im ganzen Volk der Bundesrepublik nennenswerten E<strong>in</strong>fluss<br />
zu erreichen [...]. Aus der Absicht, primär e<strong>in</strong>e Bewegung und sekundär e<strong>in</strong>e Partei zu schaffen,<br />
damit auch über die parlamentarischen Wege die Opposition zu Wort kommt, ist nichts<br />
geworden. Im wesentlichen zeigte die DFU nur als Wahlpartei sichtbare Aktivität. Auch die<br />
Wiederbelebung nach leeren und langen Perioden der Stagnation und des fast völligen Erliegens<br />
des <strong>in</strong>ner<strong>org</strong>anisatorischen Lebens geschah fast nur <strong>in</strong> der Vorbereitung von Wahlen.«<br />
287<br />
<strong>Die</strong> Vorlage empfahl die Umwandlung der DFU »<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Partei, die versucht,<br />
E<strong>in</strong>fluss auf die bürgerliche Intelligenz, auf die mittlere und kle<strong>in</strong>e Bourgeoisie und<br />
evtl. auf das städtische Kle<strong>in</strong>bürgertum zu bekommen«. <strong>Die</strong> Kräfte der <strong>KPD</strong> seien<br />
»bis auf solche, die fest <strong>in</strong> der DFU aufgegangen s<strong>in</strong>d, von ihr zu lösen [...]. <strong>Die</strong><br />
nicht <strong>in</strong> der Öffentlichkeit als Kommunisten bekannten Mitglieder der Partei sollten<br />
sich offiziell von der DFU trennen, um E<strong>in</strong>fluss auf die Gründung und Gestaltung<br />
der unabweichlich entstehenden Partei zu nehmen«. 288<br />
Max Spangenberg, Leiter des Arbeitsbüros der SED, bezeichnete die Vorschläge<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er späteren Bewertung der Vorlage als »der Überlegung wert«, empfahl aber<br />
mit e<strong>in</strong>er Entscheidung noch abzuwarten. 289 <strong>Die</strong> Entwicklung der folgenden Monate<br />
bis zur Neugründung der DKP im September <strong>1968</strong> allerd<strong>in</strong>gs zeichnete sich <strong>in</strong><br />
den Überlegungen des Arbeitsbüros zur DFU und zur künftigen Gestaltung von<br />
»demokratischen Sammlungsbewegungen« bereits ab. 290<br />
6. Aktivitäten gegen das Verbot und die Gründung der DKP<br />
Zu dem für die Partei als Organisation wichtigsten Arbeitsschwerpunkt der <strong>KPD</strong><br />
wurden <strong>in</strong> den 1960er Jahren die Aktivitäten gegen das Verbot, an deren Entwicklung<br />
ebenfalls die veränderten Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen der Partei deutlich wurden<br />
In <strong>Bremen</strong> gab es bis Mitte der 1960er Jahre nur sehr selten öffentliche Äußerungen<br />
von Kommunisten, die die Aufhebung des Verbots forderten. 291 Auch <strong>in</strong><br />
287 1. Entwurf: Vorschläge über Perspektive und Inhalt der Sammlungsbewegung [Arbeitsbüro, 27. September<br />
1967], <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/213.<br />
288 Ebenda.<br />
289 Bemerkungen zur Vorlage: Zu e<strong>in</strong>igen Problemen der DFU und der Sammlung der demokratischen Kräfte, <strong>in</strong>:<br />
SAPMO DY IV 2/10.03/213.<br />
290 <strong>Die</strong> <strong>in</strong> der Vorlage entworfenen Skizzierungen und Vorschläge für e<strong>in</strong>e demokratische Sammlungsbewegung<br />
fanden sich später <strong>in</strong> der »Aktion demokratischer Fortschritt« (ADF) wieder, mit der die neugegründete<br />
DKP 1969 zur Bundestagswahl antrat. Auch die DFU beteiligte sich an der ADF.<br />
291 So beispielsweise Wilhelm Meyer-Buer anlässlich se<strong>in</strong>er Bundestagskandidatur 1961.
358<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
Neues Echo fanden sich nur sehr vere<strong>in</strong>zelt und <strong>in</strong>direkt formuliert solche Forderungen<br />
nach Wiederzulassung der <strong>KPD</strong>.<br />
1964 begann auch die Bremer <strong>KPD</strong>, die Forderung nach Aufhebung des Verbots<br />
stärker <strong>in</strong> der Öffentlichkeit zu vertreten. <strong>Die</strong> politische Diskussion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> eröffnete<br />
e<strong>in</strong> sozialdemokratischer Senator. Hans Koschnick, seit 1963 Innensenator,<br />
hatte auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz am 6. Februar 1964 den Bremer Verfassungsschutzbericht<br />
v<strong>org</strong>estellt und dabei e<strong>in</strong>e »geistige Ause<strong>in</strong>andersetzung« mit dem Kommunismus<br />
gefordert. »Purer Antikommunismus«, so Koschnick, reiche nicht aus<br />
um »Jugendliche ebenso wie Erwachsene über Taktik und Ziele der totalitären<br />
Machthaber jenseits des Eisernen Vorhangs aufzuklären«. 292 Daraufh<strong>in</strong> schrieb<br />
Hermann Gautier e<strong>in</strong>en Offenen Brief an Koschnick. Er entnehme den Äußerungen<br />
des Innensenators, so Gautier, dass dieser das Verbot der <strong>KPD</strong> nicht für richtig halte,<br />
»denn e<strong>in</strong>e wirkliche politische Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Kommunisten ist<br />
nur möglich, wenn die Legalität der <strong>KPD</strong> wiederhergestellt wird.« Das Verbot sei<br />
e<strong>in</strong> »Akt der starren Politik der Adenauer-Ära« gewesen und entspreche nicht mehr<br />
den politischen Bed<strong>in</strong>gungen, die von e<strong>in</strong>er zunehmenden Entspannung gekennzeichnet<br />
seien. Alle, die den Kalten Krieg beenden wollten, und dazu rechne er nun<br />
auch Koschnick, müssten daher »E<strong>in</strong>fluss darauf ausüben, dass auch h<strong>in</strong>sichtlich<br />
der Wiederherstellung der Legalität der <strong>KPD</strong> bald Schritte unternommen werden«.<br />
293<br />
In der Folgezeit versuchte auch Neues Echo, die öffentliche Debatte zu <strong>in</strong>tensivieren<br />
und veröffentlichte verstärkt Artikel und Me<strong>in</strong>ungen gegen das Verbot der<br />
<strong>KPD</strong>. Im Februar 1965 war es dann wieder Hans Koschnick, der sich anlässlich der<br />
Beratungen zum Bremischen Pressegesetz <strong>in</strong> der Bürgerschaft für e<strong>in</strong>e Revision des<br />
politischen Strafrechts und für e<strong>in</strong>e Überprüfung des <strong>KPD</strong>-Verbots aussprach. 294<br />
Daraufh<strong>in</strong> wagte die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>en weiteren Schritt nach vorn: Am 2. April 1965 fand<br />
im Niederdeutschen Theater erstmals e<strong>in</strong>e öffentliche Diskussionsveranstaltung zur<br />
Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots statt, zu der die vier ehemaligen Bürgerschaftsabgeordneten<br />
e<strong>in</strong>geladen hatten. 295 <strong>Die</strong> Veranstaltung fand laut Neues Echo, das <strong>in</strong> großer<br />
Aufmachung berichtete, über 400 Teilnehmer. 296 Hermann Gautier erklärte auf<br />
der Veranstaltung, dass es den Kommunisten nicht um parteiegoistische Ziele gehe:<br />
»<strong>Die</strong> Frage der Wiederherstellung der Legalität der <strong>KPD</strong> ist zugleich e<strong>in</strong>e Frage des allgeme<strong>in</strong>en<br />
demokratischen Bewusstse<strong>in</strong>s. Wie viel und wie wenig Demokratie es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lande<br />
292 Illegale Kommunisten müde geworden, Weser-Kurier, 7. Februar 1964.<br />
293 Exemplar des Offenen Briefes <strong>in</strong> Privatarchiv Hermann Gautier. Außerdem abgedruckt <strong>in</strong> Neues Echo<br />
8/1964, 22. Februar 1964; ebenfalls <strong>in</strong>: Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung <strong>in</strong> Deutschland<br />
seit <strong>1945</strong>, bearbeitet und herausgegeben von Ossip K. Flechtheim, 9 Bände, Berl<strong>in</strong> 1962ff., hier: Band 5,<br />
S. 366. Von der übrigen Bremer Presse wurde der Offene Brief nicht erwähnt.<br />
294 <strong>Bremen</strong>s Innensenator Koschnick: <strong>KPD</strong>-Verbot überprüfen, Neues Echo 8/1965, 26. Februar 1965.<br />
295 Ankündigung <strong>in</strong> Neues Echo, Nr. 13/1965, 2. April 1965; Plakat »Das <strong>KPD</strong>-Verbot aufheben! <strong>in</strong> Privatarchiv<br />
Hermann Gautier.<br />
296 <strong>Bremen</strong>: 400 Bürger nahmen teil am Ausspracheabend über <strong>KPD</strong>-Verbot und Aussprache über <strong>KPD</strong>-Verbot,<br />
Neues Echo Nr. 14/1965, 9. April 1965.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 359<br />
gibt, zeigt sich daran, ob die Kommunisten am politischen Leben des Volkes gleichberechtigt<br />
teilnehmen oder ob sie verfolgt werden.« 297<br />
Neues Echo betonte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht, dass »sowohl die E<strong>in</strong>berufer der Veranstaltung<br />
[...], als auch die Diskussionsredner kommunistischer Ges<strong>in</strong>nung« sich<br />
»zum Grundgesetz der Bundesrepublik und zu den Regeln e<strong>in</strong>es wahrhaft sozialen<br />
und demokratischen Rechtsstaates« bekannt hätten. 298<br />
<strong>Die</strong> Veranstaltung sollte bis 1967 die e<strong>in</strong>zige dieser Art bleiben. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> beschränkte<br />
sich <strong>in</strong> der Folgezeit zunächst auf Artikel <strong>in</strong> Neues Echo. Dabei wurde <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> die Stimmung für e<strong>in</strong>e Wiederzulassung der <strong>KPD</strong> zunehmend günstiger.<br />
Innensenator Koschnick erneuerte auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz am 23. September 1965<br />
se<strong>in</strong>e Forderung nach e<strong>in</strong>er »geistigen Ause<strong>in</strong>andersetzung« mit den Kommunisten,<br />
299 selbst der Bremer CDU-Bundestagsabgeordnete Ernst Müller-Hermann<br />
sprach sich im August 1965 für die Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots aus, 300 und im<br />
Zuge der Anti-Notstandsbewegung wurde die Wiederzulassung der <strong>KPD</strong> auch <strong>in</strong><br />
der außerparlamentarischen Opposition und <strong>in</strong> der Friedensbewegung e<strong>in</strong> Thema.<br />
1966 <strong>in</strong>tensivierte Neues Echo die Diskussion für die Wiederzulassung der <strong>KPD</strong>,<br />
und nachdem sich im März 1967 der »Initiativausschuss zur Wiederzulassung der<br />
<strong>KPD</strong>« gebildet hatte - dessen Kommuniqué Neues Echo im Wortlaut abdruckte -301, wurde die Aufhebung des Verbots zu e<strong>in</strong>em zentralen Thema der Zeitung. Im August<br />
1967 konstatierte Hermann Gautier, dass es eigentlich schon gar nicht mehr<br />
»so sehr um das Für und Wider der Wiederzulassung der <strong>KPD</strong>« gehe, da deren<br />
Notwendigkeit <strong>in</strong>zwischen »überall und von allen« betont werde. Gautier sprach<br />
sich gegen die <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> die Diskussion gebrachte Neugründung e<strong>in</strong>er Kommunistischen<br />
Partei aus, da diese neue Partei sofort wieder »den Verbotsdrohungen<br />
der herrschenden Kreise <strong>in</strong> der Bundesrepublik« ausgesetzt wäre. 302 Öffentliche<br />
Auftritte von Kommunisten wurden nun immer häufiger, <strong>in</strong>sbesondere vor der<br />
Bürgerschaftswahlen 1967, bei der die DFU mit Hermann Gautier als Spitzenkandidaten<br />
und zahlreichen weiteren Kommunisten auf den Listenplätzen auftrat.<br />
Anfang <strong>1968</strong> g<strong>in</strong>g die <strong>KPD</strong> dann <strong>in</strong> die Offensive. Im Februar <strong>1968</strong> wurde der<br />
neue Programmentwurf veröffentlicht, bereits zuvor, im Januar <strong>1968</strong>, war für den<br />
21. Februar e<strong>in</strong>e Veranstaltung unter dem Titel »L<strong>in</strong>ks heißt die Parole! <strong>KPD</strong> zulassen!«<br />
angekündigt worden, zu der »die Kommunisten Herbert Breidbach, He<strong>in</strong>z<br />
Röpke, Hermann Siemer<strong>in</strong>g und Willi Esselborn« e<strong>in</strong>luden. 303 Für die Veranstaltung<br />
wurde massiv <strong>in</strong> der Öffentlichkeit geworben. So stellten sich beispielsweise<br />
Hermann Gautier und andere Kommunisten vor Bremer Großbetriebe und verteilten<br />
Flugblätter mit der Veranstaltungsankündigung. In der Bremer Innenstadt<br />
297 Aussprache über <strong>KPD</strong>-Verbot, Neues Echo Nr. 14/1965, 9. April 1965.<br />
298 Ebenda.<br />
299 Polizei das letzte Mittel gegen illegales Wirken, Weser-Kurier 24. September 1965.<br />
300 Müller-Hermanns »lichter Moment«, Neues Echo Nr. 34/1965, 27. August 1965.<br />
301 Der <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e Chance geben!, Neues Echo Nr. 12/1967, 24. März 1967.<br />
302 »<strong>KPD</strong>-Verbot aufheben«, Neues Echo Nr. 33/1967, 18. August 1967.<br />
303 Neues Echo Nr. 2/<strong>1968</strong>, 12. Januar <strong>1968</strong>.
360<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
wurden vor e<strong>in</strong>em Informationsstand Flugblätter verteilt und versucht, mit Passanten<br />
über das <strong>KPD</strong>-Verbot zu diskutieren. 304<br />
<strong>Die</strong> angekündigte Diskussionsveranstaltung mit den beiden <strong>KPD</strong>-<br />
Führungsmitgliedern Grete Thiele und Franz Ahrens fand am 21. Februar <strong>1968</strong> <strong>in</strong><br />
der »Glocke« statt und fand, laut Neues Echo, über 600 Teilnehmer. 305 Hauptforderung<br />
auf der Veranstaltung war - neben der Wiederzulassung der <strong>KPD</strong> - »die freie<br />
und offene Diskussion des Programmentwurfs der <strong>KPD</strong>«, dessen Verteilung <strong>in</strong>zwischen<br />
<strong>in</strong> der gesamten Bundesrepublik strafrechtlich verfolgt wurde, 306 und aus<br />
dem auf der Veranstaltung nicht zitiert werden durfte. In der folgenden Diskussion<br />
zeigte sich, dass die <strong>KPD</strong> auch bei der l<strong>in</strong>ken Opposition immer noch auf Vorbehalte<br />
wegen ihrer Identifizierung mit der DDR stieß. Anwesende Mitglieder des SDS<br />
kritisierten DDR und Sowjetunion und bezweifelten, dass dort e<strong>in</strong> echter Sozialismus<br />
herrsche. Neues Echo warf den Kritikern daraufh<strong>in</strong> »Schizophrenie« und e<strong>in</strong>e<br />
Übernahme von Argumenten der Spr<strong>in</strong>ger-Presse vor. Franz Ahrens forderte die<br />
SDSler auf, »solidarisch zur <strong>KPD</strong> zu stehen, wie diese zu ihnen«. 307<br />
Am 1. Mai <strong>1968</strong> wurde die Gründung des »Arbeitskreises für die Aufhebung<br />
des <strong>KPD</strong>-Verbots« für das Land <strong>Bremen</strong> bekannt gegeben. 308 Der Arbeitskreis habe<br />
sich die Aufgabe gestellt, »die Forderung nach Wiederzulassung der <strong>KPD</strong> noch<br />
nachdrücklicher zu vertreten, als <strong>in</strong> den letzten Monaten bereits von vielen Kräften<br />
aus der gesamten Bundesrepublik geschehen«, hieß es <strong>in</strong> der Bekanntmachung. <strong>Die</strong><br />
erste Forderung sei »die freie Diskussion über den von der <strong>KPD</strong> v<strong>org</strong>elegten Programm-Entwurf«.<br />
Weiterh<strong>in</strong> solle der Arbeitskreis ȟber alle aktuellen politischen<br />
Probleme vom Standpunkt der Kommunisten aus die Bevölkerung, vor allem die<br />
Arbeiterschaft und die Jugend, <strong>in</strong> Wort und Schrift unterrichten«. <strong>Die</strong> unterzeichneten<br />
Mitglieder des Arbeitskreises - allesamt ehemalige Mitglieder der Landesleitung<br />
oder der Kreisleitung - 309 kündigten außerdem e<strong>in</strong>e weitere Veranstaltung zum<br />
304 Neues Echo Nr. 8/<strong>1968</strong>, 23. Februar <strong>1968</strong>. Exemplare der Flugblätter und Plakate <strong>in</strong> Privatarchiv Hermann<br />
Gautier. Für Bremerhaven wurde e<strong>in</strong>e ähnliche Veranstaltung, ebenfalls mit Hermann Gautier<br />
und Franz Ahrens, für den 29. März angekündigt. E<strong>in</strong>lader waren »die Bremerhavener Kommunisten<br />
Emil F<strong>in</strong>k und Günther Niehaus« (Flugblatt und Plakat <strong>in</strong> Privatarchiv Hermann Gautier).<br />
305 Das <strong>KPD</strong>-Verbot muss aufgehoben werden!, Neues Echo Nr. 9/<strong>1968</strong>, 1. März <strong>1968</strong>.<br />
306 Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wurde e<strong>in</strong> <strong>KPD</strong>-Mitglied deshalb verhaftet: Anfang April <strong>1968</strong> nahm die Polizei He<strong>in</strong>rich<br />
Reichel fest und beschlagnahmte 1.300 Exemplare des Programmentwurfs, die von dem alten KP-<br />
Funktionär mit dem Auto von Österreich nach <strong>Bremen</strong> gebracht worden waren (Bremer holte Programme<br />
der <strong>KPD</strong> aus Österreich, Weser-Kurier, 5. April <strong>1968</strong>). Siehe auch Offener Brief an den Senatspräsidenten<br />
Hans Koschnick, <strong>in</strong> dem die unterzeichneten neun Bremer Kommunisten gegen die Verhaftung protestieren<br />
(Neues Echo, Nr. 15/<strong>1968</strong>, 12. April <strong>1968</strong>).<br />
307 Das <strong>KPD</strong>-Verbot muss aufgehoben werden!, Neues Echo Nr. 9/<strong>1968</strong>, 1. März <strong>1968</strong>.<br />
308 »Arbeitskreis für die Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots«, Land <strong>Bremen</strong> gegründet, Neues Echo Nr. 17-18/<strong>1968</strong>, 1.<br />
Mai <strong>1968</strong>; Neun Kommunisten gründeten Arbeitskreis, Weser-Kurier 3. Mai <strong>1968</strong>.<br />
309 Unterzeichner waren: He<strong>in</strong>z Beermann, Herbert Breidbach, Willi Esselborn, Emil F<strong>in</strong>k, Hermann Gautier,<br />
Willi Gerns, Günter Niehaus, He<strong>in</strong>z Röpke und Hermann Siemer<strong>in</strong>g. Siehe auch Flugblatt zur angekündigten<br />
Diskussionsveranstaltung mit Vorstellung der Mitglieder des Arbeitskreises <strong>in</strong> Privatarchiv<br />
Hermann Gautier.
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 361<br />
Thema <strong>KPD</strong>-Verbot an, auf der die am 21. Februar <strong>in</strong> der »Glocke« begonnene Diskussion<br />
fortgesetzt werden sollte. 310<br />
<strong>Die</strong>ser »öffentliche Diskussionsabend« fand am 30. Mai <strong>1968</strong> im Niederdeutschen<br />
Theater statt. 311 Auf dem Podium saßen neben den drei Bremer Kommunisten<br />
Herbert Breidbach, Willi Gerns und He<strong>in</strong>z Röpke auch die <strong>KPD</strong>-Funktionäre<br />
Herbert Mies (der spätere Bundesvorsitzende der DKP) und Kurt Erlebach. <strong>Die</strong><br />
Veranstaltung trug den Titel »Kommunisten - Grundgesetz - Revolution«. <strong>Die</strong> Redner<br />
betonten vor allem das positive Verhältnis der <strong>KPD</strong> zur Verfassung. Willi Gerns<br />
sagte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag, die <strong>KPD</strong> entwickle ihre Politik auf dem Boden des Grundgesetzes.<br />
Er bezeichnete es als falsch, »heute die Errichtung e<strong>in</strong>er sozialistischen<br />
Gesellschaftsordnung als Tagesaufgabe zu stellen«, da die »subjektive Bewusstse<strong>in</strong>slage«<br />
der Mehrheit der Bevölkerung noch nicht so sei, dass sie bereit wäre, für<br />
den Sozialismus zu kämpfen. Deshalb, so betonte Gerns, strebe die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>en<br />
friedlichen Weg zum Sozialismus an. 312<br />
Aus Anlass des zwölften Jahrestages des Verbots wurde am 17. August <strong>1968</strong> vor<br />
e<strong>in</strong>em Kaufhaus erneut e<strong>in</strong>e öffentliche Aktion für die Wiederzulassung der <strong>KPD</strong><br />
durchgeführt. 313 Vier Tage später marschierten Truppen des Warschauer Paktes <strong>in</strong><br />
dieCSSRe<strong>in</strong>,wasauchdie<strong>KPD</strong><strong>in</strong><strong>Bremen</strong>-diedieInvasionverteidigte- 314 plötzlich<br />
wieder <strong>in</strong> die öffentliche Kritik brachte. Auf e<strong>in</strong>er Kundgebung auf dem Domshof<br />
griff der Präsident des Senats Hans Koschnick (SPD) die Kommunisten <strong>in</strong><br />
scharfer Form an und sprach wieder von den »Freunden Ulbrichts <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>«.<br />
Auch <strong>in</strong>nerhalb der L<strong>in</strong>ken und der Friedensbewegung führte die Haltung der <strong>KPD</strong><br />
zu heftigen Kontroversen und drohte die Partei erneut zu isolieren. »<strong>Die</strong> antikommunistische<br />
Flutwelle nach dem 21.8. war für unsere Genossen, besonders <strong>in</strong> den<br />
Betrieben e<strong>in</strong>e große Belastung«, hieß es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternen Bericht der Bremer <strong>KPD</strong><br />
über die erste Woche nach dem E<strong>in</strong>marsch. 315 »Für e<strong>in</strong>ige Tage schien es, als ob alles<br />
gewonnene Vertrauen zerstört sei. Von den größten Reaktionären bis zu den<br />
APO-Leuten riefen alle die gleichen Losungen.« 316 <strong>Die</strong> Stimmung <strong>in</strong> der Partei<br />
selbst schätzte der Bericht so e<strong>in</strong>:<br />
»Soweit bis jetzt bei den erreichten Genossen feststellbar, haben fast alle die Schutzmaßnahmen<br />
der Warschauer Paktstaaten für richtig und notwendig gehalten. [...]. Es gibt auch Genossen,<br />
die vom massiven Antikommunismus bee<strong>in</strong>druckt s<strong>in</strong>d. ›War das nötig, das wirft und<br />
doch auf Jahre zurück‹ - ist das geläufigste Argument. Besonders bei unseren jungen Genos-<br />
310 »Arbeitskreis für die Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots«, Land <strong>Bremen</strong> gegründet, Neues Echo Nr. 17-18/<strong>1968</strong>, 1.<br />
Mai <strong>1968</strong>.<br />
311 Jugend will <strong>KPD</strong> kennenlernen, Neues Echo Nr. 23/<strong>1968</strong>, 7. Juni <strong>1968</strong>.<br />
312 Ebenda.<br />
313 Ohne <strong>KPD</strong> ke<strong>in</strong>e Demokratie, Neues Echo Nr. 34/<strong>1968</strong>, 23. August <strong>1968</strong>. Siehe auch Herbert Breidbach,<br />
Das <strong>KPD</strong>-Verbot und die illegale Arbeit bis <strong>1968</strong>, a.a.O., S. 144.<br />
314 Siehe die Stellungnahmen <strong>in</strong> Neues Echo Nr. 35/<strong>1968</strong>, 30. August <strong>1968</strong>.<br />
315 <strong>Die</strong> Partei im Bezirk <strong>Bremen</strong>-Weser-Ems und die Ereignisse <strong>in</strong> der CSSR, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/108.<br />
316 Ebenda.
362<br />
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />
sen ist festzustellen, dass es für sie schwer ist, die Entscheidungen der Sowjetunion und der<br />
anderen sozialistischen Staaten zu verstehen.« 317<br />
<strong>Die</strong> erneut drohende Isolation <strong>in</strong>folge der Ereignisse <strong>in</strong> der CSSR trug auch bei<br />
den Bremer Kommunisten vermutlich e<strong>in</strong>iges zur Akzeptanz der nun folgenden<br />
Parte<strong>in</strong>eugründung bei. Nachdem am 26. September <strong>1968</strong> die Konstituierung der<br />
DKP bekannt gegeben worden war, bildete sich am 2. Oktober <strong>1968</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong><br />
»Landesausschuss zur Neukonstituierung e<strong>in</strong>er kommunistischen Partei für das<br />
Land <strong>Bremen</strong>«. 318 <strong>Die</strong> 23 Mitglieder des Ausschusses waren größtenteils bekannte<br />
Kommunisten, die bereits vor dem Verbot zum Führungskreis der Bremer <strong>KPD</strong> gehörten.<br />
319 Der Landesausschuss wählte e<strong>in</strong>en »Arbeitsausschuss« dem Hermann<br />
Gautier als Vorsitzender sowie Herbert Breidbach, Willi Gerns, Ulrich Konetzka<br />
und Günter Niehaus angehörten. 320 In dem Gründungsaufruf hieß es:<br />
»Wir wollen den arbeitenden Menschen unseres Landes e<strong>in</strong>e politische Interessenvertretung<br />
geben, die ihre sozialen, wirtschaftlichen und demokratischen Forderungen entschieden vertritt.<br />
<strong>Die</strong> neukonstituierte Kommunistische Partei im Lande <strong>Bremen</strong> wird diese demokratischen<br />
Anliegen mit e<strong>in</strong>er weitgefassten gesellschaftspolitischen Zielstellung e<strong>in</strong>er sozialistischen<br />
Umgestaltung von Staat und Gesellschaft verb<strong>in</strong>den. [...] Der Landesausschuss fordert<br />
alle Kommunisten, Sozialisten und vor allem die Jugend321 des Landes <strong>Bremen</strong> auf, die neu-<br />
317 Ebenda. E<strong>in</strong> junger Bremer Kommunist betonte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eher persönlich gehaltenen Bericht se<strong>in</strong>e<br />
»Verwirrung« über die Entwicklung <strong>in</strong> der CSSR und verdeutlichte anschaulich die Schwierigkeiten<br />
nach dem 21. August <strong>1968</strong>: »Dass es allerd<strong>in</strong>gs zu solch e<strong>in</strong>em Schritt kommen musste, dass wir mit<br />
unseren Truppen e<strong>in</strong>marschieren mussten, war von vielen Genossen bei uns nicht e<strong>in</strong>geschätzt worden.<br />
Ich für me<strong>in</strong>en Teil habe nicht damit gerechnet, andere Genossen haben es <strong>in</strong> Erwägung gezogen<br />
und hier und dort auch schon e<strong>in</strong>mal diskutiert, aber e<strong>in</strong>fach verworfen, weil wir alle [...] fest mit e<strong>in</strong>er<br />
Festigung der Positionen der KPC und der marxistisch-len<strong>in</strong>istischen Kräfte gerechnet haben. Deshalb<br />
waren wir am Mittwoch, dem 21.8. alle überrascht und ich b<strong>in</strong> ehrlich, dass ich enttäuscht und wütend<br />
zugleich war, weil ich zuerst an unsere Positionen und gewonnenen Spielraum dachte. Nun musste ich<br />
zum ersten Mal als kommunistischer Funktionär <strong>in</strong> die Masse gehen und auch e<strong>in</strong>e unpopuläre Maßnahme<br />
vertreten. Ich habe mich sofort darauf e<strong>in</strong>gestellt und voll und ganz h<strong>in</strong>ter diese Maßnahmen<br />
gestellt, auch wenn ich noch nicht alle Fakten kannte. Vor allem habe ich mich nicht auf Provokationen<br />
- Anfe<strong>in</strong>dungen usw., besonders der Antikommunisten e<strong>in</strong>gelassen. Für mich war vor allem wichtig: 1.<br />
Me<strong>in</strong>e Position als Gewerkschaftsfunktionär halten [...] 2. Me<strong>in</strong>e Position als Betriebsrat. Andererseits<br />
musste ich diese Maßnahmen voll verteidigen und den Kollegen klar machen, wer der wahre Schuldige<br />
ist, nämlich die imperialistischen Kräfte. [...] Es war und wird <strong>in</strong> den nächsten Wochen sehr, sehr<br />
schwer werden, aber es nützt nichts, denn wir können uns ja nicht verstecken.« (Bericht über die Stimmung<br />
und Reaktion auf die Sicherungsmaßnahmen der 5 sozialistischen Staaten gegen die konterrevolutionären<br />
Kräfte <strong>in</strong> der CSSR, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/108).<br />
318 Landesausschuss für das Land <strong>Bremen</strong> gebildet und Kommunistische Partei neu konstituiert, Neues Echo Nr.<br />
40/<strong>1968</strong>, 4. Oktober <strong>1968</strong>; Um Bündnis mit L<strong>in</strong>ksgruppen bemüht, Weser-Kurier, 4. Oktober <strong>1968</strong>.<br />
319 U.a. gehörten dem Ausschuss an: Hermann Gautier, Arthur Böpple, Herbert Breidbach, Willi Esselborn,<br />
Willi Gerns, Willi Hundertmark, Ulrich Konetzka, Maria Krüger, Willi Meyer-Buer, He<strong>in</strong>z Röpke,<br />
Hermann Siemer<strong>in</strong>g (Landesausschuss für das Land <strong>Bremen</strong> gebildet, Neues Echo Nr. 40/<strong>1968</strong>, 4. Oktober<br />
<strong>1968</strong>). Herbert Breidbach: »Das waren alles alte. Sicher, drei oder vier neue waren dabei, aber es waren<br />
überwiegend die alten Kader.« (Interview Herbert Breidbach, 1).<br />
320 »Wir nehmen Stellung zu allen politischen Fragen«, Neues Echo Nr. 41, 11. Oktober <strong>1968</strong>. Mit Gautier, Konetzka<br />
und Breidbach waren die 1. und 2. Landessekretäre von 1951-1956 <strong>in</strong> dem Ausschuss vertreten.<br />
321 <strong>Die</strong> Jugend<strong>org</strong>anisation der DKP, die »Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend« (SDAJ), war <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
bereits Anfang Juli <strong>1968</strong> gegründet worden (Für Mitbestimmung auf allen Gebieten, Neues Echo Nr. 27, 5.<br />
Juli <strong>1968</strong>).
<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 363<br />
konstituierte Kommunistische Partei zu unterstützen und Mitglied dieser Partei zu werden.«<br />
322<br />
Über die Neugründung e<strong>in</strong>er kommunistischen Partei gab es offenbar <strong>in</strong> der<br />
Bremer <strong>KPD</strong> ke<strong>in</strong>e größeren Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten:<br />
»Hier war die überwiegende E<strong>in</strong>stellung, e<strong>in</strong>gehen auf diese Möglichkeit, sie versuchen - ob<br />
sie gel<strong>in</strong>gen würde, war ja auch nicht so klar. Das ergibt sich auch aus dieser Mentalität der<br />
Bremer Organisation, dass wir eigentlich immer an e<strong>in</strong>er legalen, demokratischen Arbeit <strong>in</strong>teressiert<br />
waren. Von daher war für uns das Entscheidende, mit dieser Organisation legal <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung<br />
treten zu können. Davon haben wir uns versprochen, wir werden schnell Auftrieb<br />
bekommen, nicht zuletzt wegen der Situation von <strong>1968</strong>. [...] Wir hatten also damals ke<strong>in</strong>e<br />
Probleme, diesen Weg zu gehen.« 323<br />
Hermann Gautier forderte auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz am 3. Oktober <strong>1968</strong> zwar<br />
erneut die Aufhebung des Verbots, 324 faktisch aber war die Geschichte der <strong>KPD</strong><br />
auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> mit der Gründung der DKP beendet. 325<br />
322 Landesausschuss für das Land <strong>Bremen</strong> gebildet, Neues Echo Nr. 40/<strong>1968</strong>, 4. Oktober <strong>1968</strong>.<br />
323 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />
324 »Wir nehmen Stellung zu allen politischen Fragen«, Neues Echo Nr. 41/<strong>1968</strong>, 11. Oktober <strong>1968</strong>.<br />
325 <strong>Die</strong> DKP sah sich <strong>in</strong> der Tradition der <strong>KPD</strong>, was <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> alle<strong>in</strong>e schon an der personellen Zusammensetzung<br />
des Landesausschusses deutlich wurde. Sie entwickelte aber <strong>in</strong> der Folgezeit durchaus ihre<br />
eigene Identität, was nicht zuletzt auch an der veränderten Mitgliederstruktur durch den starken<br />
Zulauf aus den Reihen der Studentenbewegung lag. Herbert Breidbach, bis 1983 DKP-<br />
Landesvorsitzender <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>: »Der Aufschwung 68/69 war nicht zuletzt e<strong>in</strong> Aufschwung durch den<br />
Beitritt vieler aus der studentischen Bewegung. Wir haben e<strong>in</strong>e Reihe hervorragender Persönlichkeiten<br />
damals dazu bekommen. <strong>Die</strong> Partei<strong>org</strong>anisation wurde dann etwas, was sie vorher, solange ich sie<br />
kenne, überhaupt nie gewesen ist und gar nicht gewesen se<strong>in</strong> konnte: nämlich e<strong>in</strong>e Partei, die <strong>in</strong> ihrer<br />
Zusammensetzung immer stärker aus jungen Intellektuellen, Studenten, Lehrern bestand. Na gut, wir<br />
alten Genossen waren froh, dass sich so viele hoch<strong>in</strong>telligente junge Menschen der Partei zuwandten«.<br />
(Interview Herbert Breidbach, 1).
Schluss<br />
<strong>Die</strong> Untersuchung der Bremer <strong>KPD</strong> von <strong>1945</strong> bis <strong>1968</strong> hat gezeigt, dass die lokale<br />
Umsetzung der durch die globale Systemause<strong>in</strong>andersetzung geprägten Politik der<br />
<strong>KPD</strong> zahlreiche Brüche aufwies. Das Ausmaß der nachgewiesenen <strong>in</strong>nerparteilichen<br />
Diskussionen und Konflikte ist dabei durchaus überraschend. Primäre Ursache<br />
der Ause<strong>in</strong>andersetzungen war die vom Sekretariat schematisch umgesetzte<br />
Gesamtstrategie der <strong>KPD</strong>, die oftmals nicht den realen Bed<strong>in</strong>gungen vor Ort entsprach.<br />
Besonders deutlich wurde dies <strong>in</strong> den Betrieben. <strong>Die</strong> Instrumentalisierung<br />
der Betriebsgruppen für die »nationale Politik« der Partei ignorierte gänzlich die<br />
besonderen Verhältnisse <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Betrieben und <strong>in</strong> deren gewerkschaftlichen<br />
Organen. Damit nahm sich die <strong>KPD</strong> selbst die Möglichkeit, ihren durchaus<br />
noch vorhandenen E<strong>in</strong>fluss auch für außerbetriebliche Ziele nutzen zu können.<br />
Dementsprechend fanden die stärksten und längsten <strong>in</strong>nerparteilichen Konflikte<br />
auch auf dem Feld der Betriebs- und Gewerkschaftspolitik statt, wie die Beispiele<br />
der Betriebsgruppe bei B<strong>org</strong>ward und der Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die »These<br />
37« gezeigt haben.<br />
Auf e<strong>in</strong>igen Widerstand unter der Mitgliedschaft stieß auch die <strong>org</strong>anisatorische<br />
Umwandlung und Diszipl<strong>in</strong>ierung der <strong>KPD</strong> zwischen 1949 und 1952. <strong>Die</strong> Ausschlussverfahren<br />
gegen prom<strong>in</strong>ente und e<strong>in</strong>flussreiche Funktionäre konnten von<br />
der Parteileitung nur sehr mühsam, im Fall von Käthe Popall überhaupt nicht<br />
durchgesetzt werden. Auch hier s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Umsetzung des Anspruchs von der<br />
Schaffung e<strong>in</strong>er »Partei neuen Typus« zahlreiche Widersprüche zu verzeichnen.<br />
<strong>Die</strong> bis <strong>in</strong> das Sekretariat <strong>in</strong> der Partei festgestellten Diskussionen über die Ausschlüsse<br />
und ihre Begründungen zeigen, dass das <strong>in</strong> der antikommunistischen Öffentlichkeit<br />
gezeichnete Bild e<strong>in</strong>er monolithischen Kaderpartei der »Befehlsempfänger«<br />
mehr als verzerrt war und ke<strong>in</strong>eswegs den Realitäten entsprach.<br />
Trotz der <strong>in</strong>nerparteilichen Widersprüche und Differenzierungen kann freilich<br />
nicht von e<strong>in</strong>er wirklichen Opposition <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> gesprochen werden. <strong>Die</strong><br />
Unzufriedenheit <strong>in</strong> der Mitgliedschaft äußerte sich vor allem <strong>in</strong> massenhaften Austritten.<br />
<strong>Die</strong> verbliebenen Mitglieder zogen sich größtenteils <strong>in</strong> die Passivität zurück<br />
und resignierten. Grund hierfür war allerd<strong>in</strong>gs nicht nur die Unzufriedenheit mit<br />
dem Kurs der Partei, sondern vor allem die politische und gesellschaftliche Isolation<br />
der <strong>KPD</strong> sowie der massive Druck von außen. Beides ließ e<strong>in</strong> offenes<br />
kommunistisches Engagement als nutzlos ersche<strong>in</strong>en und machte es zunehmend<br />
auch gefährlich.
Schluss 365<br />
Bei den <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> verbliebenen Mitgliedern und bei den aktiven Funktionären<br />
kann von e<strong>in</strong>er generellen Akzeptanz der Parteipolitik ausgegangen werden. Selbst<br />
bei umstrittenen Themen wie der »These 37« entzündeten sich die Konflikte weniger<br />
an den eigentlichen Inhalten, als vielmehr an deren oft schematischer Umsetzung<br />
vor Ort. Aus heutiger Sicht mag diese <strong>in</strong>haltliche Akzeptanz der radikalisierten<br />
<strong>KPD</strong>-Politik und ihrer realitätsfremden revolutionären Phrasen nur schwer verständlich<br />
ersche<strong>in</strong>en. Sie s<strong>in</strong>d jedoch vor dem H<strong>in</strong>tergrund der politischen Entwicklungen<br />
und dem subjektiven Erfahrungshorizont der <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft durchaus<br />
nachvollziehbar. <strong>Die</strong> großen Hoffnungen der Arbeiterbewegung <strong>1945</strong> auf die Verwirklichung<br />
ihrer politischen Ziele waren <strong>in</strong> Westdeutschland schnell enttäuscht<br />
worden. <strong>Die</strong> Restauration der alten kapitalistischen Produktions- und Besitzverhältnisse<br />
begann früh, auch von e<strong>in</strong>er konsequenten Entnazifizierung konnte ke<strong>in</strong>e<br />
Rede se<strong>in</strong>. Für die SPD stellte sich diese Restauration nicht nur als Niederlage dar.<br />
Sie unterstützte die Gründung der Bundesrepublik 1949 und war <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die<br />
führende Regierungspartei. Als solche wurde sie <strong>in</strong> den 1950er Jahren zum Träger<br />
e<strong>in</strong>er »Etatisierung« der Arbeiterbewegung und ihrer Milieustrukturen. 1 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong><br />
dagegen war von diesen Entwicklungen weitgehend ausgeschlossen und bekämpfte<br />
sie ebenso wie die gesellschaftlichen und politischen Restaurationsprozesse <strong>in</strong><br />
der Bundesrepublik. <strong>Die</strong> dabei erfahrene politische Ohnmacht sowie vor allem die<br />
immer deutlicher werdende juristische Verfolgung von Kommunisten machten viele<br />
der aus heutiger Sicht unrealistischen E<strong>in</strong>schätzungen der Parteileitung für die<br />
Mitglieder plausibel. Der an sich absurde Vergleich des »Adenauer-Regimes« mit<br />
Hitler hatte im Bewusstse<strong>in</strong> der Kommunisten e<strong>in</strong>e subjektive Grundlage angesichts<br />
des bereits sechs Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus gestellten<br />
Verbotsantrages gegen die <strong>KPD</strong> und angesichts der großen Zahl ehemaliger Nationalsozialisten<br />
<strong>in</strong> Justiz, Verwaltung und Regierung. Ähnliches gilt für die Erfahrungen<br />
<strong>in</strong> den Gewerkschaften und Betrieben. Auch die These von den »rechten<br />
Gewerkschaftsführern«, die angeblich im »<strong>Die</strong>nst imperialistischer Kriegsvorbereitungen«<br />
agierten, konnte plausibel ersche<strong>in</strong>en: Der DGB-Vorsitzende<br />
Christian Fette und se<strong>in</strong> Stellvertreter Hans vom Hoff hatten sich 1951/52 offen für<br />
die Remilitarisierung der Bundesrepublik ausgesprochen. Gleichzeitig wurden<br />
Kommunisten <strong>in</strong> den Betrieben und den gewerkschaftlichen Organen massiv ausgegrenzt<br />
und durch oftmals undemokratische und antikommunistisch motivierte<br />
Maßnahmen verdrängt. Das ließ den Vorwurf gegen die Gewerkschaften, sie würden<br />
»faschistische Methoden« anwenden, im Bewusstse<strong>in</strong> der von diesen Maßnahmen<br />
betroffenen <strong>KPD</strong>-Mitglieder zum<strong>in</strong>dest nicht als völlig abwegig ersche<strong>in</strong>en.<br />
Für die Akzeptanz der »Agenten«-Vorwürfe gegen - teils prom<strong>in</strong>ente - Funktionäre<br />
kann man ähnliches vermuten. <strong>Die</strong> Angst vor Agenten verschiedener westlicher<br />
Geheimdienste war natürlich nicht unbegründet, auch wenn sie von der Parteileitung<br />
<strong>in</strong> der aufgeheizten Atmosphäre des Kalten Krieges phasenweise geradezu<br />
paranoid übertrieben wurde.<br />
1 Peter Alheit, Hanna Haack, He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Renate Meyer-Braun, Gebrochene Modernisierung,<br />
a.a.O., Band 2, S. 1027.
366<br />
Schluss<br />
Gerade die Diskussionen über die Ausschlüsse 1951/52 belegen aber auch die<br />
Grenzen der nach außen und <strong>in</strong>nen gerichteten Propaganda und der radikalisierten<br />
Programmatik der <strong>KPD</strong>-Führung. Sie stieß an der Basis immer dort auf Widerstand,<br />
wo sie augensche<strong>in</strong>lich im Widerspruch zu den lokalen persönlichen Erfahrungen<br />
der Mitglieder stand. <strong>Die</strong> Agenten- und Opportunismusvorwürfe gegen Funktionäre<br />
wie Rudolf Rafoth, Käthe Popall oder Folkert Potrykus standen im krassen Gegensatz<br />
zu deren hohem persönlichen und politischen Ansehen <strong>in</strong> der Partei, das<br />
sie sich u.a. durch den Widerstand im Nationalsozialismus und jahrelange Zuchthausaufenthalte<br />
erworben hatten. <strong>Die</strong> subjektiven Erfahrungen der Mitglieder warenhieroftwirksamerundfürdasVerhaltenderBasisentscheidenderalsdiekonstruierten<br />
Anschuldigungen durch die Parteiführung. Erst recht galt dies für den<br />
Stadtstaat <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> dem durch die regionale Begrenztheit e<strong>in</strong> höherer Grad an<br />
politischer und persönlicher Vernetzung herrschte als <strong>in</strong> Flächenstaaten.<br />
Aus dem Widerspruch zwischen lokalen Erfahrungen und abstrakter Ideologie<br />
lässt sich jedoch ke<strong>in</strong> pr<strong>in</strong>zipieller Gegensatz zwischen Basis und Parteileitung konstruieren.<br />
<strong>Die</strong> Parteil<strong>in</strong>ie und ihre lokale Rezeption »stellten verschiedene Pole<br />
kommunistischer Politik dar, bestimmten beide deren Wirkung und Ersche<strong>in</strong>ungsbild<br />
und begrenzten sich so gegenseitig«. 2<br />
Führten die lokalen Besonderheiten <strong>Bremen</strong>s und der dadurch geprägte subjektive<br />
Erfahrungshorizont der <strong>KPD</strong>-Mitglieder zu e<strong>in</strong>er speziellen lokalen Ausprägung<br />
kommunistischer Politik? Auf allgeme<strong>in</strong>er Ebene kann diese Frage sicher mit<br />
Ne<strong>in</strong> beantwortet werden. <strong>Die</strong> Partei war hier den gleichen Erosions- und Isolationsprozessen<br />
ausgesetzt wie anderswo. <strong>Die</strong> Mitgliederverluste waren genauso<br />
massiv wie <strong>in</strong> der gesamten Partei, die antikommunistischen Ausgrenzungen wie<br />
auch die Auswirkungen der eigenen Fehler genauso wirksam. <strong>Die</strong> Arbeit hat diese<br />
Prozesse detailliert geschildert und belegt. Dennoch muss dieses Bild des Niedergangs<br />
und der Isolation für die Bremer <strong>KPD</strong> differenziert betrachtet und relativiert<br />
werden. Es lässt sich e<strong>in</strong>e relative Konstanz der lokalen Stellung der Partei feststellen.<br />
Auf den ersten Blick erkennbar wird dies an den Wahlergebnissen <strong>in</strong> den<br />
1950er Jahren. Wenn die Partei noch 1955 mit über 18.000 Stimmen <strong>in</strong> die Bürgerschaft<br />
e<strong>in</strong>ziehen konnte, spricht dies deutlich für e<strong>in</strong>e relativ stabile Basis <strong>in</strong> der<br />
Wählerschaft. <strong>Die</strong>se Basis lag vor allem <strong>in</strong> den traditionellen Arbeiterstadtteilen im<br />
Westen (Gröpel<strong>in</strong>gen, Walle, Oslebshausen) und teilweise im Osten (Hastedt, Sebaldsbrück,<br />
Hemel<strong>in</strong>gen) der Stadt. Hier hatte die <strong>KPD</strong> bereits <strong>in</strong> der Weimarer Republik<br />
ihre soziale Basis. <strong>Die</strong> dort ausgeprägten sozialen und politischen Strukturen<br />
der Arbeiterbewegung und ihrer Milieus waren auch noch <strong>in</strong> den 1950er Jahren<br />
wirksam. 3 Klaus-Michael Mallmann hat Ursprung und Wirksamkeit dieser Milieu-<br />
2 Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten <strong>in</strong> der Weimarer Republik. Sozialgeschichte e<strong>in</strong>er revolutionären<br />
Bewegung, Darmstadt 1996, S. 389. Mallmanns Feststellung bezieht sich auf die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der<br />
Weimarer Republik, ist aber auch hier anwendbar.<br />
3 <strong>Die</strong> jüngsten Studien zum Werftarbeitermilieu der AG »Weser« belegen dies (Peter Alheit, Hanna<br />
Haack, He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Renate Meyer-Braun, Gebrochene Modernisierung, a.a.O.; He<strong>in</strong>z-<br />
Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O.).
Schluss 367<br />
b<strong>in</strong>dungen für die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Weimarer Republik deutlich herausgearbeitet, 4 und<br />
es ist zu vermuten, dass mit der Persistenz der Milieus speziell im Bremer Westen<br />
auch die Verankerung von Kommunisten <strong>in</strong> den Milieustrukturen während der<br />
1950er Jahre weiter bestand - trotz der gänzlich anderen politischen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
und trotz aller sonstigen Isolationsprozesse.<br />
Wirksam waren diese B<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> auch auf landespolitischer und parlamentarischer<br />
Ebene. <strong>Die</strong> zahlreichen persönlichen Verb<strong>in</strong>dungen und <strong>in</strong>formellen<br />
Kontakte zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten sowie ihre oftmals geme<strong>in</strong>same<br />
Herkunft aus den Milieustrukturen der Bremer Arbeiterbewegung waren<br />
zum<strong>in</strong>dest mitbestimmend für das politische Klima, punktuell wurden sie auch<br />
<strong>in</strong> politischen Entscheidungen wirksam. <strong>Die</strong>se »<strong>in</strong>formelle Ebene«, die für andere<br />
Länderparlamente <strong>in</strong> der Bundesrepublik nur vermutet werden kann, 5 war <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
ganz offensichtlich. Sie existierte relativ unbeschadet durch die sonstigen Konfrontationen<br />
des Kalten Krieges während der gesamten 1950er Jahre fort und war<br />
auch noch nach dem Verbot 1956 wirksam. 6<br />
Insgesamt zeigt also die detaillierte Untersuchung der Bremer <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Zeit<br />
von <strong>1945</strong> bis <strong>1968</strong> zwar die allgeme<strong>in</strong>en Tendenzen der Parteigeschichte auf, die allerd<strong>in</strong>gs<br />
widersprüchlicher waren als bisher vermutet, zugleich ergibt sich auch das<br />
Bild e<strong>in</strong>er teilweise besonderen Entwicklung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er traditionellen Hochburg der<br />
Arbeiterbewegung.<br />
4 Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten <strong>in</strong> der Weimarer Republik, a.a.O.<br />
5 Jens-Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 441f.<br />
6 Belege hierfür s<strong>in</strong>d beispielsweise das Verbleiben der Kommunisten im Stadtparlament, der persönliche<br />
E<strong>in</strong>satz von Wilhelm Kaisen für den 1961 <strong>in</strong>haftierten Hermann Gautier oder die zahlreichen positiven<br />
Zeugenaussagen von Bürgerschaftsabgeordneten (<strong>in</strong>kl. des Parlamentspräsidenten) <strong>in</strong> dem Prozess<br />
gegen Wilhelm Meyer-Buer 1963.
Quellen- und Literaturverzeichnis<br />
1. Quellen<br />
Archive<br />
Stiftung Archiv der Parteien und Massen<strong>org</strong>anisationen der DDR im Bundesarchiv, Berl<strong>in</strong><br />
(SAPMO)<br />
Bestände <strong>KPD</strong> 1<br />
I 10/ Kommunistische Partei Deutschlands - Westzonen/BRD<br />
I 10/7 Flugblattsammlung<br />
I 10/19 Bezirk Weser-Ems <strong>1945</strong>-1948<br />
I 10/20 LO <strong>Bremen</strong><br />
I 11/ Kommunistische Partei Deutschlands Westzonen/BRD (S)<br />
I 11/3 Parteivorstand/Zentralkomitee<br />
I 11/4 Abteilungen des PV/ZK<br />
I 11/19 Bezirk Weser-Ems<br />
I 11/20 LO <strong>Bremen</strong><br />
Bestände SED<br />
DY IV 2/10.02 Westabteilung/Westkommission 1953-1962<br />
DY IV A2/10.02 Westabteilung/Westkommission 1963-1971<br />
DY IV 2/10.03 Arbeitsbüro 1948-1971<br />
NY 4036 Nachlass Wilhelm Pieck<br />
NY 4090 Nachlass Otto Grothewohl<br />
NY 4182 Nachlass Walter Ulbricht<br />
1 <strong>Die</strong> Teilbestände I 10/ und I 11/ wurden im Archiv des Parteivorstands der PDS e<strong>in</strong>gesehen. Vgl. die<br />
Erläuterungen <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>leitung.
Staatsarchiv <strong>Bremen</strong> (StaB)<br />
Quellen- und Literaturverzeichnis 369<br />
3-K.13.Nr.100 <strong>Die</strong> Kommunistische Partei <strong>1945</strong> -<br />
3-B.1. Nr.358 Aberkennung der kommunistischen Mandate <strong>in</strong> der Bremischen<br />
Bürgerschaft aufgrund des Verbots der <strong>KPD</strong><br />
3-B.1. Nr.94/35 Durchsuchungen des Parteihauses der Kommunistischen Partei <strong>in</strong><br />
der L<strong>in</strong>denhofstr. (Robert-Stamm-Haus) und Beschlagnahme von<br />
Schriftstücken der <strong>KPD</strong>-Abgeordneten anlässlich des Verbots der<br />
Partei<br />
3-B.1. Nr.94/3 Immunität<br />
4,89/ Ermittlungsakten Staatsanwaltschaft <strong>Bremen</strong> - Politische Sachen<br />
7,1076 Deutsche Friedensunion<br />
9,FP-00 Flugblattsammlung Politische Parteien und Gruppen<br />
9,S 0 Zeitungsausschnittsammlung<br />
16,1/2 Office of Military Gouvernment for <strong>Bremen</strong><br />
Privatarchive<br />
Herbert Breidbach<br />
Hermann Gautier<br />
Willy Hundertmark<br />
Wilhelm Meyer-Buer<br />
Archiv der PDS/SED Schwer<strong>in</strong> 2<br />
IV 2/10/1509 Westarbeit: E<strong>in</strong>satzberichte <strong>Bremen</strong> 1957-1959<br />
Archiv der sozialen Demokratie <strong>in</strong> der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn (AdsD)<br />
SPD - LO <strong>Bremen</strong> (I)<br />
SPD - LO <strong>Bremen</strong> (II)<br />
Statistisches Landesamt <strong>Bremen</strong> (Wahlamt)<br />
Bibliothek der Bremischen Bürgerschaft<br />
2 <strong>Die</strong> aufgeführten Materialien wurden bereits 1992 e<strong>in</strong>gesehen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das<br />
ehemalige SED-Archiv des Bezirkes Schwer<strong>in</strong> noch im Besitz der PDS. Es ist <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> die Bestände<br />
des Landesarchivs Mecklenburg-Vorpommern übergegangen.
370<br />
Sonstige Quellen<br />
Zeitungen3 Quellen- und Literaturverzeichnis<br />
Bremer Bürgerzeitung (e<strong>in</strong>zelne Ausgaben)<br />
Bremer Nachrichten (1949-<strong>1968</strong>)<br />
Freies Volk (e<strong>in</strong>zelne Ausgaben)<br />
Neues Deutschland (e<strong>in</strong>zelne Ausgaben)<br />
Neues Echo (1959-1969)<br />
Der Spiegel (e<strong>in</strong>zelne Ausgaben)<br />
Tribüne der Demokratie (1947-1956)<br />
Weser-Kurier (<strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>)<br />
Interviews<br />
Herbert Breidbach (1) 16.10.1992<br />
(2) 29.07.1996<br />
Willi Elmers (†) 18.08.1992<br />
Hermann Gautier (1) 29.11.1995<br />
(2) 25.07.1996<br />
(3) 18.10.1996<br />
Ge<strong>org</strong> Gumpert 11.10.1995<br />
He<strong>in</strong>rich Hannover 09.02.1993<br />
Tilla Hundertmark 04.10.1995<br />
Willy Hundertmark (1) 19.08.1992<br />
(2) 18.06.1995 4<br />
Wilhelm Meyer-Buer (†) (1) 06.08.1992<br />
(2) 20.12.1995<br />
Rolf Stelljes 26.01.1993<br />
3 Aus Archivmaterialien stammende Kle<strong>in</strong>stveröffentlichungen wie Betriebs- und Stadtteilzeitungen oder<br />
Mitteilungsblätter s<strong>in</strong>d hier nicht aufgeführt und werden im Text mit Angabe der jeweiligen Archivsignatur<br />
zitiert.<br />
4 Mit Willy Hundertmark wurden für e<strong>in</strong> Buchprojekt zwischen Juni und September 1995 mehrere lebensgeschichtliche<br />
Interviews geführt, deren Aussagen zur <strong>KPD</strong> nach <strong>1945</strong> hier unter dem Datum des<br />
ersten dieser Gespräche (18.06.1995) zusammengefasst s<strong>in</strong>d. Vgl. Hendrik Bunke (Hrsg.), Willy Hundertmark<br />
- Er<strong>in</strong>nerungen an e<strong>in</strong> widerständiges Leben, <strong>Bremen</strong> 1997.
2. Primär- und Sekundärliteratur<br />
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Modernisierung - Der langsame Wandel proletarischer Milieus. E<strong>in</strong>e empirische Vergleichsstudie<br />
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von Hendrik Bunke, Elke <strong>Die</strong>rßen, Jutta Friemann-Wille, Heidrun Herzberg, Kathr<strong>in</strong><br />
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372<br />
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Weber, Hermann, und <strong>Die</strong>trich Staritz (Hrsg.): Kommunisten verfolgen Kommunisten: stal<strong>in</strong>istischer<br />
Terror und »Säuberungen« <strong>in</strong> den kommunistischen Parteien Europas seit den<br />
dreißiger Jahren, Berl<strong>in</strong> 1993<br />
Weber, Hermann, und Ulrich Mählert (Hrsg.): Terror. Stal<strong>in</strong>istische Parteisäuberungen 1936 -<br />
1953, Paderborn/München/Wien/Zürich 1998<br />
Wedemeier, Klaus (Hrsg.): Gewollt und durchgesetzt. <strong>Die</strong> SPD-Bürgerschaftsfraktion des<br />
Landes <strong>Bremen</strong> von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart, Opladen 1983<br />
Weißbuch der Kommunistischen Partei Deutschlands über die mündliche Verhandlung im<br />
Verbotsprozess vor dem Bundesverfassungsgericht <strong>in</strong> Karlsruhe, hrsg. vom Parteivorstand<br />
der Kommunistischen Partei Deutschlands, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1955<br />
Wettig, Gerhard: <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> als Instrument sowjetischer Deutschland-Politik, <strong>in</strong>: Deutschland<br />
Archiv 8/1994, S. 816-829<br />
Wipperman, Wolfgang: Antikommunismus - Tugend oder Torheit?, <strong>in</strong>: Eckart Spoo und Ra<strong>in</strong>er<br />
Butenschön (Hrsg.), Der Mensch & der Plan. E<strong>in</strong>e Jahrhundertbilanz des Kommunismus,<br />
Hamburg 2000, S. 62-70<br />
Wittemann, Klaus Peter: Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>. Der Ansatz<br />
der Gruppe Arbeiterpolitik. Darstellung ihrer grundlegenden politischen Auffassungen<br />
und ihrer Entwicklung zwischen <strong>1945</strong> und 1952, Hannover 1977<br />
Wollenberg, Jörg: »Wir wollen mitbestimmen, was aus der Wirtschaft werden soll«. Zum<br />
Wiedergründungsprozess der Gewerkschaften nach <strong>1945</strong> am Beispiel <strong>Bremen</strong>s. In: Werden.<br />
Jahrbuch der Gewerkschaften 1985, Köln 1985<br />
Wollenberg, Jörg: <strong>Die</strong> AG »Weser« zwischen Sozialpartnerschaft und Klassenkampf, hrsg. von<br />
den Jungsozialisten <strong>in</strong> der SPD, Unterbezirksvorstand <strong>Bremen</strong>-West und Landesvorstand<br />
<strong>Bremen</strong>, Berl<strong>in</strong>-West und <strong>Bremen</strong> 1984.<br />
Wollenberg, Jörg, Lore Heer-Kle<strong>in</strong>ert, Mechthild Müser und <strong>Die</strong>ter Pfliegensdörfer: Von der<br />
Krise zum Faschismus. Bremer Arbeiterbewegung 1929-33, Frankfurt a.M. 1983<br />
Zum deutschen Neuanfang <strong>1945</strong> - 1949. Tatsachen - Probleme - Ergebnisse - Irrwege. <strong>Die</strong> Arbeiterbewegung<br />
und die Entstehung der beiden deutschen Staaten, Bonn 1993<br />
(=Schriftenreihe der Marx-Engels-Stiftung 19)<br />
Zuversicht und Beständigkeit. Wilhelm Kaisen. E<strong>in</strong>e Dokumentation, herausgegeben und e<strong>in</strong>geleitet<br />
von Hans Koschnick unter Mitarbeit von Wilhelm Lührs, Hartmut Müller, Re<strong>in</strong>hard<br />
Patemann, Eugen De Porre und Klaus Schwarz (Staatsarchiv <strong>Bremen</strong>), <strong>Bremen</strong> 1977