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Die KPD in Bremen. 1945-1968 - hbxt.org

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URL: http:/ / <strong>hbxt</strong>.<strong>org</strong> /files/Bunke2001.pdf<br />

Hendrik Bunke<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong><br />

Ursprünglich veröffentlicht als:<br />

Hendrik Bunke, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>, Köln: Papyrossa-Verlag<br />

2001<br />

(ISBN 3-89438-230-9; http:/ / w w w.papyrossa.de /kpd.htm )<br />

<strong>Die</strong> vorliegende Datei steht unter folgender Creative-Commons- Lizenz:<br />

http:/ /creativecommons.<strong>org</strong>/licenses/by- nc-nd/2.0/de /legalcode<br />

<strong>Die</strong> Buchveröffentlichung im Papyrossa-Verlag ist hiervon ausdrücklich<br />

nicht berührt.<br />

Layout und Seitenzahlen s<strong>in</strong>d identisch mit der gedruckten<br />

Veröffentlichung. Letzere sollte für Zitate und Literaturangaben verwendet<br />

werden.


Inhalt<br />

E<strong>in</strong>leitung 7�<br />

Kapitel 1: Der kurze Prolog <strong>1945</strong>-1948 15�<br />

1.� Re<strong>org</strong>anisation und E<strong>in</strong>heitsbestrebungen 16�<br />

2.� <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Senat und Bürgerschaft 36�<br />

3.� Der Beg<strong>in</strong>n der Isolation 45�<br />

Kapitel 2: Organisation und Struktur 54�<br />

1.� <strong>Die</strong> Neugliederung der Partei 56�<br />

2.� Struktur und Entwicklung der Parteie<strong>in</strong>heiten 61�<br />

3.� Mitgliederzahlen und -struktur 74�<br />

4.� Sub- und Neben<strong>org</strong>anisationen 83�<br />

Kapitel 3: <strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 94�<br />

1.� H<strong>in</strong>tergründe auf Bundesebene 94�<br />

2.� <strong>Die</strong> Säuberungskampagne <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 98�<br />

3.� <strong>Die</strong> Ablösung des Sekretariats 109�<br />

4.� <strong>Die</strong> »umfassende Säuberung der Partei«.<br />

Ausschlussverfahren gegen prom<strong>in</strong>ente Mitglieder 1951/52 115�<br />

Kapitel 4: Politik und Programmatik 149�<br />

1.� Das Primat der »Nationalen Politik« 149�<br />

2.� <strong>Die</strong> »Nationale Politik« <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 154�<br />

3.� <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bremischen Bürgerschaft 177�


Kapitel 5: Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 194�<br />

1.� Überblick: <strong>Die</strong> Radikalisierung der <strong>KPD</strong>-Gewerkschaftspolitik 194�<br />

2.� Betriebs- und Gewerkschaftspolitik der Bremer <strong>KPD</strong> 201�<br />

3.� <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppen: Drei Bremer Beispiele 222�<br />

Kapitel 6: Politische Justiz und Verbot 282�<br />

1.� Verfolgung vor dem Verbot 282�<br />

2.� Das Verbot und die Folgen <strong>in</strong> der BRD 286�<br />

3.� Das Verbot <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 289�<br />

Kapitel 7: <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 304�<br />

1.� Überblick: Zur Entwicklung der illegalen <strong>KPD</strong> auf Bundesebene 304�<br />

2.� <strong>Die</strong> Umstellung der Bremer <strong>KPD</strong>-Organisation nach dem Verbot 313�<br />

3.� <strong>Die</strong> politische Arbeit bis 1960 317�<br />

4.� Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 1956-<strong>1968</strong> 333�<br />

5.� Der Wandel der illegalen Arbeit <strong>in</strong> den 1960er Jahren 344�<br />

6.� Aktivitäten gegen das Verbot und die Gründung der DKP 357�<br />

Schluss 364�<br />

Quellen- und Literaturverzeichnis 368�<br />

1.� Quellen 368�<br />

2.� Primär- und Sekundärliteratur 371�


E<strong>in</strong>leitung<br />

<strong>Die</strong> Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands <strong>in</strong> Westdeutschland von<br />

<strong>1945</strong> bis zur Gründung der DKP <strong>1968</strong> kann <strong>in</strong>sgesamt ohne Zweifel als »political<br />

disaster« 1 bezeichnet werden. Es ist die Geschichte des Niedergangs e<strong>in</strong>er traditionsreichen<br />

und ehemals - <strong>in</strong> der Weimarer Republik wie auch <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren<br />

- bedeutsamen (Massen-)Partei, der <strong>in</strong> die politische und gesellschaftliche<br />

Isolation führte. <strong>Die</strong>se fand <strong>in</strong> dem Verbot von 1956 ihren juristischen Ausdruck<br />

und zwang die <strong>KPD</strong> nur elf Jahre nach dem Ende der brutalen Verfolgung durch<br />

das nationalsozialistische Regime zur erneuten Illegalität. Was spricht heute - zehn<br />

Jahre nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung und dem Ende des Kalten Krieges <strong>in</strong> Deutschland,<br />

<strong>in</strong> dessen Kontext die Nachkriegs-<strong>KPD</strong> betrachtet werden muss - für e<strong>in</strong>e Beschäftigung<br />

mit dieser isolierten und im bundesweiten Maßstab politisch bedeutungslosen<br />

Partei, noch dazu aus der lokalhistorischen Perspektive des kle<strong>in</strong>sten<br />

Bundeslandes <strong>Bremen</strong>?<br />

<strong>Die</strong> Gründe liegen zunächst gerade im Ende des Kalten Krieges. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> wurde<br />

bis 1989 vornehmlich unter dem Gesichtspunkt aktueller politischer Interessen<br />

analysiert. <strong>Die</strong> Konfrontationsl<strong>in</strong>ie zwischen Kritik und Bekämpfung des Kommunismus<br />

e<strong>in</strong>erseits und apologetischer Verherrlichung der <strong>KPD</strong>-Geschichte andererseits<br />

entsprach weitgehend der des Ost-West-Konfliktes. In der Bundesrepublik<br />

waren Gesamtdarstellungen der <strong>KPD</strong>-Geschichte nach <strong>1945</strong> äußerst rar, sie behandelten<br />

außerdem nahezu ausschließlich die legale Phase bis 1956. 2 <strong>Die</strong>s war auch<br />

begründet <strong>in</strong> der ebenfalls der Konfrontation des Kalten Krieges geschuldeten<br />

Quellenlage: <strong>Die</strong> orig<strong>in</strong>ären Materialien der <strong>KPD</strong> lagen <strong>in</strong> Archiven der DDR, die<br />

westlichen Wissenschaftlern nur <strong>in</strong> Ausnahmefällen E<strong>in</strong>blick gestattete. <strong>Die</strong> meisten<br />

im Westen zugänglichen Quellen boten lediglich offizielles, d.h. vor allem propagandistisch<br />

geprägtes Material wie Zeitungen, Flugblätter, Broschüren u.ä., aber<br />

nur wenige partei<strong>in</strong>terne Protokolle, Berichte und Analysen. 3<br />

Mit dem Ende des Kalten Krieges und der realsozialistischen Staaten, besonders<br />

der DDR, s<strong>in</strong>d diese zwei wesentlichen Determ<strong>in</strong>anten der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />

1 Patrick Major, The Death of the <strong>KPD</strong>. Communism and Anti-Communism <strong>in</strong> West-Germany, <strong>1945</strong>-<br />

1956, Oxford 1997.<br />

2 Vor allem Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik. Ihre politische Tätigkeit und Organisation<br />

<strong>1945</strong>-1956, Köln und Opladen 1959; <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, <strong>in</strong>: Richard<br />

Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. <strong>Die</strong> Parteien der Bundesrepublik Deutschland <strong>1945</strong>-1980,<br />

Band 2: FDP bis WAV, S. 1663-1809, Opladen 1983.<br />

3 <strong>Die</strong> spärlichen <strong>in</strong>ternen Quellen stammten vor allem aus Beschlagnahmungen im Zuge des Verbotsantrages<br />

von 1951.


8<br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

der Geschichte der <strong>KPD</strong> entfallen. <strong>Die</strong> Archive der DDR, und damit die dort gelagerten<br />

Primärquellen der <strong>KPD</strong>, s<strong>in</strong>d nunmehr zugänglich. Gleichzeitig s<strong>in</strong>d die politischen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen entfallen, die zuvor die Behandlung der <strong>KPD</strong>-Geschichte<br />

nach <strong>1945</strong> hauptsächlich <strong>in</strong> den Kontext der Systemause<strong>in</strong>andersetzung stellten. Es<br />

bietet sich damit heute die Chance e<strong>in</strong>er differenzierteren wissenschaftlichen Analyse<br />

und Aufarbeitung dieses Themas.<br />

Im Zuge der neuen politischen und archivarischen Bed<strong>in</strong>gungen hat die Beschäftigung<br />

mit dem Kommunismus und den realsozialistischen Staaten <strong>in</strong> den<br />

letzten zehn Jahren durchaus Konjunktur. Leider haben sich große Teile der westlichen<br />

Geschichtswissenschaft dabei vor allem auf die ›Aufarbeitung‹ der Geschichte<br />

der DDR und - im globalen Kontext - des Kommunismus im 20. Jahrhundert konzentriert.<br />

Dabei wurden häufig die alten Interpretationen aus der Zeit der Systemause<strong>in</strong>andersetzung<br />

nicht e<strong>in</strong>er kritischen Prüfung unterzogen, sondern vielmehr<br />

versucht diese neu zu legitimieren. 4<br />

Dennoch erfuhr auch die westliche <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>ige neue Aufmerksamkeit. Waren es<br />

zunächst Autoren aus dem Umfeld der DKP, die 1989/90 versuchten, die <strong>KPD</strong>-<br />

Geschichte auf der Grundlage der veränderten Bed<strong>in</strong>gungen, jedoch noch ohne Berücksichtigung<br />

der neu zugänglichen Quellen zu analysieren, 5 gab es ab 1993 e<strong>in</strong>e<br />

Reihe von Veröffentlichungen - vor allem Dissertationen -, die umfassendere Darstellungen<br />

der <strong>KPD</strong> boten und dabei - größtenteils unter E<strong>in</strong>beziehung der neuen<br />

Quellen - die Chance e<strong>in</strong>er differenzierteren Analyse und Neubewertung nutzten. 6<br />

<strong>Die</strong> vorliegende Studie sieht sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ie mit diesen Arbeiten und möchte<br />

sie <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht ergänzen. <strong>Die</strong> bislang vorliegenden Gesamtdarstellungen<br />

bieten nur wenig E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die partei<strong>in</strong>ternen Entscheidungsstrukturen. Widersprüche<br />

und Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong>nerhalb der Leitungsebene wie auch zwischen<br />

Parteibasis und -führung wurden zwar verschiedentlich benannt, aber nur<br />

wenig detailliert dargestellt und analysiert. Nur vere<strong>in</strong>zelt thematisiert wurde auch<br />

4 Internationale und auch <strong>in</strong> der nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit stark beachtete Beispiele hierfür<br />

waren u.a. die umstrittenen Veröffentlichungen von François Furet (Das Ende der Illusion. Der Kommunismus<br />

im 20. Jahrhundert, München 1996) sowie Stéphane Courtois u.a. (Das Schwarzbuch des<br />

Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München 1998 [Erweiterte Studienausgabe<br />

2000]).<br />

5 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP <strong>1945</strong> - 1990. Zwei kommunistische Parteien <strong>in</strong> der vierten Periode kapitalistischer<br />

Entwicklung, Heilbronn 1990; Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung:<br />

Zu e<strong>in</strong>igen Fragen der Nachkriegsgeschichte der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, herausgegeben<br />

und e<strong>in</strong>geleitet von Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus, 2 Bände, Neuss 1989,<br />

Band 1, S. 13 - 134.<br />

6 Patrick Major, The Death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O.; Jens-Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament. <strong>Die</strong><br />

<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Regierungen und Parlamenten der westdeutschen Besatzungszonen und der Bundesrepublik<br />

Deutschland (<strong>1945</strong>-1956), Bonn 1993; Volker Sieger, <strong>Die</strong> Wirtschafts- und Sozialpolitik der <strong>KPD</strong> von<br />

<strong>1945</strong> bis 1956, Frankfurt a. M. 2000. Letzteres Werk konnte aufgrund des Veröffentlichungszeitpunktes<br />

für diese Arbeit leider nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden. Neben diesen drei Dissertationen<br />

zu nennen s<strong>in</strong>d außerdem zwei umfangreiche Aufsätze von Herbert Mayer (Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den,<br />

Agenten, Verbrechern...? Zu den Parteisäuberungen <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> [1948 - 1952] und der Mitwirkung<br />

der SED, Berl<strong>in</strong> 1995; Nur e<strong>in</strong>e Wahlniederlage? Zum Verhältnis zwischen SED und <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den<br />

Jahren 1948/49, <strong>in</strong>: Hefte zur DDR-Geschichte 12, Berl<strong>in</strong> 1993).


E<strong>in</strong>leitung 9<br />

die konkrete Umsetzung der zentralistisch bestimmten Parteil<strong>in</strong>ie auf lokalpolitischer<br />

und betrieblicher Ebene sowie die dabei auftretenden Widersprüche und<br />

Konflikte. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> musste aufgrund dieser fehlenden <strong>in</strong>ternen E<strong>in</strong>blicke im wesentlichen<br />

als e<strong>in</strong> von außen angeleiteter monolithischer Block ersche<strong>in</strong>en, dessen<br />

<strong>in</strong>nere Widersprüche und Entwicklungen <strong>in</strong>klusive deren Wechselwirkung mit den<br />

äußeren Bed<strong>in</strong>gungen nur wenig differenziert behandelt werden konnten. E<strong>in</strong>e kritische<br />

Neubewertung der Geschichte des Kalten Krieges <strong>in</strong> beiden deutschen Staaten<br />

setzt jedoch e<strong>in</strong>e solche Differenzierung auch h<strong>in</strong>sichtlich der <strong>KPD</strong> voraus. Derartige<br />

Analysen für den gesamten Zeitraum der Nachkriegsgeschichte der <strong>KPD</strong> s<strong>in</strong>d<br />

s<strong>in</strong>nvollerweise nur auf lokaler Landesebene möglich und liegen bislang nicht vor. 7<br />

Mit der Untersuchung der Bremer <strong>KPD</strong> soll auf der Basis der nunmehr zugänglichen<br />

Orig<strong>in</strong>alquellen versucht werden, wenigstens e<strong>in</strong>en Teil dieser Lücke zu<br />

schließen.<br />

Für e<strong>in</strong>e solche lokalhistorische Studie als Bestandteil e<strong>in</strong>er fundierten Analyse<br />

und Neubewertung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik eignet sich <strong>Bremen</strong> aus mehreren<br />

Gründen. Generell besitzt die Arbeiterbewegung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong>e bedeutende<br />

Tradition. Seit der Revolution 1918/19 wie auch bereits vor dem Ersten Weltkrieg<br />

war die Stadt häufig e<strong>in</strong> exemplarischer Schauplatz der politischen und sozialen<br />

Kämpfe der Arbeiterschaft sowie der theoretischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong>nerhalb<br />

der sozialistischen Bewegung, wobei oft die l<strong>in</strong>ken Strömungen überwogen.<br />

Auch die <strong>KPD</strong> baute <strong>in</strong> der Hansestadt auf e<strong>in</strong>e starke Tradition: <strong>Die</strong> im Ersten<br />

Weltkrieg von der SPD abgespalteten »Bremer L<strong>in</strong>ksradikalen« um den Lehrer Johann<br />

Knief und die aus dieser Gruppe entstandene parteiförmige Organisation »Internationale<br />

Kommunisten Deutschlands« (IKD) waren geme<strong>in</strong>sam mit dem Spartakusbund<br />

entscheidend an der Gründung der <strong>KPD</strong> 1918/19 beteiligt. 8<br />

Für die Entwicklung nach <strong>1945</strong> und vor allem seit 1948 lässt sich am Bremer<br />

Landesverband exemplarisch die Entwicklung der Gesamtpartei ablesen. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong><br />

war hier pr<strong>in</strong>zipiell den gleichen <strong>in</strong>haltlichen und <strong>org</strong>anisatorischen Isolations- und<br />

Erosionsprozessen ausgesetzt, die sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> aufgrund der relativ kle<strong>in</strong>en und<br />

damit überschaubaren Partei- und Entscheidungsstrukturen sowie der ›kurzen politischen<br />

Wege‹ des Stadtstaates vor allem h<strong>in</strong>sichtlich der partei<strong>in</strong>ternen Prozesse<br />

detaillierter nachvollziehen lassen. Ähnliches gilt für die Untersuchung der Arbeit<br />

<strong>in</strong> den Betrieben, deren konkrete Ausformungen und Zusammenhänge mit den<br />

7 Es existiert lediglich e<strong>in</strong>e frühe Studie über die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, die sich aber zum e<strong>in</strong>en<br />

aufgrund der damaligen Quellenlage vor allem auf offizielle Parteimaterialien stützt und somit <strong>in</strong>terne<br />

Prozesse nicht erfasst, zum anderen nur den Zeitraum bis 1956 berücksichtigt (Gudrun Schädel, <strong>Die</strong><br />

Kommunistische Partei Deutschlands <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen von <strong>1945</strong>-1956, Diss. Bochum o.J. [1974],<br />

Typoscript).<br />

8 Peter Kuckuk, Bremer L<strong>in</strong>ksradikale bzw. Kommunisten von der Militärrevolte im November 1918 bis<br />

zum Kapp-Putsch im März 1920. Ihre Politik <strong>in</strong> der Hansestadt und <strong>in</strong> den Richtungskämpfen <strong>in</strong>nerhalb<br />

der <strong>KPD</strong>. Phil.Diss. Hamburg 1970; Peter Kuckuk, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der deutschen Revolution 1918-1919.<br />

Revolution, Räterepublik, Restauration, Hrsg. von Karl-Ludwig Sommer, <strong>Bremen</strong> 1986, S. 26ff.; Arne<br />

Andersen, »Lieber im Feuer der Revolution sterben, als auf dem Misthaufen der Demokratie verrecken!«.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> von 1928-1933. E<strong>in</strong> Beitrag zur Bremer Sozialgeschichte, München 1987, S.<br />

25ff.


10<br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

Entscheidungen der Parteiführung nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em regional begrenzten Untersuchungsfeld<br />

differenziert zu erfassen ist.<br />

Daneben kam der Bremer <strong>KPD</strong> aber auch e<strong>in</strong>e bundesweit herausragende Stellung<br />

zu. Im Vergleich zur Entwicklung der anderen Landesverbände sowie der gesamten<br />

Partei konnte die <strong>KPD</strong> hier e<strong>in</strong>e relativ starke Position behaupten und blieb<br />

bis zum Verbot 1956 e<strong>in</strong> politisch relevanter Faktor. <strong>Die</strong>se Sonderstellung der Bremer<br />

Landes<strong>org</strong>anisation manifestierte sich vor allem <strong>in</strong> den Wahlergebnissen. Während<br />

die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> allen vorausgegangenen Landtagswahlen und 1953 auch bei der<br />

Bundestagswahl an der Fünfprozent-Hürde gescheitert war und dabei teilweise<br />

dramatische Stimmenverluste h<strong>in</strong>nehmen musste, konnte sie <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> noch 1955<br />

mit vier Abgeordneten <strong>in</strong> die Bürgerschaft e<strong>in</strong>ziehen. Nach dem Verbot 1956 ermöglichte<br />

e<strong>in</strong>e Entscheidung des Staatsgerichtshofes diesen Abgeordneten den Verbleib<br />

<strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft, wodurch die Sonderstellung der Bremer <strong>KPD</strong> auch<br />

<strong>in</strong> der Illegalität zunächst erhalten blieb.<br />

<strong>Die</strong> genannten Gründe lassen die Bremer <strong>KPD</strong> als geeignet ersche<strong>in</strong>en für e<strong>in</strong>e<br />

regional begrenzte Fallstudie, die <strong>in</strong> vielerlei H<strong>in</strong>sicht exemplarisch für die Gesamtpartei<br />

stehen kann, darüber h<strong>in</strong>aus aber auch e<strong>in</strong>e Reihe lokaler Spezifika und<br />

deren Bedeutung für die Parteigeschichte aufzeigt.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus gibt es gute lokalhistorische Gründe für e<strong>in</strong>e detaillierte Untersuchung<br />

der Bremer <strong>KPD</strong>, die bislang <strong>in</strong> der ansonsten vielfältigen Literatur über<br />

die Bremer Arbeiterbewegung schlicht e<strong>in</strong> Desiderat darstellte. Lediglich <strong>in</strong> thematisch<br />

anderen oder größeren Zusammenhängen fanden auch Teilaspekte der Geschichte<br />

und Politik der <strong>KPD</strong> Berücksichtigung. In größerem Umfang ist dies der<br />

Fall bei Renate Meyer-Braun, 9 die die <strong>KPD</strong> vor allem im H<strong>in</strong>blick auf das Verhältnis<br />

zur SPD erwähnt, der Dissertation von Peter Brandt, 10 die auf die unmittelbare<br />

Nachkriegszeit beschränkt ist, hier allerd<strong>in</strong>gs auch die Re<strong>org</strong>anisation und Politik<br />

der <strong>KPD</strong> ausführlich behandelt, sowie <strong>in</strong> der auf e<strong>in</strong>en Stadtteil begrenzten Lokalstudie<br />

von Joachim Oltmann 11. Daneben existieren e<strong>in</strong>ige Publikationen, e<strong>in</strong>zelne<br />

Beiträge <strong>in</strong> Sammelbänden, Zeitzeugenberichte sowie Biographien, die allesamt auf<br />

Teilaspekte begrenzt bleiben oder die <strong>KPD</strong> nur am Rande thematisieren. 12 <strong>Die</strong> ille-<br />

9 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949 - 1959. E<strong>in</strong>e lokal- und parteigeschichtliche Studie, Frankfurt<br />

a. M.; New York 1982.<br />

10 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung. Aufbau, Ausprägung, Politik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

<strong>1945</strong>/46, Hamburg 1976.<br />

11 Joachim Oltmann, Kalter Krieg und kommunale Integration. Arbeiterbewegung im Stadtteil <strong>Bremen</strong>-<br />

Vegesack, Marburg 1987.<br />

12 Horst Adamietz, Das erste Kapitel. Bremer Parlamentarier <strong>1945</strong>-1950, <strong>Bremen</strong> 1975; ders., <strong>Die</strong> Fünfziger<br />

Jahre. Bremer Parlamentarier 1951-1959, <strong>Bremen</strong> 1978; Arne Andersen und Uwe Kiupel, IG Metall<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. <strong>Die</strong> ersten 100 Jahre, herausgegeben von der IG Metall <strong>Bremen</strong>, <strong>Bremen</strong> 1991; Christoph<br />

Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nach dem Zweiten Weltkrieg, <strong>Bremen</strong> 1989; Wilhelm Eberwe<strong>in</strong><br />

und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall. Arbeit im Wirtschaftswunder (B<strong>org</strong>ward, Goliath, Lloyd) <strong>Bremen</strong><br />

1987; Wolfgang Merkel und Beernhard Oldigs, M<strong>org</strong>en Rot! 80 Jahre Bremer Arbeiterjugendbewegung,<br />

40 Jahre Landesjugendr<strong>in</strong>g, herausgegeben vom Landesjugendr<strong>in</strong>g <strong>Bremen</strong>, <strong>Bremen</strong> 1987; Christoph<br />

Butterwegge u.a. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg. Zeitzeug<strong>in</strong>nen berichten aus den 50er und 60er Jahren:<br />

West<strong>in</strong>tegration-Wiederbewaffnung-Friedensbewegung, <strong>Bremen</strong> 1991; He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und<br />

Almut Schwerd (Hrsg.), Zeitzeugen berichten: <strong>Die</strong> Bremer Arbeiterbewegung <strong>in</strong> den fünfziger Jahren.


E<strong>in</strong>leitung 11<br />

gale Phase der Bremer <strong>KPD</strong> bis <strong>1968</strong> wurde bislang lediglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er eigenen Studie<br />

zusammenhängend dargestellt, für die jedoch die neuen Quellen noch nicht zur<br />

Verfügung standen. 13<br />

Der relativ große Untersuchungszeitraum sowie die Art und besonders der Umfang<br />

des zugrunde gelegten Quellenmaterials machen auch im Rahmen der hier <strong>in</strong>tendierten<br />

Gesamtdarstellung e<strong>in</strong>e Schwerpunktsetzung und Akzentuierung unumgänglich.<br />

<strong>Die</strong> Arbeit konzentriert sich deshalb zum e<strong>in</strong>en chronologisch auf den<br />

Zeitraum 1948 bis 1956, der für die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>erseits die Phase des Niedergangs sowie<br />

zunehmender politischer Isolation und staatlicher Verfolgung bis h<strong>in</strong> zum Verbot<br />

markierte, andererseits <strong>in</strong>nerparteilich begleitet war von <strong>org</strong>anisatorischen Umgestaltungen,<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen und massiven Mitgliederverlusten. <strong>Die</strong>se <strong>in</strong>nerparteilichen<br />

Prozesse wiederum bilden den <strong>in</strong>haltlichen Schwerpunkt der gesamten<br />

Arbeit.<br />

Zur Erläuterung der Gliederung sei kurz auf die Schwerpunkte der e<strong>in</strong>zelnen<br />

Kapitel verwiesen. Als e<strong>in</strong>leitendes Kapitel zu verstehen ist die Darstellung der ersten<br />

Nachkriegsjahre bis 1948, <strong>in</strong> denen die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zunächst zu e<strong>in</strong>er wichtigen<br />

gesellschaftlichen Kraft wurde und auch an der Landesregierung beteiligt<br />

war. <strong>Die</strong>se Phase ist <strong>in</strong> der Literatur bereits ausführlich geschildert. Besonders Peter<br />

Brandt hat sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er als Standardwerk zu betrachtenden Dissertation behandelt,<br />

wobei er auch auf <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> gelagerte Quellen der <strong>KPD</strong> bzw. SED zurückgreifen<br />

konnte. 14 In diesem Kapitel wird deshalb lediglich überblicksartig auf diese bisher<br />

vorliegenden Erkenntnisse Bezug genommen und wo möglich durch die neu vorliegenden<br />

Quellen aus den <strong>KPD</strong>-Beständen ergänzt.<br />

Der Hauptteil der Arbeit über die Phase zwischen 1948 und 1956 wird <strong>in</strong> Kapitel<br />

2 e<strong>in</strong>geleitet mit e<strong>in</strong>er Darstellung der Organisationsstrukturen der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>.<br />

Den oben genannten <strong>in</strong>haltlichen Schwerpunkt vertieft dann das dritte Kapitel<br />

über die ›Säuberungen‹ und <strong>in</strong>nerparteilichen Ause<strong>in</strong>andersetzungen. Hier wird<br />

deutlich, wie massiv der <strong>in</strong>nere Wandlungsprozess der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> diesen Jahren war<br />

und welche Folgen er <strong>in</strong> der Partei auf lokaler Ebene hatte. Kapitel 4 (Politik und<br />

Programmatik) schildert die Umsetzung der ›Nationalen Politik‹ der <strong>KPD</strong> auf<br />

kommunal- und landespolitischer Ebene sowie die Arbeit und Funktion der kommunistischen<br />

Bürgerschaftsfraktion. Kapitel 5 behandelt ausführlich die Betriebsgruppen<br />

und die Gewerkschaftspolitik. <strong>Die</strong> bei der Umsetzung der Parteil<strong>in</strong>ie entstehenden<br />

Widersprüche und Probleme können hier besonders gut beobachtet werden.<br />

Bremer Vorträge zur politischen Bildung, Schriftenreihe der Bremer Volkshochschule und der Bildungsvere<strong>in</strong>igung<br />

Arbeit und Leben (DGB/VHS) e.V., Band 2, Marburg 1989; Karl-Ludwig Sommer<br />

(Hrsg.), <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> den fünfziger Jahren: Politik, Wirtschaft, Kultur, <strong>Bremen</strong> 1989; Käthe Popall, E<strong>in</strong><br />

schwieriges politisches Leben. Erzählte Geschichte, bearbeitet von Peter Alheit und Jörg Wollenberg,<br />

Fischerhude 1985; Johann Re<strong>in</strong>ers, Erlebt und nicht vergessen. E<strong>in</strong>e politische Biographie, Fischerhude<br />

1982.<br />

13 Hendrik Bunke, <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong> 1956 - <strong>1968</strong>. Verbot, Organisation, Politik, <strong>in</strong>: Bremisches Jahrbuch. In<br />

Verb<strong>in</strong>dung mit der Historischen Gesellschaft <strong>Bremen</strong> herausgegeben vom Staatsarchiv <strong>Bremen</strong>, Band<br />

73, <strong>Bremen</strong> 1994, S. 202 - 279.<br />

14 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O.


12<br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

In allen Kapiteln wird auch die Ausgrenzung der <strong>KPD</strong> durch die anderen Parteien,<br />

die Gewerkschaften sowie die staatlichen Organe deutlich. Kapitel 6 schildert<br />

noch e<strong>in</strong>mal überblicksartig das Ausmaß der juristischen Verfolgung bis zum Verbot<br />

1956, das die <strong>KPD</strong> schließlich endgültig aus dem legalen politischen Spektrum<br />

verdrängte. <strong>Die</strong> nachfolgende illegale Arbeit und Existenz der Partei bis zur Gründung<br />

der DKP <strong>1968</strong> ist Thema des siebten Kapitels. Aufgrund der ger<strong>in</strong>geren <strong>in</strong>haltlichen<br />

Relevanz und des wesentlich spärlicher vorliegenden Quellenmaterials<br />

kann im Rahmen e<strong>in</strong>er Gesamtdarstellung die Schilderung dieser immerh<strong>in</strong> zwölf<br />

Jahre währenden Phase nicht so ausführlich geschehen wie die der Jahre von 1948<br />

bis 1956. 15<br />

Quellen<br />

Wesentliche Grundlage der Arbeit s<strong>in</strong>d die ehemals im »Institut für Marxismus-<br />

Len<strong>in</strong>ismus beim ZK der SED« (IML) gelagerten und lange nicht zugänglichen Materialien<br />

der West-<strong>KPD</strong>, die entweder im Laufe der 1950er Jahre aus Sicherheitsgründen<br />

nach Ost-Berl<strong>in</strong> geschafft worden waren oder aber aus anderen Beständen<br />

der SED stammen. Nach dem Zusammenbruch der DDR und der deutschen E<strong>in</strong>igung<br />

wurde das umfangreiche SED-Archiv beim IML <strong>in</strong> die 1993 e<strong>in</strong>gerichtete<br />

»Stiftung Archiv der Parteien und Massen<strong>org</strong>anisationen der DDR im Bundesarchiv«<br />

(SAPMO) überführt. <strong>Die</strong> sehr umfangreichen Bestände der West-<strong>KPD</strong> waren<br />

davon jedoch <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>es Rechtsstreites ausgenommen und verblieben zunächst<br />

beim Parteivorstand der PDS <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, wo sie für diese Arbeit e<strong>in</strong>gesehen werden<br />

konnten. Inzwischen s<strong>in</strong>d auch diese Bestände <strong>in</strong> die SAPMO e<strong>in</strong>gegliedert worden<br />

und wieder zugänglich für die Forschung. 16 SiewurdenimRahmendieserArbeit<br />

erstmals für die Untersuchung e<strong>in</strong>er regionalen <strong>KPD</strong>-Organisation ausgewertet. 17<br />

Innerhalb der zwei großen <strong>KPD</strong>-Bestände (I 10 und I 11) betreffen zwei Sammlungen<br />

explizit die Bremer Landes<strong>org</strong>anisation (I 10/20 und I 11/20). <strong>Die</strong>se wurden<br />

komplett e<strong>in</strong>gesehen und bearbeitet. Das umfangreiche Material ist vor allem h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der zahlreichen <strong>in</strong>ternen Protokolle und Berichte von grundlegender Bedeutung<br />

für die vorliegende Arbeit. Im E<strong>in</strong>zelnen s<strong>in</strong>d unter anderem enthalten:<br />

die Sitzungsprotokolle, Arbeitspläne und Tätigkeitsberichte des Landessekretariats<br />

von 1949 bis 1956; Protokolle der Landesleitung und von Parteitagen bzw. Landesdelegiertenkonferenzen;<br />

Materialien der e<strong>in</strong>zelnen Abteilungen der Landesleitung;<br />

für den Parteivorstand der <strong>KPD</strong> sowie die entsprechenden Abteilungen der SED<br />

15 Das Kapitel basiert zum Teil auf me<strong>in</strong>er Staatsexamensarbeit von 1993, die 1994 leicht überarbeitet als<br />

Aufsatz veröffentlicht wurde (Hendrik Bunke, <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong> 1956 - <strong>1968</strong>, a.a.O.). Für die vorliegende<br />

Arbeit wurden auf der Basis der neuen Quellen wesentliche Teile überarbeitet und ergänzt.<br />

16 Für die vorliegende Arbeit werden die Signaturen verwendet, mit denen die Bestände zum Zeitpunkt<br />

der E<strong>in</strong>sichtnahme bei der PDS ausgezeichnet waren. <strong>Die</strong>se s<strong>in</strong>d weitgehend identisch mit denen der<br />

SAPMO. Um die E<strong>in</strong>heitlichkeit zu gewährleisten, werden die <strong>KPD</strong>-Bestände deshalb mit »SAPMO<br />

« zitiert.<br />

17 Patrick Major hat den SAPMO-Bestand der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen benutzt. Se<strong>in</strong> Schwerpunkt ist<br />

jedoch nicht die Landes<strong>org</strong>anisation, sondern die Gesamtpartei, für die er Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen lediglich<br />

als »empirical focus« heranzieht (Patrick Major, The Death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 18, 311).


E<strong>in</strong>leitung 13<br />

bestimmte Instrukteursberichte; 18 zahlreiche Flugblätter, Aufrufe und andere Veröffentlichungen<br />

der Partei wie Betriebs- oder Stadtteilzeitungen. Neben diesen für<br />

die Bremer <strong>KPD</strong> zentralen Materialien wurden aus dem <strong>KPD</strong>-Gesamtbestand e<strong>in</strong>zelne<br />

Akten e<strong>in</strong>gesehen, die relevante Informationen enthielten.<br />

Zweiter grundlegender Quellenbestand waren Akten des Arbeitsbüros und der<br />

Westkommission des ZK der SED, die sich ebenfalls <strong>in</strong> der »Stiftung Archiv der<br />

Parteien und Massen<strong>org</strong>anisationen der DDR im Bundesarchiv« bef<strong>in</strong>den (IV<br />

2/10.02, IV 2/10.03 und IV A2/10.02). 19 Besonders relevant waren diese Materialien<br />

für die illegale Phase der <strong>KPD</strong> von 1956-<strong>1968</strong>. Sie enthalten <strong>in</strong> Bezug auf <strong>Bremen</strong><br />

Berichte der Bezirksleitung, Instrukteursberichte, Berichte zu E<strong>in</strong>zelproblemen<br />

(Mauerbau, Ostermärsche, Betriebsfragen, Parteizeitung, Gründung der DKP etc.)<br />

sowie Informationen zu Aufbau und Struktur der Partei <strong>in</strong> der Illegalität. Enthalten<br />

s<strong>in</strong>d außerdem die Protokolle der Sitzungen des Zentralkomitees und des Politbüros<br />

der illegalen <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong> denen sich ebenfalls Beschlüsse und Stellungnahmen zu<br />

Bremer Problemen f<strong>in</strong>den.<br />

E<strong>in</strong>gesehen und teilweise verwertet wurden aus den SAPMO-Beständen außerdem<br />

die Nachlässe von Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Otto Grothewohl, die<br />

auch Berichte über die <strong>KPD</strong> - u.a. <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> - <strong>in</strong> der unmittelbaren Nachkriegszeit<br />

enthalten.<br />

E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>erer Bestand von Materialien der Bremer <strong>KPD</strong> bef<strong>in</strong>det sich im Bundesarchiv<br />

<strong>in</strong> Koblenz (B 118/29). <strong>Die</strong>ser Bestand enthält allerd<strong>in</strong>gs weniger grundlegendes,<br />

sondern lediglich ergänzendes Material. Es handelt sich um nach 1951 im<br />

Zuge des Verbotsantrages der Bundesregierung beschlagnahmte Unterlagen, die<br />

teilweise auch <strong>in</strong> den bereits genannten Beständen zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d und größtenteils<br />

aus Publikations- oder <strong>in</strong>ternem Informationsmaterial bestehen.<br />

Neben diesen zentralen <strong>KPD</strong>-Beständen wurden Quellen im Staatsarchiv <strong>Bremen</strong><br />

sowie e<strong>in</strong>zelne Dokumente und Materialien im Statistischen Landesamt <strong>Bremen</strong><br />

und dem »Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung« <strong>in</strong><br />

Bonn benutzt. Hilfreich waren außerdem e<strong>in</strong>ige mir dankenswerterweise zur Verfügung<br />

gestellten Privatarchive. Intensiv ausgewertet wurde die Presse der Bremer<br />

<strong>KPD</strong>: die bis 1956 ersche<strong>in</strong>ende Tribüne der Demokratie sowie die ab 1959 faktisch<br />

von der illegalen Partei herausgebrachte, aber legal und bis 1969 ersche<strong>in</strong>ende Zeitung<br />

Neues Echo.<br />

E<strong>in</strong>e wichtige Quelle zur Ergänzung des Akten-, Presse- und Literaturmaterials<br />

waren die Interviews mit Zeitzeugen, <strong>in</strong>sbesondere mit damaligen <strong>KPD</strong>-<br />

Führungsmitgliedern. Bei aller gebotenen Skepsis gegenüber dem re<strong>in</strong> wissen-<br />

18 <strong>Die</strong> Instrukteursberichte bieten e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>en guten externen E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Bremer Partei<strong>org</strong>anisation,<br />

der oft auch die Sicht der Parteileitungen von SED und <strong>KPD</strong> reflektiert. Sie s<strong>in</strong>d andererseits - mehr<br />

noch als auch den übrigen Quellen gegenüber geboten ist - mit besonderer S<strong>org</strong>falt zu benutzen, da gerade<br />

der ›Blick von außen‹ oftmals zu Verfälschungen (Personen, Orte, Zeit) oder auch Übertreibungen<br />

führte (vgl. auch Jochen Staadt, <strong>Die</strong> geheime Westpolitik der SED 1960-1970. Von der gesamtdeutschen<br />

Orientierung zur sozialistischen Nation, Berl<strong>in</strong> 1993, S. 19f.).<br />

19 <strong>Die</strong> Westkommission und das Arbeitsbüro waren für die Koord<strong>in</strong>ation und Anleitung der <strong>KPD</strong> zuständig.<br />

Siehe z. B. Jochen Staadt, <strong>Die</strong> geheime Westpolitik der SED, a.a.O., S. 27ff.


14<br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

schaftlichen Erkenntniswert solcher oftmals durch Verzerrungen und Er<strong>in</strong>nerungslücken<br />

geprägter Interviews, konnten sie dennoch viele ergänzende und veranschaulichende<br />

Informationen bieten, die für das Verständnis der <strong>KPD</strong> und ihrer<br />

handelnden Akteure sehr wertvoll waren. Allen Interviewpartnern sei hiermit herzlich<br />

gedankt für die Gesprächsbereitschaft und die Überlassung von Dokumenten.<br />

<strong>Die</strong> vorliegende Arbeit wurde am 7. Februar 2001 vom Promotionsausschuss<br />

Dr.phil. der Universität <strong>Bremen</strong> als Dissertation angenommen. Das Promotionscolloquium<br />

fand am 18. Juni 2001 statt.<br />

Abschließend möchte der Verfasser all denen sehr herzlich danken, die die Entstehung<br />

der Arbeit vielfältig unterstützt und begleitet haben. Ganz besonders gilt<br />

der Dank dem Betreuer Prof. Dr. Wolfgang Schäfer für die <strong>in</strong>tensive Förderung,<br />

Geduld und persönliche Verbundenheit, sowie Dr. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Prof.<br />

Dr. Dr. Peter Alheit, die mich mehr als kollegial unterstützt haben und von denen<br />

ich viel lernen konnte.


Kapitel 1<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

<strong>Die</strong> Jahre <strong>1945</strong> bis Anfang 1948 markieren für die Geschichte der Bremer <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Periode, <strong>in</strong> der die Kommunisten, wie <strong>in</strong> den gesamten westlichen Besatzungszonen<br />

und - unter anderen Vorzeichen - <strong>in</strong> der sowjetisch besetzten Ostzone, nach<br />

zwölf Jahren der Illegalität und Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime<br />

zunächst zu e<strong>in</strong>er wichtigen gesellschaftlichen und politischen Kraft wurden. <strong>Die</strong><br />

Bremer <strong>KPD</strong> war <strong>in</strong> Senat und Bürgerschaft vertreten und damit erstmals Regierungspartei<br />

<strong>in</strong> der Hansestadt. Auch außerparlamentarisch und gesellschaftlich<br />

spielte die Partei e<strong>in</strong>e tragende Rolle bei der Bewältigung der Nachkriegssituation<br />

sowie der Planung und Diskussion der politischen Neuordnung. Kommunisten<br />

waren maßgeblich beteiligt an der Gründung und Arbeit der »Kampfgeme<strong>in</strong>schaft<br />

gegen den Faschismus« (KGF), die sich unmittelbar nach Kriegsende konstituierte<br />

und vor der Legalisierung der beiden Arbeiterparteien im Oktober <strong>1945</strong> zunächst<br />

zur geme<strong>in</strong>samen Plattform aller Strömungen der Arbeiterbewegung wurde. Sehr<br />

früh aktiv waren Kommunisten beim Wiederaufbau der Betriebe und Gewerkschaften,<br />

so dass sich die <strong>KPD</strong> auch hier zunächst e<strong>in</strong>en großen E<strong>in</strong>fluss sichern konnte<br />

und <strong>in</strong> vielen der ersten Betriebsräte die Mehrheit stellte. Begleitet war diese politische<br />

und gesellschaftliche Stellung von e<strong>in</strong>em relativ pragmatischen Regierungsund<br />

Konsenswillen und e<strong>in</strong>er entsprechenden Programmatik der <strong>KPD</strong>, die e<strong>in</strong>en<br />

antifaschistisch-demokratischen Neuaufbau zum Ziel hatte und sozialistischrevolutionäre<br />

Vorstellungen zunächst <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund stellte. <strong>Die</strong>se starke Stellung<br />

der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren hatte durchaus historische Grundlagen.<br />

Arbeiterbewegung und Arbeiterparteien, »sowohl die reformistische als auch<br />

die revolutionäre Richtung«, 1 bauten <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> auf e<strong>in</strong>e starke Tradition auf, und<br />

die Stadt kann zu Recht auch als Hochburg der <strong>KPD</strong> bezeichnet werden. 2<br />

1 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 9.<br />

2 Zur (Vor-)Geschichte der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bis <strong>1945</strong> siehe ausführlich: Arne Andersen, »Lieber im Feuer<br />

der Revolution sterben, als auf dem Misthaufen der Demokratie verrecken!«, a.a.O.; Peter Kuckuk,<br />

<strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der deutschen Revolution 1918-1919, a.a.O.; Peter Kuckuk, Bremer L<strong>in</strong>ksradikale bzw.<br />

Kommunisten von der Militärrevolte im November 1918 bis zum Kapp-Putsch im März 1920, a.a.O.;<br />

Hansge<strong>org</strong> Conert, Reformismus und Radikalismus <strong>in</strong> der bremischen Sozialdemokratie vor 1914. <strong>Die</strong><br />

Herausbildung der »Bremer L<strong>in</strong>ken« zwischen 1904 und 1914, Universität <strong>Bremen</strong> 1985; Hartmut Müller<br />

(Hrsg.), Bremer Arbeiterbewegung 1918-<strong>1945</strong> - »Trotz alledem«, Katalogbuch zur gleichnamigen<br />

Ausstellung im Rathaus <strong>Bremen</strong>, Berl<strong>in</strong> 1983; Jörg Wollenberg, Lore Heer-Kle<strong>in</strong>ert, Mechthild Müser<br />

und <strong>Die</strong>ter Pfliegensdörfer, Von der Krise zum Faschismus. Bremer Arbeiterbewegung 1929-33, Frankfurt<br />

a.M. 1983. Zum kommunistischen Widerstand <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zwischen 1933 und <strong>1945</strong> vor allem Inge


16<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

1. Re<strong>org</strong>anisation und E<strong>in</strong>heitsbestrebungen<br />

Der Wiederaufbau der <strong>KPD</strong> nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft<br />

begann <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> sehr früh. Unmittelbar nach der Besetzung der Stadt durch britische<br />

und kanadische Truppen (27. April <strong>1945</strong>) 3 konstituierte sich illegal e<strong>in</strong>e Leitung<br />

für das Gebiet des früheren Parteibezirks <strong>Bremen</strong>/Nordwest. Etwa vier Wochen<br />

nach der Besetzung fand e<strong>in</strong>e Wiedergründungsversammlung der Bremer<br />

<strong>KPD</strong> statt, noch im Mai konnte auch der Kontakt zum Zentralkomitee <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> hergestellt<br />

werden. 4<br />

Ebenfalls bereits im Mai <strong>1945</strong> wurde das erste Rundschreiben der Bezirksleitung<br />

an die Mitglieder verteilt. 5 Das Schreiben begann mit e<strong>in</strong>er kurzen, aber von der<br />

Dramatik der Situation gekennzeichneten Bilanz der nationalsozialistischen Herrschaft:<br />

»Nach 12-jähriger brutaler Terror-Herrschaft ist der Zusammenbruch des Nazifaschismus zur<br />

Tatsache geworden. Unter den gewaltigen Schlägen der Roten Armee und den Heeren der<br />

westlichen Demokratien wird e<strong>in</strong> Mordsystem beseitigt, welches von dem werktätigen Volke<br />

ungeheuerliche Opfer gefordert hat. Was diese faschistischen Banditen an Elend, Verwüstung<br />

und Vernichtung h<strong>in</strong>terlassen haben, lässt sich kaum beschreiben. Erschüttert denken wir an<br />

Hundertausende der Unsrigen, der besten Söhne der Arbeiterklasse, die unter dem Terror des<br />

braunen Regimes ihr Blut für die Welteroberungspläne e<strong>in</strong>es Hitler vergossen. In diesen Tagen<br />

öffneten sich die Tore vieler Konzentrationslager für die besten Funktionäre der Arbeiterklasse,<br />

die seit 10 und mehr Jahren der Barbarei und dem faschistischen Terror getrotzt haben.<br />

Nur aufrechterhalten durch das Feuer ihrer revolutionären Erkenntnis, durch den Glauben an<br />

die historisch unabwendbare Zertrümmerung des Faschismus. Zum ersten Mal seit 12 Jahren<br />

können wir wieder freier atmen. <strong>Die</strong> Freiheit, die <strong>in</strong> diesem Zuchthausstaate im Blute erstickt<br />

wurde, muss erst wieder neu geboren werden.«<br />

Der Rest des Schreibens beschäftigte sich mit den ersten zu ergreifenden Maßnahmen<br />

sowie e<strong>in</strong>igen partei<strong>org</strong>anisatorischen Richtl<strong>in</strong>ien und nannte als vorran-<br />

Marßolek und René Ott, <strong>Bremen</strong> im Dritten Reich. Anpassung, Widerstand, Verfolgung, <strong>Bremen</strong> 1986,<br />

S. 245-288 und S. 374-384.<br />

3 Hartmut Müller, Günther Rohdenburg (Hrsg.), Kriegsende <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Er<strong>in</strong>nerungen, Berichte, Dokumente,<br />

<strong>Bremen</strong> 1995. <strong>Bremen</strong> wurde trotz der Besetzung durch die Briten e<strong>in</strong>e Enklave des amerikanischen<br />

Besatzungsgebietes (siehe z.B. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S.<br />

68ff.).<br />

4 Siehe dazu Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 179ff. Brandts Angaben basieren<br />

auf Zeitzeugen<strong>in</strong>terviews. Nach Angaben von Wilhelm Meyer-Buer kam der erste Kontakt mit<br />

dem Zentralkomitee durch den späteren Vorsitzenden der Hamburger <strong>KPD</strong> und dortigen Gesundheitssenator<br />

Friedrich (»Fiete«) Dettmann zustande (Interview Wilhelm Meyer-Buer, 2). Wilhelm Meyer-<br />

Buer (1911-1997): Kaufmännische Lehre. Seit 1931 <strong>KPD</strong>, 1933 illegale Arbeit, Herbst 1933 verhaftet,<br />

Zuchthaus bis Januar 1936, März 1936 erneute Verhaftung, KZ und Zuchthaus bis 1940, schwere Misshandlungen<br />

und gesundheitliche Schäden. 1940 <strong>Bremen</strong>, <strong>1945</strong> KGF und <strong>KPD</strong>, Mitglied der Landesleitung,<br />

1952 Sekretär Schulung, 1946-1959 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, seit 1951 Fraktionsvorsitzender<br />

der <strong>KPD</strong>, nach dem Verbot 1956 Sprecher der Gruppe der »Unabhängigen Sozialisten« (US),<br />

1963 wegen illegaler Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> zu acht Monaten Haft mit Bewährung verurteilt. Seit <strong>1968</strong><br />

DKP.<br />

5 K.P.D. -Bezirk Nordwest -, Rundschreiben Nr. 1, <strong>Bremen</strong>, im Mai <strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/1.


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 17<br />

gige Aufgaben »die sofortige Mobilisierung der Partei« sowie »die Schaffung e<strong>in</strong>er<br />

gewaltigen, alle antifaschistischen Bevölkerungskreise erfassende antifaschistische<br />

Massenbewegung und Aktion«.<br />

Das Rundschreiben betonte mehrfach die E<strong>in</strong>schätzung der britischen und amerikanischen<br />

Besatzungsmacht als »Klassenfe<strong>in</strong>de«. Man mache sich »ke<strong>in</strong>e Illusionen<br />

über den Charakter« der Besetzung: »Der anglo-amerikanische Imperialismus<br />

ist <strong>in</strong> allen grundsätzlichen Fragen für die Aufrechterhaltung des bürgerlichen Privateigentums<br />

an den Produktionsmitteln, für die Restaurierung des bürgerlichen<br />

Klassenstaates, also der Herrschaft der Bourgeoisie über die Arbeiterklasse.«<br />

Trotz dieser Vorbehalte empfahl die Bezirksleitung e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit mit<br />

den Besatzungsmächten, da diese »e<strong>in</strong> zeitweiliger Verbündeter im Kampf für die<br />

Liquidierung des Faschismus <strong>in</strong> Deutschland« seien. »<strong>Die</strong> revolutionären Arbeiter<br />

unterstützen daher alle Maßnahmen der Besatzungsbehörden, die im Interesse der<br />

Arbeiterklasse liegen.«<br />

<strong>Die</strong> Charakterisierung der Besatzungsmacht diente auch als Begründung für die<br />

Richtl<strong>in</strong>ien zum Parteiaufbau. »<strong>Die</strong> Genossen dürfen bei ihrer Arbeit nicht vergessen,<br />

dass die Anglo-Amerikaner unsere Klassenfe<strong>in</strong>de s<strong>in</strong>d, dass trotz aller Aktivität,<br />

die wir als Antifaschisten nach außen zu entwickeln haben, die Partei e<strong>in</strong>e geschickte<br />

konspirative Tätigkeit durchzuführen hat.« <strong>Die</strong> Bezirksleitung sei »nach<br />

e<strong>in</strong>gehender Beratung« zur Auffassung gekommen, »die Partei nur <strong>in</strong> den halblegalen<br />

Zustand zurückzuführen«. <strong>Die</strong> Besatzungsmächte, so die Begründung, »s<strong>in</strong>d an<br />

der legalen Wiederherstellung der K.P. nicht nur des<strong>in</strong>teressiert, sondern werden<br />

[...] unsere Bewegung mit allen Mitteln bekämpfen und verfolgen. <strong>Die</strong> Partei, welche<br />

aber vor gewaltigen Aufgaben steht, hat ihre Organisation so aufzubauen, dass<br />

sie sich dem Zugriff ihrer Klassenfe<strong>in</strong>de entzieht und doch e<strong>in</strong> schlagkräftiges Instrument<br />

im Klassenkampf wird.«<br />

Das Rundschreiben nannte drei Kriterien für die Aufnahme von Mitgliedern:<br />

»I. Er muss unbed<strong>in</strong>gt Aktivist se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>wandfreie charakterliche Haltung gezeigt haben.<br />

II. Se<strong>in</strong>e politische Haltung während des Naziregimes als Antifaschist und Klassenkämpfer<br />

muss tadelsfrei se<strong>in</strong>.<br />

III. Jeder Genosse muss die Fähigkeiten besitzen, als Kommunist die gestellten Aufgaben zu<br />

erfüllen, also im len<strong>in</strong>istischen S<strong>in</strong>ne Berufsrevolutionär se<strong>in</strong>. Ohne Bürgen und Kontrolle über<br />

Vergangenheit, Haltung und Fähigkeit darf ke<strong>in</strong>er <strong>in</strong> die Partei aufgenommen werden.«<br />

<strong>Die</strong> Kriterien sollten für gleichermaßen für ehemalige <strong>KPD</strong>- wie auch SPD-<br />

Mitglieder gelten. »<strong>Die</strong> Tatsache, dass e<strong>in</strong> Arbeiter e<strong>in</strong>mal im System der bürgerlichen<br />

Demokratie Parteigenosse war, bedeutet noch nichts. Viele Arbeiter, die zum<br />

Teil früher SPD- oder Reichsbannermitglieder waren, haben unter dem Naziterror<br />

ihre Eignung unter Beweis gestellt und haben e<strong>in</strong> Anrecht auf die Mitgliedschaft<br />

der Partei.«<br />

Abschließend g<strong>in</strong>g das Rundschreiben kurz auf die politischen Aufgaben und<br />

die Schaffung e<strong>in</strong>er antifaschistischen Massenbewegung e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Bezirksleitung<br />

forderte die »Wiederherstellung der demokratischen Grundrechte (Koalitionsfrei-


18<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

heit, Versammlungsrecht, Pressefreiheit usw.)«, da diese »der bessere Kampfboden<br />

für die Verwirklichung unserer Ziele« seien.<br />

»Von entscheidender Bedeutung ist, dass die Partei als die Vorhut der Arbeiterklasse von<br />

vornhere<strong>in</strong> die breitesten Massen für die Verwirklichung dieser elementarsten Forderungen<br />

mobilisiert. <strong>Die</strong> wichtigste und vordr<strong>in</strong>glichste Aufgabe der Partei nach dem Zusammenbruch<br />

des Nazi-Regimes ist also e<strong>in</strong>e gewaltige Mobilisierung der antifaschistischen Massen. Mit<br />

ungeheurer Kühnheit und gewaltigem Elan muss e<strong>in</strong>e Massenaktion entfaltet werden, welche<br />

die Antifaschisten aller Bevölkerungsschichten und von den Nazis verfolgten Antifasch. Organisationen<br />

erfasst.«<br />

<strong>Die</strong> »Kampfgeme<strong>in</strong>schaft gegen den Faschismus« (KGF)<br />

Bereits zu diesem Zeitpunkt war e<strong>in</strong>e solche antifaschistische Massen<strong>org</strong>anisation<br />

im Pr<strong>in</strong>zip realisiert und hatte e<strong>in</strong>e <strong>org</strong>anisatorische Form gefunden. <strong>Die</strong> »Kampfgeme<strong>in</strong>schaft<br />

gegen den Faschismus« (KGF), auf die sich das Rundschreiben auch<br />

ausdrücklich bezog, hatte sich schon am 3. Mai <strong>1945</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> konstituiert. 6 <strong>Die</strong><br />

Mitglieder der Gründungsversammlung kamen aus den Parteien der Arbeiterbewegung<br />

von vor 1933. Dem gewählten zehnköpfigen Vorstand gehörten Mitglieder<br />

von SPD und <strong>KPD</strong> wie auch der kle<strong>in</strong>eren Parteien und Splittergruppen KPO, SAP<br />

und ISK an. 7 Aus der <strong>KPD</strong> kamen Hermann Wolters 8 und Ge<strong>org</strong> Buckendahl 9.<br />

Auch Adolf Ehlers 10 und Franz Cavier 11 waren vor 1933 zeitweilig <strong>KPD</strong>-Mitglieder<br />

gewesen, aber im Zuge der Säuberungen von 1924 und 1929 ausgeschlossen worden<br />

(Ehlers sogar zweimal) und zur KPO, Ehlers später auch zur SAP übergetreten.<br />

Alle vier schlossen sich <strong>1945</strong> zunächst wieder der <strong>KPD</strong> an und gehörten zur Bezirksleitung.<br />

12<br />

6 Zur Entstehung, Geschichte und Bedeutung der KGF siehe ausführlich Peter Brandt, Antifaschismus<br />

und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 100ff. Außerdem He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, »Zum ersten Male nach<br />

zwölf Jahren der Knechtung können wir wieder frei atmen«. Bremer Antifaschisten und der Neuaufbau<br />

<strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: Hartmut Müller, Günther Rohdenburg (Hrsg.), Kriegsende <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 161-175.<br />

7 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 108.<br />

8 Hermann Wolters (1911-1974): Matrose. <strong>KPD</strong>-Mitglied seit 1930, nach 1933 Haft, 1939 Anstellung bei<br />

B<strong>org</strong>ward, <strong>1945</strong> KGF-Vorstand und <strong>KPD</strong>-Bezirksleitung, 1946 zusammen mit Adolf Ehlers Übertritt<br />

zur SPD, <strong>1945</strong>-1959 Mitglied des Senats.<br />

9 Ge<strong>org</strong> Buckendahl (1899-1958): Schlosser. Hauptamtlicher <strong>KPD</strong>-Funktionär seit 1927, <strong>in</strong> der NS-Zeit<br />

sechs Jahre Zuchthaus, Mai-Oktober <strong>1945</strong> Organisationssekretär der Bremer <strong>KPD</strong>, danach aus der Partei<br />

ausgeschlossen, E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die SPD, seit 1951 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft.<br />

10 Adolf Ehlers (1898-1978): Kaufmännische Lehre, Werftarbeiter, seit 1919 führende Positionen <strong>in</strong> der<br />

Bremer <strong>KPD</strong>, 1923-1924 Mitglied der Bürgerschaft, 1924 aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen, 1926 wieder aufgenommen,<br />

Rote Hilfe, 1930 erneut aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen, Übertritt zur KPO, 1932 SAP, nach<br />

1933 illegale Arbeit, <strong>1945</strong> KGF-Vorstand und Bezirksleitung der <strong>KPD</strong>, 1946 Übertritt zur SPD, Mitglied<br />

des Senats <strong>1945</strong>-1966, ab 1948 Innensenator, 1959-1963 zweiter Bürgermeister. Siehe zu Ehlers auch<br />

Horst Adamietz, Freiheit und B<strong>in</strong>dung. Adolf Ehlers, <strong>Bremen</strong> 1978.<br />

11 Franz Cavier (geb. 11.4.1903 - ?): Schlosser, 1919-1929 <strong>KPD</strong>, dann KPO. <strong>1945</strong> <strong>KPD</strong>, Redakteur beim Weser-Kurier,<br />

1948 »Gruppe Arbeiterpolitik«.<br />

12 Alle vier verließen später wieder die <strong>KPD</strong>. Ehlers und Wolters traten als Senatoren im Frühjahr 1946<br />

zur SPD über, Buckendahl wurde bereits im Oktober <strong>1945</strong> aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen und trat eben-


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 19<br />

<strong>Die</strong> schnelle Gründung nach der Besetzung der Stadt war ke<strong>in</strong> Zufall. Bereits<br />

seit Mai 1944 hatten Adolf Ehlers und He<strong>in</strong>rich Busch regelmäßige Zusammenkünfte<br />

von ehemaligen Funktionären der verschiedenen Parteien und Gruppen <strong>org</strong>anisiert,<br />

die programmatische Überlegungen für die Zeit nach der Befreiung entwarfen<br />

und aus denen schließlich die KGF herv<strong>org</strong><strong>in</strong>g. 13 Tragende Kräfte dieser Zusammenkünfte<br />

waren vor allem Vertreter der kle<strong>in</strong>en Parteien SAP und KPO wie Adolf<br />

Ehlers, dessen Tätigkeit auf der Werft AG »Weser« - bei der viele Arbeiterfunktionäre<br />

beschäftigt waren - die illegale Organisation erleichterte. 14<br />

Adolf Ehlers und Hermann Wolters - zwischen denen sich seit ihrem Kennenlernen<br />

Ende 1944 e<strong>in</strong>e enge persönliche und politische Freundschaft entwickelt hatte<br />

- 15 waren es auch, die am 29. April <strong>1945</strong> die Initiative ergriffen, den Kommandanten<br />

der britischen Besatzungstruppen aufsuchten und sich als »Führer der Arbeiterbewegung<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>« vorstellten. Sie kündigten e<strong>in</strong> »Sofortprogramm der<br />

Werktätigen« an, das sie zusammen mit Ge<strong>org</strong> Buckendahl am folgenden Tag übersandten,<br />

und erhielten schließlich die Genehmigung zur Gründung der KGF. 16<br />

Das angekündigte Sofortprogramm, das Ehlers schon vor der Besetzung entworfen<br />

hatte, wurde am 6. Mai <strong>1945</strong> <strong>in</strong> der ersten Ausgabe des Organs der KGF,<br />

dem »Aufbau«, veröffentlicht. 17 Das Programm sollte »nicht das Programm e<strong>in</strong>er<br />

Partei, sondern Grundlage der Verständigung aller Antifaschisten ohne Unterschied<br />

ihrer früheren Parteizugehörigkeit zum geme<strong>in</strong>samen Kampf gegen den Faschismus«<br />

se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Forderungen be<strong>in</strong>halteten mehrere Aspekte. An erster Stelle<br />

stand die »Auflösung der NSDAP und aller ihrer Gliederungen«, die Entfernung<br />

von Nationalsozialisten aus dem Polizei-, Staats- und Verwaltungsapparates sowie<br />

die »völlige Überw<strong>in</strong>dung der nationalsozialistischen Ideologie«. E<strong>in</strong> zweiter<br />

Schwerpunkt waren Forderungen, die sich aus der Situation des Zusammenbruchs<br />

und der Notlage der Bevölkerung ergaben (u.a. Wohnraumbeschlagnahmungen,<br />

Instandsetzung der Gas-, Wasser- und Stromvers<strong>org</strong>ung, Wiederherstellung der öffentlichen<br />

Verkehrsmittel). Weiteres zentrales Anliegen war die politische (Wiederherstellung<br />

der demokratischen Grundrechte, Wahl e<strong>in</strong>er Stadtverordnetenversammlung)<br />

und wirtschaftliche Demokratisierung. <strong>Die</strong> KGF forderte die »sofortige<br />

Wahl von Arbeiter-, Angestellten- und Betriebsräten« nach dem Betriebsrätegesetz<br />

falls der SPD bei, Cavier schloss sich der 1948 der <strong>in</strong> der Tradition der KPO stehenden »Gruppe Arbeiterpolitik«<br />

an.<br />

13 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 56.<br />

14 Vgl. Horst Adamietz, Freiheit und B<strong>in</strong>dung, a.a.O., S. 59ff.; Horst Adamietz, Das erste Kapitel. Bremer<br />

Parlamentarier <strong>1945</strong>-1950, <strong>Bremen</strong> 1975, S. 30.<br />

15 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 56.<br />

16 Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 32; Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />

a.a.O., S. 107.<br />

17 Der Aufbau, Organ der Kampfgeme<strong>in</strong>schaft gegen den Faschismus, Nr. 1 - <strong>Bremen</strong>, 6. Mai <strong>1945</strong>, <strong>in</strong>:Geme<strong>in</strong>sam<br />

begann es <strong>1945</strong>. Der »Aufbau« schrieb das erste Kapitel. Orig<strong>in</strong>algetreuer Nachdruck des »Aufbau«,<br />

Organ der Kampfgeme<strong>in</strong>schaft gegen den Faschismus (KGF), <strong>Bremen</strong> <strong>1945</strong>/46, Frankfurt a.M.<br />

1978. Siehe zur Analyse des Sofortprogramms und der weiteren Programmatik der KGF auch Peter<br />

Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 114ff.


20<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

von 1920 und deren Zusammenfassung zu e<strong>in</strong>em Vollzugs<strong>org</strong>an für ganz <strong>Bremen</strong><br />

sowie die »Wiederherstellung der Freien Gewerkschaften«.<br />

<strong>Die</strong> KGF, »möglicherweise die entwickeltste Antifa-Organisation überhaupt«, 18<br />

wuchs <strong>in</strong> der Folgezeit schnell an. Bereits zwei Wochen nach der Gründung hatten<br />

sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 14 Ortsgruppen mit 4.265 Mitgliedern gebildet. H<strong>in</strong>zu kamen 14<br />

Ortsgruppen aus Stadtrand- und Umlandgeme<strong>in</strong>den, so dass die KGF nach diesen<br />

eigenen, aufgrund des Legitimationszwangs gegenüber der Besatzungsmacht aber<br />

vermutlich übertriebenen Angaben bereits im Mai <strong>1945</strong> knapp 6.500 Mitglieder hatte.<br />

19<br />

<strong>Die</strong> praktische Politik der KGF orientierte sich an den im Sofortprogramm genannten<br />

Aspekten. Besonders bei der Entnazifizierung, der Bewältigung der Nachkriegsnot<br />

und dem Wiederaufbau der Betriebe, Betriebsräte und Gewerkschaften<br />

war sie aktiv. Sie wurde damit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zu e<strong>in</strong>em wichtigen politischen Faktor <strong>in</strong><br />

den ersten Nachkriegsmonaten und arbeitete zum Teil eng, zum Teil auch konfliktbeladen<br />

mit der britischen und amerikanischen Besatzungsmacht zusammen. 20<br />

Für die wiedergegründete <strong>KPD</strong> war die KGF zunächst die wichtigste politische<br />

Basis. 21 Das war schon <strong>in</strong> dem ersten Rundschreiben deutlich geworden, <strong>in</strong> dem -<br />

zum Teil wörtlich - Formulierungen des Sofortprogramms der KGF übernommen<br />

worden waren, und das die Schaffung e<strong>in</strong>er »antifaschistischen Massenaktion« neben<br />

der Mobilisierung der Partei zum primären Ziel erhoben hatte. <strong>Die</strong> Übere<strong>in</strong>stimmungen<br />

waren nicht zufällig, sondern schon wegen der personellen Überschneidungen<br />

naheliegend. Das Sofortprogramm der KGF war von Adolf Ehlers<br />

verfasst worden, der - trotz se<strong>in</strong>er KPO- und SAP-Vergangenheit - 22 maßgeblich an<br />

der <strong>KPD</strong>-Gründung beteiligt und Mitglied der Bezirksleitung war. Auch Hermann<br />

Wolters und Ge<strong>org</strong> Buckendahl waren <strong>KPD</strong>-Führungsmitglieder, so dass das erste<br />

Rundschreiben der Partei mit e<strong>in</strong>igem Recht behaupten konnte, die KGF habe sich<br />

»auf Initiative unserer Genossen« 23 gebildet. 24<br />

18 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 106. Zu ähnlichen Antifa-<br />

Organisationen <strong>in</strong> anderen Städten siehe vor allem Lutz Niethammer, Ulrich Borsdorff und Peter<br />

Brandt (Hrsg.), Arbeiter<strong>in</strong>itiative <strong>1945</strong>. Antifaschistische Ausschüsse und Re<strong>org</strong>anisation der Arbeiterbewegung<br />

<strong>in</strong> Deutschland, Wuppertal 1976.<br />

19 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 110f.<br />

20 Dazu ausführlich ebenda, S. 121ff. sowie He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, »Zum ersten Male...«, a.a.O., S. 164ff.<br />

21 Ge<strong>org</strong> Buckendahl bezeichnete auf der ersten geme<strong>in</strong>samen Konferenz der <strong>KPD</strong>-Bezirkssekretäre <strong>in</strong><br />

der britischen Besatzungszone im September <strong>1945</strong> die KGF als »die Basis unserer späteren Arbeit. Wir<br />

hatten die Initiative.« (Bericht über die erste Sitzung der Sekretäre der britischen Zone, <strong>in</strong>: Günter Benser,<br />

H.J. Krusch [Hrsg.], Dokumente zur Geschichte der kommunistischen Bewegung <strong>in</strong> Deutschland. Reihe<br />

<strong>1945</strong>/46, Band 3: Protokoll der Reichsberatung der <strong>KPD</strong> 8./9. Januar 1946, München/New Providence/London/Paris<br />

1995, S. 208-213, hier S. 211.).<br />

22 Ehlers war 1944 von e<strong>in</strong>em Kurier für e<strong>in</strong>e erneute Mitgliedschaft <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> nach Kriegsende geworben<br />

worden (Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 179 und S. 375f., Fußnote<br />

62).<br />

23 K.P.D. -Bezirk Nordwest -, Rundschreiben Nr. 1, <strong>Bremen</strong>, im Mai <strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/1.<br />

24 <strong>Die</strong> genannten Kommunisten unter den führenden Funktionären der KGF kamen allerd<strong>in</strong>gs mehrheitlich<br />

aus der KPO oder/und SAP. Ähnliches galt für die sozialdemokratischen und parteilosen Mitglieder,<br />

die größtenteils vom l<strong>in</strong>ken Flügel der SPD kamen und zeitweise der SAP oder dem ISK angehört<br />

hatten. Es lässt sich also »von e<strong>in</strong>er Vorherrschaft der L<strong>in</strong>kssozialisten und oppositionellen <strong>in</strong> der KGF-


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 21<br />

Auch auf der Funktionärsebene der KGF war »e<strong>in</strong>e kommunistische Dom<strong>in</strong>anz<br />

nicht zu übersehen«. 102 Delegierte der ersten KGF-Bezirkskonferenz im Juli <strong>1945</strong><br />

hatten vor 1933 der <strong>KPD</strong> angehört, 45 kamen aus der SPD, <strong>in</strong>sgesamt zwölf aus<br />

SAP, KPO und ISK, und 26 Delegierte bezeichneten sich als parteilos. 25 Ob diese<br />

Dom<strong>in</strong>anz auch für die übrige Mitgliedschaft galt, lässt sich nicht genau feststellen.<br />

Brandt vermutet für die Basis der KGF e<strong>in</strong>en größeren sozialdemokratischen Anteil.<br />

26<br />

E<strong>in</strong>heitsbestrebungen<br />

<strong>Die</strong> Zusammenarbeit <strong>in</strong> der KGF war auch Ausdruck der E<strong>in</strong>igungsbestrebungen<br />

der Arbeiterbewegung nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur.<br />

27 Es besteht kaum e<strong>in</strong> Zweifel daran, »dass die Mehrheit der Bremer Sozialdemokraten<br />

und Kommunisten zunächst e<strong>in</strong>e sozialistische E<strong>in</strong>heitspartei wollte«,<br />

auch wenn sowohl dieser Wunsch wie auch die durch ihn getragene KGF dem sofortigen<br />

Wiederaufbau von <strong>KPD</strong> und SPD nicht entgegenwirken konnte. 28 Für die<br />

<strong>KPD</strong> war die Rolle der KGF als Verkörperung der E<strong>in</strong>igungsbestrebungen neben<br />

der Schaffung e<strong>in</strong>es antifaschistisch-demokratischen Blocks, wie er später programmatisch<br />

propagiert wurde, e<strong>in</strong>e zentrale. Der erste vorliegende Bericht der Bezirksleitung<br />

Weser-Ems an das Zentralkomitee <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> vermerkte unter der Überschrift<br />

»Entwicklung des Verhältnisses von <strong>KPD</strong> zu SPD: Stand der e<strong>in</strong>heitsfrontmäßigen<br />

Zusammenarbeit«:<br />

»Es entstand [durch die Zusammenarbeit <strong>in</strong> der KGF; HB] e<strong>in</strong> sehr enges Verhältnis mit den<br />

sozialdemokratischen Arbeitern und die Diskussion über die zu schaffende E<strong>in</strong>heitspartei und<br />

der Wunsch der breitesten Schichten der Arbeiterschaft hierzu kam immer wieder zum Ausdruck.<br />

[...] Wenn am Anfang <strong>in</strong>nerhalb der SPD-Führung e<strong>in</strong>e gewisse E<strong>in</strong>stellung gegen die<br />

E<strong>in</strong>heit vorhanden war, so hat sich später durch die Zusammenarbeit <strong>in</strong> der KGF zwischen<br />

den Sozialdemokraten und kommunistischen Arbeitern die SPD-Führung davon überzeugen<br />

Spitze sprechen« (Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 108). In dieser H<strong>in</strong>sicht<br />

muss die Dom<strong>in</strong>anz der <strong>KPD</strong> also relativiert werden.<br />

25 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 112.<br />

26 Ebenda, S. 113.<br />

27 Vgl. zur Frage der E<strong>in</strong>heitspartei <strong>in</strong> anderen Gebieten und Städten der westlichen Besatzungszonen:<br />

Holger Christier, Sozialdemokratie und Kommunismus. <strong>Die</strong> Politik der SPD und der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Hamburg<br />

<strong>1945</strong>-1949, Hamburg 1975; Gerhard Fisch und Fritz Krause, SPD und <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>/1946. E<strong>in</strong>heitsbestrebungen<br />

der Arbeiterparteien. Dargestellt am Beispiel Südhessen, Frankfurt a.M. 1978; Gerhard Mannschatz<br />

und Josef Seider, Zum Kampf der <strong>KPD</strong> im Ruhrgebiet für die E<strong>in</strong>igung der Arbeiterklasse und<br />

die Entmachtung der Monopolherren <strong>1945</strong>-1947, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1962; Gert Meyer, E<strong>in</strong>igungsbestrebungen<br />

zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten <strong>in</strong> Südbaden nach <strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: Heiko Haumann<br />

(Hrsg.): Vom Hotzenwald bis Whyl. Demokratische Traditionen <strong>in</strong> Baden, Köln 1977, S. 176-197; Werner<br />

Müller, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> und die »E<strong>in</strong>heit der Arbeiterklasse«, Frankfurt a.M. / New York 1979; Lutz Niethammer,<br />

Ulrich Borsdorff und Peter Brandt (Hrsg.), Arbeiter<strong>in</strong>itiative <strong>1945</strong>, a.a.O.; Detlef Siegfried,<br />

Zwischen E<strong>in</strong>heitspartei und »Bruderkampf«. SPD und <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Schleswig-Holste<strong>in</strong> <strong>1945</strong>-46, Kiel 1992<br />

(Diss. Uni Kiel 1991).<br />

28 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 179.


22<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

lassen müssen, dass sie dem Wunsch der übergroßen Mehrheit der Arbeiterschaft Rechnung<br />

tragen müsste.« 29<br />

In der Tat kam es <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bis zur Legalisierung von SPD und <strong>KPD</strong> im Oktober<br />

<strong>1945</strong> bereits zu Kooperationen auf verschiedenen Ebenen, und es waren vor allem<br />

führende SPD-Funktionäre, die sowohl der KGF, als auch der <strong>KPD</strong> und e<strong>in</strong>er<br />

E<strong>in</strong>heitspartei zunächst eher skeptisch gegenüber standen. <strong>Die</strong> Zusammenarbeit an<br />

der Basis fand <strong>in</strong> den örtlichen KGF-Komitees wie auch vor allem - <strong>in</strong> enger Verzahnung<br />

mit der KGF - <strong>in</strong> den Betrieben und bei der Neugründung von Gewerkschaften<br />

statt. 30<br />

Außerhalb der KGF und der Betriebe kam es auf der Funktionärsebene ebenfalls<br />

zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>stitutionalisierten Kooperation. Je vier Vertreter der Bezirksleitungen<br />

von SPD und <strong>KPD</strong> unterzeichneten am 14. August <strong>1945</strong> e<strong>in</strong>en »E<strong>in</strong>heits-Aktions-<br />

Vertrag«. 31 Der E<strong>in</strong>igung war etwa zwei Wochen zuvor e<strong>in</strong>e erste Besprechung vorausgegangen,<br />

die - nach Darstellung der <strong>KPD</strong> - auf Initiative der SPD zustande gekommen<br />

war. 32 An dieser Besprechung hatten je vier Vertreter von <strong>KPD</strong> (Ge<strong>org</strong><br />

Buckendahl, He<strong>in</strong>z Schramm, Adolf Ehlers, Hermann Wolters) und SPD teilgenommen.<br />

33 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Bezirksleitung berichtete, dass diese ersten Verhandlungen<br />

vor allem an der Frage nach der Zukunft der KGF gescheitert seien. <strong>Die</strong><br />

SPD-Vertreter hätten das Bestehen der KGF »beanstandet« und gefordert, sie nach<br />

der Legalisierung von <strong>KPD</strong> und SPD aufzulösen. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> lehnte dies ab mit der<br />

Begründung,<br />

»dass es nicht nur genüge, e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heitsbasis zwischen <strong>KPD</strong> und SPD zu schaffen, sondern<br />

darüber h<strong>in</strong>aus es notwendig sei, e<strong>in</strong>en festen antifaschistischen Block aller antifaschistischdemokratischen<br />

Parteien zu schaffen. <strong>Die</strong>ses sei <strong>in</strong> der KGF möglich und daher müsse sie<br />

noch weiter ausgebaut werden, um auch vor allen D<strong>in</strong>gen auf dem bürgerlichen Sektor verstärkt<br />

zu werden.« 34<br />

<strong>Die</strong> Argumentation macht e<strong>in</strong> weiteres Motiv der <strong>KPD</strong>, zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>es Teils<br />

ihrer Führung, für die Unterstützung der KGF deutlich, die spätestens seit der Veröffentlichung<br />

des Aufrufs des Zentralkomitees <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> vom 11. Juni <strong>1945</strong> wirksam<br />

geworden se<strong>in</strong> dürfte. Das ZK hatte den programmatischen Aufruf ausdrücklich als<br />

29 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/19/1. Auch <strong>in</strong> späteren Berichten wurde immer wieder die Rolle der KGF als Ausdruck des E<strong>in</strong>heitswunsches<br />

betont.<br />

30 Vgl. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 146f.; Peter Brandt, Betriebsräte,<br />

Neuordnungsdiskussion und betriebliche Mitbestimmung <strong>1945</strong>-1948. Das Beispiel <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: Internationale<br />

wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 20. Jg., Juni<br />

1984, H. 2, S. 156-202.<br />

31 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 184.<br />

32 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/19/1. Nach Darstellung Peter Brandts hatte es zuvor »längere Verhandlungen« gegeben (Peter<br />

Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 184).<br />

33 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/19/1.<br />

34 Ebenda.


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 23<br />

»Grundlage zur Schaffung e<strong>in</strong>es Blocks der antifaschistischen, demokratischen Parteien«<br />

v<strong>org</strong>eschlagen, was den politischen Forderungen des Aufrufs entsprach. 35<br />

<strong>Die</strong> nicht e<strong>in</strong>deutige Formulierung h<strong>in</strong>sichtlich der Form e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit<br />

mit der SPD (Schaffung e<strong>in</strong>er »E<strong>in</strong>heitsbasis«) könnte e<strong>in</strong> Indiz für e<strong>in</strong>e zurückhaltende<br />

Position der Bremer <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Bezug auf die sofortige Bildung e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heitspartei<br />

se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong>s hätte der L<strong>in</strong>ie des Zentralkomitees <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> entsprochen. Dort<br />

war zwar am 19. Juni <strong>1945</strong> e<strong>in</strong> Ausschuss von SPD und <strong>KPD</strong> mit e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen<br />

Aktionsprogramm gebildet worden. Während jedoch der SPD-<br />

Zentralausschuss um Otto Grothewohl e<strong>in</strong>er sofortigen Vere<strong>in</strong>igung zu diesem<br />

Zeitpunkt aufgeschlossen gegenüberstand, lehnte das <strong>KPD</strong>-Zentralkomitee dies<br />

zunächst noch unter der Parole »Erst Klarheit, dann E<strong>in</strong>heit« ab. Erst ab etwa Mitte<br />

September <strong>1945</strong> änderte die <strong>KPD</strong> diesen Kurs und begann nun ihrerseits, die Bildung<br />

e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heitspartei zu forcieren. 36<br />

Es ist wahrsche<strong>in</strong>lich, dass die Bremer <strong>KPD</strong>-Führung diese Position übernahm.<br />

<strong>Die</strong> Initiative der Bezirksleitung der SPD für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>stitutionalisierte Kooperation<br />

mit der <strong>KPD</strong> geschah wohl vor allem aufgrund des Drucks von der Parteibasis, <strong>in</strong><br />

der sich e<strong>in</strong>e deutliche Pro-E<strong>in</strong>heit-Stimmung zeigte. Bei den führenden Funktionären<br />

war eher Skepsis gegen e<strong>in</strong>e schnelle Vere<strong>in</strong>igung festzustellen, die aber - so Peter<br />

Brandt - aufgrund der Stimmung an der Basis nicht offen artikuliert werden<br />

konnte. 37 E<strong>in</strong>e weitere Rolle dürfte auch gespielt haben, dass sich die Bremer Sozialdemokraten<br />

zunächst noch an dem Zentralausschuss <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> orientierten. <strong>Die</strong><br />

Position Kurt Schuhmachers - der strikt gegen e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>igung mit der <strong>KPD</strong> war,<br />

<strong>in</strong> den Westzonen bereits entsprechend agitierte und begonnen hatte, se<strong>in</strong>e Position<br />

durchzusetzen - war <strong>in</strong> der Bremer SPD zu diesem Zeitpunkt noch nicht dom<strong>in</strong>ierend<br />

und <strong>in</strong> ihrer Gegensätzlichkeit zur Gruppe um Otto Grothewohl <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

noch nicht bewusst. 38<br />

Das zweite Zusammentreffen der acht <strong>KPD</strong>- und SPD-Funktionäre <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

führte schließlich zur E<strong>in</strong>igung über e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Aktionsabkommen. Es wurde<br />

e<strong>in</strong> Arbeitsausschuss aus je vier Vertretern der beiden Parteien gebildet, dessen<br />

Aufgabenformulierung wörtlich der des Berl<strong>in</strong>er Ausschusses entsprach. SPD und<br />

<strong>KPD</strong> bekundeten den Willen, »die unglückliche Spaltung der Arbeiterklasse im Interesse<br />

unseres ganzen Volkes endgültig zu überw<strong>in</strong>den« und die Absicht der Bildung<br />

e<strong>in</strong>es antifaschistisch-demokratischen Blocks nach dem Muster der Berl<strong>in</strong>er<br />

35 Vgl. Aufruf der <strong>KPD</strong>, 11.6.<strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente. Herausgegeben und e<strong>in</strong>geleitet von<br />

Günther Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus, 2 Bände, Neuss 1989, Band 1, S. 135-143, hier S. 142.<br />

36 Vgl. ausführlich Werner Müller, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> und die »E<strong>in</strong>heit der Arbeiterklasse«, a.a.O.<br />

37 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 185. Auch der Bericht der <strong>KPD</strong>-<br />

Bezirksleitung hatte so argumentiert und e<strong>in</strong>igen SPD-Funktionären e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heits- und kommunistenfe<strong>in</strong>dliche<br />

Haltung unterstellt. (Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September<br />

<strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1).<br />

38 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 173ff und S. 185. <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong> g<strong>in</strong>g<br />

ebenfalls davon aus, dass die SPD-Verhandlungsführer »den ZA [Zentralausschuss; HB] anerkennen<br />

und sich dessen Politik zu eigen machen« (Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der<br />

Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1).


24<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

Entwicklungen. 39 Ferner wurde die Bildung ähnlicher Ausschüsse <strong>in</strong> den Untergliederungen<br />

der Parteien beschlossen, die <strong>in</strong> der Folgezeit auch entstanden, 40 sowie<br />

- nach Angaben der <strong>KPD</strong> - e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Personalpolitik bei der Besetzung<br />

von Behörden und die Bildung e<strong>in</strong>er paritätisch besetzten »illegalen Bürgerschaft«<br />

41.<br />

Mit diesen Vere<strong>in</strong>barungen und der Gründung des geme<strong>in</strong>samen Aktionsausschusses<br />

war der Höhepunkt der E<strong>in</strong>heitsbestrebungen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bereits erreicht.<br />

In der SPD begann sich <strong>in</strong> der Folgezeit die Position Schuhmachers durchzusetzen,<br />

gleichzeitig forcierten beide Parteien weiter ihren Organisationsaufbau, der schließlich<br />

<strong>in</strong> die offizielle Zulassung durch die Besatzungsmacht im Oktober <strong>1945</strong> mündete.<br />

Parteiaufbau der <strong>KPD</strong> bis zur Legalisierung<br />

<strong>Die</strong> sofort nach der Besetzung <strong>Bremen</strong>s konstituierte <strong>KPD</strong>-Bezirksleitung bestand<br />

im wesentlichen aus vier Personen. Als Sekretäre fungierten Ge<strong>org</strong> Buckendahl und<br />

He<strong>in</strong>rich Schramm 42. Beide waren seit 1944 an dem von Adolf Ehlers <strong>in</strong>itiierten<br />

Kreis beteiligt, aus dem schließlich die KGF entstand. Gleiches galt für Hermann<br />

Wolters, der neben den drei Genannten ebenfalls zu dieser ersten Bezirksleitung<br />

gehörte. Im September <strong>1945</strong> kam Wilhelm Knigge 43 nach <strong>Bremen</strong> zurück und übernahm<br />

im Oktober <strong>1945</strong> die Funktion des von den Militärbehörden zum Rücktritt<br />

gezwungenen und schließlich aus der <strong>KPD</strong> ausgetretenen Ge<strong>org</strong> Buckendahl.<br />

Knigge leitete den Bezirk Weser-Ems, später den Bremer Landesverband der <strong>KPD</strong><br />

geme<strong>in</strong>sam mit He<strong>in</strong>rich Schramm bis 1951.<br />

<strong>Die</strong> Arbeit des Organisationsaufbaus der Partei <strong>in</strong> der Phase zwischen Kriegsende<br />

und Legalisierung der Partei im Oktober <strong>1945</strong> lag vor allem <strong>in</strong> den Händen<br />

von Buckendahl und Schramm. Wolters’ und Ehlers’ Aktivitäten konzentrierten<br />

sich auf die politische und <strong>org</strong>anisatorische Arbeit <strong>in</strong> der KGF und später im Senat.<br />

Politische Anleitungen durch die beiden vor allem mit dem Aufbau der Partei beschäftigten<br />

hauptamtlichen Sekretäre gab es dabei kaum, auch sollen nur selten Sitzungen<br />

der Bezirksleitung stattgefunden haben, »so dass die kommunistischen<br />

39 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 184.<br />

40 Ebenda, S. 184f.<br />

41 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/19/1.<br />

42 He<strong>in</strong>rich »He<strong>in</strong>z« Schramm (1901-1963): Hafenarbeiter. Vor 1933 Mitglied der Bezirksleitung der <strong>KPD</strong>,<br />

1933/34 <strong>in</strong>haftiert, Flucht nach Amsterdam, Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, <strong>1945</strong>-1951 2. Sekretär<br />

der <strong>KPD</strong>. Ab 1951 verschiedene Funktionen <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>, u.a. wieder als Mitglied des Sekretariats.<br />

43 Wilhelm »Willy« Knigge (1906-1995): Maurer. 1927 Mitglied der <strong>KPD</strong>, bis Ende 1933 illegale Arbeit, danach<br />

Emigration nach Holland, Belgien und Frankreich, dort Org-Sekretär der <strong>KPD</strong>-Landesleitung,<br />

Verb<strong>in</strong>dungsmann zur KPF, führender Funktionär der <strong>KPD</strong>-Westleitung, Angehöriger der Résistance<br />

<strong>in</strong> Südfrankreich. <strong>1945</strong> Rückkehr nach <strong>Bremen</strong>, stellvertretender Sekretär der Bezirksleitung, bis 1951 1.<br />

Landessekretär der <strong>KPD</strong>, 1946-1951 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. 1951 Übersiedlung <strong>in</strong> die<br />

DDR, dort verschiedene Funktionen, u.a. Präsidiumsmitglied und Sekretär des FDGB, Kaderleiter im<br />

Staatssekretariat für westdeutsche Fragen, stellvertretender Abteilungsleiter im ZK der SED.


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 25<br />

Mitglieder des Senats und des KGF-Vorstandes weitgehend nach eigenem Gutdünken<br />

Politik betreiben konnten«. 44<br />

<strong>Die</strong> Bezirksleitung <strong>org</strong>anisierte bereits im Juni <strong>1945</strong> e<strong>in</strong>e achttägige Parteischule<br />

<strong>in</strong> der Nähe von <strong>Bremen</strong>, an der 30 Mitglieder aus dem gesamten Bezirk teilnahmen.<br />

45<br />

Für die lokale Bremer Ebene konstituierte sich am 15. Oktober <strong>1945</strong> e<strong>in</strong>e <strong>KPD</strong>-<br />

Stadtleitung. 46 Ihr gehörten als Politischer Leiter Rudolf Rafoth und als Organisations-Leiter<br />

He<strong>in</strong>rich Reichel an. 47 Beide waren, wie Buckendahl, Schramm und<br />

Knigge <strong>in</strong> der Bezirksleitung, hauptamtlich beschäftigte Funktionäre. 48<br />

<strong>Die</strong> Re<strong>org</strong>anisierung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Ortsgruppen gelang <strong>in</strong> den ersten Monaten<br />

bis zur Legalisierung offenbar ebenfalls sehr schnell. In e<strong>in</strong>em Bericht vom 1.<br />

September <strong>1945</strong> schrieb die Bezirksleitung:<br />

»<strong>Die</strong> Partei rekonstruierte sich aus e<strong>in</strong>zelnen kle<strong>in</strong>en, von e<strong>in</strong>ander unabhängig arbeitenden<br />

illegalen Gruppen, die die Partei gleichzeitig mit dem Inslebenrufen der K.G.F. zusammenfassten<br />

und <strong>org</strong>anisierten. <strong>Die</strong> Partei ist <strong>in</strong> der Zwischenzeit durch verschiedene Genossen, die<br />

aus den Zuchthäusern resp. K.Z. zurückkehrten verstärkt. [...] Es s<strong>in</strong>d im Augenblick <strong>in</strong> den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Betrieben sowie Stadtteilen Listen im Umlauf mit der Frage, wer will Mitglied der<br />

K.P.D. werden und gleichzeitig e<strong>in</strong>e Sammelliste.« 49<br />

Nach Angaben des Berichts waren zu diesem Zeitpunkt im Stadtgebiet <strong>Bremen</strong>s<br />

bereits rund 2.000 Mitglieder erfasst. 50 <strong>Die</strong> Zahl war vermutlich zu hoch e<strong>in</strong>geschätzt.<br />

Brandt nennt unter Bezugnahme auf andere Quellen e<strong>in</strong>e Mitgliederzahl<br />

von 1.000 im Januar 1946. 51 E<strong>in</strong>e <strong>KPD</strong>-Quelle schätzte die Mitgliederzahlen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Ende November <strong>1945</strong> auf 2.000, 52 die gleiche Zahl gab He<strong>in</strong>z Schramm auf ei-<br />

44 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 180.<br />

45 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/19/1. Siehe auch Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 180. Themen waren<br />

nach Angaben des <strong>KPD</strong>-Berichts: »1.) Probleme des Len<strong>in</strong>ismus und Marxismus 2.) Politökonomie<br />

3.) Historischer Materialismus 4.) Gewerkschaftsfragen 5.) Geschichte der Arbeiterbewegung 6.) Org.-<br />

Fragen«.<br />

46 Stadtleitung der <strong>KPD</strong>, <strong>Bremen</strong>. Organisationsbericht des Sekretariats [24.11.<strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/16.<br />

47 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 181. Rudolf Rafoth (1911-1964): Kaufmännischer<br />

Angestellter. Vor 1933 RGO, <strong>1945</strong> Syndikus der Angestelltenkammer, <strong>1945</strong> Politischer Leiter<br />

der <strong>KPD</strong>-Kreisleitung, 1946-1951 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, <strong>KPD</strong>-<br />

Fraktionsvorsitzender, 1951 Ausschluss aus der <strong>KPD</strong>, danach hauptamtliche Gewerkschaftstätigkeit <strong>in</strong><br />

Braunschweig und Frankfurt. He<strong>in</strong>rich Reichel (1907-1980): Masch<strong>in</strong>enschlosser. 1925 KJVD, 1928 <strong>KPD</strong>.<br />

Nach 1933 mehrfach verhaftet, KZ. <strong>1945</strong> KGF und <strong>KPD</strong>. <strong>1945</strong>-1948 Orgleiter der <strong>KPD</strong>-Kreisleitung<br />

<strong>Bremen</strong>. <strong>1968</strong> Gründungsmitglied der Bremer DKP.<br />

48 Stadtleitung der <strong>KPD</strong>, <strong>Bremen</strong>. Organisationsbericht des Sekretariats [24.11.<strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/16.<br />

49 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/19/1.<br />

50 Ebenda. Über die Mitgliedszahl im Bezirk lagen noch ke<strong>in</strong>e Angaben vor.<br />

51 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 188 und Fußnote 118, S. 381.<br />

52 Übersicht über die Mitgliederzahlen der Bezirke <strong>in</strong> der E.A.F.-Zone, <strong>in</strong>: Günter Benser, H.J. Krusch [Hrsg.],<br />

Dokumente zur Geschichte der kommunistischen Bewegung <strong>in</strong> Deutschland. Reihe <strong>1945</strong>/46, Band 1:<br />

Protokolle des Sekretariats des Zentralkomitees der <strong>KPD</strong> Juli <strong>1945</strong> bis April 1946, bearbeitet von Günter<br />

Benser und Hans-Joachim Krusch, unter Mitarbeit von Hans Meusel, München/New Providence/London/Paris<br />

1993, S. 492.


26<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

ner Mitgliederversammlung noch im April 1946 für die Stadt <strong>Bremen</strong> an 53. <strong>Die</strong>unterschiedlichen<br />

Angaben über die erfassten <strong>KPD</strong>-Mitglieder beruhen vermutlich<br />

auch darauf, dass zunächst offenbar nur, wie <strong>in</strong> dem Bericht der Bezirksleitung erwähnt,<br />

Absichtserklärungen bzw. Aufnahmeanträge verteilt wurden, mit denen die<br />

tatsächliche erfasste Mitgliedschaft nur sehr ungenau beziffert werden konnte. <strong>Die</strong><br />

Stadtleitung <strong>Bremen</strong> schrieb am 24. November <strong>1945</strong>, es seien »ca. 900 Mitglieder registriert.<br />

<strong>Die</strong> tatsächliche Mitgliederzahl liegt bedeutend höher, da e<strong>in</strong> großer Prozentsatz<br />

Neuanträge noch durch die verschiedenen Prüfungsstellen läuft«. 54<br />

Legalisierung und Programmatik<br />

<strong>KPD</strong> und SPD wurden <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 20. Oktober <strong>1945</strong> von den Besatzungsbehörden<br />

wieder zugelassen. 55 Am selben Tag traten beide Parteien erstmals mit programmatischen<br />

Erklärungen an die Öffentlichkeit 56 und hielten e<strong>in</strong>en Tag später<br />

e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Versammlung ab 57.<br />

Der Aufruf der <strong>KPD</strong> nannte <strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt 14 Punkten die »erste(n) und dr<strong>in</strong>gendste(n)<br />

Aufgaben zum Aufbau unseres Landes«. Auf allgeme<strong>in</strong> politischer Ebene<br />

wurde die »vollständige Liquidierung des Nazismus und Militarismus«, die<br />

»Schaffung lokaler Selbstverwaltungen nach demokratischen Grundätzen«, die<br />

»Säuberung des gesamten Erziehungs- und Bildungswesens vom faschistischen<br />

und reaktionären Unrat« gefordert. Auf wirtschaftlicher Ebene forderte die <strong>KPD</strong> die<br />

»Enteignung der Nazibonzen und Hauptkriegsverbrecher«, die »Überführung lebenswichtiger<br />

Betriebe [...] <strong>in</strong> kommunale oder prov<strong>in</strong>ziale Regie« und den Aufbau<br />

von Konsumgenossenschaften und E<strong>in</strong>heitsgewerkschaften. Weiterh<strong>in</strong> enthielt der<br />

Aufruf Forderungen zur Bewältigung der akuten Nachkriegsnot (Ernährung, Bauwesen)<br />

sowie zur gesellschafts- und kulturpolitischen Aspekten (e<strong>in</strong>heitliche Jugend<strong>org</strong>anisation,<br />

E<strong>in</strong>beziehung der Frauen, »Schaffung e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen Sportund<br />

Kulturbewegung«).<br />

Als anzustrebende Staatsform propagierte die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e »antifaschistischdemokratische<br />

Republik«:<br />

»Wir s<strong>in</strong>d der Auffassung, dass der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzw<strong>in</strong>gen,<br />

falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbed<strong>in</strong>gungen<br />

Deutschlands. Wir s<strong>in</strong>d vielmehr der Auffassung, dass die entscheidenden Interessen des<br />

deutschen Volkes <strong>in</strong> der gegenwärtigen Lage e<strong>in</strong>en anderen Weg vorschreiben und zwar der<br />

Aufrichtung e<strong>in</strong>es antifaschistischen demokratischen Regimes, e<strong>in</strong>er parlamentarischen demokratischen<br />

Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk.« 58<br />

53 Protokoll der Mitgliederversammlung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong>-Gröpel<strong>in</strong>gen, 30. April 1946, abgedruckt <strong>in</strong> Peter<br />

Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 276-279, hier S. 278.<br />

54 Stadtleitung der <strong>KPD</strong>, <strong>Bremen</strong>. Organisationsbericht des Sekretariats [24.11.<strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/16.<br />

55 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 186f.<br />

56 Was will die Sozialdemokratie und Ziel und Weg der <strong>KPD</strong>, Weser-Kurier 20. Oktober <strong>1945</strong>.<br />

57 SPD und <strong>KPD</strong> rufen das Volk, Weser-Kurier 24. Oktober <strong>1945</strong>.<br />

58 Ziel und Weg der <strong>KPD</strong>, Weser-Kurier 20. Oktober <strong>1945</strong>.


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 27<br />

<strong>Die</strong>se Formulierung war wörtlich dem Aufruf des Zentralkomitees der <strong>KPD</strong><br />

vom 11. Juni <strong>1945</strong> entnommen, an dem sich der Aufruf der Bremer Partei auch<br />

sonst weitgehend orientierte. 59 Mit der programmatischen Erklärung vom 11. Juni<br />

hatte die <strong>KPD</strong> auf die Formulierung e<strong>in</strong>es sozialistischen Endziels verzichtet. Es<br />

gelte nun, »die Sache der Demokratisierung Deutschlands, die Sache der bürgerlich-demokratischen<br />

Umbildung, die 1848 begonnen wurde, zu Ende zu führen«. 60<br />

<strong>Die</strong>se Programmatik war für e<strong>in</strong>e kommunistische Partei zwar aufsehenerregend,<br />

basierte aber weitgehend auf der bereits seit dem VII. Weltkongress der<br />

Kommunistischen Internationalen 1935 sowie der anschließenden Brüsseler Konferenz<br />

der <strong>KPD</strong> entwickelten Volksfront-Konzeption und den programmatischen Überlegungen<br />

der Moskauer Exilführung der <strong>KPD</strong> seit 1944. 61<br />

Der Aufruf der Bremer <strong>KPD</strong> übernahm die Grundsätze des Zentralkomitees<br />

weitgehend, wies aber dennoch e<strong>in</strong>en bemerkenswerten Unterschied auf. Der Berl<strong>in</strong>er<br />

Aufruf verzichtete auf die Propagierung e<strong>in</strong>es wie auch immer gearteten sozialistischen<br />

Ziels, das Wort »Sozialismus« tauchte <strong>in</strong> dem Dokument nicht e<strong>in</strong>mal<br />

auf. <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong> dagegen sah <strong>in</strong> ihrem Aufruf vom 20. Oktober die parlamentarische<br />

Demokratie als Vorbereitung e<strong>in</strong>es sozialistischen Systems: »Wir wollen e<strong>in</strong>e<br />

kämpferische Demokratie, die rücksichtslos alle Fe<strong>in</strong>de der Demokratie vernichtetundunsdenWegzumSozialismusvorbereitet.«<br />

62<br />

Derartige »taktische Nuancen« 63 hatten ke<strong>in</strong>e praktischen Folgen für die Politik<br />

der Partei und wurden <strong>in</strong> der Folgezeit vermutlich auch nicht weiter verbreitet. 64<br />

Sie waren aber zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> Indiz für die Diskussionen und auch Irritationen, die<br />

der Aufruf des Zentralkomitees <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft auslöste. E<strong>in</strong> im Februar<br />

59 Aufruf der <strong>KPD</strong>, 11.6.<strong>1945</strong>, a.a.O.<br />

60 Ebenda, S. 139.<br />

61 Vgl. dazu ausführlich Arnold Sywottek, Deutsche Volksdemokratie. Studien zur politischen Konzeption<br />

der <strong>KPD</strong> 1935-1946, Düsseldorf 1971. Zur Exilprogrammatik außerdem Peter Erler, Horst Laude,<br />

Manfred Wilke (Hrsg.), »Nach Hitler kommen wir«. Dokumente zur Programmatik der Moskauer<br />

<strong>KPD</strong>-Führung 1944/45 für Nachkriegsdeutschland, Berl<strong>in</strong> 1994; Günter Benser, Das <strong>in</strong> Moskau erarbeitete<br />

Nachkriegskonzept der <strong>KPD</strong>-Führung, <strong>in</strong>: Re<strong>in</strong>hard Kühnl und Eckart Spoo (Hrsg.): Was aus<br />

Deutschland werden sollte. Konzepte des Widerstands, des Exils und der Alliierten, Heilbronn 1995, S.<br />

103-126.<br />

62 Ziel und Weg der <strong>KPD</strong>, Weser-Kurier 20. Oktober <strong>1945</strong>.<br />

63 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 380, Fußnote 112.<br />

64 In den vorliegenden Quellen f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> undatiertes Flugblatt mit dem Aufruf der Bremer <strong>KPD</strong>, der<br />

<strong>in</strong>haltlich weitgehend dem im Weser-Kurier veröffentlichten entsprach, die Formulierungen zur künftigen<br />

Staatsform jedoch modifizierte und wie der Berl<strong>in</strong>er Aufruf auf die Propagierung des Sozialismus<br />

als Endziel der parlamentarischen Republik verzichtete. <strong>Die</strong> Formulierung lautete hier: »Wir Kommunisten<br />

s<strong>in</strong>d der Auffassung, dass es sowohl der Arbeiterschaft als auch dem ganzen Volke nichts nützt,<br />

schöne Worte zu machen oder Losungen zu propagieren, die den gegenwärtigen Entwicklungsbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> Deutschland nicht entsprechen. Wir Kommunisten s<strong>in</strong>d vielmehr der Auffassung, dass die<br />

entscheidenden Interessen des gesamten Volkes <strong>in</strong> der gegenwärtigen Lage es verlangen, e<strong>in</strong>e antifaschistisch-parlamentarisch-demokratische<br />

Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten<br />

für das deutsche Volk zu schaffen«. (Aufruf der Kommunistischen Partei <strong>Bremen</strong> Stadt und Land, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 10/20/16; vgl. auch <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, <strong>in</strong>: Richard<br />

Stöss [Hrsg.]: Parteien-Handbuch. <strong>Die</strong> Parteien der Bundesrepublik Deutschland <strong>1945</strong>-1980, Band 2:<br />

FDP bis WAV, Opladen 1983, S. 1663-1809, hier S. 1683f.).


28<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

1946 vermutlich von He<strong>in</strong>z Schramm verfasster Bericht an das Zentralkomitee<br />

sprach von »Unklarheiten« unter den Mitgliedern. <strong>Die</strong>se bestünden<br />

»besonders über die Fragen der Demokratie, unsere frühere E<strong>in</strong>stellung gegenüber der heutigen,<br />

sowie <strong>in</strong> unserer Stellungnahme zum Privateigentum. Hieran ist me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach<br />

das ZK nicht ganz unschuldig, das <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Formulierung im Juni-Aufruf unsere Stellungnahme<br />

zum Privateigentum nicht scharf und klar genug präzisiert hat. <strong>Die</strong> Formulierung ist<br />

im Aufruf zu allgeme<strong>in</strong> und hat <strong>in</strong> unserer Partei, besonders bei den unteren Funktionären<br />

und darüber h<strong>in</strong>aus auch <strong>in</strong> der Arbeiterschaft Verwirrung angerichtet«. 65<br />

E<strong>in</strong>e Mitgliederversammlung der Bremer <strong>KPD</strong> verabschiedete im März 1946 e<strong>in</strong>e<br />

Resolution, <strong>in</strong> der zwar der Berl<strong>in</strong>er Aufruf grundsätzlich bejaht , die parlamentarische<br />

Republik aber als »M<strong>in</strong>imalprogramm« bezeichnet wurde. »Über die<br />

Durchführung des M<strong>in</strong>imalprogramms h<strong>in</strong>aus muss dieser Weg vorbereiten zur<br />

Durchführung des Maximalprogramms, d.h. des Sozialismus.« 66<br />

<strong>Die</strong> Schwierigkeiten der <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft mit den Grundaussagen des ZK-<br />

Aufrufs waren also <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wie <strong>in</strong> der gesamten <strong>KPD</strong> durchaus bemerkbar. 67<br />

Zurückzuführen waren sie auch auf die Isolation während der NS-Zeit, durch die<br />

vielen Kommunisten die strategischen Konzepte der Parteiführung seit 1935 nicht<br />

bekannt waren. 68 Nach Ansicht von Wilhelm Meyer-Buer war das die Mehrheit der<br />

Partei:<br />

»E<strong>in</strong> Großteil der Mitgliedschaft der Kommunistischen Partei war abgeschnitten von den Ereignissen,<br />

Berichten etc., abgeschnitten von den wichtigen Informationen. Als wir <strong>1945</strong> mit der<br />

Neuordnung begannen, stand natürlich im Mittelpunkt der 11. Juni. Aber es stand auch im<br />

Mittelpunkt der VII. Weltkongress und die Brüsseler Parteikonferenz, die bereits den Weg<br />

festgelegt hatten, der nachher e<strong>in</strong>mündete <strong>in</strong> den 11. Juni. Dass es so nicht weitergehen konnte<br />

und durfte, war den meisten Funktionären, die z.B. Zugang zu illegaler Literatur gehabt<br />

hatten, klar. Aber die Mehrheit unserer Genossen hat das nicht verstanden, was unter antifaschistischer<br />

parlamentarischer Demokratie eigentlich verstanden werden soll. Dass sie die<br />

demokratische und relativ friedliche Umgestaltung als e<strong>in</strong>en wichtigen Bestandteil der Revolution,<br />

die notwendig war nach <strong>1945</strong>, aufgefasst haben, war nicht dr<strong>in</strong>. <strong>Die</strong>se Genossen hatten<br />

sich ihr Weltbild <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er verlängerten L<strong>in</strong>ie von 1933 gemacht. <strong>Die</strong>se Auffassung war unerhört<br />

stark bei den alten Genossen damals.« 69<br />

Generell aber fand der Aufruf Zustimmung, und die Kritik, auf die er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />

Punkten stieß, war wohl <strong>in</strong> der Regel ke<strong>in</strong> Ausdruck von Opposition. 70 H<strong>in</strong>zu<br />

kam, dass <strong>in</strong> der Nachkriegssituation des Jahres <strong>1945</strong> die primären Probleme der<br />

65 Bericht aus dem Bezirk Weser-Ems [21.2.1946], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1.<br />

66 Resolution [31.3.1946], <strong>in</strong> SAPMO I 10/20/19.<br />

67 Siehe auch <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1684f.<br />

68 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1684f.<br />

69 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 2.<br />

70 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1684. Zur Reaktion auf den Aufruf<br />

aus der Sicht der DDR-Geschichtsschreibung siehe Günter Benser, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> im Jahre der Befreiung.<br />

Vorbereitung und Aufbau der legalen kommunistischen Massenpartei (Jahreswende 1944/45 bis<br />

Herbst <strong>1945</strong>), Berl<strong>in</strong> (DDR) 1985, S. 165f.


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 29<br />

Partei vor Ort nicht programmatischer Art waren, wie auch der damals <strong>in</strong> die <strong>KPD</strong><br />

e<strong>in</strong>getretene Hermann Gautier 71 hervorhebt:<br />

»Es g<strong>in</strong>g ja erst mal um ganz konkrete Probleme. Es g<strong>in</strong>g darum Wohnraum zu schaffen, Arbeitsplätze<br />

zu schaffen, den Menschen die Ernährung zu sichern, Bekleidung zu sichern. [...]<br />

Wenn ich mich an die ersten zwei Jahre <strong>in</strong> der Partei hier er<strong>in</strong>nere, dann waren das zunächst<br />

mal die Probleme, die den Hauptteil der Arbeit <strong>in</strong> Anspruch genommen haben. Natürlich<br />

wurden damit im Zusammenhang auch auf den Mitgliederversammlungen oder Bildungsabenden<br />

usw. auch die programmatischen Grundsätze diskutiert, aber nach me<strong>in</strong>em Empf<strong>in</strong>den<br />

aus der damaligen Zeit gab es da ke<strong>in</strong>e Frustrationen, etwa, weil der Aufruf nicht revolutionär<br />

genug war oder weil Vorstellungen, die manche vor '33 gehabt haben, sich <strong>in</strong> dem Aufruf<br />

nicht <strong>in</strong> der Weise widergespiegelt haben. Ich glaube, man kann zunächst mal davon ausgehen,<br />

dass er doch <strong>in</strong> wesentlichen die Zustimmung der überwiegenden Mehrheit der alten<br />

und vor allem natürlich der jungen Genossen gefunden hat.« 72<br />

Nach der Legalisierung der <strong>KPD</strong> wurde der bis dah<strong>in</strong> bereits etablierte Parteiapparat<br />

weiter ausgebaut. <strong>Die</strong> Mitgliederzahlen stiegen schnell an. Ende 1946 konnte<br />

die Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> etwa 2.700 Mitglieder verzeichnen. 73 Der Höhepunkt des<br />

Anstiegs der Mitgliederzahlen war 1948 mit <strong>in</strong>sgesamt etwa 3.000 Mitgliedern <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> und <strong>Bremen</strong>-Nord erreicht. 74 Über die Zusammensetzung der Mitgliedschaft<br />

gibt es nur vere<strong>in</strong>zelte H<strong>in</strong>weise. <strong>Die</strong> Bezirksleitung berichtete im Februar<br />

1946, der Funktionärskader setze »sich zum großen Teil aus jüngeren bis mittleren<br />

Altersklassen zusammen«, Frauen seien »noch wenig vertreten«. 75 <strong>Die</strong> Überalterung<br />

der Kader war offenbar zu diesem Zeitpunkt noch ke<strong>in</strong> so großes Problem wie<br />

für die SPD. 76 <strong>Die</strong> Mehrzahl der aktiven Funktionäre auf Leitungsebene dürfte jedoch<br />

vor allem aus den mittleren Alterskohorten gekommen se<strong>in</strong>, die bereits während<br />

der Weimarer Republik <strong>in</strong> die Partei e<strong>in</strong>getreten waren. 77 Daneben stellte aber<br />

vermutlich die Gruppe der vor 1900 Geborenen den größten Anteil der Mitglied-<br />

71 Hermann Gautier (1920): Kaufmännischer Angestellter. Seit <strong>1945</strong> <strong>KPD</strong>, 1946 Kassierer im Kreisvorstand<br />

<strong>Bremen</strong>, 1947-1949 Jugendsekretär beim Parteivorstand <strong>in</strong> Frankfurt, danach verschiedene Tätigkeiten<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Ab 1951 1. Landessekretär der <strong>KPD</strong>, 1951-1959 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. Nach<br />

dem Verbot Kandidat des Politbüros der <strong>KPD</strong>, beteiligt an der Gründung der DFU auf Bundesebene.<br />

Juli 1961 bis Mai 1962 Untersuchungshaft, 1966 Verurteilung durch den Bundesgerichtshof zu acht<br />

Monaten Gefängnis. Seit 1962 Vollmitglied des Politbüros, <strong>1968</strong> Mitbegründer der DKP auf Bundesebene,<br />

ab 1973 stellvertretender Bundesvorsitzender.<br />

72 Interview Hermann Gautier, 2.<br />

73 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 231.<br />

74 Zahlen nach Organisationsberichten der Bremer <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/15.<br />

75 Bericht aus dem Bezirk Weser-Ems [21.2.1946], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1.<br />

76 Vgl. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 231f. In den 1950er Jahren wurde<br />

das hohe Durchschnittsalter der Mitgliedschaft auch für die <strong>KPD</strong> zum Problem.<br />

77 <strong>Die</strong>se Vermutung wird durch die Betrachtung von Bezirks- und Stadtleitung gestützt. <strong>Die</strong> beiden Sekretäre<br />

der Bezirksleitung waren 1946 45 (He<strong>in</strong>z Schramm) und 40 (Willy Knigge) Jahre alt, ähnlich sah<br />

es bei den Sekretären der Stadtleitung Rudolf Rafoth (Jahrgang 1911) und He<strong>in</strong>rich Reichel (Jahrgang<br />

1907) aus. Das Durchschnittsalter der <strong>KPD</strong>-Fraktion <strong>in</strong> der ersten (von der Militärregierung ernannten)<br />

Bremischen Bürgerschaft betrug 1946 42,5 Jahre (Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />

a.a.O., S. 232).


30<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

schaft, wie spätere Mitgliederstatistiken belegen. 78 Zu dieser Mehrheit, die zum<br />

größten Teil bereits vor 1933 der <strong>KPD</strong> angehört hatte, kamen Neue<strong>in</strong>tritte von unter<br />

30-Jährigen, die zum Teil von den Antifa-Schulen <strong>in</strong> sowjetischen Kriegsgefangenenlagern<br />

geprägt wurden oder aus kommunistischen Familien stammten. Neue<br />

Mitglieder kamen auch aus ehemals partei- oder milieufremden Schichten. <strong>Die</strong> Bezirksleitung<br />

schrieb im oben genannten Bericht: »Und zwar kommen aus allen<br />

Kreisen der Bevölkerung Menschen zu uns, die uns bisher ablehnend gegenüber<br />

standen. Wir haben Parteigruppen, die fast zu 90% aus neuen Mitgliedern bestehen.«<br />

79 Der Gesamtanteil dieser neuen Mitgliedergruppen ist aber nicht zu quantifizieren.<br />

Betriebe und Gewerkschaften<br />

Der Aufbau der Partei<strong>org</strong>anisation nach der Legalisierung konzentrierte sich vor allem<br />

auf die Betriebsgruppen. 80 In den Betrieben hatten sich Kommunisten bereits<br />

seit Mai <strong>1945</strong> starke Stellungen erarbeiten können. Dabei war beim Wiederaufbau<br />

der Betriebe, der Bildung von Betriebsräten und der Neugründung der Gewerkschaften<br />

die Parteizugehörigkeit zunächst zweitrangig. Bereits im Mai und Juni<br />

<strong>1945</strong> entstanden <strong>in</strong> vielen Betrieben unabhängige Betriebsausschüsse. 81 <strong>Die</strong>se ei-<br />

78 Im Juli 1949 betrug der Anteil der über 50-Jährigen auf Bremer Landesebene über 46 Prozent (Organisationsberichte<br />

der Bremer <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/15; vgl. Kapitel 2).<br />

79 Bericht aus dem Bezirk Weser-Ems [21.2.1946], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1. Hermann Gautier vermutet, dass<br />

der starke Mitgliederanstieg <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren vor allem zurückzuführen war auf diese<br />

›milieufremden‹ Parteie<strong>in</strong>tritte, deren Motivation wohl <strong>in</strong> der Tat oft auch e<strong>in</strong>e opportunistische war<br />

und die demzufolge nach dem Beg<strong>in</strong>n des Kalten Krieges die Partei auch schnell wieder verließen: »Es<br />

gab ja Tausende, die <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> mit e<strong>in</strong>mal alle Mitglieder der Partei werden wollten. Nur, wenn man<br />

es nüchtern sieht, dann dauerte das alles gar nicht lange. Nach e<strong>in</strong>, zwei oder drei Jahren, waren alle<br />

die, die aus irgendwelchen opportunistischen Gründen glaubten, jetzt muss man sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kommunistischen<br />

Partei <strong>org</strong>anisieren, Trittbrettfahrer, die geglaubt haben, mit der Kommunistischen Partei<br />

kann man alles erreichen, wieder ausgetreten. [...] <strong>Die</strong>ser ›Run‹ auf die Partei <strong>1945</strong> war also nur e<strong>in</strong><br />

ganz kurzes Aufflackern.« (Interview Hermann Gautier, 2). Andere Interviewpartner argumentieren<br />

ähnlich (Interview Herbert Breidbach, 2; Interview Willy Hundertmark, 2).<br />

80 <strong>Die</strong>s wurde von der Bezirksleitung explizit so benannt und gefordert. Auf e<strong>in</strong>er Bezirkskonferenz im<br />

November <strong>1945</strong> sagte He<strong>in</strong>z Schramm <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat, der Aufbau der Partei habe »vornehmlich <strong>in</strong><br />

den Betriebsgruppen« zu erfolgen. »<strong>Die</strong> vornehmste Aufgabe ist, <strong>in</strong> den Betrieben das Fundament der<br />

Partei zu legen, weil dort durch praktische Arbeit die größte Möglichkeit gegeben ist zur Herstellung<br />

der E<strong>in</strong>heit der Arbeiterklasse.« (Bezirkskonferenz <strong>Bremen</strong>, den 24. Nov. <strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/3). Wilhelm<br />

Knigge berichtete Anfang Januar 1946 auf e<strong>in</strong>er Funktionärskonferenz <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, »dass wir unsere<br />

Organisation <strong>in</strong> den letzten Wochen <strong>in</strong>sbesondere auf Betriebsgruppen umstellen. Das trifft besonders<br />

für <strong>Bremen</strong>-Stadt zu.« (Stenographische Niederschrift über die Funktionärskonferenz am Sonnabend, dem 5.<br />

Januar 1946, 12 Uhr, im <strong>KPD</strong>-Hause zu Berl<strong>in</strong>, Wallstrasse 76, <strong>in</strong>: Günter Benser, H.J. Krusch [Hrsg.], Dokumente<br />

zur Geschichte der kommunistischen Bewegung <strong>in</strong> Deutschland. Reihe <strong>1945</strong>/46, Band 2: Protokolle<br />

der erweiterten Sitzungen des Sekretariats des Zentralkomitees der <strong>KPD</strong> Juli <strong>1945</strong> - Februar<br />

1946, bearbeitet von Günter Benser und Hans-Joachim Krusch, München/New Providence/London/Paris<br />

1994, S. 491).<br />

81 Vgl. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 146f.; Peter Brandt, Betriebsräte,<br />

Neuordnungsdiskussion und betriebliche Mitbestimmung <strong>1945</strong>-1948. Das Beispiel <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: Internationale<br />

wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 20. Jg., Juni


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 31<br />

genständige Initiative der Arbeiter, von denen viele auch Mitglied der KGF waren,<br />

floss zusammen mit zentralen Bemühungen der Kampfgeme<strong>in</strong>schaft, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>e eigene<br />

Abteilung »Betrieb und Gewerkschaft« gegründet worden war. 82 Aus den Betriebsausschüssen<br />

bildete sich im Juni <strong>1945</strong> e<strong>in</strong> »Zentralausschuss der Betriebsvertreter<br />

der Bremer Enclave« mit 35 Mitgliedern, die e<strong>in</strong>en siebenköpfigen Koord<strong>in</strong>ationsausschuss<br />

wählten. <strong>Die</strong>ser verstand sich »gleichzeitig als Organ der KGF«. 83 In<br />

dem Gremium waren vier Kommunisten und drei Sozialdemokraten vertreten, 84<br />

Vorsitzender wurde Max Schimmeck, ehemals Sozialdemokrat, nun <strong>KPD</strong>-Mitglied<br />

und Leiter der Wirtschaftsabteilung der <strong>KPD</strong>-Bezirksleitung. 85 »<strong>Die</strong>se Mehrheitsverhältnisse<br />

verdeutlichten den großen E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Betrieben zu diesem<br />

Zeitpunkt.« 86<br />

Parallel zum Zentralausschuss der Betriebsräte war e<strong>in</strong> sogenannter »Dreizehner-Ausschuss«<br />

entstanden, den vorrangig ehemalige ADGB-Funktionäre bildeten.<br />

In diesem Gremium stellte die <strong>KPD</strong> lediglich zwei Mitglieder. 87 Zwischen den bei-<br />

1984, H. 2, S. 156-202. Das Beispiel der Atlas-Werke, wo sich e<strong>in</strong> Betriebsausschuss bereits im Mai <strong>1945</strong><br />

bildete, schildert Johann Re<strong>in</strong>ers, Erlebt und nicht vergessen. E<strong>in</strong>e politische Biographie, Fischerhude<br />

1982, S. 169-175. Der Kommunist Re<strong>in</strong>ers wurde Vorsitzender des Ausschusses. Johann Re<strong>in</strong>ers (1907-<br />

1995): Maler. 1931 <strong>KPD</strong>, 1932 politische Arbeit <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, Ende 1932 bis 1939 Malergeschäft <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />

1939 dienstverpflichtet als Werksmeister <strong>in</strong> den Atlas-Werken. <strong>1945</strong> <strong>KPD</strong> und KGF, 1946-1970 Kassierer<br />

und Geschäftsführer der IG Metall <strong>Bremen</strong>. 1956 Austritt aus der <strong>KPD</strong>, 1957 SPD.<br />

82 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 144ff.<br />

83 Ebenda, S. 149.<br />

84 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/19/1. Der <strong>KPD</strong>-Bericht schrieb, auch die SPD-Mitglieder im Siebener-Ausschuss stünden »sehr eng<br />

zu uns«. Vgl. auch Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 156, der schreibt,<br />

der Ausschuss habe sich »mehrheitlich aus Kommunisten, teilweise auch aus SAP-Mitgliedern« zusammengesetzt.<br />

85 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 150; Hans Jansen und Renate Meyer-<br />

Braun, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, <strong>Bremen</strong> 1990, S. 68.<br />

86 <strong>Die</strong> Bezirksleitung schrieb im September <strong>1945</strong>, man habe »<strong>in</strong> den meisten Fällen« <strong>in</strong> den Bremer Betriebsräten<br />

»unbed<strong>in</strong>gt die Führung« (Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei<br />

[1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1). E<strong>in</strong>e ähnliche E<strong>in</strong>schätzung äußert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Autobiographie<br />

auch Johann Re<strong>in</strong>ers, zu diesem Zeitpunkt Mitglied im Zentralausschuss und <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>: »In den<br />

ersten Monaten nach Kriegsende waren besonders <strong>in</strong> den Bremer Großbetrieben die Kommunisten<br />

führend. Sie hatten sich, ohne das Risiko zu scheuen, an die Arbeit gemacht, während die früheren Sozialdemokraten<br />

sich vorsichtiger verhielten, abwarteten, um zu sehen, woh<strong>in</strong> der Hase laufen würde.«<br />

(Johann Re<strong>in</strong>ers, Erlebt und nicht vergessen, a.a.O., S. 193f.). Nach Re<strong>in</strong>ers' Angaben war dementsprechend<br />

auch der Zentralausschuss »stark mit Altkommunisten durchsetzt«.<br />

87 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/19/1. <strong>Die</strong> Bezirksleitung schrieb, die ehemaligen Gewerkschaftsführer seien an die KGF mit der<br />

Aufforderung herangetreten, »2 Genossen zu benennen«, die <strong>in</strong> dem zu bildenden Ausschuss mitarbeiten<br />

sollten. »Sie boten der von ihnen sogenannten ›Opposition‹ 2 Sitze <strong>in</strong> diesem Ausschuss an. Wir erklärtennun,wennmanvon›Opposition‹überhauptsprechenkönne,soseiennichtwir,sondernsiedie<br />

Oppositionellen. E<strong>in</strong> jeder habe die Möglichkeit, <strong>in</strong>nerhalb der Kampfgeme<strong>in</strong>schaft am Wiederaufbau<br />

der freien Gewerkschaften mitzuarbeiten. In den größten Teilen der Bremer Betriebe seien durch die<br />

KGF die Betriebsräte auf der Basis der E<strong>in</strong>heit geschaffen und diese Betriebsräte nehmen für sich <strong>in</strong><br />

Anspruch, den Aufbau der Gewerkschaften vorzunehmen. Da e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>igung nicht erzielt werden<br />

konnte, g<strong>in</strong>gen unsere beiden Genossen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en 13er Ausschuss, bestehend aus 11 ehemaligen Gewerkschaftssekretären<br />

und 2 Genossen von uns.«


32<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

den Ausschüssen wurden schnell Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten und »Rivalitäten« 88<br />

deutlich, die die Form e<strong>in</strong>er neu zu gründenden Gewerkschaft sowie die E<strong>in</strong>beziehung<br />

der Betriebsrätebewegung betrafen. Während Vertreter der KGF und die <strong>KPD</strong><br />

auf der Gründung e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heitsgewerkschaft unter maßgeblicher E<strong>in</strong>beziehung<br />

der Betriebsräte bestanden, planten die ehemaligen Gewerkschaftsfunktionäre zunächst<br />

die Wiederherstellung der alten Industrieverbände. Trotz der Differenzen<br />

bildete sich schließlich am 30. Juli <strong>1945</strong> e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer »25er-Ausschuss«, der<br />

fortan die Gewerkschaftsgründung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vorbereitete. 89 Das Gremium setzte<br />

sich aus den beiden Ausschüssen sowie zusätzlich fünf Betriebsräten bzw. Vertretern<br />

der KGF zusammen. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> stellte - anders als <strong>in</strong> dem »Siebener-Ausschuss«<br />

- mit <strong>in</strong>sgesamt neun Mitgliedern nicht die Mehrheit. 90 Als gleichberechtigte Vorsitzende<br />

des 25er-Ausschusses wurden Oskar Schulze (SPD) und August Raschen<br />

(<strong>KPD</strong>) gewählt. 91<br />

Obwohl sich im 25er-Ausschuss zunächst die Vertreter der E<strong>in</strong>heitsgewerkschaft<br />

durchsetzten, 92 scheiterte <strong>in</strong> der Folgezeit dieses Konzept aufgrund der ablehnenden<br />

Haltung der Militärregierung. 93 Der 25er-Ausschuss löste sich im März<br />

1946 auf. Im Herbst <strong>1945</strong> kam es zur Gründung und Zulassung mehrerer E<strong>in</strong>zelgewerkschaften.<br />

94<br />

Zur stärksten E<strong>in</strong>zelgewerkschaft wurde der Deutsche Metallarbeiterverband<br />

(DMV, ab 1947 IG Metall). In der Metallarbeitergewerkschaft war die <strong>KPD</strong> bis Anfang<br />

der 1950er Jahre stark vertreten. <strong>Die</strong> erste Vertreterversammlung im April<br />

1946 wählte zwar Oskar Schulze zum Vorsitzenden der Ortsverwaltung, angeblich<br />

stellte die <strong>KPD</strong> aber »zusammen mit ihren Sympathisanten 40 Prozent der Delegierten«.<br />

95 Zweiter Vorsitzender wurde August Raschen (<strong>KPD</strong>), zum Kassierer wurde<br />

Johann Re<strong>in</strong>ers (<strong>KPD</strong>) gewählt und unter den übrigen Mitgliedern der Ortsverwaltung<br />

waren <strong>KPD</strong>-Mitglieder ebenfalls <strong>in</strong> der Mehrheit. 96 In den anderen E<strong>in</strong>zelgewerkschaften<br />

dom<strong>in</strong>ierten dagegen <strong>in</strong> der Regel sofort die Sozialdemokraten. 97<br />

88 Johann Re<strong>in</strong>ers, Erlebt und nicht vergessen, a.a.O., S. 193.<br />

89 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 158.<br />

90 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/19/1. Wilhelm Knigge sprach im Januar 1946 von zwölf Kommunisten und 13 Sozialdemokraten im<br />

Ausschuss (Stenographische Niederschrift über die Funktionärskonferenz am Sonnabend, dem 5. Januar 1946,<br />

a.a.O., S. 488). In e<strong>in</strong>em später verfassten Bericht an das Zentralkomitee hieß es, die Zusammensetzung<br />

habe »e<strong>in</strong>e gründliche Diskussion <strong>in</strong> der illegalen Partei« ausgelöst. »<strong>Die</strong> Parteileitung stellte ohne Bedenken<br />

mit diesen alten Gewerkschaftsfunktionären diesen [...] Ausschuss her. E<strong>in</strong> Teil unserer Genossen<br />

hatte Bedenken, und zwar deshalb, weil die alten Funktionäre der Gewerkschaften unbeliebt bei<br />

den Arbeitern waren« (Bericht über unsere Arbeiten <strong>in</strong> den Betrieben und beim Aufbau und der Ausrichtung<br />

der neuen freien Gewerkschaften, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/8).<br />

91 Bericht der Bezirksleitung Weser-Ems. Bericht zur Politik der Partei [1. September <strong>1945</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/19/1.<br />

92 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 158f.<br />

93 Ebenda, S. 161ff.<br />

94 Ebenda, S. 165ff.<br />

95 Arne Andersen und Uwe Kiupel, IG Metall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. <strong>Die</strong> ersten 100 Jahre, herausgegeben von der IG<br />

Metall <strong>Bremen</strong>, mit e<strong>in</strong>em Vorwort von He<strong>in</strong>z Me<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g, <strong>Bremen</strong> 1991, S. 49.<br />

96 Ebenda, S. 49; Jörg Wollenberg: »Wir wollen mitbestimmen, was aus der Wirtschaft werden soll«. Zum<br />

Wiedergründungsprozess der Gewerkschaften nach <strong>1945</strong> am Beispiel <strong>Bremen</strong>s. In: Werden. Jahrbuch


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 33<br />

Ab Oktober <strong>1945</strong> fanden <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die ersten Betriebsratswahlen statt. 98 <strong>Die</strong><br />

<strong>KPD</strong> konnte hier ihre <strong>in</strong> den ersten Monaten nach Kriegsende deutlich gewordene<br />

Dom<strong>in</strong>anz <strong>in</strong> der Betriebsrätebewegung bestätigen. 99 Der kommunistische E<strong>in</strong>fluss<br />

konzentrierte sich allerd<strong>in</strong>gs vor allem auf die Großbetriebe. In den meisten dieser<br />

»Schlüsselbetriebe« konnte die Partei gegenüber der SPD die Mehrheit err<strong>in</strong>gen.<br />

Am deutlichsten war die Dom<strong>in</strong>anz, betrachtet man die größeren Betriebe, bei dem<br />

Schiffbaubetrieb Atlas-Werke (7 <strong>KPD</strong>, 2 SPD und 2 Parteilose), beim Automobil-<br />

Werk B<strong>org</strong>ward (6 <strong>KPD</strong>, 2 SPD, 2 Parteilose), bei der Norddeutschen Hütte (7 <strong>KPD</strong>,<br />

2 SPD) und der Fahrzeug- und Gerätebau (6 <strong>KPD</strong>, 0 SPD und 1 Parteiloser). Im Hafen<br />

stellten die Kommunisten fünf Betriebsräte (4 SPD, 3 Parteilose), bei der Werft<br />

AG »Weser« hatte die SPD mit 6 Sitzen e<strong>in</strong>e knappe Mehrheit gegenüber der <strong>KPD</strong><br />

(5). 100 Nach E<strong>in</strong>schätzung der <strong>KPD</strong> waren die kle<strong>in</strong>eren Betriebe dagegen eher von<br />

Sozialdemokraten dom<strong>in</strong>iert. 101<br />

<strong>Die</strong> anfänglich starke Stellung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Großbetrieben basierte nicht nur<br />

auf dem stärkeren persönlichen E<strong>in</strong>satz von Kommunisten beim Aufbau der Betriebe<br />

und Betriebsräte, 102 sondern auch auf dem <strong>org</strong>anisatorischen Vorsprung der<br />

<strong>KPD</strong> gegenüber der SPD beim Aufbau der Betriebsgruppen. <strong>Die</strong> Parteileitung hatte<br />

im November <strong>1945</strong> den Schwerpunkt des Organisationsaufbaus auf die Betriebe gelegt.<br />

Zuvor waren bereits auf Eigen<strong>in</strong>itiative der Kommunisten zahlreiche Betriebsgruppen<br />

entstanden. 103 E<strong>in</strong>e etwa Anfang 1946 verfasste Aufstellung nannte 18 Betriebsgruppen<br />

im Bremer Stadtgebiet mit <strong>in</strong>sgesamt 391 Mitgliedern. 104 <strong>Die</strong> mitgliederstärksten<br />

Betriebsgruppen gab es bei der AG »Weser« (43 Mitglieder), dem<br />

Arbeitsamt (41), B<strong>org</strong>ward (41) und im Hafen (38). 105<br />

der Gewerkschaften 1985, Köln 1985, S. 21-31, hier S. 24.; Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />

a.a.O., S. 206.<br />

97 Jörg Wollenberg, »Wir wollen mitbestimmen...«, a.a.O., S. 24.; Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />

a.a.O., S. 206f.<br />

98 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 165f.<br />

99 Siehe die Angaben bei Peter Brandt, der sich auf e<strong>in</strong>e kommunistische Quelle beruft (Ebenda, S. 201).<br />

100 Tätigkeitsbericht und Aufstellung unserer Betriebsgruppen, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/8. Vgl. auch Peter Brandt,<br />

Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 201f.<br />

101 »Im ganzen kann man sagen, dass <strong>in</strong> den Großbetrieben e<strong>in</strong>e absolute Mehrheit für unsere Partei vorhanden<br />

ist. [...]. 70% der gewählten Betriebsräte <strong>in</strong> den Großbetrieben s<strong>in</strong>d unsere Genossen. Anders ist<br />

es <strong>in</strong> den Kle<strong>in</strong>betrieben, wo die sozialdem. Genossen die absolute Mehrheit erreicht haben«, so Wilhelm<br />

Knigge Anfang Januar 1946 (Stenographische Niederschrift über die Funktionärskonferenz am Sonnabend,<br />

dem 5. Januar 1946, a.a.O., S. 487f.). Peter Brandt vermutet, dass die SPD trotz der Dom<strong>in</strong>anz der<br />

<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> vielen Großbetrieben <strong>in</strong>sgesamt schon zu diesem Zeitpunkt stärker <strong>in</strong> den Betriebsräten repräsentiert<br />

war (Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 201f.).<br />

102 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 166 und S. 202. Brandt weist zwar zu<br />

Recht auf diesen Aspekt h<strong>in</strong>, überbetont ihn aber.<br />

103 Ebenda, S. 202.<br />

104 Tätigkeitsbericht und Aufstellung unserer Betriebsgruppen, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/8. Vgl. auch Peter Brandt,<br />

Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 202.<br />

105 Tätigkeitsbericht und Aufstellung unserer Betriebsgruppen, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/8. Als weitere Betriebsgruppen<br />

wurden genannt: Atlas-Werke (18 Mitglieder), Eickemeyer (19), E-Werk F<strong>in</strong>dorff (25), Fahrzeug<br />

& Gerätebau (23), Francke-Werke (28), Norddeutsche Hütte (20), Reichsbahnausbesserungswerk


34<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

<strong>Die</strong> SPD hatte zu diesem Zeitpunkt ke<strong>in</strong>e vergleichbaren Organisationsstrukturen<br />

<strong>in</strong> den Betrieben und begann erst im Verlaufe des Jahres 1946 mit dem Aufbau<br />

von Betriebsgruppen. 106 <strong>Die</strong> Motivation hierfür war offensichtlich die Zurückdrängung<br />

des kommunistischen E<strong>in</strong>flusses <strong>in</strong> den Betrieben. 107 <strong>Die</strong>s gelang <strong>in</strong> größerem<br />

Maße erst <strong>in</strong> den 1950er Jahren, bereits 1946 aber waren gegenüber den ersten Wahlen<br />

vom Herbst <strong>1945</strong> leichte Kräfteverschiebungen <strong>in</strong> den Betriebsräten festzustellen.<br />

So verlor die <strong>KPD</strong> bei B<strong>org</strong>ward die Mehrheit (5 <strong>KPD</strong>, 6 SPD), ebenso bei den<br />

Atlas-Werken, wo sich die Mehrheitsverhältnisse von <strong>1945</strong> komplett zugunsten der<br />

SPD umgedreht hatten (2 <strong>KPD</strong>, 9 SPD). 108 1947 verlor die <strong>KPD</strong> hier auch ihre letzten<br />

zwei Sitze, <strong>in</strong>sgesamt konnte <strong>in</strong> diesem Jahr auch erstmals von e<strong>in</strong>er sozialdemokratischen<br />

Dom<strong>in</strong>anz <strong>in</strong> den Betriebsräten gesprochen werden. 109 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> behielt<br />

aber <strong>in</strong> vielen Großbetrieben e<strong>in</strong>en starken E<strong>in</strong>fluss (besonders B<strong>org</strong>ward, AG<br />

»Weser«, Hafen), der noch während der 1950er Jahre bemerkbar war und sich vere<strong>in</strong>zelt<br />

<strong>in</strong> Betriebsratsmehrheiten niederschlug.<br />

Das Scheitern der E<strong>in</strong>heit<br />

<strong>Die</strong> 1946 e<strong>in</strong>setzenden Versuche der SPD, die anfängliche kommunistische Dom<strong>in</strong>anz<br />

<strong>in</strong> vielen Betrieben und Betriebsräten zurückzudrängen, signalisierten auch<br />

das Aufbrechen der Gegensätze zwischen SPD und <strong>KPD</strong>.<br />

Trotz der anfänglichen Weigerung der <strong>KPD</strong> hatten die beiden Arbeiterparteien<br />

bereits anlässlich des Aktionse<strong>in</strong>heitsabkommens im August die Auflösung der<br />

KGF gefordert. 110 Spätestens mit der Legalisierung von SPD und <strong>KPD</strong> und dem<br />

weiteren Ausbau ihrer Organisationsstrukturen wurde der Spielraum für e<strong>in</strong>e überparteiliche<br />

Antifa-Organisation zunehmend enger. <strong>Die</strong> KGF löste sich schließlich<br />

auf ihrer zweiten Bezirkskonferenz am 16. Dezember <strong>1945</strong> auf.<br />

In ihrer Entschließung forderte die KGF noch e<strong>in</strong>mal vehement die sofortige<br />

Bildung der E<strong>in</strong>heitspartei. 111 Gerade dieses Ziel aber, das die KGF <strong>in</strong> den Wochen<br />

vor ihrer Auflösung verstärkt gefordert und zu e<strong>in</strong>em zentralen Programmpunkt<br />

gemacht hatte, war zunehmend unwahrsche<strong>in</strong>licher geworden aufgrund der Vorbehalte<br />

von SPD und <strong>KPD</strong>. <strong>Die</strong> Zurückhaltung der beiden Parteileitungen gegenüber<br />

e<strong>in</strong>er sofortigen Vere<strong>in</strong>igung wurde deutlich auf e<strong>in</strong>er Diskussionsversammlung<br />

am 6. Dezember <strong>1945</strong>, zu der das E<strong>in</strong>heits-Aktionskomitee, der Betriebsrat und<br />

die kommunistische Betriebsgruppe der Atlas-Werke je e<strong>in</strong>en Vertreter von <strong>KPD</strong>,<br />

Sebaldsbrück (18), Rolandmühle (22), Schellhaas & Druckemüller (22) sowie fünf kle<strong>in</strong>ere Gruppen mit<br />

fünf bis acht Mitgliedern.<br />

106 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 202. E<strong>in</strong> systematischer Aufbau auf<br />

Landesebene begann erst 1948 (Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959. E<strong>in</strong>e lokal- und parteigeschichtliche<br />

Studie, Frankfurt a.M./New York 1982, S. 100).<br />

107 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 202 und Fußnote 189, S. 387f.<br />

108 Teilergebnisse der Betriebsrätewahlen im August <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/8. Vgl. auch Peter Brandt,<br />

Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 222f.<br />

109 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 223.<br />

110 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 191.<br />

111 Aufbau Nr. 11, Januar 1946, S. 5ff.


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 35<br />

SPD und KGF e<strong>in</strong>geladen hatten. Hermann Osterloh als Vertreter der SPD begrüßte<br />

die Initiative der Belegschaft, wandte sich aber gegen die sofortige Gründung e<strong>in</strong>er<br />

E<strong>in</strong>heitspartei. Man müsse sich »darüber im klaren se<strong>in</strong>, dass die E<strong>in</strong>heit nicht e<strong>in</strong>fach<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bestimmt werde, sondern dass das e<strong>in</strong>e Reichsangelegenheit« sei<br />

und »dass entscheidend eben die Amerikaner seien«. Für die <strong>KPD</strong> äußerte sich<br />

Wilhelm Knigge ähnlich und verwies auf die bislang mit dem Aktionse<strong>in</strong>heitsabkommen<br />

und der Kooperation auf anderen Gebieten erfolgten Schritte. »In der Aktionse<strong>in</strong>heit<br />

zwischen den Kommunisten und Sozialdemokraten werden wir alle<br />

ideologischen Fragen klären, und es ist die wichtigste Voraussetzung, um zur E<strong>in</strong>heitspartei<br />

zu kommen, die wir als Kommunisten begrüßen und uns immer dafür<br />

e<strong>in</strong>setzen«. 112<br />

Offensichtlich wollte auch die <strong>KPD</strong> der reichsweiten Entwicklung nicht v<strong>org</strong>reifen.<br />

<strong>Die</strong>se hatte jedoch <strong>in</strong>zwischen zunehmende Differenzierungen gezeigt. Mit der<br />

»Wennigsener Konferenz« Anfang Oktober <strong>1945</strong> hatte sich Kurt Schuhmacher und<br />

damit auch se<strong>in</strong>e antikommunistische L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> der Führung der westdeutschen Sozialdemokratie<br />

durchgesetzt. In der Ost-Zone dagegen wurden auf der sogenannten<br />

»Sechziger-Konferenz« am 20. und 21. Dezember <strong>1945</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> die Voraussetzungen<br />

geschaffen für e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>igung von SPD und <strong>KPD</strong>, die schließlich am 21.<br />

und 22. April mit der Gründung der SED erfolgte. 113<br />

Spätestens nach der Sechziger-Konferenz war zur Jahreswende <strong>1945</strong>/46 die<br />

Mehrheit der Bremer Sozialdemokraten auf die L<strong>in</strong>ie von Kurt Schuhmacher e<strong>in</strong>geschwenkt.<br />

E<strong>in</strong>e Delegiertenversammlung des Ortsvere<strong>in</strong>s <strong>Bremen</strong> lehnte am 6. Januar<br />

1946 nahezu e<strong>in</strong>stimmig die Entschließung der Sechziger-Konferenz ab. <strong>Die</strong><br />

<strong>in</strong>stitutionalisierte Aktionse<strong>in</strong>heit war schließlich nach scharfen Angriffen der SPD<br />

gegen die <strong>KPD</strong> im Februar 1946 beendet. 114 Ohneh<strong>in</strong> war, so die kritische E<strong>in</strong>schätzung<br />

der <strong>KPD</strong>-Bezirksleitung wenige Tage vor der Auflösung des Aktionse<strong>in</strong>heitsausschusses,<br />

»die bisherige E<strong>in</strong>heit nicht über Besprechungen, geme<strong>in</strong>same Funktionär-,<br />

Mitglieder und öffentliche Versammlungen h<strong>in</strong>ausgekommen«. 115<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wie <strong>in</strong> den übrigen Westzonen betrachtete sich nach der<br />

Gründung der SED als Teil derselben 116 und versuchte weiter, die E<strong>in</strong>heitspartei<br />

112 E<strong>in</strong> Protokoll der Besprechung f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> SAPMO I 10/20/16 (ohne Titel). Vgl. auch Peter Brandt,<br />

Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 192ff. und Johann Re<strong>in</strong>ers, Erlebt und nicht vergessen,<br />

a.a.O., S. 198ff. Re<strong>in</strong>ers fasst die Enttäuschung der Belegschaft und der KGF-Vertreter über die zurückhaltenden<br />

Aussagen der beiden Parteienvertreter mit den Worten »So war es: Alle bekannten sich<br />

zur E<strong>in</strong>heit, ohne sie zu wollen« zusammen (ebenda, S. 200).<br />

113 Siehe zur Sechziger-Konferenz Gert Gruner, Manfred Wilke (Hrsg.), Sozialdemokraten im Kampf um<br />

die Freiheit. <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen SPD und <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>1945</strong>/46. Stenographische<br />

Niederschrift der Sechziger-Konferenz am 20./21. Dezember <strong>1945</strong>, München 1981; E<strong>in</strong>heitsdrang oder<br />

Zwangsvere<strong>in</strong>igung? <strong>Die</strong> Sechziger Konferenzen von <strong>KPD</strong> und SPD <strong>1945</strong> und 1946. Mit e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>führung<br />

von Hans-Joachim Krusch und Andreas Malycha, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1990.<br />

114 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 197ff. Siehe auch Bericht über die Aktionsausschuss-Sitzung<br />

am 28.1.1946, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/16.<br />

115 Bericht aus dem Bezirk Weser-Ems [21.2.1946], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1.<br />

116 Am Vere<strong>in</strong>igungsparteitag nahmen auch Delegierte aus den Westzonen teil, aus <strong>Bremen</strong> waren u.a.<br />

He<strong>in</strong>rich Schramm, der auch im Präsidium des Parteitags saß, und Käthe Popall anwesend (Protokoll<br />

des Vere<strong>in</strong>igungsparteitages der SPD und <strong>KPD</strong>, Berl<strong>in</strong> 1946, S. 6ff.; Popall ist im Protokoll unter dem


36<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

auch außerhalb der Ostzone durchzusetzen. 1947 wurde die Kooperation zwischen<br />

<strong>KPD</strong> und SED mit der Gründung e<strong>in</strong>er »Sozialistischen Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft« formalisiert,<br />

gefolgt von e<strong>in</strong>er zweiten <strong>in</strong>tensiven Kampagne zur Gründung e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heitspartei<br />

<strong>in</strong> den Westzonen. 117 Beides scheiterte, auch aufgrund der ablehnenden<br />

Haltung der Besatzungsmächte. 118 Zu e<strong>in</strong>er eigenständigen und formell von der<br />

SED unabhängigen Partei wurde die <strong>KPD</strong> schließlich Anfang 1949. 119<br />

2. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Senat und Bürgerschaft<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war <strong>1945</strong>/46 <strong>in</strong> nahezu allen <strong>in</strong> den Westzonen ernannten Länderregierungen<br />

vertreten. 120 In <strong>Bremen</strong> erhielt zunächst nur e<strong>in</strong> Kommunist e<strong>in</strong>en Platz im<br />

Senat. Hermann Wolters wurde im Senat des Deutschnationalen Erich Vagts der für<br />

Ernährung und Arbeitse<strong>in</strong>sätze zuständige Senator. 121 Am 1. August <strong>1945</strong> musste<br />

Vagts aus dem Amt ausscheiden. Se<strong>in</strong> Nachfolger als Präsident des Senats wurde<br />

der Sozialdemokrat Wilhelm Kaisen, der <strong>Bremen</strong> schließlich bis 1965 regierte und<br />

prägte. 122 Wolters blieb auch unter Kaisen Senator, h<strong>in</strong>zu kam von der <strong>KPD</strong> Adolf<br />

Ehlers, der auf Vorschlag von Kaisen dessen Amt als Senator für Wohlfahrt übernahm.<br />

123<br />

Nachnamen ihres ersten Ehemannes Hans Lübeck genannt. Käthe Popall (1907-1984): Kontorist<strong>in</strong>, zeitweilig<br />

Textilarbeiter<strong>in</strong>. 1922 SAJ und SPD, 1930 <strong>KPD</strong>, 1930-31 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft,<br />

nach 1933 illegale Arbeit, 1935 als Mitarbeiter<strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>-Inlandsleitung verhaftet, bis <strong>1945</strong> Haft, <strong>1945</strong>-<br />

1951 Mitglied der Bürgerschaft, zeitweise deren Vizepräsident<strong>in</strong>, 1946-1948 als erste Frau Mitglied des<br />

Senats, 1956 Austritt aus der <strong>KPD</strong>.<br />

117 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1756ff.<br />

118 Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wurde die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft nicht genehmigt. Ihre Tätigkeit als solche war zwar<br />

nicht verboten, es durften aber ke<strong>in</strong>e Veranstaltungen unter ihrem Namen abgehalten werden (Schreiben<br />

OMGUS an <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong>, 18. November 1947, Betrifft: <strong>KPD</strong>-Versammlung »Brot, Kohle, Frieden,<br />

Gerechtigkeit«, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/4).<br />

119 Siehe dazu ausführlich Kapitel 2.<br />

120 Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Regierungen und Parlamenten der<br />

westdeutschen Besatzungszonen und der Bundesrepublik Deutschland (<strong>1945</strong>-1956), Bonn 1993, S. 79ff.;<br />

<strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1767f.<br />

121 Gegen Wolters bestanden von Seiten der bürgerlichen und konservativen Senatoren zunächst »erhebliche<br />

Vorbehalte, die wesentlich auf se<strong>in</strong> überschäumendes Temperament und se<strong>in</strong>e damit e<strong>in</strong>hergehende<br />

Neigung zurückzuführen waren, sich sowohl im Senat als auch <strong>in</strong> öffentlichen Äußerungen mit<br />

starken Worten als ›Volkstribun‹ der Bremer Arbeiterschaft zu profilieren«. (Karl-Ludwig Sommer,<br />

Wilhelm Kaisen. E<strong>in</strong>e politische Biographie. Hrsg. von der Wilhelm und Helene Kaisen-Stiftung <strong>Bremen</strong>,<br />

Bonn 2000, S. 150).<br />

122 Zur Person Wilhelm Kaisens: Karl-Ludwig Sommer, Wilhelm Kaisen, a.a.O.; Wilhelm Kaisen, Me<strong>in</strong>e<br />

Arbeit, me<strong>in</strong> Leben, München 1967; Zuversicht und Beständigkeit. Wilhelm Kaisen. E<strong>in</strong>e Dokumentation,<br />

herausgegeben und e<strong>in</strong>geleitet von Hans Koschnick unter Mitarbeit von Wilhelm Lührs, Hartmut<br />

Müller, Re<strong>in</strong>hard Patemann, Eugen De Porre und Klaus Schwarz (Staatsarchiv <strong>Bremen</strong>), <strong>Bremen</strong> 1977.<br />

123 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte angeblich vor Ehlers mehrere andere Mitglieder für das Amt v<strong>org</strong>eschlagen, die Kaisen<br />

aber alle abgelehnt hatte. Erst dann wurde Ehlers zu Kaisen geschickt, der ihn mit den Worten »Op Di’


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 37<br />

Mit diesen beiden Ämtern hatte die <strong>KPD</strong> zunächst wichtige Stellungen im Senat<br />

<strong>in</strong>ne. Das Wohlfahrtsamt wie das Ernährungs- und Arbeitsamt waren zentrale Positionen<br />

bei der Wiederherstellung und Organisation des öffentlichen Lebens. 124<br />

Außerdem wurden viele Stellen <strong>in</strong> diesem Bereich von Kommunisten besetzt. »Es<br />

ist uns gelungen«, so Willy Knigge Anfang Januar 1946, »im Wohnungsamt, Ernährungsamt<br />

und Arbeitsamt e<strong>in</strong>e ganze Anzahl unserer Genossen unterzubr<strong>in</strong>gen.<br />

Entscheidende Funktionen z.B. im Landesarbeitsamt, <strong>in</strong>sbesondere der Arbeitse<strong>in</strong>satz<br />

wird von e<strong>in</strong>em unserer Genossen e<strong>in</strong>genommen.« 125<br />

Wie im Zusammenhang mit der KGF bereits erwähnt, blieben die beiden kommunistischen<br />

Senatoren <strong>in</strong> ihrer Amtsausübung weitgehend auf sich gestellt und<br />

ohne Unterstützung oder gar Anleitung von der Parteileitung. Es kann davon ausgegangen<br />

werden, dass Wolters und Ehlers diese »Arbeitsteilung« wohl ganz recht<br />

war, als eher belastend empfand Käthe Popall, die 1946 Gesundheitssenator<strong>in</strong> wurde,<br />

die mangelnde Unterstützung durch die Partei. Nach ihrer Aussage g<strong>in</strong>g es<br />

deutschlandweit allen Regierungsmitgliedern der <strong>KPD</strong> ähnlich:<br />

»Von der <strong>KPD</strong>, unserer Partei, haben wir während der Regierungstätigkeit ke<strong>in</strong>erlei Unterstützung<br />

gehabt. Ich b<strong>in</strong> ja damals durch ganz Deutschland gekommen und habe auf den<br />

Konferenzen andere <strong>KPD</strong>-Regierungsmitglieder getroffen. Sie sagten alle dasselbe: ›Man hat<br />

uns da re<strong>in</strong>geschmissen und schwimmen lassen‹. [...] Willy Meyer-Buer hat mir später gesagt:<br />

›Mensch, was haben wir dir Unrecht getan. Du hast geredet und gebettelt, de<strong>in</strong>e Probleme<br />

vortragen zu können; hast immer wieder gesagt: Ihr müsst mir doch helfen! Aber man dachte<br />

gar nicht daran. ‹« 126<br />

hätt ick all lange tööft! « (Auf Dich hatte ich schon lange gewartet) empfangen haben soll (Horst Adamietz,<br />

Freiheit und B<strong>in</strong>dung, Adolf Ehlers, <strong>Bremen</strong> 1978, S. 66f.).<br />

124 <strong>Die</strong> Schwerpunkte Arbeit, Soziales und Infrastruktur lassen sich bei allen Regierungsbeteiligungen der<br />

<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Westzonen feststellen (Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 81).<br />

125 Stenographische Niederschrift über die Funktionärskonferenz am Sonnabend, dem 5. Januar 1946, a.a.O., S. 488.<br />

<strong>Die</strong> Konzentration von Kommunisten auf das Arbeitsamt wurde aber auch kritisch betrachtet. So bemängelte<br />

Hermann Wolters auf e<strong>in</strong>er Bezirkskonferenz am 24. November die Vernachlässigung der<br />

anderen Ämter und e<strong>in</strong>e gewisse Vers<strong>org</strong>ungsmentalität: »Wir haben e<strong>in</strong>e falsche Personalpolitik ge<br />

trieben, als wir glaubten aus dem Arbeitsamt e<strong>in</strong>e kommunistische Vers<strong>org</strong>ungsstätte zu machen. Wir<br />

hätten lieber dafür S<strong>org</strong>e tragen sollen, die Personalansprüche auf alle verschiedenen Ämter zu verteilen,<br />

denn diese brauchen wir. Alle bewerben sich beim Arbeitsamt und sehen die ganze Frage nur vom<br />

Standpunkt e<strong>in</strong>er persönlichen Vers<strong>org</strong>ung. E<strong>in</strong>e Frau kam zu mir, sie war Mitglied der RGO. Wenn<br />

ich diese Bewerbungsschreiben sehe, es steht e<strong>in</strong>em am Halse. Wenn unsere Genossen nicht begreifen,<br />

dass es nicht darauf ankommt das Amt als Vers<strong>org</strong>ung zu haben, sondern darauf ankommt, <strong>in</strong> engster<br />

Verb<strong>in</strong>dung mit den Massen zu bleiben, dann werden wir als Partei ke<strong>in</strong>en Boden f<strong>in</strong>den. Der Genosse,<br />

der nicht ganz gleich wo er steht bereit ist, se<strong>in</strong>e Position aufzugeben, den brauchen wir nicht. [...]<br />

wenn wir die Partei des Volkes se<strong>in</strong> wollen, dürfen wir uns nicht auf Plätze setzen, die jetzt frei geworden<br />

s<strong>in</strong>d, sondern müssen im lebenden Kontakt mit den Massen bleiben.« (Bezirkskonferenz <strong>Bremen</strong>, den<br />

24. Nov. <strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/3). <strong>Die</strong> Mehrzahl der im Arbeitsamt beschäftigten Kommunisten trat<br />

spätestens 1950 im Zuge e<strong>in</strong>es Erlasses der Bundesregierung, <strong>in</strong> dem die Mitgliedschaft <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> oder<br />

e<strong>in</strong>er ihr nahestehenden Organisation als unvere<strong>in</strong>bar mit e<strong>in</strong>er Beschäftigung im Öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nst erklärt worden war, aus der Partei aus.<br />

126 Käthe Popall - E<strong>in</strong> schwieriges politisches Leben. Erzählte Geschichte, bearbeitet von Peter Alheit und<br />

Jörg Wollenberg, Fischerhude 1985, S. 114.


38<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

Am 17. April tagte erstmals die von der amerikanischen Militärregierung ernannte<br />

Bremische Bürgerschaft. 127 Es handelte sich um ke<strong>in</strong> gewähltes Parlament,<br />

das außerdem ke<strong>in</strong>erlei Gesetzgebungsgewalt oder Kontrollfunktion gegenüber<br />

dem Senat hatte. <strong>Die</strong> Senatoren waren ebenfalls Mitglieder der Bürgerschaft, der<br />

Präsident des Senats Wilhelm Kaisen war gleichzeitig Parlaments-Präsident. <strong>Die</strong><br />

<strong>KPD</strong> war mit neun Abgeordneten <strong>in</strong> dieser Bürgerschaft vertreten. 128 H<strong>in</strong>zu kamen<br />

die beiden Senatoren Hermann Wolters und Adolf Ehlers, die schon kurz darauf<br />

die <strong>KPD</strong> verließen und der SPD beitraten.<br />

Der Übertritt von Wolters und Ehlers zur SPD im Mai 1946 erregte überregionales<br />

Aufsehen und stellte die Bremer <strong>KPD</strong> vor e<strong>in</strong>e verme<strong>in</strong>tliche Zerreißprobe. 129<br />

Bereits zuvor war das Verhältnis zwischen den beiden <strong>KPD</strong>-Vertretern im Senat e<strong>in</strong>erseits<br />

und der Parteileitung beziehungsweise der politischen L<strong>in</strong>ie der Partei andererseits<br />

e<strong>in</strong> gespanntes und ambivalentes. Wolters und Ehlers »waren seit der<br />

Neugründung der <strong>KPD</strong> der Parteil<strong>in</strong>ie nur mit Vorbehalten gefolgt«, angeblich hatten<br />

SPD-Vertreter bereits <strong>1945</strong> bei Gesprächen mit den beiden »den E<strong>in</strong>druck gewonnen,<br />

diese würden nicht lange <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> bleiben«. 130<br />

<strong>Die</strong> offene Ause<strong>in</strong>andersetzung begann mit e<strong>in</strong>em Referat Hermann Wolters auf<br />

e<strong>in</strong>er Parteiarbeiterversammlung der Bremer <strong>KPD</strong> am 17. März 1946. 131 Wolters<br />

griff die Bremer Parteileitung wie auch das Berl<strong>in</strong>er Zentralkomitee scharf an und<br />

warf ihnen die Aufgabe sozialistischer Pr<strong>in</strong>zipien vor. Im Zentrum der Kritik standen<br />

der Aufruf des ZK vom 11. Juni <strong>1945</strong> und das darauf basierende Sofortprogramm<br />

der Bremer <strong>KPD</strong>. <strong>Die</strong> Partei habe »mit diesem rückhaltlosen Bekenntnis zur<br />

bürgerlichen Gesellschaftsordnung und zum Manchestertum [...], wie es <strong>in</strong> ähnlich<br />

weitgehender Form von ke<strong>in</strong>er anderen Partei Deutschlands zum Ausdruck gebracht<br />

wurde, sich jedes Rechtes begeben, als Träger<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es sozialistischen oder<br />

kommunistischen Zukunfts- und Gestaltungswillens aufzutreten.« 132<br />

<strong>Die</strong> sich daraus ergebenden <strong>in</strong>neren Widersprüche und »die grundsätzliche<br />

Unklarheit, die <strong>in</strong> die Politik der <strong>KPD</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen wird«, zeigten sich, so Wolters,<br />

auch auf lokaler Ebene:<br />

»Während die Führung der Partei die ›ungehemmte Entfaltung der Unternehmer<strong>in</strong>itiative‹<br />

proklamiert, fordern unsere lokalen Organisationen planwirtschaftliche Maßnahmen, verlangen<br />

Beschlagnahme von Rohstoffen und Waren, beanspruchen für die Betriebsräte und Belegschaftsvertretungen<br />

das Mitbestimmungsrecht über die Produktion, kurz, vertreten Forde-<br />

127 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, herausgegeben vom Vorstand der Bremischen Bürgerschaft,<br />

<strong>Bremen</strong> 1950, S. 7. Zum Verlauf der Sitzung Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 125ff.<br />

128 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, a.a.O., S. 7. <strong>Die</strong> Abgeordneten waren He<strong>in</strong>z Schramm, Willy<br />

Knigge, Käthe Popall, He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich, Rudolf Rafoth, Albert Häusler, Willy Meyer-Buer, Max<br />

Schimmeck und Albert Krohn . E<strong>in</strong>er von zwei Vizepräsidenten war Albert Häusler (<strong>KPD</strong>), ferner kamen<br />

drei <strong>KPD</strong>-Abgeordnete <strong>in</strong> den Verfassungsausschuss und zwei <strong>in</strong> den Geschäftsordnungsausschuss<br />

(<strong>Die</strong> Bremer Bürgerschaft, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/8).<br />

129 Vgl. zu dem Austritt von Ehlers und Wolters ausführlich Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />

a.a.O., S. 207ff., dessen Ergebnisse hier zusammengefasst und lediglich durch e<strong>in</strong>ige neue<br />

Dokumente ergänzt werden.<br />

130 Ebenda, S. 207.<br />

131 Ebenda, S. 207f. und Dokument 8, S. 269ff.<br />

132 Ebenda, S. 270f.


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 39<br />

rungen, mit denen genau das Gegenteil e<strong>in</strong>er ›ungehemmten Entfaltung der Unternehmer<strong>in</strong>itiative‹<br />

erreicht wird.« 133<br />

<strong>Die</strong> von der Partei propagierte bürgerliche Demokratie dürfe nicht als Selbstzweck<br />

erstrebt werden, sondern müsse als »beste Basis für den proletarischen Freiheitskampf«<br />

verstanden werden. 134<br />

Mit dieser grundlegenden Kritik hatte erstmals e<strong>in</strong> exponiertes Führungsmitglied<br />

der Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die aus der Programmatik von <strong>1945</strong> resultierenden <strong>in</strong>nerparteilichen<br />

Widersprüche thematisiert. Angeblich war die Rede »<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kreis<br />

ehemaliger SAP-/KPO-Mitglieder erarbeitet worden«, 135 was der <strong>in</strong>haltlichen Ausrichtung<br />

entspricht. <strong>Die</strong> Haltung von Wolters und Ehlers war allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong>eswegs<br />

als so e<strong>in</strong>deutig l<strong>in</strong>ksoppositionell zu charakterisieren, sondern sche<strong>in</strong>t »von<br />

Anbeg<strong>in</strong>n an sehr ambivalent gewesen zu se<strong>in</strong>«. 136 Brandt verweist auf e<strong>in</strong>e im Senat<br />

von Wolters abgegebene Erklärung, »die <strong>in</strong> der Betonung der Zusammenarbeit<br />

mit anderen politischen Kräften m<strong>in</strong>destens ebenso weit g<strong>in</strong>g wie die offiziellen<br />

Verlautbarungen der <strong>KPD</strong>«. 137 Auch partei<strong>in</strong>tern hatte sich Wolters ähnlich geäußert.<br />

138<br />

E<strong>in</strong>en Tag nach der Parteiarbeiterkonferenz tagte die Bezirksleitung und beschäftigte<br />

sich mit den Äußerungen Wolters, der später wie auch Adolf Ehlers zu<br />

der Sitzung h<strong>in</strong>zustieß. 139 Wilhelm Knigge schlug zunächst vor, »dass W.[olters]<br />

nicht mehr <strong>in</strong> öffentlichen Versammlungen sprechen darf« und ihn vorläufig aus<br />

der Arbeit der Bezirksleitung zurückzustellen. 140 Knigge bezeichnete Wolters als<br />

»Opfer e<strong>in</strong>er bestimmten Klique« ehemaliger SAP-Mitglieder <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>, die die<br />

Partei spalten wollten. Auch die übrige Bezirksleitung zeigte sich »empört« über<br />

den Auftritt von Wolters und bezeichnete ihn als »großen Diszipl<strong>in</strong>bruch«. »Wenn<br />

e<strong>in</strong> unterer Funktionär sich das herausnimmt, ist das noch was anderes, aber hier<br />

liegt es anders«. Wolters hätte <strong>in</strong> der Bezirksleitung, so He<strong>in</strong>rich Schramm,<br />

»Gelegenheit gehabt, zu all diesen Fragen Stellung zu nehmen und dann hätte man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Parteiarbeiterkonferenz Stellung nehmen können. Man braucht nicht immer mit dem Kopf zu<br />

nicken, um se<strong>in</strong>e Zustimmung zu bekunden. Hier wäre die Zeit gewesen, aber die Parteimitgliedschaft<br />

e<strong>in</strong>fach zu überfallen, das ist nicht <strong>in</strong> Ordnung [...] Ich habe bis jetzt immer zu Dir<br />

133 Ebenda, S. 271.<br />

134 Ebenda, S. 273f.<br />

135 Ebenda, S. 269 und 389. <strong>Die</strong> Autorenschaft des Dokuments ist demnach ungeklärt.<br />

136 Ebenda, S. 208.<br />

137 Ebenda.<br />

138 »Wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Schicksalsgeme<strong>in</strong>schaft geworden, ob wir Kommunisten s<strong>in</strong>d oder nicht, das spielt ke<strong>in</strong>e<br />

Rolle, sondern wir müssen versuchen, die günstigsten und besten Möglichkeiten<br />

herauszuwirtschaften, die im Gesamt<strong>in</strong>teresse des Volkes liegen.« (Bezirkskonferenz <strong>Bremen</strong>, den 24.Nov.<br />

<strong>1945</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/3).<br />

139 B.L. Sitzung am 18. März 1946, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5. Das Dokument wird hier ausführlicher wiedergegeben,<br />

da zum e<strong>in</strong>en der Verlauf dieser Sitzung bislang nicht bekannt war, und zum anderen noch<br />

e<strong>in</strong>mal die <strong>in</strong>haltlichen Positionen <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung deutlich werden. Das Protokoll ist offensichtlich<br />

nicht immer wörtlich.<br />

140 Das Redeverbot wurde beschlossen (vgl. auch Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />

a.a.O., S. 208).


40<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

[Wolters] gestanden, aber heute m<strong>org</strong>en b<strong>in</strong> ich wankend geworden. Immer haben die Leute<br />

gesagt: Pass auf den Wolters auf! Jetzt sagen sie: Was sagst du denn nun?«<br />

Wolters selbst rechtfertigte se<strong>in</strong>e V<strong>org</strong>ehensweise. Er habe sich »verpflichtet gefühlt,<br />

über e<strong>in</strong>ige D<strong>in</strong>ge etwas zu sagen«, nachdem er bis dah<strong>in</strong> gegen se<strong>in</strong>e eigene<br />

Auffassung die strittigen Programmpunkte öffentlich vertreten habe. Angeblich<br />

waren auch se<strong>in</strong>e und Ehlers Unterschriften unter das Sofortprogramm vom Oktober<br />

<strong>1945</strong> »verwendet worden, ohne dass wir gefragt wurden«. 141 Inhaltlich wiederholte<br />

Wolters se<strong>in</strong>e Kritik an der Programmatik der Partei, die den Kampf um den<br />

Sozialismus <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund gestellt habe. In den westlichen Besatzungszonen<br />

sei e<strong>in</strong>e andere Politik erforderlich als im Osten:<br />

»Der eiserne Vorhang wird bleiben. <strong>Die</strong> Frage der Besatzungszone ist e<strong>in</strong>e Frage imperialistischer<br />

Machtgeltung, und zwar staatenmäßige Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischen Russland und<br />

den Westmächten. <strong>Die</strong> Verhältnisse <strong>in</strong> der Ostzone werden fest, sie werden stärker werden,<br />

sozialistische Maßnahmen unter Initiative der Russen wirklich nach sozialistischen Grundsätzen<br />

vollziehen. Der Westen aber hat e<strong>in</strong>e andere Orientierung [...]. <strong>Die</strong> Partei muss e<strong>in</strong>e ganz<br />

andere Politik machen, weil die D<strong>in</strong>ge sich grundsätzlich unterscheiden. Ich glaube, dass die<br />

E<strong>in</strong>heitspartei <strong>in</strong> der westlichen Zone nicht <strong>in</strong> 5 Monaten se<strong>in</strong> wird, dass die Westmächte das<br />

größte Interesse haben werden, die Entfaltung der E<strong>in</strong>heit zu h<strong>in</strong>dern.«<br />

He<strong>in</strong>rich Schramm wies die Kritik zurück und fasste se<strong>in</strong>erseits den Standpunkt<br />

der Bezirksleitung und die Parteil<strong>in</strong>ie zusammen:<br />

»Du urteilst von falschen Voraussetzungen und deshalb musst du zu falschen Schlussfolgerungen<br />

kommen. [...]. Der kapitalistische Staatsapparat ist zerschlagen! <strong>Die</strong>sen neuen Staatsapparat<br />

so zu formen, e<strong>in</strong>e neue Art der Demokratie zu formen, Schritt für Schritt nach Seiten<br />

der Arbeiterschaft zu verlagern, was früher bei den Kapitalisten war, um so zum Sozialismus<br />

zu kommen. Deshalb haben wir nicht die Frage des Sozialismus <strong>in</strong> den Vordergrund gestellt,<br />

sondern die Demokratie. [...]. Wir denken gar nicht daran, unser sozialistisches Ziel aufzugeben,<br />

sondern wir schaffen nur die Voraussetzungen dazu, <strong>in</strong> diesem Kampf um die E<strong>in</strong>heit,<br />

um die Errichtung der kämpferischen Demokratie wollen wir große Kräfte des Bürgertums<br />

zu uns herüberziehen, den übrigen Rest neutralisieren und die Arbeiterschaft gew<strong>in</strong>nen<br />

[...]. So unblutig wie nur möglich wollen wir zum Sozialismus gehen.«<br />

Adolf Ehlers hielt sich <strong>in</strong> der Diskussion weitgehend zurück und vermied auch<br />

e<strong>in</strong>e direkte <strong>in</strong>haltliche Stellungnahme. Er habe das Referat Wolters' auf der Konferenz<br />

lediglich als »e<strong>in</strong>en Beitrag zur Diskussion« gewertet. Ehlers wandte sich allerd<strong>in</strong>gs<br />

scharf gegen den Umgang der Parteileitung mit der Kritik: »Seit wann ist<br />

es denn üblich, dass man nicht auch [etwas] gegen das Z.K. haben kann?«<br />

Angesichts der im Referat von Wolters und auf der Sitzung der Bezirksleitung<br />

deutlich gewordenen <strong>in</strong>haltlichen Differenzen war zum<strong>in</strong>dest der Austritt von<br />

Hermann Wolters wahrsche<strong>in</strong>lich geworden. Noch im selben Monat wurden erstmals<br />

Gerüchte laut, nach denen der kommunistische Senator zur SPD übertreten<br />

wolle, und angeblich bestanden Kontakte von Wolters und Ehlers zum »Büro<br />

Schuhmacher«. 142<br />

141 Anlässlich ihres Parteiaustritts wiederholten Wolters und Ehlers noch e<strong>in</strong>mal, sie hätten das Sofortprogramm<br />

nicht unterschrieben (Weser-Kurier, 18. Mai 1946).<br />

142 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 208f.


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 41<br />

Zum Bruch zwischen der <strong>KPD</strong> und den beiden Senatoren kam es schließlich<br />

zwei Monate später. Nach e<strong>in</strong>er Reise <strong>in</strong> die sowjetische Besatzungszone erklärten<br />

Wolters und Ehlers am 17. Mai 1946 ihren Austritt aus der <strong>KPD</strong> und den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong><br />

die SPD. <strong>Die</strong> beiden hatten nach Gesprächen mit führenden Funktionären der gerade<br />

gegründeten SED den E<strong>in</strong>druck gewonnen, diese sei »nur e<strong>in</strong> Organ der sowjetischen<br />

Besatzungsmacht«. 143 <strong>Die</strong> Kritik an der Abhängigkeit von der Sowjetunion<br />

sowie die Forderung nach mehr <strong>in</strong>nerparteilicher Demokratie wurde schließlich zur<br />

Grundlage der im Weser-Kurier veröffentlichten Austrittserklärung von Ehlers und<br />

Wolters. 144 <strong>Die</strong>s entsprach <strong>in</strong> der Tendenz noch den Äußerungen der Beiden auf<br />

der Sitzung der Bezirksleitung, von der »l<strong>in</strong>ksoppositionellen Opposition«, wie sie<br />

Hermann Wolters auf der Parteiarbeiterkonferenz gezeigt hatte, war dagegen, so<br />

Peter Brandt treffend, »kaum noch etwas zu spüren«. 145 <strong>Die</strong> Erklärung warf zwar<br />

der <strong>KPD</strong> »e<strong>in</strong>e Politik der nationalen Beschränktheit, e<strong>in</strong>er völligen Abkehr vom Internationalen<br />

Sozialismus« vor, ließ aber gleichzeitig die Frage e<strong>in</strong>es künftigen Gesellschaftssystems<br />

offen und proklamierte ke<strong>in</strong> sozialistisches Endziel, wie es Wolters<br />

zuvor getan hatte.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> betonte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gleichzeitig veröffentlichten Erklärung, dass Wolters<br />

und Ehlers dem Sofortprogramm wie der gesamten politischen L<strong>in</strong>ie der Partei als<br />

Mitglieder der Bezirksleitung zugestimmt hätten. Der wahre Grund des Austritts<br />

sei der bevorstehende Ausschluss aufgrund »der wachsenden Unzufriedenheit <strong>in</strong><br />

den Kreisen der sozialistischen Arbeiterschaft und der Mitgliedschaft der Kommunistischen<br />

Partei [...]. Der Ausschluss wurde gefordert, weil zwischen ihren Worten<br />

und Taten e<strong>in</strong> unüberbrückbarer Widerspruch besteht.« 146<br />

Tatsächlich war der Ausschluss von der Parteileitung bereits vorbereitet worden,<br />

seitdem Wolters aus der SBZ zurückgekehrt war und begonnen hatte, öffentlich<br />

gegen die SED und die Sowjetunion zu agitieren. Angeblich sollte der formelle<br />

Beschluss auf dem ersten Bezirksparteitag nach dem Krieg am 18./19. Mai erfolgen.<br />

147 E<strong>in</strong> Mitglied der <strong>KPD</strong>-Zonenleitung für die britische Zone bezweifelte allerd<strong>in</strong>gs,<br />

dass die Bezirksleitung den Ausschluss hätte durchsetzen können. He<strong>in</strong>z<br />

Schramm habe auf e<strong>in</strong>er Sitzung der Pol-Leiter der britischen Zone am 8. Mai 1946<br />

darauf aufmerksam gemacht, »dass die BL alles getan hätte, was zu tun gewesen<br />

wäre, dass aber e<strong>in</strong> Ausschluss der beiden Senatoren nicht möglich war, weil e<strong>in</strong><br />

Teil der Mitgliedschaft noch an sie gebunden sei. Für die BL stand die Aufgabe, die<br />

Mitglieder von den beiden zu trennen, was ihnen aber sche<strong>in</strong>bar nicht gelungen<br />

ist«. 148<br />

143 Ebenda, S. 209. Siehe zur Reise der beiden auch Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 56ff.<br />

144 Austritt aus der <strong>KPD</strong>, Weser-Kurier 18. Mai 1946.<br />

145 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 209.<br />

146 <strong>Die</strong> Antwort der <strong>KPD</strong>, Weser-Kurier 18. Mai 1946.<br />

147 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 209 und Fußnote 232, S. 390.<br />

148 Brief Paul Wojtkowski, 17.5.46, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/19/1. Nach den Quellen Peter Brandts war der Ausschluss<br />

durch die britische Zonenleitung der <strong>KPD</strong> beschlossen worden (Peter Brandt, Antifaschismus<br />

und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 390).


42<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

<strong>Die</strong> Befürchtungen waren offensichtlich unbegründet. <strong>Die</strong> Vermutung, der Austritt<br />

könne zur Spaltung der <strong>KPD</strong> führen, bestätigte sich nicht. Wolters und Ehlers<br />

blieben mit ihrem Schritt weitgehend isoliert. 149 He<strong>in</strong>z Schramm berichtete am 1.<br />

Juni 1946 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit führenden SED-Funktionären, der Übertritt habe<br />

»der Partei ke<strong>in</strong>en Schaden zugefügt«, auch der Bezirksparteitag habe e<strong>in</strong>e ablehnende<br />

Stellungnahme verabschiedet. 150<br />

Nach dem Übertritt von Wolters und Ehlers zur SPD erhielt die <strong>KPD</strong> im August<br />

1946 zwei neue Senatoren-Posten. 151 Käthe Popall wurde Gesundheitssenator<strong>in</strong>,<br />

Albert Häusler erhielt das Ressort für Wohnungswesen und Brennstoffbeschaffung.<br />

»Käthe Popall war mit Elfriede Paul, der hannoveraner M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> für Arbeit und<br />

Aufbau, die e<strong>in</strong>zige Kommunist<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Regierungsamt und die erste dem Bremer<br />

Senat angehörende Frau überhaupt.« 152 Während Häusler offenbar bei der Leitung<br />

des Wohnungsamtes ke<strong>in</strong>e Schwierigkeiten hatte und Unterstützung erhielt,<br />

stieß Käthe Popall auf erheblichen Widerstand beim Gesundheitsamt und bei der<br />

Bremer Ärzteschaft. 153<br />

Kurze Zeit nach dem Amtsantritt von Popall und Häusler fanden am 13. Oktober<br />

1946 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die ersten Bürgerschaftswahlen statt. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte der SPD<br />

bereits im Mai v<strong>org</strong>eschlagen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Wahlkreisen geme<strong>in</strong>same Kandidaten<br />

aufzustellen, um e<strong>in</strong>en Sieg bürgerlicher Kandidaten zu verh<strong>in</strong>dern. 154 <strong>Die</strong> SPD<br />

lehnte den Vorschlag jedoch ab, lediglich e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit - darunter Hermann Wolters<br />

und Adolf Ehlers - befürwortete e<strong>in</strong> Wahlbündnis. 155 Nachdem CDU und BDV<br />

im September 1946 e<strong>in</strong> ähnliches Wahlabkommen geschlossen hatten, erneuerte die<br />

<strong>KPD</strong> das Angebot. Das Bürgertum erkenne, so der Brief der Stadtleitung, »den<br />

Ernst der Lage und zugleich die Chance, die das geltende Wahlgesetz bietet«. Das<br />

Abkommen der bürgerlichen Parteien könne zur Folge haben, »dass 60 - 65<br />

Kandidaten der rechts von Euch stehenden Parteien gewählt werden«.<br />

Demgegenüber müsse e<strong>in</strong> »Gegengewicht« geschaffen werden, »um die<br />

Bürgerschaftswahlen zu e<strong>in</strong>em Erfolg für die Werktätigen und Schaffenden<br />

<strong>Bremen</strong>s zu machen«. Beide Parteien könnten dabei ihre Selbständigkeit wahren<br />

und es sei »von ger<strong>in</strong>gerer Bedeutung [...], wieviel mehr SP oder KP Abgeordnete<br />

<strong>in</strong> der Bürgerschaft se<strong>in</strong> werden«. 156 <strong>Die</strong> SPD nahm den Vorschlag wiederum nicht<br />

149 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 210.<br />

150 Mitteilungen des Gen. Schramm, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Besprechung am 1.6.46, <strong>in</strong>: SAPMO NY 4036/645 [Nachlass<br />

Wilhelm Pieck].<br />

151 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte zunächst die Ressorts von Wolters und Ehlers verlangt (Bürgerschaftsprotokolle, 20. Juni<br />

1946, S. 64ff.).<br />

152 Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 92. Zur Person Käthe Popalls siehe: Käthe<br />

Popall, E<strong>in</strong> schwieriges politisches Leben, a.a.O.; Elisabeth Meyer-Renschhausen, Käthe Popall. Frau.<br />

Kommunist<strong>in</strong>. In: Bremer Blatt (Hrsg.): Scenen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Illustriertes StadtBuch, <strong>Bremen</strong> 1986; Inge<br />

Buck (unter Mitarbeit von Elisabeth Meyer-Renschhausen), Käthe Popall. In: Renate Meyer-Braun<br />

(Hrsg.): Frauen <strong>in</strong>s Parlament! Porträts weiblicher Abgeordneter <strong>in</strong> der Bremischen Bürgerschaft, <strong>Bremen</strong><br />

1991, S. 193-216.<br />

153 Käthe Popall - E<strong>in</strong> schwieriges politisches Leben, a.a.O., S. 110ff.<br />

154 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 227f. Grundlage der Überlegungen<br />

war das v<strong>org</strong>esehene Wahlsystem, e<strong>in</strong>e Art »modifiziertes Mehrheitswahlrecht« (Brandt).<br />

155 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 228.


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 43<br />

den«. 156 <strong>Die</strong> SPD nahm den Vorschlag wiederum nicht an. Der Bremer Ortsvorstand<br />

lehnte auf e<strong>in</strong>er Sondersitzung am 25. September 1946 »nach anfänglich positiver<br />

Diskussion« e<strong>in</strong> Wahlbündnis mit 14 zu sechs Stimmen bei sechs Enthaltungen<br />

ab. 157<br />

Nach e<strong>in</strong>em »relativ nüchtern« geführten Wahlkampf 158 g<strong>in</strong>g die SPD schließlich<br />

als deutlicher Sieger aus den Wahlen hervor. <strong>Die</strong> Sozialdemokraten erhielten<br />

47,6 Prozent der Stimmen und 51 von <strong>in</strong>sgesamt 80 Sitzen <strong>in</strong> der Bürgerschaft. <strong>Die</strong><br />

<strong>KPD</strong> erzielte 11,5 Prozent und konnte <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Wahlkreis e<strong>in</strong> Direktmandat err<strong>in</strong>gen.<br />

Aufgrund des Wahlrechts kam die Partei lediglich auf drei Sitze <strong>in</strong> der Bürgerschaft.<br />

CDU (18,9 Prozent) und BDV (18,3 Prozent) kamen auf jeweils zwölf Mandate,<br />

die ebenfalls dem bürgerlichen Block zuzurechnenden unabhängigen Kandidaten<br />

erhielten zwei Sitze. 159<br />

<strong>Die</strong> kommunistischen Abgeordneten <strong>in</strong> der neuen Bürgerschaft waren Rudolf<br />

Rafoth, He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich 160 und Max Schimmeck, der auch als Schriftführer <strong>in</strong> den<br />

Vorstand des Parlaments gewählt wurde. 161 Im Februar 1947 wurde die Bürgerschaft<br />

um 20 Abgeordnete aus Bremerhaven erweitert, 162 die <strong>KPD</strong> erhielt e<strong>in</strong> weiteres<br />

Mandat, das von Richard Podzus besetzt wurde.<br />

Nach längeren Diskussionen 163 setzte sich der neue Senat aus Vertretern von<br />

SPD, BDV, <strong>KPD</strong> und e<strong>in</strong>em Unabhängigen zusammen. <strong>Die</strong> SPD stellte sechs, die<br />

BDV drei Senatoren. Für die <strong>KPD</strong> war nur noch Käthe Popall vertreten. 164 Popall<br />

bekam allerd<strong>in</strong>gs nicht wieder die Leitung des Gesundheitsressorts übertragen,<br />

sondern wurde dem neuen Gesundheits- und Wohlfahrtsressort (das von Adolf Ehlers<br />

geleitet wurde) lediglich beigeordnet. Sie behielt aber ihren Senatorenstatus.<br />

156 An den Parteivorstand der SPD, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/16. Vgl. auch Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />

a.a.O., S. 228. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte e<strong>in</strong> Kandidatenverhältnis von 45 für die SPD und 19 für<br />

die <strong>KPD</strong> v<strong>org</strong>eschlagen (Britische Besatzungszone, Bezirk Weser-Ems: Erweiterte Bezirksleitungssitzung am<br />

28.9. 1946, <strong>in</strong>: SAPMO NY 4036/645 [Nachlass Wilhelm Pieck]).<br />

157 Das berichtete Rudolf Rafoth wenige Tage später auf e<strong>in</strong>er <strong>KPD</strong>-Bezirksleitungssitzung (Britische Besatzungszone,<br />

Bezirk Weser-Ems: Erweiterte Bezirksleitungssitzung am 28.9. 1946, <strong>in</strong>: SAPMO NY 4036/645<br />

[Nachlass Wilhelm Pieck]). Rafoth me<strong>in</strong>te »es stand sehr auf der Schneide«. Angeblich zählte auch<br />

Wilhelm Kaisen zu den Befürwortern e<strong>in</strong>es Wahlbündnisses, und fast alle anderen maßgeblichen<br />

Vorstandsmitglieder hätten <strong>in</strong> vorangegangenen Gesprächen mit der <strong>KPD</strong> »unseren Argumenten Gehör<br />

geschenkt« und wären der Auffassung gewesen, »man müsse das ernsthaft überlegen«. Kaisen war<br />

auf der Vorstandsvorsitzung nicht anwesend, worauf Rafoth die Ablehnung unter anderem zurückführte.<br />

Vgl. auch Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 401 (Fußnote 108).<br />

158 Siehe dazu Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 228f.; Hans Jansen und Renate<br />

Meyer-Braun, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 84.<br />

159 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, <strong>Bremen</strong> 1950, S. 9; Peter Brandt, Antifaschismus und<br />

Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 229.<br />

160 He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich (1907-1966): Maurerpolier. 1930 <strong>KPD</strong>, RGO und Rote Hilfe, 1933 <strong>in</strong>haftiert, <strong>1945</strong> <strong>KPD</strong>,<br />

1946-1959 mit Unterbrechungen Mitglied der Bremischen Bürgerschaft.<br />

161 Norbert Korfmacher, Mitgliederverzeichnis der Bremischen Bürgerschaft 1946 bis 1996, Münster 1997,<br />

passim; Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, a.a.O., S. 11.<br />

162 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, <strong>Bremen</strong> 1950, S. 9f.<br />

163 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 230; Hans Jansen und Renate Meyer-<br />

Braun, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 85.<br />

164 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, a.a.O., S. 11.


44<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

<strong>Die</strong> Versetzung kam nach Popalls eigenen Angaben auf Initiative von Wilhelm Kaisen<br />

zustande, der sie nach den Schwierigkeiten mit der Ärzteschaft offensichtlich<br />

aus der ›Schussl<strong>in</strong>ie‹ nehmen wollte. 165<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Führung wertete das Ergebnis der Wahlen verhalten und versuchte,<br />

pessimistischen Rückschlüssen auf den Massene<strong>in</strong>fluss der Partei entgegenzuwirken.<br />

Auf der dem Wahlterm<strong>in</strong> folgenden Sitzung der Bezirksleitung sprach lediglich<br />

e<strong>in</strong> Leitungsmitglied von e<strong>in</strong>er »Niederlage« für die »sozialistische Bewegung«.<br />

Das Ergebnis sei aber »ke<strong>in</strong> Anlass <strong>in</strong> unserer Politik zu verzweifeln. Wir werden<br />

noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Massenpartei werden«. Andere Leitungsmitglieder wollten gar<br />

nicht von e<strong>in</strong>er Niederlage sprechen und machten das Wahlsystem für die wenigen<br />

Mandate der <strong>KPD</strong> verantwortlich. Albert Oltmanns 166 kritisierte Vergleiche mit den<br />

Ergebnissen von vor 1933:<br />

»Ich habe so den E<strong>in</strong>druck, als wenn e<strong>in</strong>ige Genossen schon vor den Wahlen sich Bleistifte bes<strong>org</strong>t<br />

haben, e<strong>in</strong>en mathematischen Kursus durchmachten und nun <strong>in</strong> Prozenten ausrechnen,<br />

wie es vor 1933 war. Dabei kommen sie teilweise zu sogenannten Niederlagen. [...] Wir können<br />

nicht Verhältnisse zum Vergleich heranziehen, die absolut abwegig s<strong>in</strong>d. Man kann z.B.<br />

nicht e<strong>in</strong>en Vergleich ziehen zu den Wahlen vor 1933, denn wir haben heute e<strong>in</strong>e grundsätzlich<br />

andere Situation, wirtschaftlich und vor allen D<strong>in</strong>gen auch außenpolitisch. Unter diesem<br />

Gesichtsw<strong>in</strong>kel muss man feststellen, ohne irgendwelche Überhebung, dass wir als Partei unter<br />

den gegebenen Voraussetzungen wirklich gut abgeschnitten haben.«<br />

Wilhelm Meyer-Buer argumentierte ähnlich, machte außerdem aus dem Faschismus<br />

stammende antikommunistische Ressentiments <strong>in</strong> der Bevölkerung für<br />

das Ergebnis verantwortlich und me<strong>in</strong>te gar, e<strong>in</strong>en »großen Wahlsieg« wäre die<br />

<strong>KPD</strong> gar »nicht <strong>in</strong> der Lage gewesen [...] zu verdauen«. 167<br />

Von e<strong>in</strong>er ›Niederlage‹ der <strong>KPD</strong> bei diesen Wahlen zu sprechen, sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> der<br />

Tat übertrieben, zumal die beiden Arbeiterparteien zusammen knapp 60 Prozent<br />

der Stimmen erhalten hatten - im Bewusstse<strong>in</strong> der die E<strong>in</strong>heitspartei anstrebenden<br />

Kommunisten e<strong>in</strong> wichtiger Faktor. <strong>Die</strong> Partei war nach wie vor im Senat vertreten,<br />

bekundete weiter ihren politischen Mitwirkungswillen und setzte diesen im Senat<br />

und <strong>in</strong> der Bürgerschaft um. 168 Dennoch waren offenbar e<strong>in</strong>ige Erwartungen <strong>in</strong> der<br />

Mitgliedschaft enttäuscht worden, und auch <strong>in</strong> den Interpretationen der Füh-<br />

165 »Kaisen nahm mich dann weg aus dem Gesundheitswesen. Er sagte: ›<strong>Die</strong> spielen mit dir Fußball. <strong>Die</strong><br />

machen dich kaputt.‹ Ich war nicht e<strong>in</strong>verstanden. Ich wäre am liebsten noch geblieben und hätte bewiesen,<br />

dass auch ich mich durchsetzen konnte. Doch ich kam zum Wohlfahrtsamt. Wilhelm Kaisen<br />

hat mich immer wieder unterstützt. Und ich habe viel von ihm lernen können.« (Käthe Popall - E<strong>in</strong><br />

schwieriges politisches Leben, a.a.O., S. 112).<br />

166 Albert Oltmanns (1907-1985): Vor 1933 <strong>KPD</strong>. Während des Krieges bei B<strong>org</strong>ward, dort Widerstand.<br />

Nach <strong>1945</strong> Bezirksleitung <strong>KPD</strong>, ab 1949 Mitglied der Landesleitung, ab 1951 Mitglied des Landessekretariats.<br />

167 Erweiterte BL-Sitzung am 19.10.1946, <strong>in</strong>: SAPMO NY 4036/645 [Nachlass Wilhelm Pieck].<br />

168 Anlässlich der Wahl der neuen Senatoren im November 1946 erklärte Rudolf Rafoth <strong>in</strong> der Bürgerschaft:<br />

»Trotzdem die Kommunistische Partei nur mit e<strong>in</strong>em Senatsmitglied vertreten ist, haben wir<br />

uns zur Mitarbeit und Verantwortung entschlossen. Da die vor uns stehenden Aufgaben so riesenhaft<br />

s<strong>in</strong>d, dass unseres Erachtens alle Parteien, denen das Wohl <strong>Bremen</strong>s am Herzen liegt, an der Überw<strong>in</strong>dung<br />

vorhandener Schwierigkeiten und dem Bau e<strong>in</strong>er glücklicheren Zukunft mithelfen müssen.«<br />

(Bürgerschaftsprotokolle, 28. November 1946, S. 33).


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 45<br />

rungsmitglieder war durchaus e<strong>in</strong> gewisses ›Unbehagen‹ spüren. <strong>Die</strong> Entwicklung<br />

der kommenden zwei Jahre zeigte dann, dass für die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wie <strong>in</strong> allen<br />

westlichen Besatzungszonen bereits zu diesem Zeitpunkt die Weichen für den Weg<br />

<strong>in</strong> die politische Isolation gestellt waren. In <strong>Bremen</strong> markierten die Diskussion um<br />

die neue Landesverfassung sowie das Ausscheiden der <strong>KPD</strong> aus dem Senat den<br />

Beg<strong>in</strong>n dieser Isolation, die sich <strong>in</strong> den geschilderten Entwicklungen des Jahres<br />

1946 - das Scheitern der E<strong>in</strong>igungsbestrebungen, der Übertritt von Wolters und Ehlers,<br />

das Wahlergebnis und die Machtreduzierung im Senat - lediglich angedeutet<br />

hatten.<br />

3. Der Beg<strong>in</strong>n der Isolation<br />

<strong>Die</strong> Legislaturperiode der am 13. Oktober 1946 gewählten Bürgerschaft dauerte lediglich<br />

e<strong>in</strong> Jahr. Bereits am 12. Oktober 1947 fanden die nächsten Wahlen statt, verbunden<br />

mit e<strong>in</strong>er Volksabstimmung über die neue Bremische Verfassung, deren<br />

Ausarbeitung und Diskussion die politische Arbeit der Bürgerschaft und der Parteien<br />

im Laufe des Jahres 1947 maßgeblich bestimmte. 169<br />

<strong>Die</strong> Bürgerschaft wählte am 6. März 1947 e<strong>in</strong>e 15-köpfige Verfassungsdeputation,<br />

<strong>in</strong> der <strong>in</strong> den folgenden Monaten der vom Parlament zu verabschiedende und<br />

dem Volk im Oktober 1947 zur Abstimmung vorzulegende Verfassungsentwurf erarbeitet<br />

wurde. 170 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war mit zwei Abgeordneten <strong>in</strong> der Deputation vertreten,<br />

Rudolf Rafoth und Max Schimmeck. Käthe Popall nahm als Senator<strong>in</strong> an e<strong>in</strong>igen<br />

Sitzungen teil. 171 <strong>Die</strong> SPD stellte sechs, die CDU drei, FDP und BDV je zwei<br />

Mitglieder. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte zunächst die Wahl e<strong>in</strong>er verfassungsgebenden Versammlung<br />

gefordert, erklärte sich dann aber nach Gesprächen mit der SPD-<br />

169 Im Bewusstse<strong>in</strong> der Bevölkerung dagegen spielte die Verfassungsdebatte nur e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Rolle, vgl.<br />

Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 233; Hans Jansen und Renate Meyer-<br />

Braun, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 118.<br />

170 Siehe zur Entstehung der Bremer Verfassung ausführlich: Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese. <strong>Die</strong><br />

Entstehung der Landesverfassung der Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong> vom 21. Oktober 1947, Frankfurt a.<br />

M./Berl<strong>in</strong>/Bern/New York/Paris/Wien 1993. Kr<strong>in</strong>ge untersucht auch die Positionen der <strong>KPD</strong> ausführlich.<br />

Eher aus staatsrechtlicher Sicht: Alexander Kessler, <strong>Die</strong> Entstehung der Landesverfassung der<br />

Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong> vom 21. Oktober 1947. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der rechtswissenschaftlichen<br />

Doktorwürde der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität<br />

Freiburg, <strong>Bremen</strong> 1996. Zusammenfassend: Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />

a.a.O., S. 232ff.; Hans Jansen und Renate Meyer-Braun, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 118ff.;<br />

Inge Marßolek, Entstehung der bremischen Landesverfassung vom 21. Oktober 1947, <strong>in</strong>: Volker Krön<strong>in</strong>g,<br />

Günter Pottschmidt, Ulrich K. Preuß, Alfred R<strong>in</strong>ken (Hrsg.): Handbuch der Bremischen Verfassung,<br />

Baden-Baden 1991, S. 43-65.<br />

171 Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese, a.a.O., S. 68.


46<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

Führung bereit, die Wahl durch die Bürgerschaft nach e<strong>in</strong>em durch den Stimmenanteil<br />

der Parteien bestimmten Schlüssel zu akzeptieren. 172<br />

Der Deputation lagen, als sie ihre Beratungen am 2. April 1947 aufnahm, <strong>in</strong>sgesamt<br />

vier Verfassungsentwürfe von SPD, CDU, <strong>KPD</strong> und des Senats vor. 173 <strong>Die</strong><br />

<strong>KPD</strong> hatte ihren Entwurf bereits Ende Februar 1947 v<strong>org</strong>elegt. 174 Er basierte weitgehend<br />

auf der von der SED im November 1946 v<strong>org</strong>eschlagenen gesamtdeutschen<br />

Verfassung und wies nur unwesentliche Unterschiede zu den von der Partei <strong>in</strong> anderen<br />

Ländern und Besatzungszonen v<strong>org</strong>elegten Entwürfen auf. 175 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> betonte<br />

im Vorwort, »dass die Bildung selbständiger Länder von uns nicht befürwortet<br />

wird, weil wir dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Gefahr für die E<strong>in</strong>heit des Reiches sehen« 176 und betrachtete<br />

ihren Verfassungsentwurf als »unvermeidlichen Tribut an die politische<br />

Realität« 177. Entsprechend der Prämisse der »Reichse<strong>in</strong>heit« bestimmte gleich der<br />

erste Artikel des Entwurfs das Land <strong>Bremen</strong> als »e<strong>in</strong> Glied der Deutschen Demokratischen<br />

Republik«. 178<br />

Als Staats- und Regierungsform strebte die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e parlamentarische Demokratie<br />

an, mit dem Volk als obersten Souverän, dessen Willen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mit großer<br />

Machtfülle ausgestatteten Landesparlament zum Ausdruck kommen sollte. 179 <strong>Die</strong><br />

Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive sollte aufgehoben werden,<br />

»das Parlament übt alle Hoheitsrechte im Auftrage des Volkes aus und ist die<br />

höchste Körperschaft des Landes«. 180 <strong>Die</strong>s betraf auch die Judikative: Berufs- und<br />

Laienrichter sollten durch das Parlament gewählt und auch entlassen werden kön-<br />

172 So die Darstellung von Willy Knigge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Org- und Polleitersitzung am 6. August 1947 (<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong><br />

zur neuen Bremer Verfassung, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/6). <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> begründete die Forderung nach der Wahl<br />

e<strong>in</strong>er verfassungsgebenden Versammlung mit dem »Interesse der Demokratisierung unseres Volkes«.<br />

»<strong>Die</strong> Schaffung e<strong>in</strong>er Verfassung ist von so e<strong>in</strong>schneidender Bedeutung für unsere weitere Zukunft,<br />

dass wir es für gefährlich halten, so etwas <strong>in</strong> Eile durchzupeitschen«, hieß es <strong>in</strong> dem Brief an die SPD<br />

mit der E<strong>in</strong>ladung zu der Aussprache. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> vermutete e<strong>in</strong>e beabsichtigte Beschleunigung der Bildung<br />

e<strong>in</strong>es westlichen, föderalistischen Separatstaates durch die amerikanische Militärregierung (Brief<br />

<strong>KPD</strong> an das Sekretariat der SPD, Ortsvere<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>: Geme<strong>in</strong>same Aussprache, 28. Februar 1947, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 10/20/16). <strong>Die</strong> SPD lehnte e<strong>in</strong>e Wahl unter H<strong>in</strong>weis auf die <strong>org</strong>anisatorischen und logistischen<br />

Schwierigkeiten ab. »Des weiteren erklärten uns die SPD-Genossen«, so Knigge, »wir brauchen<br />

nicht daran zu zweifeln, die neue Verfassung wird e<strong>in</strong>e sozialistische se<strong>in</strong>«.<br />

173 Siehe zu den e<strong>in</strong>zelnen Verfassungsentwürfen ausführlich Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese,<br />

a.a.O., S. 113ff. Der Entwurf des Senats - der schließlich die Grundlage der Beratungen <strong>in</strong> der Verfassungsdeputation<br />

bildete - stammte von Justizsenator Theodor Spitta (BDV), der schon die Bremer Verfassung<br />

von 1920 ausgearbeitet hatte.<br />

174 Verfassungsentwurf der <strong>KPD</strong> für das Land <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/6. Der Entwurf war zuvor zum<strong>in</strong>dest<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Stadtteil<strong>org</strong>anisationen der Partei diskutiert worden. Von den Stadtteilen Oslebshausen<br />

und Mitte liegen Änderungsvorschläge vor (<strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/19).<br />

175 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1689ff.<br />

176 Verfassungsentwurf der <strong>KPD</strong> für das Land <strong>Bremen</strong>, a.a.O., Vorwort.<br />

177 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 233.<br />

178 Verfassungsentwurf der <strong>KPD</strong> für das Land <strong>Bremen</strong>, a.a.O., Artikel 1.<br />

179 Siehe zur Zusammenfassung und Analyse des Verfassungsentwurfs die Darstellungen bei Wolfgang<br />

Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese, a.a.O., S. 122ff. und Alexander Kessler, <strong>Die</strong> Entstehung der Landesverfassung,<br />

a.a.O., S. 215.<br />

180 Verfassungsentwurf der <strong>KPD</strong> für das Land <strong>Bremen</strong>, a.a.O., Vorwort.


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 47<br />

nen. 181 Auf wirtschaftspolitischem Gebiet forderte der Entwurf e<strong>in</strong>e weitgehende<br />

Verstaatlichung vor allem von Großkonzernen, Banken und Energievers<strong>org</strong>ungsunternehmen<br />

sowie die Enteignung von »Kriegsverbrechern, Kriegstreibern und<br />

Kriegsgew<strong>in</strong>nlern«. 182 Sonstige Kle<strong>in</strong>- und Handelswirtschaft sollte »<strong>in</strong> der Entfaltung<br />

ihrer privaten Initiative frei im Rahmen der Gesetze« se<strong>in</strong>. 183 Zentral und »äußerst<br />

wichtig« 184 war für die <strong>KPD</strong> die E<strong>in</strong>führung der paritätischen Mitbestimmung<br />

für Betriebsräte und Gewerkschaften <strong>in</strong> den Betrieben 185 sowie die Schaffung e<strong>in</strong>er<br />

paritätisch besetzten geme<strong>in</strong>samen Wirtschaftskammer 186. Gesellschaftspolitisch<br />

standen das Schulsystem, das Verhältnis zwischen Staat und Religion sowie die<br />

Forderung nach voller Gleichberechtigung der Frauen im Mittelpunkt. 187<br />

In vielen dieser Punkte stimmte die <strong>KPD</strong> mit den Vorstellungen der SPD übere<strong>in</strong>,<br />

188 und es waren schließlich nur die beiden Arbeiterparteien, die den am 23. Juli<br />

1947 <strong>in</strong> der Verfassungsdeputation verabschiedeten und der Bürgerschaft v<strong>org</strong>elegten<br />

Entwurf unterstützten. CDU und BDV lehnten ihn ab, die FDP enthielt sich der<br />

Stimme. 189 <strong>Die</strong> Ablehnung der bürgerlichen Parteien basierte im wesentlichen auf<br />

dem Dissens über das Verhältnis von öffentlichen Schulen und Religion sowie über<br />

die Frage der Mitbestimmung <strong>in</strong> den Betrieben. <strong>KPD</strong> und SPD hatten im Deputationsentwurf<br />

den Artikel 47 durchgesetzt, der den Betriebsräten die volle paritätische<br />

Mitbestimmung »<strong>in</strong> allen wirtschaftlichen, sozialen und personellen Fragen des Betriebes«<br />

garantierte.<br />

<strong>Die</strong> Bürgerschaft behandelte den Entwurf am 31. Juli und 1. August 1947. 190 <strong>Die</strong><br />

<strong>KPD</strong> hatte <strong>in</strong>zwischen ihre Zustimmung zu dem vorliegenden Entwurf wieder <strong>in</strong><br />

Zweifel gezogen. In e<strong>in</strong>em nach Darstellung von Wilhelm Knigge angeblich e<strong>in</strong>en<br />

Tag vor der Bürgerschaftssitzung an die SPD geschickten Brief hieß es, man sei<br />

»nach e<strong>in</strong>gehenden Beratungen unserer Partei und der Bürgerschaftsfraktion [...] zu<br />

dem Entschluss gekommen, dass e<strong>in</strong>ige Punkte geändert werden müssen«. Man<br />

dürfe »gewisse Kompromissvorschläge nicht aufrechterhalten, die nur vertretbar<br />

gewesen wären, wenn e<strong>in</strong>ige der bürgerlichen Parteien ihre Zustimmung gegeben<br />

hätten«. Der Brief nannte mehrere Änderungsvorschläge, die unter anderem das<br />

Verbot der Bildung von Monopolen, die Streikrechte der Arbeiter und die Aufhebung<br />

der Gewaltenteilung festschreiben sollten. Sollte die SPD-Fraktion diesen<br />

181 Ebenda, Artikel 45-47.<br />

182 Ebenda, Artikel 59.<br />

183 Ebenda, Artikel 56.<br />

184 Ebenda, Vorwort.<br />

185 Ebenda, Artikel 58.<br />

186 Ebenda, Artikel 55.<br />

187 Ebenda, Artikel 64-76 und 4.6.<br />

188 Zum Entwurf der SPD Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese, a.a.O., S. 127ff.; Abdruck ebenda, S. 215ff.<br />

189 Siehe zum Verlauf der Diskussionen <strong>in</strong> der Verfassungsdeputation ebenda, S. 133ff.; Alexander Kessler,<br />

<strong>Die</strong> Entstehung der Landesverfassung, a.a.O., S. 221ff.; Hans Jansen und Renate Meyer-Braun,<br />

<strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 120ff.<br />

190 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 31. Juli 1947, S. 253ff.; Verhandlungen der Bremischen<br />

Bürgerschaft, 1. August 1947, S. 285ff. Zusammenfassend Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese, a.a.O.,<br />

S. 163ff., Alexander Kessler, Entstehung der Landesverfassung, a.a.O., S. 251ff.


48<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

Vorschlägen nicht zustimmen, »müssen wir das Abstimmungsergebnis <strong>in</strong> der Verfassungsdeputation<br />

als unverb<strong>in</strong>dlich betrachten und s<strong>in</strong>d gezwungen, dem bisher<br />

vorliegenden Entwurf unsere Zustimmung zu versagen«. 191<br />

Tatsächlich stimmte die <strong>KPD</strong> schließlich <strong>in</strong> der Bürgerschaft gegen die Verfassung.<br />

192 Vorausgegangen waren zweitägige <strong>in</strong>tensive Verhandlungen, <strong>in</strong> deren<br />

Verlauf die SPD den bürgerlichen Parteien Zugeständnisse h<strong>in</strong>sichtlich des Mitbestimmungsartikels<br />

47 machte, der nun nur noch e<strong>in</strong>e paritätische Mitbestimmung<br />

<strong>in</strong> sozialen Fragen festschrieb. <strong>Die</strong> Erweiterung um personelle und wirtschaftliche<br />

Bereiche sollte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mit der Volksabstimmung verbundenen Sondervotum entschieden<br />

werden. Gleichzeitig waren aber mit Unterstützung der SPD auch e<strong>in</strong>ige<br />

Änderungsanträge der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Entwurf aufgenommen worden, u.a. <strong>in</strong> Artikel<br />

41 das Verbot von Wirtschaftsmonopolen. 193 <strong>Die</strong><strong>KPD</strong>warabergescheitertmitihren<br />

Forderungen zur Aufhebung der Gewaltenteilung und zum Streikrecht bzw.<br />

Aussperrungsverbot. Beides führte Rudolf Rafoth zur Begründung der Ablehnung<br />

der gesamten Verfassung an. Er warf der SPD vor, »<strong>in</strong> diesen wesentlichen Punkten«<br />

trotz gegenteiliger Zusagen Konzessionen an die bürgerlichen Parteien gemacht<br />

zu haben.<br />

»Wir glauben nicht, diese Konzessionen mitmachen zu können. Wir s<strong>in</strong>d davon überzeugt,<br />

dass die Rechte der Bevölkerung im Parlament <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie gewahrt werden müssen, und<br />

wir können diese Gewaltenteilung, die den Senat außerhalb der Bürgerschaft stellt, nicht<br />

mitmachen, genau so wenig, wie wir etwa e<strong>in</strong> Aussperrungsrecht der Unternehmer gegenüber<br />

den Arbeitnehmern vertreten können [...].« 194<br />

Der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Carl Stockh<strong>in</strong>ger warf der <strong>KPD</strong><br />

daraufh<strong>in</strong> vor, nur auf Anweisung von »höherer Stelle« ihre Zustimmung zum Verfassungsentwurf<br />

zurückgezogen zu haben. <strong>Die</strong> Änderungsvorschläge seien nicht<br />

auf »sozialistische Grundsätze« zurückzuführen, »sondern re<strong>in</strong> taktische Manöver«.<br />

195<br />

191 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> zur neuen Bremer Verfassung, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/6.<br />

192 Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese, a.a.O., S. 163ff.<br />

193 Ebenda, S. 164.<br />

194 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 1. August 1947, S. 294f. Siehe auch die ausführliche Begründung<br />

der Ablehnung <strong>in</strong> Verfassungsfragen s<strong>in</strong>d Machtfragen, Tribüne der Demokratie, 1. Jahrgang<br />

Nr. 28, Erste August-Woche 1947.<br />

195 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 1. August 1947, S. 296. E<strong>in</strong> ähnlicher Vorwurf kam aus<br />

den Reihen der Gewerkschaften. E<strong>in</strong> Bericht der Industriegewerkschaft für das graphische Gewerbe<br />

und Papierverarbeitung behauptete, die Rücknahme der Zustimmung der <strong>KPD</strong> zur Verfassung sei dadurch<br />

zu erklären, »dass e<strong>in</strong> ›Fachmann‹ aus Berl<strong>in</strong> im Zuhörerraum der Bürgerschaft anwesend war,<br />

und von hier aus die <strong>KPD</strong>-Fraktion zwang, gegen ihre Überzeugung zu stimmen«. (Der Kampf um die<br />

Verfassung, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/6). In der Tat war der Me<strong>in</strong>ungsumschwung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>nerhalb von<br />

nur e<strong>in</strong>er Woche nicht gänzlich nachvollziehbar. Auch wenn die Begründung, die SPD habe zu weitreichende<br />

Zugeständnisse an die Bürgerlichen gemacht, stichhaltig und nicht von der Hand zu weisen<br />

war: Viele der Bestimmungen - vor allem die h<strong>in</strong>sichtlich der Gewaltenteilung - hätte die <strong>KPD</strong> bereits<br />

<strong>in</strong> der Verfassungsdeputation ablehnen können. Willy Knigge hatte den Prozess des Me<strong>in</strong>ungswandels<br />

ebenfalls nur mit der Klausel »nach e<strong>in</strong>gehenden Beratungen« beschrieben (s.o.). Wilhelm Meyer-Buer<br />

bezeichnet die Ablehnung aus heutiger Sicht als »Fehler«, man habe immerh<strong>in</strong> »e<strong>in</strong>iges durchbekommen«<br />

und hätte die Verfassung als Fortschritt gegenüber der Weimarer Verfassung und dem National-


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 49<br />

Neben der <strong>KPD</strong> stimmten auch CDU und BDV gegen die Verfassung, die somit<br />

zunächst nur von SPD und FDP unterstützt wurde. Nach weiteren, auch aufgrund<br />

von Änderungswünschen der amerikanischen Besatzungsregierung zustande gekommenen<br />

Zugeständnissen der SPD <strong>in</strong> der Schulfrage und h<strong>in</strong>sichtlich des Mitbestimmungsartikels,<br />

stimmten aber schließlich am 15. September 1947 auch CDU<br />

und BDV für den Verfassungsentwurf. 196 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> blieb bei ihrer Ablehnung, forderte<br />

aber dazu auf, <strong>in</strong> dem Sonderentscheid über Artikel 47 mit ›Ja‹, also für das<br />

volle Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte zu stimmen. 197<br />

Der Volksentscheid über die neue Verfassung <strong>in</strong>klusive des Sondervotums über<br />

den Mitbestimmungsartikel fand zusammen mit der Bürgerschaftswahl am 12. Oktober<br />

1947 statt. Der Verfassungsentwurf fand e<strong>in</strong>e breite Mehrheit von 72,5 Prozent,<br />

knapp fiel dagegen mit 52,3 Prozent das Votum für die volle Mitbestimmung<br />

aus. 198 Erschreckend schwach war die Wahlbeteiligung von rund 67 Prozent (1946:<br />

85 Prozent). 199 Von der niedrigen Wahlbeteiligung waren offenbar vor allem SPD<br />

und <strong>KPD</strong> betroffen. <strong>Die</strong> Stimmenanteil der <strong>KPD</strong> sank im Vergleich zu 1946 um 2,7<br />

Prozentpunkte und lag nun bei 8,8 Prozent. Ihre absolute Stimmenzahl, die aufgrund<br />

des unterschiedlichen Wahlrechts 200 nicht mit 1946 vergleichbar war, betrug<br />

19.290. <strong>Die</strong> SPD verlor gegenüber 1946 knapp sechs Prozentpunkte und kam auf e<strong>in</strong>en<br />

Anteil von 41,7 Prozent (91.235 absolut). 201<br />

Trotz der relativen Stimmenverluste von SPD und <strong>KPD</strong> behielten die beiden Arbeiterparteien<br />

mit <strong>in</strong>sgesamt 56 Mandaten <strong>in</strong> der neu gewählten Bürgerschaft die<br />

Mehrheit der Sitze. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte - aufgrund des veränderten Wahlrechts - ihre<br />

Mandatszahl auf zehn steigern können, die SPD erhielt 46 Sitze. 202<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> forderte sofort nach der Wahl, die immer noch vorhandene »Arbeitermehrheit«<br />

zu nutzen. <strong>Die</strong> Stimmenverluste für <strong>KPD</strong> und SPD sowie die niedrige<br />

Wahlbeteiligung seien auf die Nichtanwendung »der Politik der sozialistischen<br />

Mehrheit« zurückzuführen. Beide Arbeiterparteien hätten nun »dafür S<strong>org</strong>e zu tragen,<br />

dass die angenommene Verfassung <strong>in</strong> allen fortschrittlichen Teilen auch im Interesse<br />

der Werktätigen angewandt wird«. <strong>Die</strong>s gelte besonders für den Artikel 47.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> sei bereit, »ihr volles Maß an Verantwortung zu übernehmen, muss aber<br />

fordern, dass Maßnahmen getroffen und durchgeführt werden, die im Interesse der<br />

sozialismus begreifen müssen. »Aber wir haben den Grundwert der Verfassung eigentlich zu sehr gemessen<br />

an dem, was nicht here<strong>in</strong>gekommen war.« (Interview Meyer-Buer, 2).<br />

196 Wolfgang Kr<strong>in</strong>ge, Verfassungsgenese, a.a.O., S. 166ff. Der von der US-Militärregierung erzwungene<br />

Kompromiss <strong>in</strong> der Mitbestimmungsfrage bestand <strong>in</strong> dem Zusatz e<strong>in</strong>es Passus, der den Landesartikel<br />

unter den Vorbehalt eventuell später erfolgender zentraler Regelungen stellte.<br />

197 Siehe die Rede von Rudolf Rafoth <strong>in</strong> der abschließenden Bürgerschaftssitzung (Verhandlungen der<br />

Bremischen Bürgerschaft, 15. September 1947, S. 319ff); Der Verfassung e<strong>in</strong> »Ne<strong>in</strong>« - Dem Mitbestimmungsrecht<br />

e<strong>in</strong> »Ja«, Tribüne der Demokratie, 1. Jahrgang, Nr. 32, Dritte September-Woche 1947.<br />

198 Zahlen nach Weser-Kurier, 14. Oktober 1947.<br />

199 Hans Jansen und Renate Meyer-Braun, <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit, a.a.O., S. 90, 132f.<br />

200 1947 kam erstmals das Verhältniswahlrecht zur Anwendung.<br />

201 Re<strong>in</strong>hold Roth und Peter Seibt (Hrsg.), Etablierte Parteien im Wahlkampf. Studien zur Bremer Bürgerschaftswahl<br />

1975, Meisenheim am Glan 1979.<br />

202 <strong>Die</strong> übrige Sitzverteilung: CDU: 24, BDV: 15, FDP: 2, DP: 3 (Handbuch der Bremischen Bürgerschaft,<br />

a.a.O., S. 16).


50<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

wirklich schaffenden Bevölkerung liegen«. 203 Später konkretisierte die <strong>KPD</strong> die<br />

Forderung nach e<strong>in</strong>er Arbeiterregierung, schlug der SPD e<strong>in</strong> Sofortprogramm 204<br />

vor und versuchte, der Forderung nach e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Koalition durch Resolutionen<br />

von Betriebsbelegschaften und Gewerkschaftsversammlungen Nachdruck<br />

zu verleihen. 205 <strong>Die</strong> Idee e<strong>in</strong>er SPD/<strong>KPD</strong>-Koalition war durchaus populär, 206 die<br />

SPD wollte jedoch »das Wagnis e<strong>in</strong>es L<strong>in</strong>kssenats« nicht e<strong>in</strong>gehen. 207 Es war vor allem<br />

Wilhelm Kaisen, der sich bereits kurz nach der Wahl gegen e<strong>in</strong> solches Bündnis<br />

aussprach, da er es für f<strong>in</strong>anziell und wirtschaftlich riskant hielt und es nicht se<strong>in</strong>em<br />

Konzept des Bündnisses von Arbeiterschaft und Bürgertum entsprach. Kaisen<br />

hielt die <strong>KPD</strong> für »unzuverlässig« und bezeichnete sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kurz nach der Wahl<br />

gehaltenen Referat als e<strong>in</strong>e »faschistisch-kapitalistische Partei«, die »nicht mehr für<br />

die Interessen der Arbeiterschaft, sondern ganz bewusst für die Interessen e<strong>in</strong>er<br />

fremden Macht e<strong>in</strong>trete«. 208<br />

<strong>Die</strong> Bildung des Senats zog sich ungewöhnlich lange h<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> erklärte im<br />

Dezember 1947 ihre Bereitschaft, unter bestimmten Bed<strong>in</strong>gungen auch e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit<br />

mit den bürgerlichen Parteien zuzustimmen oder sogar e<strong>in</strong>e SPD-<br />

M<strong>in</strong>derheitsregierung zu unterstützen. 209 Es kam jedoch schließlich am 22. Januar<br />

1948 zur Bildung e<strong>in</strong>er Koalition von SPD und BDV, ohne Beteiligung der <strong>KPD</strong>. <strong>Die</strong><br />

BDV hatte zuvor e<strong>in</strong> Ausscheiden der Kommunisten aus dem Senat zur Bed<strong>in</strong>gung<br />

für e<strong>in</strong>e Koalitionsbeteiligung gemacht. 210<br />

<strong>Die</strong> Verweigerung e<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ksregierung durch die SPD und die Ablehnung der<br />

Verfassung durch die <strong>KPD</strong> als e<strong>in</strong>zige der relevanten Parteien <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> markierten<br />

für die Bremer Kommunisten den Beg<strong>in</strong>n der politischen und gesellschaftlichen<br />

Isolation. <strong>Die</strong> Ablehnung fast aller von ihr propagierten Veränderungen am Verfassungsentwurf<br />

von Seiten der SPD und der bürgerlichen Parteien machte das Scheitern<br />

des seit <strong>1945</strong> verfolgten antifaschistisch-demokratischen Blockkonzepts deutlich.<br />

211 <strong>Die</strong> Bremer Situation - wie auch die <strong>in</strong> den anderen Ländern der westlichen<br />

203 Erklärung der <strong>KPD</strong> zur Wahl und zum Volksentscheid im Lande <strong>Bremen</strong> [13.10.1947], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/3.<br />

<strong>Die</strong> Erklärung wurde abgedruckt <strong>in</strong> Nutzt die Arbeitermehrheit, Tribüne der Demokratie, Dritte Oktober-<br />

Woche 1947. Siehe dort ebenfalls Verpflichtung!.<br />

204 Vorschläge der Kommunistischen Partei für die zukünftige Regierungs-Politik, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/9.<br />

205 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 236.<br />

206 <strong>Die</strong>s zeigten die Resolutionen. Vgl. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 408<br />

(Endnote 168). Unter anderem hatte sich die Delegiertenversammlung der IG Metall dafür ausgesprochen.<br />

207 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 236.<br />

208 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 59; Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />

a.a.O., S. 236, 408 (Endnote 170).<br />

209 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 11. Dezember 1947, S. 31ff.<br />

210 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 59; Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung,<br />

a.a.O., S. 237.<br />

211 Vgl. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 236, 247. Es soll nach der Wahl<br />

vom 12. Oktober Stimmungen <strong>in</strong> der Partei gegeben haben, »die e<strong>in</strong>e Rückkehr zur kommunistischen<br />

Tradition der Weimarer Republik forderten« (ebenda, S. 247).


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 51<br />

Besatzungszonen - 212 reflektierte dabei die veränderten deutschland- und weltpolitischen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen. Mit der im März 1947 verkündeten »Truman-Doktr<strong>in</strong>« und<br />

der ihr kurze Zeit später als »ökonomische(s) Pendant« 213 folgenden Marshall-Plan-<br />

Initiative 214 war der Kalte Krieg ausgebrochen. <strong>Die</strong> amerikanische Außenpolitik<br />

zielte jetzt offen auf die E<strong>in</strong>dämmung des sowjetischen bzw. kommunistischen E<strong>in</strong>flusses.<br />

Anlässlich der Gründung des »Kommunistischen Informationsbüros«<br />

(Kom<strong>in</strong>form) durch die europäischen kommunistischen Parteien proklamierte die<br />

Sowjetunion im September 1947 ihrerseits die Teilung der Welt <strong>in</strong> zwei Lager: e<strong>in</strong>es<br />

»antiimperialistischen und demokratischen« unter Führung der Sowjetunion und<br />

e<strong>in</strong>es »imperialistischen und antidemokratischen« unter Führung der USA. 215<br />

»Damit waren die Grundlagen für die Arbeit der <strong>KPD</strong> vollständig verändert. Sie<br />

war nicht länger die Partei der Anti-Hitler-Koalition, und sie konnte sich nicht<br />

mehr als potentielle Regierungspartei <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es gesamtdeutschen antifaschistisch-demokratischen<br />

Blocks verstehen. Nunmehr war sie Oppositionspartei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

sich herausbildenden Weststaat, dessen Gründung sie bekämpfte.« 216<br />

Mit dem Ausscheiden aus dem Senat hatten sich diese veränderten Bed<strong>in</strong>gungen<br />

für die Bremer <strong>KPD</strong> bereits manifestiert. Es folgten bald erste Repressionen der<br />

amerikanischen Militärregierung. Nach der Währungsreform im Juni 1948 wurde<br />

erstmals die kommunistische Parteizeitung Tribüne der Demokratie verboten. 217 Im<br />

November 1947 untersagte die Militärregierung die öffentliche Betätigung der »Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

SED-<strong>KPD</strong>«. 218 Anlass war die Anmeldung e<strong>in</strong>er Versammlung<br />

212 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war spätestens im Juli 1948 aus allen Länderregierungen ausgeschieden. Siehe die Übersicht<br />

<strong>in</strong> Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 79f.<br />

213 Ernst-Ulrich Huster, Gerhard Kraiker, Burkhard Scherer, Friedrich-Karl Schlotmann und Marianne<br />

Welteke, Determ<strong>in</strong>anten der westdeutschen Restauration <strong>1945</strong>-1949, 2. Auflage, Frankfurt a.M. 1973, S.<br />

63. Dort auch die Reden von Harry S. Truman am 12. März vor dem amerikanischen Kongress (S.<br />

335ff.), und John W. Marshall am 5. Juni 1947 (S. 341ff.).<br />

214 Zur Stellung der <strong>KPD</strong> zum Marshall-Plan siehe Thomas Hartnagel und Arnold Sywottek, <strong>KPD</strong>, SED<br />

und der Marshall-Plan, <strong>in</strong>: Der Marshall-Plan und die europäische L<strong>in</strong>ke, hrsg. von Othmar Nikola<br />

Haberl und Lutz Niethammer, Frankfurt a.M. 1986, S. 231-262.<br />

215 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1702.<br />

216 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP <strong>1945</strong>-1990. Zwei kommunistische Parteien <strong>in</strong> der vierten Periode<br />

kapitalistischer Entwicklung, Heilbronn 1990, S. 27.<br />

217 <strong>Die</strong> Tribüne der Demokratie war erstmals im Januar 1947 erschienen. Das Verbot im Juli 1948 erfolgte<br />

aufgrund e<strong>in</strong>es kritischen Artikels zur Währungsreform. Es galt zunächst für vier Wochen, wurde aber<br />

später auf unbestimmte Zeit verlängert. Aufgrund des Verbots sowie f<strong>in</strong>anzieller Schwierigkeiten <strong>in</strong>folge<br />

der Währungsreform konnte die Zeitung erst wieder ab Mai 1949 regelmäßig ersche<strong>in</strong>en; vgl.<br />

Hendrik Bunke (Hrsg.), Willy Hundertmark. Er<strong>in</strong>nerungen an e<strong>in</strong> widerständiges Leben, <strong>Bremen</strong> 1997,<br />

S. 54ff. Dort auch e<strong>in</strong> Abdruck des Verbots-Schreibens der Militärregierung (S. 59), außerdem: Willy<br />

Hundertmark, <strong>Die</strong> »Tribüne der Demokratie«. <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong>-Presse, <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Almut<br />

Schwerd (Hrsg.): Zeitzeugen berichten, a.a.O., S. 105ff. Willy Hundertmark (geb. 1907): Metall- und<br />

Bauarbeiter. <strong>KPD</strong> seit 1926, 1933-34 Zuchthaus und KZ, seit 1939 <strong>Bremen</strong>, <strong>1945</strong>/46 zunächst SPD, danach<br />

<strong>KPD</strong>, 1947-1951 Chefredakteur der Bremer <strong>KPD</strong>-Zeitung »Tribüne der Demokratie«, Mitglied der<br />

Landesleitung. 1951 Entlassung als Redakteur und Funktionsverbot <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>. 1956 kurzzeitig wieder<br />

Mitglied der Landesleitung, <strong>1968</strong> Gründungsmitglied der Bremer DKP. Seit 1947 im Landesvorstand<br />

der VVN, 1983-1991 Vorsitzender, seitdem Ehrenvorsitzender, 1989 Bundesverdienstkreuz.<br />

218 <strong>Die</strong> »Sozialistische Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft SED-<strong>KPD</strong>« war im Februar 1947 als Konsequenz aus dem<br />

Scheitern der E<strong>in</strong>heitsbemühungen im Westen und der zunehmend unterschiedlichen Bed<strong>in</strong>gungen


52<br />

Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948<br />

unter dem Namen der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft, die nach Ansicht der Militärregierung<br />

»ke<strong>in</strong>e genehmigte politische Partei oder Organisation« war. 219 Ebenso wurde die<br />

Ankündigung des e<strong>in</strong>zigen Volkskongresses <strong>in</strong> den westlichen Besatzungszonen<br />

unter dem Namen der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft im Januar 1947 verboten. 220 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong><br />

hielt den Kongress schließlich am 17. und 18. Januar 1947 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord ab. 221<br />

<strong>Die</strong> politische und adm<strong>in</strong>istrative Ausgrenzung der <strong>KPD</strong> war also 1948 bereits<br />

deutlich spürbar. In den folgenden Jahren prägte der Kalte Krieg das Bewusstse<strong>in</strong><br />

der Bevölkerung und das politische Klima <strong>in</strong> der Bundesrepublik. 222 Bereits die<br />

Blockade Berl<strong>in</strong>s durch die Sowjetunion (Juni 1948 bis Mai 1949) hatte die Stellung<br />

Deutschlands als Frontstaat <strong>in</strong>nerhalb der Systemause<strong>in</strong>andersetzung verdeutlicht<br />

und damit das an die Propaganda der Nationalsozialisten anknüpfende Gefühl e<strong>in</strong>er<br />

›bolschewistischen Bedrohung‹ <strong>in</strong> den Westzonen verstärkt. E<strong>in</strong>en Höhepunkt<br />

erreichte der Kalte Krieg mit dem Ausbruch des Korea-Krieges im Juni 1950. <strong>Die</strong> öffentliche<br />

Diskussion <strong>in</strong> der Bundesrepublik konzentrierte sich auf die verme<strong>in</strong>tlichen<br />

Analogien zwischen den beiden geteilten Ländern. 223 Das ›Bedrohungsgefühl‹<br />

und die antikommunistischen Ressentiments der Bevölkerung verstärkten sich e-<br />

für SED und <strong>KPD</strong> gebildet worden. Siehe ausführlich: Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik. Ihre<br />

politische Tätigkeit und Organisation <strong>1945</strong>-1956, Köln und Opladen 1959, S. 20ff; Vere<strong>in</strong>barung von<br />

SED und <strong>KPD</strong> über die Bildung e<strong>in</strong>er sozialistischen Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft [14.2.1947], <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente,<br />

a.a.O., Bd. 1, S. 203f. <strong>Die</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft kann als letzter Versuch, die E<strong>in</strong>heitspartei <strong>in</strong><br />

den Westzonen zu etablieren, betrachtet werden. Nach e<strong>in</strong>er vorübergehenden Namensänderung und<br />

der Gründung e<strong>in</strong>es eigenen Parteivorstandes im April 1948 vollzog die <strong>KPD</strong> im Januar 1949 endgültig<br />

die formelle Trennung von der SED. Damit galt auch die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft als aufgelöst.<br />

219 Brief OMGUS an <strong>KPD</strong>, Land <strong>Bremen</strong>, 18. November 1947, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/4.<br />

220 Brief OMGUS an <strong>KPD</strong>, Land <strong>Bremen</strong>, 6. Januar 1948, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/4.<br />

221 Mit der von der SED <strong>in</strong>itiierten Volkskongressbewegung wurde <strong>in</strong> der sowjetischen Besatzungszone<br />

versucht, e<strong>in</strong> Gegengewicht zu der seit der Schaffung der Bizone immer sichtbarer werdenden Spaltung<br />

Deutschlands zu <strong>org</strong>anisieren. Der erste Volkskongress fand am 6./7. Dezember 1947 <strong>in</strong> Ost-<br />

Berl<strong>in</strong> statt. Der Kongress forderte u.a. die Bildung e<strong>in</strong>er zentralen deutschen Regierung sowie den Abschluss<br />

e<strong>in</strong>es Friedensvertrages. In den Westzonen wurde dem Volkskongress die demokratische Legitimation<br />

abgesprochen, <strong>in</strong> der sowjetischen Besatzungszone entstand aus den Volkskongressen die<br />

spätere Volkskammer; vgl. Christoph Kleßmann, <strong>Die</strong> doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte<br />

<strong>1945</strong>-1956, Gött<strong>in</strong>gen 1991 (5., überarbeitete und erweiterte Auflage), S. 202ff. In <strong>Bremen</strong>-Vegesack fand<br />

am 17. und 18. Januar 1948 der erste und e<strong>in</strong>zige Volkskongress außerhalb der SBZ statt. <strong>Die</strong> - laut Tribüne<br />

der Demokratie - 1037 Delegierten, unter ihnen Otto Grothewohl, verabschiedeten u.a. e<strong>in</strong> »Manifest<br />

des Volkskongresses für die E<strong>in</strong>heit Deutschlands und e<strong>in</strong>en gerechten Frieden«, <strong>in</strong> dem noch<br />

e<strong>in</strong>mal die Beschlüsse des Ost-Berl<strong>in</strong>er Kongresses bekräftigt wurden (Das ganze Deutschland soll es se<strong>in</strong><br />

und Manifest, Tribüne der Demokratie, 2. Jahrgang, Nr. 3, Vierte Januar-Woche 1948).<br />

222 Zu Entstehung und Verlauf des Kalten Krieges bis 1955 siehe Wilfried Loth, <strong>Die</strong> Teilung der Welt. Geschichte<br />

des Kalten Krieges 1941-1955, München 1980. E<strong>in</strong>e überblicksartige und globale E<strong>in</strong>schätzung<br />

bietet Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 1998,<br />

S. 285-323.<br />

223 Christoph Kleßmann, <strong>Die</strong> doppelte Staatsgründung, a.a.O., S. 211. Für <strong>Bremen</strong>: Karl-Ludwig Sommer,<br />

Wiederbewaffnung im Widerstreit von Landespolitik und Parteil<strong>in</strong>ie. Senat, SPD und die Diskussion<br />

um die Wiederbewaffnung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und im Bundesrat 1948/49 bis 1957/58, <strong>Bremen</strong> 1988, S. 49.


Der kurze Prolog: <strong>1945</strong>-1948 53<br />

norm. 224 Gleichzeitig setzten nun auch massive staatliche und juristische Maßnahmen<br />

gegen die <strong>KPD</strong> und ihre sogenannten »Tarn<strong>org</strong>anisationen« e<strong>in</strong>.<br />

Der Antikommunismus wurde <strong>in</strong> der Bundesrepublik zur »konsensfähigen Integrationsideologie«<br />

225, deren Funktion ke<strong>in</strong>eswegs nur die Abwehr e<strong>in</strong>es verme<strong>in</strong>tlichen<br />

äußeren Fe<strong>in</strong>des war. Ihre primäre Bedeutung lag <strong>in</strong> den <strong>in</strong>nenpolitischen<br />

und <strong>in</strong>nergesellschaftlichen Funktionen. Antikommunismus diente als außerordentlich<br />

wirksames »soziales Diszipl<strong>in</strong>ierungsmittel« 226, <strong>in</strong>dem er die <strong>in</strong>nere soziale<br />

Frage <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e äußere politische verwandelte, das eigene wirtschaftliche und<br />

politische System legitimierte und jegliche l<strong>in</strong>ke Kritik daran als ›kommunistisch‹<br />

diskreditierte. 227 Antikommunismus und se<strong>in</strong>e praktische Fortsetzung auf juristischer<br />

Ebene wurden zum erfolgreichen Mittel allgeme<strong>in</strong>er staatlicher Repression,<br />

die eben nicht nur Kommunisten betraf.<br />

Das primäre Angriffsziel des antikommunistischen Konsens <strong>in</strong>nerhalb der Bundesrepublik<br />

aber war die <strong>KPD</strong>, die sich im Kalten Krieg vorbehaltlos auf die Seite<br />

der Sowjetunion und der DDR stellte. Dadurch wurde sie als Verkörperung des äußeren<br />

Fe<strong>in</strong>des im Inneren wahrgenommen und für dessen Politik mitverantwortlich<br />

gemacht. Besonders galt dies für die Politik der SED und der DDR. <strong>Die</strong> nachfolgend<br />

geschilderte Entwicklung der <strong>KPD</strong> ab 1948 - beg<strong>in</strong>nend mit den <strong>in</strong>nerparteilichen<br />

Umstrukturierungsprozessen - kann nur vor dem H<strong>in</strong>tergrund dieser <strong>in</strong> allen gesellschaftlichen<br />

und politischen Bereichen wirksamen Konstellationen des Kalten<br />

Krieges nachvollzogen werden. <strong>Die</strong> Isolation der Partei war dabei allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />

nur von außen verursacht.<br />

224 Bei e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> der amerikanischen Besatzungszone im Oktober 1950 durchgeführten Umfrage sprachen<br />

sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 61 Prozent der Befragten für e<strong>in</strong> Verbot der <strong>KPD</strong> aus (Patrick Major, The Death of the<br />

<strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 274f./Tabelle 16).<br />

225 Christoph Kleßmann, <strong>Die</strong> doppelte Staatsgründung, a.a.O., S. 255.<br />

226 Werner Hofmann, Stal<strong>in</strong>ismus und Antikommunismus. Zur Soziologie des Ost-West Konflikts, Frankfurt<br />

a. M. 1967, S. 131.<br />

227 Zur Bedeutung und Funktion des Antikommunismus <strong>in</strong> der Bundesrepublik siehe die immer noch<br />

grundlegende Abhandlung von Werner Hofmann, Stal<strong>in</strong>ismus und Antikommunismus, a.a.O. Außerdem<br />

Christoph Kleßmann, <strong>Die</strong> doppelte Staatsgründung, a.a.O., S. 256f. Neuere: Patrick Major, The<br />

Death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 257ff.; Wolfgang Wipperman, Antikommunismus - Tugend oder Torheit,<br />

<strong>in</strong>: Eckart Spoo und Ra<strong>in</strong>er Butenschön (Hrsg.), Der Mensch & der Plan. E<strong>in</strong>e Jahrhundertbilanz des<br />

Kommunismus, Hamburg 2000, S. 62-70 (dort auch weitere Literaturangaben).


Kapitel 2<br />

Organisation und Struktur<br />

Ab 1948 erfolgte <strong>in</strong> der gesamten <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong> tiefgreifender Struktur- und Führungswandel.<br />

Anlässe waren der Bruch der UdSSR und des »Kommunistischen Informationsbüros«<br />

(Kom<strong>in</strong>form) mit dem von Tito geführten Jugoslawien sowie der Umbau<br />

der SED zur »Partei neuen Typus«.<br />

<strong>Die</strong> nach dem Bruch mit dem jugoslawischen »Bund der Kommunisten« <strong>in</strong> allen<br />

osteuropäischen sozialistischen Staaten e<strong>in</strong>setzende Anti-Titoismus-Kampagne<br />

richtete sich gegen Bestrebungen, e<strong>in</strong>en eigenständigen, von der Sowjetunion unabhängigen<br />

Weg zum Sozialismus durchzusetzen. Im Zuge dieser Gleichschaltung<br />

kamesdenfolgendenJahren<strong>in</strong>Ungarn,BulgarienundderTschechoslowakeizu<br />

zahlreichen Anklagen und Schauprozessen gegen führende Kommunisten. E<strong>in</strong>ige<br />

vonihnenwurdenzumTodeverurteilt. 1<br />

In der DDR gab es ke<strong>in</strong>e derartigen Schauprozesse, obwohl sie wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

geplant waren. 2 <strong>Die</strong> SED vollzog aber mit dem 1948 begonnenen Umbau zur »Partei<br />

neuen Typus« die <strong>in</strong>nere Gleichschaltung. 3 Das Konzept e<strong>in</strong>er »Partei neuen Typus«<br />

war von Len<strong>in</strong> entwickelt worden 4 und bildete die ideologische Grundlage<br />

der Parteistruktur der KPdSU. Ziel war die Schaffung e<strong>in</strong>er straff und zentralistisch<br />

geführten, e<strong>in</strong>heitlichen Kaderpartei von »Berufsrevolutionären« mit e<strong>in</strong>er möglichst<br />

großen Kampfkraft. 5 Das damit verbundene Pr<strong>in</strong>zip des »demokratischen<br />

Zentralismus« sah e<strong>in</strong>erseits die freie Wahl und Willensbildung von unten nach oben<br />

vor, gleichzeitig waren Beschlüsse und Anweisungen übergeordneter Parteie<strong>in</strong>heiten<br />

für alle Mitglieder absolut verb<strong>in</strong>dlich. In der Praxis dom<strong>in</strong>ierte letzteres,<br />

1 Vgl. Ge<strong>org</strong> Hermann Hodos, Schauprozesse. Stal<strong>in</strong>istische Säuberungen <strong>in</strong> Osteuropa 1948-54, Frankfurt<br />

a. M. / New York 1988.<br />

2 Vgl. Hermann Weber, Schauprozessvorbereitungen <strong>in</strong> der DDR, <strong>in</strong>: Hermann Weber und Ulrich Mählert<br />

(Hrsg.), Terror. Stal<strong>in</strong>istische Parteisäuberungen 1936 - 1953, Paderborn / München / Wien / Zürich<br />

1998, S. 459-486; Leo Bauer, »<strong>Die</strong> Partei hat immer recht«. Bemerkungen zum geplanten deutschen<br />

Rajkprozess, <strong>in</strong>: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung »Das Parlament«, 27/1956.<br />

3 Dazu ausführlich Andreas Malycha, <strong>Die</strong> SED. Geschichte ihrer Stal<strong>in</strong>isierung 1946-1953, Paderborn /<br />

München / Wien / Zürich, bes. S. 278ff.; Andreas Malycha, Partei von Stal<strong>in</strong>s Gnaden? <strong>Die</strong> Entwicklung<br />

der SED zur Partei neuen Typs <strong>in</strong> den Jahren 1946 bis 1950.<br />

4 Vor allem <strong>in</strong> den Schriften »Was tun?« von 1902 (<strong>in</strong>: W.I. Len<strong>in</strong>, Werke, Band 5, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1959) und<br />

»E<strong>in</strong> Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück« von 1904 (<strong>in</strong>: W.I. Len<strong>in</strong>, Werke, Band 7, Berl<strong>in</strong> (DDR)<br />

1960).<br />

5 Siehe zusammenfassend zu den historischen und theoretischen Grundlagen der »Partei neuen Typus«<br />

auch Andreas Malycha, <strong>Die</strong> SED, a.a.O., 291ff., und ders. , Partei von Stal<strong>in</strong>s Gnaden?, a.a.O., S. 31.


Organisation und Struktur 55<br />

die demokratische Komponente wurde zugunsten e<strong>in</strong>es straffen Zentralismus nahezu<br />

völlig bedeutungslos. 6<br />

Unter Stal<strong>in</strong> wurde der Begriff der »Parteisäuberung« zur »permanenten Norm<br />

<strong>in</strong>nerparteilichen Lebens« kommunistischer Parteien erhoben. 7 Geme<strong>in</strong>t war mit<br />

»Säuberung« die Entfernung verme<strong>in</strong>tlich »parteife<strong>in</strong>dlicher« Mitglieder (»Opportunisten«,<br />

»Trotzkisten«, »Reformisten« etc.). In der Praxis der 1920er Jahre führte<br />

dies <strong>in</strong> der KPdSU und den Parteien der Kom<strong>in</strong>tern zunächst lediglich zu Ausschlüssen,<br />

mit denen partei<strong>in</strong>terne Opposition ausgeschaltet und die jeweilige Parteil<strong>in</strong>ie<br />

sowie der Führungsanspruch Stal<strong>in</strong>s durchgesetzt wurde. Zwischen 1936<br />

und 1938 eskalierten die Säuberungen <strong>in</strong> der Sowjetunion zum Terror: Tatsächliche<br />

oder verme<strong>in</strong>tliche Oppositionelle wurden massenhaft liquidiert. <strong>Die</strong> Verfolgungen<br />

betrafen neben der KPdSU Mitarbeiter der Kom<strong>in</strong>tern sowie <strong>in</strong> der Sowjetunion lebende<br />

Emigranten. Auch zahlreiche deutsche Kommunisten, die vor dem Nationalsozialismus<br />

geflüchtet waren und <strong>in</strong> der UdSSR im Exil lebten, wurden Opfer des<br />

Terrors. 8 In der <strong>KPD</strong> waren die Organisationspr<strong>in</strong>zipien der KPdSU ab 1925 als<br />

verb<strong>in</strong>dlich durchgesetzt worden. 9 Seitdem hatten viele Kommunisten diese Pr<strong>in</strong>zipien<br />

und den Glauben an die Unfehlbarkeit der Parteileitungen geradezu ver<strong>in</strong>nerlicht.<br />

<strong>Die</strong> 1946 gegründete SED war zunächst <strong>org</strong>anisatorisch wie auch programmatisch<br />

ke<strong>in</strong>e marxistisch-len<strong>in</strong>istische Partei nach sowjetischem Vorbild, sondern<br />

noch deutlich »von ihrer Herkunft, dem Zusammenschluss von Kommunisten und<br />

Sozialdemokraten, geprägt«. 10 Mit der von Stal<strong>in</strong> ab 1948 forcierten Vere<strong>in</strong>heitlichung<br />

des sozialistischen Blocks wurde auch die SED <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e »Partei neuen Typus«<br />

umgewandelt. <strong>Die</strong> Anpassung wurde durchgesetzt mit Hilfe der Parteisäuberungen,<br />

<strong>in</strong> deren erster Phase 1948/49 vor allem ehemalige Sozialdemokraten aus der<br />

6 Hermann Weber, Demokratischer Zentralismus - Probleme <strong>in</strong>nerparteilicher Demokratie im deutschen<br />

Kommunismus, <strong>in</strong>: Systemwandel und Demokratisierung. Festschrift für Ossip K. Flechtheim. Herausgegeben<br />

von Christian Fenner und Bernhard Blanke, Frankfurt a.M. / Köln 1975, S. 291-308.<br />

7 Andreas Malycha, <strong>Die</strong> SED, a.a.O., S. 295. Der Begriff der »Säuberung« war bereits 1920 von der Kom<strong>in</strong>tern<br />

<strong>in</strong> ihre Statuten aufgenommen worden (Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den, Agenten,<br />

Verbrechern...? Zu den Parteisäuberungen <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> (1948 - 1952) und der Mitwirkung der SED,<br />

Berl<strong>in</strong> 1995 (=Hefte zur DDR-Geschichte 29).<br />

8 Hermann Weber und <strong>Die</strong>trich Staritz (Hrsg.), Kommunisten verfolgen Kommunisten. Stal<strong>in</strong>istischer<br />

Terror und »Säuberungen« <strong>in</strong> den kommunistischen Parteien Europas seit den dreißiger Jahren, Berl<strong>in</strong><br />

1993; Hermann Weber und Ulrich Mählert (Hrsg.), Terror, a.a.O.; Hermann Weber, »Weiße Flecken« <strong>in</strong><br />

der Geschichte. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Opfer der Stal<strong>in</strong>schen Säuberungen und ihre Rehabilitierung, Frankfurt a.M.<br />

1989.<br />

9 Hermann Weber, <strong>Die</strong> Wandlung des deutschen Kommunismus. <strong>Die</strong> Stal<strong>in</strong>isierung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der<br />

Weimarer Republik, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1969.<br />

10 <strong>Die</strong>trich Staritz, Geschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a.M. 1996, S. 62. <strong>Die</strong>ser Charakter<br />

kam <strong>org</strong>anisatorisch beispielsweise <strong>in</strong> der paritätischen Besetzung der Leitungsgremien zum<br />

Ausdruck, programmatisch <strong>in</strong> dem von Anton Ackermann (<strong>KPD</strong>) im Februar 1946 geprägten Begriff<br />

vom »besonderen deutschen Weg zum Sozialismus«. Neuere Veröffentlichungen vertreten allerd<strong>in</strong>gs<br />

die These, der Prozess der Angleichung der SED an das sowjetische Modell habe bereits 1946 begonnen,<br />

und bezeichnen dies als »schleichende Stal<strong>in</strong>isierung« (Andreas Malycha, <strong>Die</strong> SED, a.a.O., S. 136ff;<br />

Harold Hurwirtz, <strong>Die</strong> Stal<strong>in</strong>isierung der SED. Zum Verlust von Freiräumen und sozialdemokratischer<br />

Identität <strong>in</strong> den Vorständen 1946-1949, Opladen 1997).


56<br />

Organisation und Struktur<br />

Partei ausgeschlossen oder auch <strong>in</strong>haftiert wurden. Später fielen auch zahlreiche<br />

andere Oppositionelle, unter ihnen bekannte Kommunisten und Führungsmitglieder<br />

der SED wie Franz Dahlem und Paul Verner, den Säuberungen zum Opfer. 11<br />

Der <strong>org</strong>anisatorische Wandel zur »Partei neuen Typus«, die Anti-Tito-<br />

Kampagne und die damit zusammenhängenden Säuberungen betrafen auch die<br />

West-<strong>KPD</strong>. <strong>Die</strong> Entwicklung der Organisationsstruktur und die im anschließenden<br />

Kapitel dargestellten Säuberungen ließen auch die Bremer <strong>KPD</strong> zu e<strong>in</strong>er zentralistisch<br />

und bürokratisch geführten Partei werden. 12 Gleichzeitig belegen die Entwicklungen<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> aber auch e<strong>in</strong>ige strukturelle Probleme bei der Durchsetzung<br />

der »Partei neuen Typus« auf lokaler Ebene.<br />

1. <strong>Die</strong> Neugliederung der Partei<br />

<strong>Die</strong> <strong>org</strong>anisatorische Umgestaltung der <strong>KPD</strong> begann auf der Delegiertenkonferenz<br />

von Herne am 26. und 27. April 1948, die zum e<strong>in</strong>en die Umbenennung <strong>in</strong> »Sozialistische<br />

Volkspartei Deutschlands« (SVD) beschloss und zum anderen erstmalig e<strong>in</strong>en<br />

Parteivorstand für die westlichen Besatzungszonen wählte. Erster Vorsitzender<br />

wurde Max Reimann, der ebenso e<strong>in</strong>stimmig gewählt wurde wie se<strong>in</strong>e beiden<br />

Stellvertreter Kurt Müller und Walter Fisch. 13 Über die Frage e<strong>in</strong>es eigenen Parteivorstands<br />

für die drei Westzonen war bereits zuvor <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> nachgedacht worden.<br />

Walter Fisch hatte schon im Herbst 1946 e<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternes Memorandum verfasst, <strong>in</strong><br />

dem er <strong>in</strong> Bezug auf SED und <strong>KPD</strong> von »faktisch zwei Parteien verschiedenen Charakters«<br />

sprach und e<strong>in</strong> Inter-Zonen-Sekretariat forderte. 14 Tatsächlich war wohl<br />

11 Andreas Malycha, <strong>Die</strong> SED, a.a.O., S. 356.<br />

12 Zur Entwicklung dieser Strukturen auf Bundesebene vgl. Patrick Major, The death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O.,<br />

S. 194ff.<br />

13 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 27. Max Reimann (1898-1977): Spartakus, 1919<br />

<strong>KPD</strong>. Funktionär im Ruhrgebiet bis 1933. Führender Funktionär der illegalen <strong>KPD</strong> im Inland und <strong>in</strong><br />

der Emigration bis 1939. 1939 <strong>in</strong> der CSR verhaftet und Häftl<strong>in</strong>g im KZ Sachsenhausen. <strong>1945</strong> Vorsitzender<br />

der <strong>KPD</strong> Bezirk Ruhrgebiet, der Landesleitung NRW und der Zonenleitung für die britische<br />

Zone. 1948 Vorsitzender der <strong>KPD</strong> (Westzonen), MdL NRW, Mitglied des Parlamentarischen Rates,<br />

MdB 1949-1953, seit 1954 DDR wegen Haftbefehl <strong>in</strong> der BRD, 1956 1. Sekretär des ZK der <strong>KPD</strong>. 1971<br />

DKP, dort Ehrenvorsitzender. Kurt Müller (1903-1990): Führender Funktionär des KJVD und der Jugend<strong>in</strong>ternationale<br />

bis 1931, danach wegen »ultral<strong>in</strong>ker« Auffassungen von allen Funktionen abgelöst.<br />

Emigration <strong>in</strong> die SU, 1935 Rückkehr nach Deutschland und illegale Arbeit für die <strong>KPD</strong>, verhaftet und<br />

KZ Sachsenhausen. <strong>1945</strong> Vorsitzender der <strong>KPD</strong> Niedersachsen, 1948 stellvertretender Vorsitzender der<br />

<strong>KPD</strong>, 1949 MdB, 1950 bei e<strong>in</strong>em Besuch <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> verhaftet, 1953 von e<strong>in</strong>em sowjetischen Militärgericht<br />

verurteilt (das Urteil wurde 1989 aufgehoben). 1955 Rückkehr <strong>in</strong> die Bundesrepublik, Mitglied der SPD<br />

und Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Walter Fisch (1910-1966): Vor 1933 Mitglied des KJVD und<br />

der <strong>KPD</strong>. Emigration <strong>in</strong> die Schweiz, <strong>1945</strong> Vorsitzender <strong>KPD</strong> Hessen, 1948-1950 Mitglied des PV und<br />

Sekretariat der <strong>KPD</strong>, MdB 1949-1953, Vertreter der <strong>KPD</strong> im Verbotsprozess. Später Mitglied des ZK<br />

und Kandidat des Politbüros.<br />

14 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den, Agenten, Verbrechern...?, a.a.O., S. 10f.


Organisation und Struktur 57<br />

spätestens 1948 die Bildung e<strong>in</strong>es umfassenden Führungs<strong>org</strong>ans angesichts der sich<br />

immer deutlicher abzeichnenden Entwicklung e<strong>in</strong>es Separatstaates im Westen notwendig<br />

geworden. E<strong>in</strong>e Strukturierung nach Landesverbänden mit koord<strong>in</strong>ierenden<br />

Zonenvorständen hätte sich spätestens nach Gründung der Bundesrepublik als<br />

überholt und nicht zweckdienlich erwiesen, <strong>in</strong>sofern handelte es sich bei der Konferenz<br />

um e<strong>in</strong>en »Wendepunkt <strong>in</strong> der <strong>org</strong>anisatorischen Entwicklung der <strong>KPD</strong>, der<br />

zudem e<strong>in</strong>e Anpassung an die funktionalen Erfordernisse der Zukunft darstellte«. 15<br />

Nicht unumstritten war die durchaus überraschende Umbenennung der <strong>KPD</strong><br />

zur SVD. <strong>Die</strong> dazu von der Konferenz verabschiedete Entschließung begründete<br />

die Namensänderung mit der »seit <strong>1945</strong> neu entwickelten Politik«, die nicht mehr<br />

nur »die Interessen der Arbeiterklasse, sondern »die des ganzen deutschen Volkes«<br />

vertrete. 16 <strong>Die</strong>se Veränderungen seien, so Max Reimann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rede auf der<br />

Konferenz, »vielen unserer Parteigenossen sowie den Bauern, den Intellektuellen<br />

und Gewerbetreibenden nicht bewusst, da der Name unverändert geblieben ist«. 17<br />

Ob mit der Umbenennung auch e<strong>in</strong>e größere Eigenständigkeit und Unabhängigkeit<br />

von der SED beabsichtigt war, 18 oder ob, im Gegenteil, der Umbenennung der <strong>KPD</strong><br />

die der SED folgen sollte, um so auf Umwegen doch noch e<strong>in</strong>e gesamtdeutsche<br />

E<strong>in</strong>heitspartei herzustellen, 19 ist nicht geklärt. Ohneh<strong>in</strong> war die Namensänderung<br />

bald wieder h<strong>in</strong>fällig geworden: <strong>Die</strong> westlichen Besatzungsmächte verboten bereits<br />

kurze Zeit später die Benutzung des neuen Parte<strong>in</strong>amens. 20 Auch ersche<strong>in</strong>t zweifelhaft,<br />

ob sich die Abschaffung des traditionellen Parte<strong>in</strong>amens <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> selbst<br />

auf lange Sicht durchgesetzt hätte. Bereits auf der Konferenz <strong>in</strong> Herne war sie umstritten,<br />

und es gab 18 Gegenstimmen und 19 Enthaltungen. 21 In <strong>Bremen</strong> sprach<br />

sich die Mehrheit e<strong>in</strong>er Delegiertenkonferenz gegen die Umbenennung aus, obwohl<br />

sich die führenden Funktionäre dafür e<strong>in</strong>setzten. <strong>Die</strong> Gegner e<strong>in</strong>es neuen Parte<strong>in</strong>amens<br />

kamen wohl <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie aus den Reihen der »Alt-Kommunisten«, die<br />

bereits vor 1933 Mitglied geworden waren. 22<br />

15 Jens-Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 42.<br />

16 Entschließung der Herner Konferenz der <strong>KPD</strong> über die Änderung des Namens der Partei (27.4.1948), <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong><br />

<strong>1945</strong> - 1948. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 205f.<br />

17 Zit. nach Jens-Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 41.<br />

18 Ebenda.<br />

19 Herbert Crüger, Verschwiegene Zeiten. Vom geheimen Apparat der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>s Gefängnis der Staatssicherheit,<br />

Berl<strong>in</strong> 1990, S. 134f. Crüger zitiert e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>offizielle Äußerung des Jugendsekretärs im ZK der<br />

SED, Paul Verner.<br />

20 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 28.<br />

21 Herbert Crüger, Verschwiegene Zeiten, a.a.O., S. 134.<br />

22 Interview Herbert Breidbach, 2. Breidbach me<strong>in</strong>t, dass <strong>in</strong> der Mehrzahl der Bezirksverbände die Umbenennung<br />

auf Ablehnung stieß. In <strong>Bremen</strong> war die Umbenennung am 22. Mai 1948 beantragt worden<br />

(Exemplar des Antrags an die amerikanische Militärregierung <strong>in</strong> SAPMO I 10/20/4). Herbert Breidbach<br />

(geb. 1921): Kaufmännischer Angestellter. Kriegsgefangenschaft <strong>in</strong> der Sowjetunion 1943-1947, dort<br />

Antifa-Schule. <strong>KPD</strong> seit 1947, 1949-1951 Landessekretär der Bremer FDJ, ab 1951 hauptamtlicher Parteifunktionär<br />

(Abteilungsleiter Org-Instr.), 1952 Org.-Instr. Sekretär. Nach dem Verbot kurze Zeit Mitglied<br />

der illegalen Leitung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, 1962 Parteischule <strong>in</strong> Moskau, danach Tätigkeit als Instrukteur<br />

für die Bremer <strong>KPD</strong>-Bezirks<strong>org</strong>anisation, <strong>1968</strong> Gründungsmitglied der Bremer DKP, 1969-1983 Bezirksvorsitzender<br />

der DKP <strong>Bremen</strong>/Nord-West.


58<br />

Organisation und Struktur<br />

Am 3. Januar 1949 beschloss der Parteivorstand die <strong>org</strong>anisatorische Trennung<br />

von der SED. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> wurde nun endgültig zu e<strong>in</strong>er westdeutschen Partei. 23 Der<br />

Organisationsauf- und umbau wurde weiter betrieben. Bereits nach der Bildung der<br />

Länder <strong>in</strong> den westlichen Besatzungszonen hatte man begonnen, die ursprünglichen<br />

Bezirks<strong>org</strong>anisationen <strong>in</strong> Länder<strong>org</strong>anisationen umzuwandeln. Der außer für<br />

<strong>Bremen</strong> auch für das niedersächsische Umland bis h<strong>in</strong>auf an die ostfriesische Nordseeküste<br />

zuständige Bezirk <strong>Bremen</strong>/Weser-Ems existierte noch bis Januar 1949.<br />

Dann wurde als Provisorium das »Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>« gebildet, das nur<br />

noch für das Bremer Staatsgebiet zuständig war. 24 <strong>Die</strong> bisherigen der Bezirks<strong>org</strong>anisation<br />

zugehörigen Kreise im Umland fielen fortan <strong>in</strong> die Verantwortung der niedersächsischen<br />

Landesleitung. Vor allem deshalb stieß die E<strong>in</strong>schränkung des Bremer<br />

Zuständigkeitsgebietes <strong>in</strong> der Partei nicht nur auf Zustimmung. 25 Zum e<strong>in</strong>en<br />

konnten durch die größere Entfernung zum Sitz der Landesleitung <strong>in</strong> Hannover<br />

beispielsweise die ostfriesischen Kreise nicht mehr <strong>in</strong> der Weise und Häufigkeit angeleitet<br />

werden wie von <strong>Bremen</strong> aus, zum anderen bedeutete die Verr<strong>in</strong>gerung der<br />

Bezirksgröße natürlich auch e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss- und Bedeutungsverlust <strong>in</strong>nerhalb der<br />

Gesamtpartei.<br />

E<strong>in</strong>e Arbeitsgebietsleitung wurde auf dem ersten Bremer Parteitag am 11. und<br />

12. Juni 1949 gewählt. 26 Als Erster Vorsitzender wurde Willy Knigge bestätigt, se<strong>in</strong><br />

Stellvertreter wurde He<strong>in</strong>rich Nolte 27. Der <strong>in</strong>sgesamt 26-köpfigen Arbeitsgebietsleitung<br />

gehörten größtenteils Funktionäre an, die bereits vor 1933 Mitglied der <strong>KPD</strong><br />

gewesen waren. <strong>Die</strong>se Arbeitsgebietsleitung war e<strong>in</strong>er Landesleitung gleichgestellt<br />

und hatte dieselben Kompetenzen und Pflichten wie diese. 28<br />

Das Provisorium »Arbeitsgebiet« existierte bis zum Mai 1950 und wurde dann<br />

offiziell zur Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong>, was aber an den Führungsstrukturen und<br />

-mitgliedern zunächst nichts änderte, sondern nur e<strong>in</strong>e Neugliederung der unteren<br />

Parteie<strong>in</strong>heiten (Stadtteile und Wohngebietsgruppen) zur Folge hatte. Nachdem der<br />

Parteivorstand am 30. Dezember 1949 Planungsrichtl<strong>in</strong>ien zur Vorbereitung der<br />

23 In dem dazu verabschiedeten Kommuniqué heißt es u.a.: »<strong>Die</strong> besonderen Kampfbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den<br />

Westzonen Deutschlands stellen die <strong>KPD</strong> vor die Notwendigkeit der Durchführung e<strong>in</strong>er selbständigen,<br />

diesen besonderen Bed<strong>in</strong>gungen entsprechenden Politik. Daher beschließt der Parteivorstand die<br />

<strong>org</strong>anisatorische Trennung der <strong>KPD</strong> von der SED. Der Parteivorstand nimmt zur Kenntnis, dass die<br />

Mitglieder der <strong>KPD</strong>, die bisher dem Parteivorstand der SED angehörten, diese Funktion niedergelegt<br />

haben.« (Kommuniqué der 8. Tagung des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong>, 3. Januar 1949, <strong>in</strong>: Dokumente der<br />

Kommunistischen Partei Deutschlands <strong>1945</strong> - 1956, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1965 (Repr<strong>in</strong>t 1973), S. 165f. Siehe<br />

auch Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 25f.; Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und<br />

Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 33.<br />

24 Das Bremer Sekretariat beschloss diese Neuordnung formell auf e<strong>in</strong>er Sitzung am 14. Januar 1949 (Protokoll<br />

des Sekretariats der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Land <strong>Bremen</strong> am Freitag, dem 14.1.1949, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/5).<br />

25 Interview Willy Hundertmark, 1.<br />

26 Bericht des Arbeitsgebietes Land <strong>Bremen</strong> am 11. und 12. Juni 1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/4.<br />

27 He<strong>in</strong>rich Nolte (1908-1972): Schlosser. Vor 1933 SAP und SAJ. Nach <strong>1945</strong> <strong>KPD</strong>. Mitglied der Bezirksund<br />

Landesleitung der Bremer <strong>KPD</strong> bis 1951. 1947-1951 MdBB.<br />

28 Protokoll der Sekretariatssitzung der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong> am Sonntag, dem 16. Januar 1949, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/5.


Organisation und Struktur 59<br />

Leitungswahlen im Zuge des Parteiumbaus herausgegeben hatte, 29 wurden am<br />

6./7. März 1950 erstmals verb<strong>in</strong>dliche »Richtl<strong>in</strong>ien über den Aufbau und die Rolle<br />

der Kommunistischen Partei Deutschlands« verabschiedet, die den Parteiaufbau<br />

vere<strong>in</strong>heitlichen und die Führungsstruktur straffen sollten. 30 Das offizielle Parteistatut,<br />

das <strong>in</strong> weiten Teilen auf den Richtl<strong>in</strong>ien von 1950 basierte, wurde erst auf<br />

dem Parteitag 1951 beschlossen und war bis zum Verbot 1956 die formale Grundlage<br />

der Parteigliederung sowie der Führungs- und Willensbildungsstrukturen. 31 Auf<br />

der Basis dieser beiden, die Organisationsstrukturen der Parteie<strong>in</strong>heiten verb<strong>in</strong>dlich<br />

vorschreibenden Richtl<strong>in</strong>ien beschloss das Bremer Landessekretariat am 6. Mai<br />

1950 e<strong>in</strong>en »Arbeitsplan zum Aufbau der Partei im Lande <strong>Bremen</strong> und zur Durchführung<br />

der Neuwahlen«, <strong>in</strong> denen die veränderten Strukturen für die Bremer<br />

Landes<strong>org</strong>anisation detailliert beschrieben wurden. 32 Demnach ergab sich für den<br />

<strong>org</strong>anisatorischen Aufbau der <strong>KPD</strong> im Lande <strong>Bremen</strong> folgende Gliederung, die bereits<br />

der später im Statut von 1951 festgelegten entsprach.<br />

• Grund<strong>org</strong>anisationen (bis 1951 Grunde<strong>in</strong>heiten): Betriebs- und Wohngebietsgruppen sowie<br />

nicht untergliederte Ortsgruppen <strong>in</strong> den eher ländlichen Randbezirken. Betriebe mit weniger<br />

als drei Parteimitgliedern wurden als Stützpunkte geführt, deren Hauptaufgabe die Gew<strong>in</strong>nung<br />

weiterer Mitglieder war, um so die Gründung e<strong>in</strong>er Betriebsgruppe zu ermöglichen. 33<br />

<strong>Die</strong> Bildung der neuen Wohngebietsgruppen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> erfolgte aus der Auflösung der bisherigen,<br />

mehr Mitglieder umfassenden Stadtteile, wobei die neuzubildenden Gruppen 35 bis 50<br />

Mitglieder haben sollten.<br />

• In den Stadtteil<strong>org</strong>anisationen wurden die verschiedenen Grunde<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> den jeweiligen<br />

Gebieten zusammengefasst.<br />

• Drei Kreis<strong>org</strong>anisationen: <strong>Bremen</strong>-Stadt, <strong>Bremen</strong>-Nord und Bremerhaven.<br />

• <strong>Die</strong> Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong><br />

<strong>Die</strong> Kreise <strong>Bremen</strong> und <strong>Bremen</strong>-Nord waren <strong>in</strong> folgende Stadtteile gegliedert: 34<br />

Kreis <strong>Bremen</strong>-Stadt:<br />

• Stadtteil Westen (bis 1950 Stadtteile Westen, Walle und F<strong>in</strong>dorff). Sieben Betriebsgruppen<br />

und zwei sogenannte Stützpunkte. Acht Wohngebietsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt ca. 400 Mitgliedern.<br />

• Stadtteil Gröpel<strong>in</strong>gen (bis 1950 Stadtteile Gröpel<strong>in</strong>gen, Oslebshausen und Grambke). Vier Betriebsgruppen.<br />

Zehn Wohngebietsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt ca. 400 Mitgliedern.<br />

29 Festigt die Partei. Richtl<strong>in</strong>ien des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong> zur Vorbereitung und Durchführung der Neuwahl<br />

der Leitungen (30. Dezember 1949), <strong>in</strong>: Dokumente der Kommunistischen Partei Deutschlands <strong>1945</strong> -<br />

1956, a.a.O., S. 214ff.<br />

30 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1776; Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der<br />

Bundesrepublik, a.a.O., S. 65.<br />

31 Statut der <strong>KPD</strong> (1951), <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., S. 381ff. Vgl. auch <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong><br />

Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1777; Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik,<br />

a.a.O., S. 65.<br />

32 Arbeitsplan zum Aufbau der Partei im Lande <strong>Bremen</strong> und zur Durchführung der Neuwahlen (Beschluss der<br />

Sekretariatssitzung vom 6. Mai 1950), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/10.<br />

33 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 69.<br />

34 Für Bremerhaven liegen ke<strong>in</strong>e Angaben vor.


60<br />

Organisation und Struktur<br />

• Stadtteil Ostertor (bis 1950 Stadtteile Schwachhausen und Mitte). Ke<strong>in</strong>e Betriebsgruppen, e<strong>in</strong><br />

Stützpunkt. Vier Wohngebietsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt ca. 140 Mitgliedern.<br />

• Stadtteil Hemel<strong>in</strong>gen (bis 1950 Stadtteile Hemel<strong>in</strong>gen, Sebaldsbrück und Hastedt). Drei Betriebsgruppen,<br />

e<strong>in</strong> Stützpunkt. Drei Wohngebietsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt ca. 140 Mitgliedern.<br />

• Stadtteil Buntentor. Ke<strong>in</strong>e Betriebsgruppen und Stützpunkte. Vier Wohngebietsgruppen mit<br />

ca. 160 Mitgliedern.<br />

• Stadtteil Neustadt (bis 1950 Stadtteile Neustadt und Woltmershausen). Drei Betriebsgruppen.<br />

Vier Wohngebietsgruppen mit ca. 140 Mitgliedern.<br />

• Sechs nicht weiter unterteilte Ortsgruppen <strong>in</strong> Hucht<strong>in</strong>g, Grolland, Habenhausen, Osterholz-<br />

Tenever, Oberneuland und Lehesterdeich.<br />

Kreis <strong>Bremen</strong>-Nord<br />

• Stadtteil Vegesack. E<strong>in</strong>e Betriebsgruppe. Sechs Wohngebietsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt ca. 180<br />

Mitgliedern.<br />

• Stadtteil Blumenthal. E<strong>in</strong>e Betriebsgruppe, e<strong>in</strong> Stützpunkt. Drei Wohngebietsgruppen mit ca.<br />

130 Mitgliedern.<br />

• Stadtteil Grohn. E<strong>in</strong>e Betriebsgruppe. Zwei Wohngebietsgruppen mit ca. 65 Mitgliedern.<br />

• Vier nicht weiter unterteilte Ortsgruppen <strong>in</strong> Lesum (43 Mitglieder), Schönebeck (23), Farge<br />

(10) und Lemwerder (25).<br />

Bis zum Verbot 1956 blieb diese Gliederung im Pr<strong>in</strong>zip bestehen, die Zahl der<br />

Mitglieder sowie der Betriebs- und Wohngebietsgruppen allerd<strong>in</strong>gs sank teilweise<br />

drastisch ab. Ab April 1956 bekam die Landesleitung <strong>Bremen</strong> im Zuge der <strong>org</strong>anisatorischen<br />

Vorbereitung auf das drohende Verbot zusätzlich die Betreuung der<br />

vier niedersächsischen Nachbarkreise Verden, Osterholz-Scharmbeck, Hoya und<br />

Wesermünde übertragen. 35 DerZustandderPartei<strong>in</strong>diesenländlichgeprägten<br />

Gebieten war allerd<strong>in</strong>gs dürftig. Lediglich <strong>in</strong> Verden, so e<strong>in</strong> Bericht der Organisations-Abteilung<br />

im Juli 1956, gelang es, e<strong>in</strong>e Kreisleitung zu etablieren, <strong>in</strong> Osterholz-<br />

Scharmbeck sei dieses <strong>in</strong> Angriff genommen. Insgesamt sei man <strong>in</strong> diesen Kreisen<br />

aber nur <strong>in</strong> den größeren Städten tätig, »an die Bauern und ihre Probleme s<strong>in</strong>d wir<br />

bisher nicht herangekommen«. Im Kreis Hoya gab es nur 15 Parteimitglieder und <strong>in</strong><br />

Wesermünde, dem Umland von Bremerhaven, war »praktisch gar nichts mehr vorhanden«.<br />

36<br />

35 Sekretariatsvorlage der Org.-Instr.-Abteilung (9.4.1956), SAPMO I 11/20/9.<br />

36 SAPMO I 11/20/15: Bericht über die Vorbereitung und Durchführung der Neuwahlen der Parteileitungen <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> (9.7.56).


Organisation und Struktur 61<br />

2. Struktur und Entwicklung der Parteie<strong>in</strong>heiten<br />

Wohngebietsgruppen<br />

In den Wohngebietsgruppen waren die Mitglieder der Partei zusammengefasst, die<br />

nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Betrieb arbeiteten. 37 Jede Gruppe sollte <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 35 bis 50 Mitglieder<br />

umfassen, 38 e<strong>in</strong>e Zahl, die <strong>in</strong> der Praxis kaum erreicht wurde. Nach dem Parteitag<br />

im März 1951, also nach Abschluss der Mitgliederkontrolle und der Neuwahlen,<br />

gab es im Land <strong>Bremen</strong> 50 Wohngebietsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt 1.631 Mitgliedern. 39<br />

<strong>Die</strong>s entsprach e<strong>in</strong>em Durchschnitt von etwa 33 Mitgliedern pro Gruppe. Den niedrigsten<br />

Durchschnitt wies mit 135 Mitgliedern <strong>in</strong> neun Wohngebietsgruppen der<br />

Kreis <strong>Bremen</strong>-Nord auf, den höchsten der Kreis Bremerhaven (352 Mitglieder <strong>in</strong><br />

sechs Gruppen). In <strong>Bremen</strong>-Stadt, dem größten Kreis, waren 1.126 Mitglieder <strong>in</strong> 35<br />

Wohngebietsgruppen <strong>org</strong>anisiert.<br />

In den folgenden Jahren blieb die Zahl der Wohngebietsgruppen zum<strong>in</strong>dest im<br />

Kreis <strong>Bremen</strong>-Stadt 40 relativ konstant, 1955 waren noch 31 existent. 41 <strong>Die</strong> Gesamtmitgliederzahlen<br />

allerd<strong>in</strong>gs waren dabei stark gesunken.<br />

Neben dem S<strong>in</strong>ken der Mitgliederzahlen war seit Beg<strong>in</strong>n der 1950er Jahre e<strong>in</strong>e<br />

zunehmende Passivität der Mitgliedschaft und e<strong>in</strong> <strong>org</strong>anisatorischer Verfall der<br />

Grunde<strong>in</strong>heiten festzustellen. 42 Bereits 1951 stellte der damalige Leiter der Org.-<br />

Instr.-Abteilung der Landesleitung fest, dass im Kreis <strong>Bremen</strong> durchschnittlich nur<br />

etwa 10-15 Prozent der Mitgliedschaft <strong>in</strong> ihren Grunde<strong>in</strong>heiten aktiv mitarbeiteten.<br />

43 Bei e<strong>in</strong>er durchschnittlichen Gruppengröße von 33 Mitgliedern pro Gruppe<br />

bedeutete dies, dass von etwa drei bis fünf aktiven Mitgliedern pro E<strong>in</strong>heit ausgegangen<br />

werden konnte. Hochgerechnet auf die Gesamtmitgliederzahl von etwa<br />

1.500 im Kreis <strong>Bremen</strong> ergibt sich so e<strong>in</strong>e Zahl von maximal 250 Aktiven.<br />

Ende 1955 waren von <strong>in</strong>sgesamt 31 Wohngebietsgruppen im Kreis <strong>Bremen</strong><br />

zwölf ohne Leitung, weitere fünf hatten, so e<strong>in</strong> Organisationsbericht, »e<strong>in</strong>e schwa-<br />

37 <strong>Die</strong> Betriebsgruppen werden <strong>in</strong> Kapitel 5 ausführlich behandelt. Der H<strong>in</strong>weis sei hier schon gegeben,<br />

dass die Arbeiter ke<strong>in</strong>eswegs wie v<strong>org</strong>esehen immer <strong>in</strong> den Betriebsgruppen <strong>org</strong>anisiert waren, sondern<br />

viele es offenbar vorzogen, <strong>in</strong> den Wohngebietsgruppen aktiv zu se<strong>in</strong>. Dadurch ergab sich bezüglich<br />

der Mitgliederzahlen e<strong>in</strong> sehr starkes Übergewicht der Wohngebietsgruppen im Vergleich zu den<br />

- <strong>in</strong> der Parteiprogrammatik allgeme<strong>in</strong> als wichtiger e<strong>in</strong>gestuften - Betriebsgruppen. 1950 etwa betrug<br />

dieses Verhältnis im Land <strong>Bremen</strong> ca. 4:1. <strong>Die</strong>s war e<strong>in</strong> bundesweites Problem der <strong>KPD</strong>. Vgl. auch<br />

Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 71.<br />

38 Arbeitsplan zum Aufbau der Partei im Lande <strong>Bremen</strong> und zur Durchführung der Neuwahlen (Beschluss der<br />

Sekretariatssitzung vom 6. Mai 1950), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/10.<br />

39 Organisations-Berichte vom Land <strong>Bremen</strong> für die Org.-Konferenz am 12.7.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

40 Für die anderen Kreise liegen ke<strong>in</strong>e Zahlen vor.<br />

41 Bericht über den Zustand und die Aktivität der Grund<strong>org</strong>anisationen des Kreises <strong>Bremen</strong> (25.9.55), <strong>in</strong>: SAPMO<br />

I 11/20/15. <strong>Die</strong> Zahl der Betriebsgruppen dagegen sank drastisch.<br />

42 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP <strong>1945</strong>-1990, a.a.O., S. 83.<br />

43 Protokoll der Kreis-Org.-Konferenz <strong>Bremen</strong> am 10. November 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.


62<br />

Organisation und Struktur<br />

che Leitung bzw. treten schwach <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung«. 44 LediglichneunGruppenwurde<br />

e<strong>in</strong>e gute Aktivität besche<strong>in</strong>igt.<br />

Kurz vor dem Verbot, im Juli 1956, stellte e<strong>in</strong> weiterer Bericht e<strong>in</strong>e »nur ger<strong>in</strong>ge<br />

selbständige politische Arbeit <strong>in</strong> den Grund<strong>org</strong>anisationen« fest. Nur etwa e<strong>in</strong> Drittel<br />

der Grunde<strong>in</strong>heiten habe<br />

»arbeitsfähige Leitungen, e<strong>in</strong> reges Gruppenleben und relativ gute Verb<strong>in</strong>dungen zur Bevölkerung.<br />

In fast allen übrigen Grunde<strong>in</strong>heiten gab es meist nur E<strong>in</strong>- oder Zwei-Mann-<br />

Leitungen und e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Anzahl von aktiven Genossen, die zwar Flugblätter verteilten,<br />

Haus- und Hofagitationen durchführten, aber ke<strong>in</strong>e wirkliche politische Arbeit leisteten. In<br />

e<strong>in</strong>igen wenigen Grunde<strong>in</strong>heiten bestanden überhaupt ke<strong>in</strong>e Leitungen. Hier wurde nur die<br />

Kassierung aufrecht erhalten.« 45<br />

Trotz immer wiederkehrender Versuche der Leitung, die Mitgliedschaft, <strong>in</strong>sbesondere<br />

bei Wahlkämpfen und ähnlichen »Großaktionen«, für die Parteiarbeit zu<br />

motivieren, gelangen größere Mitgliedermobilisierungen nur selten. Anlässlich der<br />

Bürgerschaftswahl 1955 angesprochene bisher <strong>in</strong>aktive Mitglieder gaben für ihre<br />

Passivität verschiedene Begründungen:<br />

»<strong>Die</strong> Gründe für das bisherige Zurückbleiben der Genossen waren häufig familiärer Natur<br />

oder die Unzufriedenheit über ihre Behandlung, weil sie andere Auffassungen <strong>in</strong> verschiedenen<br />

D<strong>in</strong>gen hatten [...] und deshalb <strong>in</strong> der Vergangenheit durch das oft unwirksame Herangehen<br />

der Leitungen scharf kritisiert wurden, anstatt ihnen zu helfen, das Richtige unserer Politik<br />

zu erkennen. Andere wiederum, besonders ältere Genossen, vermissten das Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

wie es früher bestanden hat und kamen sich heute ziemlich isoliert vor. Bei<br />

vielen aber fehlte das Vertrauen <strong>in</strong> die Kraft und Stärke unserer Partei. Sie sahen dabei oft nur<br />

den zeitweiligen zahlenmäßigen Rückgang an Mitgliedern und Wählern <strong>in</strong> der Nachkriegszeit.<br />

Bei e<strong>in</strong>igen hatten sich auch die bekannten bürgerlichen Argumente festgesetzt, besonders<br />

<strong>in</strong> der Frage der früheren deutschen Ostgebiete, der Kriegsgefangenen <strong>in</strong> der Sowjetunion<br />

und es bestanden bei ihnen viele Unklarheiten über das Leben <strong>in</strong> der DDR.« 46<br />

Das mangelnde »Vertrauen <strong>in</strong> die Kraft und Stärke« der <strong>KPD</strong>, also die E<strong>in</strong>sicht<br />

<strong>in</strong> die relative Wirkungslosigkeit ihrer politischen Aktivitäten, ist wohl als Hauptgrund<br />

für die »Ent-Aktivierung« 47 vieler Mitglieder zu sehen. H<strong>in</strong>zu kam e<strong>in</strong><br />

wachsender Antikommunismus, der nicht nur ideologisch, sondern ganz konkret<br />

auch <strong>in</strong> Form von drohendem Arbeitsplatzverlust oder gar Geld- und Gefängnisstrafen<br />

im Falle öffentlicher Betätigung für die <strong>KPD</strong> auf die e<strong>in</strong>zelnen Mitglieder<br />

e<strong>in</strong>wirkte.<br />

<strong>Die</strong> durch die angesprochene Unzufriedenheit mit der Leitung mitverursachte<br />

Passivierung führte erst recht zur Stärkung des hauptamtlichen Apparates und der<br />

44 Bericht über den Zustand und die Aktivität der Grund<strong>org</strong>anisationen des Kreises <strong>Bremen</strong> (25.9.55), <strong>in</strong>: SAPMO<br />

I 11/20/15.<br />

45 Bericht über die Vorbereitung und Durchführung der Neuwahlen der Parteileitungen im Land <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/15.<br />

46 Ebenda.<br />

47 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP <strong>1945</strong>-1990, a.a.O., S. 83.


Organisation und Struktur 63<br />

Leitungsgremien, die ihrerseits wiederholt über die zunehmende Inaktivität und<br />

»Befehlsverweigerung« der Mitgliedschaft klagten. 48<br />

Stadtteile<br />

<strong>Die</strong> Stadtteil<strong>org</strong>anisationen waren laut Statut verantwortlich für die Anleitung und<br />

Zusammenfassung der Grund<strong>org</strong>anisationen <strong>in</strong> ihrem Bereich und stellten somit<br />

die erste Leitungs<strong>in</strong>stanz dar. 49 In <strong>Bremen</strong>-Stadt existierten seit 1950 sechs solcher<br />

Stadtteile. Ihre jeweilige <strong>in</strong>nerparteiliche Bedeutung und Rolle war unterschiedlich,<br />

<strong>in</strong>sgesamt aber wohl eher e<strong>in</strong>e untergeordnete. Innerhalb der Bremer Landes<strong>org</strong>anisation,<br />

die e<strong>in</strong> ohneh<strong>in</strong> nur begrenztes und enges Gebiet umfasste, wurden viele<br />

Leitungskompetenzen und -entscheidungen, die <strong>in</strong> anderen Bundesländern den<br />

Stadtteil<strong>org</strong>anisationen zufielen, von der Kreis- oder sogar von der Landesleitung<br />

übernommen. 50 Gleichzeitig aber kann auch zum<strong>in</strong>dest h<strong>in</strong>sichtlich der beiden<br />

größten Stadtteile Gröpel<strong>in</strong>gen und Westen von e<strong>in</strong>er gewissen eigenständigen<br />

Stärke <strong>in</strong>nerhalb der Partei ausgegangen werden. Insbesondere die Stadtteil<strong>org</strong>anisation<br />

Gröpel<strong>in</strong>gen machte öfter mit eigenen politischen Stellungnahmen und teilweise<br />

auch mit Widerspruch zu Leitungsentscheidungen auf sich aufmerksam.<br />

<strong>Die</strong> Bremer Stadtteil<strong>org</strong>anisationen umfassten bei ihrer Bildung 1950 zwischen<br />

140 und 400, <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord zwischen 65 und 180 Mitglieder. E<strong>in</strong>flussreichster<br />

und größter Stadtteil <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> war Gröpel<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong> dessen Zuständigkeitsgebiet<br />

die traditionellen Arbeiterquartiere besonders der AG »Weser«-Werft fielen. In<br />

Gröpel<strong>in</strong>gen erzielte die Partei bis zum Verbot ihre besten Wahlergebnisse. Hier<br />

war auch - <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denhofstraße - das Robert-Stamm-Haus gelegen, das seit Anfang<br />

1951 als Parteizentrale der Bremer <strong>KPD</strong> diente. Ähnlich groß war die Stadtteil<strong>org</strong>anisation<br />

Westen mit den Ortsteilen Walle und F<strong>in</strong>dorff, die ebenfalls e<strong>in</strong>en hohen<br />

Arbeiteranteil aufwiesen. In Gröpel<strong>in</strong>gen und Walle waren mit der AG »Weser«<br />

und dem Hafen außerdem zwei Betriebe gelegen, <strong>in</strong> denen die <strong>KPD</strong> traditionell<br />

stark vertreten war. <strong>Die</strong> übrigen Stadtteile erreichten nicht annähernd die Größe<br />

der beiden genannten. Relativ bedeutsam war noch der Stadtteil Hemel<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong><br />

dessen Zuständigkeit das Automobilwerk B<strong>org</strong>ward fiel.<br />

<strong>Die</strong> Leitungen der Stadtteile, die auf Mitgliederversammlungen oder - bei mehr<br />

als 300 Mitgliedern - auf Delegiertenkonferenzen gewählt werden sollten, waren<br />

spärlich besetzt und entsprachen nicht annähernd den V<strong>org</strong>aben, die der Parteivor-<br />

48 Relativ drastisch, aber exemplarisch formuliert f<strong>in</strong>den sich diese Vorwürfe an die Mitgliedschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Instrukteursbericht vom Frühjahr 1951: »Beim Soldaten hat e<strong>in</strong> großer Teil die heute bei uns <strong>in</strong> der<br />

Partei s<strong>in</strong>d jeden Befehl, den sie bekommen haben auch wenn er noch so brutal und geme<strong>in</strong> war ausgeführt.<br />

Heute, wo sie für e<strong>in</strong>e gute Sache, für den Frieden arbeiten und freiwillig <strong>in</strong> die Partei gekommen<br />

s<strong>in</strong>d, und e<strong>in</strong> Teil dieser Genossen e<strong>in</strong>en Parteiauftrag bekommen so haben sie allerlei Ausreden<br />

und Bauchschmerzen ihn auszuführen.« (Bericht, E<strong>in</strong>satz im Land <strong>Bremen</strong> vom 16.3. bis 7.4.1951, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20).<br />

49 Statut der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>, a.a.O., S. 381ff, hier S. 392f.<br />

50 In <strong>Bremen</strong> existierte bis 1952 noch nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e eigene Kreisleitung.


64<br />

Organisation und Struktur<br />

stand auf se<strong>in</strong>er 14. Tagung Ende 1949 festgelegt hatte. 51 Dort war e<strong>in</strong>e Stärke von<br />

sieben bis 13 Mitgliedern v<strong>org</strong>esehen, <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bestanden 1955 die meisten Stadtteilleitungen<br />

aus lediglich e<strong>in</strong> bis drei Mitgliedern, im Ostertor existierte überhaupt<br />

ke<strong>in</strong>e Leitung. 52 Bereits 1951 wurde dieser Zustand <strong>in</strong> SED-Instrukteursberichten<br />

festgestellt und kritisiert. Es bestünden – abgesehen von Gröpel<strong>in</strong>gen – »nur<br />

schwache oder ke<strong>in</strong>e arbeitsfähigen Stadtteilleitungen«. 53<br />

Kreise<br />

In den Kreis<strong>org</strong>anisationen waren die Stadtteile sowie die nicht weiter unterteilten<br />

Ortsgruppen zusammengefasst. 54 Im Land <strong>Bremen</strong> gab es drei solcher Kreise, nämlich<br />

<strong>Bremen</strong>-Stadt, <strong>Bremen</strong>-Nord sowie Bremerhaven. Im Stadtstaat <strong>Bremen</strong> hatten<br />

die Kreis<strong>org</strong>anisationen von vornhere<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Bedeutung h<strong>in</strong>sichtlich der<br />

Entscheidungs- und Machtkompetenzen als <strong>in</strong> Flächenstaaten. Besonders deutlich<br />

wurde dies beim Kreis <strong>Bremen</strong>-Stadt, <strong>in</strong> dem lange Zeit ke<strong>in</strong>e eigene Leitung und<br />

ke<strong>in</strong> Sekretariat existierte. Der Parteivorstand hatte zwar bereits bei der Bildung der<br />

Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong> Anfang 1949 e<strong>in</strong>e <strong>org</strong>anisatorische Trennung zwischen<br />

Landes- und Stadtleitung v<strong>org</strong>eschlagen, das Bremer Sekretariat lehnte dies aber<br />

mit H<strong>in</strong>weis auf die f<strong>in</strong>anziellen Verhältnisse ab. 55 <strong>Die</strong> Aufgaben der Kreis<strong>org</strong>anisation<br />

wurden von Landesleitung und -sekretariat übernommen. <strong>Die</strong> Landesleitung<br />

wurde dadurch, wie e<strong>in</strong> Instrukteur bemängelte, von ihren eigentlichen Aufgaben<br />

abgehalten und könne sich andererseits auch nicht genügend um die Belange des<br />

Kreises und der Wohngebietsgruppen kümmern. 56 E<strong>in</strong>e eigene Kreisleitung für<br />

<strong>Bremen</strong> wurde schließlich Anfang 1952 gebildet. 57 <strong>Die</strong> Besetzung des Kreissekretariats<br />

war bereits zuvor vom Landessekretariat mit Zustimmung des Parteivorstandes<br />

beschlossen worden. 58 Trotz der nun vollzogenen <strong>org</strong>anisatorischen Trennung<br />

übernahmdasLandessekretariatauch<strong>in</strong>denfolgendenJahrennochAufgabendes<br />

Kreissekretariats, wie z.B. die Betreuung e<strong>in</strong>zelner Betriebsgruppen. <strong>Die</strong> Überschneidungen,<br />

die sich durch den Stadtstaatcharakter <strong>Bremen</strong>s ergaben, waren<br />

kaum zu vermeiden. Erst ab etwa 1954 lässt sich e<strong>in</strong>e etwas größere Eigenständigkeit<br />

der Kreis<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong> feststellen.<br />

51 Festigt die Partei. Richtl<strong>in</strong>ien des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong> zur Vorbereitung und Durchführung der Neuwahl<br />

der Leitungen, 30. Dezember 1949, <strong>in</strong>: Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1956, a.a.O., S. 218. Vgl. auch Hans<br />

Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 72, der zwölf zu besetzende Funktionen <strong>in</strong>nerhalb der<br />

Stadtteilleitungen auflistet.<br />

52 Bericht über den Zustand und die Aktivität der Grund<strong>org</strong>anisationen des Kreises <strong>Bremen</strong> (25.9.55), <strong>in</strong>: SAPMO<br />

I 11/20/15.<br />

53 Bericht aus der Zeit me<strong>in</strong>er Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 6.9.-3.10.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/2013.<br />

54 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S.73.<br />

55 Protokoll der Sekretariatssitzung der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong> am Sonntag, dem 16. Januar 1949, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/5.<br />

56 Bericht aus der Zeit me<strong>in</strong>er Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 6.9.-3.10.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/2013.<br />

57 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 20.11. – 18.12. 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

58 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 28. November 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.


Organisation und Struktur 65<br />

Trotz, wahrsche<strong>in</strong>lich aber auch gerade wegen der <strong>org</strong>anisatorischen und politischen<br />

Überschneidungen mit den Zuständigkeitsgebieten des Landessekretariats<br />

war der Kreis <strong>Bremen</strong> noch als handlungsfähigster und aktivster Kreis <strong>in</strong>nerhalb<br />

des Landes zu charakterisieren. <strong>Die</strong>s machten schon die Mitgliederzahlen deutlich:<br />

So hatte 1951 der Kreis <strong>Bremen</strong> etwa doppelt so viele Mitglieder wie <strong>Bremen</strong>-Nord<br />

und Bremerhaven zusammen. Auch bezüglich des <strong>org</strong>anisatorischen Zustandes<br />

waren die Kreise <strong>Bremen</strong>–Nord und Bremerhaven immer wieder der Kritik ausgesetzt.<br />

<strong>Die</strong>s galt vor allem für Bremerhaven. <strong>Die</strong> dortige Kreis<strong>org</strong>anisation gehörte<br />

zwar als Schwerpunktkreis zur sogenannten Nomenklatur des Parteivorstandes, 59<br />

konnte aber der damit zugewiesenen Bedeutung nie gerecht werden. <strong>Die</strong> Mitgliederzahlen<br />

waren – auch gemessen an der Bevölkerungszahl – die schlechtesten <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Landes<strong>org</strong>anisation. Der Mitgliederrückgang betrug hier zwischen Ende<br />

1948 und 1953 über 68 Prozent, und auch bei Bürgerschafts- und Bundestagswahlen<br />

blieben die Ergebnisse unter denen der zwei anderen Kreise. So wurde<br />

Bremerhaven denn auch <strong>in</strong> Instrukteursberichten die »schlechteste Kreisleitung« attestiert.<br />

60 Alle leitenden Funktionäre, so e<strong>in</strong> Bericht vom März 1951, seien »irgendwie<br />

mit dem Amerikaner verknüpft«, es gebe e<strong>in</strong>en »Wulst von Opportunisten«. 61<br />

Mehrfach wurde deshalb die Forderung nach e<strong>in</strong>em neuen Kreissekretär erhoben,<br />

dervonaußerhalbkommenmüsse,da<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>undBremerhavenke<strong>in</strong>dafürgeeigneter<br />

Genosse vorhanden sei. Auch von Bremerhavener Parteimitgliedern selbst<br />

wurde dieser Forderung zugestimmt.<br />

<strong>Die</strong>ser schlechte Zustand des Kreises und des Kreissekretariats veranlasste das<br />

Sekretariat des Parteivorstands im Oktober 1951, <strong>in</strong> Bremerhaven erstmals zwei<br />

ortsfremde Funktionäre als Ersten und Zweiten Sekretär e<strong>in</strong>zusetzen. Das Bremer<br />

Sekretariat und die Kaderabteilung des PV schlugen dafür e<strong>in</strong>en Funktionär aus<br />

Hamburg und e<strong>in</strong>en aus Essen vor. 62 Mit e<strong>in</strong>iger Verzögerung wurde schließlich<br />

Anfang 1952 der aus Hamburg kommende Paul Beu als Erster Sekretär <strong>in</strong> Bremerhaven<br />

e<strong>in</strong>gesetzt. <strong>Die</strong> Tatsache, dass Bremerhaven damit der e<strong>in</strong>zige Kreis der Landes<strong>org</strong>anisation<br />

<strong>Bremen</strong> war, <strong>in</strong> dem ortsfremde Funktionäre als Sekretäre e<strong>in</strong>gesetzt<br />

wurden, spricht zum e<strong>in</strong>en für den schlechten Zustand der dortigen Partei<strong>org</strong>anisation,<br />

zum anderen für die im Widerspruch dazu stehende Bedeutung, die<br />

dem Kreis von PV und Landessekretariat zum<strong>in</strong>dest formell zuerkannt wurde. Tatsächlich<br />

schien sich die Bremer Landesleitung nur ungenügend um Bremerhavener<br />

Belange zu kümmern. Auch Paul Beu beschwerte sich bereits kurze Zeit nach se<strong>in</strong>er<br />

E<strong>in</strong>setzung als Kreisvorsitzender über mangelnde Unterstützung aus <strong>Bremen</strong>. In<br />

den drei Wochen se<strong>in</strong>er Tätigkeit sei nur e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Bremerhaven<br />

gewesen. In der Tribüne der Demokratie g<strong>in</strong>gen, so Beu, »die Bremerhavener<br />

Probleme unter«. 63 Beus Gastspiel <strong>in</strong> der Küstenstadt war ebenfalls nur e<strong>in</strong> kur-<br />

59 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 62. Bremerhaven hatte diese <strong>in</strong>nerparteiliche<br />

Bedeutung wegen des Hafens, der wichtigster Nachschubhafen der amerikanischen Streitkräfte war.<br />

60 Bericht aus der Zeit me<strong>in</strong>er Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 6.9.-3.10.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

61 Instrukteursbericht vom 14.3. – 27.3.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

62 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 11. Oktober 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

63 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. Februar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.


66<br />

Organisation und Struktur<br />

zes. Bereits im September 1952, also nach gerade neun Monaten, hatte die dortige<br />

Kreis<strong>org</strong>anisation wieder e<strong>in</strong>en neuen Ersten Sekretär. 64<br />

<strong>Die</strong> mangelnde Kont<strong>in</strong>uität <strong>in</strong> der Leitung war auch e<strong>in</strong> Problem des Kreises<br />

<strong>Bremen</strong>-Nord. Auch hier wurden häufig neue Sekretäre ernannt, die dann bereits<br />

nach kurzer Zeit wieder abberufen wurden oder aber selbst ihre Funktion niederlegten.<br />

<strong>Die</strong> Mitgliederentwicklung war ebenfalls e<strong>in</strong>e ungünstigere als <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-<br />

Stadt (m<strong>in</strong>us 57 Prozent zwischen 1948 und 1953). Allerd<strong>in</strong>gs konnte die <strong>KPD</strong> hier<br />

wenigstens h<strong>in</strong>sichtlich der Wahlergebnisse e<strong>in</strong>e gewisse Stabilität aufweisen und<br />

erhielt noch 1955 7,1 Prozent der Stimmen. Grund dafür waren vor allem die Arbeitergegenden<br />

um die Werft »Bremer Vulkan« im Ortsteil Aumund und die Ste<strong>in</strong>gutfabrik<br />

<strong>in</strong> Grohn, beides Betriebe mit relativ starker <strong>KPD</strong>-Präsenz und -Tradition. Im<br />

Ortsteil Vegesack h<strong>in</strong>gegen, dem Sitz der Kreisleitung, blieb der E<strong>in</strong>fluss<br />

schwach. 65<br />

Für alle Kreise der Bremer Landes<strong>org</strong>anisation kann also zum e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e relative<br />

<strong>org</strong>anisatorische Schwäche sowie zum anderen e<strong>in</strong>e große Abhängigkeit vom<br />

Landessekretariat, das viele der eigentlichen Kreisaufgaben mit übernahm, konstatiert<br />

werden. Pr<strong>in</strong>zipiell änderte sich dies bis zum Verbot 1956 nicht, wenn auch ab<br />

1954/55, im Zuge der nun verstärkten kommunalpolitischen Arbeit, seitens des<br />

Sekretariats der Versuch gemacht wurde, die Kreisleitungen zu stärken und ihnen<br />

größere politische Verantwortung zu überlassen. <strong>Die</strong>s aber konnte aufgrund der<br />

Bremer Stadtstaatstruktur und der bereits auf Kreisleitungsebene ger<strong>in</strong>gen Motivation<br />

und Parteiaktivität der Mitgliedschaft nur unbefriedigend gel<strong>in</strong>gen. Noch 1955<br />

befand denn auch e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied, man habe »e<strong>in</strong>en ganzen Teil des Nachdenkens<br />

den Kreisleitungen abgenommen«: »Wir fassen immer noch zuviel Beschlüsse<br />

für die Kreise mit. Wenn wir den Kreisen e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie geben, und sie fassen<br />

selbst die Beschlüsse, werden sie sich auch mehr für die Verwirklichung <strong>in</strong> den<br />

Grunde<strong>in</strong>heiten e<strong>in</strong>setzen.« 66 <strong>Die</strong>s wäre vor allem auch im eigenen Interesse des<br />

Sekretariats gewesen, das oftmals überlastet war.<br />

Sekretariat und Landesleitung<br />

Höchstes Organ der Landes<strong>org</strong>anisation war formell, d.h. nach dem Statut, die<br />

Landesdelegiertenkonferenz, bzw. vor 1951 der Landesparteitag. 67 Auf diesen<br />

wurde die Landesleitung gewählt, die <strong>in</strong> der Regel 30 – 60 Mitglieder umfassen<br />

sollte und die aus ihren Reihen die Mitglieder des Sekretariats bestimmte. Faktisch<br />

war damit das Landessekretariat die zentrale Leitung im Lande, <strong>in</strong> der alle wichtigen<br />

und auch weniger bedeutsamen Entscheidungen fielen.<br />

64 Protokoll der LSS am 18.9.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

65 Zur Arbeiterbewegung und <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord siehe <strong>in</strong>sbesondere Joachim Oltmann, Kalter Krieg<br />

und kommunale Integration. Arbeiterbewegung im Stadtteil <strong>Bremen</strong>-Vegesack <strong>1945</strong>-1956, Marburg<br />

1987. Außerdem, allerd<strong>in</strong>gs schwerpunktmäßig die SPD behandelnd: Willy Dehnkamp, <strong>Die</strong> sozialistische<br />

Arbeiterbewegung <strong>in</strong> Blumenthal-Vegesack (<strong>Bremen</strong>-Nord), Bonn 1986.<br />

66 Protokoll der LSS. v. 9.6.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9.<br />

67 Statut der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> – <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., S. 381ff., hier S. 391.


Organisation und Struktur 67<br />

Der erste Parteitag im neu gebildeten »Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>« wählte im<br />

Juni 1949 die Mitglieder des Landesvorstands (»Landesleitung« hieß das Gremium<br />

erst seit Mitte 1950) mittels Personenwahl. <strong>Die</strong> 26 Gewählten erhielten durchweg<br />

ke<strong>in</strong>e Gegenstimme, es gab lediglich jeweils e<strong>in</strong>ige ungültige Stimmen. Gleiches<br />

galt für die Wahl des Ersten und Zweiten Landesvorsitzenden, die ebenfalls noch <strong>in</strong><br />

persönlicher Wahl von den Delegierten des Parteitages bestimmt wurden. 68 <strong>Die</strong>ses<br />

Verfahren entsprach auch den Anfang März 1950 vom Parteivorstand verabschiedeten<br />

»Richtl<strong>in</strong>ien über den Aufbau und die Rolle der Kommunistischen Partei<br />

Deutschlands«. 69 Schon auf dem nächsten, nun »Landesdelegiertenkonferenz« genannten<br />

Parteitag im Februar 1951 war dieses Moment <strong>in</strong>nerparteilicher Demokratie<br />

nicht mehr gegeben: <strong>Die</strong> Mitglieder der Landesleitung wurden en bloc gewählt –<br />

schon e<strong>in</strong>e Mitbestimmung über die Kandidaten fand nicht mehr statt –, und über<br />

die Besetzung des Ersten und Zweiten Sekretärs konnten die Delegierten ebenfalls<br />

nicht mehr mitbestimmen. 70<br />

Der allergrößte Teil der 26 Mitglieder der 1949 gewählten Landesleitung gehörte<br />

der »alten« Generation an, die vor <strong>1945</strong> bzw. 1933 <strong>in</strong> die Partei e<strong>in</strong>getretenen<br />

war. 71 <strong>Die</strong> größte Altersgruppe stellten dabei die 40- bis 50-Jährigen, also <strong>in</strong> etwa<br />

die Geburtsjahrgänge zwischen 1900 und 1910, die ihre politische Sozialisation und<br />

den Parteie<strong>in</strong>tritt während der Weimarer Republik erfahren hatten. Auch das<br />

Durchschnittsalter der Parteitagsdelegierten, so der kritische Vermerk der Mandatsprüfungskommission,<br />

lag bei über 50 Jahren. 72<br />

Der Parteitag wählte mit jeweils e<strong>in</strong>er Stimmenthaltung und drei ungültigen<br />

Stimmen (von <strong>in</strong>sgesamt 218) Willy Knigge – der bereits seit 1946 mit He<strong>in</strong>rich<br />

Schramm die Bezirks<strong>org</strong>anisation geleitet hatte - zum Ersten Landesvorsitzenden<br />

und He<strong>in</strong>rich Nolte zu se<strong>in</strong>em Stellvertreter. Dem vom Landesvorstand gewählten<br />

siebenköpfigen Sekretariat gehörten außerdem der Fraktionsvorsitzende <strong>in</strong> der<br />

Bürgerschaft Rudolf Rafoth, der Chefredakteur der Tribüne der Demokratie Willy<br />

Hundertmark, Wilhelm Meyer-Buer sowie – als e<strong>in</strong>zige Frau – Erika Ewert 73 an. 74<br />

Alle Sekretariatsmitglieder waren zum Zeitpunkt ihrer Wahl zwischen 38 und 48<br />

Jahre alt und bereits vor 1933 Mitglied der <strong>KPD</strong> gewesen. Damit war die Bremer<br />

Partei genau wie auf Bundesebene zu diesem Zeitpunkt von den alten, noch vor<br />

68 Bericht des Parteitages des Arbeitsgebietes Land <strong>Bremen</strong> am 11. und 12. Juni 1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/4.<br />

69 Vgl. <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1776.<br />

70 Siehe Kapitel 3. Vgl. auch <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1778.<br />

71 Gewählt wurden: Willy Knigge (geb. 1907), He<strong>in</strong>rich Nolte (geb. 1908), Herbert Breidbach (1921), He<strong>in</strong>rich<br />

<strong>Die</strong>trich (1907), Karl Grobe (1907), Fritz Hespe, Willy Hundertmark (1907), Albert Krohn (1892),<br />

Maria Krüger (1907), Willy Meyer-Buer (1911), Friedel Müller, Käthe Popall (1907), Rudolf Rafoth<br />

(1911), Frieda Reichel (1910), He<strong>in</strong> Dreyer (1900), Roman Fuchs (1906), Wilhelm Lietzau, Wilhelm Meyer,<br />

He<strong>in</strong>z R<strong>in</strong>ner (1921), Erw<strong>in</strong> Schmidt (1906), Hilde Sieverts (1919), Helmut Blanke, Erika Ewert<br />

(1901), Jakob Pfarr (1909), Harry Schlegel und Erna Drabent.<br />

72 Bericht des Parteitages des Arbeitsgebietes Land <strong>Bremen</strong> am 11. und 12. Juni 1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/4.<br />

73 Erika Ewert (1901-1974): <strong>KPD</strong>, 1947-1955 MdBB, 1951 bis 1955 stellvertretende Fraktionsvorsitzende,<br />

Mitglied Landesleitung und Sekretariat, ab 1951 Sekretär<strong>in</strong> für Kommunalpolitik.<br />

74 Protokoll der Vorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong> am Donnerstag, dem 16. Juni 1949, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/5.


68<br />

Organisation und Struktur<br />

1933 politisch sozialisierten Funktionärskadern dom<strong>in</strong>iert. 75 Ähnliches galt im übrigen<br />

auch für die unteren Leitungsebenen: So waren Ende 1950 von 89 Mitgliedern<br />

der Betriebsgruppenleitungen 70 über 40 Jahre, 28 sogar über 50 Jahre alt. Vergleichbare<br />

Verhältnisse galten für die Wohngruppenleitungen und die ehrenamtlichen<br />

Gewerkschaftsfunktionäre. 76<br />

Fast alle Mitglieder des Sekretariats waren hauptamtlich beschäftigte und bezahlte<br />

Parteiangestellte. E<strong>in</strong> festes Gehalt erhielten der erste und zweite Sekretär<br />

Willy Knigge und He<strong>in</strong>rich Nolte, Willy Hundertmark als Redakteur sowie Rudolf<br />

Rafoth als Fraktionsvorsitzender. Erika Ewert, gleichzeitig 1. Kreissekretär<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong>-Nord, erhielt e<strong>in</strong>en sogenannten »Zuschuss«, lediglich Wilhelm Meyer-<br />

Buer erhielt als e<strong>in</strong>ziges Sekretariatsmitglied ke<strong>in</strong> Geld von der Partei. 77 Hauptamtlich<br />

beschäftigt wurden außerdem der Referatsleiter für die Betriebsgruppen <strong>in</strong> der<br />

Abteilung »Arbeit und Soziales« (A.u. S.) der Landesleitung sowie die Vorsitzenden<br />

der sogenannten Massen<strong>org</strong>anisationen »Freie Deutsche Jugend« (FDJ), »Demokratischer<br />

Frauenbund Deutschland« (DFD) und »Gesellschaft für deutsch-sowjetische<br />

Freundschaft« (GdsF). E<strong>in</strong>en Zuschuss erhielten daneben auch zwei Funktionäre<br />

des Landesfriedenskomitees sowie der 2. Vorsitzende der »Vere<strong>in</strong>igung der Verfolgten<br />

des Naziregimes« (VVN). 78 Alle hauptamtlichen Funktionäre erhielten e<strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>heitsgehalt von monatlich 250 DM und waren damit materiell abgesichert. 79 <strong>Die</strong><br />

bezuschussten Funktionäre erhielten 40 – 45 DM monatlich. 80<br />

<strong>Die</strong>ses Sekretariat leitete die Bremer Partei nicht e<strong>in</strong>mal zwei Jahre, es wurde im<br />

Februar 1951 abgelöst. 81 Es ist nicht nur deshalb wohl am ehesten als »Übergangsleitung«<br />

e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>sgesamt sich im radikalen Umbau bef<strong>in</strong>dlichen <strong>KPD</strong> zu<br />

charakterisieren. Von SED-Instrukteuren wurde die Leitungsarbeit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

bereits im Juli 1949 als »ungenügend entwickelt« charakterisiert. 82 Landesvorstand<br />

und Sekretariat glichen eher e<strong>in</strong>em »Koord<strong>in</strong>ierungsausschuss« 83 und kämen »zu<br />

ke<strong>in</strong>er politischen Arbeit und zur Lösung der Aufgaben, die der Partei gestellt<br />

s<strong>in</strong>d« 84. Willy Knigge und He<strong>in</strong>rich Nolte seien zwar »sehr zuverlässige Genossen«,<br />

verstünden es aber »zu wenig, ihre Mitarbeiter wirklich mit der notwendigen Härte<br />

75 Vgl. <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1793.<br />

76 <strong>Die</strong> Angaben stammen aus e<strong>in</strong>em Bericht der Landesleitung über die Struktur der Parteikader an die<br />

Westkommission der SED vom Dezember 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/16.<br />

77 <strong>Die</strong> Angaben stammen aus e<strong>in</strong>em Bericht der Landesleitung über die Struktur der Parteikader an die<br />

Westkommission der SED vom Dezember 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/16.<br />

78 Ebenda.<br />

79 Zum Vergleich: Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst e<strong>in</strong>es Werftarbeiters <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> betrug<br />

1950 300 DM, der e<strong>in</strong>es Automobilarbeiters 260 DM. Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage<br />

und »Wirtschaftswunder«. <strong>Die</strong> Entwicklung der Arbeits- und Lebensverhältnisse der Belegschaft der<br />

AG »Weser« <strong>in</strong> den 1950er Jahren, <strong>Bremen</strong> 1999, S. 122.<br />

80 Woher die Gelder der Bremer Landes<strong>org</strong>anisation kamen, lässt sich aus den vorliegenden Quellen<br />

nicht rekonstruieren. <strong>Die</strong> Vermutung e<strong>in</strong>er f<strong>in</strong>anziellen Unterstützung der <strong>KPD</strong> durch die SED ist naheliegend,<br />

für <strong>Bremen</strong> aber nicht belegbar.<br />

81 Siehe ausführlich Kapitel 3.<br />

82 Bericht über me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Hilfe bei der Organisierung der Wahlkampagne im Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>,<br />

<strong>in</strong> : SAPMO I 11/20/13.<br />

83 Ebenda.<br />

84 Land: <strong>Bremen</strong>, Dauer der Reise: vom 18. – 28.11.50, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.


Organisation und Struktur 69<br />

es aber »zu wenig, ihre Mitarbeiter wirklich mit der notwendigen Härte zu erfüllen«.<br />

<strong>Die</strong> führenden Funktionäre seien »sehr rasch vor der mangelnden Aktivität<br />

vieler Mitglieder und Funktionäre zu kapitulieren bereit«. 85 Kritik wurde auch an<br />

der Arbeitsweise des Sekretariats geübt. »<strong>Die</strong> Genossen des Vorstands«, so e<strong>in</strong> Bericht<br />

vom Sommer 1949, »setzen sich selber unermüdlich e<strong>in</strong>, zersplittern dabei aber<br />

leicht ihre Kräfte«. 86 <strong>Die</strong> Sekretariatssitzungen würden von Willy Knigge »zwischen<br />

Tür und Angel« vorbereitet, dabei nähmen meistens »<strong>org</strong>anisationstechnische<br />

Fragen und sonstiges gegenüber den politischen Aufgaben und Problemen<br />

dengrößtenTeilderZeit«e<strong>in</strong>. 87<br />

Waren dies <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie den <strong>org</strong>anisatorischen Defiziten geschuldete Kritikpunkte,<br />

wies der folgende Vorwurf schon eher <strong>in</strong> Richtung des strukturellen<br />

Grundproblems dieses »Übergangssekretariats« und der gesamten Partei <strong>in</strong> dieser<br />

Periode. Man könne feststellen, so e<strong>in</strong> zum Bundestagswahlkampf 1949 e<strong>in</strong>gesetzter<br />

SED-Instrukteur, »dass die Genossen <strong>in</strong> der Leitung, auf Grund früherer Diskussionen<br />

im Kreise <strong>Bremen</strong>, wo man der Leitung diktatorische Arbeitsmethoden<br />

v<strong>org</strong>eworfen hatte, zum großen Teil e<strong>in</strong>e übersteigerte, sich schädlich auswirkende<br />

formale <strong>in</strong>nerparteiliche Demokratie an den Tag legten«. 88<br />

Der Vorwurf der zu großen Rücksichtnahme auf die Diskussionen <strong>in</strong>nerhalb der<br />

Partei wurde e<strong>in</strong> Jahr später wiederholt, diesmal mit der Forderung, »dass e<strong>in</strong>e<br />

baldige Veränderung im Sekretariat unbed<strong>in</strong>gt erforderlich ist«. 89 Auf der anderen<br />

Seite verstummte die angesprochene partei<strong>in</strong>terne Kritik an den »diktatorischen<br />

Arbeitsmethoden ke<strong>in</strong>eswegs«, wie <strong>in</strong> verschiedenen Landesleitungssitzungen bis<br />

Ende 1950 deutlich wurde.<br />

Das Sekretariat unter Willy Knigge war von vornhere<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Übergangslösung,<br />

die die Vermittlung zwischen der »alten« - von erfahrenen Funktionären geleiteten<br />

sowie strukturell von der Weimarer Republik und dem NS-Widerstand geprägten -<br />

<strong>KPD</strong> und der - von jüngeren Funktionären dom<strong>in</strong>ierten und vom Kalten Krieg <strong>in</strong><br />

der Bundesrepublik geprägten - »Partei neuen Typus« leisten musste. <strong>Die</strong>s konnte<br />

aufgrund der Strukturen, aber auch aufgrund der gesamten folgenden Entwicklung<br />

auf Bundesebene nicht gel<strong>in</strong>gen. Das strukturelle Altersproblem wurde versucht zu<br />

mildern, <strong>in</strong>dem man den 1. Sekretär der FDJ <strong>in</strong> das Sekretariat kooptierte und auch<br />

andere jüngere Funktionäre, die dann teilweise ab 1951 die Leitungsarbeit übernahmen,<br />

zu Sitzungen h<strong>in</strong>zuzog.<br />

Das im Februar 1951 e<strong>in</strong>gesetzte Sekretariat 90 war geprägt von jungen Funktionären,<br />

die erst nach <strong>1945</strong> <strong>in</strong> die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>getreten waren. <strong>Die</strong> Arbeit des Sekretariats<br />

war <strong>in</strong> der Folgezeit von e<strong>in</strong>er nur ger<strong>in</strong>gen personellen Kont<strong>in</strong>uität gekennzeich-<br />

85 Bericht über me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Hilfe bei der Organisierung der Wahlkampagne im Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>,<br />

<strong>in</strong> : SAPMO I 11/20/13.<br />

86 Ebenda.<br />

87 Land: <strong>Bremen</strong>, Dauer der Reise: vom 18. – 28.11.50, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

88 Bericht über me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Hilfe bei der Organisierung der Wahlkampagne im Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>,<br />

<strong>in</strong> : SAPMO I 11/20/13.<br />

89 Bericht über die Landesvorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung <strong>Bremen</strong>, am Samstag, den 27.8.1950, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/2.<br />

90 Siehe dazu das folgende Kapitel 3.


70<br />

Organisation und Struktur<br />

net. Der Kreis der Funktionäre, aus denen sich die Besetzung rekrutierte, blieb zwar<br />

stabil und ebenso kle<strong>in</strong>, es gab aber e<strong>in</strong>e große Fluktuation der Aufgabenverteilungen.<br />

Bereits im Mai 1951 wurde das Sekretariat ergänzt durch den ehemaligen<br />

B<strong>org</strong>ward-Arbeiter Hans Meyer 91, der verantwortlich gemacht wurde für Betriebsgruppen-<br />

und Gewerkschaftsarbeit. 92 Bis zum Dezember 1951 kamen mit Albert<br />

Oltmanns (Schulung), Erika Ewert (Kommunalpolitik) sowie He<strong>in</strong>rich Schramm<br />

(Massenbewegungen) noch drei weitere Sekretäre h<strong>in</strong>zu. 93 Auffällig war, dass alle<br />

kooptierten, d.h. nicht dem Statut entsprechend gewählten Sekretariatsmitglieder,<br />

der »älteren« Generation angehörten und bereits vor 1933 Mitglied der <strong>KPD</strong> waren.<br />

Am auffälligsten war dies bei He<strong>in</strong>rich Schramm, der nach <strong>1945</strong> Zweiter Sekretär<br />

der Bezirks<strong>org</strong>anisation war und bis 1951 zusammen mit Willy Knigge die Partei<br />

geführt hatte. 94 <strong>Die</strong> nach der Umgestaltung vom Februar 1951 zunächst vorhandene<br />

Dom<strong>in</strong>anz der »Jungen« war also <strong>in</strong> nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>em halben Jahr zum<strong>in</strong>dest<br />

relativiert worden. Fünf der <strong>in</strong>zwischen neun Sekretariatsmitglieder entstammten<br />

den vorherigen Leitungskadern, lediglich durch die Besetzung des Ersten Sekretärs<br />

wurde e<strong>in</strong> Übergewicht der neuen Kräfte erhalten.<br />

Der Aufbau e<strong>in</strong>er personellen Kont<strong>in</strong>uität im Sekretariat wurde auch durch externe<br />

Maßnahmen erschwert. Im November 1951 hatte die Bundesregierung beim<br />

Bundesverfassungsgericht das Verbot der <strong>KPD</strong> beantragt, das Gericht beschloss die<br />

Durchführung des Verfahrens im Januar 1952. 95 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> begann daraufh<strong>in</strong>, Funktionäre<br />

aus den Leitungen herauszunehmen und mit ihnen - vorübergehend - e<strong>in</strong>en<br />

zweiten Führungsapparat, die sogenannte »zweite L<strong>in</strong>ie«, aufzubauen, der<br />

verdeckt arbeitete und die Partei auf die drohende Illegalität vorbereiten sollte. 96<br />

Im Zuge dieser Maßnahme wurden <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> Ende 1951 der Erste Sekretär Hermann<br />

Gautier, der Zweite Sekretär Willi Lietzau sowie der Kadersekretär Willi Seipel<br />

aus der offiziellen Parteiarbeit abberufen. 97 Inoffiziell übernahm <strong>in</strong> der Folgezeit<br />

der zu diesem Zeitpunkt erst 24 Jahre alte Ulrich Konetzka den Posten den Ers-<br />

91 Hans Meyer (1913-?): Gelernter Bäcker. 1932 RGO und <strong>KPD</strong>. Nach 1933 Widerstand, Verhaftung und 15<br />

Monate Haft. 1936 erneute Verhaftung, 1937 Verurteilung zu 2 Jahren Zuchthaus. 1943 – <strong>1945</strong> Strafbataillon<br />

999. Ab etwa 1949 Arbeiter bei B<strong>org</strong>ward, 1951-1953 Mitglied des <strong>KPD</strong>-Landessekretariats, 1951-<br />

1953 MdBB. Aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen, später Mitglied verschiedener maoistischer Gruppen.<br />

92 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 17. Mai 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

93 Sekretariatsvorlage: <strong>Die</strong> Zusammensetzung und Verantwortlichkeit im Landessekretariat und die Abteilungen,<br />

<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

94 Angeblich sollte Schramm genau wie Knigge <strong>in</strong> die DDR gehen, weigerte sich aber (Interview Hundertmark,<br />

2).<br />

95 Vgl. Alexander v. Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland<br />

1949-<strong>1968</strong>. Vorwort von Erhard Denn<strong>in</strong>ger, Frankfurt a.M. 1978, S. 117.<br />

96 Vgl. z.B. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP <strong>1945</strong>-1990, a.a.O., S. 84.<br />

97 <strong>Die</strong> Abberufung wurde zum ersten Mal Anfang Februar 1952 <strong>in</strong> den Sekretariatsprotokollen erwähnt.<br />

<strong>Die</strong> Gründe werden im Protokoll nicht genannt. Es seien personelle Umbesetzungen im Sekretariat<br />

notwendig, da »die Genossen Gautier, Seipel und Lietzau für e<strong>in</strong>e Zeit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nicht anwesend<br />

s<strong>in</strong>d« (Protokoll der Sekretariatssitzung vom 7. Februar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7). Etwas genauer<br />

war e<strong>in</strong> Anfang 1953 verfasster Bericht: »Ende des Jahres 1951 waren aus unserem Land auf Beschluss<br />

des Parteivorstandes die 3 Genossen [...] abgezogen worden.« (E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats<br />

<strong>Bremen</strong> (Herbert Breidbach), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8).


Organisation und Struktur 71<br />

ten Landessekretärs. Zweiter Landessekretär wurde zunächst für e<strong>in</strong>ige Wochen<br />

Albert Oltmanns, der später durch Herbert Breidbach (Jahrgang 1921) ersetzt wurde.<br />

98 <strong>Die</strong> personelle Zusammensetzung des Sekretariats änderte sich ansonsten<br />

nicht, lediglich die Aufgabenverteilungen <strong>in</strong>nerhalb des Gremiums wechselten.<br />

Hermann Gautier kehrte im September 1952 nach <strong>Bremen</strong> zurück und übernahm<br />

wieder die Leitung der Partei. Allerd<strong>in</strong>gs war die Periode se<strong>in</strong>er Abwesenheit<br />

gekennzeichnet von e<strong>in</strong>igen bedeutsamen <strong>in</strong>nerparteilichen Entwicklungen –<br />

wie z.B. die »Säuberungsmaßnahmen« -, die e<strong>in</strong>e genauere Betrachtung des <strong>in</strong> dieser<br />

Zeit amtierenden Sekretariats nötig ersche<strong>in</strong>en lassen.<br />

Grundlegende, die Machtverteilung und Kompetenzen betreffende Probleme<br />

ergaben sich vor allem aus den Generationsunterschieden. Der für den Posten des<br />

Ersten Landessekretärs sehr junge Ulrich Konetzka war im Sekretariat nicht unumstritten,<br />

und es ist fraglich, ob tatsächlich er die Leitung <strong>in</strong>nehatte. Am deutlichsten<br />

kam dies auf e<strong>in</strong>er Sitzung im Mai 1952 zum Ausdruck. <strong>Die</strong> »alten« Sekretariatsmitglieder<br />

kritisierten die ihrer Me<strong>in</strong>ung nach mangelnde »<strong>org</strong>anisierte Führung<br />

des Sekretariats« durch Konetzka, der »zu wenig Zeit für die Anleitung« des Führungsgremiums<br />

habe. 99 <strong>Die</strong> eigentliche Leitung des Sekretariats, so die für Kommunalfragen<br />

zuständige Erika Ewert, läge bei Wilhelm Meyer-Buer, der gleichzeitig<br />

Vorsitzender der Bürgerschaftsfraktion war:<br />

»Der Genosse Willi hat e<strong>in</strong> großes Wissen und ist uns allen voraus. Unter kollektiver Arbeit<br />

verstehe ich, dass man dem anderen Genossen, der nicht so weit ist, hilft. Wenn e<strong>in</strong> Genosse<br />

der Me<strong>in</strong>ung ist, dass nur er es gut macht, dann besteht e<strong>in</strong>e Gefahr, nämlich die der Überheblichkeit.<br />

Und das ist auch bei Willi vorhanden.[...]. Dabei steht aber die Frage, dass der Willi<br />

die Kritik von unten gar nicht annimmt.[...]. Wir alten Genossen im Sekretariat müssen den<br />

Genossen Ulli stützen, damit er alle se<strong>in</strong>e Aufgaben erfüllen kann.« 100<br />

Deutlich wurden damit sowohl die Probleme, die sich aus der Unerfahrenheit<br />

des vorübergehenden Ersten Landessekretärs Ulrich Konetzka ergaben, als auch die<br />

bereits des öfteren angesprochenen Generationskonflikte, <strong>in</strong> diesem Fall repräsentiert<br />

durch die angebliche »Überheblichkeit« Willy Meyer-Buers, der seit 1946 dem<br />

Führungskreis der Bremer <strong>KPD</strong> angehörte und natürlich - wie auch alle anderen<br />

Sekretariatsmitglieder – im Vergleich zu Ulrich Konetzka wesentlich mehr Erfahrung<br />

<strong>in</strong> der Parteiarbeit mitbrachte.<br />

Probleme ergaben sich auch aus der ger<strong>in</strong>gen Zahl der Sekretariatsmitglieder,<br />

die e<strong>in</strong>e starke Arbeitsbelastung für die e<strong>in</strong>zelnen Sekretäre bedeutete. <strong>Die</strong>s galt bereits<br />

für das alte Sekretariat. Bereits im März 1950 stellte der damalige Erste Sekretär<br />

Willy Knigge fest, dass »vor allem die führenden Genossen <strong>in</strong> Überlastung<br />

durch <strong>org</strong>anisatorische Arbeit vers<strong>in</strong>ken« . 101 <strong>Die</strong>se Überlastung spitzte sich nun<br />

für das neue Sekretariat noch zu. Zum e<strong>in</strong>en war dies mitverursacht durch den Abzug<br />

der drei Spitzen Hermann Gautier, Willi Lietzau und Willy Seipel. So berichtete<br />

e<strong>in</strong> SED-Instrukteur Anfang 1952:<br />

98 Ebenda.<br />

99 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 15. Mai 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

100 Ebenda.<br />

101 Protokoll über die Sekretariatssitzung vom 18.3.1950 im Waller R<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.


72<br />

Organisation und Struktur<br />

»Durch die Veränderungen im LS ist e<strong>in</strong>e starke Überlastung der e<strong>in</strong>zelnen Genossen e<strong>in</strong>getreten,<br />

da sie jetzt noch andere Gebiete mitbearbeiten müssen, für die ihnen der Überblick<br />

fehlt. <strong>Die</strong> operative Tätigkeit des Landessekretariats wird noch dadurch geh<strong>in</strong>dert, dass ke<strong>in</strong>e<br />

Instrukteure vorhanden s<strong>in</strong>d und die Org.-Instr.-Abteilung nur aus e<strong>in</strong>em Genossen besteht,<br />

dass der 1. Landessekretär, der Sekretär für A.u.S. und andere Mitarbeiter stempeln gehen<br />

und bei Vermittlerkontrollen sich bis <strong>in</strong> die Nachmittagsstunden auf dem Arbeitsamt aufhaltenmüssen(2malwöchentlich).«<br />

102<br />

Wesentlich zurückzuführen waren die starken Belastungen aber eher auf die <strong>in</strong>tensive<br />

und viel Zeit <strong>in</strong> Anspruch nehmende Beschäftigung mit - oft marg<strong>in</strong>alen –<br />

<strong>org</strong>anisatorischen Problemen und Schematismen, oder darauf – wie es e<strong>in</strong> Instrukteur<br />

schon 1951 ausdrückte -, »dass das Landessekretariat zu wenig Politik macht<br />

und mehr <strong>in</strong> Handwerkelei und Praktizismus untergeht« 103. Ende 1951 waren rigide<br />

Arbeitspläne e<strong>in</strong>geführt worden, die die Aufgaben der Partei und des Sekretariats<br />

für die nächsten Wochen m<strong>in</strong>utiös und schematisch festlegten, denen es aber gerade<br />

deshalb an Realitätsnähe und Umsetzungsfähigkeit fehlte. »<strong>Die</strong> Arbeitspläne«,<br />

so Herbert Breidbach <strong>in</strong> dem bereits mehrfach zitierten Bericht über das Landessekretariats,<br />

»bildeten lange Zeit nur formal die Grundlage der Arbeit des Sekretariats.<br />

In der Tat aber handwerkelte jeder für sich, brachte die Direktiven des Partei-<br />

Vorstandes und se<strong>in</strong>e eigene Arbeit nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e lebendige Verb<strong>in</strong>dung mit dem<br />

Plan und se<strong>in</strong>en Schwerpunkten.« 104<br />

<strong>Die</strong> Folge war, dass das Sekretariat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art Aktionismus verfiel und auf jeder<br />

Sitzung e<strong>in</strong>e Vielzahl von Beschlüssen fasste, um sich <strong>in</strong> der darauffolgenden<br />

Sitzung noch e<strong>in</strong>mal ausgiebig mit der Kontrolle dieser Beschlüsse zu befassen.<br />

»Das Ergebnis war meistens, dass e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Beschlüssen nicht durchgeführt<br />

waren und der Term<strong>in</strong> verschoben werden musste.« 105 Das Problem war dem<br />

Sekretariat durchaus bewusst, die selbstkritische Ause<strong>in</strong>andersetzung damit aber<br />

nahm wiederum Zeit <strong>in</strong> Anspruch und steigerte die Nabelschau phasenweise <strong>in</strong>s<br />

Absurde. Im März 1952 fasste das Sekretariat folgenden Beschluss: »Bei der Beschlusskontrolle<br />

der Sekretariatssitzung werden die Genossen, die e<strong>in</strong>en Beschluss<br />

nicht durchgeführt haben veranlasst, e<strong>in</strong>e politische Begründung darüber abzugeben,<br />

die dann <strong>in</strong>s Protokoll der Sekretariatssitzung aufgenommen wird«. 106<br />

Es gab <strong>in</strong> der Folgezeit e<strong>in</strong>ige Beispiele für diese selbstkritischen Stellungnahmen,<br />

deren Formulierung zwischen formell banalen Entschuldigungen (»Der Term<strong>in</strong>,<br />

den wir <strong>in</strong> der Abteilung festgemacht hatten, um den Arbeitsplan kollektiv<br />

auszuarbeiten, ist dadurch h<strong>in</strong>fällig geworden, weil ich am Montag durch andere<br />

Aufgaben verh<strong>in</strong>dert war«) 107 und übertriebenen, pathetischen Selbstanklagen<br />

102 Land: <strong>Bremen</strong>: E<strong>in</strong>satz vom 23.1. – 24.2.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

103 Bericht über die politische Tätigkeit während me<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>satzes <strong>in</strong> der Zeit vom 16.5. – 16.6.1951 im Land <strong>Bremen</strong>,<br />

<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

104 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> (Herbert Breidbach, 18.4.1953), <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/8.<br />

105 Ebenda.<br />

106 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 19. März 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

107 Selbstkritik des Gen. H. Meyer zur Abgabe der Ergänzung zum Arbeitsplan (8.4.52), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.


Organisation und Struktur 73<br />

schwankte. Wilhelm Meyer-Buer, zu der Zeit Sekretär für Schulung, gab hierfür e<strong>in</strong><br />

bezeichnendes Beispiel:<br />

»<strong>Die</strong> Nichtdurchführung von Beschlüssen vom Landes-Sekretariat bis zu den Grunde<strong>in</strong>heiten<br />

der Partei ist e<strong>in</strong>e der größten Krankheitsersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> unserer Landes<strong>org</strong>anisation. Dar<strong>in</strong><br />

kommt zum Ausdruck, dass die Politik der Partei selbst bei den verantwortlichsten Funktionären<br />

nicht immer und nicht ganz verstanden wird. [...] Ich habe mehrere solche Beschlüsse,<br />

die ich selbst gefasst habe, nicht durchgeführt und habe dadurch mit beigetragen, den Krankheitszustand<br />

zu verschlimmern, statt ihn zu verbessern. [...]. Wenn ich me<strong>in</strong>e Arbeit richtig<br />

<strong>org</strong>anisiert hätte, wäre auch der Beschluss durchgeführt worden. Ich habe [...] viel Zeit für<br />

kle<strong>in</strong>liche, selbst nutzlose D<strong>in</strong>ge verbraucht [...].« 108<br />

Derartige Selbstkritiken g<strong>in</strong>gen über das s<strong>in</strong>nvolle Maß e<strong>in</strong>er für das Sekretariat<br />

sicher notwendigen Beschlusskontrolle weit h<strong>in</strong>aus. H<strong>in</strong>zu kam die große Zahl der<br />

Beschlüsse, auch zu marg<strong>in</strong>alen Themen, die oft »e<strong>in</strong>fach zu hochtrabend waren« 109<br />

und deren Verwirklichung von vornhere<strong>in</strong> unrealistisch war, so dass Herbert<br />

Breidbach 1953 zurecht davon sprach, »dass wir uns noch zu sehr verzetteln« 110.<br />

E<strong>in</strong> SED-Instrukteur bezeichnete ebenfalls 1953 den Arbeitsstil des Bremer Sekretariats<br />

»zu kompliziert«, führte die Nichtverwirklichung der zahlreichen Pläne und<br />

Vorlagen aber auch auf laufend neue Aufgabenstellungen durch den Parteivorstand<br />

zurück. 111<br />

Pr<strong>in</strong>zipiell galt dies auch für die Sekretariatsarbeit der folgenden Jahre bis 1956.<br />

1954 kritisierte der Vorsitzende des Stadtteils Westen relativ deutlich die Folgen:<br />

»Wir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den letzten Jahren <strong>in</strong> der Arbeit der Partei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en gewissen Schematismus h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerutscht.<br />

<strong>Die</strong> Anweisung kommt vom PV zur Landesleitung, zur Kreisleitung, zur Stadtteilleitung.<br />

Was <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en Woche mit der Anleitung geschieht, spielt ke<strong>in</strong>e Rolle. In der<br />

nächsten Woche gibt es e<strong>in</strong>e neue. <strong>Die</strong>ser Schematismus hat uns geh<strong>in</strong>dert, Fragen zu diskutieren,<br />

Aufgaben festzulegen, wie Durchführung von Demonstrationen usw. Jetzt gibt es <strong>in</strong><br />

der Partei über diese Fragen ke<strong>in</strong>e Diskussion, sondern Geflüster.« 112<br />

Zugespitzt traten die geschilderten Phänomene jedoch im Jahre 1952 auf. Das<br />

Verfassen von Selbstkritiken beispielsweise oder auch der Auftrag an den Ersten<br />

Landessekretär, »<strong>in</strong> jeder Sekretariatssitzung kritisch zur Arbeit der e<strong>in</strong>zelnen Sekretariatsmitglieder<br />

usw. Stellung zu nehmen« 113, wurde bald wieder aufgegeben.<br />

Ende 1952 wurde das Sekretariat außerdem wieder auf fünf Mitglieder reduziert, so<br />

dass ab diesem Zeitpunkt wieder von e<strong>in</strong>er konzentrierteren Arbeit gesprochen<br />

werden kann, wenn auch die angesprochenen pr<strong>in</strong>zipiellen Organisationsprobleme<br />

damit noch nicht überwunden waren. 114<br />

108 Selbstkritik des Genossen Willi Meyer-Buer, <strong>Bremen</strong> (8.4.52), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

109 Interview Herbert Breidbach, 2.<br />

110 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> (Herbert Breidbach, 18.4.1953), <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/8.<br />

111 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 21.4. bis 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />

112 Land <strong>Bremen</strong> (13.12.1954), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />

113 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 7. Februar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

114 Herbert Breidbach stellte 1953 fest: »Zweifelsohne hat auch unsere Partei<strong>org</strong>anisation im Land <strong>Bremen</strong><br />

Fortschritte auf dem Wege zur Aneignung der Eigenschaften e<strong>in</strong>er Partei neuen Typus gemacht, aber<br />

diese Fortschritte genügen noch nicht, das Tempo dieser Entwicklung ist noch zu langsam.« (E<strong>in</strong>schätzung<br />

der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8).


74<br />

Organisation und Struktur<br />

<strong>Die</strong> Sekretariate der Folgejahre blieben personell zunächst relativ stabil, soweit<br />

dies aus den Protokollen herv<strong>org</strong>eht. 115 Im Mai 1953 wurde Hans Meyer als Betriebsgruppen-<br />

und Gewerkschaftssekretär abgelöst. Meyer verlor außerdem se<strong>in</strong><br />

Mandat <strong>in</strong> der Bürgerschaft. 116.<br />

Ab März 1955 ergaben sich Veränderungen im Sekretariat durch e<strong>in</strong>e längere<br />

Abwesenheit des Ersten Sekretärs Hermann Gautier. 117 Stellvertreter wurde wie<br />

bereits 1952 der Zweite Sekretär Ulrich Konetzka, 118 wodurch zu diesem Zeitpunkt<br />

immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e gewisse personelle Kont<strong>in</strong>uität gegeben war. Allerd<strong>in</strong>gs wurde die<br />

Führungsarbeit weiter geschwächt durch den Abzug e<strong>in</strong>iger anderer Sekretariatsund<br />

Landesleitungsmitglieder, die im Zuge des drohenden Parteiverbots <strong>in</strong> die sogenannte<br />

Zweite L<strong>in</strong>ie g<strong>in</strong>gen. 119 Man versuchte dies durch die eigentlich statutenwidrige<br />

Kooptierung neuer Mitglieder zu kompensieren, u.a. wurden die beiden<br />

ehemaligen Sekretariatsmitglieder Willy Hundertmark und Albert Oltmanns - die<br />

beide im Zuge der Säuberungskampagne 1951/52 aus ihren Positionen entfernt<br />

worden waren - »reaktiviert«.<br />

3. Mitgliederzahlen und -struktur<br />

Mitgliederzahlen<br />

<strong>Die</strong> Mitgliederentwicklung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der gesamten Bundesrepublik war seit etwa<br />

Ende 1947 von e<strong>in</strong>em stetigen Rückgang gekennzeichnet. Vom Höchststand 1947<br />

mit 324.000 Parteimitgliedern waren bereits im Januar 1951 nicht e<strong>in</strong>mal die Hälfte<br />

(148.194) übriggeblieben, bis zum Zeitpunkt des Verbots sanken die Zahlen noch<br />

e<strong>in</strong>mal um knapp fünfzig Prozent auf 78.000. 120 Insgesamt also betrug der Mitglie-<br />

115 Ab August 1952 wurden die Namen der Sekretariatsmitglieder <strong>in</strong> den Protokollen nur noch abgekürzt<br />

(H.G. für Hermann Gautier bspw.), ab September 1952 wurden schließlich nur noch die Funktionsbezeichnungen<br />

(Erster Sekretär etc.) vermerkt. Höchstwahrsche<strong>in</strong>lich war dies e<strong>in</strong>e Sicherheitsmaßnahme<br />

im Zuge des Verbotsantrages.<br />

116 Beschlussfassung: (Sitzung vom 28.5.1953), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8. <strong>Die</strong> Gründe für Meyers Ablösung und<br />

den späteren Parteiausschluss s<strong>in</strong>d nicht bekannt.<br />

117 Gautier besuchte nach eigenen Angaben e<strong>in</strong>e längere Parteischule (Interview Hermann Gautier, 2).<br />

Andere Interviewpartner geben an, er sei im Zuge der Vorbereitung auf das Verbot <strong>in</strong> die sog. 2. L<strong>in</strong>ie<br />

abberufen worden. Dagegen spricht, dass Gautier etwa seit Anfang 1956 wieder <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und <strong>in</strong> der<br />

Bürgerschaft arbeitete sowie <strong>in</strong> der Öffentlichkeit gegen das drohende Verbot der <strong>KPD</strong> auftrat.<br />

Tatsächlich arbeitete Gautier dann nach dem Verbot vom 17. August 1956 kurze Zeit <strong>in</strong> der 2. L<strong>in</strong>ie<br />

(Interview Hermann Gautier, 3).<br />

118 Das Sekretariatsprotokoll nannte ke<strong>in</strong>e Namen (Protokoll der LSS. v. 3.3.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9). Dass<br />

Konetzka Gautiers Vertretung übernahm, erwähnen die Interviewpartner (Interview Herbert Breidbach,2;InterviewHermannGautier,2).<br />

119 Interview Herbert Breidbach, 2; Interview Hermann Gautier, 2.<br />

120 Zahlen nach <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1784. Judick/Schleifste<strong>in</strong>/Ste<strong>in</strong>haus<br />

geben für 1956 85.000 Mitglieder an (Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und<br />

Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 83).


Organisation und Struktur 75<br />

derrückgang <strong>in</strong> diesen knapp neun Jahren, legt man die genannten Zahlen zugrunde,<br />

über 75 Prozent.<br />

Für <strong>Bremen</strong> liegen ab Ende 1948 vere<strong>in</strong>zelt Mitgliederzahlen vor, die sich <strong>in</strong> den<br />

Unterlagen der Organisations- und Instrukteursabteilung des Landesvorstandes<br />

f<strong>in</strong>den. Detaillierte monatliche Statistiken, die neben den Mitgliederbewegungen<br />

auch die Struktur erfassten, wurden ab Januar 1950 bis Mai 1951 erhoben. 121 Für die<br />

folgenden Jahre lassen sich nur noch für April 1953 und Februar 1956 Angaben zur<br />

Mitgliederstärke f<strong>in</strong>den. 122 Danach ergibt sich folgende Entwicklung der Mitgliederzahlen<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>:<br />

123<br />

Tabelle 1: Mitgliederzahlen der <strong>KPD</strong> im Land <strong>Bremen</strong> 1948 - 1956<br />

Monat gesamt kassiert <strong>Bremen</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord Bremerhaven<br />

12/1948 4110124 2400 660 1050<br />

03/1949 3362<br />

07/1949 3189<br />

08/1949 3164<br />

12/1949 3152 2786<br />

01/1950 2974 2852<br />

02/1950 2961 2158<br />

03/1950 2957 1796<br />

04/1950 2962 2051<br />

05/1950 2962 2581<br />

07/1950 2905<br />

08/1950 2953 2358<br />

09/1950 2966 2303<br />

10/1950 2966<br />

12/1950 2617<br />

01/1951 2561<br />

02/1951 2442 1681<br />

03/1951125 2422 1575 341 506<br />

05/1951126 2341 1484 345 512<br />

121 SAPMO I 11/20/15. <strong>Die</strong> genaue Erhebung stand zum e<strong>in</strong>en im Zusammenhang mit der Umwandlung<br />

der Bezirksverbände zu Landesverbänden, zum anderen mit der Umwandlung zur »Partei neuen Typus«<br />

und der Vorbereitung des Parteitages im März 1951, auf den <strong>in</strong> den Berichten öfter Bezug genommen<br />

wird.<br />

122 Ab Januar 1952 wurde e<strong>in</strong>e neue Organisationsstatistik e<strong>in</strong>geführt. Im Zuge des bereits beantragten<br />

Parteiverbots durften über diese neue Statistik ke<strong>in</strong>e schriftlichen Direktiven, Rundschreiben, Protokolle<br />

oder Presseartikel verfasst werden. Ebenfalls wurden alle alten Mitgliederkarteien spätestens zum<br />

Februar 1952 vernichtet (Sekretariatsvorlage zur Auswertung der westdeutschen Org.-Konferenz am 5.1.1952,<br />

<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7).<br />

123 Alle Zahlen, falls nicht anders angegeben, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

124 <strong>Die</strong>se Zahl sche<strong>in</strong>t etwas hochgegriffen, zumal im Vergleich zu der folgenden Angabe für den März<br />

1949, und ist vermutlich auf ungenaue Erfassung zurückzuführen.<br />

125 Zahlen zusammengestellt und errechnet nach: Organisations-Berichte vom Land <strong>Bremen</strong> für die Org.-<br />

Konferenz am 12.7.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.


76<br />

Organisation und Struktur<br />

Monat gesamt kassiert <strong>Bremen</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord Bremerhaven<br />

04/1953 127 1940 1325 283 332<br />

02/1956 128 1200<br />

Betrachtet man die gut zwei Jahre der relativ genauen Erfassung zwischen März<br />

1949 und Mai 1951, ergibt sich alle<strong>in</strong>e für diesen Zeitraum e<strong>in</strong> Verlust von 1.021<br />

Mitgliedern (30,37 %). E<strong>in</strong>zelne größere Sprünge <strong>in</strong> der Entwicklung, besonders<br />

zwischen Oktober und Dezember 1950, müssen nicht unbed<strong>in</strong>gt die tatsächliche<br />

Mitgliederbewegung wiedergeben, sondern könnten auch zurückzuführen se<strong>in</strong> auf<br />

Unstimmigkeiten bzw. Änderungen der Erfassungsmethoden und deren Genauigkeit.<br />

Aber selbst wenn die Zahlen deshalb nicht präzise se<strong>in</strong> sollten, kann davon<br />

ausgegangen werden, dass die erkennbare e<strong>in</strong>deutige Abwärtstendenz den Realitäten<br />

entsprach. H<strong>in</strong>zu kommt die offenbar mangelhafte Kassierung. Wenn phasenweise,<br />

wie z.B. im Februar 1950, von über 800 Mitgliedern ke<strong>in</strong> Beitrag <strong>in</strong> die Parteikassen<br />

floss, ist dies nicht nur e<strong>in</strong> Indiz für e<strong>in</strong>e schlechte Erfassung, Organisierung<br />

und Kassierung, sondern auch für e<strong>in</strong>en Rückzug dieses Teils der Mitgliedschaft<br />

von der Partei.<br />

Der Abwärtstrend setzte sich <strong>in</strong> den folgenden Jahren fort, wurde jedoch <strong>in</strong>sgesamt<br />

etwas gebremst. In den zwei Jahren bis 1953 verlor die Partei rund 400 Mitglieder,<br />

von da ab bis zum Verbot 1956 noch e<strong>in</strong>mal etwa 750. In diesem Zeitraum<br />

g<strong>in</strong>gen somit noch e<strong>in</strong>mal über die Hälfte der Mitgliedschaft von 1951 verloren. 129<br />

Es lässt sich also von 1948 bis 1956 e<strong>in</strong> permanenter Mitgliederverlust konstatieren,<br />

der offenbar <strong>in</strong> den Jahren 1949 bis 1951 am stärksten ausprägt war und am drastischsten<br />

verlief. Insgesamt betrug der Verlust zwischen Ende 1948, dem Höhepunkt<br />

des Mitgliederstandes, und dem Verbot 1956 über 70 Prozent. Für den Bremer<br />

Landesverband s<strong>in</strong>d damit im Vergleich mit der Gesamtpartei ke<strong>in</strong>e nennenswerten<br />

Unterschiede h<strong>in</strong>sichtlich der Mitgliederentwicklung festzustellen. Festzuhalten<br />

bleibt noch der auffällige Unterschied <strong>in</strong> der Mitgliederentwicklung zwischen<br />

den Kreisen, wenn auch die diesbezüglichen Zahlen spärlich s<strong>in</strong>d. In den<br />

Kreisen Bremerhaven und <strong>Bremen</strong>-Nord, die gegenüber <strong>Bremen</strong>-Stadt im Verhältnis<br />

zur E<strong>in</strong>wohnerzahl ohneh<strong>in</strong> schon zurückfielen, war der prozentuale Mitgliederrückgang<br />

zwischen Ende 1948 und April 1953 mit ca. 68 Prozent (Bremerhaven)<br />

und ca. 57 Prozent (<strong>Bremen</strong>-Nord) noch drastischer als <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Stadt (ca. 45 Prozent).<br />

126 Zahlen zusammengestellt und errechnet nach: Ebenda.<br />

127 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landessekretariats <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

128 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> vom 6.2. bis 12.2. 56, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12. <strong>Die</strong> Zahl deckt sich mit<br />

den Angaben von Herbert Breidbach, der zu dieser Zeit Org-Sekretär <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> war (Interview Breidbach,<br />

1).<br />

129 Es g<strong>in</strong>gen 1.141 Mitglieder verloren, das entsprach 51,3 Prozent.


Organisation und Struktur 77<br />

Über die genaue Zahl der Zu- und Abgänge <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Monaten liegen<br />

nur vere<strong>in</strong>zelt Angaben vor. 130<br />

Tabelle 2: Zu- und Abgänge der <strong>KPD</strong> im Land <strong>Bremen</strong> März 1949 bis Februar 1951<br />

Monat Zugänge Abgänge davon: Austritte Ausschlüsse Verstorben Überweisungen<br />

03/1949 27 28<br />

07/1949 7 12 9 0 1 1<br />

08/1949 3 14<br />

12/1949 33 47<br />

02/1950 6 19 11 3 2 2<br />

03/1950 14 18<br />

04/1950 16 11<br />

05/1950 16 11<br />

01/1951 8 56<br />

02/1951 13 119 111 0 1 7<br />

<strong>Die</strong> Zahl der Abgänge konnte fast durchweg nicht durch Neuaufnahmen kompensiert<br />

werden. Weiterh<strong>in</strong> zeigt sich, auch wenn die diesbezüglichen Zahlen spärlich<br />

s<strong>in</strong>d, dass der Großteil des Mitgliederverlustes auf Austritte zurückzuführen war<br />

und nicht etwa, wie man angesichts der Altersstruktur der Partei auch vermuten<br />

könnte, auf das Ableben der älteren Mitglieder.<br />

<strong>Die</strong> Zahl der Neuaufnahmen konnte immerh<strong>in</strong> zeitweise durch Aktionen zur<br />

Mitgliederwerbung etwas gesteigert werden, auch wenn dabei längst nicht das<br />

selbst gesteckte Ziel erreicht wurde. Im Rahmen e<strong>in</strong>er bundesweiten Werbeaktion<br />

sollten beispielsweise im Dezember 1951 und Januar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong>sgesamt 500<br />

neue Mitglieder gewonnen werden. 131 Dass diese V<strong>org</strong>abe angesichts der damaligen<br />

Mitgliederentwicklung völlig unrealistisch war, zeigte dann spätestens das Ergebnis<br />

der Aktion: Im Land <strong>Bremen</strong> wurden <strong>in</strong>sgesamt 80 Neuaufnahmen verzeichnet.<br />

Dementsprechend wurde selbstkritisch vermerkt, »dass es uns noch nicht<br />

gelungen ist, unsere Aufgabe zu lösen«. 132<br />

<strong>Die</strong> Wettbewerbe zur Mitgliedergew<strong>in</strong>nung wurden mit großem Aufwand vom<br />

Landessekretariat propagiert und betrieben. In der Tribüne der Demokratie erschienen<br />

wöchentliche Übersichten über den Stand <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Stadtteilen, für die<br />

Sieger wurden Prämien <strong>in</strong> Form von Sachgeschenken ausgeschrieben. Dennoch gelang<br />

es offenbar trotz aller Motivationsversuche durch die Leitung nicht, die Mitgliedschaft<br />

für die Werbeaktionen zu mobilisieren. <strong>Die</strong> Landesleitung selbst stellte<br />

fest, dass »das ständige, <strong>org</strong>anisierte Herantreten an die Massen, die Entfaltung von<br />

Aktionen besonders <strong>in</strong> den Betrieben <strong>in</strong> der Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong> noch sehr<br />

130 Alle Zahlen, falls nicht anders angegeben, aus: SAPMO I 11/20/15. Im Vergleich zu den Gesamtzahlen<br />

ergeben sich e<strong>in</strong>ige Unstimmigkeiten, die vermutlich ebenfalls auf e<strong>in</strong>e zu ungenaue Erfassung zurückzuführen<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

131 Direktive an die Kreisleitungen <strong>Bremen</strong>, Bremerhaven und <strong>Bremen</strong>-Nord, 20.2.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

132 Direktive an die Kreisleitungen <strong>Bremen</strong>, Bremerhaven und <strong>Bremen</strong>-Nord, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.


78<br />

Organisation und Struktur<br />

ungenügend entwickelt« sei, und kritisierte vor allem die Betriebsgruppen, die an<br />

der Werbung »trotz der dort unzweifelhaft guten Möglichkeiten so gut wie gar<br />

nicht beteiligt« seien. 133 Ob es <strong>in</strong> den Betrieben tatsächlich so »gute Möglichkeiten«<br />

zur Gew<strong>in</strong>nung neuer Mitglieder gab, darf angesichts der ger<strong>in</strong>gen Zahl der Neuaufnahmen<br />

und der abnehmenden Stärke der Betriebsgruppen bezweifelt werden.<br />

Dennoch war natürlich die Arbeiterschaft <strong>in</strong> den Betrieben das vorrangige Ziel der<br />

Mitgliederwerbeaktionen. Daneben gab es aber auch Rekrutierungsversuche <strong>in</strong>nerhalb<br />

der »Massen<strong>org</strong>anisationen«, womit die Partei allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Dilemma geriet:<br />

Warben die <strong>KPD</strong>-Genossen <strong>in</strong>nerhalb der Organisationen neue Mitglieder,<br />

konnte leicht der nach außen vertretene Anspruch der Überparteilichkeit <strong>in</strong> Frage<br />

gestellt werden. H<strong>in</strong>zu kam e<strong>in</strong>e gewisse Unlust, <strong>in</strong>teressierte Sympathisanten überhaupt<br />

<strong>in</strong> die Partei aufzunehmen, weil man der Me<strong>in</strong>ung war, diese wären als<br />

Parteilose wertvoller. 134<br />

Mitgliederstruktur<br />

Über die Alters- und Sozialstruktur der Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> liegen genaue Angaben<br />

nur bis Mitte 1951 vor. 135 Auffällig ist, wie auch <strong>in</strong> der Gesamtpartei, 136 e<strong>in</strong>e relativ<br />

starke Überalterung: Im Erhebungszeitraum waren zwischen 36 und 46 Prozent der<br />

Mitgliederüber50Jahrealt,dieGruppederüber36-Jährigenstellte<strong>in</strong>sgesamtüber<br />

80 Prozent der Mitgliedschaft. Der Anteil der - allgeme<strong>in</strong> als »Jugendliche« titulierten<br />

- bis 25-Jährigen lag konstant um vier Prozent.<br />

Tabelle 3: Altersverteilung<br />

Monat Gesamt bis 25 Anteil 26-35 Anteil 36 -50 Anteil über 50 Anteil<br />

07/1949 3189 113 3,5% 413 13,0% 1169 36,7% 1494 46,9%<br />

08/1949 3164 113 3,6% 405 12,8% 1163 36,8% 1483 46,9%<br />

12/1949 3152 115 3,7% 406 12,9% 1475 46,8% 1156 36,7%<br />

01/1950 2974 109 3,7% 404 13,6% 1388 46,7% 1073 36,1%<br />

02/1950 2961 108 3,7% 403 13,6% 1378 46,5% 1072 36,2%<br />

03/1950 2957 112 3,8% 402 13,6% 1374 46,5% 1069 36,2%<br />

04/1950 2962 116 3,9% 400 13,5% 1376 46,5% 1070 36,1%<br />

05/1950 2962 116 3,9% 400 13,5% 1376 46,5% 1070 36,1%<br />

07/1950 2905 110 3,8% 395 13,6% 1348 46,4% 1052 36,2%<br />

08/1950 2953 114 3,9% 403 13,7% 1373 46,5% 1063 36,0%<br />

133 Ebenda.<br />

134 So wurde 1952 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikel der Tribüne der Demokratie unter der Überschrift »Mehr S<strong>org</strong>e und<br />

Aufmerksamkeit für die neuen Mitglieder unserer Partei« festgestellt: »Es gibt auch <strong>in</strong> der Partei immer<br />

noch solche Auffassungen, dass Parteilose, mit denen <strong>in</strong> den Gewerkschaften, <strong>in</strong> betrieblichen Organen<br />

und Ausschüssen auf Wohngebietsbasis e<strong>in</strong>e gute Zusammenarbeit entwickelt wurde, nicht<br />

Mitglieder der Partei werden ›dürfen‹, damit sie ›besser auftreten‹ können.« (Tribüne der Demokratie,<br />

27./28. September 1952).<br />

135 Alle Zahlen aus SAPMO I 11/20/15.<br />

136 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1786f.


Organisation und Struktur 79<br />

Monat Gesamt bis 25 Anteil 26-35 Anteil 36 -50 Anteil über 50 Anteil<br />

09/1950 2966 120 4,1% 400 13,5% 1376 46,4% 1070 36,1%<br />

10/1950 2966 120 4,1% 400 13,5% 1376 46,4% 1070 36,1%<br />

12/1950 2617 130 5,0% 381 14,6% 1024 39,1% 1082 41,4%<br />

01/1951 2561 103 4,0% 309 12,1% 1059 41,4% 1090 42,6%<br />

02/1951 2442 99 4,1% 283 12,0% 1018 41,7% 1042 42,7%<br />

03/1951 2422 92 3,8% 267 11,1% 1007 41,6% 1056 43,6%<br />

05/1951 2341 104 4,4% 208 8,9% 1230 52,5% 799 34,1%<br />

Verlust/Zuwachs - 848 - 9 - 205 + 61 - 695<br />

<strong>in</strong> Prozent -26,6% - 8,0% - 49,6% + 5,2% - 46,5%<br />

Auffällig ist der starke Verlust bei den ohneh<strong>in</strong> schon unterrepräsentierten 26- bis<br />

35-Jährigen, deren Zahl zwischen Oktober 1950 und Mai 1951 von 400 auf 208, also<br />

um fast die Hälfte, sank. Dass es sich dabei nur um Altersverschiebungen handelte,<br />

kann aufgrund der Kürze des Zeitraums ausgeschlossen werden. Zu vermuten ist<br />

vielmehr, dass der Verlust im Wesentlichen auf Austritte zurückzuführen war. Insgesamt<br />

war die Partei also offenbar sowohl für Jugendliche, bei denen die Zahlen<br />

aber immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igermaßen konstant auf niedrigem Niveau blieben, als auch für<br />

die 26- bis 35-Jährigen wenig attraktiv. Der Grund hierfür ist neben den partei<strong>in</strong>ternen<br />

V<strong>org</strong>ängen dieser Zeit sicher <strong>in</strong> dem wachsenden Antikommunismus, <strong>in</strong>klusive<br />

der daraus folgenden juristischen Maßnahmen und dem damit verbundenen<br />

S<strong>in</strong>ken der Berufschancen zu suchen. Zu vermuten ist weiterh<strong>in</strong>, dass besonders<br />

diese Gruppe Träger des »Mitgliederbooms« der ersten Nachkriegsjahre war und<br />

nun, nachdem sich die Mitgliedschaft <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> als nicht mehr opportun herausgestellt<br />

hatte, die Partei wieder verließ. Solche Gründe waren sicherlich für alle Altersgruppen<br />

relevant, für die jüngeren Generationen jedoch aufgrund der fehlenden<br />

Parteib<strong>in</strong>dung aus den Jahren vor 1933 besonders wirksam.<br />

<strong>Die</strong> Anzahl und der Anteil der mittleren Altersgruppe (36 - 50 Jahre) blieben<br />

dagegen relativ konstant. <strong>Die</strong>se Generation war <strong>in</strong> der Weimarer Republik sozialisiert<br />

worden, und es kann wohl davon ausgegangen werden, auch wenn hierüber<br />

ke<strong>in</strong>e Zahlen vorliegen, dass e<strong>in</strong> erheblicher Teil bereits vor 1933 <strong>in</strong> den kommunistischen<br />

K<strong>in</strong>der- und Jugend<strong>org</strong>anisationen ihre politische Prägung erhalten hatte<br />

oder bereits Parteimitglied gewesen war. <strong>Die</strong>se Tradition und e<strong>in</strong>e daraus resultierende<br />

stärkere Parteib<strong>in</strong>dung mag dazu beigetragen haben, dass <strong>in</strong> dieser Altersgruppe<br />

der Mitgliederverlust ger<strong>in</strong>g blieb und <strong>in</strong> dem Zeitraum 1949 bis 1951 sogar<br />

leicht anstieg.<br />

E<strong>in</strong>e starke Traditionsb<strong>in</strong>dung muss auch bei den über 50-Jährigen vermutet<br />

werden, die die zweitgrößte, zeitweise die stärkste Altersgruppe stellten. Betrachtet<br />

man die Zahlen von Dezember 1949 - dem Beg<strong>in</strong>n der monatlichen Erhebung - bis<br />

März 1951, lässt sich auch hier e<strong>in</strong>e relative Stabilität feststellen. Der Verlust von<br />

knapp 100 Mitgliedern <strong>in</strong> diesem Zeitraum wird größtenteils auf Sterbefälle zurückzuführen<br />

se<strong>in</strong>. Der gesamte Mitgliederverlust zwischen Juli 1949 und Mai 1951<br />

von fast 700 lässt sich allerd<strong>in</strong>gs so nicht erklären. Vermuten kann man zum e<strong>in</strong>en


80<br />

Organisation und Struktur<br />

statistische Ungenauigkeiten, zum anderen s<strong>in</strong>d aber auch »massenhafte« Austritte<br />

gerade <strong>in</strong> dieser Altersgruppe nicht auszuschließen. Möglich wäre dies beispielsweise<br />

zwischen März und Mai 1951, also für die Zeit nach der Umgestaltung der<br />

Partei. In diese Zeit fallen die Absetzung von Rudolf Rafoth als <strong>KPD</strong>-<br />

Fraktionsvorsitzender und der Parteiausschluss von Folkert Potrykus <strong>in</strong> Bremerhaven.<br />

Besonders <strong>in</strong> Bremerhaven führte der Ausschluss des langjährigen Kommunisten<br />

und an der Basis hochangesehenen Potrykus zu zahlreichen Protesten und Austritten.<br />

Dass dies vor allem die »alten« Genossen traf und diese deshalb die Konsequenz<br />

des Austritts zogen, ist zum<strong>in</strong>dest nicht ganz unwahrsche<strong>in</strong>lich, zumal auch<br />

die Mitgliederverluste <strong>in</strong> Bremerhaven prozentual die stärksten waren. 137<br />

Neben der starken Überalterung war die zahlenmäßige Dom<strong>in</strong>anz der männlichen<br />

Mitglieder kennzeichnend für die Struktur der <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft. Der Überblick<br />

über die Geschlechterverteilung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zwischen 1949 und 1951 zeigt<br />

den ger<strong>in</strong>gen Anteil der Frauen <strong>in</strong> der Partei, der <strong>in</strong> dieser Zeit durchschnittlich um<br />

20 Prozent lag und <strong>in</strong> den letzten Monaten sogar noch weiter absank. Auffällig ist<br />

auch, dass der Mitgliederverlust bei den Frauen überdurchschnittlich war: Mehr als<br />

e<strong>in</strong> Drittel der weiblichen Mitglieder von 1949 g<strong>in</strong>gen der Partei bis Mitte 1951 verloren.MitdiesenZahlenbefandsichdie<strong>KPD</strong><strong>in</strong><strong>Bremen</strong><strong>in</strong>etwaaufdemNiveau<br />

der Gesamtpartei. So lag etwa <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen der Frauenanteil im Februar<br />

1951 bei ungefähr 17 Prozent. 138 Auch <strong>in</strong> der Bremer SPD stellten Frauen allerd<strong>in</strong>gs<br />

<strong>in</strong> den 1950er Jahren e<strong>in</strong>en nur unwesentlich größeren Teil der Mitgliedschaft. 139<br />

Tabelle 4: Geschlechterstruktur<br />

Datum Mitglieder Männer Anteil Frauen Anteil<br />

Jul 1949 3189 2565 80,4% 624 19,6<br />

Aug 1949 3164 2544 80,4% 620 19,6%<br />

Dez 1949 3152 2533 80,4% 619 19,6%<br />

Jan 1950 2974 2378 80,0% 596 20,0%<br />

Feb 1950 2961 2367 79,9% 594 20,1%<br />

Mär 1950 2957 2364 80,0% 593 20,1%<br />

Apr 1950 2962 2367 79,9% 595 20,1%<br />

Mai 1950 2962 2367 79,9% 595 20,1%<br />

Jul 1950 2905 2325 80,0% 580 20,0%<br />

Aug 1950 2953 2364 80,1% 589 20,0%<br />

Sep 1950 2966 2371 82,1% 595 17,9%<br />

Okt 1950 2966 2371 82,1% 595 17,9%<br />

Dez 1950 2617 2231 85,3% 386 14,8%<br />

137 Vgl. Tabelle 1.<br />

138 Nach Gudrun Schädel, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen von <strong>1945</strong>-<br />

1956, a.a.O., S. 129.<br />

139 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 107.


Organisation und Struktur 81<br />

Datum Mitglieder Männer Anteil Frauen Anteil<br />

Jan 1951 2561 2106 82,2% 455 17,8%<br />

Feb 1951 2442 1995 140 81,7% 447 18,3%<br />

Mai 1951 2341 1944 83,0% 397 17,0%<br />

Verlust / Zuwachs - 848 - 621 - 227<br />

<strong>in</strong> Prozent - 26,6% - 24,2% - 36,4%<br />

<strong>Die</strong> nur vere<strong>in</strong>zelt vorliegenden Zahlen über die Geschlechterverteilung <strong>in</strong>nerhalb<br />

der verschiedenen Altersgruppen lassen ke<strong>in</strong>en nennenswerten Unterschied zwischen<br />

Männern und Frauen erkennen. Beispielhaft dargestellt s<strong>in</strong>d hier die Angaben<br />

für den Februar 1950. 141<br />

Tabelle 5: Geschlechterstruktur <strong>in</strong>nerhalb der verschiedenen Altersgruppen (Februar 1950)<br />

Altergruppen Männer % aller Männer Frauen % aller Frauen<br />

unter 25 86 3,6% 22 3,7%<br />

26 - 35 301 12,7% 102 17,2%<br />

36 - 50 1111 46,9% 266 44,8%<br />

über 50 869 36,7% 203 34,2%<br />

<strong>Die</strong> Berufsstruktur der <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft wies e<strong>in</strong>en Arbeiteranteil von durchschnittlich<br />

über 50 Prozent auf. <strong>Die</strong>s deckt sich <strong>in</strong> etwa mit den, allerd<strong>in</strong>gs spärlichen,<br />

Zahlen für die Gesamtpartei. 142 Dass der Anteil von Rentnern an der Gesamtmitgliedschaft<br />

als e<strong>in</strong>ziger im Erhebungszeitraum ansteigt, verdeutlicht zusätzlich<br />

die ungünstige Altersstruktur der Partei. Bei allen anderen Berufsgruppen<br />

s<strong>in</strong>d Mitgliederverluste festzustellen, besonders auffällig wird dies bei den Angestellten<br />

und den Freiberuflern. Unerheblich s<strong>in</strong>d im Stadtstaat <strong>Bremen</strong> die Bauern.<br />

<strong>Die</strong> erwerbslosen Mitglieder der Partei sche<strong>in</strong>en erst ab Dezember 1950 separat erfasst<br />

worden zu se<strong>in</strong>, zuvor wurden sie vermutlich den Arbeitern zugerechnet. Ihr<br />

Anteil ist nicht besonders hoch, was den Schluss nahe legt, dass die Partei von der<br />

bis Mitte der 1950er Jahre noch relativ hohen Arbeitslosigkeit, anders als <strong>in</strong> der<br />

Weimarer Republik, nicht sonderlich profitiert hat. Dennoch ist bemerkenswert,<br />

dass mit den <strong>in</strong>sgesamt rund 1.000 Rentnern, Arbeitslosen und Hausfrauen fast 40<br />

Prozent der Gesamtmitgliedschaft ke<strong>in</strong>er festen Erwerbstätigkeit nachg<strong>in</strong>g. Festzuhalten<br />

bleibt außerdem der ger<strong>in</strong>ge Anteil der erwerbstätigen Frauen. Im Mai 1951<br />

gaben von <strong>in</strong>sgesamt 397 weiblichen Mitgliedern 372 »Hausfrau« als Beruf an,<br />

standen also offenbar nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em festen und bezahlten Arbeitsverhältnis.<br />

140 <strong>Die</strong> Parteistatistik gibt e<strong>in</strong>e Zahl von 2.572 an. <strong>Die</strong>se ersche<strong>in</strong>t zum e<strong>in</strong>en unrealistisch, zum anderen<br />

würde sich e<strong>in</strong>e von der l<strong>in</strong>ks angegebenen Mitgliederzahl abweichende Summe von Männern und<br />

Frauen ergeben. <strong>Die</strong> Anzahl der Männer wurde daher aus der Differenz der Mitgliederzahl und der -<br />

realistisch ersche<strong>in</strong>enden - Zahl der Frauen ermittelt.<br />

141 SAPMO I 11/20/15. Daneben liegen noch Angaben für August und Juli 1949 vor, die ähnliche Verhältnisse<br />

widerspiegeln.<br />

142 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1787; Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der<br />

Bundesrepublik, a.a.O., S. 68.


82<br />

Tabelle 6: Berufsstruktur<br />

Datum Arbeiter Angestellte, Handwer-<br />

Beamte ker,Selbständige Jul 1949 1781<br />

(55,9%)<br />

Aug 1949 1763<br />

(55,7%)<br />

Dez 1949 1760<br />

(55,8%)<br />

Jan 1950 1614<br />

(54,3%)<br />

Feb 1950 1611<br />

(54,4%)<br />

Mär 1950 1614<br />

(54,6%)<br />

Apr 1950 1618<br />

(54,6%)<br />

Mai 1950 1618<br />

(54,6%)<br />

Jul 1950 1582<br />

(54,5%)<br />

Aug 1950 1615<br />

(54,7%)<br />

Sep 1950 1622<br />

(54,7%)<br />

Okt 1950 1622<br />

(54,7%)<br />

Dez 1950 1350<br />

(51,6%)<br />

Jan 1951 1496<br />

(58,4%)<br />

Feb 1951 1463<br />

(59,9%)<br />

Mär 1951 1459<br />

(60,2%)<br />

Mai 1951 1125<br />

(48,1%)<br />

Differenz - 656<br />

(- 36,8%<br />

348<br />

(10,9%)<br />

340<br />

(10,8%)<br />

340<br />

(10,8%)<br />

341<br />

(11,5%)<br />

339<br />

(11,5%)<br />

336<br />

(11,4%)<br />

337<br />

(11,4%)<br />

337<br />

(11,4%)<br />

331<br />

(11,4%)<br />

334<br />

(11,3%)<br />

337<br />

(11,4%)<br />

337<br />

(11,4%)<br />

167<br />

(6,4%)<br />

146<br />

(5,7%)<br />

140<br />

(5,7%)<br />

137<br />

(5,7%)<br />

114<br />

(4,9%)<br />

-234<br />

(- 67,2%)<br />

Organisation und Struktur<br />

237<br />

(7,4%)<br />

233<br />

(7,4%)<br />

230<br />

(7,3%)<br />

215<br />

(7,2%)<br />

211<br />

(7,1%)<br />

210<br />

(7,1%)<br />

210<br />

(7,1%)<br />

210<br />

(7,1%)<br />

206<br />

(7,1%)<br />

208<br />

(7%)<br />

210<br />

(7,1%)<br />

210<br />

(7,1%)<br />

177<br />

(6,8%)<br />

107<br />

(4,2%)<br />

103<br />

(4,2%)<br />

103<br />

(4,3%)<br />

158<br />

(6,8%)<br />

-79<br />

(- 33,3%)<br />

Freiberufe Bauern Hausfrauen Rentner,<br />

Invaliden<br />

36<br />

(1,1%)<br />

36<br />

(1,1%)<br />

34<br />

(1,1%)<br />

29<br />

(1%)<br />

29<br />

(1%)<br />

29<br />

(1%)<br />

29<br />

(1%)<br />

29<br />

(1%)<br />

29<br />

(1%)<br />

28<br />

(1%)<br />

29<br />

(1%)<br />

29<br />

(1%)<br />

65<br />

(2,5%)<br />

13<br />

(0,5%)<br />

10<br />

(0,4%)<br />

10<br />

(0,4%)<br />

8<br />

(0,3%)<br />

-28<br />

(- 77,8%)<br />

4<br />

(0,1%)<br />

4<br />

(0,1%)<br />

548<br />

(17,2%)<br />

543<br />

(17,2%)<br />

0 546<br />

(17,3%)<br />

0 532<br />

(17,9%)<br />

0 530<br />

(17,9%)<br />

0 529<br />

(17,9%)<br />

0 530<br />

(17,9%)<br />

0 530<br />

(17,9%)<br />

0 527<br />

(18,1%)<br />

0 530<br />

(18%)<br />

0 530<br />

(17,9%)<br />

0 530<br />

(17,9%)<br />

4<br />

(0,2%)<br />

2<br />

(0,1%)<br />

2<br />

(0,1%)<br />

2<br />

(0,1%)<br />

2<br />

(0,1%)<br />

-2<br />

(- 50%)<br />

290<br />

(11,1%)<br />

328<br />

(12,8%)<br />

305<br />

(12,5%)<br />

303<br />

(12,5%)<br />

372<br />

(15,9%)<br />

-176<br />

(- 32,1%)<br />

246<br />

(7,7%)<br />

243<br />

(7,7%)<br />

242<br />

(7,7%)<br />

243<br />

(8,2%)<br />

241<br />

(8,1%)<br />

239<br />

(8,1%)<br />

238<br />

(8%)<br />

238<br />

(8%)<br />

230<br />

(7,9%)<br />

238<br />

(8,1%)<br />

238<br />

(8%)<br />

238<br />

(8%)<br />

232<br />

(8,9%)<br />

269<br />

(10,5%)<br />

238<br />

(9,8%)<br />

233<br />

(9,6%)<br />

317<br />

(13,5%)<br />

+71<br />

(+ 28,7%)<br />

Erwerbslose<br />

332<br />

(12,7%)<br />

200<br />

(7,8%)<br />

181<br />

(7,4%)<br />

175<br />

(7,2%)<br />

245<br />

(10,4%)


4. Sub- und Neben<strong>org</strong>anisationen<br />

Organisation und Struktur 83<br />

Als Sub- und Neben<strong>org</strong>anisationen der <strong>KPD</strong> können solche Verbände betrachtet<br />

werden, die unter unmittelbarem E<strong>in</strong>fluss der Partei standen, und mit deren Hilfe<br />

politische Inhalte und Aktionen <strong>in</strong> nichtkommunistische oder sympathisierende<br />

Kreise der Bevölkerung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen werden sollten, um so e<strong>in</strong>e breitere Massenwirkung<br />

kommunistischer Politik zu erreichen. Das Spektrum dieser partei<strong>in</strong>tern<br />

sogenannten »Massen<strong>org</strong>anisationen« war breit gefächert und erstreckte sich<br />

auf nahezu alle relevanten gesellschaftlichen und politischen Bereiche. 143 Von mehr<br />

als nur temporärer Bedeutung waren dabei allerd<strong>in</strong>gs nur wenige dieser Organisationen.<br />

In <strong>Bremen</strong> waren dies vor allem die »Freie Deutsche Jugend« (FDJ), die<br />

»Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft« (GdsF) und der »Demokratische<br />

Frauenbund Deutschlands« (DFD). <strong>Die</strong>se waren zum e<strong>in</strong>en die Organisationen,<br />

die unmittelbar unter Anleitung der <strong>KPD</strong> arbeiteten, zum anderen diejenigen,<br />

die <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> von Verboten betroffen waren. 144 Daneben existierten weitere kle<strong>in</strong>ere<br />

Organisationen, deren Bedeutung und Mitgliederzahl wesentlich ger<strong>in</strong>ger war.<br />

Zu den unter E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> stehenden Massen<strong>org</strong>anisationen müssen außerdem<br />

die »Vere<strong>in</strong>igung der Verfolgten des Naziregimes« (VVN) sowie das Landesfriedenskomitee<br />

(LFK) gerechnet werden, die jedoch beide e<strong>in</strong>en gewissen Sonderstatus<br />

<strong>in</strong>nehatten.<br />

<strong>Die</strong> genannten und im folgenden näher betrachteten Massen<strong>org</strong>anisationen waren<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> eng <strong>in</strong> das politische Konzept und die Planung von Aktionen der<br />

<strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>bezogen. Ab 1950 galt dies vor allem für die Friedenspolitik: »Massen<strong>org</strong>anisationen<br />

s<strong>in</strong>d der Hebel der Partei für den Kampf um den Frieden«, so brachte es<br />

1951 Rudolf Rafoth auf den Punkt. 145 Dementsprechend eng war die Anleitung<br />

durch die Partei. Das Sekretariat führte geme<strong>in</strong>same Besprechungen mit den Massen<strong>org</strong>anisationen<br />

durch, 146 Vertreter(<strong>in</strong>nen) der FDJ, des LFK und des DFD nahmen<br />

außerdem regelmäßig an Sekretariatssitzungen teil. <strong>Die</strong> Kontrolle durch die<br />

Parteileitung g<strong>in</strong>g bis zu der V<strong>org</strong>abe an die wichtigsten Massen<strong>org</strong>anisationen,<br />

»zu allen Aktionen und wichtigen Arbeiten« Vorlagen an das Sekretariat e<strong>in</strong>zureichen,<br />

die dann dort beraten werden sollten. 147 Es gab außerdem <strong>in</strong> der Landesleitung<br />

e<strong>in</strong>e eigene Abteilung für Massen<strong>org</strong>anisationen sowie e<strong>in</strong>en dafür zuständigen<br />

Sekretär. 148 Trotz dieses klaren Führungsanspruches der Parteileitung war das<br />

143 E<strong>in</strong>e 1954 veröffentlichte Liste des antikommunistischen »Volksbund für Frieden und Freiheit« nannte<br />

<strong>in</strong>sgesamt 200 »Tarn<strong>org</strong>anisationen«; e<strong>in</strong>e sicherlich übertriebene Zahl, aber dennoch Beleg für die<br />

quantitative Bedeutung. Vgl. <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1782;<br />

Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, S. 108.<br />

144 Siehe auch die Auflistung aller <strong>in</strong> den Bundesländern verbotenen Organisationen bei Hans Kluth, <strong>Die</strong><br />

<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 131f.<br />

145 Protokoll der Sekretariatssitzung am 10. Januar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/6.<br />

146 Siehe z.B. Bericht über die Besprechung mit den verantwortlichen Genossen der Massen-Organisationen am<br />

12.10.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

147 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 12. September 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/6.<br />

148 E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Materialbestand dieser Abteilung f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/18.


84<br />

Organisation und Struktur<br />

Verhältnis der Massen<strong>org</strong>anisationen zur <strong>KPD</strong> nicht immer widerspruchsfrei und<br />

konfliktlos. In allen Massen<strong>org</strong>anisationen s<strong>in</strong>d vorsichtige Abgrenzungsversuche<br />

zur Partei festzustellen, die sich vor allem daraus ergaben, dass die <strong>KPD</strong>-Vertreter<br />

<strong>in</strong> den Massen<strong>org</strong>anisationen den Anspruch der Überparteilichkeit ernstzunehmen<br />

versuchten.<br />

<strong>Die</strong> »Freie Deutsche Jugend« (FDJ)<br />

<strong>Die</strong> FDJ kann als Jugend<strong>org</strong>anisation der <strong>KPD</strong> bezeichnet werden, obwohl sie dies<br />

offiziell nicht war und nach ihrem eigenen Selbstverständnis auch und gerade Jugendlichen<br />

offen stehen sollte, die nicht Parteimitglieder waren. Innerhalb der Massen<strong>org</strong>anisationen<br />

wurde der FDJ e<strong>in</strong> besonders großer Stellenwert beigemessen,<br />

der auch <strong>in</strong> der ungünstigen Altersstruktur der Partei begründet lag. <strong>Die</strong>sem Anspruch<br />

konnte die FDJ allerd<strong>in</strong>gs nie gerecht werden, weder h<strong>in</strong>sichtlich ihrer Mitgliederzahlen<br />

und -zusammensetzung noch bezüglich ihres E<strong>in</strong>flusses unter den<br />

Jugendlichen.<br />

Auf dem Gebiet der Westzonen gab es bereits im Sommer <strong>1945</strong> erste Versuche,<br />

e<strong>in</strong>e »Freie Deutsche Jugend« zu bilden, die vornehmlich auf deutsche Emigranten<br />

<strong>in</strong> verschiedenen europäischen Ländern - vor allem Großbritannien - zurückg<strong>in</strong>gen,<br />

die bereits seit 1936 unter diesem Namen antifaschistische Gruppen gebildet hatten.<br />

149 <strong>Die</strong> erste Zulassung durch die Besatzungsbehörden erhielt die FDJ im November<br />

<strong>1945</strong> <strong>in</strong> Hamburg. 150 In <strong>Bremen</strong> erhielt die FDJ im Sommer 1947 e<strong>in</strong>e Lizenz,<br />

nachdem bereits seit <strong>1945</strong> verschiedene kommunistisch orientierte Jugendgruppen<br />

unter verschiedenen Namen (»Frisch auf«, »Frei weg« oder »Voran«) existiert<br />

hatten. 151 Sie wurde <strong>in</strong> der Folgezeit mit etwa 250 - 300 Mitgliedern für e<strong>in</strong>ige<br />

Zeit zur stärksten und aktivsten politischen Jugend<strong>org</strong>anisation im Land <strong>Bremen</strong>.<br />

152 Im Stadtgebiet <strong>Bremen</strong> existierten 1949 vier FDJ-Gruppen - die stärkste davon<br />

mit 70 Mitgliedern -, <strong>in</strong> Vegesack/<strong>Bremen</strong>-Nord lediglich e<strong>in</strong>e. 153 In Bremerhaven<br />

gründete sich erst im Februar 1950 e<strong>in</strong>e feste Gruppe von 30 Mitgliedern. 154<br />

Mit Gerd Lieberum stellte die FDJ den ersten Sprecher des sogenannten Siebenerrates,<br />

der als e<strong>in</strong>e Art Geschäftsführung des im Juni 1947 gegründeten Bremer Jugendtages<br />

fungierte. Lieberum musste aber auf Drängen der Militärregierung bereits<br />

drei Monate später von diesem Amt wieder zurücktreten. 155<br />

149 Vgl. Karl-He<strong>in</strong>z Jahnke: 26. Juni 1951 - Das Verbot der Freien Deutschen Jugend, Essen 1996, S. 28.<br />

150 Ebenda.<br />

151 Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot! 80 Jahre Bremer Arbeiterjugendbewegung, 40<br />

Jahre Landesjugendr<strong>in</strong>g, <strong>Bremen</strong> 1987, S. 52f.<br />

152 Ebenda, S. 53. Auch Herbert Breidbach, 1948 - 1951 hauptamtlicher Funktionär der Bremer FDJ, bestätigt<br />

diese E<strong>in</strong>schätzung und spricht von »etwa 350 Mitgliedern <strong>in</strong> der Blütezeit« (Interview Breidbach,<br />

2).<br />

153 Bericht des Genossen K.E. Reuter über se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Wahlkampagne Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong> (1. August<br />

1949), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

154 Protokoll der komb<strong>in</strong>ierten Sekretariatssitzung am 16.3.1950 im Parteihaus, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

155 Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 55 und S. 57.


Organisation und Struktur 85<br />

<strong>Die</strong> Gründung bzw. Beteiligung an e<strong>in</strong>er zwar kommunistisch dom<strong>in</strong>ierten, aber<br />

überparteilichen Jugend<strong>org</strong>anisation war <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> ke<strong>in</strong>eswegs unumstritten.<br />

Bis 1948 gab es <strong>in</strong> der Partei auch Bestrebungen, wieder e<strong>in</strong>e eigene Jugend<strong>org</strong>anisation<br />

nach dem Vorbild des KJVD der Weimarer Republik zu etablieren. So gab es<br />

denn <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> parallel zur FDJ auch e<strong>in</strong>e Bezirksjugendabteilung der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong> der<br />

allerd<strong>in</strong>gs nur etwa 20 Mitglieder <strong>org</strong>anisiert waren. 156 Der Parteivorstand beschloss<br />

schließlich 1948 die Auflösung aller Parteijugend<strong>org</strong>anisationen und die<br />

Überführung ihrer Mitglieder <strong>in</strong> die FDJ, 157 was angesichts der Mitgliederverhältnisse<br />

e<strong>in</strong> folgerichtiger Entschluss war.<br />

Ohneh<strong>in</strong> war die FDJ bereits zu diesem Zeitpunkt faktisch e<strong>in</strong>e Jugend<strong>org</strong>anisation<br />

der <strong>KPD</strong>. <strong>Die</strong>s wurde schon daran deutlich, dass der Leiter der der dann aufgelösten<br />

Bezirksjugendabteilung sofort hauptamtlicher Organisationssekretär der FDJ<br />

wurde. Genau wie er waren die anderen vier Sekretäre Mitglieder der <strong>KPD</strong>. Auch<br />

waren etwa 75 Prozent der FDJ-Mitgliedschaft Mitglieder der Partei, oder aber sie<br />

stammten zum<strong>in</strong>dest aus kommunistischen Familien. 158 Konnten diese Verhältnisse<br />

zu diesem Zeitpunkt eventuell noch als kommunistische Dom<strong>in</strong>anz e<strong>in</strong>er an sich<br />

überparteilichen Organisation <strong>in</strong>terpretiert werden, so wurden <strong>in</strong> der Folgezeit die<br />

<strong>org</strong>anisatorischen und <strong>in</strong>haltlichen Abhängigkeiten von der <strong>KPD</strong> deutlicher. Fragen<br />

der FDJ und der Jugendpolitik wurden regelmäßig im Sekretariat der Partei behandelt<br />

- gelegentlich gar als e<strong>in</strong>ziger Tagesordnungspunkt - 159, und Sekretäre der FDJ<br />

wurden ab 1950 regelmäßig zu Sekretariatssitzungen h<strong>in</strong>zugezogen 160. Gleichzeitig<br />

wurde versucht, die FDJ auf die politische und vor allem auf die <strong>org</strong>anisatorische<br />

L<strong>in</strong>ie der <strong>KPD</strong> im Zuge der Umwandlung zur »Partei neuen Typus« zu orientieren.<br />

<strong>Die</strong>s war Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre noch nicht so selbstverständlich<br />

und e<strong>in</strong>fach wie es vielleicht ersche<strong>in</strong>en mag. Alle politischen Jugend<strong>org</strong>anisationen<br />

der Nachkriegszeit basierten zwar auf politischen, vor allem antifaschistischen<br />

Grundüberzeugungen, der Schwerpunkt der Aktivitäten aber lag zu dieser Zeit eher<br />

im Kultur-, Freizeit- und Bildungsbereich wie z.B. geme<strong>in</strong>same Ausflugsfahrten,<br />

Bildungs- und Leseabende, Tanzveranstaltungen etc., jedoch weniger <strong>in</strong> politischen<br />

Aktionen oder Demonstrationen. 161 Der öffentliche Ausdruck politischer Ges<strong>in</strong>nung<br />

erschöpfte sich weitgehend <strong>in</strong> Aktionen wie dem Ausschütten von »Coca<br />

Cola« <strong>in</strong> Jugendheimen oder der Ablehnung des »Ause<strong>in</strong>andertanzens« - beides <strong>in</strong><br />

den Augen der FDJ Ausdrücke des amerikanischen Imperialismus. 162<br />

156 Interview Breidbach, 2.<br />

157 Ebenda.<br />

158 Ebenda.<br />

159 Protokoll der komb<strong>in</strong>ierten Sekretariatssitzung am 16.3.1950 im Parteihaus, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

160 <strong>Die</strong>s waren vor allem Karl Gautier (Bruder des späteren Ersten Landesvorsitzenden Hermann Gautier),<br />

Gerd Lieberum und Herbert Breidbach.<br />

161 Vgl. Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 50ff.; Karl-He<strong>in</strong>z Schwe<strong>in</strong>gruber:<br />

»Ohne uns!« - Jugendverbände im Kalten Krieg, <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge et al. (Hrsg.): <strong>Bremen</strong> im<br />

Kalten Krieg. Zeitzeug(<strong>in</strong>n)en berichten aus den 50er und 60er Jahren: West<strong>in</strong>tegration - Wiederbewaffnung<br />

- Friedensbewegung, <strong>Bremen</strong> 1991, S. 101-109.<br />

162 Vgl. Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 59.


86<br />

Organisation und Struktur<br />

Mit Beg<strong>in</strong>n der 1950er Jahre wurde versucht, die politische Arbeit der FDJ zielgerichteter<br />

zu <strong>org</strong>anisieren, z.B. mit der Erstellung e<strong>in</strong>es Schwerpunktprogramms,<br />

das aber, so der damalige FDJ-Sekretär Karl Gautier wörtlich, von vornhere<strong>in</strong><br />

»Panne« war, da »zuviel Probleme auf e<strong>in</strong>mal gestellt worden« seien. 163 Auch die<br />

<strong>org</strong>anisatorische Umgestaltung im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er straff geführten, zentralistisch aufgebauten<br />

Jugend<strong>org</strong>anisation der <strong>KPD</strong> stieß bei der Mitgliedschaft des Jugendverbandes<br />

zunächst auf Kritik, wie auf e<strong>in</strong>er Landesvorstandssitzung der FDJ im November<br />

1950 deutlich wurde. Es herrschte, so der Berichterstatter, »e<strong>in</strong> ziemlich<br />

verbreitetes Misstrauen gegen die Leitung [...]. <strong>Die</strong> Arbeit des Sekretariats wird von<br />

vielen Freunden lediglich als e<strong>in</strong>e unterstützende Tätigkeit für das Jugendleben der<br />

Gruppen betrachtet und die Bedeutung der Leitung als politische Führung unterschätzt.<br />

Das Pr<strong>in</strong>zip des demokratischen Zentralismus ist noch nicht generell anerkannt.«<br />

164<br />

Parallel zur und wahrsche<strong>in</strong>lich auch als Konsequenz der ausschließlichen Orientierung<br />

auf die <strong>KPD</strong> wurde der FDJ auch der E<strong>in</strong>fluss auf die Zielgruppe »Jugend«<br />

und die Bremer Jugend<strong>org</strong>anisationen entzogen. Ähnlich wie die Mutterpartei<br />

wurde sie im Zuge des Kalten Krieges zunehmend isoliert und aus dem legalen<br />

politischen Spektrum verdrängt. <strong>Die</strong>s hatte zum e<strong>in</strong>en selbstverschuldete Gründe -<br />

nämlich die Nichtberücksichtigung von Interessen und Bedürfnissen der Mehrheit<br />

der Jugendlichen -, war aber auch zurückzuführen auf e<strong>in</strong>en wachsenden Antikommunismus,<br />

der die übrigen Jugendverbände erfasste, sowie Maßnahmen der Besatzungsmacht<br />

und der politischen Justiz. Der durch andere Jugend<strong>org</strong>anisationen sowie<br />

dem zuständigen amerikanischen Offizier erzwungene Rücktritt Gerd Lieberums<br />

als Sprecher der wichtigsten Bremer Jugend<strong>org</strong>anisationen war nur der Auftakt<br />

für weitere Beh<strong>in</strong>derungen <strong>in</strong> den folgenden Jahren, bis h<strong>in</strong> zur juristischen<br />

Verfolgung und schließlich dem bereits 1951 erfolgten Verbot. Ende 1948 wählte<br />

der Bremer Jugendtag Martha Fahrenberg zur Vorsitzenden, auch sie musste e<strong>in</strong><br />

halbes Jahr später zurücktreten, weil sie kurz zuvor der FDJ beigetreten war. 165 Ab<br />

1950 wurde der FDJ <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die Benutzung der Jugendheime untersagt, 166 und<br />

sie wurde aus dem Landesjugendr<strong>in</strong>g ausgeschlossen 167.<br />

Das im Juni 1951 vom Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isterium verfügte Verbot der FDJ kam<br />

also nicht mehr überraschend, stellte aber dennoch - da es das erste Verbot e<strong>in</strong>er<br />

größeren kommunistischen Organisation war - e<strong>in</strong>e weitere Verschärfung staatlicher<br />

Maßnahmen gegen die <strong>KPD</strong> dar. Rechtlich war dieses Verbot zweifelhaft, wie<br />

Alexander von Brünneck feststellt: »Vor allem hatte der Beschluss der Bundesregierung<br />

nicht die von ihm beanspruchte Wirkung e<strong>in</strong>es förmlichen Verbotes, denn es<br />

163 Protokoll der komb<strong>in</strong>ierten Sekretariatssitzung am 16.3.1950 im Parteihaus, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

164 Landesvorstandsitzung <strong>Bremen</strong> 5.11.50 [FDJ], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

165 Vgl. Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 56.<br />

166 Ebenda, S. 66.<br />

167 Vgl. ebenda, S. 68. In den Bundesjugendr<strong>in</strong>g war die FDJ 1949 erst gar nicht aufgenommen worden,<br />

was jetzt als Begründung für ihren Ausschluss aus dem Bremer Landesjugendr<strong>in</strong>g v<strong>org</strong>ebracht wurde.


Organisation und Struktur 87<br />

fehlte an e<strong>in</strong>er rechtwirksamen Auflösungsverfügung.« 168 Erst mehr als drei Jahre<br />

später, im Juli 1954, wurde das Verbot durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt.<br />

169 Trotz der fehlenden rechtlichen Grundlage war die FDJ faktisch seit 1951 illegalisiert<br />

und ihre Mitglieder e<strong>in</strong>er strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt.<br />

<strong>Die</strong>s galt auch für <strong>Bremen</strong>, wo das Verbot 1951 erst »gut e<strong>in</strong>en Monat später als<br />

<strong>in</strong> den anderen Bundesländern umgesetzt« wurde. 170 <strong>Die</strong> faktische Illegalisierung<br />

hatte zur Folge, dass die beiden bereits zuvor absehbaren Entwicklungsl<strong>in</strong>ien der<br />

FDJ sich nun manifestierten: <strong>Die</strong> Mitgliederzahl nahm weiter drastisch ab, die aktiven<br />

FDJler rekrutierten sich nunmehr fast ausschließlich aus dem Kreis der <strong>KPD</strong>,<br />

gleichzeitig wurde die Jugend<strong>org</strong>anisation nun endgültig ideologisch und materiell<br />

abhängig von der Partei. <strong>Die</strong> Zahl der <strong>in</strong> den Folgejahren noch aktiven FDJ-Mitglieder<br />

ist nicht genau zu bestimmen. Hermann Gautier sprach auf e<strong>in</strong>er Parteivorstandssitzung<br />

1954 von »sieben oder acht Gruppen« im Kreis <strong>Bremen</strong>, sowie zwei<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord und e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Bremerhaven. 171 <strong>Die</strong>sdecktsich<strong>in</strong>etwamitdenAngaben<br />

bei Merkel und Oldigs, die für den gesamten Landesverband 1954 neun<br />

Gruppen mit 70-80 Mitgliedern nennen. 172 Berücksichtigt man, dass die <strong>KPD</strong> im<br />

Land <strong>Bremen</strong> schon im Mai 1951 kaum mehr als 100 Mitglieder unter 25 Jahre hatte,<br />

sche<strong>in</strong>en diese Zahlen realistisch zu se<strong>in</strong>. Neben dem Rückgang der Mitgliederzahlen<br />

verstärkte sich mit dem Verbot auch die Isolation gegenüber anderen Bremer<br />

Jugendgruppen. Bereits Ende 1951 schrieb e<strong>in</strong> Instrukteur, »die FDJ <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ist<br />

e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e illegale Gruppe, die ke<strong>in</strong>erlei Verb<strong>in</strong>dung zur Gewerkschaftsjugend,<br />

christlichen Jugend oder anderen Jugendverbänden hat. Nur e<strong>in</strong> Stadtteil hat Verb<strong>in</strong>dung<br />

zu e<strong>in</strong>igen Falken.« 173 Ähnliches berichtete e<strong>in</strong> Instrukteur über die seit<br />

dem Verbot partei<strong>in</strong>tern »Verband« genannte FDJ und ihr Auftreten vor der Bundestagswahl<br />

1953: »Der Verband, soweit man überhaupt noch von e<strong>in</strong>er bestehenden<br />

Organisation sprechen kann, ist während des Wahlkampfes selbst nicht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung<br />

getreten. <strong>Die</strong> Mitglieder s<strong>in</strong>d bis auf wenige Ausnahmen Mitglieder unserer<br />

Partei, bef<strong>in</strong>den sich aber vollkommen <strong>in</strong> der Isolierung, haben nur vere<strong>in</strong>zelt<br />

Verb<strong>in</strong>dung zu den Falken und der Gewerkschaftsjugend.« 174<br />

<strong>Die</strong>se Schwierigkeiten waren wohl auch <strong>in</strong> <strong>org</strong>anisatorischen Problemen begründet,<br />

die nicht ausschließlich auf den Mitgliederverlust zurückzuführen waren.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> selbst tat sich offenbar schwer, die Rolle der FDJ und ihr eigenes Verhältnis<br />

zu der Jugend<strong>org</strong>anisation zu bestimmen. Zwar wurde bereits kurz nach dem<br />

Verbot e<strong>in</strong>e weitgehende Kontrolle und Anleitung der FDJ durch das Sekretariat<br />

168 Vgl. Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland<br />

1949 - <strong>1968</strong>, Frankfurt a.M. 1978, S. 64f. Außerdem umfassend Karl-He<strong>in</strong>z Jahnke, 26. Juni 1951 -<br />

Das Verbot der Freien Deutschen Jugend, a.a.O.<br />

169 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 64f.<br />

170 Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 68.<br />

171 Stenographische Niederschrift der 16. Parteivorstandstagung der Kommunistischen Partei Deutschlands am 16.<br />

und 17. Nov. 1954, <strong>in</strong>: SAPMO IV/2/10.03/241.<br />

172 Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 68. <strong>Die</strong> Autoren berufen sich auf Prozessakten.<br />

173 Bericht über <strong>Bremen</strong> aus der Zeit vom 20.11.-18.12.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

174 Land: <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht, 14.9.1953], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.


88<br />

Organisation und Struktur<br />

der Partei beschlossen, 175 gleichzeitig aber wurde be<strong>in</strong>ahe übervorsichtig darauf<br />

geachtet, ke<strong>in</strong>en <strong>org</strong>anisatorischen Zusammenhang der <strong>KPD</strong> zur illegalen FDJ <strong>in</strong><br />

der Öffentlichkeit deutlich werden zu lassen. <strong>Die</strong>s g<strong>in</strong>g soweit, dass e<strong>in</strong>e Zeit lang<br />

FDJ-Mitgliedern sogar untersagt wurde, Parteiversammlungen zu besuchen oder<br />

auch nur das Parteihaus zu betreten. 176 H<strong>in</strong>zu kamen starre formelle Organisationsschemata,<br />

die Hermann Gautier 1954 auf e<strong>in</strong>er Parteivorstandssitzung anschaulich<br />

und selbstkritisch schilderte:<br />

»Da gibt es e<strong>in</strong> Landessekretariat, Kreissekretariate und Gruppenleiter. <strong>Die</strong> Methode sieht so<br />

aus: Vorbereitung der Landessekretariatssitzungen, Landessekretariatssitzung selbst, Vorbereitung,<br />

also Aussprache mit den Kreissekretären, also Vorbereitung der Kreissekretariatssitzung,<br />

dann die Anleitung der Gruppenleiter und dann die Gruppenmitgliederversammlungen.<br />

Praktisch sieht das so aus [...], dass die <strong>in</strong> der ganzen Woche nur daran arbeiten, dass die<br />

Funktionäre und Mitglieder des Verbandes ausgerichtet werden, und Sonnabends und Sonntags<br />

machen sie die Gruppenversammlungen, also an den Tagen, wo es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie darauf<br />

ankommt, Massenarbeit zu machen, wo die Gewerkschaftsjugend nach draußen geht, die Naturfreunde<br />

nach draußen gehen. Also dann, wenn wir bei den Massen se<strong>in</strong> müssten, s<strong>in</strong>d wir<br />

schön abgeschlossen und isoliert [...].« 177<br />

Gautier fügte h<strong>in</strong>zu, dass »zweifellos« die Partei für die Lage der FDJ verantwortlich<br />

sei und forderte weniger formelle und <strong>in</strong>haltliche Schematismen - freilich<br />

ohne zu erwähnen, dass diese ihr Vorbild <strong>in</strong> der bürokratischen Struktur der <strong>KPD</strong><br />

selbst hatten. Er kritisierte außerdem, das Material der FDJ sei »zu stur, zu wenig<br />

auf die Jugend selbst zugeschnitten, also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sprache abgefasst, die die Jugend<br />

manchmal nicht versteht [...].«<br />

Der Parteileitung waren die Probleme der FDJ und der gesamten Jugendpolitik<br />

der <strong>KPD</strong> also bewusst, und tatsächlich wurde <strong>in</strong> den folgenden Jahren verstärkt<br />

versucht, mehr auf die Bedürfnisse der Jugend e<strong>in</strong>zugehen und die <strong>KPD</strong> für die <strong>in</strong><br />

der Partei völlig unterrepräsentierte Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen attraktiver<br />

zu machen. Sichtbarer Ausdruck dieser Bemühungen war zunächst die Gründung<br />

e<strong>in</strong>er Landes-Jugendkommission Ende 1955, die, so der Beschluss des Sekretariats,<br />

»sich ständig e<strong>in</strong>en guten Überblick über die Lage der Jugend und die Jugendarbeit«<br />

verschaffen und die Erkenntnisse <strong>in</strong> Vorschläge und Aktionen umsetzen sollte.<br />

178 In der Folgezeit wurden verstärkt Tanzabende, Filmvorführungen und Diskussionsveranstaltungen<br />

durchgeführt. 179 Aus den Reihen der FDJ selbst entstand<br />

die Kabarett-Gruppe »Bremer Spatzen«, die auch auf Veranstaltungen außerhalb<br />

175 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 12. September 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/6. <strong>Die</strong> FDJ sollte<br />

»zu allen Aktionen und wichtigen Arbeiten« Vorlagen an das Landessekretariat e<strong>in</strong>reichen, die dann<br />

dort besprochen wurden. Außerdem sollten alle vier Wochen e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Besprechung durchgeführt<br />

werden.<br />

176 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 21.2. bis 20.3.1952 [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13. Pikanterweise<br />

war es die FDJ selbst, die ihren Mitgliedern das Betreten des Parteihauses verbot und bei Parteitagungen<br />

sogar Wachposten aufstellte (Protokoll der LSS am 5.2.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8).<br />

177 Stenographische Niederschrift der 16. Parteivorstandstagung der Kommunistischen Partei Deutschlands am 16.<br />

und 17. Nov. 1954, <strong>in</strong>: SAPMO IV/2/10.03/241.<br />

178 Beschluss über Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit unter der Jugend [28. Dez. 1955], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/9<br />

179 E<strong>in</strong>satz: vom 18.6.-14.7.1956, Land: <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.


Organisation und Struktur 89<br />

der Partei auftrat. 180 Auch wenn diese Aktivitäten durchaus e<strong>in</strong>e neue Qualität <strong>in</strong><br />

der Jugendarbeit der <strong>KPD</strong> darstellten und auch e<strong>in</strong>ige kle<strong>in</strong>ere Erfolge zeigten 181,<br />

kamen sie dennoch mehrere Jahre zu spät und implizierten gleichzeitig das E<strong>in</strong>geständnis<br />

des Scheiterns der FDJ seit 1949 sowie des Konzepts e<strong>in</strong>er v<strong>org</strong>eblich überparteilichen<br />

Jugend<strong>org</strong>anisation, welche tatsächlich viel zu eng <strong>in</strong> das ideologische<br />

und <strong>org</strong>anisatorische Korsett der <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>gespannt war. Dabei führten nicht nur die<br />

von außen gegebenen Zwänge der Illegalität und der Kontrolle durch die Partei die<br />

FDJ <strong>in</strong> die Isolation, vielmehr war es auch die eigene, bereits vor dem Verbot deutlich<br />

gewordene »Scheuklappenmentalität« ihrer Führungskräfte, die e<strong>in</strong>e Aufrechterhaltung<br />

ihres anfänglichen E<strong>in</strong>flusses unmöglich machte.<br />

<strong>Die</strong> »Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft« (GdsF)<br />

<strong>Die</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik im Februar 1950 gegründete GdsF sollte, so das Programm,<br />

»die Wahrheit über das gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und<br />

kulturelle Leben <strong>in</strong> der Sowjetunion [...] verbreiten«, um »die Hasspropaganda gegen<br />

die Sowjetunion zu überw<strong>in</strong>den und e<strong>in</strong>e Atmosphäre des Vertrauens zwischen<br />

dem deutschen und sowjetischen Volk herzustellen«. 182 Mit dieser Zielrichtung<br />

wirkte die Organisation <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf kulturellem Gebiet: Sie veranstaltete<br />

Filmabende mit sowjetischen Spiel- oder Dokumentarfilmen, lud Tanz- und Musikgruppen<br />

aus der DDR und der Sowjetunion e<strong>in</strong> oder <strong>org</strong>anisierte Lesungen sowjetischer<br />

Literatur.<br />

In <strong>Bremen</strong> gelang der Gesellschaft dies offenbar relativ gut. In den Selbste<strong>in</strong>schätzungen<br />

des Sekretariats hieß es bereits im November 1950, die GdsF entwickle<br />

sich »günstig«, 183 und im gleichen Zeitraum berichtete die zuständige Abteilung<br />

für Massen<strong>org</strong>anisationen der Landesleitung: »<strong>Die</strong> räumlichen und technischen<br />

Vorbed<strong>in</strong>gungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> gut und sicher besser als <strong>in</strong> den meisten anderen<br />

Ländern Westdeutschlands. E<strong>in</strong> für westdeutsche Verhältnisse reichhaltiges Filmmaterial<br />

und eigene Apparate stehen zur Verfügung«. 184 E<strong>in</strong>Jahrspäterberichtete<br />

e<strong>in</strong> Instrukteur, die GdsF sei gar »die Massen<strong>org</strong>anisation, die <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am besten<br />

arbeitet, die die breiteste Basis hat und es versteht, neue Kräfte <strong>in</strong> die Organisation<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuziehen«. 185<br />

Entsprechend dieser relativ günstigen Voraussetzungen stabilisierte sich auch<br />

die Mitgliederzahl sehr schnell. Ende 1950 hatte die GdsF <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> etwa 200 Mit-<br />

180 Wolfgang Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 70f.<br />

181 Alle Veranstaltungen, so e<strong>in</strong> Instrukteur, seien ȟberraschenderweise gut besucht und weitere solche<br />

und ähnliche Veranstaltungen werden von den Jugendlichen gewünscht und weiterh<strong>in</strong> durchgeführt«<br />

(E<strong>in</strong>satz: vom 18.6.-14.7.1956, Land: <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14).<br />

182 5 Jahre Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft 1950-1955, Broschüre o.O., o.J. [1955].<br />

183 Protokoll von der Landesvorstandssitzung am 19. November 1950, Waller R<strong>in</strong>g 41, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

184 Bericht der Abt. Massen<strong>org</strong>anisationen für die Zeit vom 20. November 1950 bis 13. Januar 1951. (Dem Landesvorstand<br />

auf se<strong>in</strong>er 16. Sitzung am 14.1.51 erstattet), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

185 Bericht über <strong>Bremen</strong> aus der Zeit vom 20.11.-18.12.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.


90<br />

Organisation und Struktur<br />

glieder, von denen ca. 40 Prozent auch Mitglieder der <strong>KPD</strong> waren. 186 Glaubt man<br />

den Angaben des Ersten Sekretärs der Gesellschaft <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, stieg die Mitgliederzahl<br />

<strong>in</strong> den folgenden drei Jahren sogar um mehr als das doppelte an: 1954 wurden<br />

<strong>in</strong> den drei Kreisen <strong>Bremen</strong>s <strong>in</strong>sgesamt 488 Mitglieder <strong>in</strong> 17 Gruppen verzeichnet,<br />

h<strong>in</strong>zu kamen drei Kreise im niedersächsischen Umland, so dass die Landes<strong>org</strong>anisation<br />

650 Mitglieder umfasste. <strong>Die</strong> Mitglieder kamen allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> ihrer großen<br />

Mehrheit (60 bis 70 Prozent) aus der <strong>KPD</strong>, angeblich waren jedoch auch 25 Prozent<br />

<strong>in</strong> der SPD. Der Landesvorstand sowie die Kreisvorstände war ebenfalls von Kommunisten<br />

dom<strong>in</strong>iert, das Sekretariat bestand ausschließlich aus <strong>KPD</strong>-Mitgliedern.<br />

187<br />

Trotz dieser Dom<strong>in</strong>anz war das Verhältnis der GdsF zur <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong> zwiespältiges.<br />

Auf e<strong>in</strong>er Sekretariatssitzung im November 1954 wurde die mangelnde B<strong>in</strong>dung<br />

von Kommunisten <strong>in</strong> der GdsF an die Partei kritisiert:<br />

»Es gibt zwei Organisationen - der Gesangvere<strong>in</strong> und die Gesellschaft - wo wir feststellen,<br />

dass sie ke<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zur Partei haben, oder nur ganz wenig und nicht das se<strong>in</strong> können,<br />

was sie se<strong>in</strong> sollen, nämlich den anderen Mitgliedern der Gesellschaft e<strong>in</strong> höheres Bewusstse<strong>in</strong><br />

zu geben. Es gibt e<strong>in</strong>e Reihe Genossen, die desertieren vor der Parteiarbeit zur Gesellschaft<br />

oder Gesangvere<strong>in</strong>. Wenn man mit ihnen spricht, sagen sie: wir machen Massenarbeit.<br />

Aber die besteht nur im Besuch von Film- und anderen Kulturveranstaltungen.« 188<br />

In der Tat war also die hauptsächlich kulturell geprägte GdsF auch e<strong>in</strong>e Rückzugsmöglichkeit<br />

von der offenbar unangenehmeren eigentlichen politischen Arbeit<br />

im S<strong>in</strong>ne des Sekretariats. Programmatisch natürlich auf e<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ie mit der <strong>KPD</strong><br />

versuchte die GdsF sich offenbar dennoch gelegentlich von der Partei abzugrenzen,<br />

was Wilhelm Meyer-Buer auf der erwähnten Sekretariatssitzung zu der Bemerkung<br />

veranlasste, das »Verhältnis zwischen der Partei und der Gesellschaft ist hier bei<br />

uns nicht normal und gesund«. 189 Er zitierte e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied der GdsF:<br />

»Wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e selbständige Organisation, wir rennen nicht h<strong>in</strong>ter der Partei her. Ihr<br />

verlangt, wenn wir hier was durchführen, sollen wir das der Partei melden. Das<br />

haben wir nicht nötig«. 190 Solche gelegentlichen - bei nahezu allen Massen<strong>org</strong>anisationen<br />

zu beobachtenden - Abgrenzungsversuche führten aber zu ke<strong>in</strong>erlei weitergehenden<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen oder gar programmatischen Gegensätzen mit der<br />

<strong>KPD</strong>.<br />

In <strong>Bremen</strong> wurde die GdsF schließlich 1956 - wie <strong>in</strong> anderen Bundesländern<br />

auch - als »Tarn<strong>org</strong>anisation« der <strong>KPD</strong> verboten. 191<br />

186 Bericht der Abt. Massen<strong>org</strong>anisationen für die Zeit vom 20. November 1950 bis 13. Januar 1951. (Dem Landesvorstand<br />

auf se<strong>in</strong>er 16. Sitzung am 14.1.51 erstattet), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

187 Alle Angaben <strong>in</strong>: Protokoll der LSS v. 2.11.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

188 Protokoll der LSS v. 2.11.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

189 Ebenda.<br />

190 Ebenda.<br />

191 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 131; Alexander von Brünneck, Politische Justiz<br />

gegen Kommunisten, a.a.O., S. 114.


Der »Demokratische Frauenbund Deutschland« (DFD)<br />

Organisation und Struktur 91<br />

Der »Demokratische Frauenbund Deutschland« wurde im September 1947 <strong>in</strong> Ost-<br />

Berl<strong>in</strong> gegründet und konstituierte sich <strong>in</strong> der Bundesrepublik ab 1950, zunächst<br />

nur auf Orts- und Landesebene, später auch bundesweit mit dem »Büro Westdeutschland«<br />

als zentraler Leitung. 192 In <strong>Bremen</strong> gründete sich der DFD etwa im<br />

Herbst 1950. 193 Der DFD war als überparteiliche Organisation gedacht, faktisch war<br />

er - ähnlich wie die FDJ auf Jugendebene - die Frauen<strong>org</strong>anisation der <strong>KPD</strong>. Von<br />

den 240 Mitgliedern <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zur Jahreswende 1950/51 waren nach eigenen Angaben<br />

60 Prozent Genoss<strong>in</strong>nen. 194 Anzunehmen ist außerdem, dass e<strong>in</strong> weiterer<br />

Großteil der parteilosen Frauen aus dem familiären Umfeld von <strong>KPD</strong>-Mitgliedern<br />

stammte, so dass wohl die 1951 von e<strong>in</strong>em Instrukteur geäußerte Kritik, der DFD<br />

habe »nicht die genügende Breite«, <strong>in</strong> der Tat zutreffend war. 195 Schon<strong>in</strong>ihrem<br />

Umfeld gelang es <strong>KPD</strong> und DFD nach eigener E<strong>in</strong>schätzung nicht zufriedenstellend,<br />

e<strong>in</strong>en Großteil der Frauen <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> oder auch die parteilosen Ehefrauen<br />

von Parteimitgliedern für die Arbeit im DFD zu gew<strong>in</strong>nen. Alle<strong>in</strong>e der Vergleich<br />

zwischen den Mitgliederzahlen macht dies deutlich: Im Januar 1951 waren 455<br />

Frauen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> Mitglied der <strong>KPD</strong>, von denen aber nur etwa 144 im DFD <strong>org</strong>anisiert<br />

waren. Gleichzeitig ergaben sich zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> der Gründungsphase personelle<br />

Schwierigkeiten dadurch, dass die im DFD arbeitenden Frauen eben auch schon <strong>in</strong><br />

der <strong>KPD</strong> überverhältnismäßig aktiv waren und sich so Überschneidungen ergaben.<br />

196 <strong>Die</strong> Mobilisierung der Frauen im familiären Umfeld der <strong>KPD</strong>-Mitglieder<br />

war ebenfalls e<strong>in</strong> Problem, wie Maria Krüger auf e<strong>in</strong>er Landesleitungssitzung<br />

konstatierte:<br />

»<strong>Die</strong> Frage der Frauen unserer Genossen ist e<strong>in</strong>e politische Frage. Man muss ihnen viel mehr<br />

Bedeutung beimessen. Man muss bis zu den höchsten Funktionären gehen. Jede Frau sollte <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Friedens<strong>org</strong>anisation etwas tun. Es gibt viele Genossen, die Frauen haben, die noch sehr<br />

rückständig s<strong>in</strong>d. Wir müssen auch <strong>in</strong> der Grunde<strong>in</strong>heit versuchen, hierüber Klarheit zu<br />

schaffen. <strong>Die</strong> Genossen sollten ihre Frauen zu der Schulung mitnehmen, wir müssen sie direkt<br />

e<strong>in</strong>laden.« 197<br />

Käthe Popall schlug 1950 vor, man müsse »nicht nur an den Verstand, sondern<br />

an das Gefühl appellieren. Eure gut bebaute Parzelle und eure gemütliche Stube<br />

192 Vgl. ausführlich Ingeb<strong>org</strong> Nöd<strong>in</strong>ger, Frauen gegen Wiederaufrüstung. Der Demokratische Frauenbund<br />

Deutschland im antimilitaristischen Widerstand (1950-1957), Frankfurt a.M. 1983.<br />

193 Im November 1950 fand der DFD erstmals Erwähnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht der Abteilung für Massen<strong>org</strong>anisationen<br />

der Landesleitung (Protokoll von der Landesvorstandssitzung am 19. November 1950, Waller<br />

R<strong>in</strong>g 41, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2).<br />

194 Protokoll der Sekretariatssitzung am 10. Januar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

195 Bericht über <strong>Bremen</strong> aus der Zeit vom 20.11.-18.12.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

196 Protokoll der Sekretariatssitzung am 10. Januar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/6.<br />

197 Landesleitungssitzung am 11. Mai 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3. Maria Krüger (1907-1987): K<strong>in</strong>dergärtner<strong>in</strong><br />

und Sonderschullehrer<strong>in</strong>. <strong>KPD</strong> seit 1931, nach 1933 Widerstand, 1942-44 Haft, Lehrer<strong>in</strong> seit 1948, Mitglied<br />

der Bremischen Bürgerschaft 1951-1959, 1951-1956 Mitglied der <strong>KPD</strong>-Landesleitung, seit Ende<br />

1959 Herausgeber<strong>in</strong> der legalen Bremer <strong>KPD</strong>-Zeitung »Neues Echo«, ab <strong>1968</strong> DKP.


92<br />

Organisation und Struktur<br />

nützt euch gar nichts, wenn es nicht gel<strong>in</strong>gt, den Kampf um den Frieden zu gew<strong>in</strong>nen«.<br />

198<br />

Neben den Mobilisierungsschwierigkeiten verdeutlichen die beiden Zitate den<br />

neuen Schwerpunkt kommunistischer Frauenpolitik. <strong>Die</strong> durchaus nach <strong>1945</strong> <strong>in</strong> der<br />

<strong>KPD</strong> zunächst noch vorhandenen Forderungen nach der Frauengleichberechtigung<br />

199 wurden ab 1950 zugunsten der Gesamtorientierung der Partei auf die Friedenspolitik<br />

zurückgedrängt. Entsprechend war auch die Arbeit des Frauenbundes<br />

vorrangig darauf gerichtet, Aktionen der <strong>KPD</strong> zu unterstützen, wobei den Frauen<br />

meist die Erledigung der notwendigen »Kle<strong>in</strong>arbeit« oblag. Der <strong>in</strong>haltlichen Anb<strong>in</strong>dung<br />

an die <strong>KPD</strong> entsprach die personelle: <strong>Die</strong> leitenden Funktionen im Landesvorstand<br />

des DFD waren von Frauen besetzt, die auch <strong>KPD</strong>-Mitglied waren.<br />

Zum<strong>in</strong>dest die Posten der beiden Vorsitzenden wurde dabei vermutlich <strong>in</strong> aller Regel<br />

auf Beschluss des Landessekretariats der <strong>KPD</strong> besetzt. 200<br />

Andere Organisationen<br />

Neben den drei beschriebenen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> Aktivitäten verschiedener anderer<br />

Organisationen zu verzeichnen, die ganz oder teilweise unter dem E<strong>in</strong>fluss der<br />

<strong>KPD</strong> standen, deren Bedeutung aber <strong>in</strong>sgesamt ger<strong>in</strong>g war. Als unmittelbar von der<br />

<strong>KPD</strong> <strong>in</strong>itiiert und dom<strong>in</strong>iert können dabei betrachtet werden die »Jungen Pioniere«,<br />

die K<strong>in</strong>der<strong>org</strong>anisation der Partei, die <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie K<strong>in</strong>derferienaktionen <strong>in</strong> die<br />

DDR <strong>org</strong>anisierte; die »Nationale Front« (NF), die im Zuge der Wiedervere<strong>in</strong>igungspolitik<br />

ab 1949 vor allem <strong>in</strong> bürgerliche Kreise h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wirken sollte, sowie die<br />

auf l<strong>in</strong>ke Sozialdemokraten zielende »Sozialdemokratische Aktion« (SDA). 201<br />

Bedeutsamer waren dagegen die »Vere<strong>in</strong>igung der Verfolgten des Naziregimes«<br />

(VVN) und das »Landesfriedenskomitee« (LFK) e<strong>in</strong>. Beide waren relativ aktive<br />

und für die Politik der <strong>KPD</strong> relevante Organisationen, können aber nicht im<br />

gleichen Maße wie FDJ, DFD und GdsF als Unter<strong>org</strong>anisationen der Partei bezeichnet<br />

werden. <strong>Die</strong> VVN gründete sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 15. Januar 1947 als Zusammenschluss<br />

ehemaliger Widerstandskämpfer und -kämpfer<strong>in</strong>nen sowie anderer vom<br />

Faschismus Verfolgter. <strong>Die</strong> VVN sah sich sofort dem Vorwurf ausgesetzt, e<strong>in</strong>e<br />

kommunistische Tarn<strong>org</strong>anisation zu se<strong>in</strong>. 1948 erklärte die SPD die Zugehörigkeit<br />

zur VVN als unvere<strong>in</strong>bar mit der SPD-Mitgliedschaft, woraufh<strong>in</strong> nicht alle, aber<br />

doch zahlreiche Sozialdemokraten die Vere<strong>in</strong>igung verließen. <strong>Die</strong> Mehrzahl der<br />

198 Parteiarbeiterkonferenz der <strong>KPD</strong> Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong> am 16. April 1950 <strong>in</strong> Bremerhaven, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/4.<br />

199 Vgl. dazu die Erwähnungen bei Renate Meyer Braun, Frauen und politische Parteien, <strong>in</strong>: Renate Meyer-Braun<br />

und Beate Hoecker, Bremer<strong>in</strong>nen bewältigen die Nachkriegszeit. Frauen Alltag, Arbeit, Politik,<br />

<strong>Bremen</strong> 1988, S. 124-143.<br />

200 Zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen ist dies nachweisbar, wie bspw. 1952 die E<strong>in</strong>setzung von Margot Konetzka<br />

- Mitglied der <strong>KPD</strong> und Ehefrau des Sekretariatsmitglieds Ulrich Konetzka - als 2. Vorsitzende des<br />

DFD (Protokoll der Sekretariatssitzung vom 29. Mai 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7).<br />

201 Der »Demokratische Kulturbund Deutschland« unterhielt zwar <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong> eigenes Büro, welches<br />

im Zuge der Verbotsmaßnahmen 1956 ebenfalls geschlossen wurde, f<strong>in</strong>det aber <strong>in</strong> den vorliegenden<br />

Quellen ke<strong>in</strong>erlei Erwähnung.


Organisation und Struktur 93<br />

VVN-Mitglieder waren spätestens ab diesem Zeitpunkt Kommunisten, auch der<br />

langjährige Vorsitzende Ge<strong>org</strong> Gumpert war <strong>KPD</strong>-Mitglied. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> nahm dementsprechenden<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die Organisation, leitete sie an und setzte sie für Aktionen<br />

e<strong>in</strong>. Dennoch kam der VVN sowohl <strong>in</strong> der Partei wie auch <strong>in</strong> der Öffentlichkeit<br />

e<strong>in</strong> gewisser Sonderstatus zu, der sich wohl <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mit der moralischen<br />

Unangreifbarkeit ehemaliger Widerstandskämpfer erklären lässt. Beleg dafür ist<br />

auch, dass es nicht gelang, die VVN trotz verschiedener Versuche bundesweit zu<br />

verbieten. 202<br />

Das 1949/50 gegründete »Landesfriedenskomitee« (LFK) - bis 1951 »Komitee<br />

der Kämpfer für den Frieden« - war die Organisation, mit der die <strong>KPD</strong> versuchte,<br />

die verschiedenen Kräfte der Friedensbewegung zu bündeln und vor allem nichtkommunistische<br />

Personen anzusprechen. 203 Innerhalb der ab 1951 allen anderen<br />

politischen Zielen übergeordneten Friedens- und Wiedervere<strong>in</strong>igungspolitik der<br />

Partei kam dem LFK damit e<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung zu. Unter strategischen Gesichtspunkten<br />

war das LFK für die <strong>KPD</strong> angesichts des sich <strong>in</strong> der Friedensbewegung<br />

ab 1950 abzeichnenden Bündnispotentials <strong>in</strong> nichtkommunistischen Kreisen<br />

(Christen, Sozialdemokraten, Gewerkschafter) - die »Massen<strong>org</strong>anisation«, mit der<br />

sich noch am ehesten E<strong>in</strong>fluss und politisches Gewicht außerhalb der Partei gew<strong>in</strong>nen<br />

ließ. Speziell beim Landesfriedenskomitee achtete die <strong>KPD</strong> deshalb verstärkt<br />

darauf, nicht zu viele Kommunisten <strong>in</strong> die Organisation e<strong>in</strong>zubeziehen: »Unser<br />

Bestreben war, ke<strong>in</strong>e Kommunisten zu werben, sondern regelrecht, wenn man so<br />

will, e<strong>in</strong>e Zutrittssperre zu machen. Wichtig waren für uns Kommunisten <strong>in</strong> den<br />

Organisationen und Gewerkschaften, <strong>in</strong> den Betrieben. <strong>Die</strong> sollten uns Sympathisanten<br />

bekannt geben, an die wir uns gewandt haben«, so Rolf Stelljes, ab 1952 Geschäftsführer<br />

des LFK und <strong>KPD</strong>-Mitglied. 204 <strong>Die</strong> Partei nahm nur pr<strong>in</strong>zipielle, unpräzise<br />

Anleitungen vor, <strong>in</strong> der täglichen Arbeit sei man »ziemlich alle<strong>in</strong> gelassen«<br />

worden. 205 <strong>Die</strong>s galt wohl generell für alle Massen<strong>org</strong>anisationen, allerd<strong>in</strong>gs kann<br />

man <strong>in</strong> Bezug auf das LFK - ähnlich wie bei der VVN - von e<strong>in</strong>er »relativen Autonomie«<br />

der Organisation sprechen, die sich beim LFK aus der, wenn auch wenig <strong>in</strong>tensiven,<br />

Zusammenarbeit mit Nichtkommunisten ergab, wie sie so bei der FDJ<br />

und dem DFD nicht gegeben war.<br />

202 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 111f.<br />

203 Siehe zum LFK Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nach dem Zweiten Weltkrieg, <strong>Bremen</strong><br />

1989, S. 60 und passim; Rolf Stelljes, Das Bremer Landesfriedenskomitee (LFK), <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge<br />

et al. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg, a.a.O., S. 161-170.<br />

204 Interview Rolf Stelljes.<br />

205 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 60.


Kapitel 3<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

1. H<strong>in</strong>tergründe auf Bundesebene<br />

<strong>Die</strong> Anti-Tito-Kampagne von Kom<strong>in</strong>form und SED wurde von der <strong>KPD</strong> nachvollzogen,<br />

<strong>in</strong>nerparteilich zunächst allerd<strong>in</strong>gs nur zögerlich umgesetzt. Der Parteivorstand<br />

stimmte Anfang Oktober 1948 dem Kom<strong>in</strong>form-Beschluss über Jugoslawien<br />

zu. 1 <strong>Die</strong> Resolution »<strong>Die</strong> Bedeutung der Entschließung des Informations-Büros über<br />

die Lage der KP Jugoslawiens und die Lehren für die <strong>KPD</strong>« forderte »erhöhte<br />

Wachsamkeit gegen das E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen parteife<strong>in</strong>dlicher Elemente und Provokateure«.<br />

2 Zuvor waren bereits e<strong>in</strong>ige <strong>org</strong>anisatorische Umstellungen <strong>in</strong>klusive e<strong>in</strong>er umfassenden<br />

Mitgliederkontrolle beschlossen worden. 3 Dennoch hatten diese Äußerungen<br />

und Maßnahmen zunächst noch ke<strong>in</strong>e Folgen. In der Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger<br />

Delegiertenkonferenz (5./6. März 1949) wurde zwar e<strong>in</strong> Zurückweichen vor<br />

dem»DruckdesGegners« 4 kritisiert und »e<strong>in</strong>e auf Überzeugung beruhende straffe<br />

Diszipl<strong>in</strong>« 5 der <strong>KPD</strong>-Mitglieder gefordert, die Titoismus-Problematik aber fand<br />

ke<strong>in</strong>erlei Erwähnung. 6 Das Zögern endete nach der Bundestagswahl am 14. August<br />

1949, die für die <strong>KPD</strong> mit e<strong>in</strong>er Niederlage endete. <strong>Die</strong> nachfolgende Entwicklung<br />

wurde von der SED maßgeblich forciert. <strong>Die</strong> zuständige Westkommission forderte<br />

1 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 41.<br />

2 Zitiert nach Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 12.<br />

3 Ebenda.<br />

4 Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1,<br />

S. 266 - 284, hier S. 276.<br />

5 Ebenda, S. 282.<br />

6 Vgl. Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 34, die dies als »wichtiges<br />

Indiz dafür, wie wenig man damals offenkundig <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>-Führung davon hielt, diese Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

zuzuspitzen« werten. Anzunehmen ist jedoch, dass dies nur für e<strong>in</strong>en Teil der führenden<br />

Funktionäre galt. H<strong>in</strong>weis darauf waren Ause<strong>in</strong>andersetzungen auf der Delegiertenkonferenz um<br />

die Verlesung e<strong>in</strong>es Grußschreibens der SED, <strong>in</strong> dem das deutsche Volk aufgefordert wurde, im Falle<br />

e<strong>in</strong>er westlichen Aggression geme<strong>in</strong>sam mit der Sowjetarmee dagegen zu kämpfen. Der später <strong>in</strong> der<br />

DDR verhaftete stellvertretende Parteivorsitzende Kurt Müller weigerte sich zunächst, das Schreiben<br />

zu verlesen, da es ihm und anderen Funktionären (u.a. Hermann Nud<strong>in</strong>g) angesichts der herrschenden<br />

antisowjetischen Stimmungen (<strong>in</strong>folge der Berl<strong>in</strong>-Blockade) zum<strong>in</strong>dest nicht opportun schien, diese<br />

weiter »anzuheizen«. Es soll daraufh<strong>in</strong> <strong>in</strong>terne Ause<strong>in</strong>andersetzungen besonders mit Max Reimann<br />

gegeben haben, woraufh<strong>in</strong> Müller das Grußschreiben doch noch verlas. (Vgl. Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />

der Bundesrepublik, a.a.O., S. 34; Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 241; Herbert<br />

Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 14).


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 95<br />

<strong>in</strong> ihren Wahlanalysen u.a. die Säuberung von »trotzkistischen Agenten aller Spielarten«,<br />

Neuwahlen der Parteileitungen und e<strong>in</strong>e »Überprüfung der Landesvorstände<br />

und ihrer Sekretariate«. 7 Ähnliche »Vorschläge« wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe von Besprechungen<br />

mit den führenden <strong>KPD</strong>-Funktionären formuliert. 8 Erste Maßnahmen<br />

wurden bereits nach e<strong>in</strong>er außerordentlichen Sitzung des Parteivorstandes im September<br />

1949 ergriffen. 9 Mit der Begründung, sie seien »Tito-Agenten«, wurden der<br />

Fraktionsvorsitzende im Landtag von Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz, Herbert Müller, sowie Ge<strong>org</strong><br />

Fischer, Sekretär der bayerischen Landesleitung, von ihren Funktionen entfernt.<br />

10 Beide traten kurze Zeit später aus der <strong>KPD</strong> aus und kamen damit e<strong>in</strong>em<br />

Ausschluss zuvor.<br />

Mit der 14. Parteivorstandstagung (28. - 30. Dezember 1949) wurde das entscheidende<br />

Signal für die nachfolgenden Säuberungen der <strong>KPD</strong> gesetzt. 11 <strong>Die</strong> Resolution<br />

der Tagung konstatierte, »dass fe<strong>in</strong>dliche Elemente <strong>in</strong>nerhalb der Partei ihre<br />

aktive Zersetzungsarbeit durchführen konnten« und forderte den »rücksichtslosen<br />

Kampf gegen alle fe<strong>in</strong>dlichen Ideologen«. 12 Mehrere leitende Funktionäre wurden<br />

des Titoismus und des Agententums bezichtigt, betroffen waren sämtliche Landesvorstände.<br />

Für <strong>Bremen</strong> wurde lediglich festgestellt, es gebe »Tatsachen, die zeigen,<br />

dass der ideologischen Ause<strong>in</strong>andersetzung ausgewichen wird«. 13<br />

Neben der umfangreichen Resolution beschloss der Parteivorstand entsprechende<br />

<strong>org</strong>anisatorische Umgestaltungsmaßnahmen 14 und die »Überprüfung der<br />

Leitungen und des Funktionärskaders«. 15 In se<strong>in</strong>em Schlusswort auf der 14. PV-<br />

Tagung nannte Max Reimann die Ziele: Besonders die Funktionäre, die <strong>in</strong> westlicher<br />

Emigration oder Kriegsgefangenschaft waren, sollten überprüft werden, »ob<br />

sie mit dem Apparat der imperialistischen Mächte <strong>in</strong> enger Verb<strong>in</strong>dung standen«. 16<br />

7 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 16.<br />

8 Ebenda, S. 16f. Vgl. auch die Schilderung e<strong>in</strong>er solchen »Besprechung« von Ge<strong>org</strong> Fischer, bis 1947<br />

Landesvorsitzender <strong>in</strong> Bayern, seitdem Sekretär für Landes- und Kommunalpolitik. Fischer empfand<br />

den Ablauf der Tagung mit dem ZK der SED als »widerliches Schauspiel«, <strong>in</strong> dem Max Reimann »wie<br />

e<strong>in</strong> Angeklagter vor dem Forum se<strong>in</strong>er Richter« saß (Ge<strong>org</strong> Fischer, Vom aufrechten Gang e<strong>in</strong>es Sozialisten.<br />

E<strong>in</strong> Parteiarbeiter erzählt, Berl<strong>in</strong> / Bonn 1979, S. 236). Fischer wurde kurze Zeit später abgelöst<br />

und verließ die <strong>KPD</strong>.<br />

9 <strong>Die</strong> Lehren der Wahlen vom 14. August 1949. Resolution des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong>, 16. September 1949, <strong>in</strong>:<br />

Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1956, a.a.O., S. 196ff.<br />

10 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 64f.; Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament,<br />

a.a.O., S. 184; Ge<strong>org</strong> Fischer, Vom aufrechten Gang e<strong>in</strong>es Sozialisten, a.a.O., S. 238ff.; Herbert Mayer,<br />

Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 18.<br />

11 Hierzu und dem folgenden vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 64ff.; Herbert Mayer, Durchsetzt<br />

von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 20ff; Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung,<br />

a.a.O., S. 41f.<br />

12 Resolution der 14. PV-Tagung der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., S. 298ff., hier S. 299.<br />

13 Ebenda, S. 303.<br />

14 Festigt die Partei. Richtl<strong>in</strong>ien des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong> zur Vorbereitung und Durchführung der Neuwahl<br />

der Leitungen, 30. Dezember 1949, <strong>in</strong>: Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1956, a.a.O., S. 214ff. Gefordert wurde<br />

hier u.a. die stärkere E<strong>in</strong>beziehung jüngerer Kader sowie der Antifa-Schüler aus der sowjetischen<br />

Kriegsgefangenschaft <strong>in</strong> die Leitungsarbeit.<br />

15 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 21<br />

16 Zitiert nach ebenda.


96<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

<strong>Die</strong> 14. PV-Tagung zeigte bald Folgen. So wurde im Februar 1950 Hugo Paul als<br />

Vorsitzender der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen abgesetzt. 17 Der Parteiausschluss<br />

des bereits im Dezember 1949 abgelösten Chefredakteurs des Zentral<strong>org</strong>ans »Freies<br />

Volk« Josef Schappe wurde im Januar 1950 beschlossen und im Februar 1950 vollzogen.<br />

18 Vere<strong>in</strong>zelte Ablösungen führender Funktionär gab es <strong>in</strong> nahezu allen Landesverbänden.<br />

Spektakulärster Fall war die Verhaftung des stellvertretenden Parteivorsitzenden<br />

und Bundestagsabgeordneten Kurt Müller durch den Staatssicherheitsdienst<br />

der DDR im März 1950. 19 Müller, zuvor noch selbst verantwortlich für<br />

die Säuberungen <strong>in</strong> Hamburg, wurde im Mai 1950 aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen mit<br />

der Begründung, er habe für ausländische Geheimdienste gearbeitet und fe<strong>in</strong>dliche<br />

Elemente <strong>in</strong> die Partei gebracht. Kurze Zeit nach se<strong>in</strong>er Verhaftung wurde er den<br />

sowjetischen Behörden übergeben und 1953 zu 25 Jahren Haft verurteilt. 1955 kam<br />

Müller im Zuge der Freilassung deutscher Kriegsgefangener aus der UdSSR zurück<br />

nach Deutschland und trat der SPD bei.<br />

Nach dem III. Parteitag der SED im Juli 1950 - der mit der Verabschiedung e<strong>in</strong>es<br />

neuen Statuts die Umwandlung zur »Partei neuen Typus« zementierte - 20 wurde<br />

die Säuberung der <strong>KPD</strong> forciert und systematisiert. Bis zum Parteitag der <strong>KPD</strong> im<br />

März 1951 wurden nahezu alle Landesleitungen und -sekretariate ausgewechselt.<br />

Im Zuge der Noel-H.-Field-Affäre wurden <strong>in</strong>sbesondere Funktionäre, die <strong>in</strong> westlicher<br />

Emigration oder Kriegsgefangenschaft gewesen waren, abgelöst und größtenteils<br />

<strong>in</strong> die DDR abberufen. 21 Zahlreiche Funktionäre oder ehemalige und bereits <strong>in</strong><br />

die DDR übergesiedelte Funktionäre der westdeutschen <strong>KPD</strong> wurden unter der<br />

Anschuldigung des Kontaktes mit Field und der Agententätigkeit aus ihren Funktionen<br />

entfernt und teils auch <strong>in</strong>haftiert. Zu den <strong>in</strong> Gefängnissen der DDR Inhaftierten<br />

gehörten der stellvertretende Parteivorsitzende (als Nachfolger des ebenfalls<br />

verhafteten Kurt Müller) Fritz Sperl<strong>in</strong>g, der ehemalige Fraktionsvorsitzende im<br />

17 Ebenda, S. 23; Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 42; Gudrun<br />

Schädel, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen von <strong>1945</strong>-1956, a.a.O., S.<br />

131.<br />

18 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 23. Schappe gründete später mit e<strong>in</strong>igen anderen<br />

ehemaligen <strong>KPD</strong>-Mitgliedern die »Unabhängige Arbeiterpartei Deutschlands« (UAP). Se<strong>in</strong> Name<br />

wurde für die <strong>KPD</strong> zum Synonym für die im Zusammenhang mit dem Titoismus stehende Kampagne.<br />

»Schappe-Clique« oder »Schappe-Agenten« wurden gängige Formulierungen.<br />

19 Siehe dazu Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 239ff; Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und<br />

DKP, a.a.O., S. 70ff.; Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 24ff.<br />

20 Statut der Sozialistischen E<strong>in</strong>heitspartei Deutschlands, angenommen auf dem III. Parteitag der 20.-24. Juli 1950,<br />

<strong>in</strong>: Dokumente zur Geschichte der SED, Band 2: <strong>1945</strong>-1971, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1986, S. 150 - 167.<br />

21 Field war US-Bürger und hatte im Zweiten Weltkrieg <strong>in</strong> Frankreich und der Schweiz als Mitarbeiter e<strong>in</strong>er<br />

privaten Hilfs<strong>org</strong>anisation Flüchtl<strong>in</strong>gslager und politische Emigranten betreut. 1949 verschwand er<br />

<strong>in</strong> Prag. Ihm wurde <strong>in</strong> der Folgezeit v<strong>org</strong>eworfen, als amerikanischer Agent kommunistische Funktionäre<br />

im westlichen Exil, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der Schweiz und Frankreich, als Mitarbeiter des US-<br />

Geheimdienstes angeworben zu haben. Verb<strong>in</strong>dungen zu Field wurden <strong>in</strong> den folgenden Jahren Funktionären<br />

aus nahezu allen Ostblock-Staaten v<strong>org</strong>eworfen. Es kam zu Schauprozessen und Todesurteilen<br />

gegen den ungarischen Innenm<strong>in</strong>ister Rajk, den Außenm<strong>in</strong>ister der Tschechoslowakei Slansky und<br />

den stellvertretenden M<strong>in</strong>isterpräsidenten Bulgariens Kostoff. Siehe hierzu Ge<strong>org</strong> Hermann Hodos,<br />

Schauprozesse. Stal<strong>in</strong>istische Säuberungen <strong>in</strong> Osteuropa 1948-54, Frankfurt a. M. / New York 1988, S.<br />

57ff.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 97<br />

hessischen Landtag Leo Bauer sowie der Hamburger Landesvorsitzende Willi<br />

Pr<strong>in</strong>z. 22 Als Mitglieder des Sekretariats abgelöst wurden Hugo Ehrlich, Walter<br />

Fisch, Erich Jungmann, Hermann Nud<strong>in</strong>g, Jupp Schleifste<strong>in</strong> und Rudi S<strong>in</strong>ger. <strong>Die</strong><br />

meisten von ihnen g<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> die DDR und »übten dort später verantwortungsvolle<br />

Funktionen <strong>in</strong> Publizistik und Wissenschaft [...] aus, z.T. kehrten sie nach 1956 <strong>in</strong><br />

leitende Tätigkeiten der <strong>KPD</strong> zurück«. 23<br />

<strong>Die</strong> als »entscheidende[r] Schlag« 24 der Säuberungen zu betrachtende 19. Parteivorstandstagung<br />

am 9. Februar 1951 25 beschloss neben der Absetzung der bereits<br />

erwähnten Sekretariatsmitglieder auch die Ablösung der Landesvorsitzenden aus<br />

Südwürttemberg, Niedersachsen, Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg,<br />

Südbaden, Saar, Hamburg und <strong>Bremen</strong>. 26 Der Landesvorsitzende von Schleswig-<br />

Holste<strong>in</strong> wurde abgelöst, übernahm diese Funktion aber <strong>in</strong> Hessen. Lediglich <strong>in</strong><br />

Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen - hier hatte erst kurz zuvor Josef Ledwohn Hugo Paul abgelöst<br />

- sowie <strong>in</strong> Bayern erfolgte ke<strong>in</strong> Führungswechsel. 27 <strong>Die</strong> neuen Leitungen wurden<br />

gewählt und damit formell bestätigt auf Landesdelegiertenkonferenzen am<br />

17./18. und 24./25. Februar 1951. 28<br />

Bis zum »Münchener« Parteitag (2. - 4. März 1951) 29 war die Umgestaltung der<br />

Parteileitungen auf Bundes- und Landesebene weitgehend abgeschlossen. 30 <strong>Die</strong><br />

<strong>KPD</strong> hatte <strong>in</strong>nerhalb von nicht e<strong>in</strong>mal zwei Jahren ihre Spitzenkader nahezu komplett<br />

ausgewechselt. »<strong>Die</strong>se Maßregelungen trafen viele besonders erfahrene Kader,<br />

deren Ausscheiden für die Partei e<strong>in</strong>en schweren Verlust darstellten«, resümieren<br />

Judick, Schleifste<strong>in</strong> und Ste<strong>in</strong>haus. 31 E<strong>in</strong>e Rehabilitierung der ausgeschlossenen<br />

und abgesetzten Funktionäre fand nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 zwar<br />

teilweise statt, allerd<strong>in</strong>gs nur »halbherzig«. 32 Es habe »parteitreue Genossen« gege-<br />

22 Vgl. zu den e<strong>in</strong>zelnen Fällen die umfassenden Darstellungen bei Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O.,<br />

S. 72ff und Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 37ff., sowie die E<strong>in</strong>zeldarstellungen<br />

und Biographien: Karl-He<strong>in</strong>z Jahnke, »...ich b<strong>in</strong> nie e<strong>in</strong> Parteife<strong>in</strong>d gewesen«. Der tragische Weg<br />

der Kommunisten Fritz und Lydia Sperl<strong>in</strong>g, Bonn 1993; Wilhelm Pr<strong>in</strong>z, Gefangener des SSD. Der ehemalige<br />

<strong>KPD</strong>-Landesvorsitzende Wilhelm Pr<strong>in</strong>z berichtet über se<strong>in</strong>e Erlebnisse <strong>in</strong> sowjetzonalen Zuchthäusern,<br />

<strong>in</strong>: Rhe<strong>in</strong>-Neckar-Zeitung, Nr. 213 - 240 1954; Leo Bauer, »<strong>Die</strong> Partei hat immer recht«, a.a.O.;<br />

Peter Brandt, Jörg Schumacher, Götz Schwarzrock und Klaus Sühl, Karrieren e<strong>in</strong>es Außenseiters. Leo<br />

Bauer zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie 1912 - 1972, Berl<strong>in</strong> / Bonn 1983.<br />

23 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 42.<br />

24 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 36.<br />

25 Datum und Nummerierung nach ebenda, S. 37. Wilhelm Pr<strong>in</strong>z und der ihn zitierende Fülberth geben<br />

als Datum die Nacht vom 7. auf den 8. Februar an, außerdem 18. PV-Tagung (Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong><br />

und DKP, a.a.O., S. 73).<br />

26 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 42ff.; <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische<br />

Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1797f. Siehe zu Willy Knigge <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ausführlich weiter unten.<br />

27 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1798.<br />

28 Herbert Mayer, a.a.O., S. 45. In <strong>Bremen</strong> fand die Konferenz am 24. und 25. Februar 1951 statt.<br />

29 Der Parteitag wurde zwar als »Münchener« deklariert, fand aber tatsächlich aus Sicherheitsgründen <strong>in</strong><br />

Weimar (DDR) statt.<br />

30 <strong>Die</strong>s bedeutete allerd<strong>in</strong>gs noch nicht das Ende der Säuberungskampagne, wie unten am Beispiel <strong>Bremen</strong>s<br />

noch zu zeigen se<strong>in</strong> wird.<br />

31 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 42.<br />

32 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 55f.


98<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

ben, »denen <strong>in</strong> der Vergangenheit Unrecht geschehen ist«, stellte Max Reimann auf<br />

e<strong>in</strong>er Parteivorstandstagung im August 1956 fest. 33 Veröffentlicht wurde diese Feststellung<br />

mit H<strong>in</strong>weis auf die besonderen Bed<strong>in</strong>gungen des Kalten Krieges nicht. 34<br />

Erst Ende der 1980er Jahre wurden <strong>in</strong> der DKP die Säuberungen und der Stal<strong>in</strong>ismus<br />

der 1950er Jahre thematisiert und versucht aufzuarbeiten. 35<br />

2. <strong>Die</strong> Säuberungskampagne <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Konnte bereits für die <strong>KPD</strong> auf Bundesebene e<strong>in</strong>e verzögerte Aufnahme der Anti-<br />

Tito-Kampagne festgestellt werden, so galt dies erst recht für den Bremer Landesverband.<br />

Bis zur Bundestagswahl 1949 fand das Wort »Titoismus« ke<strong>in</strong>erlei Erwähnung<br />

und Beachtung, weder <strong>in</strong> der Landesleitung und im Sekretariat noch <strong>in</strong> der<br />

Parteipresse. Unabhängig davon gab es jedoch <strong>in</strong> den Wochen vor der Wahl zum<strong>in</strong>dest<br />

H<strong>in</strong>weise darauf, dass größere <strong>in</strong>nerparteiliche Kampagnen und Umgestaltungen<br />

gegen »parteife<strong>in</strong>dliche« Bestrebungen bevorstanden. Der 1. Parteitag der<br />

<strong>KPD</strong> Land <strong>Bremen</strong> verabschiedete am 11./12. Juni 1949 e<strong>in</strong>e Resolution, <strong>in</strong> der<br />

erstmals auf die Gefahren der »mangelnden ideologischen und politischen Klarheit«<br />

<strong>in</strong> der Partei h<strong>in</strong>gewiesen wurde:<br />

»Zu allen Zeiten, mit allen Mitteln versucht der Klassenfe<strong>in</strong>d, Verwirrung <strong>in</strong> der Partei anzustiften<br />

und sie zu zersetzen.[...]. Im Auftrage der westlichen Monopolgewaltigen versuchen<br />

trotzkistische Provokateure heute Zersetzung <strong>in</strong> unsere Reihen zu tragen. Sie segeln unter der<br />

Flagge der Freiheit der Kritik und der Notwendigkeit der Austragung von Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten<br />

<strong>in</strong> der Partei. Zwischen trotzkistischen Provokateuren und der fortschrittlichen<br />

Arbeiterschaft gibt es nur e<strong>in</strong>en unerbittlichen Kampf. <strong>Die</strong> Me<strong>in</strong>ungsfreiheit <strong>in</strong> der Partei bedeutet<br />

nicht, dass wir dem Klassenfe<strong>in</strong>d erlauben, se<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>dlichen Ideen <strong>in</strong> die Partei zu tragen.«<br />

36<br />

Trotz der relativ scharfen Diktion blieben die Aussagen zu dieser Problematik<br />

vage und auf allgeme<strong>in</strong>e Aussagen beschränkt. E<strong>in</strong>deutig war die Anlehnung an<br />

die - <strong>in</strong> der Resolution mehrfach zitierten - Beschlüsse der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz<br />

vom März 1949, <strong>in</strong> denen, ähnlich unpräzise formuliert, e<strong>in</strong> aus ideologischer<br />

Schwäche resultierendes Zurückweichen vor den »fe<strong>in</strong>dlichen Argumenten«<br />

des Gegners konstatiert wurde. 37<br />

Wenige Wochen vor den Wahlen zum ersten Bundestag äußerte der Bremer<br />

Landesvorsitzende Willy Knigge auf e<strong>in</strong>er Parteiarbeiterkonferenz, »die Frage der<br />

33 Zitiert nach ebenda, S. 55.<br />

34 Ebenda, S. 56.<br />

35 Beispielhaft <strong>in</strong> Manfred Grieger, Günter Judick, Gert Meyer und Josef Schleifste<strong>in</strong>, Stal<strong>in</strong>s Schatten. Stal<strong>in</strong><br />

und die westeuropäischen Kommunisten, Neuss 1989.<br />

36 Zur Politik der Partei im Kampf um die nationale E<strong>in</strong>heit und e<strong>in</strong>en gerechten Frieden. Entschließung des Parteitages<br />

der <strong>KPD</strong>, Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/2.<br />

37 Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, Band 1, a.a.O.,<br />

S. 266 - 284, hier S. 276.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 99<br />

parteife<strong>in</strong>dlichen Gruppen« sei e<strong>in</strong>e politische und ke<strong>in</strong>e <strong>org</strong>anisatorische. 38 Bei<br />

diesen knappen und allgeme<strong>in</strong>en Aussagen blieb es bis zur Wahl, die der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> im Vergleich zur Bürgerschaftswahl 1947 zwar leichte absolute Stimmengew<strong>in</strong>ne,<br />

prozentual aber Verluste brachte.<br />

Unmittelbar nach der Wahl wurde <strong>in</strong> der Auswertung zunächst noch ke<strong>in</strong> Zusammenhang<br />

zwischen dem unbefriedigenden Ergebnis und der Notwendigkeit<br />

von Säuberungen hergestellt. Auf e<strong>in</strong>er Sekretariatssitzung am 15. August 1949<br />

wurde lediglich gefordert, die Ursachen des prozentualen Verlustes festzustellen. 39<br />

Erst nach der außerordentlichen Parteivorstandstagung am 14. und 16. September<br />

1949 und der dort verabschiedeten Resolution wurden auf deren Grundlage <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> Maßnahmen ergriffen und die Titoismuskampagne thematisiert. Willy<br />

Knigge sprach auf der Sekretariatssitzung am 19. September 1949 von e<strong>in</strong>er »starke(n)<br />

Strömung« <strong>in</strong> der Partei,<br />

»die das unbefriedigende Wahlresultat im gesamtdeutschen Rahmen sehen und dieses gern<br />

den außenpolitischen Entscheidungen der SU und den Volksdemokratien bezw. der SED zuschieben<br />

möchten. <strong>Die</strong>se Auffassung dient den Gegnern der Partei, den reaktionären Kräften,<br />

die bewusst e<strong>in</strong>en Keil treiben wollen zwischen uns und fortschrittlichen Kräften. Das führt<br />

zu e<strong>in</strong>er Krankheit der Partei, zu e<strong>in</strong>er Lähmung der Arbeit [...].« 40<br />

Das Sekretariat berief für den 25. September 1949 e<strong>in</strong>e außerordentliche Landesleitungssitzung<br />

unter H<strong>in</strong>zuziehung von Betriebs- und Stadtteilfunktionären e<strong>in</strong>,<br />

auf der es ausschließlich um die von Knigge angesprochene Problematik gehen sollte.<br />

Auf e<strong>in</strong>er Sekretariatssitzung am 24. September wurde kurzfristig die Ausarbeitung<br />

e<strong>in</strong>er von der Landesleitung zu verabschiedenden Resolution beschlossen. 41<br />

Zu diesem Zeitpunkt lag die Entschließung des Parteivorstands, auf der die der<br />

Landesleitung basieren sollte, nur als Entwurf vor. Dennoch sollte e<strong>in</strong> eigener Text<br />

den Vorstandsmitgliedern v<strong>org</strong>elegt werden, da es notwendig sei, »den Diskussionen<br />

<strong>in</strong> Stadt und Land <strong>Bremen</strong> die entsprechende Richtung zu geben und unter<br />

Zuhilfenahme des Artikels des Gen. Kurt Müller 42 über den Titoismus Klarheit <strong>in</strong><br />

der Partei zu schaffen«. 43 Trotz der e<strong>in</strong>stimmigen Annahme dieser Planungen wurden<br />

auch vorsichtige Widersprüche deutlich. Rudolf Rafoth, Fraktionsvorsitzender<br />

<strong>in</strong> der Bürgerschaft, wandte sich »gegen die Auffassung vieler Genossen <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Partei, dass sich jetzt e<strong>in</strong>e Wendung vollziehen würde. <strong>Die</strong> politische L<strong>in</strong>ie<br />

stände seit dem Brüsseler Kongress 1935 fest«. 44 Willy Hundertmark, Redakteur<br />

der Tribüne der Demokratie, forderte zwar, die geplante Entschließung müsse »Klarheit<br />

über Titoismus und über ideologische Krankheiten schaffen«, warnte aber<br />

auch: »Es darf nicht jeder Genosse, der andere Auffassungen vertritt als Titoagent<br />

38 Bericht der Parteiarbeiterkonferenz am 3. Juli 1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/4.<br />

39 Protokoll der Sekretariatssitzung <strong>Bremen</strong> am 15.8.1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

40 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 19.9.1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

41 Protokoll der Sekretariatssitzung am 24.9.49 um 13 h, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

42 Der angesprochene Artikel war kurz zuvor <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie veröffentlicht worden (»Besteht<br />

die Gefahr des Titoismus <strong>in</strong> unserer Partei«, Tribüne der Demokratie, Nr. 14/1949).<br />

43 Protokoll der Sekretariatssitzung am 24.9.49 um 13 h, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

44 Ebenda.


100<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

bezeichnet werden.« 45 Knigge betonte daraufh<strong>in</strong> noch e<strong>in</strong>mal, »dass se<strong>in</strong>e politischen<br />

Ausführungen auf der Ebene der PV-Entschließungen geführt würden«. Es<br />

sei falsch, »dass Parteie<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em falschen Selbstbewusstse<strong>in</strong> derartige Diskussionen<br />

für sich alle<strong>in</strong> führen«. 46<br />

<strong>Die</strong> von der außerordentlichen Landesvorstandssitzung e<strong>in</strong>en Tag später verabschiedete<br />

Resolution sprach von der Notwendigkeit, »den Ernst der gegenwärtigen<br />

politischen Lage allen Parteimitgliedern aufzuzeigen«, g<strong>in</strong>g jedoch auf die Titoismus-Problematik<br />

kaum e<strong>in</strong>. 47 <strong>Die</strong> Partei habe zu häufig »Nachgiebigkeit und Kompromissbereitschaft«<br />

gegenüber den Angriffen gegen die Sowjetunion und gegen<br />

die Ostzone gezeigt und sei dadurch <strong>in</strong> die Defensive geraten. Es wurde beschlossen,<br />

»die auf der heutigen Sitzung behandelten theoretischen Fragen <strong>in</strong> allen Parteie<strong>in</strong>heiten des<br />

Arbeitgebietes Land <strong>Bremen</strong> durchzusprechen. [...] <strong>Die</strong> Aussprache über die nationale Front,<br />

die Bedeutung und Rolle der Politik Titos, Fragen des <strong>in</strong>ternationalen Klassenkampfes, des<br />

Verhältnisses unserer Partei zur SPD, der falschen Duldsamkeit gegenüber dem zersetzenden<br />

E<strong>in</strong>fluss parteife<strong>in</strong>dlicher Auffassungen muss entschlossen zu Ende geführt werden.«<br />

Zu diesem Zweck sollten <strong>in</strong> allen Grunde<strong>in</strong>heiten Mitgliederversammlungen<br />

stattf<strong>in</strong>den. Deren Durchführung und Vorbereitung wurde gründlich und stark<br />

reglementiert geplant. An alle Mitglieder sollten persönliche E<strong>in</strong>ladungen ausgegeben<br />

werden, deren Erhalt mit Unterschrift zu bestätigen war; die Unterschrift verpflichtete<br />

gleichzeitig zur Teilnahme. Auf allen Versammlungen sollte e<strong>in</strong> Mitglied<br />

der Landesleitung sprechen. Man werde sich, so der Text der E<strong>in</strong>ladung, ȟber<br />

brennende politische und <strong>org</strong>anisatorische Fragen unserer Partei (besteht die Gefahr<br />

des Titoismus <strong>in</strong> der Partei)« unterhalten. 48<br />

Mit der E<strong>in</strong>ladung g<strong>in</strong>g allen Mitgliedern außerdem die Resolution des Parteivorstands<br />

vom 16. September zu sowie - und das war bemerkenswert - der Beschluss<br />

des Parteivorstands »Über die Bedeutung der Entschließung des Informationsbüros<br />

über die Lage der KPJu und die Lehren für die <strong>KPD</strong>« vom Oktober 1948. 49<br />

In der Tat wurde also offenbar die Resolution des Parteivorstandes zur Tito-<br />

Problematik den Mitgliedern <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> erst e<strong>in</strong> Jahr nach Veröffentlichung überhaupt<br />

zur Kenntnis gegeben.<br />

<strong>Die</strong> Resonanz auf die außerordentlichen Mitgliederversammlungen <strong>in</strong> den folgenden<br />

Monaten lässt sich leider nicht feststellen. Im Dezember 1949, also kurz vor<br />

der 14. PV-Tagung, wurde <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie e<strong>in</strong>e neue Resolution der<br />

Kom<strong>in</strong>form zu Jugoslawien veröffentlicht. 50 In dieser ausführlichen Form war dies<br />

die erste Publizierung der Kom<strong>in</strong>form-Beschlüsse überhaupt, was sich als weiteres<br />

Indiz der sehr späten Aufnahme der Tito-Kampagne <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> werten lässt. 51<br />

45 Ebenda.<br />

46 Ebenda.<br />

47 Resolution, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

48 Anlage I: E<strong>in</strong>ladung zu e<strong>in</strong>er außerordentlichen Mitgliederversammlung, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

49 Werte Genoss<strong>in</strong>, werter Genosse! (4.10.49), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

50 KP Jugoslawiens <strong>in</strong> der Gewalt von Mördern und Spionen, Tribüne der Demokratie Nr. 27/1949.<br />

51 <strong>Die</strong>s gilt auch, wenn man berücksichtigt, dass die Tribüne der Demokratie zum Zeitpunkt des Bruches<br />

der Kom<strong>in</strong>form mit Jugoslawien verboten war.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 101<br />

Dennoch kam es <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> noch vor der 14. PV-Tagung zu ersten Ausschlüssen.<br />

Sie betrafen Mitglieder der <strong>in</strong> der Tradition der KPO stehenden »Gruppe<br />

Arbeiterpolitik«.<br />

Der Ausschluss der »Gruppe Arbeiterpolitik«<br />

<strong>Die</strong> Mehrzahl der ehemaligen KPO-Mitglieder - unter ihnen prom<strong>in</strong>ente Kommunisten<br />

wie Adolf Ehlers, Franz Cavier und Wilhelm Deisen - schloss sich nach <strong>1945</strong><br />

der <strong>KPD</strong> an. 52 Schon 1946 sahen sich viele jedoch bereits von der Zusicherung <strong>in</strong>nerparteilicher<br />

Demokratie <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> enttäuscht. 53 Der Übertritt des späteren Innensenators<br />

Adolf Ehlers zur SPD im Frühjahr 1946 wurde aber von den meisten<br />

nicht nachvollzogen, sondern als ebenfalls enttäuschend empfunden. »Alle alten<br />

KPO- und SAP-Genossen, die den Krieg überlebt hatten, stellten sich bald die Frage:<br />

Was wird nun werden? Sie waren sowohl mit der Politik der <strong>KPD</strong> als auch mit<br />

der SPD unzufrieden. Der Satz g<strong>in</strong>g um: ›Wir haben ke<strong>in</strong>e politische Heimat‹.« 54<br />

Bereits im Juli 1946 fanden erste geme<strong>in</strong>same Treffen der mit <strong>KPD</strong>-Politik und -<br />

Organisation Unzufriedenen statt. 55 Als theoretische Grundlage dienten programmatische<br />

Texte der im kubanischen Exil bef<strong>in</strong>dlichen führenden Köpfe der ehemaligen<br />

KPO August Thalheimer und He<strong>in</strong>rich Brandler. 56 DerenAnalysenwandten<br />

sich vor allem gegen die Unterordnung deutscher Kommunisten unter die sowjetische<br />

Außenpolitik sowie gegen e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit mit den übrigen Besatzungsmächten,<br />

deren Ziel die Unterdrückung der sozialistischen Revolution sei. 57<br />

<strong>Die</strong>s implizierte die Ablehnung jeglicher Regierungs- oder Verwaltungsbeteiligung,<br />

die die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegssituation als unabd<strong>in</strong>gbar und selbstverständlich betrachtet<br />

hatte.<br />

52 Vgl. K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>. Der Ansatz der Gruppe<br />

Arbeiterpolitik. Darstellung ihrer grundlegenden politischen Auffassungen und ihrer Entwicklung<br />

zwischen <strong>1945</strong> und 1952, Hannover 1977, S. 194. Zur Geschichte der KPO: K.H. Tjaden, Struktur und<br />

Funktion der »<strong>KPD</strong>-Opposition« (KPO). E<strong>in</strong>e <strong>org</strong>anisationssoziologische Untersuchung zur »Rechts«-<br />

Opposition im deutschen Kommunismus zur Zeit der Weimarer Republik, Meisenheim am Glan 1964;<br />

Theodor Bergmann, Gegen den Strom - <strong>Die</strong> Geschichte der <strong>KPD</strong>-Opposition, Hamburg 1987; Jens Becker:<br />

Der Widerstand der <strong>KPD</strong>-O im Faschismus, Ma<strong>in</strong>z 1992.<br />

53 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO? Zur Geschichte der »Gruppe Arbeiterpolitik«, <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen<br />

und Almut Schwerd (Hrsg.), Zeitzeugen berichten, a.a.O., S. 115ff., hier S. 122. He<strong>in</strong>z Kundel (1914-<br />

2000): Elektriker. 1924 Kommunistische K<strong>in</strong>dergruppe, 1930 Mitbegründer der KJO und Mitglied der<br />

<strong>KPD</strong>(O), 1932 Übertritt zur SAP und deren Jugendverband SJV. An 1933 illegale Tätigkeit zusammen<br />

mit Mitgliedern der SAP und der KPO, illegale Reisen <strong>in</strong> die Schweiz und nach Schweden. 1934 Arbeitsdienst,<br />

1935-1937 Wehrmacht. 1946 <strong>KPD</strong>, lokale und überregionale Kontakte zu KPO- und SAP-<br />

Mitgliedern, Ende 1949 Ausschluss aus der <strong>KPD</strong>. Mitbegründer der »Gruppe Arbeiterpolitik«, 1957-<br />

1959 Mitglied der zentralen Leitung.<br />

54 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 122.<br />

55 Ebenda.<br />

56 Ebenda. Zu Thalheimers und Brandlers Analysen siehe ausführlich K.P. Wittemann, Kommunistische<br />

Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 38ff.<br />

57 K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 78.


102<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

Kontakte zu Gleichges<strong>in</strong>nten <strong>in</strong> anderen Städten und Regionen wurden noch im<br />

selben Jahr geknüpft, 58 die reichsweite Sammlung der ehemaligen KPOler war etwa<br />

im Spätsommer 1947 abgeschlossen. 59 <strong>Die</strong> Gruppe »Arbeiterpolitik«, wie sie sich<br />

fortan nannte, gab ab 1948 die gleichnamige Zeitung (abgekürzt: ARPO) heraus. 60<br />

<strong>Die</strong> Gruppe versuchte, <strong>in</strong> die <strong>KPD</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuwirken und war damit faktisch als Fraktion<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Partei zu betrachten. In anderen Städten führte dies bereits 1947<br />

und 1948 zu schweren Ause<strong>in</strong>andersetzungen und Ausschlüssen, so <strong>in</strong> Hamburg 61<br />

und Sol<strong>in</strong>gen 62. In <strong>Bremen</strong> kam es zwar zu Konflikten 63, die jedoch zunächst ke<strong>in</strong>e<br />

weiteren Folgen hatte: <strong>Die</strong> »Gruppe Arbeiterpolitik« wurde bis 1949 <strong>in</strong> der Bremer<br />

<strong>KPD</strong> geduldet. Ob diese Duldung auf e<strong>in</strong>e relative Stärke der Gruppe oder aber im<br />

Gegenteil auf deren, <strong>in</strong> den Augen der <strong>KPD</strong>-Führung, politischen und <strong>org</strong>anisatorischen<br />

Belanglosigkeit zurückzuführen war, ist nicht genau zu klären. Der E<strong>in</strong>fluss<br />

der »Gruppe Arbeiterpolitik« <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> beschränkte sich zunächst auf e<strong>in</strong>zelne Betriebe<br />

- so im Energievers<strong>org</strong>ungsunternehmen Ȇberlandwerk Niedersachsen-<br />

Hannover«, wo auch e<strong>in</strong>e eigene Betriebszeitung herausgegeben wurde - 64 und<br />

e<strong>in</strong>zelne Stadtteile wie Hucht<strong>in</strong>g. Dort war bereits im Herbst 1946 e<strong>in</strong>e Resolution<br />

verabschiedet worden, <strong>in</strong> der die Politik der <strong>KPD</strong> als »reformistisch« und »opportunistisch«<br />

bezeichnet und die »e<strong>in</strong>seitige B<strong>in</strong>dung an die Politik der SU« kritisiert<br />

wurde. 65 <strong>Die</strong>se Resolution blieb allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfall, über die Resonanz <strong>in</strong> der<br />

Mitgliedschaft und der Parteiführung ist nichts bekannt. 66<br />

Erst mit der bereits erwähnten Resolution des 1. Parteitages der Bremer <strong>KPD</strong> im<br />

Juni 1949 äußerte sich die Leitung öffentlich zu den Bee<strong>in</strong>flussungsversuchen, allerd<strong>in</strong>gs<br />

nicht konkret im Zusammenhang mit der »Gruppe Arbeiterpolitik«. 67 <strong>Die</strong><br />

Resolution nannte ke<strong>in</strong>erlei Namen, sondern beschränkte sich lediglich auf die<br />

Warnung vor »trotzkistischen Provokateuren«. E<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zur Titoismus-<br />

Kampagne wurde <strong>in</strong> dieser Entschließung überhaupt noch nicht hergestellt. <strong>Die</strong>s<br />

änderte sich nach der Bundestagswahl und mit den bereits beschriebenen Maßnahmen<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Auf der Sekretariatssitzung vom 19. September 1949 sprach<br />

Willy Knigge erstmals konkret von der »Gruppe Arbeiterpolitik« und brachte sie <strong>in</strong><br />

58 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 122; K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 194.<br />

59 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 122. Wittemann gibt e<strong>in</strong>e Konferenz Ostern 1947 als den<br />

Zeitpunkt an, von dem ab von e<strong>in</strong>er überörtlichen »Gruppe Arbeiterpolitik« gesprochen werden kann<br />

(K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 135).<br />

60 Gruppe Arbeiterpolitik (Hrsg.): Arbeiterpolitik. November 1948-Juli 1950. Repr<strong>in</strong>t mit e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>leitung<br />

der Gruppe Arbeiterpolitik, (<strong>Bremen</strong>) 1975.<br />

61 K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 207.<br />

62 Ebenda, S. 252.<br />

63 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 125; K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 194.<br />

64 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 124.<br />

65 Ebenda, S. 125.<br />

66 Kundel schreibt, diese Resolution habe dem »Vorstand der <strong>KPD</strong> den Atem verschlagen« und man habe<br />

lange gebraucht, darauf zu reagieren. Belegt ist dies nicht.<br />

67 Zur Politik der Partei im Kampf um die nationale E<strong>in</strong>heit und e<strong>in</strong>en gerechten Frieden. Entschließung des Parteitages<br />

der <strong>KPD</strong>, Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/2.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 103<br />

Verb<strong>in</strong>dung mit der Titoismus-Kampagne. Im Protokoll hieß es dazu: »Zum<br />

Schluss betont Gen. Knigge, dass auch mit den KPO-Leuten, die sich hier und da<br />

besonders <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> unliebsam bemerkbar gemacht haben, endgültig aufgeräumt<br />

wird, da dah<strong>in</strong>ter der Titoismus als ideologische Krankheit zu suchen ist.« 68<br />

Zwei der maßgeblichen Vertreter der »Gruppe Arbeiterpolitik« <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />

He<strong>in</strong>z Kundel und He<strong>in</strong>z <strong>Die</strong>hm, wurden daraufh<strong>in</strong> im Dezember 1949 aus der<br />

<strong>KPD</strong> ausgeschlossen. <strong>Die</strong> Mitgliederversammlung ihres Stadtteils Hucht<strong>in</strong>g verabschiedete<br />

am 3. November 1949 e<strong>in</strong>e Resolution, die sich auf die Entschließung des<br />

PV vom 16. September berief und jegliche »trotzkistische oder titoistischenationalistische<br />

Gedanken« ablehnte. 69 Kundel und <strong>Die</strong>hm, so die spätere Ausschlussbegründung,<br />

hätten gegen die Resolution gestimmt und sich »über Mangel<br />

an <strong>in</strong>nerparteilicher Demokratie beschwert«. 70<br />

Der Ausschluss der beiden wegen »parteischädigendem Verhalten und Fraktionsarbeit«<br />

wurde auf Antrag des Landessekretariats am 16. Dezember 1949 von der<br />

Stadtleitung <strong>Bremen</strong> beschlossen. 71 <strong>Die</strong> nach dem Jahreswechsel veröffentlichte<br />

Ausschlussbegründung warf Kundel und <strong>Die</strong>hm vor, die verwechselten »parteife<strong>in</strong>dliche<br />

Arbeit mit <strong>in</strong>nerparteilicher Demokratie«. 72 Sie hätten schon länger »Tito-Argumente«<br />

angeführt und »nach den Richtl<strong>in</strong>ien Brandlers gearbeitet, ›vorsichtige,<br />

aber aktive parteizersetzende Arbeit‹ zu leisten«.<br />

Auch der ebenfalls <strong>in</strong> der Ausschlussbegründung angegriffene, aber nicht ausgeschlossene<br />

Betriebsratsvorsitzende beim Weser-Kurier, Ge<strong>org</strong> Stockmann, trat<br />

kurz darauf aus der Partei aus. Das Wirken der »Gruppe Arbeiterpolitik« <strong>in</strong>nerhalb<br />

der <strong>KPD</strong> war damit <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> faktisch beendet. Ihr Ausschluss hatte vermutlich -<br />

im Gegensatz zu späteren Ausschlüssen - <strong>in</strong> der Mitgliedschaft ke<strong>in</strong>e große Resonanz.<br />

Bedeutsamer schien der kurz zuvor erfolgte Ausschluss zweier Gewerkschaftsfunktionäre<br />

aus dem Hafen gewesen zu se<strong>in</strong>, der mit ungleich höherem propagandistischem<br />

Aufwand <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie gerechtfertigt wurde. 73<br />

<strong>Die</strong> »Gruppe Arbeiterpolitik« wuchs <strong>in</strong> der Folgezeit, bekam auch Zulauf von<br />

ausgetretenen oder ausgeschlossenen <strong>KPD</strong>-Mitgliedern und konnte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Betrieben<br />

- so beim Automobilkonzern B<strong>org</strong>ward oder im Hafen - durchaus e<strong>in</strong>e relative<br />

Stärke erlangen. 74 Ihre Mitglieder- und Sympathisantenzahl - abzulesen an den<br />

68 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 19.9.1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

69 Duldet ke<strong>in</strong>e Spalter und Agenten, Tribüne der Demokratie 1/1950.<br />

70 Ebenda.<br />

71 So die Mitteilung der Stadtleitung an He<strong>in</strong>z Kundel vom 21. Dezember 1949, abgedruckt <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z<br />

Kundel, »Es ist e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie von Ruth Fischer über Brandler und Tito zu Kundel, <strong>Die</strong>hm und Stockmann...«<br />

Der Ausschluss der ehemaligen KPOler aus der Bremer <strong>KPD</strong> 1949, <strong>in</strong>: Bremer Arbeiterbewegung.<br />

Mitteilungsblatt des Arbeitskreises Bremer Arbeiterveteranen und des Vere<strong>in</strong>s für Sozialgeschichte<br />

und Biographieforschung e.V., Heft 9, Dezember 1994, S. 22-27, hier S. 24.<br />

72 Duldet ke<strong>in</strong>e Spalter und Agenten, Tribüne der Demokratie 1/1950.<br />

73 Duldsamkeit ermöglichte ihr Spiel, Tribüne der Demokratie 28/1949; Fordert Betriebsratsneuwahlen im Hafen!,<br />

Tribüne der Demokratie 1/1950. <strong>Die</strong>se Ausschlüsse standen <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em direkten Zusammenhang<br />

mit der Titoismus-Kampagne.<br />

74 Vgl. K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 195ff.; He<strong>in</strong>z<br />

Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 127ff.


104<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

festen Beziehern der »Arbeiterpolitik« - lag bei etwa 200 - 250. 75 Über die Rolle des<br />

kritischen Beobachters kam die Gruppe dennoch kaum h<strong>in</strong>aus. Sie konnte nicht<br />

mehr als e<strong>in</strong> »Stachel im Fleisch der <strong>KPD</strong>« se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Partei selbst hielt es <strong>in</strong> den folgenden<br />

Jahren kaum für nötig, sich ernsthaft mit den »Brandleristen« zu beschäftigen.<br />

76 In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wurde die Gruppe Arbeiterpolitik<br />

bundesweit schwächer. Nach Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong> der zentralen Leitung wurde<br />

1959 das Ersche<strong>in</strong>en der »Arpo« e<strong>in</strong>gestellt. In <strong>Bremen</strong> erschienen daraufh<strong>in</strong> ab<br />

1960 die »Briefe an unsere Leser«, an denen auch He<strong>in</strong>rich Brandler mitarbeitete<br />

und die den Neuaufbau der Gruppe mitbegründeten. 77<br />

Nach der 14. PV-Tagung<br />

<strong>Die</strong> Bremer Landes<strong>org</strong>anisation war <strong>in</strong> der Resolution der 14. PV-Tagung nur eher<br />

beiläufig kritisiert worden: Es gebe »Tatsachen, die zeigen, dass der ideologischen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung ausgewichen wird«. 78 <strong>Die</strong>s war e<strong>in</strong>e im Vergleich zu den anderen<br />

Landesverbänden harmlose Kritik, e<strong>in</strong>e konkrete Benennung der »Tatsachen«<br />

erfolgte nicht. <strong>Die</strong> Landesleitung beschäftigte sich auf e<strong>in</strong>er erweiterten Sondersitzung<br />

am 14. und 15. Januar 1950 mit den Ergebnissen der 14. PV-Tagung und<br />

den Konsequenzen für <strong>Bremen</strong>. 79 Anwesend waren neben den Leitungsmitgliedern<br />

auch e<strong>in</strong>ige Vertreter aus Schwerpunktbetrieben und den Stadtteilen.<br />

Willy Knigge behandelte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat die »ideologische Schwäche« der<br />

Partei, die <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> anhand diverser »Aussprüche namhafter Genossen« deutlich<br />

würde. Er erläuterte außerdem die Maßnahmen gegen Kundel und <strong>Die</strong>hm. Mit deren<br />

Ausschluss sei zwar »e<strong>in</strong> Krankheitsherd beseitigt, jedoch die Diskussion gegen<br />

solche parteife<strong>in</strong>dlichen Auffassungen nicht abgeschlossen«. 80<br />

In der am zweiten Tag folgenden Diskussion wurde zwar der allgeme<strong>in</strong>e Zustand<br />

der Partei angesprochen, jedoch wenig auf die eigentlich zur Debatte stehende<br />

Frage der »Parteife<strong>in</strong>de« und die Folgen der Resolution des Parteivorstandes<br />

e<strong>in</strong>gegangen. E<strong>in</strong>ig waren sich alle Redner, dass der Zustand der Partei e<strong>in</strong>er Überprüfung<br />

bedürfe. Man wandte sich aber auch gegen e<strong>in</strong> allzu forsches V<strong>org</strong>ehen<br />

gegen die Parteife<strong>in</strong>de wie im Stadtteil Mitte, wo es angeblich zu »Inquisitionsgerichten«,<br />

also vermutlich Ausschlüssen und Absetzungen, ohne H<strong>in</strong>zuziehung der<br />

Parteileitung gekommen war. Der Fraktionsvorsitzende Rudolf Rafoth bezeichnete<br />

dies als »Schulbeispiel«: Man könne nicht »abweichende und falsche Auffassun-<br />

75 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 128.<br />

76 Offenbar gab es zum<strong>in</strong>dest noch 1950 e<strong>in</strong>ige »Scharmützel«, so anlässlich e<strong>in</strong>er Versammlung mit<br />

He<strong>in</strong>rich Brandler, zu der die <strong>KPD</strong> massenhaft Mitglieder schickte, um sie zu stören. 20 »Brandlerianern«<br />

hätten 60 <strong>KPD</strong>-Genossen gegenübergestanden, berichtete e<strong>in</strong> Instrukteur der SED (Land: <strong>Bremen</strong>,<br />

Dauer der Reise: 18. - 22.11. 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13).<br />

77 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 130; K.P. Wittemann, Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

nach <strong>1945</strong>, a.a.O., S. 343.<br />

78 Resolution der 14. PV-Tagung der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>, a.a.O., S. 298ff., hier S. 303.<br />

79 Vorstandssitzung des Arbeitsgebietes Land <strong>Bremen</strong> 14. und 15. Januar 1950 Parteihaus Waller R<strong>in</strong>g 41 (Abschrift<br />

8.2.50), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

80 Ebenda. <strong>Die</strong> Rede liegt nicht im Orig<strong>in</strong>al vor.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 105<br />

gen« durch adm<strong>in</strong>istrative Maßnahmen erledigen. Er forderte vielmehr e<strong>in</strong>e politische<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung. Ähnlich zurückhaltend argumentierten die weiteren<br />

Diskussionsteilnehmer, wobei allgeme<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zu starke »S<strong>org</strong>losigkeit« gegenüber<br />

falschen Auffassungen <strong>in</strong>nerhalb der Partei und der ideologischen Unklarheit kritisiert<br />

wurde. Vere<strong>in</strong>zelt wurde auch Kritik an der Parteiführung deutlich. So me<strong>in</strong>te<br />

Karl Grobe 81, e<strong>in</strong>flussreiches Mitglied der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward, die Resolutionen<br />

des Parteivorstandes enthielten oft »zuviel Kom<strong>in</strong>tern-Deutsch«.<br />

Trotz der wenig klaren und konkreten Diskussion fasste die Landesleitung e<strong>in</strong>ige<br />

Beschlüsse zur Resolution des PV. 82 Wesentlich war die V<strong>org</strong>abe an alle Kreise<br />

und Grunde<strong>in</strong>heiten, sich ausführlich mit der Resolution zu beschäftigen. Den<br />

Kreisvorständen wurden zur ausschließlichen Behandlung dieses Themas <strong>in</strong> ihren<br />

nächsten Sitzungen verpflichtet. Alle Wohngebiets- und Betriebsgruppen sollten<br />

m<strong>in</strong>destens zwei Mitgliederversammlungen und außerdem zwei Schulungsabende<br />

durchführen, »die der Durcharbeitung der ideologischen Resolution dienen«. Zu<br />

e<strong>in</strong>er Wochenendschulung wurden die v<strong>org</strong>esehenen Referenten der Mitgliederversammlungen<br />

verpflichtet.<br />

<strong>Die</strong> Umsetzung dieses Plans und der Beschlüsse des Parteivorstandes erfolgte<br />

nur schleppend oder gar nicht. <strong>Die</strong> Diskussion <strong>in</strong> der Partei und die Durchführung<br />

des Arbeitsplanes ließen noch »zu wünschen übrig«, wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht Ende<br />

April 1950 festgestellt. <strong>Die</strong> eigentlich laut Plan bis zum 30. März durchzuführenden<br />

Mitgliederversammlungen und Schulungsabende hatten <strong>in</strong> nur wenigen Grunde<strong>in</strong>heiten<br />

stattgefunden. »In vielen E<strong>in</strong>heiten«, so der Bericht weiter, sei »noch<br />

nichts auf diesem Gebiet ernsthaft <strong>in</strong> Angriff genommen«. 83 Dass die Tragweite<br />

und Bedeutung der Thematik im Bewusstse<strong>in</strong> der Mitglieder noch nicht verankert<br />

war, konstatierte Ende Februar 1950 auch die Landesleitung. Es herrschten <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

immer noch Me<strong>in</strong>ungen vor, »dass die ideologische Festigung der Partei nur<br />

e<strong>in</strong>e Angelegenheit verstärkter Schulungsarbeit sei«. 84 Im April sah sich die Landesleitung<br />

zu e<strong>in</strong>em »ernsten Appell an die Leitungen aller Parteie<strong>in</strong>heiten« veranlasst,<br />

<strong>in</strong> dem die Durchführung des Arbeitsplanes »zur ideologischen Festigung der<br />

Partei« bis Ende April 1950 gefordert wurde. 85<br />

<strong>Die</strong> Umgestaltung zur »Partei neuen Typus« begann also <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nur sehr<br />

zögerlich, und es sche<strong>in</strong>t, dass sowohl <strong>in</strong> der Mitgliedschaft als auch <strong>in</strong> der Leitung<br />

nur wenig Bereitschaft herrschte, die Resolution der 14. PV-Tagung wirklich ernst<br />

81 Karl Grobe (1907-1983): Polsterer. Ab 1923 SAJ, 1931 Gründungsmitglied und Vorsitzender der SAP <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong>, 1933 10 Monate Haft, 1948 Rückkehr aus Kriegsgefangenschaft, E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die <strong>KPD</strong>, 1949-1962<br />

B<strong>org</strong>ward, dort zeitweilig Betriebsratsvorsitzender, 1949-1951 Mitglied <strong>KPD</strong>-Landesleitung und -<br />

sekretariat. 1952 aus der <strong>KPD</strong> ausgetreten (nachdem das Mitgliedsbuch schon e<strong>in</strong> Jahr lang nicht mehr<br />

»geklebt« wurde), 1959 SPD.<br />

82 Beschlüsse der Arbeitsgebietsleitung der <strong>KPD</strong> Land <strong>Bremen</strong> über die ideologisch-politische Resolution des Parteivorstandes,<br />

<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

83 Politischer Bericht des Sekretariates Land <strong>Bremen</strong>, März 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

84 Politischer Bericht des Sekretariats der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong>, Februar bis Mitte März, <strong>in</strong>:SAPMO<br />

I 11/20/11.<br />

85 Protokoll über die Landesvorstandssitzung am Freitag den 7. April 1950, Waller R<strong>in</strong>g 41, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/2.


106<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

zu nehmen. In der Folgezeit wurde sie kaum noch thematisiert, was auch für das<br />

Sekretariat galt. Willy Knigge konstatierte diesbezüglich bereits im März 1950 e<strong>in</strong>e<br />

»Schwerfälligkeit« der führenden Genossen, die zum e<strong>in</strong>en auf theoretischer Unkenntnis,<br />

zum anderen auf »Überlastung durch <strong>org</strong>anisatorische Arbeit« beruhe. 86<br />

<strong>Die</strong> Diskussion lief somit zunächst <strong>in</strong>s Leere und hatte ke<strong>in</strong>e weiteren praktischen<br />

Konsequenzen.<br />

Der »Fall Meyer-Buer / Gautier«<br />

E<strong>in</strong>e auch <strong>in</strong>nerhalb der Leitung zu Differenzen führende Klimaverschärfung war<br />

jedoch nach dem III. Parteitag der SED festzustellen. Festzumachen war dies an<br />

dem partei<strong>in</strong>tern so genannten »Fall Meyer-Buer / Gautier«. Willy Meyer-Buer,<br />

Mitglied der Landesleitung und Bürgerschaftsabgeordneter, und Hermann Gautier<br />

als Mitglied des Sekretariats waren am 29. Juli 1950 <strong>in</strong> Vertretung des abwesenden<br />

Willy Knigge zu e<strong>in</strong>er Unterredung mit dem Landeskommissar der amerikanischen<br />

Besatzungsmacht Capta<strong>in</strong> (USN) Jeffs bestellt worden. 87 Jeffs fragte die beiden nach<br />

Plakaten des <strong>KPD</strong>-Vorstandes, die sich gegen die Besatzungsmacht richteten. Es sei<br />

ihm bekannt, dass der SED-Parteitag »e<strong>in</strong>en offenen Kampf der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

gegen die Besatzungsmächte« gefordert habe. Weiterh<strong>in</strong> drohte er an,<br />

dass er »<strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong> aufmerksames Auge auf die Tätigkeit der Kommunistischen<br />

Partei haben werde«. Der Inhalt des Gesprächs wurde schriftlich festgehalten und<br />

Meyer-Buer und Gautier anschließend zur Unterschrift v<strong>org</strong>elegt. Beide leisteten<br />

die Unterschrift. Gautier gab <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht an, das Schreiben sei so abgefasst<br />

gewesen, »dass wir lediglich unterzeichneten, von den vorstehenden D<strong>in</strong>gen<br />

Kenntnis genommen zu haben«. 88<br />

Ähnliche Unterredungen der Landeskommissare mit führenden kommunistischen<br />

Funktionären hatte es bundesweit gegeben. 89 Danebenschiendase<strong>in</strong>zigbemerkenswerte<br />

an der Aktion die Androhung e<strong>in</strong>er verschärften Beobachtung der<br />

<strong>KPD</strong> durch die Besatzungsmacht zu se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Partei hätte also gelassen reagieren<br />

können, zumal derartige Reaktionen der Besatzungsmächte auf die Ergebnisse des<br />

III. SED-Parteitages durchaus zu erwarten gewesen waren. Gautier und Meyer-<br />

Buer aber wurden wegen ihrer geleisteten Unterschrift zur Verantwortung gezogen.<br />

Das Sekretariat fasste diesbezügliche Beschlüsse bereits wenige Tag später, am<br />

2. August 1950. <strong>Die</strong> Unterschrift diene <strong>in</strong> Wahrheit der politischen Verleumdung<br />

der Partei, der man illegale Handlungen unterschieben wolle. Meyer-Buer und<br />

86 Protokoll über die Sekretariatssitzung vom 18.3.1950 im Waller R<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

87 Bericht über die Unterredung beim amerikanischen Landeskommissar für das Land <strong>Bremen</strong> Capt. Jeffs am Sonnabend,<br />

dem 29. Juli 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5. Es war tatsächlich e<strong>in</strong>e Plakatierungsaktion geplant gewesen,<br />

die jedoch nach diesem Gespräch aufgrund des erwarteten E<strong>in</strong>greifens starker Polizeikräfte abgesagt<br />

wurde.<br />

88 Bericht über die Unterredung beim amerikanischen Landeskommissar für das Land <strong>Bremen</strong> Capt. Jeffs am Sonnabend,<br />

dem 29. Juli 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

89 Landeskommissare warnen, Weser-Kurier 1.8.1950.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 107<br />

Gautier seien »dieser raff<strong>in</strong>ierten Methode der Besatzungsstellen nicht mit der genügenden<br />

Wachsamkeit entgegen getreten«. 90<br />

<strong>Die</strong> beiden »Angeklagten« gestanden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er selbstkritischen Erklärung ihre<br />

»Schuld« e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> geleistete Unterschrift sei e<strong>in</strong> »schwerer Fehler« gewesen, da sie<br />

»missbraucht wurde, um die Hetze gegen unsere Partei zu verstärken« und zur<br />

Verwirrung der Partei diene. 91<br />

»An unserem Fehler zeigt sich, dass falsche subjektive Auffassungen verantwortlicher Funktionäre<br />

zu e<strong>in</strong>er objektiven Hilfe für die Kriegstreiber werden muss. <strong>Die</strong> Absicht der USA-<br />

Kriegstreiber, unsere Partei <strong>in</strong> ihrer legalen Tätigkeit zu beh<strong>in</strong>dern und e<strong>in</strong>zuschränken, wurde<br />

durch unsere Haltung unterstützt und begünstigt. [...]. Wir erwarten, dass das Sekretariat<br />

des Landesvorstandes <strong>Bremen</strong> Maßnahmen beschließt, die unsere Partei künftig vor solchen<br />

Fehlern schützt.« 92<br />

Tatsächlich wurden diese Maßnahmen ergriffen: Gautier und Meyer-Buer wurden<br />

aus Sekretariat und Landesleitung ausgeschlossen, allerd<strong>in</strong>gs vorbehaltlich der<br />

Zustimmung durch die nächste Landesleitungssitzung. 93 Gleichzeitig wurde festgelegt,<br />

dass zukünftig ke<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>ladung und Aufforderung zu Besprechungen mit der<br />

Militärregierung mehr Folge geleistet werden sollte.<br />

<strong>Die</strong> Funktionsenthebung von Gautier und Meyer-Buer war e<strong>in</strong>e relativ rigorose<br />

Maßnahme, die <strong>in</strong> der Folgezeit für Diskussionen <strong>in</strong> der Partei s<strong>org</strong>te und deren<br />

Angemessenheit bezweifelt wurde. H<strong>in</strong>zu kam, dass die Absetzung von Gautier<br />

und Meyer-Buer ursprünglich wohl auf e<strong>in</strong>en Beschluss des Sekretariats des Parteivorstandes<br />

auf Bundesebene zurückg<strong>in</strong>g. Walter Fisch, als Instrukteur wenige Tage<br />

später <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> anwesend, stellte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht zur »Angelegenheit Meyer-<br />

Buer / Gautier« fest: »Der Beschluss des Sekretariats des PV wird e<strong>in</strong>heitlich anerkannt<br />

und durchgeführt. Es besteht bei den führenden Genossen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> jedoch<br />

die Neigung, die Sache zu bagatellisieren.« Meyer-Buer und Gautier waren sogar<br />

noch als Referenten auf zwei Parteiarbeiterkonferenzen e<strong>in</strong>gesetzt worden. Dort<br />

hätten auch die Funktionäre, so Fisch weiter, auf die Beschlüsse kaum reagiert: »Im<br />

Gegenteil, es gab <strong>in</strong> Bezug auf die Beschlüsse solche Stimmungen ›War denn das<br />

notwendig‹, ›Das hätte jedem anderen auch passieren können’ oder ›Ach, das verstehen<br />

wir schon, das musste man der Form halber gegenüber den Amerikanern<br />

tun‹ etc.«. 94<br />

<strong>Die</strong>se E<strong>in</strong>stellungen zeigten sich auch auf der Landesleitungssitzung am 27.<br />

August 1950, die sich fast ausschließlich mit diesem Thema beschäftigte und dem<br />

Beschluss des Sekretariats zustimmen sollte. Es kam zu starker Kritik am Sekretariat,<br />

fast alle Redner lehnten die Maßnahmen gegen Meyer-Buer und Gautier ab. Willy<br />

Knigge verteidigte zunächst den Beschluss des Sekretariats, der notwendig ge-<br />

90 Protokoll über die Sekretariatssitzung am 2. August 1950 im Parteih. Waller R. 41, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

91 Selbstkritische Erklärung der Gen. Willi Meyer-Buer und Hermann Gautier zu Abgabe ihrer Unterschrift an den<br />

Landeskommissar <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

92 Ebenda.<br />

93 Protokoll über die Sekretariatssitzung am 2. August 1950 im Parteih. Waller R. 41, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

94 Bericht über Instruktion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven am 7.8.1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.


108<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

wesen sei, »um der Partei e<strong>in</strong> erzieherisches Beispiel zu geben«. 95 Es gab, so vermerkte<br />

der anwesende Instrukteur des Parteivorstandes, bereits während der Äußerungen<br />

Knigges »e<strong>in</strong>e Reihe von Zwischenrufen, wie: ›Praktisch hätten alle dasselbe<br />

gemacht‹ und ›das Sekretariat kann nicht alle<strong>in</strong> beschließen‹«. 96 In der folgenden<br />

Diskussion wurde der Unmut konkretisiert. Besonders kritisch äußerte sich<br />

Karl Grobe, selbst Sekretariatsmitglied, aber auf der Sitzung am 2. August nicht<br />

anwesend. Grobe wies den Vorwurf des Opportunismus gegen Meyer-Buer und<br />

Gautier zurück. Ihr Verhalten sei ke<strong>in</strong> »Zurückweichen«, sondern zeuge lediglich<br />

von »mangelnder Wachsamkeit«. <strong>Die</strong> Diskussionen <strong>in</strong> der Partei zeigten, so Grobe,<br />

dass der Beschluss falsch sei. 97 Es würden auch Auffassungen vertreten, dass der<br />

Ausschluss nur e<strong>in</strong>e formelle »Phrase« sei, da Gautier <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Funktion bleiben<br />

würde, nur nicht als Sekretariatsmitglied. 98 Grobe war zuvor <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kritik noch<br />

weiter gegangen und sprach auch allgeme<strong>in</strong>e Unzufriedenheiten an. Dem Sekretariat<br />

fehle »die Verb<strong>in</strong>dung nach unten und der richtige Arbeitsstil«. Es gebe Stimmungen<br />

<strong>in</strong> der Mitgliedschaft, nach denen das Sekretariat »e<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>d« sei. 99 Grobes<br />

Auffassung bezüglich Meyer-Buer und Gautier wurde von den folgenden Rednern<br />

unterstützt. Käthe Popall me<strong>in</strong>te gar, dass »das V<strong>org</strong>ehen der Leitung [...] die Mitgliedschaft<br />

schockiert« habe. 100 Es bestehe e<strong>in</strong> »schlechtes Verhältnis zwischen Sekretariat<br />

und Landesvorstand«, der als untergeordnete Instanz behandelt werde, wie<br />

<strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> diesem Fall zum Ausdruck gekommen sei.<br />

Meyer-Buer und Gautier selbst verteidigten ihre eigene Absetzung und kritisierten,<br />

dass ihr Fall jetzt benutzt werde, um e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Unzufriedenheit mit<br />

dem Sekretariat Ausdruck zu geben. 101 <strong>Die</strong> »unerfreuliche Diskussion« zeige, dass<br />

»unsere Genossen das Neue <strong>in</strong> der Situation nicht verstehen«. 102<br />

Trotz der zum Ausdruck gekommenen Missstimmung und Kritik billigte die<br />

Landesleitung schließlich den Beschluss des Sekretariats und stimmte der Absetzung<br />

von Meyer-Buer und Gautier bei vier Gegenstimmen zu. <strong>Die</strong> Gegenstimmen<br />

kamen von Karl Grobe, Käthe Popall, He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich und der während der Diskussion<br />

nicht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung getretenen Liselotte Petschke. Insbesondere Käthe<br />

Popall und Karl Grobe wurden deshalb im Bericht des PV-Instrukteurs schwer kri-<br />

95 Niederschrift über die Verhandlungen der Landesvorstandssitzung am Sonntag, dem 27. August 1950, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/2.<br />

96 Bericht über die Landesvorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung <strong>Bremen</strong>, am Samstag, den 27.8.1950, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/2.<br />

97 Niederschrift über die Verhandlungen der Landesvorstandssitzung am Sonntag, dem 27. August 1950, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/2.<br />

98 Bericht über die Landesvorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung <strong>Bremen</strong>, am Samstag, den 27.8.1950, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/2.<br />

99 Ebenda.<br />

100 Ebenda.<br />

101 Niederschrift über die Verhandlungen der Landesvorstandssitzung am Sonntag, dem 27. August 1950, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/2.<br />

102 Bericht über die Landesvorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung <strong>Bremen</strong>, am Samstag, den 27.8.1950, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/2


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 109<br />

tisiert. Man müsse aus der Landesvorstandssitzung »ernste Schlussfolgerungen«<br />

ziehen:<br />

»Trotz der ausführlichen und sehr sachlichen Diskussion haben - und das ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

äußerst bemerkenswert - vier Genossen und Genoss<strong>in</strong>nen gegen den Beschluss<br />

des Sekretariats gestimmt und begründeten ihre Haltung teilweise mit absolut opportunistischen<br />

Argumenten. Insbesondere der Genosse Karl Grobe hat sich schwere opportunistische<br />

Entgleisungen zu schulden kommen lassen. <strong>Die</strong> Genoss<strong>in</strong> Popall zeigte dieselbe L<strong>in</strong>ie.« 103<br />

In dem Abstimmungsergebnis sei »die ganze Schwäche der Leitung« zum Ausdruck<br />

gekommen, so der Instrukteur weiter. Es sei »nicht von der Hand zu weisen,<br />

dass der e<strong>in</strong>e oder andere fe<strong>in</strong>dlichen E<strong>in</strong>flüssen unterlegen ist«. Grobe könne<br />

»unmöglich länger Mitglied des Sekretariats bleiben«, auch Popall und Petschke<br />

dürften nicht mehr <strong>in</strong> führenden Funktionen e<strong>in</strong>gesetzt werden. In e<strong>in</strong>er Bewertung<br />

des Berichts durch den Parteivorstand wurde ebenfalls deutlich, dass man pr<strong>in</strong>zipiell<br />

mit der Bremer Parteileitung unzufrieden war. 104 <strong>Die</strong> Diskussion um Meyer-<br />

Buer und Gautier habe gezeigt, »dass selbst <strong>in</strong> der Führung ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Auffassung<br />

besteht«. Das Sekretariat setze sich politisch nicht durch und sei daher »naturgemäß<br />

nicht <strong>in</strong> der Lage, die Partei bei Aktionen auf Touren zu br<strong>in</strong>gen«. Alle<br />

Berichte zeigten, so das Resümee, »dass e<strong>in</strong>e baldige Veränderung im Sekretariat<br />

unbed<strong>in</strong>gt erforderlich ist«.<br />

<strong>Die</strong>se Veränderung wurde e<strong>in</strong> knappes halbes Jahr später vollzogen.<br />

3. <strong>Die</strong> Ablösung des Sekretariats<br />

<strong>Die</strong> im Zuge der Noel-H.-Field-Affäre erfolgte Überprüfung von Funktionären aus<br />

der Westemigration betraf auch den Ersten Sekretär der Bremer Landes<strong>org</strong>anisation,<br />

Willy Knigge. Der 1906 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geborene Knigge emigrierte nach 1933 u.a.<br />

nach Frankreich, wo er Mitglied der <strong>KPD</strong>-Landesleitung und Angehöriger der<br />

Résistance war. Auch Knigges Absetzung erfolgte kurzfristig. In den Wochen und<br />

Monaten vor dem Februar 1951 gab es kaum Anzeichen für bevorstehende größere<br />

personelle Änderungen im Sekretariat. E<strong>in</strong>ziger Anhaltspunkt war die vom Parteivorstand<br />

veranlasste Verschiebung der ursprünglich für Ende November oder Anfang<br />

Dezember 1950 v<strong>org</strong>esehenen Landesdelegiertenkonferenz. 105 Willy Knigge<br />

begründete die kurzfristige Term<strong>in</strong>änderung vor der Landesleitung mit der bis dah<strong>in</strong><br />

mangelhaften Vorbereitung. Es sei nicht gelungen, »die Partei<strong>org</strong>anisation für<br />

den Parteitag zu gew<strong>in</strong>nen«. 106 Auch wenn dies zutreffen mochte, der tatsächliche<br />

Grund der mehrmaligen Verschiebung des <strong>KPD</strong>-Parteitages - und damit auch der<br />

vorbereitenden Landesdelegiertenkonferenzen - waren Beschlüsse des SED-<br />

103 Ebenda.<br />

104 Düsseldorf, den 9. September 1950, Betr.: <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

105 Protokoll von der Sekretariatssitzung am 2. November 1950 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. In: SAPMO I 11/20/5.<br />

106 Protokoll von der Landesvorstandssitzung am 19. November 1950, Waller R<strong>in</strong>g 41. In: SAPMO I 11/20/2.


110<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

Politbüros, das im bereits im Oktober 1950 e<strong>in</strong>e Kommission »zwecks Stellungnahme<br />

zu den Vorschlägen der Kandidaten für das Sekretariat und den Parteivorstand<br />

der <strong>KPD</strong> und für die Sekretariate der Landesvorstände« gebildet hatte. 107<br />

<strong>Die</strong> Ablösung Knigge wurde auf der oben beschriebenen Parteivorstandssitzung<br />

vom 9. Februar 1951 beschlossen. <strong>Die</strong> Begründung hieß lapidar »mangelnde<br />

Pflichterfüllung«. 108 Das Bremer Sekretariat fasste dazu fünf Tage später e<strong>in</strong>en kurzen,<br />

nur noch affirmativen Beschluss: »Das Sekretariat des Landesvorstandes <strong>Bremen</strong><br />

stimmt dem Beschluss des Sekretariats des PV bezüglich der Abberufung des<br />

Genossen Knigge als 1. Landesvorsitzenden und der Berufung des Genossen Hermann<br />

Gautier für diese Funktion voll<strong>in</strong>haltlich zu.« 109<br />

Knigge, der auf der Sitzung anwesend war und noch das politische E<strong>in</strong>leitungsreferat<br />

hielt, machte deutlich, dass weitere Absetzungen und Veränderungen <strong>in</strong> der<br />

Landesleitung und im Sekretariat geplant und zu erwarten seien. 110 <strong>Die</strong> Berufung<br />

Hermann Gautiers als Erster Sekretär war nach se<strong>in</strong>er gerade e<strong>in</strong> halbes Jahr zurückliegenden<br />

Maßregelung und Absetzung als Sekretariatsmitglied relativ überraschend.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs hatte der Instrukteur des Parteivorstandes bereits nach der Landesleitungssitzung<br />

vom 27. August 1950 vermerkt, Gautier sei »<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sehr guten<br />

Form aufgetreten« und weiter: »Gegen e<strong>in</strong>e baldige Wiederverwendung, so wie<br />

v<strong>org</strong>esehen, gibt es, falls es geschickt angefasst wird, ke<strong>in</strong>erlei Bedenken«. 111 <strong>Die</strong>s<br />

war auch e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis darauf, dass Gautiers E<strong>in</strong>setzung als Erster Sekretär der<br />

Bremer Landesleitung bereits zu diesem Zeitpunkt - und nicht erst im Februar 1951<br />

- beschlossene Sache war.<br />

<strong>Die</strong> Landesdelegiertenkonferenz, auf der der Führungswechsel formell beschlossen<br />

werden sollte, war vom Parteivorstand am 13. Februar, also e<strong>in</strong>en Tag vor<br />

der Bremer Sekretariatssitzung, auf den 24./25. Februar 1951 term<strong>in</strong>iert worden. 112<br />

Es blieb also zur Vorbereitung nur wenig Zeit, gleichzeitig waren dem Sekretariat<br />

die zu erwartenden Schwierigkeiten bewusst. He<strong>in</strong>rich Nolte, der als Zweiter Sekretär<br />

ebenfalls abgelöst werden sollte, wies darauf h<strong>in</strong>: <strong>Die</strong> »Diskussion, aber auch<br />

die persönlichen Veränderungen müssen vorher diskutiert und <strong>in</strong> der Partei durchgesetzt<br />

werden, damit der LV auf der Landesdelegiertenkonferenz geschlossen da<br />

steht«. 113<br />

<strong>Die</strong>s war angesichts der Kürze der Zeit kaum zu verwirklichen, zumal zu diesem<br />

Zeitpunkt die Kandidatenliste für die neue Landesleitung und das Sekretariat<br />

noch nicht e<strong>in</strong>mal feststand. Erst am 16. Februar 1951 g<strong>in</strong>gen die von der SED überprüften<br />

und genehmigten Listen an die e<strong>in</strong>zelnen Landesverbände der <strong>KPD</strong>. 114<br />

107 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 36. Mitglieder der Kommission waren Walter<br />

Ulbricht, Franz Dahlem, Hermann Matern und Max Reimann.<br />

108 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 43.<br />

109 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. In: SAPMO I 11/20/6.<br />

110 Ebenda.<br />

111 Bericht über die Landesvorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung <strong>Bremen</strong>, am Samstag, den 27.8.1950, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/2.<br />

112 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 45.<br />

113 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. In: SAPMO I 11/20/6.<br />

114 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 44.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 111<br />

<strong>Die</strong> Schreiben betonten, es seien »nur die Genossen aufgeführt, die nach der Überprüfung<br />

als <strong>in</strong> Ordnung befunden wurden. Alle die Genossen, die entweder abgelehnt<br />

wurden oder bei denen noch Fragen offen stehen, können bei der Wahl für<br />

den Landesvorstand nicht <strong>in</strong> Betracht gezogen werden«. 115 Außerdem sei »darauf<br />

zu achten, dass ke<strong>in</strong> anderer Genosse oder Genoss<strong>in</strong> als die <strong>in</strong> den Listen angegebenen,<br />

gewählt werden.« 116<br />

Für <strong>Bremen</strong> bedeutete dies, dass von den ursprünglich 37 v<strong>org</strong>eschlagenen<br />

Kandidaten lediglich 18 übrig blieben, die der Überprüfung durch die SED standgehalten<br />

hatten. <strong>Die</strong>se Liste beschloss das Sekretariat schließlich - <strong>in</strong> Anwesenheit<br />

e<strong>in</strong>es Vertreters des Parteivorstands und »nach kurzer Aussprache« - am 21. Februar<br />

1951, also erst drei Tage vor der Delegiertenkonferenz. 117 E<strong>in</strong>e wirkliche Diskussion<br />

über die Kandidaten <strong>in</strong> den Grunde<strong>in</strong>heiten konnte so gar nicht stattf<strong>in</strong>den,<br />

auch wenn bis zur Konferenz noch e<strong>in</strong>ige Mitgliederversammlungen durchgeführt<br />

wurden. 118 Derartige Diskussionen waren auch nicht erwünscht, wie e<strong>in</strong> Mitglied<br />

des Sekretariats am Tag der Delegiertenkonferenz unmissverständlich klarstellte.<br />

<strong>Die</strong> offenbar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Mitgliederversammlungen durchgeführten Abstimmungen<br />

über die Kandidatenliste seien »falsch und führen zu Fraktionsarbeit«. 119<br />

Dementsprechend durfte es natürlich auch während der Konferenz und bei der<br />

Abstimmung über die neue Landesleitung ke<strong>in</strong>e Diskussionen und Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten<br />

geben. Das Sekretariat und der Landesvorstand wurden auf der<br />

vorbereitenden Sitzung noch e<strong>in</strong>mal auf e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches Auftreten vor der Delegiertenkonferenz<br />

e<strong>in</strong>geschworen. <strong>Die</strong> Vorschläge des Parteivorstands seien für alle<br />

Leitungsmitglieder b<strong>in</strong>dend, auch <strong>in</strong> persönlichen Erklärungen sollten nur die Auffassungen<br />

des Parteivorstands vertreten werden. Es dürfe bei der Wahl der neuen<br />

Führung, so Willy Knigge, »ke<strong>in</strong>e persönlichen Gefühlsduseleien« geben. Beschlossen<br />

wurde auf Vorschlag des anwesenden Vertreters des Parteivorstands außerdem,<br />

dass zunächst nur die 18 bisher genehmigten Kandidaten <strong>in</strong> die Landesleitung<br />

gewählt werden und nach Abschluss der Überprüfungen weitere Mitglieder<br />

kooptiert werden können. Zum Schluss der Sitzung betonte Willy Knigge, »dass<br />

von dem e<strong>in</strong>heitlichen Auftreten des Sekretariats auf der Landesdelegiertenkonferenz<br />

vieles abhängt«. 120 Speziell die auf dieser Sitzung - auf der auch schon das gesamte<br />

neue Sekretariat anwesend war - gefassten Beschlüsse und das Schlusswort<br />

115 Zitiert nach ebenda.<br />

116 Ebenda, S. 44. Mayer zitiert auch die Begründung der Zurückstellung e<strong>in</strong>es Bremer Funktionärs, der<br />

schreiben sollte, »was er <strong>in</strong> der Kriegsgefangenschaft gemacht hat, welche Art Schulung er geleitet hat,<br />

wer daran teilnahm, ob diese Schulung von den Engländern <strong>org</strong>anisiert war bezw. ob diese ihn mit der<br />

Schulung beauftragt haben, wie er entlassen wurde und Zeugenangaben.«<br />

117 Bericht von e<strong>in</strong>er Sitzung des Sekretariats am 21. Februar 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6. In dieser Sitzung<br />

wurden auch die <strong>org</strong>anisatorischen E<strong>in</strong>zelheiten der Delegiertenkonferenz festgelegt.<br />

118 Erwähnt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em SED-Instrukteursbericht (Land: <strong>Bremen</strong>, Dauer der Reise: 13.2.- 26.2.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/13). Der Instrukteur hatte u.a. den Auftrag zur Mitarbeit an den Vorbereitungen zur Delegiertenkonferenz.<br />

119 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 24. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6<br />

120 Ebenda.


112<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

Knigges verdeutlichen also, dass im Sekretariat mit Schwierigkeiten bei der Durchsetzung<br />

der neuen Parteileitung gerechnet wurde.<br />

<strong>Die</strong> Delegiertenkonferenz fand wie geplant am 24. und 25. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

statt. Insgesamt nahmen 209 Delegierte teil, davon 43 Gastdelegierte. 121 »Der<br />

Saal war sehr gut geschmückt und die Konferenz wurde durch e<strong>in</strong>en Film kulturell<br />

umrahmt«, bemerkte der anwesende SED-Instrukteur. 122 Erstmalig war e<strong>in</strong> »Ehrenpräsidium«<br />

ernannt worden, dem »die Führer des Weltproletariats« mit Josef<br />

Stal<strong>in</strong> an der Spitze angehörten. 123 <strong>Die</strong>TagesordnungsahfürdenerstenTagzunächst<br />

vor allem das Referat des designierten Landesvorsitzenden Hermann Gautier<br />

vor. <strong>Die</strong>s war - wie auch der Term<strong>in</strong> der Konferenz - am 13. Februar 1951 vom<br />

Parteivorstand beschlossen worden. 124 Gautier hatte se<strong>in</strong>e Rede <strong>in</strong> Zusammenarbeit<br />

mit se<strong>in</strong>em V<strong>org</strong>änger Willy Knigge, dem bereits erwähnten SED-Instrukteur sowie<br />

dem Instrukteur des <strong>KPD</strong>-Parteivorstands, Alfred Zeidler, formuliert und bearbeitet.<br />

125<br />

Schwerpunkt von Gautiers Referat war der wenige Tage zuvor beendete Streik<br />

der Bremer Metallarbeiter. In diesem Zusammenhang hatte es größere Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

mit der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward gegeben, die Gautier zum Anlass<br />

schwerer Kritik nahm, vor allem gegen die Betriebsgruppe, aber auch gegen das alte<br />

Sekretariat. 126<br />

<strong>Die</strong> Wahl zur der neuen Landesleitung erfolgte schließlich en bloc bei e<strong>in</strong>er Gegenstimme<br />

und e<strong>in</strong>er Enthaltung. 127 Wie zuvor vom Sekretariat geplant, wurde die<br />

Zahl der Vorstandsmitglieder auf die 18 Genossen festgelegt, die vom Parteivorstand<br />

und SED bis dah<strong>in</strong> genehmigt waren. Außerdem war die Möglichkeit der<br />

Kooptierung weiterer Mitglieder v<strong>org</strong>esehen. Insgesamt waren <strong>in</strong> der neuen Landesleitung<br />

nur noch sechs Mitglieder vertreten, die auch schon der alten angehört<br />

hatten. 128 Entfernt worden waren nicht nur die beiden Landesvorsitzenden Willy<br />

Knigge und He<strong>in</strong>rich Nolte, sondern z.B. auch die ehemalige Senator<strong>in</strong> Käthe Po-<br />

121 Org.-Bericht über die Zusammensetzung der Delegierten und Gäste der Landesdelegierten-Konferenz <strong>Bremen</strong> am<br />

24. und 25. Februar 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1.<br />

122 Land: <strong>Bremen</strong>, Dauer der Reise: 13.2.- 26.2.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

123 Für die friedliche Lösung der deutschen Frage, Tribüne der Demokratie 28.2.51. Vgl. auch die Schilderung<br />

der Landesdelegiertenkonferenz <strong>in</strong> Südwürttemberg <strong>in</strong>: Herbert Crüger, Verschwiegene Zeiten, Vom<br />

geheimen Apparat der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>s Gefängnis der Staatssicherheit, Berl<strong>in</strong> 1990, S. 141.<br />

124 Vgl. Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 45.<br />

125 Land: <strong>Bremen</strong>, Dauer der Reise: 13.2.- 26.2.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13; Bericht von der Landesdelegiertenkonferenz<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 24. / 25.2.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1.<br />

126 Siehe ausführlich Kapitel 5. In der anschließenden Diskussion wurde die Kritik Gautiers nicht widerspruchslos<br />

h<strong>in</strong>genommen. Insbesondere Mitglieder der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward wiesen die Beschuldigungen<br />

zurück und kritisierten ihrerseits das V<strong>org</strong>ehen des Sekretariats beim Metallarbeiterstreik.<br />

(Diskussion von der Landesdelegiertenkonferenz am 25.2.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1).<br />

127 Bericht von der Landesdelegiertenkonferenz <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 24. / 25.2.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1. Das Wahlverfahren<br />

war ebenfalls neu, bei der letzten Wahl der Landesleitung 1949 erfolgte noch e<strong>in</strong>e Stimmabgabe<br />

für jeden e<strong>in</strong>zelnen Kandidaten.<br />

128 <strong>Die</strong>s waren Wilhelm Lietzau, Frieda Reichel, He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich, Roman Fuchs, Maria Krüger und Albert<br />

Krohn.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 113<br />

pall, der Chefredakteur der Tribüne der Demokratie Willy Hundertmark sowie der<br />

Fraktionsvorsitzende <strong>in</strong> der Bremer Bürgerschaft Rudolf Rafoth.<br />

Im Anschluss an die Delegiertenkonferenz wählte die Landesleitung das neue<br />

Sekretariat. Ihm gehörten nun an Hermann Gautier als Erster Sekretär, Wilhelm<br />

Lietzau, Wilhelm Seipel, Ulrich Konetzka und Frieda Reichel. 129 Besonders auffällig<br />

und später immer wieder Anlass <strong>in</strong>nerparteilicher Unmutsäußerungen und Konflikte<br />

war das relativ niedrige Alter der neuen Parteiführung: Hermann Gautier<br />

(Jahrgang 1920) war zum Zeitpunkt se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>setzung 30 Jahre alt, auch Ulrich Konetzka<br />

(geboren 1924) und Willy Seipel gehörten dieser Generation an. M<strong>in</strong>destens<br />

drei von fünf Mitgliedern der neuen Parteiführung gehörten somit zu den nach<br />

<strong>1945</strong> <strong>in</strong> die <strong>KPD</strong> E<strong>in</strong>getretenen.<br />

Dass dies sowohl pr<strong>in</strong>zipiell wie auch speziell im Falle Hermann Gautiers nicht<br />

unumstritten war, zeigte sich bereits bei der anschließenden Wahl des Sekretariats<br />

durch die neue Landesleitung. <strong>Die</strong> Bürgerschaftsabgeordnete Maria Krüger wandte<br />

sich gegen Gautier als Landesvorsitzenden, da, so das Protokoll, »es 1. <strong>in</strong> der Mitgliedschaft<br />

Stimmungen gäbe, die mit der Wahl des Genossen Hermann Gautier<br />

nicht e<strong>in</strong>verstanden wären und 2. sie selbst auch nicht ganz mit der Wahl des Genossen<br />

Hermann Gautier e<strong>in</strong>verstanden sei.« 130 E<strong>in</strong>e Begründung ihrer ablehnenden<br />

Haltung gab Krüger nicht. Unterstützung erhielt sie lediglich von e<strong>in</strong>em weiteren<br />

Mitglied der Landesleitung woraufh<strong>in</strong> sie schließlich ihre Bedenken zurückstellte.<br />

Hermann Gautier wurde e<strong>in</strong>stimmig gewählt, obwohl, so vermerkte der<br />

anwesende Instrukteur des Parteivorstands <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht, »die Genoss<strong>in</strong> und<br />

der Genosse ihre Zustimmung schweren Herzens gaben, wie sich ausdrückten.« 131<br />

Damit war die Umgestaltung der Parteileitung auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vollzogen. Der<br />

abgelöste Landesvorsitzende Willy Knigge g<strong>in</strong>g, wie auch zahlreiche andere ehemalige<br />

Westemigranten der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong> die DDR und nahm dort später Spitzenfunktionen<br />

im Partei-, Regierungs- und Gewerkschaftsapparat e<strong>in</strong>. 132<br />

Für Hermann Gautier war die Berufung zum Ersten Landessekretär »e<strong>in</strong>e große<br />

Herausforderung« 133, er war sich aber auch der Widerstände bewusst, die sich auf<br />

der konstituierenden Sitzung der Landesleitung angedeutet hatten:<br />

»Ich war ja noch relativ jung, gerade mal 30 Jahre alt und erst fünf Jahre <strong>in</strong> der Partei. Es gab<br />

viele Genossen, die jahrzehntelange Erfahrung <strong>in</strong> der Bewegung hatten, die im KZ waren und<br />

129 Protokoll der konstituierenden Sitzung der Landesleitung am 25.2.51 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2. Ulrich<br />

Konetzka (geb. 1927): Journalist. Nach <strong>1945</strong> FDJ und <strong>KPD</strong>, seit 1951 Mitglied des Landessekretariats,<br />

zeitweise 2. Landessekretär, nach dem Verbot Tätigkeit für den »Freiheitssender 904« der <strong>KPD</strong>, später<br />

Redakteur bei »Neues Echo«, seit <strong>1968</strong> DKP; Willy Seipel: gelernter Setzer. Kriegsgefangenschaft, Rückkehr<br />

nach <strong>Bremen</strong> 1947/48. Redakteur Tribüne der Demokratie, 1951 Mitglied Landesleitung und Sekretariat,<br />

1952 vermutlich 2. L<strong>in</strong>ie. <strong>1968</strong> DKP. Verstorben; Willy Lietzau: <strong>KPD</strong> Bremerhaven, 1951 Mitglied<br />

des Landessekretariats, 2. Sekretär (Org.-Instr.), 1952 vermtl. 2. L<strong>in</strong>ie; Frieda Reichel: (1910-?): <strong>KPD</strong>, 1951<br />

Mitglied des Landessekretariats, Erste Sekretär<strong>in</strong> DFD <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>.<br />

130 Protokoll der konstituierenden Sitzung der Landesleitung am 25.2.51 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

131 Bericht von der Landes-Delegiertenkonferenz <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 24./25.2.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1.<br />

132 Vgl. die biographischen Angaben <strong>in</strong>: Andreas Herbst, W<strong>in</strong>fried Ranke und Jürgen W<strong>in</strong>kler, So funktionierte<br />

die DDR, Band 3: Lexikon der Funktionäre, Re<strong>in</strong>bek bei Hamburg 1994, S. 176.<br />

133 Interview Gautier, 2.


114<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

gegen den Faschismus gekämpft hatten. <strong>Die</strong> glaubten natürlich, dass eigentlich sie jetzt dran<br />

wären, wenn Willy Knigge schon wegg<strong>in</strong>g. Es gab da schon Ause<strong>in</strong>andersetzungen um diese<br />

Frage.« 134<br />

Thematisiert und vor allem publiziert wurden diese Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong><br />

der Folgezeit nicht. Weder die vom Landesparteitag verabschiedete Resolution<br />

noch die Berichterstattung der Tribüne der Demokratie g<strong>in</strong>gen auf den Führungswechsel<br />

näher e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Resolution sprach lediglich allgeme<strong>in</strong> von der Notwendigkeit<br />

der »Schaffung von Leitungen, die die Gewähr dafür bieten, dass die Politik<br />

und die Beschlüsse der Partei ohne Schwankungen durchgeführt werden« und forderte<br />

die »Entwicklung e<strong>in</strong>er Kader-Politik, die der Partei den Nachwuchs junger<br />

Kader sichert und die Voraussetzungen schafft, dass junge und entwicklungsfähige<br />

Parteimitglieder <strong>in</strong> alle Parteileitungen mit e<strong>in</strong>bezogen werden«. 135 In der Tribüne<br />

der Demokratie wurde <strong>in</strong> Auszügen das Referat Gautiers mit der Kritik am alten Sekretariat<br />

veröffentlicht. 136 Weitere Begründungen oder gar Diskussionen wurden<br />

nicht veröffentlicht.<br />

Thematisiert wurde der Führungswechsel allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der nichtkommunistischen<br />

Presse. Der Weser-Kurier beispielsweise berichtete gut e<strong>in</strong>e Woche später von<br />

der Landesdelegiertenkonferenz. 137 <strong>Die</strong> »Welle der Säuberungen«, so der äußerst<br />

hämisch verfasste Artikel, habe »nun auch im Lande <strong>Bremen</strong> die ›alte Garde‹ h<strong>in</strong>weggespült<br />

und politisch ›unbelastete‹ Kräfte an die Spitze der bremischen KP-<br />

Kader<strong>org</strong>anisation gebracht«. Besonders vermerkt wurde die Absetzung der Bürgerschaftsabgeordneten<br />

aus der Landesleitung sowie das niedrige Alter der neuen<br />

Leitungsmitglieder. E<strong>in</strong>e Fehl<strong>in</strong>formation war allerd<strong>in</strong>gs die Behauptung, der alte<br />

Vorstand habe e<strong>in</strong>e eigene Kandidatenliste e<strong>in</strong>gebracht, mit der er »e<strong>in</strong>en hundertprozentigen<br />

Re<strong>in</strong>fall« erlebt habe.<br />

<strong>Die</strong> Reaktionen der Bremer Öffentlichkeit beunruhigte die Parteileitung offenbar<br />

so sehr, dass sie sich zu e<strong>in</strong>er Stellungnahme genötigt sah. Rudolf Rafoth, Vorsitzender<br />

der Bürgerschaftsfraktion und ebenfalls als Sekretariats- und Landesleitungsmitglied<br />

abgesetzt, schrieb <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie, die »Mitglieder und<br />

Funktionäre« verfolgten »mit stets wachsender Belustigung« die Berichterstattung<br />

zur Landesdelegiertenkonferenz. 138 Rafoth versuchte, die Artikel als nicht ernstzunehmende<br />

»Böswilligkeit, Verdrehung und Verleumdung« h<strong>in</strong>zustellen. Im Unterschied<br />

zu »bürgerlichen Interessengruppen oder Wahlvere<strong>in</strong>en« beschäftige sich<br />

die <strong>KPD</strong> nicht mit Personen, »sondern mit der Politik und Arbeit der Partei«. Er<br />

rechtfertigte die auf der Konferenz v<strong>org</strong>ebrachte Kritik am alten Sekretariat und<br />

verband dies mit e<strong>in</strong>er Warnung an die Mitgliedschaft, : »Wer diese Kritik und<br />

134 Ebenda.<br />

135 Resolutionsentwurf der Landesdelegiertenkonferenz Land <strong>Bremen</strong> am 24. und 25. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/1. Siehe auch Für die friedliche Lösung der deutschen Frage, Tribüne der Demokratie<br />

28.2.51.<br />

136 Bremer Metallarbeiterstreik bestätigt Wilhelm Pieck, Tribüne der Demokratie 3./4.3.51; Wir brauchen Güter<br />

für e<strong>in</strong> friedliches Leben!, Tribüne der Demokratie 6.3.51 und 7.3.51.<br />

137 Bremer <strong>KPD</strong>-Vorstand »gesäubert«, Weser-Kurier 5.3.1951.<br />

138 Es lebe die E<strong>in</strong>heit unserer Partei, Tribüne der Demokratie 13.3.1951.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 115<br />

Selbstkritik ablehnt oder mit <strong>in</strong>neren Vorbehalten betrachtet, verkennt das Entwicklungsgesetz<br />

unserer Klasse und Partei und gerät <strong>in</strong> Gefahr, im Schlamm bürgerlicher<br />

Selbstzufriedenheit und Lobhudelei zu verkommen.« Mit e<strong>in</strong>em langen, mehr<br />

als die Hälfte des Artikels e<strong>in</strong>nehmenden Stal<strong>in</strong>-Zitat verteidigte Rafoth die E<strong>in</strong>setzung<br />

junger Genossen <strong>in</strong> die Parteileitung. Abschließend spielte er noch e<strong>in</strong>mal die<br />

Reaktionen der Bremer Öffentlichkeit, und damit letztendlich auch die bereits deutlich<br />

gewordene Kritik aus den eigenen Reihen, herunter. Man könne »über den<br />

krampfhaften Versuch unserer Gegner, die E<strong>in</strong>heit unserer Partei und ihrer Funktionäre<br />

<strong>in</strong> Zweifel zu ziehen, nur mitleidig lächeln und zur Tagesordnung übergehen«.<br />

Der Artikel zeigte, dass die Parteileitung weniger um die eigentlich kritisierten<br />

Äußerungen der bürgerlichen Medien bes<strong>org</strong>t war, als vielmehr um die Reaktion<br />

der Mitgliedschaft auf die Absetzung des alten Sekretariats. <strong>Die</strong>se S<strong>org</strong>e war berechtigt<br />

und ke<strong>in</strong>eswegs konnte die Partei <strong>in</strong> der Folgezeit, wie von Rafoth gewünscht,<br />

e<strong>in</strong>fach »zur Tagesordnung übergehen«.<br />

4. <strong>Die</strong> »umfassende Säuberung der Partei«.<br />

Ausschlussverfahren gegen prom<strong>in</strong>ente Mitglieder 1951/52<br />

Mit der Absetzung des alten Sekretariats waren die Säuberungen <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> noch<br />

nicht beendet. Dass es bundesweit um e<strong>in</strong>e »umfassende Parteire<strong>in</strong>igung« 139 g<strong>in</strong>g,<br />

zeigte schon der offiziell als »Münchener« deklarierte, tatsächlich <strong>in</strong> Weimar tagende<br />

Parteitag vom 3. bis 5. März 1951. <strong>Die</strong> Delegierten verabschiedeten e<strong>in</strong>e Resolution<br />

mit <strong>in</strong>sgesamt 57 Thesen, <strong>in</strong> denen u.a. die bisherigen Absetzungen gerechtfertigt<br />

sowie die Richtung der weiteren Entwicklung v<strong>org</strong>egeben wurde. 140 So hieß es<br />

beispielsweise <strong>in</strong> These 53:<br />

»<strong>Die</strong> Hauptaufgabe ist, die Partei re<strong>in</strong> zu halten. [...]. Der Parteitag lenkt die besondere Aufmerksamkeit<br />

aller Partei<strong>org</strong>anisationen auf die Notwendigkeit der Erhöhung der revolutionären<br />

Wachsamkeit und der vollständigen Entlarvung der Fe<strong>in</strong>de der Partei, der Spione und<br />

Provokateure sowie der Methoden ihrer verbrecherischen Tätigkeit«. 141<br />

Das gleichzeitig verabschiedete Statut der <strong>KPD</strong> schuf e<strong>in</strong>e <strong>org</strong>anisatorische<br />

Grundlage für die weitere Umgestaltung zur »Partei neuen Typus«, <strong>in</strong>dem es unmissverständlich<br />

jegliche oppositionelle Tätigkeit und Abweichungen von der Parteil<strong>in</strong>ie<br />

mit dem Ausschluss bedrohte:<br />

139 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 51.<br />

140 <strong>Die</strong> gegenwärtige Lage und die Aufgaben der <strong>KPD</strong>. Entschließung des Münchener Parteitags (3.-5.3. 1951), <strong>in</strong>:<br />

<strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 335-378. <strong>Die</strong> Thesen formulierten außerdem programmatische<br />

Änderungen, von denen besonders die die Gewerkschaftsarbeit behandelnde These 37 weitreichende<br />

Folgen hatte.<br />

141 Ebenda, S. 371f.


116<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

»<strong>Die</strong> Stärke der Partei liegt <strong>in</strong> der Geschlossenheit ihrer Reihen, <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>heit des Willens und<br />

des Handelns. Unvere<strong>in</strong>bar damit s<strong>in</strong>d Abweichungen von den Pr<strong>in</strong>zipien des Marxismus-<br />

Len<strong>in</strong>ismus und dem Statut der Partei, ebenso wie die Verletzung der Parteidiszipl<strong>in</strong>, die Beteiligung<br />

an fraktionellen Gruppierungen und Doppelzünglerei. <strong>Die</strong> Partei entfernt aus ihren<br />

Reihen diejenigen, die das Statut, die Beschlüsse sowie die Diszipl<strong>in</strong> der Partei verletzen.« 142<br />

Weitere Säuberungsmaßnahmen wurden bereits unmittelbar im Anschluss an<br />

den Parteitag getroffen. 143 Dabei wurden vor allem Redakteure der Parteipresse<br />

abgelöst, denen bereits <strong>in</strong> den Thesen des Parteitages »grobe politische Fehler« v<strong>org</strong>eworfen<br />

worden waren. 144 In <strong>Bremen</strong> traf dies den Chefredakteur der Tribüne der<br />

Demokratie Willy Hundertmark, dessen Funktionsenthebung das Sekretariat des<br />

Parteivorstands am 20. März 1951 beschloss. 145 <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong>-Zeitung erschien<br />

seit Januar 1951 als »Kopfblatt« der Hamburger Volkzeitung (HVZ) und wurde auch<br />

<strong>in</strong> der Hamburger Redaktion hergestellt. Zusammen mit Hundertmark wurden<br />

zwei weitere Redakteure aus ihren Funktionen entfernt. 146 Begründungen für ihre<br />

Entlassungen erhielten sie nicht. 147 Hundertmark, der seit der Bremer Delegiertenkonferenz<br />

auch nicht mehr der Landesleitung angehörte, bekam außerdem Funktionsverbot<br />

und durfte nur noch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Stadtteil tätig se<strong>in</strong>. 148 Er wurde 2. Sekretär<br />

<strong>in</strong> Gröpel<strong>in</strong>gen, der größten Stadtteil<strong>org</strong>anisation der Bremer <strong>KPD</strong>. 149 Erst im April<br />

1956 wurde Hundertmark rehabilitiert und war bis zum Verbot als hauptamtlicher<br />

Mitarbeiter der Landesleitung tätig.<br />

<strong>Die</strong> Entlassung des Chefredakteurs der Tribüne der Demokratie bildete den, vergleichsweise<br />

harmlosen und von der Partei überhaupt nicht behandelten, Auftakt<br />

der <strong>in</strong> den nächsten anderthalb Jahren folgenden Kampagne und Säuberungswelle<br />

gegen die angeblichen »Parteife<strong>in</strong>de« <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong>. Es traf dabei - nicht zufällig,<br />

wie zu zeigen se<strong>in</strong> wird - <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie prom<strong>in</strong>ente Mitglieder, die allesamt der<br />

alten Landesleitung angehört hatten und deren Ansehen <strong>in</strong> der Partei sehr groß<br />

war. <strong>Die</strong> im folgenden geschilderten Ausschlussverfahren gegen Rudolf Rafoth,<br />

Folkert Potrykus sowie Re<strong>in</strong>hold und Käthe Popall verdeutlichen bei aller Unterschiedlichkeit<br />

der konkreten Anlässe grundlegende Aspekte von Ursachen, Verlauf<br />

und Methode der »Säuberung« der Partei und der Ausschaltung <strong>in</strong>terner Opposition.<br />

Gleichzeitig werden aber auch die Auswirkungen auf die Mitgliedschaft deutlich:<br />

In allen Fällen wurden die von der Leitung <strong>in</strong>itiierten Ausschlüsse ke<strong>in</strong>eswegs<br />

142 Statut der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong> <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 381ff., hier S. 381f.<br />

143 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 51ff.<br />

144 <strong>Die</strong> gegenwärtige Lage und die Aufgaben der <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 374.<br />

145 Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 52.<br />

146 <strong>Die</strong>s waren He<strong>in</strong>z Priess und Rolf Hermann. Vgl. Hendrik Bunke (Hrsg.), Willy Hundertmark - Er<strong>in</strong>nerungen<br />

an e<strong>in</strong> widerständiges Leben, <strong>Bremen</strong> 1997, S. 68; Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den...,<br />

a.a.O., S. 52f.<br />

147 Hundertmark <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Er<strong>in</strong>nerungen: »Jedenfalls mussten wir drei zum Parteivorstand <strong>in</strong> Hamburg<br />

kommen und da wurde uns eröffnet, dass wir entlassen s<strong>in</strong>d. Wir konnten noch an unseren Arbeitstisch<br />

gehen und unsere persönlichen Sachen mitnehmen, dann war die Sache erledigt. Ke<strong>in</strong>er hat uns<br />

gesagt, wieso und warum.« (Hendrik Bunke [Hrsg.], Willy Hundertmark, a.a.O., S. 68).<br />

148 Ebenda, S. 71; Herbert Mayer, Durchsetzt von Parteife<strong>in</strong>den..., a.a.O., S. 52.<br />

149 Faktisch und <strong>in</strong>offiziell habe er jedoch, so Hundertmark, die Leitung des Stadtteils übernommen<br />

(Hendrik Bunke [Hrsg.], Willy Hundertmark, a.a.O., S. 71f.).


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 117<br />

widerstandslos von der Basis h<strong>in</strong>genommen, und auch im Sekretariat selbst waren<br />

sie nicht unumstritten und führten zu Konflikten.<br />

Rudolf Rafoth<br />

Zu e<strong>in</strong>em für die <strong>KPD</strong> bedeutsamen und auch <strong>in</strong> der bremischen Öffentlichkeit aufsehenerregenden<br />

Fall wurde 1951 die Absetzung und schließlich der Parteiausschluss<br />

des Vorsitzenden der <strong>KPD</strong>-Bürgerschaftsfraktion Rudolf Rafoth. Der 1911<br />

geborene Rafoth gehörte bereits vor 1933 der <strong>KPD</strong> an. <strong>1945</strong> wurde er Syndikus der<br />

Angestelltenkammer und war bis 1951 auch Mitglied der Bezirks- und Landesleitung<br />

sowie des Landessekretariats der <strong>KPD</strong>. Der Bürgerschaft gehörte er als Vorsitzender<br />

der kommunistischen Fraktion von 1946 bis 1951 an. Rafoth wird übere<strong>in</strong>stimmend<br />

als »Starredner« der <strong>KPD</strong> geschildert, mit e<strong>in</strong>er starken Überzeugungskraft<br />

und e<strong>in</strong>er weit über se<strong>in</strong>e eigenen Genossen h<strong>in</strong>ausreichenden Anerkennung.<br />

150 Se<strong>in</strong>e Absetzung verdient nicht nur deshalb Beachtung, weil hier e<strong>in</strong> äußerst<br />

prom<strong>in</strong>enter und profilierter Kommunist betroffen war, sondern auch weil<br />

se<strong>in</strong> Fall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> als Auftakt und Exempel für die Kampagne gegen die sogenannten<br />

Parteife<strong>in</strong>de, Opportunisten und Agenten benutzt wurde.<br />

Anlass für Rafoths Ablösung als Fraktionsvorsitzender war die Zustimmung<br />

der <strong>KPD</strong> zum Haushaltsplan 1951, der von der Bremer Bürgerschaft am 30. März<br />

1951 verabschiedet wurde. 151 Zuvor waren <strong>in</strong> der zweitägigen Generaldebatte<br />

sämtliche Änderungsanträge der <strong>KPD</strong>-Fraktion von der Bürgerschaft abgelehnt<br />

worden, unter anderem auch e<strong>in</strong> Antrag auf Streichung der von <strong>Bremen</strong> an den<br />

Bund zu entrichtenden »Interessenquote«, nach der die Hansestadt 10 Prozent der<br />

auf ihrem Gebiet anfallenden Besatzungskosten zu tragen hatte. 1951 machte dies<br />

e<strong>in</strong>en Betrag von 10,4 Millionen DM aus. In se<strong>in</strong>er Abschlussrede kritisierte Rafoth<br />

noch e<strong>in</strong>mal die Regierungsparteien SPD und BDV und warf ihnen vor, ihre Haltung<br />

zu den Besatzungskosten seien als »vielleicht wohlkl<strong>in</strong>gendes, aber nicht den<br />

Tatsachen entsprechendes Lippenbekenntnis« zu werten. 152 <strong>Die</strong> Nichtzustimmung<br />

der <strong>KPD</strong>-Fraktion zum Haushalt war e<strong>in</strong>deutig: »Wir s<strong>in</strong>d überzeugt [...], dass die<br />

Bevölkerung früher oder später die Hohlheit e<strong>in</strong>er Wirtschaft und e<strong>in</strong>er F<strong>in</strong>anzpolitik<br />

erkennt, die ihren Niederschlag <strong>in</strong> den Haushaltsplänen f<strong>in</strong>det, die wir nur ablehnen<br />

können«. 153<br />

Bis zu diesem Zeitpunkt nahm die Debatte ihren erwartungsgemäßen Verlauf.<br />

Nach dem letzten Redner jedoch unterbrach Bürgerschaftspräsident August Hagedorn<br />

(SPD) die Sitzung und bat die Fraktionsvorsitzenden zu e<strong>in</strong>er Besprechung. 154<br />

Siebzig M<strong>in</strong>uten später trat die Bürgerschaft erneut zusammen. Hagedorn erklärte,<br />

man habe sich auf zwei Anträge gee<strong>in</strong>igt, »unter der Voraussetzung, dass die Bürgerschaft<br />

diese Anträge annimmt, stimmen auch die CDU und die <strong>KPD</strong> dem Haus-<br />

150 Vgl. Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 53.<br />

151 Bürgerschaftsprotokolle 30. März 1951, S. 225.<br />

152 Ebenda, S. 215f.<br />

153 Ebenda, S. 217.<br />

154 Ebenda, S. 224.


118<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

halt zu«. 155 Der erste Antrag sah die Streichung des Besatzungskostenanteils vor,<br />

der zweite ersuchte die F<strong>in</strong>anzdeputation »um geeignete Vorschläge, wie weiter<br />

Mittel für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden können« und<br />

forderte e<strong>in</strong>e Aufstockung auf m<strong>in</strong>destens 18 Millionen. 156 Beide Anträge wurden<br />

e<strong>in</strong>stimmig angenommen, der Haushalt mit den Stimmen der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>maliger<br />

Lesung verabschiedet.<br />

Offenbar handelte es sich bei der ungewöhnlichen und der L<strong>in</strong>ie der Partei widersprechenden<br />

Zustimmung zum Haushalt e<strong>in</strong>es bürgerlichen Parlaments um e<strong>in</strong>en<br />

Alle<strong>in</strong>gang des Fraktionsvorsitzenden Rafoth, der allerd<strong>in</strong>gs zunächst von den<br />

übrigen Fraktionsmitgliedern und dem Sekretariat gebilligt und mitgetragen wurde.<br />

Rafoth hatte die <strong>KPD</strong>-Abgeordneten nach der Beratung mit den anderen Fraktionsvorsitzenden<br />

kurz von der Vere<strong>in</strong>barung unterrichtet und angeblich »die Bedenken<br />

e<strong>in</strong>iger Genossen gegen die Zustimmung« zerstreut. Auch das Sekretariat<br />

wurde noch am selben Tag über den V<strong>org</strong>ang unterrichtet und unternahm <strong>in</strong> den<br />

folgenden Tagen zunächst nichts. 157<br />

Rafoth konnte sogar noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em am 3. April 1951 veröffentlichten Artikel <strong>in</strong><br />

der Tribüne der Demokratie die Streichung der Besatzungskosten als e<strong>in</strong>en Erfolg und<br />

als »Zeichen des Widerstandes gegen die vom Petersberg diktierte Adenauer-<br />

Politik« feiern. <strong>Die</strong> Fraktion habe deshalb dem Haushalt ihre Zustimmung gegeben,<br />

was nicht bedeute, »dass die schweren Bedenken gegen die F<strong>in</strong>anzpolitik <strong>in</strong> Fortfall<br />

gekommen s<strong>in</strong>d«. Alle anderen Kritikpunkte seien jedoch mehr oder weniger »die<br />

Folge der militärischen Besetzung unseres Landes und e<strong>in</strong>er Politik, die Deutschland<br />

und unsere Heimatstadt <strong>in</strong> die Katastrophe e<strong>in</strong>es neuen Krieges führt«. 158<br />

Erst durch diesen Artikel wurde der <strong>KPD</strong>-Parteivorstand <strong>in</strong> Düsseldorf auf die<br />

V<strong>org</strong>änge <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> aufmerksam, obwohl auf der Sekretariatssitzung am 30. März<br />

1951, auf der die Leitungsmitglieder über die Haltung der Bürgerschaftsfraktion <strong>in</strong>formiert<br />

wurden, mit Alfred Zeidler e<strong>in</strong> Mitglied des PV anwesend war. 159 Zeidler<br />

selbst erwähnte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht nichts von der Zustimmung zum Haushalt, hielt<br />

sie also offenbar auch für nicht besonders beachtenswert. 160 <strong>Die</strong>zuständigeAbteilung<br />

des Parteivorstandes sah dies allerd<strong>in</strong>gs anders und fragte am 7. April 1951 telefonisch<br />

beim Bremer Landessekretariat nach. Nachdem dieses erklärt hatte, es habe<br />

sich mit der Sache noch nicht beschäftigt, wurde die E<strong>in</strong>berufung e<strong>in</strong>er Sondersitzung<br />

mit Beteiligung e<strong>in</strong>es Vertreters des PV verlangt. 161<br />

<strong>Die</strong>se Sitzung fand schließlich am 11. April 1951 statt. Das Bremer Sekretariat<br />

beschäftigte sich also erst zwölf Tage später mit dem V<strong>org</strong>ang, und dies auch nur<br />

auf Druck und Initiative der Leitung <strong>in</strong> Düsseldorf. Bereits daran wird deutlich, wie<br />

entscheidend der E<strong>in</strong>fluss des Parteivorstandes auf die nachfolgenden Ereignisse<br />

155 Ebenda, S. 224.<br />

156 Ebenda, S. 224f.<br />

157 Bericht über Sekretariatssitzung <strong>Bremen</strong> am 11.4.51, SAPMO I 11/20/6.<br />

158 Bremische Bürgerschaft streicht Besatzungskosten, Tribüne der Demokratie 3.4.1951.<br />

159 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 30. März 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, SAPMO I 11/20/6.<br />

160 Ergänzender Bericht zum Protokoll vom 30.3.1951 aus <strong>Bremen</strong> (2. April 1951), SAPMO I 11/20/6.<br />

161 Bericht über Sekretariatssitzung <strong>Bremen</strong> am 11.4.51, SAPMO I 11/20/6.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 119<br />

war. Der Verlauf der Sitzung, die faktisch zu e<strong>in</strong>em Tribunal gegen Rafoth wurde,<br />

bestätigte dies. Anwesend waren die noch nicht e<strong>in</strong>mal zwei Monate im Amt bef<strong>in</strong>dlichen<br />

Sekretariatsmitglieder Hermann Gautier, Willy Lietzau, Willy Seipel und<br />

Ulrich Konetzka, die Bürgerschaftsabgeordneten und im Februar abgelösten ehemaligen<br />

Sekretäre He<strong>in</strong>rich Nolte und Willy Knigge sowie der »Hauptangeklagte«<br />

Rudolf Rafoth. Vom Parteivorstand war Walter Fisch anwesend, der zu dieser Zeit<br />

Leiter der für Kommunalpolitik zuständigen Abteilung Staat-Land-Geme<strong>in</strong>den<br />

beim Parteivorstand war. 162 Fisch verfasste auch den Bericht über die Sitzung. 163<br />

Er rekapitulierte noch e<strong>in</strong>mal den V<strong>org</strong>ang und stellte fest, »dass die Haltung<br />

der Fraktion entscheidend auf den E<strong>in</strong>fluss des Genossen Rafoth zurückzuführen<br />

war«. Offenbar schwenkte das Sekretariat sehr schnell auf die von Fisch, mith<strong>in</strong><br />

vom Parteivorstand, v<strong>org</strong>egebene L<strong>in</strong>ie:<br />

»Im Verlauf der Sitzung bestätigte sich außerdem, dass es bei dem Fehler des Genossen Rafoth<br />

nicht um e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>malige Entgleisung, sondern um den Ausdruck se<strong>in</strong>er zutiefst opportunistischen<br />

E<strong>in</strong>stellung handelt, die er auch bei anderen Anlässen schon gezeigt hat. Es zeigte<br />

sich weiter se<strong>in</strong>e ungenügende Verbundenheit mit der Politik der Partei und se<strong>in</strong>e Verstrickung<br />

<strong>in</strong> parlamentarische Komb<strong>in</strong>ationen.«<br />

Damit waren Inhalt und Vokabular für die Absetzung Rafoths bereits v<strong>org</strong>egeben.<br />

Das Bremer Sekretariat äußerte allerd<strong>in</strong>gs zunächst noch Bedenken gegen die<br />

von Fisch v<strong>org</strong>eschlagene sofortige Mandatsniederlegung Rafoths: »Sie me<strong>in</strong>ten<br />

u.a., man müsse ihm jetzt Gelegenheit zur Selbstkritik geben; e<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>te, ›man<br />

sollte ihn zum Sonderlehrgang schicken, damit die Freunde [...] 164 ihn sich mal besonders<br />

vornehmen können‹«.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs fiel auch den Bremer Sekretariatsmitgliedern plötzlich auf, dass sie<br />

schon immer Bedenken gegen Rafoth hatten und brachten »selbst e<strong>in</strong>e Reihe Beweise<br />

für se<strong>in</strong> opportunistisches Verhalten <strong>in</strong> anderen Fragen vor«: »<strong>Die</strong> Genossen unterstrichen<br />

se<strong>in</strong>e Überheblichkeit, se<strong>in</strong>e Neigung zu pr<strong>in</strong>zipienlosen Kompromissen,<br />

se<strong>in</strong>e Stellung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> als ›ungekrönter König‹, aber mit ›viel Schall und<br />

Rauch‹.«<br />

Allerd<strong>in</strong>gs äußerten sich auch die anderen anwesenden Mitglieder der Fraktion<br />

selbstkritisch. Willy Knigge »unterstrich se<strong>in</strong>e persönliche Verantwortung für das<br />

politisch unzureichende Verhältnis des alten Sekretariats zur Bürgerschaftsfraktion«<br />

und »gab zu, e<strong>in</strong>en großen politischen Fehler mit der Zustimmung begangen<br />

zu haben«. Nolte äußerte sich ähnlich: »Er habe zwar Bedenken gehabt, aber habe<br />

sich dann von Rafoth doch überzeugen lassen«. Der ehemalige Zweite Landessekretär<br />

schlug außerdem se<strong>in</strong>e Absetzung als stellvertretender Fraktionsvorsitzender<br />

vor.<br />

Rafoth selbst verteidigte sich zunächst vehement und bestritt den Vorwurf, die<br />

Zustimmung der Fraktion zum Haushalt sei e<strong>in</strong> politischer Fehler gewesen. <strong>Die</strong><br />

162 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 127f.<br />

163 Bericht über Sekretariatssitzung <strong>Bremen</strong> am 11.4.51, SAPMO I 11/20/6. Alle folgenden Zitate s<strong>in</strong>d, falls<br />

nicht anders angegeben, diesem Bericht entnommen.<br />

164 An dieser Stelle des Berichts ist e<strong>in</strong> Wort ausgeschnitten worden. Erkennbar ist als erster Buchstabe e<strong>in</strong><br />

»d«, möglicherweise stand dort also »drüben«.


120<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

Streichung der Besatzungskosten sei für ihn e<strong>in</strong> Ausdruck der Opposition gegen<br />

Bonn und die Besatzungsmächte. Er habe die Zustimmung nicht für etwas Grundsätzliches<br />

gehalten, »wir s<strong>in</strong>d doch nicht immer gegen Etatbewilligungen«. Rafoth<br />

sagte außerdem, dass Willy Knigge und e<strong>in</strong> Instrukteur se<strong>in</strong>en Artikel gelesen und<br />

ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wände gehabt hätten. Nach dieser Rechtfertigung jedoch gab Rafoth se<strong>in</strong>en<br />

Widerstand auf, ob zum Sche<strong>in</strong> oder aus echter Überzeugung, sei dah<strong>in</strong>gestellt.<br />

Fisch schrieb <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht:<br />

»Nachdem ich dann sehr deutlich zum Verhalten des Genossen Rafoth Stellung genommen<br />

hatte, änderte sich se<strong>in</strong> Verhalten mit e<strong>in</strong>em Schlag. Er erklärte nun se<strong>in</strong> Verhalten für ›völlig<br />

falsch‹. Auch se<strong>in</strong> Artikel sei ›opportunistisch‹. Auf me<strong>in</strong>e Frage, warum er sich nicht zum<br />

Vorschlag des Sekretariats äußere, dass er se<strong>in</strong> Mandat niederlegen wolle, erklärte er, dazu<br />

könne er heute noch nichts sagen, er müsse das erst ›beschlafen und mit se<strong>in</strong>er Frau besprechen‹.<br />

Aus dieser Erklärung ergab sich e<strong>in</strong>e lange Ause<strong>in</strong>andersetzung, <strong>in</strong> der alle Genossen<br />

des Sekretariats und ich ihm klar zu machen versuchten, was es bedeute, sich Bedenkzeit darüber<br />

auszubitten, ob man e<strong>in</strong>en Beschluss der Partei durchführen wolle oder nicht. Bei dieser<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung erklärte der Genosse Rafoth u.a.: ›Ich b<strong>in</strong> nicht Kommunist wegen der<br />

Partei, sondern aus me<strong>in</strong>er Weltanschauung heraus‹. <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung spitzte sich<br />

immer mehr zu, wurde aber dann gegen Mitternacht abgebrochen, weil Rafoth auf se<strong>in</strong>em<br />

Standpunkt beharrte.«<br />

Dass Rafoth nicht sofort auf die Aufforderung e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g, se<strong>in</strong> Mandat niederzulegen,<br />

musste schon als offener Affront gegen das Landessekretariat und den durch<br />

Walter Fisch vertretenen Parteivorstand verstanden werden. <strong>Die</strong> Beschlüsse, die<br />

das Sekretariat daraufh<strong>in</strong> fasste, waren e<strong>in</strong>deutig: Rafoth sollte bis zum nächsten<br />

M<strong>org</strong>en e<strong>in</strong>e Erklärung unterschreiben, wonach er se<strong>in</strong> Mandat niederlegte. Andernfalls<br />

würde er aus der Partei ausgeschlossen, e<strong>in</strong> entsprechender Beschluss sowie<br />

die Begründung wurden »vors<strong>org</strong>lich sofort formuliert«. Rafoth gab nach, erklärte<br />

am nächsten M<strong>org</strong>en die Niederlegung se<strong>in</strong>es Mandats und verpflichtete<br />

sich, »e<strong>in</strong>en selbstkritischen Artikel zu schreiben«.<br />

Neben e<strong>in</strong>er Reihe weiterer Maßnahmen, u.a. die E<strong>in</strong>berufung e<strong>in</strong>er Fraktionssitzung<br />

und e<strong>in</strong>er Funktionärskonferenz, beschloss das Sekretariat die Veröffentlichung<br />

e<strong>in</strong>er politischen Erklärung zur Haltung der Fraktion, die bereits am Nachmittag<br />

vor der geschilderten Sitzung »geme<strong>in</strong>sam« mit Fisch ausgearbeitet worden<br />

war. <strong>Die</strong> Erklärung erschien am 13. April 1951 unter dem Titel »So darf ke<strong>in</strong>e<br />

kommunistische Fraktion handeln« <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie. Wie bereits <strong>in</strong> der<br />

Sitzung zwei Tage zuvor übte das Sekretariat zwar auch Selbstkritik, der Hauptstoß<br />

richtete sich jedoch gegen Rafoth und die Fraktion:<br />

»Das Sekretariat der Landesleitung der <strong>KPD</strong>, Land <strong>Bremen</strong>, erklärt die Zustimmung der Bürgerschaftsfraktion<br />

der <strong>KPD</strong> zum Gesamt-Haushaltsplan für das Land <strong>Bremen</strong> für e<strong>in</strong>en<br />

schwerwiegenden Fehler. Der Haushaltsplan ist der Ausdruck für die gesamte Politik des<br />

Bremer Senats. <strong>Die</strong>se Politik ist e<strong>in</strong>e aktive Unterstützung des Kriegskurses, den die Adenauer-Regierung<br />

im E<strong>in</strong>vernehmen mit den amerikanischen Imperialisten <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

durchführt.[...]. Für e<strong>in</strong>e kommunistische Fraktion gibt es überhaupt ke<strong>in</strong>e Zustimmung zum<br />

Etat e<strong>in</strong>er Regierung, die sich h<strong>in</strong>ter die amerikanische Kriegspolitik und ihre Bundesgenossen<br />

<strong>in</strong> Bonn stellt, gibt es ke<strong>in</strong>e Zustimmung zu e<strong>in</strong>em Etat, der volksfe<strong>in</strong>dlich und reaktionär<br />

ist, weil der die öffentlichen Mittel statt für die Wohlfahrt und die Gesundheit der Menschen


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 121<br />

zur Hilfe für die Vorbereitung e<strong>in</strong>es neuen Krieges verwendet. <strong>Die</strong> kommunistische Bürgerschaftsfraktion<br />

konnte e<strong>in</strong>en solchen schweren Fehler nur darum begehen, weil sie ungenügend<br />

mit der Politik der Partei verbunden ist, weil sie sich offensichtlich nicht von dem Willen<br />

und von den Wünschen der Wählerschaft hat leiten lassen, die von den Abgeordneten der<br />

<strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>en rücksichtslosen Kampf gegen die Verelendungs- und Kriegspolitik der Adenauer-<br />

Regierung verlangen. Statt dessen hat sich die Fraktion <strong>in</strong> re<strong>in</strong> parlamentarische Komb<strong>in</strong>ationen<br />

verstricken lassen. Das Sekretariat stellt dazu aber fest, dass es für diesen Fehler unserer<br />

Fraktion darum verantwortlich ist, weil es bisher die politische Anleitung der Bürgerschaftsfraktion<br />

<strong>in</strong> unzulässiger Weise vernachlässigt hat.« 165<br />

Der »selbstkritische Artikel« von Rudolf Rafoth erschien e<strong>in</strong>e Woche später unter<br />

dem Titel »Warum legte ich me<strong>in</strong> Mandat nieder?« <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie<br />

und hatte den gleichen Tenor wie die Erklärung des Sekretariats. 166 <strong>Die</strong> Zustimmung<br />

der Fraktion zum Etat sei »e<strong>in</strong> schwerer politischer Fehler« gewesen, der<br />

durch se<strong>in</strong> Verhalten »stark bee<strong>in</strong>flusst war«. Rafoth bezichtigte sich und die Fraktion<br />

des Opportunismus, der se<strong>in</strong>e Ursachen <strong>in</strong> der »Überschätzung des Parlamentarismus«<br />

und der »mangelnden Verb<strong>in</strong>dung der Arbeit der Fraktion mit den breiten<br />

Massen des werktätigen Volkes« habe. <strong>Die</strong> Begründung für Rafoths Mandatsniederlegung<br />

war von dem be<strong>in</strong>ahe krampfhaft wirkenden Bemühen gekennzeichnet,<br />

sie als se<strong>in</strong>e eigene Entscheidung h<strong>in</strong>zustellen:<br />

»Me<strong>in</strong>e auf eigene Erkenntnis beruhende Niederlegung des Mandats wird e<strong>in</strong>e ernste Lehre<br />

für unsere Genossen <strong>in</strong> der Fraktion und für mich se<strong>in</strong> und uns befähigen, gleiche Fehler <strong>in</strong><br />

Zukunft zu vermeiden. Aber selbst wenn die eigene Erkenntnis gefehlt hätte, wäre die Mandatsrückgabe<br />

an me<strong>in</strong>e Partei, deren selbstloser und opfervoller Arbeit ich es verdanke, e<strong>in</strong>e<br />

Selbstverständlichkeit.« 167<br />

Dass die Absetzung Rafoths e<strong>in</strong>e große <strong>in</strong>nerparteiliche Bedeutung hatte, verdeutlicht<br />

e<strong>in</strong> auszugsweise vorliegender Bericht über die Sitzung der Bürgerschaftsfraktion<br />

zu diesem Thema am 17. April 1951. 168 Deutlich wurde vor allem, dass das<br />

eigentliche Problem für den Parteivorstand im Verhältnis der Fraktion zum Sekretariat<br />

lag:<br />

»<strong>Die</strong> Aussprache dauerte etwas über 3 Stunden und zeigte, dass die Stellung des Sekretariats<br />

gegenüber der Fraktion sehr schwer ist. Es kam deutlich zum Ausdruck, dass es seither <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> so war, dass die Fraktion die Partei geführt hat und dass sich die Mitglieder der Fraktion<br />

bis jetzt noch nicht daran gewöhnen können, dass die Partei, also das Sekretariat die Verantwortung<br />

für ihr Auftreten <strong>in</strong> der Bürgerschaft trägt. Alle Genossen erklärten, dass ihre Zustimmung<br />

zum Etat e<strong>in</strong> schwerer politischer Fehler war und teilweise kam die Me<strong>in</strong>ung zum<br />

Ausdruck, dass, wenn der Genosse Meyer-Buer anwesend gewesen wäre, die Zustimmung<br />

nicht erfolgt sei. 169 Der Verlauf der Aussprache ergab außerdem, dass es unbed<strong>in</strong>gt notwen-<br />

165 So darf ke<strong>in</strong>e kommunistische Fraktion handeln, Tribüne der Demokratie 13.4.1951.<br />

166 Warum legte ich me<strong>in</strong> Mandat nieder?, Tribüne der Demokratie 21./22.4.1951.<br />

167 Ebenda.<br />

168 Auszüge aus dem Bericht über die Fraktionssitzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 17. April 1951, SAPMO I 11/20/20. Der<br />

Autor des Berichts ist nicht genannt.<br />

169 Wilhelm Meyer-Buer hatte <strong>in</strong> den Jahren zuvor die Haushaltsreden für die <strong>KPD</strong> gehalten, zum Zeitpunkt<br />

der Abstimmung war er auf e<strong>in</strong>er Parteischule. Meyer-Buer selbst vertritt im Interview ebenfalls<br />

die Auffassung, mit ihm wäre die Zustimmung zum Etat nicht erfolgt (Interview Meyer-Buer, 2). Er<br />

wurde später Rafoths Nachfolger als Fraktionsvorsitzender.


122<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

dig ist, dass <strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong> Mitglied des Sekretariats an den Fraktionssitzungen teilnimmt und<br />

vielleicht ab und zu e<strong>in</strong> Vertreter des PV, damit die Fraktionsmitglieder endlich begreifen,<br />

dass die Partei die Fraktion führt [...]. Ich hatte bei der ganzen Aussprache den E<strong>in</strong>druck, dass<br />

sich die Genossen nicht mit dem jugendlichen Sekretariat abgefunden haben und dass die<br />

Aussprache von dieser Grunde<strong>in</strong>stellung beurteilt werden muss.« 170<br />

Es handelte sich bei der Absetzung Rafoths und der »Abmahnung« der Fraktion<br />

also demnach nicht nur um die Berichtigung e<strong>in</strong>es politischen Fehlers. <strong>Die</strong> eigentlichen<br />

Probleme lagen tiefer und waren struktureller Art. Dem Parteivorstand bot<br />

sich mit dem »Fehlverhalten« Rafoths e<strong>in</strong>e Gelegenheit, die starke, öffentlich exponierte<br />

und eigenständige Stellung der Bürgerschaftsfraktion <strong>in</strong>nerhalb der partei<strong>in</strong>ternen<br />

Machtstrukturen zu schwächen, und zwar zugunsten e<strong>in</strong>es aufgrund se<strong>in</strong>er<br />

»Jugendlichkeit« und mangelnden Akzeptanz nicht genügend durchsetzungsfähigen<br />

Sekretariats. E<strong>in</strong>e schnelle »Untersuchung der Bürgerschaftsfraktion« war bereits<br />

im März 1951, also noch vor der Haushaltsabstimmung, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Instrukteursbericht<br />

empfohlen worden. He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich, Käthe Popall sowie dem Fraktionsvorsitzenden<br />

wurde v<strong>org</strong>eworfen, sie befänden sich »nicht mehr ganz auf der<br />

Parteil<strong>in</strong>ie oder s<strong>in</strong>d Sektierer«, wollten ke<strong>in</strong>e Parteiaufgaben übernehmen und<br />

würden sich h<strong>in</strong>ter ihrer Fraktionsarbeit »verkriechen«. Insbesondere sei dabei die<br />

Rolle Rafoths zu untersuchen. 171<br />

<strong>Die</strong> Fraktion allerd<strong>in</strong>gs verhielt sich immer noch nicht e<strong>in</strong>heitlich. Der von Sekretariat<br />

und Parteivorstand zum neuen Fraktionsvorsitzenden v<strong>org</strong>eschlagene<br />

He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich erhielt bei se<strong>in</strong>er Wahl sechs Gegenstimmen. Zwei Fraktionsmitglieder<br />

hatten bereits e<strong>in</strong>e Presseerklärung ausgearbeitet, die notwendig sei, »weil<br />

<strong>in</strong> der bürgerlichen Presse die Darstellung verbreitet wird, zwischen der Fraktion<br />

und dem Sekretariat bestehe h<strong>in</strong>sichtlich der Beurteilung der Zustimmung zum<br />

Haushaltsetat ke<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>stimmung und die Fraktion sei gezwungen worden, ihre<br />

Zustimmung als schweren politischen Fehler anzuerkennen«. Der Entwurf dieser<br />

Erklärung wurde allerd<strong>in</strong>gs nicht angenommen, da sie sich zu sehr auf Formalitäten<br />

berufe und »nicht auf den Kern der D<strong>in</strong>ge« e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>ge. 172 <strong>Die</strong> neu ausgearbeitete<br />

Erklärung, die eigentlich noch <strong>in</strong> derselben Woche veröffentlicht werden sollte, erschien<br />

erst neun Tage später <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie. 173 <strong>Die</strong> Fraktion anerkannte<br />

die Kritik durch das Sekretariat. Es hätte »klar se<strong>in</strong> müssen, dass <strong>in</strong> jedem<br />

Falle die Zustimmung zum Haushaltsetat e<strong>in</strong>e Unterstützung der Politik der Bremer<br />

Regierung bedeutet, die die amerikanische Kriegspolitik von Bonn befürwortet<br />

und durchführt«. Über die veränderte Situation während der Schlussabstimmung<br />

sei nicht diskutiert worden, sondern man habe sich leiten lassen »von der Position<br />

des Genossen Rafoth«. Ansonsten g<strong>in</strong>g die Erklärung auf den konkreten Fall wenig<br />

170 Auszüge aus dem Bericht über die Fraktionssitzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 17. April 1951, SAPMO I 11/20/20. Der<br />

Autor des Berichts ist nicht genannt.<br />

171 Instrukteurbericht vom 14.3. - 27.3.1951, Land <strong>Bremen</strong>. In: SAPMO I 11/20/13.<br />

172 Auszüge aus dem Bericht über die Fraktionssitzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 17. April 1951, SAPMO I 11/20/20.<br />

173 Bremer <strong>KPD</strong>-Fraktion legt Wurzeln ihres Fehlers frei, Tribüne der Demokratie 26.4.1951. <strong>Die</strong> spätere Veröffentlichung<br />

steht vermutlich im Zusammenhang mit der am selben Tag stattf<strong>in</strong>denden Bürgerschaftssitzung,<br />

auf der der neue Fraktionsvorsitzende He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich die Zustimmung der <strong>KPD</strong> zum<br />

Haushalt widerrief (Bürgerschaftsprotokolle, 26. April 1951, S. 270).


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 123<br />

e<strong>in</strong>, sondern setzte vielmehr, u.a. durch Verwendung von Len<strong>in</strong>-Zitaten, die Stellung<br />

der Fraktion <strong>in</strong> der Partei <strong>in</strong> den Mittelpunkt. Dabei wurde auch zum ersten<br />

Mal der Bezugsrahmen benannt, <strong>in</strong> dem die Maßregelung der Fraktion und die Absetzung<br />

Rafoths e<strong>in</strong>zuordnen war:<br />

»In dem Kampf, die <strong>KPD</strong> zur Partei neuen Typus zu entwickeln, ist es notwendig, dass die<br />

Parlamentsfraktion sich von dem len<strong>in</strong>istischen Grundsatz leiten lässt, ›dass die Partei die<br />

höchste Form der Klassenvere<strong>in</strong>igung der Proletarier ist, deren politische Führung sich auf alle<br />

anderen Formen der Organisation des Proletariats zu erstrecken hat‹. <strong>Die</strong>ses trifft besonders<br />

auf die Arbeit der kommunistischen Parlamentsfraktion zu, die ke<strong>in</strong>e besondere<br />

Organisationsform darstellt. <strong>Die</strong>ser Grundsatz wurde von der Bürgerschaftsfraktion der <strong>KPD</strong><br />

<strong>in</strong> der Vergangenheit ungenügend beachtet.« 174<br />

Damit war deutlich der eigentliche Kern der Ause<strong>in</strong>andersetzung formuliert,<br />

nämlich die Durchsetzung des Führungsanspruches der Parteileitung <strong>in</strong> Gestalt des<br />

Bremer Sekretariats gegenüber der Bürgerschaftsfraktion. Dabei wurde natürlich<br />

verschwiegen, dass das Sekretariat sehr wohl <strong>in</strong>formiert war über die Haltung der<br />

Fraktion und sie zum<strong>in</strong>dest im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> zunächst billigte. Es g<strong>in</strong>g also um die<br />

Vere<strong>in</strong>heitlichung und Straffung der gesamten Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> im S<strong>in</strong>ne des Umbaus<br />

zur »Partei neuen Typus«. <strong>Die</strong> Erklärung der Fraktion deutete diesen Zusammenhang<br />

an, stärker als die des Sekretariats:<br />

»<strong>Die</strong> Kritik und Selbstkritik wird uns helfen, die Schwächen zu überw<strong>in</strong>den. Wir s<strong>in</strong>d davon<br />

überzeugt, dass gerade jetzt im Kampf um die Erhaltung des Friedens, gegen die Remilitarisierung<br />

und für den Abschluss e<strong>in</strong>es Friedensvertrages im Jahre 1951 alles von der Partei der<br />

Arbeiterklasse abhängt. Voraussetzung ist, dass sich die Partei streng nach den Beschlüssen<br />

des Parteitages richtet, dass sie ke<strong>in</strong>erlei Opportunismus duldet, dass sie begangene Fehler<br />

nicht nur formell e<strong>in</strong>sieht, sondern alles tut, diese Fehler auch zu berichtigen.« 175<br />

<strong>Die</strong> Fraktion »berichtigte« den Fehler der Zustimmung zum Haushalt am 26.<br />

April 1951 <strong>in</strong> der Bürgerschaft. Der neue Fraktionsvorsitzende He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich<br />

erklärte »<strong>in</strong> aller Form, dass diese Zustimmung zum Haushalt von me<strong>in</strong>er Fraktion<br />

zwar gegeben wurde, dass wir aber jetzt offiziell die Zurücknahme unserer Zustimmung<br />

zur Kenntnis br<strong>in</strong>gen«. Das Protokoll verzeichnete an dieser Stelle »Gelächter<br />

und Zurufe«. 176<br />

Rudolf Rafoth wurde zunächst nicht gänzlich fallengelassen. Das Sekretariat beschloss<br />

bereits am 21. April 1951, ihn als Ersten Kreissekretär <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord e<strong>in</strong>zusetzen.<br />

177 Rafoth sollte hier, wie es später hieß, »se<strong>in</strong>e Selbstkritik unter Beweis<br />

stellen, die er nach se<strong>in</strong>em schwerwiegenden Fehler <strong>in</strong> der Bürgerschaft abgegeben<br />

hatte. Er sollte beweisen, dass se<strong>in</strong>e Selbstkritik ehrlich und aufrichtig war, dass er<br />

ohne E<strong>in</strong>schränkung zur Politik der Partei stand.« 178 <strong>Die</strong> Leitung dieses <strong>org</strong>anisatorisch<br />

schwachen Kreises war sicher ke<strong>in</strong>e dankbare Aufgabe, <strong>in</strong>sofern war die Ver-<br />

174 Bremer <strong>KPD</strong>-Fraktion legt Wurzeln ihres Fehlers frei, Tribüne der Demokratie 26.4.1951.<br />

175 Ebenda.<br />

176 Bürgerschaftsprotokolle, 26. April 1951, S. 270.<br />

177 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 21. April 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, SAPMO I 11/20/6.<br />

178 E<strong>in</strong> Parteife<strong>in</strong>d ist auch e<strong>in</strong> Volksfe<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e kurze Übersicht zum Ausschluss von Rudolf Rafoth aus der Kommunistischen<br />

Partei Deutschlands, SAPMO I 11/20/16.


124<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

setzung dorth<strong>in</strong> nicht nur e<strong>in</strong>e Bewährungsprobe für Rafoth, sondern sicher auch<br />

als Parteistrafe zu verstehen.<br />

Rafoth selbst schien <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong>nerlich mit der Partei soweit gebrochen zu<br />

haben, dass er nicht mehr bereit war, diese Aufgabe zu erfüllen. In e<strong>in</strong>em Brief vom<br />

25. Mai 1951 erklärte er dem Sekretariat ohne weitere Absprachen, dass er am folgenden<br />

Montag, dem 28. Mai, nicht mehr im Kreisbüro ersche<strong>in</strong>en werde und führte<br />

dafür vor allem f<strong>in</strong>anzielle Gründe an. Er könne für das übliche Funktionärsgehalt<br />

von 250 DM nicht arbeiten, das Sekretariat habe se<strong>in</strong>e Versprechungen auf Gehaltserhöhung<br />

nicht e<strong>in</strong>gehalten, es g<strong>in</strong>ge »kaltschnäuzig« über se<strong>in</strong>e persönlichen<br />

und f<strong>in</strong>anziellen Schwierigkeiten h<strong>in</strong>weg. 179<br />

Rafoth hatte se<strong>in</strong>e neue Funktion ohne Zustimmung des Sekretariats niedergelegt.<br />

<strong>Die</strong>s konnte nun <strong>in</strong> der Tat als »grober Diszipl<strong>in</strong>bruch« 180 betrachtet werden.<br />

Das Sekretariat beschäftigte sich auf e<strong>in</strong>er Sondersitzung, auf der auch Rafoth anwesend<br />

war, am 17. Juni 1951 mit dem Fall. Das kurze Protokoll, das den Wortlaut<br />

der Besprechung nicht wiedergibt, vermerkt, es habe sich »nach e<strong>in</strong>er ausführlichen<br />

Diskussion« herausgestellt,<br />

»dass die vom Genossen Rafoth für die Niederlegung se<strong>in</strong>er Funktion v<strong>org</strong>ebrachten Gründe<br />

nicht den Kern treffen. Vielmehr bestätigte sich der E<strong>in</strong>druck aus der Besprechung anlässlich<br />

der Kritik an der Zustimmung zum Haushaltsplan, <strong>in</strong> der zum Ausdruck kommt, dass der<br />

Gen. Rafoth mit der Politik der Partei nicht e<strong>in</strong>verstanden ist. Er gibt zum Schluss zu, dass seit<br />

der Landesdelegiertenkonferenz se<strong>in</strong> Vertrauen zur Leitung der Partei erschüttert sei.«<br />

Weitergehende Beschlüsse wurden auf dieser Sitzung noch nicht gefasst. Rafoth<br />

sollte <strong>in</strong>nerhalb von drei Tagen e<strong>in</strong>e Stellungnahme abgeben, die noch e<strong>in</strong>mal im<br />

Sekretariat diskutiert werden sollte, »um daraus dann die notwendigen Schlussfolgerungen<br />

zu ziehen«. 181<br />

In der Stellungnahme, die leider nicht im Orig<strong>in</strong>al vorliegt, änderte Rafoth se<strong>in</strong>e<br />

Haltung offenbar nicht. In e<strong>in</strong>er später verfassten Bewertung schrieb das Sekretariat:<br />

»Was tat Rafoth? Mit großer Verspätung und mehrmaliger Mahnung sandte er e<strong>in</strong>e 9-seitige<br />

Erklärung, die ke<strong>in</strong>e Erklärung war. In maßloser Überheblichkeit kommt er zu dem Schluss<br />

die Parteileitung (also e<strong>in</strong>schließlich das ZK und der PV) haben ihm Unrecht getan [...]. Er bezichtigt<br />

das Sekretariat nochmals ihm gegebene Versprechungen <strong>in</strong> Bezug auf se<strong>in</strong>e Gehaltserhöhung<br />

nicht gehalten zu haben. Im provokatorischen Tone bezichtigt er das Sekretariat, es<br />

sei überheblich, es besitze ke<strong>in</strong>e Autorität und sei politisch unsicher [...].« 182<br />

Daraufh<strong>in</strong> beschloss das Sekretariat am 18. Juli 1951, »die Angelegenheit <strong>in</strong> der<br />

Generalmitgliederversammlung des Stadtteils Buntentor aufzurollen und zu erreichen,<br />

dass der Stadtteil den Genossen Rafoth aus der Partei ausschließt«. 183 Laut<br />

Statut musste über e<strong>in</strong>en Ausschluss <strong>in</strong> der Grunde<strong>in</strong>heit des betreffenden Mit-<br />

179 Ebenda.<br />

180 Ebenda.<br />

181 Protokoll der Sekretariatssitzung am 17. Juni 1951, SAPMO I 11/20/6.<br />

182 E<strong>in</strong> Parteife<strong>in</strong>d ist auch e<strong>in</strong> Volksfe<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e kurze Übersicht zum Ausschluss von Rudolf Rafoth aus der<br />

Kommunistischen Partei Deutschlands, SAPMO I 11/20/16.<br />

183 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 18. Juli 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 125<br />

glieds entschieden werden. Allerd<strong>in</strong>gs stand den übergeordneten Partei<strong>org</strong>anen<br />

das Recht zu, Ausschlussverfahren e<strong>in</strong>zuleiten und »<strong>in</strong> besonderen Fällen« den<br />

Ausschluss aus der Partei zu beschließen. 184 Um e<strong>in</strong>en besonderen Fall handelte es<br />

sich bei Rafoth ohne Zweifel, das Sekretariat hätte also durchaus ohne die Grunde<strong>in</strong>heit<br />

den Ausschluss durchführen können. Das allerd<strong>in</strong>gs hätte im Falle des<br />

prom<strong>in</strong>enten und e<strong>in</strong>flussreichen Rafoth wohl zu größerem Unmut und Unverständnis<br />

an der Basis geführt als es ohneh<strong>in</strong> schon der Fall war. 185 In der Tat gelang<br />

es nicht sofort, die Mitglieder von der Notwendigkeit des Ausschlusses zu überzeugen.<br />

<strong>Die</strong> erste Mitgliederversammlung des Stadtteils Buntentor verlief ergebnislos,undoffenbarwarendieTeilnehmereheraufderSeitevonRafoth.Derbereits<br />

erwähnte später verfasste Bericht des Sekretariats - auf den noch genauer e<strong>in</strong>zugehen<br />

se<strong>in</strong> wird - schilderte die Versammlungen so:<br />

»In den Mitgliederversammlungen <strong>in</strong> Buntentor wurde ihm [Rafoth; HB] und den Genossen an<br />

Beispielen se<strong>in</strong> opportunistisches und parteischädigendes Verhalten aufgezeigt. Genossen des<br />

Sekretariats trugen überprüftes und e<strong>in</strong>wandfreies Material vor. Was tat Rafoth? Auf die politischen<br />

Argumente der Genossen des Sekretariats g<strong>in</strong>g er nur oberflächlich oder überhaupt<br />

nicht e<strong>in</strong>. Er spekulierte auf das Gefühl und das früher besessene Vertrauen. Wie e<strong>in</strong> we<strong>in</strong>erlicher<br />

Spießer drückte er zwei Mal <strong>in</strong> langer Diskussionsrede auf die Tränendrüsen, um Mitleid<br />

bei den anwesenden Genossen und besonders den Genoss<strong>in</strong>nen zu erwecken. Von Selbstkritik<br />

nicht e<strong>in</strong>e Spur. In der ersten Mitgliederversammlung gelang ihm das sogar sehr gut.« 186<br />

Erst auf der zweiten Mitgliederversammlung am 7. August 1951 wurde der<br />

Ausschluss Rudolf Rafoths aus der <strong>KPD</strong> »wegen parteischädigendem Verhalten<br />

und groben Diszipl<strong>in</strong>bruchs« beschlossen. <strong>Die</strong> Landesleitung bestätigte den Beschluss<br />

zwei Tage später. 187<br />

Damit war Rafoth nun endgültig zur »Unperson« geworden. Das Sekretariat<br />

verfasste die bereits mehrfach zitierte »Kurze Übersicht zum Ausschluss von Rudolf<br />

Rafoth aus der Kommunistischen Partei Deutschlands« 188, die aber offenbar<br />

nicht veröffentlicht wurde, sondern wohl dem Zweck diente, der eigenen Mitgliedschaft<br />

und den Funktionären den Ausschluss Rafoths plausibel zu machen. Der<br />

umfangreiche Bericht versuchte, den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden <strong>in</strong> jeder<br />

H<strong>in</strong>sicht zu diskreditieren. Art und Weise, Stil, Vokabular und Inhalt des Berichtes<br />

s<strong>in</strong>d typisch und exemplarisch für die Kampagne und das V<strong>org</strong>ehen gegen die sogenannten<br />

Parteife<strong>in</strong>de <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> und für die gegen sie erhobenen Vorwürfe. E<strong>in</strong>ige<br />

der vom Sekretariat gegen Rafoth v<strong>org</strong>ebrachten Anschuldigungen s<strong>in</strong>d<br />

zwangsläufig nicht nachprüfbar, dennoch soll der Bericht hier ausführlich zitiert<br />

werden, um die Methode zu verdeutlichen, mit der Rafoths Ausschluss versucht<br />

184 Statut der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 385.<br />

185 Hermann Gautier, damals Erster Sekretär: »Natürlich konnten wir auch gegen den Willen von Grund<strong>org</strong>anisationen<br />

unter Umständen Leute aus der Partei ausschließen. Letztendlich hätte das aber immer<br />

dazu geführt, dass wir <strong>in</strong> der Regel wohl ganze Grund<strong>org</strong>anisationen, oder m<strong>in</strong>destens den Löwenanteil<br />

dieser Grund<strong>org</strong>anisation, gleichzeitig verloren hätten« (Interview Gautier, 2).<br />

186 E<strong>in</strong> Parteife<strong>in</strong>d ist auch e<strong>in</strong> Volksfe<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e kurze Übersicht zum Ausschluss von Rudolf Rafoth aus der<br />

Kommunistischen Partei Deutschlands, SAPMO I 11/20/16.<br />

187 Ebenda.<br />

188 Ebenda. Alle folgenden Zitate s<strong>in</strong>d, falls nicht anders angegeben, dort entnommen.


126<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

wurde zu begründen. Deutlich wird außerdem die <strong>in</strong>nerparteiliche Funktion des<br />

Ausschlusses als Abwehr der Kritik an mangelnder <strong>in</strong>nerparteilicher Demokratie<br />

sowie als »warnendes Beispiel« für die Mitgliedschaft.<br />

Das Sekretariat schilderte zunächst die bereits dargestellten Sachverhalte und<br />

kritisierte dabei vor allem die von Rafoth für das Verlassen des Kreisbüros angebrachten<br />

f<strong>in</strong>anziellen Begründungen. <strong>Die</strong>s seien »wahrlich schlechte Gründe« gewesen,<br />

»es war also klar, dass andere tiefere Gründe vorliegen mussten, die ihn<br />

veranlasst haben, se<strong>in</strong>e vor kurzem abgegebene Selbstkritik wieder restlos über den<br />

Haufen zu werfen«. Selbstkritisch vermerkte das Sekretariat, dass e<strong>in</strong>e solche »tiefgründige<br />

Untersuchung der Ursachen se<strong>in</strong>es Opportunismus [...] eigentlich schon<br />

bei der Absetzung als Fraktionsführer hätte erfolgen müssen«.<br />

Rafoth wurde v<strong>org</strong>eworfen, er habe bereits 1933 se<strong>in</strong>e Funktion als Unterbezirkssekretär<br />

<strong>in</strong> Bremerhaven ohne Absprache mit der Bezirksleitung verlassen.<br />

Durch »e<strong>in</strong>ige Genossen der alten Bezirksleitung« sei schriftlich niedergelegt, »dass<br />

der Genosse Robert Stamm der Bezirksleitung vorschlagen wollte, Rafoth aus der<br />

Partei auszuschließen«, wozu es lediglich aufgrund der bald folgenden Illegalität<br />

der Partei nicht mehr gekommen sei. 189 Rafoth habe »damals wie heute - <strong>in</strong> zugespitzten<br />

Situationen - wo der imperialistische Gegner zu entscheidenden Schlägen<br />

gegen den Frieden und die Völker ausholt se<strong>in</strong>e Funktion« verlassen. »Das ist Fahnenflucht.«<br />

190<br />

Im folgenden listete das Sekretariat unter entsprechenden Überschriften weitere<br />

Belege für die angeblichen Verfehlungen Rafoths auf und gebrauchte teilweise<br />

drastische, auch die Persönlichkeit des Ausgeschlossenen angreifende Worte. Unter<br />

der Überschrift »Rafoth e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gefleischter Opportunist« wurde behauptet, Rafoths<br />

Funktionsenthebung als Fraktionsvorsitzender sei nicht alle<strong>in</strong> wegen des e<strong>in</strong>maligen<br />

Fehlers erfolgt sondern<br />

»wegen se<strong>in</strong>es opportunistischen Verhaltens <strong>in</strong> den letzten Jahren, wegen se<strong>in</strong>es ständigen<br />

Zurückweichens vor den Kernproblemen, vor den Schwierigkeiten wie <strong>in</strong> Diskussionen um<br />

die Stellung zur SU, um die Oder-Neiße-Grenze, Kriegsgefangenen-Frage usw. Mit galanten<br />

zungenfertigen Redensarten hat er sich fast immer vor dem konsequenten E<strong>in</strong>treten <strong>in</strong> der<br />

Partei und <strong>in</strong> der Öffentlichkeit zu diesen Fragen gedrückt. Se<strong>in</strong>e bei ihm stark ausgeprägte<br />

Überheblichkeit führte zwangsläufig dazu, dass er immer mehr dem Opportunismus verfiel.<br />

Am krassesten kam das zum Ausdruck, als er im Herbst 1950 <strong>in</strong> Düsseldorf auf e<strong>in</strong>er zentralen<br />

Tagung der Partei <strong>in</strong> der Diskussion den Vorschlag machte, die SU solle doch alle Namen<br />

der noch festgehaltenen Kriegsgefangenen bekanntgeben, um so e<strong>in</strong>e bessere Diskussionsgrundlage<br />

mit den sozialdemokratischen Arbeitern zu haben. Als ihm dieses sowjetfe<strong>in</strong>dliche<br />

Verhalten im Sekretariat und <strong>in</strong> den Mitgliederversammlungen <strong>in</strong> Buntentor v<strong>org</strong>ehalten<br />

wurde, redete er zunächst lang und breit um e<strong>in</strong>e Antwort herum, kommt dann aber - <strong>in</strong> die<br />

Enge getrieben - endlich zu dem Schluss, er habe ›den Mut gehabt das anzusprechen, andere<br />

haben es nicht gewagt, sie würden sofort mit dem Knüppel auf den Kopf geschlagen <strong>in</strong> der<br />

189 Der Verweis auf den damaligen Ersten Bezirkssekretär Robert Stamm erfolgte nicht von ungefähr. Der<br />

1937 von den Nationalsozialisten h<strong>in</strong>gerichtete Stamm hatte großes Ansehen <strong>in</strong> der Partei, besonders<br />

unter den älteren Mitgliedern.<br />

190 Nur am Rande sei hier auf den militärischen Sprachgebrauch und den Vergleich zwischen der Situation<br />

von 1933 und der von 1951 h<strong>in</strong>gewiesen.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 127<br />

Partei‹. Mit anderen Worten: Rafoth stellt sich <strong>in</strong> die Front der Kriegshetzer, die das deutsche<br />

Volk mit der Behauptung kriegsreif machen wollen, die SU halte Kriegsgefangene zurück.<br />

Hiermit gab Rafoth unzweideutig zu verstehen, dass er zur Politik der SU ke<strong>in</strong> Vertrauen hatte,<br />

dass er den Kriegstreibern, den Imperialisten mehr vertraut. Wer ke<strong>in</strong> Vertrauen zur SU<br />

hat, kann auch ke<strong>in</strong> Vertrauen zur Politik der Partei haben.«<br />

Schon hier wurde die von Rafoth kritisierte Entwicklung der <strong>in</strong>nerparteilichen<br />

Demokratie angesprochen. Dass der Ausschluss und das Verhalten Rafoths auch <strong>in</strong><br />

diesem Zusammenhang standen, verdeutlicht der nächste Abschnitt des Berichts<br />

mit der Überschrift »Rafoth, e<strong>in</strong> raff<strong>in</strong>ierter Doppelzüngler«:<br />

»Als das Sekretariat Rafoth nachwies, dass se<strong>in</strong>e angegebenen ›f<strong>in</strong>anziellen Gründe‹ nicht die<br />

wirklichen Ursachen und Gründe für das Verlassen se<strong>in</strong>er Funktion s<strong>in</strong>d, bequemte er sich<br />

endlich Farbe zu bekennen. Nach stundenlangen Diskussionen sagte Rafoth u.a.: Seit der<br />

Landesdelegiertenkonferenz sei er im Zwiespalt. Der demokratische Zentralismus sei verletzt<br />

worden. <strong>Die</strong> Wahl der Landesleitung sei nicht demokratisch gewesen.[...]. Er mache sich Vorwürfe,<br />

dass er auf der Landesdelegiertenkonferenz geschwiegen habe. <strong>Die</strong> vom Zentralkomitee<br />

der SED angeordnete Überprüfung aller führenden Genossen sei überflüssig, da sie schon<br />

oft geschah. Damit würde nur Misstrauen gesät. [...] In der Partei darf man nicht frei atmen,<br />

und so geht es weiter.«<br />

Rafoth habe, so das Sekretariat weiter, diese Auffassung ȟber die Entwicklung<br />

zur Partei neuen Typus, die bezeichnenderweise <strong>in</strong> den Formulierungen den damaligen<br />

Veröffentlichungen <strong>in</strong> den Kriegshetzerzeitungen sehr ähneln«, auf den Mitgliederversammlungen<br />

vertreten, worauf ihm das Sekretariat allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en Artikel<br />

vorhalten konnte, <strong>in</strong> dem Rafoth sich gegen die »Böswilligkeit, Verleumdung<br />

und Verdrehung«, mit der die bürgerliche Presse über die Landesdelegiertenkonferenz<br />

berichtet hätte, gewandt hatte: 191<br />

»Es gibt kaum e<strong>in</strong> drastischeres Beispiel von Doppelzünglertum wie dieses. Als ihm dies vor<br />

den Mitgliedern gesagt wurde, versteigt er sich dazu zu sagen: Er habe den Artikel geschrieben,<br />

um die Partei zu beruhigen, die Wogen <strong>in</strong> der Partei zu glätten. In die Enge getrieben<br />

muss er zugeben, dass er den Artikel damals gegen se<strong>in</strong>e Überzeugung geschrieben und veröffentlicht<br />

habe, dass der Artikel nicht se<strong>in</strong>e wirkliche Me<strong>in</strong>ung über die Partei und<br />

Landesdelegiertenkonferenz enthält.«<br />

Auf den Inhalt von Rafoths Kritik an der Landesdelegiertenkonferenz und die<br />

Gründe der »<strong>in</strong>nerparteilichen Wogen« g<strong>in</strong>g das Sekretariat argumentativ nicht<br />

weiter e<strong>in</strong>. Stattdessen konnte se<strong>in</strong> wider die eigene Überzeugung geschriebener<br />

Artikel als Beweis für se<strong>in</strong>e »Doppelzüngelei« gegen ihn verwandt werden:<br />

»Doppelzüngelei ist die Sprache der Agenten, sie reden mit zwei Zungen, um die Partei<br />

durche<strong>in</strong>ander zu br<strong>in</strong>gen. [...]. <strong>Die</strong>se Rolle des Doppelzünglers spielte auch Rafoth <strong>in</strong> der Partei.<br />

Se<strong>in</strong>e Unehrlichkeit und se<strong>in</strong>e Unaufrichtigkeit, die er so lange geschickt getarnt hatte, ist<br />

ans Tageslicht gekommen, wie sie bei jedem Opportunisten e<strong>in</strong>mal deutlich wird, da sie offen<br />

oder getarnt e<strong>in</strong>e Politik betreiben, die dem Klassengegner hilft.«<br />

Das Sekretariat g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Anschuldigungen und Angriffen noch weiter: <strong>Die</strong><br />

»Überprüfung se<strong>in</strong>es Verhaltens« habe bewiesen,<br />

191 »Es lebe die E<strong>in</strong>heit unserer Partei«, Tribüne der Demokratie 13.3.1951.


128<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

»dass R. aus eigensüchtigen, egoistischen Gründen <strong>in</strong> der Partei arbeitete, dass er mit der eigenen<br />

Partei nicht fest verwachsen war, dass se<strong>in</strong>e Überheblichkeit und Eitelkeit viel tiefer<br />

verwurzelt war, als es vor e<strong>in</strong>igen Monaten festgestellt wurde. Es ergab sich, dass Rafoth ke<strong>in</strong><br />

Führer bolschewistischen Typus war und auch nicht bereit war es zu werden. Er ist e<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>bürger,<br />

e<strong>in</strong> von Eitelkeit durchsetzter Spießer.«<br />

Rafoths Kritik an der Leitung und der <strong>in</strong>nerparteilichen Demokratie versuchte<br />

das Sekretariat als »Anschlag gegen die Partei« und als Agententum zu <strong>in</strong>terpretieren:<br />

»Es ist se<strong>in</strong>e Absicht <strong>in</strong> der Partei parteife<strong>in</strong>dliche Diskussionen zu erzeugen, die Autorität der<br />

Landesleitung zu untergraben, die Parteileitung <strong>in</strong> ihrer Arbeit zu h<strong>in</strong>dern, der Partei <strong>in</strong> dem<br />

Augenblick, wo sie Riesenaufgaben zu bewältigen hat Diskussionen aufzuzw<strong>in</strong>gen, um die<br />

Partei von ihren Aufgaben abzulenken. <strong>Die</strong>ses ist die Haltung e<strong>in</strong>es Agenten.« 192<br />

E<strong>in</strong>e wirkliche Agententätigkeit konnte das Sekretariat nicht behaupten und<br />

beweisen. Es versuchte vielmehr, durch die Darstellung und das Plausibelmachen<br />

der bloßen Möglichkeit e<strong>in</strong>er solchen Agententätigkeit den Verdacht zu schüren.<br />

Rafoth habe e<strong>in</strong>en »schlechten Umgang« und sei »für alle Schmeicheleien« empfänglich.<br />

»Für Parteife<strong>in</strong>de und Agenten ist es nicht schwer sich an ihn heranzumachen, wenn man bei<br />

ihm nur tüchtig Süßholz raspelt. [...]. Dass die Agentenzentralen bei Rafoth Beute witterten<br />

war ganz klar. Rafoth hat zahlreiche Gespräche geführt, die er der Partei verschwieg. Um se<strong>in</strong><br />

parteife<strong>in</strong>dliches Verhalten zu ergründen, war es notwendig zu erfahren, wer diese Leute waren,<br />

mit denen er sprach. Es darf der Partei nichts - auch gar nichts verb<strong>org</strong>en bleiben - die<br />

Partei muss alles wissen. Rafoth aber schwieg trotz stundenlanger Diskussionen beharrlich. Er<br />

weigerte sich konstant auch nur e<strong>in</strong>en Namen dieser Leute preiszugeben, mit denen er Besprechungen<br />

hatte. Er hatte also etwas oder sogar viel zu verschweigen.«<br />

Zusätzlich wurde ihm e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung »zu e<strong>in</strong>er als Wissenschaftliches Institut<br />

getarnten USA-Agentenzentrale« v<strong>org</strong>eworfen. Es handelte sich um das Alfred-<br />

Weber-Institut für Sozial- und Staatswissenschaften <strong>in</strong> Heidelberg, das Rafoth aufgrund<br />

dessen Funktion als Fraktionsvorsitzender <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em - offensichtlich an alle<br />

Fraktionsvorsitzenden der BRD gesandten - Brief vom 12. Februar 1951 um<br />

Materialien für e<strong>in</strong> neu zu schaffendes Archiv für Parteifraktionen gebeten hatte. 193<br />

Rafoth schickte dem Institut das gewünschte Material mit Informationen über die<br />

Bremer <strong>KPD</strong>-Fraktion, was ihm nun den Vorwurf e<strong>in</strong>brachte, er verharmlose »bewusst<br />

die Gefährlichkeit dieser Agentenmethode. Irgendwie müssen sie ja erst mal<br />

<strong>in</strong> Kontakt kommen zu führenden Funktionären um dann, wenn sie auf den Leim<br />

gegangen s<strong>in</strong>d, sie zu erpressen, wie es hunderte und tausende Beispiele zeigen.«<br />

Zum Schluss der »Übersicht« verteidigte sich das Sekretariat gegen Vorwürfe,<br />

die aus den Reihen der Partei wegen der V<strong>org</strong>ehensweise gegen Rafoth erhoben<br />

wurden:<br />

»Es gibt e<strong>in</strong>ige Genossen, die der Me<strong>in</strong>ung s<strong>in</strong>d, das Sekretariat g<strong>in</strong>ge gegen Rafoth zu scharf<br />

vor, die Parteileitung habe nichts getan Rafoth auf den richtigen Weg zurückzubr<strong>in</strong>gen. Rafoth<br />

kann nicht sagen, dass die LL [Landesleitung; HB] ihn unrecht behandelt hat - im Gegen-<br />

192 Der letzte Satz des Zitats ist im Orig<strong>in</strong>al unterstrichen.<br />

193 Abschrift des Briefes <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/20.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 129<br />

teil, das Sekretariat war sträflich vertrauensselig ihm gegenüber, vernachlässigte die revolutionäre<br />

Wachsamkeit. Das Sekretariat hatte die falsche Auffassung, Rafoth sei noch zu retten, er<br />

werde zurückf<strong>in</strong>den, werde se<strong>in</strong>e Fehler e<strong>in</strong>sehen, es vertraute auf se<strong>in</strong>e Selbstkritik, es g<strong>in</strong>g<br />

damals dem Opportunismus Rafoths nicht tief genug auf den Grund.«<br />

Mit e<strong>in</strong>em H<strong>in</strong>weis auf die Bedeutung des Falles Rafoth für die Mitgliedschaft<br />

und die Bekämpfung der <strong>in</strong>nerparteilichen Opposition endete der Bericht: »Für die<br />

gesamte Partei muss das Beispiel Rafoth e<strong>in</strong>e Lehre se<strong>in</strong>. Gegenüber den Opportunisten<br />

darf die Partei nicht versöhnlerisch se<strong>in</strong> - sie muss da, wo er sich den Genossen<br />

zeigt und besonders wenn er sich breit macht, ihn unnachsichtlich bekämpfen.«<br />

Rudolf Rafoth war zum Opfer der Kampagne gegen die Parteife<strong>in</strong>de geworden,<br />

die mit se<strong>in</strong>em Ausschluss <strong>in</strong> der Bremer Partei erstmals drastisch wirksam wurde.<br />

Es war dabei ke<strong>in</strong> Zufall, dass es ausgerechnet e<strong>in</strong>en der prom<strong>in</strong>entesten Kommunisten<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> traf. Als Vorsitzender der im <strong>in</strong>nerparteilichen Machtgefüge starken<br />

und eigenständigen Bürgerschaftsfraktion stellte er durchaus e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>dernis für<br />

die Durchsetzung des Umbaus zur Partei neuen Typus und der Autorität des neuen<br />

Sekretariats dar, zumal Rafoth zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong>tern auch starke Vorbehalte gegen dieses<br />

äußerte. H<strong>in</strong>zu kam se<strong>in</strong>e große Prom<strong>in</strong>enz und öffentliche Profilierung sowie<br />

e<strong>in</strong>e eigenwillige Persönlichkeit, die bereits zuvor <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> auf Misstrauen und<br />

Vorbehalte gestoßen waren und jetzt benutzt werden konnten, den Ausschluss Rafoths<br />

zu rechtfertigen, die Eigenständigkeit der Fraktion zu demontieren und die<br />

gewünschten Machtstrukturen - d.h. die unbed<strong>in</strong>gte Autorität und Kontrolle des<br />

Sekretariats - sowie die politische L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong>nerhalb der Partei durchzusetzen. Weiterh<strong>in</strong><br />

konnte mit e<strong>in</strong>er exponierten Gestalt wie Rafoth e<strong>in</strong> Exempel statuiert werden,<br />

anhand dessen die angebliche Gefahr durch Parteife<strong>in</strong>de, Agenten und Opportunisten<br />

<strong>in</strong> den eigenen Reihen sowie das dagegen erforderliche harte V<strong>org</strong>ehen<br />

demonstriert und illustriert werden sollte. Dem Bremer Sekretariat kam dabei zwar<br />

die Rolle des ausführenden Organs zu, die Initiative g<strong>in</strong>g aber e<strong>in</strong>deutig vom Parteivorstand<br />

aus, wie die V<strong>org</strong>änge um die Zustimmung zum Haushalt zeigten. Der<br />

<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> g<strong>in</strong>g dadurch jedoch e<strong>in</strong> anerkannter Genosse und e<strong>in</strong> Aushängeschild<br />

für die Öffentlichkeit verloren. 194 Rafoth selbst wurde nach se<strong>in</strong>em Parteiausschluss<br />

DAG-Bevollmächtigter <strong>in</strong> Braunschweig und 1961 Mitarbeiter des<br />

Hauptvorstandes der IG Metall <strong>in</strong> Frankfurt. Er starb 1964.<br />

194 In der Bewertung des Ausschlusses von Rafoth aus heutiger Sicht s<strong>in</strong>d sich die Interviewpartner weitgehend<br />

e<strong>in</strong>ig. Hermann Gautier, als damaliger Erster Sekretär hauptverantwortlich für die Maßnahmen<br />

gegen Rafoth: »Dass wir daraus e<strong>in</strong> solches Drama gemacht haben und damit e<strong>in</strong>en sehr fähigen<br />

und guten Genossen verloren haben, war die Sache eigentlich, wenn ich es im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> sehe, nicht<br />

wert.« (Interview Gautier, 2). Wilhelm Meyer-Buer, später Nachfolger Rafoths als Fraktionsvorsitzender,<br />

sieht zwar auch e<strong>in</strong> großes Selbstverschulden Rafoths (»Er hat Grundsätze unserer Politik aufs<br />

Spiel gesetzt oder gar aufgegeben. Er hat vieles, was er getan hat, nicht zum Gegenstand e<strong>in</strong>er Diskussion<br />

gemacht, sondern hat das der Partei verheimlicht. Das hat dazu geführt, dass er ausgeschlossen<br />

wurde.«), ist aber auch »fest davon überzeugt, dass das e<strong>in</strong> Fehler war, dass wir ihn ausgeschlossen<br />

haben. Er hatte wirklich potentielle Kräfte gehabt, die man besser und wirkungsvoller e<strong>in</strong>setzen konnte<br />

zum Wohlergehen der Partei. Da s<strong>in</strong>d wir auch kurzsichtig gewesen. Es wäre gut gewesen, wenn wir<br />

den verhängnisvollen Beschluss nicht gefasst hätten.« (Interview Meyer-Buer, 2).


130<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

Mit der Absetzung Rafoths begann <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e massive Kampagne<br />

gegen die verme<strong>in</strong>tlichen »Agenten« <strong>in</strong> der Partei. Bereits am 4. Mai 1951 beschloss<br />

das Sekretariat »auf Grund der zentralen Anweisungen« die Ausarbeitung e<strong>in</strong>es<br />

Plans »für die Bekämpfung der Parteife<strong>in</strong>de im Lande <strong>Bremen</strong>«. 195 Weiterh<strong>in</strong> sollten<br />

Listen an alle Parteie<strong>in</strong>heiten ausgegeben werden, mit denen festgestellt werden<br />

sollte, »welche Genossen parteife<strong>in</strong>dliche Materialien erhalten«. <strong>Die</strong> Landes<strong>in</strong>strukteure<br />

wurden angewiesen, »die Wachsamkeit aller Genossen zu verstärken, um<br />

Volksfe<strong>in</strong>de und ihre Argumente zu erkennen und zu zerschlagen. Volksfe<strong>in</strong>de<br />

müssen isoliert werden.« 196<br />

Dass die Warnung vor »Agenten« <strong>in</strong> der Partei nicht ausschließlich v<strong>org</strong>eschobene<br />

Propaganda zum Zwecke der Diszipl<strong>in</strong>ierung der Mitgliedschaft und zur<br />

Ausschaltung verme<strong>in</strong>tlicher oder tatsächlicher Opposition war, zeigte die Enttarnung<br />

des Pol.-Leiters im Stadtteil Neustadt Karl-He<strong>in</strong>z Weixelmann. Weixelmann<br />

hatte offenbar e<strong>in</strong> Jahr lang, so die Tribüne der Demokratie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em umfangreichen<br />

Artikel vom 22. September 1951, für den Bremer Verfassungsschutz gearbeitet. 197<br />

Das Sekretariat hatte dies bereits Anfang September erfahren 198 und schloss Weixelmann<br />

deshalb am 6. September 1951 aus der Partei aus. 199 <strong>Die</strong> »Agententätigkeit«<br />

Weixelmanns bestand <strong>in</strong> der Weitergabe von <strong>in</strong>ternen Informationen der Landesleitung<br />

und von Parteitagungen sowie von Parteimaterialien. <strong>Die</strong> Tribüne der<br />

Demokratie »enthüllte« <strong>in</strong> der Folgezeit die Aktivitäten des »Agenten 227« <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Artikelserie und stellte u.a. e<strong>in</strong>en Zusammenhang zu Innensenator Adolf Ehlers<br />

und der SPD-Führung her, die angeblich über Weixelmann herausbekommen wollten,<br />

»welche SPD-Genossen Verb<strong>in</strong>dungen zu Mitgliedern und Funktionären der<br />

<strong>KPD</strong> unterhalten«. 200<br />

<strong>Die</strong> Enttarnung e<strong>in</strong>es »echten« Agenten bot der Parteileitung vor allem die<br />

Möglichkeit, noch e<strong>in</strong>mal drastisch die behaupteten und tatsächlichen Gefahren<br />

durch die »Parteife<strong>in</strong>de« darzustellen. In den »Tribüne«-Artikeln wurde deshalb<br />

auch immer wieder vor diesen Gefahren gewarnt und zur »erhöhten revolutionären<br />

Wachsamkeit« aufgerufen. Damit verbunden war aber auch e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Warnung<br />

an die Mitglieder, sich gegen die Parteil<strong>in</strong>ie zu stellen. Weixelmann hatte dem<br />

Verfassungsschutz u.a. auch über die Entwicklung im Fall Rafoth berichtet. <strong>Die</strong>s<br />

zeige, so die »Tribüne«,<br />

»wie aufmerksam die Agentenzentralen jeden gegen die Politik der Partei argumentierenden<br />

Genossen und Funktionär registrieren, se<strong>in</strong>e politische Entwicklung laufend beobachten und<br />

abwägen, wann er für sie reif ist. Es zeigt also, wie solche Genossen, wenn sie den Ruf und die<br />

Hilfe der Partei nicht beachten, wenn sie sich nicht ernsthaft bemühen, sich ideologisch zu fes-<br />

195 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 4. Mai 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

196 Anlage zum Protokoll 4.5.: Arbeitsanweisung für die Genossen Instrukteure, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

197 An den Schandpfahl: »Agent 227« entlarvt, Tribüne der Demokratie 22./23.9.1951.<br />

198 Protokoll von der Fortsetzung der Sekretariatssitzung vom 1.9. am 3.9.51, SAPMO I 11/20/6.<br />

199 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 6. September 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, SAPMO I 11/20/6.<br />

200 An den Schandpfahl: »Agent 227« entlarvt, Tribüne der Demokratie 22./23.9.1951; Zerreißt das Agentennetz!,<br />

Tribüne der Demokratie 29./30.9.51; Meyer-Müllerstedt hatte die »besondere Ehre«..., Tribüneder<br />

Demokratie 1.10.1951.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 131<br />

tigen, die Politik der Partei zu verstehen, <strong>in</strong> Gefahr kommen, <strong>in</strong> das Netz von Agenten geraten,<br />

aus dem es dann sehr oft ke<strong>in</strong> Zurück mehr gibt.« 201<br />

Gerade die Agentenvorwürfe gegen Rafoth schienen jedoch auf Zweifel und<br />

Widerspruch <strong>in</strong> der Mitgliedschaft zu stoßen. In e<strong>in</strong>er Sekretariatsvorlage der Kaderabteilung<br />

wurde im September 1951 festgestellt:<br />

»<strong>Die</strong> Diskussionen über die Gründe des Ausschlusses des Parteife<strong>in</strong>des Rudolf Rafoth s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

der Partei noch im Gange. <strong>Die</strong> Wahl<strong>in</strong>strukteure202 berichten, dass ihnen <strong>in</strong> zahlreichen Fällen<br />

von Mitgliedern und auch Funktionären gesagt worden sei, dass sie die politischen Gründe<br />

des Ausschlusses Rafoths nicht kennen.« 203<br />

»<strong>Die</strong> meisten Genossen«, so die Vorlage weiter, »stellen noch zu sehr die Verb<strong>in</strong>dung<br />

mit der Agentenzentrale <strong>in</strong> den Vordergrund.« Es g<strong>in</strong>ge jedoch nicht um<br />

die Person Rafoths, sondern um »drei wichtige Grundfragen <strong>in</strong> der Partei, den Opportunismus,<br />

das Doppelzünglertum und um die Stellung zur Partei«. V<strong>org</strong>eschlagen<br />

werde deshalb, »im Anschluss an die Artikelserie Weixelmann [...] e<strong>in</strong> weitere<br />

Artikelserie zu veröffentlichen«, die »e<strong>in</strong> weiterer Schlag gegen den Opportunismus,<br />

Doppelzüngler und Agenten« werden müsse. Für die Behandlung aller<br />

Grundfragen sollte Rudolf Rafoth als Beispiel herangezogen werden. Das Sekretariat<br />

genehmigte die Vorlage, 204 allerd<strong>in</strong>gs erschienen <strong>in</strong> der Folgezeit aus ungeklärten<br />

Gründen die geplanten Artikel nicht. Zu vermuten ist, dass die Parteileitung<br />

aufgrund der bevorstehenden Bürgerschaftswahl am 7. Oktober 1951 nicht noch<br />

weitere Unruhe <strong>in</strong> die Mitgliedschaft br<strong>in</strong>gen wollte. Das erneute Aufrollen des<br />

Falls Rafoth hätte zudem wahrsche<strong>in</strong>lich den gegnerischen Parteien und der bürgerlichen<br />

Presse unnötig Wahlkampfmunition geliefert.<br />

Folkert Potrykus<br />

Im November 1951 erfolgte der nächste Ausschluss e<strong>in</strong>es zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> der Partei<br />

renommierten Kommunisten. Es traf den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der<br />

Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung Folkert Potrykus. Wie schon bei<br />

Rudolf Rafoth handelte die Bremer Partei auch <strong>in</strong> diesem Fall vor allem aufgrund<br />

massiven Drucks des Parteivorstands.<br />

Folkert Potrykus wurde 1900 <strong>in</strong> Bremerhaven geboren und gehörte der <strong>KPD</strong> seit<br />

der Gründung 1918/19 an. Nach 1933 leistete er illegale Arbeit, wurde 1934 zu zwei<br />

Jahren Zuchthaus verurteilt 205 und kam 1938/39 erneut <strong>in</strong> KZ-Haft, durch die er<br />

schwere gesundheitliche Schäden erlitt. Nach <strong>1945</strong> wurde Potrykus zum führenden<br />

Mann der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Bremerhaven, war zeitweise Erster Sekretär der Kreisleitung und<br />

bis 1951 Fraktionsvorsitzender der Stadtverordnetenversammlung. Potrykus’ E<strong>in</strong>fluss<br />

<strong>in</strong> der Bremerhavener Partei<strong>org</strong>anisation, das zeigten auch die Reaktionen auf<br />

201 Zerreißt das Agentennetz!, Tribüne der Demokratie 29./30.9.51.<br />

202 Im Oktober 1951 fanden <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> Bürgerschaftswahlen statt.<br />

203 Sekretariats-Vorlage: Vorschläge zur Überw<strong>in</strong>dung der noch vorhandenen Unklarheiten über den Ausschluss<br />

von Rudolf Rafoth, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

204 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 26. September 1951, <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

205 Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 41.


132<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

se<strong>in</strong>en Ausschluss, war sehr groß. 206 Nach 1951 schloss sich Potrykus der »Gruppe<br />

Arbeiterpolitik« an. 207 Er starb 1970.<br />

<strong>Die</strong> Umstände se<strong>in</strong>es Ausschlusses aus der <strong>KPD</strong> und die vorhergehenden Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

lassen sich nicht mehr detailliert rekonstruieren. Potrykus war<br />

bereits e<strong>in</strong>ige Monate zuvor »wegen se<strong>in</strong>er politischen Unklarheiten und se<strong>in</strong>es, die<br />

Entwicklung der Partei hemmenden parteischädigenden Verhaltens« vom Sekretariat<br />

»zur Verantwortung gezogen worden«, so der den Ausschluss begründende<br />

Artikel <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie. 208 <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung entzündete sich<br />

vermutlich an Potrykus’ Kritik des neuen Sekretariats sowie der »nationalen Politik«<br />

der Partei. 209 Das Sekretariat verdächtigte Potrykus, »parteife<strong>in</strong>dlichen, trotzkistischen<br />

Gruppierungen« anzugehören, was dieser aber bestritt. 210 Der Beschuldigte<br />

übte Selbstkritik 211 und wurde daraufh<strong>in</strong> zu den Bürgerschaftswahlen auf die<br />

Kandidatenliste für die Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung gesetzt. 212<br />

Vier Tage nach der Wahl, bei der die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Bremerhaven starke Stimmenverluste<br />

h<strong>in</strong>nehmen musste, beschloss das Landessekretariat, dass Potrykus auf se<strong>in</strong><br />

Mandat verzichten solle, da se<strong>in</strong> Verhalten »nicht geeignet ist, die Arbeit der Partei<br />

zu fördern«. 213 Welches Verhalten geme<strong>in</strong>t war, ist im Protokoll nicht erwähnt. In<br />

der späteren Ausschlussbegründung hieß es dazu:<br />

»Als aber se<strong>in</strong>e [Potrykus; HB] Kandidatur gesichert war, begann er se<strong>in</strong>e abgegebenen Beteuerungen<br />

und Schwüre über den Haufen zu werfen. <strong>Die</strong> Fälle häuften sich, wo er sich gegen<br />

Anweisungen und Beschlüsse der Parteileitungen äußerte, die Autorität der Parteileitungen<br />

bei e<strong>in</strong>zelnen Mitgliedern untergrub und uns<strong>in</strong>nigste Gerüchte verbreitete. Se<strong>in</strong>e Diszipl<strong>in</strong>losigkeit<br />

gegenüber der Parteileitung erreichte den Höhepunkt, als diese e<strong>in</strong>en anderen Genossen<br />

zum Fraktionsvorsitzenden vorschlug.« 214<br />

Potrykus weigerte sich, dem Beschluss des Sekretariats nachzukommen, und<br />

gab se<strong>in</strong> Mandat <strong>in</strong> der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung nicht zurück.<br />

<strong>Die</strong> Bremerhavener Kreisleitung schloss ihn daraufh<strong>in</strong> Ende November 1951<br />

aus der Partei aus. 215 <strong>Die</strong> <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie veröffentlichte Begründung<br />

brachte gegen den Ausgeschlossenen sämtliche als Schlagworte <strong>in</strong> der Säuberungskampagne<br />

verwendeten Vergehen vor. Se<strong>in</strong>e »Diszipl<strong>in</strong>losigkeiten« seien Ausdruck<br />

dafür, dass er »mit der Partei nicht mehr verbunden war«, er trete »nicht entschie-<br />

206 Potrykus wurde als »Parteipapst von Bremerhaven« tituliert (Tribüne der Demokratie, 31.1./1.2.1953).<br />

207 He<strong>in</strong>z Kundel, E<strong>in</strong>e neue KPO?, a.a.O., S. 129.<br />

208 Bremerhavener Parteiarbeiter entlarven e<strong>in</strong>en Parteife<strong>in</strong>d, Tribüne der Demokratie 29.11.1951.<br />

209 <strong>Die</strong>s lässt sich aus dem Artikel schließen (ebenda).<br />

210 Ebenda.<br />

211 Ebenda.<br />

212 <strong>Die</strong> Kandidaten des Volkes, Tribüne der Demokratie 4.10.1951. Potrykus stand an dritter der Stelle der<br />

Liste.<br />

213 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 11. Oktober 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

214 Bremerhavener Parteiarbeiter entlarven e<strong>in</strong>en Parteife<strong>in</strong>d, Tribüne der Demokratie 29.11.1951. Das Sekretariat<br />

ernannte nach der Wahl den ehemaligen Bürgerschaftsabgeordneten Erw<strong>in</strong> Schmidt, der auf der<br />

Kandidatenliste an vierter Stelle - also noch h<strong>in</strong>ter Potrykus - gestanden hatte, zum Fraktionsvorsitzenden<br />

<strong>in</strong> der Stadtverordnetenversammlung (Protokoll der Sekretariatssitzung vom 11. Oktober 1951, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/6).<br />

215 Bremerhavener Parteiarbeiter entlarven e<strong>in</strong>en Parteife<strong>in</strong>d, Tribüne der Demokratie 29.11.1951.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 133<br />

den für die Sowjetunion und für die Deutsche Demokratische Republik e<strong>in</strong>«. Wie<br />

auch Rudolf Rafoth wurde Potrykus als ehemaliger Fraktionsvorsitzender der<br />

Stadtverordnetenversammlung beschuldigt, »Politik auf eigene Faust« zu betreiben<br />

und damit dazu beigetragen zu haben, »die Entwicklung <strong>in</strong> der Partei zu hemmen«.<br />

Er sei e<strong>in</strong> »e<strong>in</strong>gefleischter Opportunist«, der se<strong>in</strong>e »Volksfe<strong>in</strong>dlichkeit« durch »se<strong>in</strong>en<br />

Ausspruch, dass <strong>in</strong> der Partei die Parteife<strong>in</strong>de über ihn gesiegt hätten«, bewiesen<br />

habe. »<strong>Die</strong>se Formulierung gleicht auf e<strong>in</strong> Haar der aller Verräter, Spione und<br />

Agenten wie Trotzki, Tito, Brandler, Schappe und beweist, dass er bei ihnen, im<br />

Lager der Kriegstreiber steht. <strong>Die</strong>ses Verräter- und Agentengezücht ist auf dem<br />

Misthaufen der Geschichte gelandet, wo sich nunmehr Folkert Potrykus zugesellt.«<br />

216<br />

Neben der drastischen Diktion des Artikels und den im Vergleich zu Rafoth<br />

ähnlich lautenden Vorwürfen wiesen die beiden Ausschlüsse noch weitere Parallelen<br />

auf. Innerhalb e<strong>in</strong>es halben Jahres waren mit Rafoth und Potrykus die Fraktionsvorsitzenden<br />

der Bürgerschaft und der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung<br />

erst abgesetzt und kurze Zeit später aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen worden.<br />

Beide besaßen <strong>in</strong>nerhalb der Partei<strong>org</strong>anisation hohes Ansehen und E<strong>in</strong>fluss<br />

und betrieben e<strong>in</strong>e relativ eigenständige, mit der L<strong>in</strong>ie der Partei nicht immer übere<strong>in</strong>stimmende<br />

Politik.<br />

Entscheidend war dabei <strong>in</strong> beiden Fällen allerd<strong>in</strong>gs nicht die Bremer Leitung,<br />

sondern der Parteivorstand, auf dessen Druck auch der Ausschluss von Folkert<br />

Potrykus zustande kam. Auf der 2. PV-Tagung vom 9. - 11. November 1951 mussten<br />

sich die anwesenden Bremer Sekretariatsmitglieder scharfe Kritik gefallen lassen.<br />

Der für Kaderfragen zuständige Sekretär Otto Kloock217 warf ihnen »im H<strong>in</strong>blick<br />

auf die Wachsamkeit e<strong>in</strong>ige ernste Versäumnisse« vor:<br />

»So hat die Landesleitung <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong>em Manne mit trotzkistischer Vergangenheit [geme<strong>in</strong>t<br />

war Potrykus; HB], der auch jetzt e<strong>in</strong>e ziemlich e<strong>in</strong>deutige Rolle spielt, e<strong>in</strong>e Charakteristik ausgestellt,<br />

die mit den Worten beg<strong>in</strong>nt: ›Der Genosse hat e<strong>in</strong>e ruhmreiche Vergangenheit‹. Schon<br />

bei früherer Gelegenheit hat die Landesleitung <strong>Bremen</strong> im Falle Rafoth S<strong>org</strong>losigkeit an den<br />

Tag gelegt und die Sicherheit der Partei nicht so ernst genommen wie sie genommen werden<br />

muss.« 218<br />

Hermann Gautier nahm auf der Tagung kurz Stellung zu den Vorwürfen und<br />

bezeichnete die Kritik an dem von ihm geleiteten Sekretariat als berechtigt: »Wir<br />

haben es wohl bei der Entlarvung des Parteife<strong>in</strong>des Rafoth, der bis vor kurzem<br />

Vorsitzender unserer Landtagsfraktion war, wie auch bei der Behandlung anderer<br />

parteife<strong>in</strong>dlicher Elemente an der Wachsamkeit zur Entlarvung dieser Elemente<br />

mangeln lassen.« Er führte den schlechten Zustand der Partei <strong>in</strong> Bremerhaven und<br />

die dortigen Stimmverluste bei den Bürgerschaftswahlen auch auf den E<strong>in</strong>fluss der<br />

»Parteife<strong>in</strong>de« zurück. Entschuldigend fügte er h<strong>in</strong>zu, »dass dieser Zustand <strong>in</strong> der<br />

216 Ebenda.<br />

217 Otto Kloock (1911-1977): <strong>KPD</strong>, 1933 Bezirksfunktionär des KJVD, verhaftet und verurteilt. Ende 1944<br />

sowjetische Kriegsgefangenschaft, Antifa-Schüler. 1951-1954 Mitglied im Sekretariat des PV, Sommer<br />

1954 Rücktritt. Nach <strong>1968</strong> DKP (Hamburg).<br />

218 2. Tagung des PV der <strong>KPD</strong> 9. - 11.11. 1951 (Bd. 2), SAPMO DY IV 2/10.03/238.


134<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

Partei <strong>in</strong> Bremerhaven nicht erst <strong>in</strong> der Periode der Tätigkeit unseres jetzigen Landessekretariats<br />

vorhanden ist, sondern schon seit e<strong>in</strong>igen Jahren <strong>in</strong> der Partei<br />

ist«. 219<br />

Kloock genügte diese Rechtfertigung nicht. Er vertiefte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Schlusswort<br />

noch e<strong>in</strong>mal die Kritik und griff vor allem Gautier persönlich scharf an, dessen Stellungnahme<br />

er als »Musterbeispiel [...] wie Selbstkritik nicht aussehen soll« bezeichnete.<br />

<strong>Die</strong> Mitglieder der Bremer Landesleitung müssten ihm deshalb helfen, »se<strong>in</strong>e<br />

Überheblichkeit zu überw<strong>in</strong>den, die ihn heute daran h<strong>in</strong>dert, Kritik anzuerkennen<br />

und daraus die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen, und der <strong>in</strong>folgedessen<br />

durch se<strong>in</strong> schlechtes Verhalten zur Kritik und se<strong>in</strong>e mangelhafte Selbstkritik die<br />

Partei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ernste Gefahr br<strong>in</strong>gt.« In Bremerhaven sei mit Potrykus e<strong>in</strong> »alter<br />

Trotzkist« <strong>in</strong> der Partei, »dessen schädliche Tätigkeit seit langem bekannt ist, und<br />

die Bremer Landesleitung hat nicht dagegen gekämpft«. Das, so Kloock, seien die<br />

Folgen der mangelnden Wachsamkeit: »So sieht es aus, wenn man Kritik nicht anerkennen<br />

will, jene Kritik, die wir schon im Falle Rafoth geübt haben und die den<br />

Genossen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong>e ernste Warnung hätte se<strong>in</strong> und sie zu erhöhter Wachsamkeit<br />

hätte anspornen sollen«. Verantwortlich dafür sei nicht nur Gautier, sondern<br />

das gesamte Sekretariat.<br />

<strong>Die</strong> harsche und grundsätzliche Kritik an der Bremer Parteileitung zeigte<br />

schnell Wirkung. In zwei kurz aufe<strong>in</strong>anderfolgenden Sitzungen nach der PV-<br />

Tagung fasste das Sekretariat mehrere Beschlüsse, mit denen auf die Vorwürfe reagiert<br />

werden sollte. Am 14. November 1951 wurde zunächst die Erarbeitung e<strong>in</strong>er<br />

»selbstkritischen Stellungnahme des Landessekretariats für den PV« beschlossen,<br />

die nach der Rückkehr des auf der Sitzung nicht anwesenden Hermann Gautier erneut<br />

diskutiert werden sollte. Daneben wurde e<strong>in</strong>e Sondersitzung der Landesleitung<br />

e<strong>in</strong>berufen sowie die Vorlage e<strong>in</strong>es Strukturplanes zur Neu<strong>org</strong>anisierung der<br />

Arbeit des Sekretariats beschlossen. 220<br />

Auf e<strong>in</strong>er zweiten Sitzung am 16. November 1951 beschäftigte sich das Sekretariat<br />

erneut mit der Thematik. »Um die Fehlerquellen gründlichst bloßzulegen«, sollten<br />

alle Sekretariatsmitglieder <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Woche »e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehende Selbstkritik«<br />

ausarbeiten, auf deren Grundlage dem Parteivorstand »die notwendigen Veränderungen<br />

der Verantwortlichkeit im Sekretariat« v<strong>org</strong>eschlagen werden sollten.<br />

221 Der Strukturplan für die veränderten Aufgabenverteilungen <strong>in</strong>nerhalb des<br />

Sekretariats und der Landesleitung wurde am 5. Dezember 1951 verabschiedet.<br />

219 Ebenda.<br />

220 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. November 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

221 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 16. 11.1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6. Das Sekretariat sah die<br />

Ursachen für »die aufgetretenen Fehler und Schwächen <strong>in</strong> der ungenügenden oder sogar fast fehlenden<br />

ideologischen Arbeit« se<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Mitglieder, weswegen alle Sekretäre dem PV als Teilnehmer<br />

am sog. Fernstudium v<strong>org</strong>eschlagen werden sollten. Ob allen Sekretariatsmitgliedern die Notwendigkeit<br />

der »selbstkritischen Stellungnahmen« tatsächlich e<strong>in</strong>sichtig war, lässt sich nicht beurteilen.<br />

Der Beschluss, diese Selbstkritiken <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Woche zu verfassen, wurde jedenfalls nur von den<br />

wenigsten realisiert, wie auf der Sitzung vom 28. November festgestellt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt<br />

hatten erst drei Sekretäre entsprechende Papiere abgeliefert (Protokoll der Sekretariatssitzung vom<br />

28. November 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6).


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 135<br />

Wesentliche personelle Veränderungen gab es allerd<strong>in</strong>gs nicht. Lediglich e<strong>in</strong>zelne<br />

Verantwortungsbereiche wurden neu verteilt und <strong>in</strong>nerhalb der Abteilungen gab es<br />

e<strong>in</strong>ige Umbesetzungen. 222<br />

Kritik am Sekretariat und der Verfahrensweise im Fall Potrykus wurde auch <strong>in</strong><br />

der Landesleitung laut, die das Thema <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sitzung am 27. November 1951 auf<br />

der Tagesordnung hatte. 223 Neben eher pr<strong>in</strong>zipiellen Warnungen vor »der S<strong>org</strong>losigkeit<br />

und der Gutgläubigkeit«, mit der man das »Agententum« fördere, 224 wurde<br />

auch konkrete Unzufriedenheit geäußert, die andeutete, dass der Ausschluss vor allem<br />

<strong>in</strong> der Bremerhavener Partei für Unruhe s<strong>org</strong>te. In der Diskussion wurde bemängelt,<br />

dass es über den Ausschluss von Potrykus ke<strong>in</strong>e Sondersitzung der Landesleitung<br />

gab, so dass deren Mitglieder »erst durch die Presse <strong>in</strong>formiert wurden«.<br />

Der Bremerhavener Stadtverordnete He<strong>in</strong> Sievers beschwerte sich, dass auf jeder<br />

Landesleitungssitzung die Partei <strong>in</strong> Bremerhaven kritisiert werde. Zwar sei es berechtigt,<br />

von e<strong>in</strong>er ideologischen Schwäche zu sprechen, er könne aber »nicht umh<strong>in</strong>,<br />

dem PV und der LL den Vorwurf zu machen, dass sie Bremerhaven nicht unterstützt<br />

haben« und somit Potrykus’ E<strong>in</strong>fluss mitzuverantworten hätten. Sievers<br />

deutete weiter an, dass es <strong>in</strong> der Bremerhavener Partei Widerstand gegen den Ausschluss<br />

von Potrykus gab. 225<br />

<strong>Die</strong> Parteileitung war sich dieser Gefahr durchaus bewusst. In allen Grund<strong>org</strong>anisationen<br />

wurden deshalb Mitgliederversammlungen durchgeführt, auf denen<br />

der Ausschluss Potrykus’ diskutiert und »se<strong>in</strong>e Gründe von Mitgliedern des Landessekretariats<br />

erläutert wurden«. 226 Völlig beruhigen konnten solche »gründlichen<br />

ideologischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen« 227 die Kritik jedoch nicht. In e<strong>in</strong>er Sekretariatsvorlage<br />

vom Januar 1952 wurde festgestellt: »Im Lande <strong>Bremen</strong> tauchen immer<br />

noch wieder Argumente aus der Quelle der Parteife<strong>in</strong>de Rafoth und Potrykus auf.<br />

222 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 5. Dezember 1951, <strong>Bremen</strong>; Sekretariatsvorlage: <strong>Die</strong> Zusammensetzung<br />

und Verantwortlichkeit im Landessekretariat und die Abteilungen, beide <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

223 Protokoll der Landesleitungssitzung vom Mittwoch, dem 27. Nov. 1951 <strong>Bremen</strong>. In: SAPMO I 11/20/2.<br />

224 So der Leiter der Landeskontrollkommission Willy Seipel. Seipel gab zu, dass im Sekretariat »opportunistische<br />

Fehler« gemacht worden seien, »ohne dass wir sagen können, dass wir [...] e<strong>in</strong>gefleischte Opportunisten<br />

s<strong>in</strong>d«. E<strong>in</strong>e der entscheidenden Schwächen <strong>in</strong> der gesamten Partei sei, »dass wir zu sehr<br />

der S<strong>org</strong>losigkeit und der Gutgläubigkeit verfallen s<strong>in</strong>d, dass wir, wenn jemand behauptet, dass er treu<br />

zur Partei steht und sich lieber das Leben nehmen will, diese D<strong>in</strong>ge glauben.« Man müsse nicht immer<br />

»den letzten Beweis haben, um zu sagen, dass er Agent ist [...]. Ich glaube, es gibt noch viele Genossen.<br />

Prüfen wir diese Genossen, wie sie zur SU stehen«. (ebenda).<br />

225 Sievers wörtlich: »Ich erhalte heute Bericht, dass <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Ortsgruppe sich e<strong>in</strong>e gewaltige Bewegung<br />

ansp<strong>in</strong>nt gegen den Ausschluss von P.[otrykus]« (ebenda).<br />

226 So e<strong>in</strong> SED-Instrukteursbericht aus der Zeit des Ausschlusses von Potrykus (E<strong>in</strong>satz vom 20.11. -<br />

18.12.1951 (28. Dezember 1951). In: SAPMO I 11/20/13.<br />

227 Ebenda. Der Bericht forderte weiter die Fortsetzung dieser »Ause<strong>in</strong>andersetzung« im sog. 2. Parteilehrjahr,<br />

<strong>in</strong> dem das Schwergewicht auf der »Durchführung von Zirkeln zum Studium der Biographie des<br />

Genossen Stal<strong>in</strong>« gelegt werden sollte. »An der Stellung zu Stal<strong>in</strong> und zur Sowjetunion werden sich die<br />

Parteife<strong>in</strong>de, die Schappe- und Brandler-Agenten entlarven, deren Exponent Potrykus war. Dadurch<br />

wird man auch am besten die antisowjetischen Tendenzen und Stimmungen bekämpfen und die Parteimitglieder<br />

im Geiste der Liebe und Treue zur Sowjetunion erziehen können.«


136<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

Es gibt noch Genossen, bei denen der E<strong>in</strong>fluss der Argumente dieser Schädl<strong>in</strong>ge<br />

noch nicht beseitigt s<strong>in</strong>d.« 228<br />

<strong>Die</strong> Vorlage machte deutlich, dass die beiden Ausschlüsse benutzt werden sollten<br />

und konnten, generell gegen <strong>in</strong>nerparteiliche Opposition vorzugehen. 229 Sie<br />

schlug e<strong>in</strong>e Reihe von Artikeln für die Tribüne der Demokratie vor, <strong>in</strong> denen jeweils<br />

an den »Beispielen Rafoth und Potrykus« »grundsätzliche Fragen« behandelt werden<br />

sollten. 230 Das Ziel der Artikelreihe wurde klar benannt: »<strong>Die</strong> Genossen müssen<br />

bei der Diskussion zu dem Schluss kommen, dass hoffnungslose, unverbesserliche<br />

Opportunisten aus der Partei entfernt werden müssen«.<br />

<strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzungen und Diskussionen um Potrykus hielten noch bis<br />

zum Herbst 1952 an. Im März führte die Kreisleitung Bremerhaven e<strong>in</strong>e Generalmitgliederversammlung<br />

durch (Beteiligung: 21 Prozent), die schwerpunktmäßig<br />

diese Thematik behandelte. 231 In e<strong>in</strong>em Tätigkeitsbericht des Sekretariats vom April<br />

1952 wurde der Kreisleitung die Aufgabe zugewiesen, die Genossen <strong>in</strong> den Bremerhavener<br />

Stadtteilen Lehe-Nord und Lehe-Süd, <strong>in</strong> denen Potrykus e<strong>in</strong>en »gewissen<br />

E<strong>in</strong>fluss« habe, »über die parteife<strong>in</strong>dliche Politik dieses Agenten aufzuklären«.<br />

232 Noch im August und September 1952 sah sich die Parteileitung genötigt,<br />

propagandistisch Stellung zu nehmen gegen Potrykus. <strong>Die</strong>ser fand sich offenbar<br />

mit se<strong>in</strong>em Ausschluss nicht ab, hielt weiter Kontakt zu ehemaligen Genossen und<br />

drohte damit - so die Darstellung <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie -, die Partei zu verklagen.<br />

233 Potrykus blieb bis zu diesem Zeitpunkt auch Mitglied der VVN, wo es<br />

ihm gelungen sei, weiter se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss geltend zu machen. Es gäbe immer noch<br />

Mitglieder, die der Me<strong>in</strong>ung seien »Folkert, der wird schon noch bereuen und wird<br />

es dann sicher wieder gutmachen. Man darf ihm nicht alle Möglichkeiten der Bewährung<br />

versperren«. 234<br />

Tatsächlich also wurde auch der Ausschluss von Folkert Potrykus von der Basis<br />

nicht ohne weiteres akzeptiert und erzeugte sogar Unmut. 235 Der »Widerstand« al-<br />

228 Sekretariatsvorlage (zum Sekr.Prot. <strong>Bremen</strong> 17.1.52). In: SAPMO I 11/20/7. <strong>Die</strong> Vorlage wurde am 17. Januar<br />

1952 vom Sekretariat angenommen.<br />

229 »Der Opportunismus von Rafoth und Potrykus gibt uns gute Möglichkeiten, die Schädlichkeit und<br />

Verderblichkeit des Opportunismus für die Partei und Arbeiterklasse drastisch zu demonstrieren.« (ebenda).<br />

230 Im E<strong>in</strong>zelnen waren dies die »Kritik und Selbstkritik«, die »Frage des Vertrauens zur SU und DDR<br />

(Prüfste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es jeden Kommunisten. Gerade hier hat sich die Parteife<strong>in</strong>dlichkeit Rafoths und Potrykus<br />

besonders deutlich gezeigt)«, die »Frage des Vertrauens zur Kraft und dem Sieg der Arbeiterklasse«<br />

(Potrykus und Rafoth hätten versucht, »den Glauben an die Kraft zu untergraben«), »die Rolle der<br />

Doppelzüngler« sowie »Über Fragen der Diszipl<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Partei«. (ebenda).<br />

231 Landesleitung <strong>Bremen</strong>, Sekretariat: Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 22.-28.3.52, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/11.<br />

232 Landesleitung <strong>Bremen</strong>, Org.-Instr.-Abteil.: Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 19. - 25.4. 1952, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/11.<br />

233 Erhöhte Wachsamkeit gegen Parteife<strong>in</strong>de und Agenten, Tribüne der Demokratie 27./28.9.1952.<br />

234 Ständig und unermüdlich den Kampf gegen Parteife<strong>in</strong>de führen, Tribüne der Demokratie 23./24.8.1952.<br />

235 Willy Hundertmark, als entlassener Chefredakteur der Tribüne der Demokratie selbst betroffen von den<br />

Säuberungen, berichtet, er sei noch <strong>in</strong> den 1970er Jahren <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschaft als VVN-Sekretär von<br />

Parteimitgliedern <strong>in</strong> Bremerhaven wegen des Ausschlusses von Potrykus angesprochen und angegriffen<br />

worden (Interview Hundertmark, 2).


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 137<br />

lerd<strong>in</strong>gs beschränkte sich hier weitgehend auf das Ignorieren des faktischen Kontaktverbotes<br />

der Leitung, 236 und auch die im Vergleich zu <strong>Bremen</strong> noch negativere<br />

Mitgliederentwicklung <strong>in</strong> Bremerhaven wird zu e<strong>in</strong>em Teil auf die Unzufriedenheit<br />

mit dem Sekretariat und dessen Umgang mit Potrykus zurückzuführen se<strong>in</strong>.<br />

Re<strong>in</strong>hold und Käthe Popall<br />

<strong>Die</strong> Kampagnen gegen Rafoth und Potrykus wurden seit Anfang 1952 noch übertroffen<br />

von der Ause<strong>in</strong>andersetzung um die ehemalige Gesundheitssenator<strong>in</strong> Käthe<br />

Popall und ihren Ehemann Re<strong>in</strong>hold, gegen die sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> fortan der »Kampf<br />

gegen den Opportunismus« schwerpunktmäßig richtete. Beide gehörten, wie Rafoth<br />

und Potrykus, zu den prom<strong>in</strong>entesten und nicht nur <strong>in</strong>nerhalb der Partei anerkannten<br />

Kommunisten <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Unabhängig von den Gründen und Umständen<br />

der Kampagne gegen das Ehepaar ist dieser Fall auch deshalb bemerkenswert, weil<br />

hier erstmals e<strong>in</strong> von der Parteileitung angestrebter Ausschluss, nämlich der von<br />

Käthe Popall, gegenüber der Basis nicht durchgesetzt werden konnte und schließlich<br />

auch nicht erfolgte.<br />

Käthe Popall, geboren 1907 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, kam über SAJ und Gewerkschaftsjugend<br />

1928 zum KJVD und 1932 zur <strong>KPD</strong>. 237 Sie wurde für die RGO Betriebsrät<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />

Bremer Jutesp<strong>in</strong>nerei und war 1930/31 auch Mitglied der Bremischen Bürgerschaft.<br />

Nach 1933 leistete sie Widerstand und arbeitete u.a. <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> illegal für die <strong>KPD</strong>.<br />

1935 verhaftet, wurde sie 1937 vom Volksgerichtshof zu zwölf Jahren Zuchthaus<br />

verurteilt und danach bis <strong>1945</strong> <strong>in</strong> verschiedenen Gefängnissen und Zuchthäusern<br />

<strong>in</strong>haftiert. Nach der Befreiung kehrte sie im Juni <strong>1945</strong> nach <strong>Bremen</strong> zurück und arbeitete<br />

sofort wieder für die <strong>KPD</strong>. 1946 wurde sie Abgeordnete und Vizepräsident<strong>in</strong><br />

der Bremischen Bürgerschaft und schließlich als erste Frau Mitglied des Senats.<br />

Sie galt <strong>in</strong> dieser Zeit weit über die <strong>KPD</strong> h<strong>in</strong>aus als »absolut <strong>in</strong>tegere Persönlichkeit<br />

und Politiker<strong>in</strong>«. 238 Nach dem Ausscheiden aus dem Senat Anfang 1948 blieb Käthe<br />

Popall noch bis 1951 Mitglied der Bürgerschaft und der Landesleitung der <strong>KPD</strong>.<br />

Ihr zweiter Mann Re<strong>in</strong>hold Popall, den sie 1946 heiratete, hatte nach 1933 illegal<br />

für die <strong>KPD</strong> gearbeitet, u.a. als Mitglied des Militärpolitischen Apparates, 239 und<br />

war 1936 vom Volksgerichtshof wegen illegaler Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> zu 15 Jahren<br />

Zuchthaus verurteilt worden. Zurück <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> gründete er nach Kriegsende e<strong>in</strong><br />

236 <strong>Die</strong>s galt im Übrigen auch für Rudolf Rafoth: Laut Bericht e<strong>in</strong>es Instrukteurs aus Berl<strong>in</strong> blieb der Ausgeschlossene<br />

noch bis zum Februar 1952 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wohngebietsgruppe <strong>in</strong>offizieller Polleiter. (Land:<br />

<strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 21.2. bis 20.3.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13).<br />

237 Zur Person und Biographie Käthe Popalls: Käthe Popall, E<strong>in</strong> schwieriges politisches Leben. Erzählte<br />

Geschichte, bearbeitet von Peter Alheit und Jörg Wollenberg, Fischerhude 1985. Außerdem: Meyer-<br />

Renschhausen, Elisabeth Meyer-Renschhausen, Kathe Popall. Frau. Kommunist<strong>in</strong>. In: Bremer Blatt<br />

(Hrsg.): Scenen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Illustriertes StadtBuch, <strong>Bremen</strong> 1986; Inge Buck (unter Mitarbeit von Elisabeth<br />

Meyer-Renschhausen), Käthe Popall. In : Meyer-Braun, Renate (Hrsg.): Frauen <strong>in</strong>s Parlament!<br />

Porträts weiblicher Abgeordneter <strong>in</strong> der Bremischen Bürgerschaft, <strong>Bremen</strong> 1991.<br />

238 Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 61.<br />

239 Bernd Kaufmann (Leitung), Eckhard Reisner, <strong>Die</strong>ter Schwips, Henri Walther: Der Nachrichtendienst<br />

der <strong>KPD</strong> 1919 - 1937, Berl<strong>in</strong> 1993, S. 191 und 335.


138<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

Transportunternehmen und hatte außerdem führende Positionen <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>ne,<br />

u.a. als Leiter der Kaderabteilung und Mitglied des Bezirksvorstandes.<br />

Beide Popalls hatten sich aus Unzufriedenheit über die Entwicklung der Partei<br />

schon längere Zeit, spätestens jedoch nach dem Austausch von Landesleitung und -<br />

sekretariat 1951, aus der aktiven Arbeit für die <strong>KPD</strong> zurückgezogen. Bereits seit e<strong>in</strong>em<br />

Jahr, so e<strong>in</strong> Instrukteursbericht vom Februar 1952, sei der Landesleitung »die<br />

fe<strong>in</strong>dliche Haltung« Re<strong>in</strong>hold Popalls bekannt gewesen, »ohne dass zu se<strong>in</strong>em Verhalten<br />

<strong>in</strong> der betreffenden Grunde<strong>in</strong>heit Stellung genommen wurde«. 240 Nicht exakt<br />

zu klären ist jedoch der genaue Anlass der Anfang 1952 e<strong>in</strong>setzenden Kampagne<br />

gegen Re<strong>in</strong>hold Popall.<br />

Am 7. Februar 1952 beschloss das Sekretariat die »Verstärkung des ideologischen<br />

Kampfes gegen die parteife<strong>in</strong>dlichen E<strong>in</strong>flüsse« und beauftragte den Zweiten<br />

Sekretär Albert Oltmanns mit der Erarbeitung e<strong>in</strong>er Vorlage. Aus dieser sollte herv<strong>org</strong>ehen,<br />

»welche Maßnahmen das Sekretariat der LL gegen solche Genossen<br />

durchführen wird, die <strong>in</strong> letzter Zeit sehr stark Diskussionen führen, die die Arbeit<br />

der Partei schädigen und das Vertrauen zur Leitung untergraben«. 241 Geme<strong>in</strong>t war<br />

damit <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Re<strong>in</strong>hold Popall.<br />

E<strong>in</strong>e Woche später nahm das Sekretariat e<strong>in</strong>en Artikel des kommissarischen<br />

Ersten Sekretärs Ulrich Konetzka an, 242 der am darauffolgenden Wochenende <strong>in</strong><br />

der Tribüne der Demokratie erschien und die Kampagne gegen Re<strong>in</strong>hold Popall eröffnete.<br />

243 In e<strong>in</strong>em auch im Vergleich zu den vorhergehenden Artikeln und Ausschlussbegründungen<br />

außergewöhnlich scharfen Ton griff Konetzka die »Opportunisten«,<br />

»Parteife<strong>in</strong>de« und »Agenten«, <strong>in</strong>sbesondere aber Re<strong>in</strong>hold Popall an. In<br />

dem Artikel wurde behauptet, Popall habe Material geliefert für e<strong>in</strong>e von den<br />

»rechten Gewerkschaftsführern« und dem Innenm<strong>in</strong>isterium herausgegebenen<br />

Broschüre über den Hafenarbeiterstreik von 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Hamburg. 244 »Nur<br />

über ihn«, so der Artikel, »können die Agentenzentralen ihre ›Informationen‹ für<br />

die Hetz- und Lügenbroschüre erhalten haben. [...]. Was Re<strong>in</strong>hold Popall <strong>in</strong> wiederholten<br />

gesellschaftlichen Zusammenkünften von Genossen und gelegentlichen<br />

gegenseitigen Besuchen von Genossen an den Mann gebracht hat, das f<strong>in</strong>det man <strong>in</strong><br />

der Hetzbroschüre wieder.« Es sei dabei gleichgültig, ob Popall die Informationen<br />

bewusst oder nur <strong>in</strong>direkt weitergegeben habe, »objektiv haben er und auch diejenigen,<br />

die für die weitere Verbreitung se<strong>in</strong>er Schädl<strong>in</strong>gsargumente s<strong>org</strong>ten, die Rolle<br />

von Agenten gespielt«.<br />

Bewiesen war e<strong>in</strong>e »Agententätigkeit« Popalls also nicht. Dem Sekretariat kam<br />

es tatsächlich wohl auf die Ausschaltung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>flussreichen, sich <strong>in</strong>nerhalb der<br />

240 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 23.1. - 24.2.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

241 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 7. Februar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

242 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. Februar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

243 <strong>Die</strong> Re<strong>in</strong>igung der <strong>KPD</strong> von Opportunisten und Parteife<strong>in</strong>den ist die Voraussetzung für ihren Sieg!, Tribüne<br />

der Demokratie 16./17.2.52.<br />

244 <strong>Die</strong> Broschüre liegt leider nicht vor. In den Lebenser<strong>in</strong>nerungen von Käthe Popall ist die Rede von e<strong>in</strong>er<br />

von Margarethe Buber-Neumann verfassten Broschüre, für die Re<strong>in</strong>hold und Käthe Popall Material<br />

geliefert haben sollen. In den vorliegenden Akten ist hierauf ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis zu f<strong>in</strong>den (Käthe Popall, E<strong>in</strong><br />

schwieriges politisches Leben, a.a.O., S. 129).


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 139<br />

Partei oppositionell äußernden Mitgliedes an. Noch bevor e<strong>in</strong> statutengemäßes<br />

Ausschlussverfahren überhaupt angekündigt war, legte Konetzka als Vertreter des<br />

Sekretariats Ziel und Ergebnis fest. Es sei erwiesen, dass Popall »unbelehrbar ist<br />

und bleiben wird«. Er habe zur Partei seit Jahren ke<strong>in</strong>e direkte Verb<strong>in</strong>dung mehr,<br />

diffamiere Funktionäre der Partei und untergrabe das Vertrauen zur Sowjetunion<br />

und zur DDR. Es sei selbstverständlich, so das Fazit, »dass die Partei dieses Geschwür<br />

schnellstens entfernen muss«. 245<br />

Dass der »Fall Popall« und der Artikel <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie <strong>in</strong> der Partei<br />

für erhebliche Unruhe und Diskussionen s<strong>org</strong>te, zeigte die Sekretariatssitzung vom<br />

6. März 1952. 246 In e<strong>in</strong>em umfangreichen Referat beschäftigte sich Ulrich Konetzka<br />

ausführlich mit der »Diskussion über das parteife<strong>in</strong>dliche Verhalten der Gruppe<br />

Popall« forderte: »Wir sollten heute <strong>in</strong> der Sitzung wirklich Klarheit schaffen«. <strong>Die</strong>s<br />

war offenbar auch nötig. Konetzka sprach von e<strong>in</strong>er »Reihe von Beispielen aus den<br />

Grunde<strong>in</strong>heiten, die alarmierend s<strong>in</strong>d«. Es hätten sich auf Mitgliederversammlungen,<br />

z.B. im Stadtteil Buntentor, »pro Popall-Stimmungen« entwickelt, gegen die<br />

die Referenten sich nicht durchsetzen konnten. Gleichzeitig kritisierte Konetzka die<br />

E<strong>in</strong>zelfallbetrachtung. Es gebe ke<strong>in</strong>en »Fall Popall«, »es gibt grundsätzlich nur den<br />

Kampf gegen den Opportunismus und Parteife<strong>in</strong>de. Das ist ke<strong>in</strong>e Angelegenheit<br />

von ›Fällen‹, sondern e<strong>in</strong>e Frage des ständigen Kampfes.« Popall sei lediglich e<strong>in</strong><br />

Teil e<strong>in</strong>er ganzen Gruppe, »die vom Opportunismus angefressen ist«.<br />

Tatsächlich war dies e<strong>in</strong> Problem für das Sekretariat. Solange sich die Diskussion<br />

an prom<strong>in</strong>enten E<strong>in</strong>zelpersonen orientierte, musste es zwangsläufig schwerer<br />

fallen, der Mitgliedschaft die »Parteife<strong>in</strong>dlichkeit« und die Notwendigkeit des Ausschlusses<br />

plausibel zu machen, zumal es sich <strong>in</strong> allen Fällen (Rafoth, Potrykus, Popall)<br />

um äußerst beliebte und e<strong>in</strong>flussreiche Funktionäre handelte. <strong>Die</strong> Behandlung<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em größeren, unpersönlichen und abstrakten Zusammenhang (»Kampf gegen<br />

Opportunismus«) blieb aber nicht mehr als e<strong>in</strong> Versuch, den Mitgliedschaft und<br />

auch Sekretariat nicht ver<strong>in</strong>nerlichten.<br />

Konetzka verteidigte sich gegen Kritik aus den Reihen der Landesleitung an<br />

dem V<strong>org</strong>ehen des Sekretariats. Offenbar war dort auf Missfallen gestoßen, dass<br />

se<strong>in</strong> Artikel <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie nicht vor der Veröffentlichung zur Diskussion<br />

gestellt wurde. Weiterh<strong>in</strong> war gefordert worden, das »Tatsachenmaterial«,<br />

auf dem die Anschuldigungen gegen Popall beruhten, zu veröffentlichen. Konetzka<br />

lehnte dies scharf ab:<br />

»Das würde bedeuten, dass wir diesen Dreck, der <strong>in</strong> der Broschüre stand, <strong>in</strong> der Presse veröffentlichen<br />

sollen.[...]. Es geht hier gar nicht um e<strong>in</strong> Tatsachenmaterial, sondern darum, dass<br />

die Opportunisten diese D<strong>in</strong>ge, die sie <strong>in</strong> der Partei herumtratschen, auch an den Klassengegner<br />

herantragen. [...] E<strong>in</strong>e Diskussion über die ›Qualität‹ des Artikels br<strong>in</strong>gt uns nichts weiter,<br />

sie wirft uns zurück. Es kommt darauf an, die Diskussion, die der Artikel ausgelöst hat, <strong>in</strong> den<br />

richtigen Weg zu führen.« 247<br />

245 <strong>Die</strong> Re<strong>in</strong>igung der <strong>KPD</strong> von Opportunisten und Parteife<strong>in</strong>den ist die Voraussetzung für ihren Sieg!, Tribüne<br />

der Demokratie 16./17.2.52.<br />

246 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 6. März 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

247 Ebenda.


140<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

Scharfe Kritik übte Konetzka an Albert Oltmanns, der als Zweiter Sekretär<br />

hauptverantwortlich für die Untersuchungen gegen Popall und andere war. Oltmanns<br />

hatte mit e<strong>in</strong>igen »Verdächtigen« ohne Wissen des Sekretariats Gespräche<br />

geführt und sei dabei, wie später <strong>in</strong> der Diskussion bemerkt wurde, nicht politisch<br />

sondern wie e<strong>in</strong> »Untersuchungsrichter« aufgetreten. <strong>Die</strong>s betraf vor allem den ehemaligen<br />

Zweiten Sekretär He<strong>in</strong>rich Schramm, gegen den offenbar durch die Popalls<br />

Vorwürfe erhoben wurden.<br />

»Wir s<strong>in</strong>d uns doch wohl darüber klar, warum gerade He<strong>in</strong>i vom Klassengegner diffamiert<br />

wird, nur, weil er seit jeher und noch heute konsequent für die Arbeiterklasse und für unser<br />

Volk sich e<strong>in</strong>setzt. [...] Ich habe den E<strong>in</strong>druck, dass der Gen. Oltmanns sich zum Ziel gesetzt<br />

hat zu untersuchen, ob es sich bei den schmutzigen Argumenten gegen den Genossen<br />

Schramm um 165 oder 150 Sack Zement handelt. <strong>Die</strong> ganzen Aussprachen beschäftigen sich<br />

nicht mit politischen Argumenten, sondern mit diesem Schmutz. Tatsache ist, dass uns die<br />

Zeit gestohlen wird. Tatsache ist, der Gen. Oltmanns kümmert sich um nichts anderes als um<br />

Untersuchungen und kann ke<strong>in</strong>e politische Anleitung der Organisation geben.« 248<br />

In der Diskussion wurden diese Vorwürfe von mehreren Seiten bekräftigt. Am<br />

Ende der Sitzung beschloss das Sekretariat, dem Parteivorstand die Ablösung Oltmanns<br />

als Zweiter Sekretär vorzuschlagen und ihn als Sekretär für Massenagitation<br />

e<strong>in</strong>zusetzen.<br />

Erstmals war <strong>in</strong> dieser Sitzung auch von Käthe Popall die Rede. Gegen sie wurden<br />

offenbar zunächst ke<strong>in</strong>e konkreten Anschuldigungen v<strong>org</strong>ebracht, vielmehr<br />

führte man ihr nicht genauer bezeichnetes »Fehlverhalten« auf den E<strong>in</strong>fluss ihres<br />

Mannes zurück. Konetzka <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat:<br />

»Es gibt auch schon seit gut e<strong>in</strong>em Jahr Diskussionen mit der Genoss<strong>in</strong> Käthe Popall. Diskussionen,<br />

die darauf abzielen, dass man sich wirklich um sie bemüht hat, dass wir sie von dem<br />

E<strong>in</strong>fluss, dem sie durch ihren Mann unterliegt, retten wollen. Es gibt Beispiele, wo der Gen.<br />

Meyer-Buer und das Sekretariat sich mit ihr beschäftigt haben.«<br />

E<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck von diesen Diskussionen vermittelte <strong>in</strong> der Sitzung Wilhelm<br />

Meyer-Buer:<br />

»Ich habe an mehreren Besprechungen mit der Genoss<strong>in</strong> Käthe teilgenommen, auch an der<br />

Besprechung, die Albert [Oltmanns; HB] und Fritz von der PKK [Parteikontrollkommission; HB]<br />

und ich mit ihr gehabt haben, und ich muss sagen, dass diese Besprechung, die vom Standpunkt<br />

der Klärung geführt wurde, e<strong>in</strong> völlig negatives Bild gehabt hat.[...]. Albert hat bei dieser<br />

Besprechung gezeigt, dass er nicht <strong>in</strong> der Lage ist, diese Aufgabe zu klären. Als Käthe<br />

schwer atmete, f<strong>in</strong>g Albert an sie zu trösten und sagte: Käthe, Du hast ja nur den Namen geme<strong>in</strong>sam<br />

und hast mit der Sache nichts zu tun. Albert hat es leid getan und er f<strong>in</strong>g an zurückzukrabbeln.<br />

Ich habe Albert kritisiert, habe zu ihm gesagt: es ist falsch, so kommt man nicht<br />

weiter. Dann sagte Albert, ›gut ich will mir das überlegen, ob ich e<strong>in</strong>en Fehler gemacht habe‹.<br />

Er ist nicht nur weich und schwach, sondern auch überheblich.« 249<br />

Am Ende der Sitzung fasste das Sekretariat mehrere Beschlüsse über die Maßnahmen<br />

gegen den »Opportunismus«. Neben der Absetzung des Zweiten Sekretärs<br />

Albert Oltmanns betraf dies vor allem die Ausarbeitung von Artikeln und Argu-<br />

248 Ebenda.<br />

249 Ebenda.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 141<br />

mentationen. Bezeichnend für die offenbar auch im Sekretariat herrschende Unsicherheit<br />

über den Umgang mit der Problematik war der Beschluss, e<strong>in</strong>e gerade e<strong>in</strong>e<br />

Woche zuvor e<strong>in</strong>gesetzte fünfköpfige Kommission, die die Vorwürfe gegen Re<strong>in</strong>hold<br />

Popall prüfen sollte, wieder aufzulösen. 250 <strong>Die</strong> Begründung dafür war, dass<br />

die »die Entlarvung von Parteife<strong>in</strong>den« die Aufgabe der gesamten Partei und nicht<br />

e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Kommission sei.<br />

Der nächste, wiederum von Ulrich Konetzka verfasste Artikel gegen Re<strong>in</strong>hold<br />

Popall erschien wenige Tage später. 251 In ihm wurden vor allem angebliche und<br />

»parteife<strong>in</strong>dliche« Äußerungen Popalls zitiert. <strong>Die</strong>s war offensichtlich auch e<strong>in</strong>e<br />

Reaktion auf den aus den Reihen der Landesleitung erhobenen Vorwurf, dass das<br />

im ersten Artikel angesprochene »Tatsachenmaterial« nicht veröffentlicht worden<br />

war: Mündliche Äußerungen konnten und brauchten erst gar nicht belegt zu werden.<br />

V<strong>org</strong>eworfen wurde Popall <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mangelndes Vertrauen zur Sowjetunion<br />

und zur DDR. Er habe die »Festveranstaltungen zu Ehren des Geburtstages<br />

Genossen Stal<strong>in</strong>, die <strong>in</strong> der ganzen Welt von allen friedliebenden Menschen feierlich<br />

begangen werden« als »Personenkult« abgelehnt. Ebenso habe er die »Lügen<br />

der Agentenzentralen« übernommen, »wonach <strong>in</strong> der DDR nur die ›Funktionäre‹<br />

gut lebten, während die Bevölkerung ›auf Karten‹ leben müsse«. Weiterh<strong>in</strong> habe er<br />

die »gewaltige Bedeutung« der Volksbefragung 252 verne<strong>in</strong>t und die Bedeutung von<br />

Resolutionen und Demonstrationen geleugnet.<br />

Mit den beiden letztgenannten Vorwürfen waren erstmals konkrete, die Politik<br />

der Bremer Partei betreffende Aspekte thematisiert, <strong>in</strong> denen Popall offenbar tatsächlich<br />

im Widerspruch zur Leitung stand. Noch deutlicher wird diese Opposition<br />

im folgenden: »So erklärte Re<strong>in</strong>hold Popall offen, er lehne die Landesleitung ab.<br />

Se<strong>in</strong>e ›Begründung‹ dafür ist, die Leitung sei ›zu jung‹. <strong>Die</strong> jungen Genossen hätten<br />

noch nicht bewiesen, wie sie sich <strong>in</strong> ernsteren Situationen verhalten würden.« 253<br />

Damit war das seit dem Wechsel <strong>in</strong> der Leitung 1951 <strong>in</strong> der Partei latent vorhandene<br />

Generationsproblem angesprochen. Nicht nur Popall hatte - wie bereits geschildert<br />

- diese Unzufriedenheit mit dem jungen Sekretariat geäußert. Konetzka, mit 25<br />

Jahren jüngstes Mitglied des Sekretariats, antwortete darauf lediglich mit e<strong>in</strong>em<br />

langen Zitat Stal<strong>in</strong>s, <strong>in</strong> dem die »Vere<strong>in</strong>igung der alten und jungen Kader zu e<strong>in</strong>em<br />

geme<strong>in</strong>samen Orchester der leitenden Arbeit der Partei« proklamiert wurde. Popalls<br />

Argumentation sei die des »Klassengegners«. Man müsse, so Konetzka abschließend,<br />

»mit solchen Elementen brechen, deren opportunistische Auffassungen<br />

zur offenen Parteife<strong>in</strong>dlichkeit ausgeartet s<strong>in</strong>d«. 254<br />

Erwähnt wurde <strong>in</strong> dem Artikel auch, dass Re<strong>in</strong>hold und Käthe Popall die gegen<br />

sie eröffnete Kampagne nicht widerspruchslos h<strong>in</strong>nahmen. Offenbar hatten beide,<br />

250 Der Beschluss zur Bildung e<strong>in</strong>er solchen Kommission war auf der vorangegangenen Sekretariatssitzung<br />

gefasst worden (Protokoll der Sekretariatssitzung vom 28. Februar 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>:SAPMOI<br />

11/20/7).<br />

251 <strong>Die</strong> Tore der Partei öffnen sich nur Würdigen, Tribüne der Demokratie 12./13.4.52.<br />

252 Siehe dazu Kapitel 4.<br />

253 <strong>Die</strong> Tore der Partei öffnen sich nur Würdigen, Tribüne der Demokratie 12./13.4.52.<br />

254 Ebenda.


142<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

nachdem e<strong>in</strong>e Kreisdelegiertenkonferenz Anfang März 1952 sich mit den Vorwürfen<br />

beschäftigt hatte, e<strong>in</strong>en Beschwerdebrief beim Landessekretariat abgegeben, <strong>in</strong><br />

dem sie gegen die Thematisierung ihres Verhaltens protestierten und außerdem<br />

Anschuldigungen gegen zwei Sekretariatsmitglieder formulierten. In diesem Zusammenhang<br />

wurde nun auch erstmals Käthe Popall angegriffen. Deren »Überheblichkeit«,<br />

so Konetzka, käme »dar<strong>in</strong> zum Ausdruck, dass sie den Kreisdelegierten<br />

das richtige Urteilsvermögen abspricht, <strong>in</strong>dem sie behauptet, die Genossen seien<br />

nicht soweit, um das richtig e<strong>in</strong>zuschätzen«. Im folgenden erhob der Artikel weitere<br />

Anschuldigungen gegen die ehemalige Gesundheitssenator<strong>in</strong>:<br />

»Durch diese Beschwerde kommt aber noch etwas anderes zum Ausdruck. Obwohl die Genoss<strong>in</strong><br />

Käthe Popall <strong>in</strong> dem voraufgegangenen Artikel überhaupt nicht erwähnt wird, solidarisiert<br />

sie sich mit Re<strong>in</strong>hold Popall. Das zw<strong>in</strong>gt zu der Schlussfolgerung, dass sie mit se<strong>in</strong>en<br />

Auffassungen e<strong>in</strong>verstanden ist. In e<strong>in</strong>em Bericht, den die Genoss<strong>in</strong> Käthe Popall Ende 1951<br />

dem Landessekretariat übergeben hat, äußert sie sich lobend über e<strong>in</strong>en Parteife<strong>in</strong>d und<br />

Volksfe<strong>in</strong>d, der bereits im Jahre <strong>1945</strong> aus der <strong>KPD</strong> ausgestoßen wurde. Obwohl die Genoss<strong>in</strong><br />

Käthe Popall genau weiß, dass dieser Agent während der Nazizeit e<strong>in</strong>en führenden Funktionär<br />

unserer Partei den faschistischen Henkern ausgeliefert hat, scheut sie sich nicht, im Jahre<br />

1951 (!) die angeblich ›gute Parteiarbeit‹ dieses V-Mannes der Gestapo anerkennend herauszustellen!«<br />

255<br />

Insgesamt war spätestens mit diesem Artikel klargestellt, dass das Sekretariat<br />

beabsichtigte, Re<strong>in</strong>hold und auch Käthe Popall aus der Partei auszuschließen. Wenige<br />

Tage später, am 17. April 1952, wurden die dafür notwendigen Maßnahmen<br />

ergriffen. 256 Das Sekretariat nahm e<strong>in</strong>e Vorlage der Kaderabteilung an, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>e<br />

außerordentliche Mitgliederversammlung der für die Popalls zuständigen Wohngebietsgruppe<br />

v<strong>org</strong>eschlagen wurde: »In dieser Versammlung soll von den Mitgliedern<br />

e<strong>in</strong> Beschluss gefasst werden, dass e<strong>in</strong> Verfahren e<strong>in</strong>geleitet wird gegen<br />

die Genossen Re<strong>in</strong>hold und Käthe Popall aufgrund ihrer Äußerungen ihrer negativen<br />

Kritik gegen die Politik der Partei und gegen die Landesleitung«. 257<br />

Ob dies verwirklicht werden konnte, ist nicht dokumentiert. In der Tat aber fiel<br />

es dem Sekretariat offenbar schwer, <strong>in</strong> der Partei die gewünschte Stimmung gegen<br />

die Popalls herzustellen und e<strong>in</strong>en Ausschluss zu erreichen. Auch <strong>in</strong> der Landesleitung<br />

gab es Diskussionen mit zum Teil vom Sekretariat abweichenden Me<strong>in</strong>ungen.<br />

Auf e<strong>in</strong>er Sitzung am 11. Mai 1952 erklärte Albert Krohn258, Re<strong>in</strong>hold Popall habe<br />

Fehler zugegeben und wolle sie auch schriftlich niederlegen. Zwar sei er nach wie<br />

vor der Me<strong>in</strong>ung, die Arbeiterklasse habe nicht die Kraft, sich zu befreien. Popall<br />

sei aber bereits 28 Jahre Mitglied der Partei und nun lediglich »stehen geblieben, er<br />

f<strong>in</strong>det sich nicht mehr zurecht«. Wenn man ihn ausschließen müsse, »dann wegen<br />

Dummheit«. Auch Käthe Popall habe zum Ausdruck gebracht, »dass sie gewillt ist,<br />

zur Partei wieder so e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung herzustellen, wie sie e<strong>in</strong>mal war«. Beide seien<br />

255 Ebenda. Geme<strong>in</strong>t war damit Ge<strong>org</strong> Buckendahl, der wegen angeblicher Zusammenarbeit mit der Gestapo<br />

<strong>1945</strong> aus der <strong>KPD</strong> ausgeschlossen worden war.<br />

256 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 17.4.52 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

257 Zur Sekretariatsvorlage [Anlage Protokoll der Sekretariatssitzung vom 17.4.52 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/7.<br />

258 Albert Krohn (1892-?): <strong>KPD</strong>, Mitglied der Landesleitung 1949 bis 1956, Stadteilleiter Gröpel<strong>in</strong>gen.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 143<br />

außerdem bereit, selbstkritische Stellungnahmen abzugeben. 259 <strong>Die</strong>se Erklärung<br />

Krohns konnte schon als Verteidigung Popalls gewertet werden, noch weiter g<strong>in</strong>g<br />

auf derselben Sitzung Albert Oltmanns, der noch kurz zuvor als Zweiter Sekretär<br />

mit den »Ermittlungen« gegen Popall beschäftigt und daraufh<strong>in</strong> abgesetzt worden<br />

war. Oltmanns erschien die Formulierung von der »parteife<strong>in</strong>dlichen Tätigkeit« der<br />

Popalls »zu scharf und weitgehend«. Er kritisierte, dass die <strong>in</strong> den beiden »Tribüne«-Artikeln<br />

gebrauchten Formulierungen ke<strong>in</strong>en anderen Schluss mehr zuließen<br />

als den Ausschluss aus der Partei. »Man sollte hier«, so Oltmanns, »etwas vorsichtiger<br />

formulieren«. Beide hätten sich »zu sehr verrannt«, besonders Käthe Popall<br />

habe aber »ihre bestimmten Verdienste für die Partei und Arbeiterklasse«. Man<br />

müsse deshalb »mit ihnen diskutieren, ihnen helfen, damit sie ihre Fehler e<strong>in</strong>sehen<br />

und überw<strong>in</strong>den«. 260<br />

<strong>Die</strong>se Aussage e<strong>in</strong>es führenden Mitglieds der Bremer Partei verdeutlicht, dass<br />

nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der Landesleitung und im Sekretariat, dem Oltmanns immer noch<br />

angehörte, E<strong>in</strong>igkeit über die Behandlung des »Falls Popall« herrschte. Erst recht<br />

musste dies für die Parteibasis gelten. So wurde unter anderem auf e<strong>in</strong>er Funktionärssitzung<br />

des Stadtteils Westen e<strong>in</strong> Antrag auf Ausschluss abgelehnt. 261 Ulrich<br />

Konetzka me<strong>in</strong>te gar feststellen zu müssen: »Es entsteht die Frage jetzt bei den Genossen,<br />

wer hat denn nun Recht, die Landesleitung oder die Popalls?« 262<br />

Re<strong>in</strong>hold und Käthe Popall schrieben <strong>in</strong> der Folgezeit tatsächlich die von Albert<br />

Krohn angekündigten Selbstkritiken. Auf e<strong>in</strong>er Sitzung am 3. Juli 1952 beschäftigte<br />

sich das Sekretariat mit diesen Stellungnahmen, mit dem Resultat, dass nunmehr<br />

E<strong>in</strong>mütigkeit herrschte über den Ausschluss der beiden. 263 Deutlich wurde vor allem,<br />

dass die Hauptkritik sich <strong>in</strong>zwischen gegen Käthe Popall richtete. Ulrich Konetzka<br />

me<strong>in</strong>te, die Stellungnahmen bestätigten, »dass nicht er sondern sie die treibende<br />

Kraft ist«. Deutlicher wurde Wilhelm Meyer-Buer:<br />

»Wenn man sich die beiden Schriftstücke durchliest, kann man nur e<strong>in</strong>e Schlussfolgerung ziehen.<br />

<strong>Die</strong> Diskussionen, die wir mit ihnen gehabt haben, haben bewirkt, dass sie <strong>in</strong> ihren Formulierungen<br />

vorsichtiger geworden s<strong>in</strong>d. In ihrer E<strong>in</strong>stellung hat sich nichts geändert.[...]. Käthe<br />

hat aus den Diskussionen nichts gelernt - sie will nichts lernen. Wir müssen die Diskussionen<br />

führen mit dem Ziel, beide Popalls aus der Partei auszuschließen. Beide Schriftstücke s<strong>in</strong>d<br />

e<strong>in</strong>e Herausforderung. Sie werden auf ihrer L<strong>in</strong>ie weiterarbeiten, aber vorsichtiger.« 264<br />

Selbst Albert Oltmanns, der vor allem Käthe Popall zuvor noch verteidigt hatte,<br />

me<strong>in</strong>te nun: »Für uns besteht ke<strong>in</strong>e andere Möglichkeit mehr, als sie auszuschließen.«<br />

Ihm und dem Sekretariat waren aber auch die damit zusammenhängenden<br />

Schwierigkeiten bewusst. Oltmanns me<strong>in</strong>te, »diese Angelegenheit muss vorbereitet<br />

werden. Man muss ihren E<strong>in</strong>fluss berücksichtigen«. Käthe Popall habe, so Meyer-<br />

259 Landesleitungssitzung am 11. Mai 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.<br />

260 Ebenda.<br />

261 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 29. Mai 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

262 Ebenda.<br />

263 Protokoll der Sekretariatssitzung am 3. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7<br />

264 Ebenda.


144<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

Buer, »e<strong>in</strong>en großen E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> den Massen<strong>org</strong>anisationen. Sie kann dann erst ausgeschlossen<br />

werden, wenn wir Klarheit geschaffen haben«. 265<br />

Beschlossen wurden daher e<strong>in</strong>e Reihe von Maßnahmen, mit denen der Ausschluss<br />

vorbereitet werden sollte. Alle Landesleitungs- und Kreissekretariatsmitglieder<br />

sowie die Ersten Sekretäre der Grunde<strong>in</strong>heiten sollten die »Selbstkritiken«<br />

und e<strong>in</strong>e Stellungnahme des Sekretariats erhalten und danach zu e<strong>in</strong>er Sondersitzung<br />

e<strong>in</strong>geladen werden. Bis zum 17. Juli hatten diese Sitzungen noch nicht stattgefunden.<br />

Das Sekretariat beschäftigte sich im Rahmen e<strong>in</strong>er Beschlusskontrolle erneut<br />

mit den Maßnahmen gegen die Popalls und beschloss vor allem e<strong>in</strong>e Überarbeitung<br />

se<strong>in</strong>er Stellungnahme, <strong>in</strong> der »e<strong>in</strong>ige Zitate von Popalls« gebracht werden<br />

sollten, »sonst kommen die Genossen mit dieser Erklärung nicht klar«. 266 Wilhelm<br />

Meyer-Buer forderte e<strong>in</strong>e pr<strong>in</strong>zipiellere Behandlung des »Falls Popall« und skizzierte<br />

dabei treffend die eigentlichen Ursachen der Ause<strong>in</strong>andersetzung:<br />

»Es kommt jetzt darauf an [...], diese Fakten von der richtigen Basis aus zu entwickeln. Das<br />

müsste so se<strong>in</strong>, die Tätigkeit der Agenten und Parteife<strong>in</strong>de hat zwei Hauptziele. 1.) Unglauben<br />

an die Richtigkeit der Politik der Partei zu erzeugen. Überall dort, wo Genossen Unglauben an<br />

die Richtigkeit und Durchführbarkeit unserer Politik äußern, steckt die Tätigkeit der Parteife<strong>in</strong>de.<br />

Unglaube an die Richtigkeit der Politik unserer Partei äußert sich konkret <strong>in</strong> der Ablehnung<br />

der nationalen Politik. Zum anderen zielt die Tätigkeit der Parteife<strong>in</strong>de und Agenten<br />

darauf h<strong>in</strong>, die Mitgliedschaft von der Leitung zu trennen. Das ist das Hauptziel der Parteife<strong>in</strong>de.<br />

<strong>Die</strong>se beiden Fälle s<strong>in</strong>d hier <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nachweisbar. Wobei nicht jeder Genosse erkennt,<br />

welches gefährliche Gift er mit sich herumträgt. <strong>Die</strong> Erklärung [...] müsste me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung<br />

nach, wenn sie e<strong>in</strong> Dokument se<strong>in</strong> sollte, jetzt weg von dem E<strong>in</strong>zelfall Popall. Wir fangen<br />

jetzt selber an, e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>zelfall Popall zu machen. Deswegen muss das Dokument von<br />

vornhere<strong>in</strong> diesen umfassenden und allseitigen Charakter haben.« 267<br />

Am 4. August 1952 beschloss e<strong>in</strong>e Kreisfunktionärskonferenz, der zuständigen<br />

Grunde<strong>in</strong>heit den Ausschluss von Käthe und Re<strong>in</strong>hold Popall zu empfehlen. 268<br />

<strong>Die</strong>s hatte ke<strong>in</strong>erlei b<strong>in</strong>dende Wirkung, war aber dennoch e<strong>in</strong> Druckmittel und<br />

wohl als solches auch gedacht. Bezeichnend war, dass der Beschluss wiederum<br />

nicht e<strong>in</strong>stimmig erfolgte: Es gab zehn Gegenstimmen und fünf Enthaltungen.<br />

Der Ausschluss erfolgte jedoch immer noch nicht. Vielmehr verfassten beide<br />

Popalls noch e<strong>in</strong>mal Selbstkritiken, mit denen sich das Sekretariat erneut <strong>in</strong> mehreren<br />

Sitzungen beschäftigte. 269 Mit beiden, <strong>in</strong>sbesondere mit Käthe Popall, wurden<br />

265 Ebenda.<br />

266 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 17. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

267 Ebenda.<br />

268 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom: 22.7. bis 20.8.1952 (Instrukteursbericht), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13. Der berichtende<br />

Instrukteur g<strong>in</strong>g wohl - trotz der nichtb<strong>in</strong>denden Wirkung des Beschlusses - von e<strong>in</strong>er nunmehr<br />

unverzüglichen und endgültigen Umsetzung des Ausschlusses aus: »Nachdem die Grunde<strong>in</strong>heit den<br />

Ausschluss der beiden Popalls v<strong>org</strong>enommen hat [sic!, HB], ist e<strong>in</strong>e Kreismitgliederversammlung v<strong>org</strong>esehen,<br />

die sich mit der Frage der Erhöhung der politischen Wachsamkeit befasst und gleichzeitig allen<br />

Mitgliedern die Ausschlussbegründung bekannt gibt.« (ebenda). Der Berichterstatter rechnete offenbar<br />

nicht mit der Möglichkeit, dass die Grunde<strong>in</strong>heit den Ausschluss auch ablehnen könnte.<br />

269 Protokoll der LSS am 16.9.52; Protokoll der LSS am 18.9.52; Protokoll der LSS am 2.10.52; Protokoll der LSS am<br />

13.11.52, alle <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 145<br />

weitere Aussprachen geführt. 270 E<strong>in</strong> späterer Artikel <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie<br />

berichtete über e<strong>in</strong>e solche Unterredung mit Re<strong>in</strong>hold Popall vom 16. Oktober 1952,<br />

<strong>in</strong> der Popall auf se<strong>in</strong>em »parteife<strong>in</strong>dlichen Standpunkt« beharrt und »jede Kritik<br />

und Hilfe« abgelehnt habe. »Das Landessekretariat musste deshalb zu der Schlussfolgerung<br />

kommen, dass weitere Besprechungen mit Re<strong>in</strong>hold Popall unfruchtbar<br />

se<strong>in</strong> würden und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Fall der Beschluss der Kreisfunktionärkonferenz durchzuführen<br />

sei.« 271<br />

Auch die Landesleitung stimmte diesem Beschluss am 8./9. November 1952<br />

zu. 272 Damit war der Ausschluss allerd<strong>in</strong>gs noch nicht wirksam, beschlossen werden<br />

konnte er nur von der zuständigen Grunde<strong>in</strong>heit. Re<strong>in</strong>hold Popall wartete jedoch<br />

das Ende des Parteiverfahrens und den eventuellen Ausschluss nicht ab: Er<br />

gab im Dezember 1952 se<strong>in</strong> Mitgliedsbuch ab und trat damit aus der <strong>KPD</strong> aus. 273<br />

Käthe Popall dagegen blieb Mitglied der <strong>KPD</strong>. Das Parteiverfahren gegen sie<br />

fand se<strong>in</strong>en Abschluss mit e<strong>in</strong>er Sitzung ihrer Wohngebietsgruppe im Stadtteil<br />

Gröpel<strong>in</strong>gen am 2. Januar 1953: <strong>Die</strong> Mitglieder lehnten den von Sekretariat, Landesleitung<br />

und Kreisfunktionärskonferenz geforderten Ausschluss ab. <strong>Die</strong> Versammlung<br />

fasste »nach reger Diskussion« folgenden bemerkenswerten Beschluss:<br />

»<strong>Die</strong> Wohngebietsgruppe hat am 2. Januar 1953 zu dem Beschluss der Funktionärkonferenz<br />

des Kreises <strong>Bremen</strong> Stellung genommen, <strong>in</strong> dem der Wohngebietsgruppe v<strong>org</strong>eschlagen wird,<br />

die Genoss<strong>in</strong> Käthe Popall wegen ihres bisherigen Verhaltens aus der Partei auszuschließen.<br />

<strong>Die</strong> Wohngebietsgruppe kann dem Vorschlag der Bremer Funktionärkonferenz nicht folgen.<br />

<strong>Die</strong> Wohngebietsgruppe stellt fest, dass die Genoss<strong>in</strong> Käthe Popall durch ihre negierenden,<br />

persönlichen Diskussionen <strong>in</strong>ner- und außerhalb der Partei die E<strong>in</strong>heit der Partei gefährdet,<br />

die Schlagkraft der Partei gehemmt und dadurch objektiv parteischädigend gewirkt hat. In<br />

dieser politischen Situation ist die E<strong>in</strong>heit der Partei das erste Pr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>er marxistischlen<strong>in</strong>istischen<br />

Partei.<br />

<strong>Die</strong> Wohngebietsgruppe erteilt aus diesem Grunde der Genoss<strong>in</strong> Käthe Popall hierfür e<strong>in</strong>e<br />

Rüge. Damit betrachtet die Wohngebietsgruppe das Verfahren gegen die Genoss<strong>in</strong> Käthe Popall<br />

als abgeschlossen. Sie erwartet von der Genoss<strong>in</strong> Popall, dass sie die Lehren aus ihrem<br />

bisherigen Verhalten zieht, dass sie sich bemüht:<br />

1. ihre ganze Kraft weiterh<strong>in</strong> der Partei <strong>in</strong> ihrem nationalen Kampf zur Verfügung stellt.<br />

2. durch das Studium unserer Theorie des Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus <strong>in</strong>sbesondere der Dokumente<br />

der Partei, sich auf der Höhe der Aufgaben der Partei zu halten.<br />

270 Ebenda.<br />

271 Ke<strong>in</strong> Deutscher kann sich se<strong>in</strong>er Verantwortung entziehen, Tribüne der Demokratie 19.12.52. <strong>Die</strong> endgültige<br />

Ausschlussforderung war nach den vorhergehenden Ereignissen nicht überraschend. Bemerkenswert<br />

ist an der Aussage aber die Betonung auf »<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Fall«. <strong>Die</strong>s implizierte, dass der Ausschluss Käthe<br />

Popalls auch im Landessekretariat ke<strong>in</strong>eswegs beschlossene Sache war.<br />

272 Ebenda.<br />

273 Ebenda. Das Sekretariat nahm den Austritt zum Anlass, noch e<strong>in</strong>mal ausführlich Stellung zu den<br />

Gründen des - letztlich ja nicht erfolgten - »Ausschlusses« zu nehmen.


146<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

3. sich vom parteischädigenden und parteife<strong>in</strong>dlichen Verhalten ihres Mannes Re<strong>in</strong>hold Popall<br />

- der wegen dieses Verhaltens aus der Partei ausgeschlossen wurde, ideologisch-politisch<br />

distanziert.[...]« 274<br />

Mit dieser Erklärung trotzte die Grunde<strong>in</strong>heit allen zuvor von den maßgeblichen<br />

Leitungs<strong>in</strong>stanzen der Bremer Partei getroffenen Beschlüssen, mit denen e<strong>in</strong><br />

Ausschluss bereits festzustehen schien. Zwar akzeptierten die Mitglieder offenbar<br />

die vom Sekretariat v<strong>org</strong>ebrachten Argumente, für e<strong>in</strong>en Parteiausschluss schienen<br />

sie ihnen jedoch nicht zu genügen. <strong>Die</strong> Erteilung e<strong>in</strong>er »Rüge« war deshalb wohl<br />

nicht mehr als e<strong>in</strong> Zugeständnis an die Parteileitung, das für Käthe Popall ke<strong>in</strong>e<br />

weiteren Folgen hatte. Auch die Forderung an die ehemalige Gesundheitssenator<strong>in</strong>,<br />

sie solle sich vom Verhalten ihres Mannes »ideologisch-politisch« distanzieren, war<br />

eher e<strong>in</strong>e Aussage zu ihren Gunsten und gegen den Standpunkt des Sekretariats, <strong>in</strong><br />

dem zuvor durchaus die Frage aufgetaucht war, ob denn überhaupt die Ehefrau e<strong>in</strong>es<br />

›Parteife<strong>in</strong>des‹ weiterh<strong>in</strong> Mitglied der <strong>KPD</strong> se<strong>in</strong> könne. 275<br />

Käthe Popall hatte sehr um ihre Parteimitgliedschaft gekämpft. <strong>Die</strong> zahlreichen<br />

Selbstkritiken und die Berichte über ihre Gespräche mit Sekretariatsmitgliedern<br />

zeugen davon. Angeblich hatte sie auch mehrmals <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> bei zuständigen<br />

Stellen der SED und <strong>KPD</strong> Fürsprache für sich und ihren Mann gesucht. 276 Obwohl<br />

ihre Grunde<strong>in</strong>heit h<strong>in</strong>ter ihr stand und den vom Sekretariat beschlossenen Ausschluss<br />

verh<strong>in</strong>derte, war das Verfahren für Käthe Popall e<strong>in</strong>e persönliche Erfahrung,<br />

die »sehr, sehr schmerzhaft« war, wie sie später bilanzierte. 277 Sie blieb noch<br />

bis zum Verbot 1956 Mitglied der <strong>KPD</strong>, war aber politisch isoliert und nicht mehr<br />

aktiv. Später schrieb sie <strong>in</strong> ihren Lebenser<strong>in</strong>nerungen:<br />

»Ich blieb noch mehrere Jahre Mitglied. Aber es war s<strong>in</strong>nlos. Man legte mir nur Ste<strong>in</strong>e <strong>in</strong> den<br />

Weg, so dass ich mich gezwungen sah, 1956 - nach dem Verbot der <strong>KPD</strong> - ebenfalls me<strong>in</strong>en<br />

Austritt zu erklären. Me<strong>in</strong>en Mann, der 10 Jahre lang <strong>in</strong>haftiert gewesen war und sieben Jahre<br />

E<strong>in</strong>zelhaft hatte, der alle Folterungen überstanden hatte, ohne jemanden zu belasten, [...],<br />

nannte man <strong>in</strong> der Parteipresse e<strong>in</strong>en ›amerikanischen Agenten des Imperialismus‹. Der Antikommunismus<br />

wurde zweifellos immer stärker. Aber die <strong>KPD</strong> gab ihm durch die Ausschlüsse<br />

noch Auftrieb, vor allem durch die Art und Weise, wie sie <strong>in</strong> der Öffentlichkeit diese Ausschlüsse<br />

begründete.« 278<br />

1967 zog sie mit ihrer Familie <strong>in</strong>s Saarland, wo ihr Mann Re<strong>in</strong>hold 1981 starb.<br />

Käthe Popall starb nach langer Krankheit 1984 <strong>in</strong> ihrer Heimatstadt <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> die<br />

sie kurz zuvor zurückgekehrt war.<br />

Das Verfahren gegen die Popalls war <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> das letzte im Zusammenhang<br />

mit der Umgestaltung der Partei. 279 Das Resultat der Säuberungen war<br />

274 Stellungnahme der Wohngebietsgruppe I zum Verhalten der Genoss<strong>in</strong> K. Popall, Tribüne der Demokratie<br />

7.1.1953.<br />

275 Interview Meyer-Buer, 2.<br />

276 Ebenda. Angeblich war Käthe Popall bereits 1948 wegen Differenzen mit der Bremer Parteileitung nach<br />

Berl<strong>in</strong> gereist (Inge Buck, Käthe Popall, a.a.O., S. 215).<br />

277 Inge Buck, Käthe Popall, a.a.O., S. 215.<br />

278 Käthe Popall, E<strong>in</strong> schwieriges politisches Leben, a.a.O., S. 126.<br />

279 <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzungen der folgenden Jahre konzentrierten sich auf den Bereich der Betriebsgruppen<br />

und hatten größtenteils andere Ursachen. <strong>Die</strong>s galt vor allem für die Betriebsgruppe beim Auto-


<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952) 147<br />

ke<strong>in</strong>eswegs die vom Sekretariat propagierte Stärkung der <strong>KPD</strong>. Zu konstatieren<br />

war vielmehr zunächst e<strong>in</strong>e Verunsicherung der Mitgliedschaft. In allen drei geschilderten<br />

Fällen (Rafoth, Potrykus, Popall) stand das hohe persönliche und politische<br />

Ansehen der Betroffenen im Gegensatz zu den gegen sie v<strong>org</strong>ebrachten Anschuldigungen.<br />

<strong>Die</strong>s musste zwangsläufig zu Diskussionen und zu Differenzen<br />

zwischen Mitgliedschaft und Sekretariat führen, selbst wenn vielleicht die Vorwürfe<br />

der »Spionage«, des »Agententums« und des »Opportunismus« bei e<strong>in</strong>em Teil<br />

der Mitgliedschaft auf Glauben stießen. <strong>Die</strong>ser Gegensatz machte die lokalen Säuberungen<br />

im Gegensatz zu denen auf Bundesebene wesentlich schwieriger. 280 Spionagevorwürfe<br />

gegen Genossen, die <strong>in</strong> ihren Grunde<strong>in</strong>heiten persönlich bekannt<br />

und anerkannt waren, mussten unglaubwürdig ersche<strong>in</strong>en. Erst recht galt dies für<br />

den Stadtstaat <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> dem durch die regionale Begrenztheit von vornhere<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

höherer Grad an politischer und persönlicher Vernetzung herrschte als <strong>in</strong> Flächenstaaten.<br />

Unmöglich wurde dadurch auch die von der Parteileitung immer wieder geforderte,<br />

aber nie umgesetzte »pr<strong>in</strong>zipielle«, d.h. abstrakte Behandlung der »Fälle«,<br />

zumal auch die führenden Funktionäre nicht frei waren von dem Widerspruch zwischen<br />

Ausschlussforderung und persönlichen Gefühlen gegenüber den Betroffenen.<br />

In allen Fällen waren die aus diesen Widersprüchen resultierenden Konflikte<br />

nachweisbar. <strong>Die</strong>s galt sowohl für die Mitgliedschaft als auch für das Sekretariat,<br />

das sich, trotz der e<strong>in</strong>deutigen und für die Betroffenen diffamierenden Artikel <strong>in</strong><br />

der Tribüne der Demokratie, sehr schwer tat, die Ausschlussforderungen umzusetzen.<br />

E<strong>in</strong> wenig verdeutlicht wird der <strong>in</strong>nere Konflikt durch e<strong>in</strong>e Aussage von Herbert<br />

Breidbach: »Für uns waren das kommunistische Väter. Re<strong>in</strong>hold Popall und<br />

auch se<strong>in</strong>e Frau hatten zehn Jahre <strong>in</strong> Zuchthäusern gesessen. Wir hatten große Achtung<br />

vor denen. Und gleichzeitig auch e<strong>in</strong> sehr großes Vertrauen zur Arbeit der<br />

Leitungen der Partei.« 281<br />

Hervorzuheben ist die Verh<strong>in</strong>derung des Ausschlusses von Käthe Popall. Dass<br />

die Wohngebietsgruppe allen Beschlüssen übergeordneter Leitungen trotzen konnte,<br />

zeigt die trotz der zentralistischen Strukturen verbliebene Autonomie lokaler<br />

Parteigruppen, über die sich die Leitungen nicht ohne weiteres h<strong>in</strong>wegsetzen konnten.<br />

In den folgenden Jahren wurde dies vor allem bei den Betriebsgruppen sichtbar.<br />

282<br />

E<strong>in</strong>e den Ausschlüssen und Kampagnen zugedachte Funktion war auch die<br />

Stärkung der neu e<strong>in</strong>gesetzten Leitung, die bereits aufgrund ihres Alters und ihrer<br />

Unerfahrenheit <strong>in</strong> der Partei auf Kritik gestoßen war. Inwieweit das Sekretariat tatsächlich<br />

gestärkt aus den Ause<strong>in</strong>andersetzungen herv<strong>org</strong><strong>in</strong>g, ist nicht genau nach-<br />

mobilkonzern B<strong>org</strong>ward, mit der es bereits seit 1951 starke Konflikte gab, die schließlich 1955 zu e<strong>in</strong>igen<br />

Austritten und Ausschlüssen führten.<br />

280 Zur Akzeptanz der Säuberungen <strong>in</strong> der Mitgliedschaft siehe z.B. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP,<br />

a.a.O., S. 79f. und Manfred Grieger, Günter Judick, Gert Meyer und Josef Schleifste<strong>in</strong>, Stal<strong>in</strong>s Schatten,<br />

a.a.O., S. 173ff.<br />

281 Interview Herbert Breidbach, 2.<br />

282 Siehe ausführlich Kapitel 5.


148<br />

<strong>Die</strong> »Säuberungen« (1949-1952)<br />

vollziehbar. Festzuhalten bleibt, und das ist hier entscheidend, dass alle geschilderten<br />

Ausschlüsse auf erheblichen Missmut und sogar Widerstand <strong>in</strong> der Mitgliedschaft<br />

trafen. Das musste Folgen für das <strong>in</strong>nerparteiliche Klima haben, h<strong>in</strong>sichtlich<br />

des Verhältnisses der Basis zur Parteileitung, der E<strong>in</strong>schränkung der <strong>in</strong>nerparteilichen<br />

Demokratie und auch h<strong>in</strong>sichtlich der Außenwirkung und der politischen Aktivität<br />

der e<strong>in</strong>zelnen Mitglieder. Hermann Gautier, damals Erster Sekretär, zu den<br />

Folgen der Ausschlüsse aus heutiger Sicht:<br />

»Es ist bestimmt nicht zu leugnen, dass das damals <strong>in</strong> der Partei e<strong>in</strong>e große Rolle gespielt hat.<br />

Es gab kaum Diskussionen, wo nicht das im Mittelpunkt gestanden hätte oder Ausgangspunkt<br />

war. Teilweise hat das auch zu ›Lähmungsersche<strong>in</strong>ungen‹ geführt. Das hat die Partei<br />

doch <strong>in</strong> weiten Teilen von ihren eigentlichen Aufgaben und von ihren positiven Möglichkeiten,<br />

die sie hatte, zeitweilig abgehalten. Insgesamt gesehen darf man das nicht unterschätzen,<br />

das hat uns schon große politische und <strong>org</strong>anisatorische Verluste e<strong>in</strong>gebracht.« 283<br />

Damit war e<strong>in</strong> wesentliches Ziel der Säuberungen, die Stärkung der Partei und<br />

ihrer ›Schlagkraft‹, ad absurdum geführt: Man hatte das genaue Gegenteil erreicht<br />

und die <strong>KPD</strong> weiter <strong>in</strong> die Isolation gebracht.<br />

283 Interview Hermann Gautier, 2.


Kapitel 4<br />

Politik und Programmatik<br />

1. Das Primat der »Nationalen Politik«<br />

Spätestens mit dem offensichtlichen Beg<strong>in</strong>n des Kalten Krieges geriet die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>nerhalb<br />

e<strong>in</strong>er immer stärker antikommunistisch und antisowjetisch geprägten Politik<br />

<strong>in</strong> den Westzonen <strong>in</strong> zunehmende Isolation. <strong>Die</strong> Gründung der Bundesrepublik<br />

im Mai 1949 schließlich kann als »zentrale Niederlage« 1 der <strong>KPD</strong> betrachtet werden.<br />

<strong>Die</strong> Konstituierung e<strong>in</strong>es westdeutschen, kapitalistischen und antikommunistischen<br />

Separatstaates war die Negation aller außen- und gesellschaftspolitischen<br />

Ziele der <strong>KPD</strong> seit <strong>1945</strong>. Fortan stand für die Partei die »nationale Frage« im Zentrum<br />

ihrer Programmatik und Aktivitäten. Hauptziel war dabei, die Gründung der<br />

Bundesrepublik rückgängig zu machen oder wenigstens die West<strong>in</strong>tegration zu<br />

verh<strong>in</strong>dern und für e<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>igtes Deutschland auf der Grundlage der DDR-<br />

Verfassung von 1949 zu werben. Damit ordnete sie sich <strong>in</strong> die deutschlandpolitische<br />

Konzeption der Sowjetunion e<strong>in</strong>, die e<strong>in</strong>erseits darauf zielte, die West<strong>in</strong>tegration<br />

der Bundesrepublik aufzuhalten, andererseits versuchte, die DDR verstärkt<br />

<strong>in</strong> das eigene Lager e<strong>in</strong>zubeziehen.<br />

<strong>Die</strong>se Politik vertrat die Partei mit e<strong>in</strong>er scharfen, von nationalistischen Argumentationsmustern<br />

geprägten Rhetorik und mit großer Radikalität. Deutlich wurde<br />

dies erstmals auf der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz im März 1949, deren Entschließung<br />

Westdeutschland als »koloniales Ausbeutungsobjekt« der Besatzungsmächte<br />

charakterisierte. 2 Sich selbst sah die <strong>KPD</strong> dabei <strong>in</strong> der Pflicht, »das deutsche Volk<br />

aus dem nationalen Notstand herauszuführen. Sie stellt sich an die Spitze der<br />

Sammlung aller guten Deutschen«. 3 Im Bundestagswahlprogramm rief die <strong>KPD</strong><br />

dann erstmals zur »Schaffung der nationalen Front aller Deutschen auf« 4 und<br />

knüpfte damit an die Formulierungen des Dritten Volkskongresses <strong>in</strong> der sowjeti-<br />

1 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 41.<br />

2 Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong> [5.-6.3.1949], <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente,<br />

a.a.O., Band 1, S. 266ff., hier S. 266.<br />

3 Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong> [5.-6.3.1949], <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente,<br />

a.a.O., Band 1, S. 266ff, hier S. 281.<br />

4 Bundestagswahlprogramm der <strong>KPD</strong> 1949 (24.6.1949), <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S.<br />

285ff., hier S. 286.


150<br />

Politik und Programmatik<br />

schen Besatzungszone an (30. Mai 1949) 5. Während sie dort erst nach der Gründung<br />

der DDR als Rahmen für die Wahlen zur Volkskammer bedeutsam wurde, machte<br />

die <strong>KPD</strong> die »nationale Front« zur Grundlage ihrer Kampagne zur Bundestagswahl.<br />

6<br />

<strong>Die</strong> nationale Frage wurde bei gleichzeitiger Unterordnung sozialer Fragen oder<br />

gar sozialistischer Zielvorstellungen zur Grundlage der <strong>KPD</strong>-Politik. <strong>Die</strong> Konzeption<br />

der »Nationalen Front« als Sammlung »alle(r) Deutschen, ungeachtet ihrer Weltanschauung<br />

und Parteizugehörigkeit«, 7 bezog dabei ausdrücklich auch das Großbürgertum,<br />

ehemalige Wehrmachtsoffiziere und selbst rechtsreaktionäre Kreise bis<br />

h<strong>in</strong> zu ehemaligen und - wie sich später bei punktuellen Kooperationsversuchen<br />

mit der SRP zeigte - neuen Nationalsozialisten e<strong>in</strong>. Beides war schon der eigenen<br />

Mitgliedschaft nur sehr schwer zu vermitteln. 8 <strong>Die</strong> an deutschnationale Emotionen<br />

appellierende Argumentation, <strong>in</strong> der sich die <strong>KPD</strong> pathetisch überhöht selbst als<br />

»das nationale Gewissen« darstellte, 9 konnte auch im damaligen Massenbewusstse<strong>in</strong><br />

kaum auf Akzeptanz treffen. 10 Sie zeigte auch bei der Bundestagswahl ke<strong>in</strong>en<br />

Erfolg. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> erhielt für sie enttäuschende 5,7 Prozent der Zweitstimmen. In der<br />

Analyse bezeichnete der Parteivorstand das Wahlergebnis als »Fehlentscheidung«,<br />

die »entschlossen korrigiert« werden müsse. 11 Als »entscheidend für den mangelnden<br />

Wahlerfolg« sah die Parteiführung das »Unvermögen der Partei <strong>in</strong> ihrer Gesamtheit,<br />

die [...] nach e<strong>in</strong>em Ausweg suchenden Massen davon zu überzeugen,<br />

dass die <strong>KPD</strong> die Kraft besitzt, das von ihr verkündete Programm der nationalen<br />

Befreiung durchzuführen«. 12<br />

In der Folgezeit versuchte die Partei durch e<strong>in</strong>e Vielzahl von Kampagnen,<br />

Bündnissen und Aktionen, e<strong>in</strong>e von ihr geführte breite Massenbewegung gegen die<br />

West<strong>in</strong>tegration und Remilitarisierung der Bundesrepublik zu formieren. 13<br />

E<strong>in</strong> Höhepunkt war die 1951 im wesentlichen von der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>itiierte und getragene<br />

»Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluss e<strong>in</strong>es<br />

5 Vgl. Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf. <strong>Die</strong> nationale Politik<br />

der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1953, 2. durchgesehene Auflage, Berl<strong>in</strong> 1986, S. 88ff.<br />

6 Patrick Major, The death of the <strong>KPD</strong>. Communism and Anti-Communism <strong>in</strong> West-Germany, <strong>1945</strong>-<br />

1956, Oxford 1997, S. 132.<br />

7 Bundestagswahlprogramm der <strong>KPD</strong> 1949 (24.6.1949), a.a.O., S. 289.<br />

8 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1706f.; Patrick Major, The death of<br />

the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 133; Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf,<br />

a.a.O., S. 110.<br />

9 »Wir Kommunisten repräsentieren <strong>in</strong> der kommenden Wahl mehr als e<strong>in</strong>e Partei. Wir s<strong>in</strong>d das<br />

nationale Gewissen, wir s<strong>in</strong>d die wirklichen Patrioten, die dem ganzen Volke den e<strong>in</strong>zig möglichen<br />

Weg zu se<strong>in</strong>er endgültigen Rettung zeigen und dafür kämpfen« (Bundestagswahlprogramm der <strong>KPD</strong> 1949<br />

(24.6.1949), a.a.O., S. 286.).<br />

10 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1706.<br />

11 <strong>Die</strong> Lehren der Wahlen vom 14. August 1949. Resolution des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong>, 16. September 1949, <strong>in</strong>:<br />

Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1956, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1965 (Repr<strong>in</strong>t 1973), S. 196ff.<br />

12 Ebenda, S. 200. Vgl. auch <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1708.<br />

13 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1717.


Politik und Programmatik 151<br />

Friedensvertrages mit Gesamtdeutschland«. 14 Am 14. April 1951 bildete sich der<br />

»Hauptausschuss für Volksbefragung«. Er beschloss, e<strong>in</strong>en Volksentscheid über die<br />

Wiederbewaffnung auch gegen den Willen der Bundesregierung und des Parlaments<br />

durchzuführen. Man glaubte anknüpfen zu können an die nach wie vor antimilitaristische<br />

Stimmung <strong>in</strong> der westdeutschen Gesellschaft. In allen zuvor erhobenen<br />

demoskopischen Erhebungen war e<strong>in</strong>e Mehrheit der Bevölkerung gegen e<strong>in</strong>e<br />

neue deutsche Armee deutlich geworden. 15 Dementsprechend ernst nahm die Bundesregierung<br />

die geplante Volksbefragung und verbot sie bereits am 24. April 1951.<br />

Das Verbot war rechtlich zweifelhaft und führte zu e<strong>in</strong>er Reihe juristischer Maßnahmen<br />

gegen die Unterstützer der Befragung und e<strong>in</strong>e Reihe von teilnehmenden<br />

verme<strong>in</strong>tlichen Tarn<strong>org</strong>anisationen der <strong>KPD</strong>. 16 Trotz des Verbots wurde die Befragung<br />

durchgeführt. <strong>Die</strong> der Bevölkerung v<strong>org</strong>elegte Frage lautete: »S<strong>in</strong>d Sie gegen<br />

die Remilitarisierung Deutschlands und für e<strong>in</strong>en Friedensvertrag mit Deutschland<br />

im Jahre 1951?«. <strong>Die</strong> Volksbefragung wurde 1951 zur zentralen Hauptaufgabe für<br />

die Mitglieder der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong> deren Händen die Durchführung im wesentlichen lag. 17<br />

Trotz des Verbots und zahlreicher Repressionen konnten bis zum März 1952 nach<br />

eigenen Angaben des Hauptausschusses fast sechs Millionen bejahende Unterschriften<br />

gesammelt werden. Obwohl die Volksbefragung ke<strong>in</strong>e konkreten Ergebnisse<br />

zeitigte, konnte sie doch »zu den <strong>in</strong>nenpolitischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen gezählt<br />

werden, die die Aufrüstung verzögert haben«, 18 und war damit auch als außerparlamentarischer<br />

Erfolg der <strong>KPD</strong> zu werten, der jedoch <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Verhältnis<br />

zum betriebenen Aufwand und dem der Befragung zugemessenen Stellenwert<br />

stand.<br />

<strong>Die</strong> nationalistische Rhetorik der <strong>KPD</strong> erreichte Anfang November 1952 ihren<br />

Höhepunkt im »Programm zur Nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands«. 19<br />

Das Programm basierte <strong>in</strong>haltlich im wesentlichen auf den Thesen des »Münchener«<br />

Parteitages von 1951, 20 g<strong>in</strong>g aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er verbalen Radikalität weit darüber<br />

h<strong>in</strong>aus. Schon die Beschreibung der gegenwärtigen »Notlage <strong>in</strong> Westdeutschland«<br />

21 war realitätsfern und <strong>in</strong> ihrer überspitzten Formulierung gegen die westlichen<br />

Besatzungsmächte mehr als befremdlich. Deren Kriegsziel sei nicht gewesen,<br />

»Deutschland von der Hitlerherrschaft zu befreien«, sondern »als Staat zu vernichten,<br />

als Konkurrenten auszuschalten, se<strong>in</strong>e Reichtümer an sich zu reißen und auszubeuten<br />

und unser Volk und Land für die Vorbereitung e<strong>in</strong>es neuen Krieges um<br />

14 Siehe dazu ausführlich: Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf,<br />

a.a.O., S. 141ff.; <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1721ff.<br />

15 Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf, a.a.O., S. 142f.<br />

16 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 62ff.<br />

17 Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf, a.a.O., S. 149f.<br />

18 Ebenda, S. 160.<br />

19 Programm zur nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands. Beschlossen vom PV der <strong>KPD</strong> (2.11.1952), <strong>in</strong>:<br />

<strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 396ff.<br />

20 <strong>Die</strong> gegenwärtige Lage und die Aufgaben der <strong>KPD</strong>. Entschließung des Münchener Parteitags (3.-5.3.1951), <strong>in</strong>:<br />

<strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - <strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 335ff.<br />

21 Programm zur nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands, a.a.O., S. 396.


152<br />

Politik und Programmatik<br />

die Weltherrschaft zu missbrauchen«. 22 <strong>Die</strong> westdeutsche Wirtschaft sei »von<br />

Grund auf überfremdet und des<strong>org</strong>anisiert«, 23 »der amerikanische Imperialismus«<br />

führe »e<strong>in</strong>en systematischen Kampf gegen die deutsche Nationalkultur« und<br />

»deutsche Frauen und Mädchen gelten den Okkupanten als Freiwild« 24. Vollends<br />

absurd wurde die Argumentation mit dem Versuch, e<strong>in</strong>e von den Besatzungsmächten<br />

unabhängige Existenzfähigkeit Deutschlands mit der »Stärke« des 3. Reiches zu<br />

begründen:<br />

»Sie faseln von der ›Führung‹, die es [Deutschland; HB] brauche und der amerikanischen ›Hilfe‹<br />

und Besatzung, ohne die es angeblich nicht leben könne. Aber es ist noch nicht lange her,<br />

dass die Herrschaft der amerikanischen, englischen und französischen Imperialisten sogar <strong>in</strong><br />

ihren eigenen Ländern durch den deutschen Imperialismus erschüttert wurde, und dass nur<br />

der heldenhafte Kampf der Völker der Sowjetunion die Welt vor der Versklavung durch die<br />

faschistische Tyrannei gerettet hat. Damals führte Hitlerdeutschland e<strong>in</strong>en verbrecherischen<br />

Krieg, der folgerichtig mit der Niederlage endete. Aber es kann ke<strong>in</strong> Zweifel daran bestehen,<br />

dass Deutschland, wenn es e<strong>in</strong>e Politik des Friedens und des Fortschritts betreibt, imstande<br />

ist, sich aus eigener Kraft aufzurichten, und dass e<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>igtes, friedliebendes und demokratisches<br />

Deutschland e<strong>in</strong>e bedeutende und unabhängige Rolle <strong>in</strong> der Weltpolitik und Weltwirtschaft<br />

spielen kann und wird.« 25<br />

<strong>Die</strong> Bonner Regierung wurde als Vollstrecker der Besatzungsmächte charakterisiert<br />

und sei deshalb e<strong>in</strong> »Regime des nationalen Verrats«. 26 <strong>Die</strong> daraus erwachsenden<br />

Forderungen wurden später e<strong>in</strong> wesentlicher Begründungspunkt des Verbotsurteils:<br />

»Wenn die Bevölkerung Deutschlands leben will, muss sie das Adenauer-Regime stürzen. [...].<br />

<strong>Die</strong> Unterdrücker werden alle ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel benutzen, um e<strong>in</strong>e<br />

grundlegende Änderung der bestehenden Lage und die nationale Vere<strong>in</strong>igung Deutschlands<br />

zu verh<strong>in</strong>dern. Deshalb muss das Regime Adenauer gestürzt und auf den Trümmern dieses<br />

Regimes e<strong>in</strong> freies, e<strong>in</strong>heitliches, unabhängiges, demokratisches und friedliebendes Deutschland<br />

geschaffen werden. Nur der unversöhnliche und revolutionäre Kampf aller deutschen<br />

Patrioten kann und wird zum Sturz des Adenauer-Regimes und damit zur Beseitigung der<br />

entscheidenden Stütze der Herrschaft der amerikanischen Imperialisten <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

führen.« 27<br />

Das Programm - <strong>in</strong>sbesondere die Losungen vom »Sturz der Adenauer-<br />

Regierung« und dem »revolutionären Kampf aller deutschen Patrioten« - machte<br />

die Fehle<strong>in</strong>schätzung der politischen Lage durch die <strong>KPD</strong> noch e<strong>in</strong>mal deutlich.<br />

Auch wenn das Problem der Wiedervere<strong>in</strong>igung im Bewusstse<strong>in</strong> der Bevölkerung<br />

noch e<strong>in</strong>e Rolle spielte, so war doch angesichts der <strong>in</strong>zwischen deutlichen Konsolidierung<br />

der Bundesrepublik das Ziel e<strong>in</strong>es revolutionären und nationalen Umsturzes<br />

e<strong>in</strong>deutig illusionär.<br />

22 Ebenda.<br />

23 Ebenda, S. 398.<br />

24 Ebenda, S. 399.<br />

25 Ebenda, S. 397.<br />

26 Ebenda, S. 401.<br />

27 Ebenda, S. 404.


Politik und Programmatik 153<br />

<strong>Die</strong> »ke<strong>in</strong>eswegs abenteuerliche(n)« 28 allgeme<strong>in</strong>en Zielsetzungen des Programms<br />

(Wiedervere<strong>in</strong>igung und Verh<strong>in</strong>derung der Remilitarisierung) wurden dabei<br />

von den anvisierten »nationalen« Bündnispartnern <strong>in</strong> christlichen, konservativen,<br />

bürgerlich-pazifistischen und sozialdemokratischen Zusammenhängen durchaus<br />

geteilt. <strong>Die</strong> Demagogie der <strong>KPD</strong> und die ausschließliche Orientierung der Alternativ-Vorschläge<br />

auf die Umsetzung der DDR- und UdSSR-Interessen machten<br />

e<strong>in</strong>e Akzeptanz des Programms außerhalb der Partei jedoch nahezu unmöglich.<br />

Politisch wirksam werden konnte das »Programm zur nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung«<br />

so nicht, und auch die eigene Mitgliedschaft machte es ke<strong>in</strong>eswegs wie gefordert<br />

zur Grundlage ihrer »täglichen Arbeit«. 29 Ab Mitte 1953 begann die <strong>KPD</strong>,<br />

das Programm leicht zu modifizieren und e<strong>in</strong>ige der scharfen Formulierungen wenigstens<br />

abzumildern und zu relativieren. <strong>Die</strong>s geschah offenbar unter dem E<strong>in</strong>druck<br />

der Ereignisse des 17. Juni 1953 <strong>in</strong> der DDR, vor allem aber nach dem desaströsen<br />

Ergebnis der Bundestagswahl im September 1953, das die wachsende Isolation<br />

der Partei zeigte. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> erhielt e<strong>in</strong>en Stimmenanteil von 2,2 Prozent und<br />

war fortan nicht mehr im Bundestag vertreten. 30 Ähnlich hatte zuvor die Entwicklung<br />

<strong>in</strong> den Ländern ausgesehen. Bei allen Landtagswahlen zwischen 1949 und<br />

1951 musste die <strong>KPD</strong> teilweise starke Stimmenverluste h<strong>in</strong>nehmen. In Hessen und<br />

Württemberg-Baden verlor sie 1950 ihre Mandate, <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen sank ihr<br />

Stimmenanteil im selben Jahr von 14 auf 5,5 Prozent, 1954 verlor die <strong>KPD</strong> auch dort<br />

ihre Mandate. 1953 schied sie mit 3,2 Prozent der Stimmen aus der Hamburger<br />

Bürgerschaft aus. Lediglich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> konnte sich die <strong>KPD</strong> relativ stabil halten und<br />

zog 1951 mit 6,4 Prozent (1947: 8,8 Prozent) und auch noch 1955 (5 Prozent) wieder<br />

<strong>in</strong> die Bürgerschaft e<strong>in</strong>. Hier hatte die Partei auch bei der Bundestagswahl 1953 mit<br />

3,9 Prozent ihr bundesweit bestes Ergebnis erzielt. 31 Insgesamt konnte der Abschwung<br />

bei Wahlen zwischen 1953 und 1956 zwar etwas gebremst werden, die<br />

Partei erhielt mit <strong>in</strong>sgesamt 830.000 Stimmen immerh<strong>in</strong> 220.000 mehr als bei der<br />

Bundestagswahl 1953. Trotzdem war die <strong>KPD</strong> 1956 nur noch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und <strong>in</strong><br />

Niedersachsen (1955: 1,3 Prozent) 32 <strong>in</strong> den Landesparlamenten vertreten.<br />

Ab 1953 begann die <strong>KPD</strong> unter dem E<strong>in</strong>druck dieser Ergebnisse, vor allem aber<br />

auch im Zuge der veränderten Deutschlandpolitik der Sowjetunion und der Entwicklung<br />

der DDR, sukzessive vom Programm der Nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />

abzurücken. Bereits Mitte 1953 - nach dem 17. Juni <strong>in</strong> der DDR - rückte die <strong>KPD</strong><br />

von der Parole vom »revolutionären Sturz des Adenauerregimes« ab. 33 Nach der<br />

Ratifizierung der Pariser Verträge und dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATO<br />

war die Taktik der »nationalen Front« endgültig obsolet geworden. <strong>Die</strong> Partei mo-<br />

28 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1717.<br />

29 Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf, a.a.O., S. 185.<br />

30 Zur Bundestagswahl 1953 galt erstmals die 5-Prozent-Klausel. Vgl. Jens Ulrich Jens-Ulrich Klocks<strong>in</strong>,<br />

Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 295f. Dort auch e<strong>in</strong>e weitere Diskussion der Gründe für die<br />

<strong>KPD</strong>-Niederlage (S. 292ff.).<br />

31 Jens-Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 295.<br />

32 In Niedersachsen galt ke<strong>in</strong>e 5-Prozent-Klausel<br />

33 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1735; Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische<br />

Demokratie und nationaler Befreiungskampf, a.a.O., S. 185.


154<br />

Politik und Programmatik<br />

difizierte nun auch offiziell ihre L<strong>in</strong>ie und setzte mit der programmatischen Erklärung<br />

»<strong>Die</strong> neue Lage und die neuen Aufgaben <strong>in</strong> Westdeutschland« die Akzente<br />

wieder mehr auf soziale Aspekte. 34 Nach dem XX. Parteitag der KPdSU, der die<br />

friedliche Koexistenz der Systeme proklamierte, verwarf die <strong>KPD</strong> schließlich endgültig<br />

ihre seit 1948/49 verb<strong>in</strong>dliche politische Strategie. In e<strong>in</strong>er Erklärung des<br />

Parteivorstandes vom März 1956 wurde die Losung vom »revolutionären Sturz des<br />

Adenauerregimes« als falsch bezeichnet und betont, dass die Partei »vom Boden<br />

der Demokratie aus« kämpfe. 35 Das explizite Abrücken von dem »Programm zur<br />

Nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung« hatte neben den generellen, auf den Beschlüssen<br />

des XX. Parteitags beruhenden Gründen auch juristisch-taktische. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> versuchte<br />

mit H<strong>in</strong>weis auf die neue programmatische Erklärung, beim Bundesverfassungsgericht<br />

e<strong>in</strong>e Neueröffnung des Verbots-Verfahrens und der Beweisaufnahme<br />

zu erwirken, kam damit aber nicht durch. <strong>Die</strong> Begründung des Verbotsurteils vom<br />

17. August 1956 basierte denn auch im wesentlichen auf dem »Programm zur Nationalen<br />

Wiedervere<strong>in</strong>igung«.<br />

2. <strong>Die</strong> »Nationale Politik« <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

<strong>Die</strong> Übernahme und Umsetzung der nationalen Argumentationsmuster <strong>in</strong> der<br />

Bremer <strong>KPD</strong> geschah zunächst - ähnlich wie bei der Titoismus-Kampagne - eher<br />

zögerlich. <strong>Die</strong> Entschließung des ersten Landesparteitages (11./12. Juni 1949) billigte<br />

zwar die Beschlüsse der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz, übernahm jedoch nur<br />

wenig von deren national-betonten Phrasen, die lediglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zitat wörtlich<br />

wiedergegeben wurden. 36 E<strong>in</strong> Instrukteur schrieb, es habe auf dem Parteitag bezüglich<br />

»der nationalen Frage« »Unklarheiten« gegeben. 37 Auch der Landesvorsitzende<br />

Willy Knigge kritisierte später, <strong>in</strong> der Diskussion auf dem Parteitag sei »nicht genügend<br />

klar unser Kampf um e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>iges unabhängiges Deutschland zum Ausdruck«<br />

gekommen. 38<br />

Tatsächlich konzentrierte sich der ›eigenständige‹ Text der Entschließung auf<br />

die »Auswirkungen der Kolonialpolitik auf die Freie Hansestadt <strong>Bremen</strong>« und ver-<br />

34 <strong>Die</strong> neue Lage und die neuen Aufgaben <strong>in</strong> Westdeutschland. Programmatische Erklärung des Parteivorstandes<br />

der <strong>KPD</strong>, 16. Oktober 1955, <strong>in</strong>: Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-1956, a.a.O., S. 524ff.; Vgl. auch <strong>Die</strong>trich Staritz,<br />

<strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1737.<br />

35 Es muss und kann anders werden. Erklärung der 23. PV-Tagung der <strong>KPD</strong> (18.3.1956), <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>.<br />

Dokumente, a.a.O., Bd. 2, S. 97ff. Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 62f.; <strong>Die</strong>trich Staritz,<br />

<strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1738ff.<br />

36 Zur Politik der Partei im Kampf um die nationale E<strong>in</strong>heit und e<strong>in</strong>en gerechten Frieden. Entschließung des Parteitages<br />

der <strong>KPD</strong>, Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/2.<br />

37 Bericht über me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Hilfe bei der Organisierung der Wahlkampagne im Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>,<br />

<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

38 Protokoll der Vorstandssitzung der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong> am Donnerstag, dem 16. Juni 1949, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/2.


Politik und Programmatik 155<br />

suchte diese mit Zahlen und Analysen fundiert zu belegen. <strong>Die</strong> Entschließung<br />

stand damit noch eher <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>ie der ersten »pragmatischen« Nachkriegsjahre<br />

denn im Kontext der nun wirksam werdenden Neuorientierung auf die »nationale<br />

Frage«. Deutlich wurde dies auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Passage der Entschließung, die noch<br />

e<strong>in</strong>mal - fast anderthalb Jahre später - die Regierungsbildung Anfang 1948 kritisierte,<br />

seit der die <strong>KPD</strong> nicht mehr im Bremer Senat vertreten war.<br />

Mit dem kurz nach dem Parteitag beg<strong>in</strong>nenden Wahlkampf für die Bundestagswahl<br />

am 14. August 1949 änderte sich dieses Bild. <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong> machte wie<br />

die Bundespartei die Frage der deutschen E<strong>in</strong>heit und das Konzept der »nationalen<br />

Front« zur Grundlage ihrer Wahlpropaganda. <strong>Die</strong> Tribüne der Demokratie schrieb<br />

unter der Überschrift »Ne<strong>in</strong> zu Bonn! Ja zu Deutschland!«:<br />

»Am Tage der Bundestagswahl haben wir alle darüber zu entscheiden, ob unser Vaterland e<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>heitliches Deutschland se<strong>in</strong> soll oder ob die Spaltung endgültig ist. Alle aufrechten Deutschen<br />

werden mit uns dafür kämpfen, dass Deutschland wieder frei und unabhängig leben<br />

kann.« 39<br />

<strong>Die</strong> nationale Rhetorik gipfelte schließlich unmittelbar vor der Wahl <strong>in</strong> der Überschrift<br />

auf der Titelseite der Tribüne der Demokratie: »Deutschland den Deutschen!«.<br />

40<br />

Dass die Parteibasis solche Parolen ver<strong>in</strong>nerlichte und während des Wahlkampfs<br />

aktiv vertrat, ist zweifelhaft, und die während des Parteitags und auf folgenden<br />

Konferenzen aufgetretenen »Unklarheiten« sprechen eher dagegen. <strong>Die</strong><br />

Bremer Parteileitung hatte außerdem beschlossen, zwar »den Wahlkampf unter den<br />

großen Parolen der Wahlplattform der <strong>KPD</strong> zu führen, ihn aber gleichzeitig durch<br />

konkrete Fragen stärkstens zu untermauern«. <strong>Die</strong>s habe sich als notwendig erwiesen,<br />

»weil sich <strong>in</strong> der Vergangenheit gezeigt hatte, dass zu Versammlungen, die unter<br />

allgeme<strong>in</strong>en Parolen standen wie z.B. ›Frieden, Freiheit und nationale Souveränität‹<br />

<strong>in</strong> der Mehrzahl der Fälle nur e<strong>in</strong> außerordentlich ger<strong>in</strong>ger Versammlungsbesuch<br />

zu erreichen war.« 41<br />

Das enttäuschende Ergebnis der Bundestagswahl nahm die Bremer Partei zunächst<br />

eher nüchtern zur Kenntnis. In <strong>Bremen</strong> erhielt die <strong>KPD</strong> 20.530 Zweitstimmen<br />

(6,8 Prozent). <strong>Die</strong> Stimmenzahl entsprach <strong>in</strong> etwa der von der Bürgerschaftswahl<br />

1947 (19.290), bedeutete aber prozentual e<strong>in</strong>en Verlust, da sowohl die Zahl der<br />

Wahlberechtigten wie auch die Wahlbeteiligung 1949 wesentlich höher waren.<br />

E<strong>in</strong>e breite Diskussion oder Analyse des Wahlergebnisses erfolgte <strong>in</strong> der Bremer<br />

<strong>KPD</strong> nicht. Willy Knigge verwies <strong>in</strong> der Sekretariatssitzung am 15. August 1949 auf<br />

den noch auszuarbeitenden »e<strong>in</strong>heitlichen Kommentar« des Parteivorstands und<br />

forderte lediglich, die Ursachen des prozentualen Verlustes festzustellen. 42 E<strong>in</strong>ige<br />

Tage später konstatierte er, das Wahlergebnis werde<br />

39 Ne<strong>in</strong> zu Bonn! Ja zu Deutschland!, Tribüne der Demokratie Nr. 7/1949.<br />

40 Deutschland den Deutschen, Tribüne der Demokratie Nr. 8/1949 (2. Augustwoche).<br />

41 Bericht über me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Hilfe bei der Organisierung der Wahlkampagne im Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>,<br />

<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

42 Protokoll der Sekretariatssitzung <strong>Bremen</strong> am 15.8.1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.


156<br />

Politik und Programmatik<br />

»<strong>in</strong> der Partei oft falsch diskutiert. Besonders im Land <strong>Bremen</strong> ist e<strong>in</strong>e gewisse Selbstzufriedenheit<br />

der Genossen festzustellen, die gern die 1400 gewonnenen Stimmen als günstiges Zeichen<br />

werten. Auf der anderen Seite ist e<strong>in</strong>e starke Strömung zu verzeichnen, die das unbefriedigende<br />

Wahlresultat im gesamtdeutschen Rahmen sehen und dieses gern den außenpolitischen<br />

Entscheidungen der SU und den Volksdemokratien bezw. der SED zuschieben wollen.«<br />

43<br />

In der Landesleitung wurde vor allem die starke Orientierung auf die »nationale<br />

Frage« für das Wahlergebnis verantwortlich gemacht. <strong>Die</strong> »Propagierung der nationalen<br />

Front im Stil der Ostzone« sei »für die Westbevölkerung unverständlich«,<br />

kritisierte Karl Grobe. Man müsse, so e<strong>in</strong> weiteres LL-Mitglied, »mehr die sozialen<br />

Probleme <strong>in</strong> den Vordergrund schieben, mehr vom sozialistischen Standpunkt betrachten«.<br />

Käthe Popalls Kommentar fasste das Protokoll zusammen mit den Worten:<br />

»Zuviel national, zuviel Deutschland«. 44<br />

Tatsächlich also erzeugte die Konzentration auf die nationale Front <strong>in</strong> der Bremer<br />

<strong>KPD</strong> bis <strong>in</strong> die Leitungsebene eher Befremden, und ihre Umsetzung verlief<br />

gleichzeitig ähnlich wie bei der Titoismus-Kampagne: zögerlich, abwartend und<br />

manchmal abwehrend. Auch die Reaktion auf das Ergebnis der Bundestagswahl<br />

war ke<strong>in</strong>eswegs vom Bewusstse<strong>in</strong> um e<strong>in</strong>e besondere Dramatik gekennzeichnet,<br />

wie sie dann <strong>in</strong> der Resolution des Parteivorstandes vom 14./15. September 45 zum<br />

Ausdruck kam.<br />

Erst danach wurden auch die Töne <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> schärfer. <strong>Die</strong> Landesleitung verabschiedete<br />

am 25. September 1949 auf der Grundlage der PV-Resolution e<strong>in</strong>e eigene<br />

Entschließung, die ebenfalls <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Titoismuskampagne <strong>in</strong> den Mittelpunkt<br />

stellen sollte, den Mitgliedern aber auch deutlich machte, dass die Bundestagswahl<br />

e<strong>in</strong>e politische Zäsur für die <strong>KPD</strong> bedeutete. Man halte es nun für notwendig,<br />

»den Ernst der gegenwärtigen politischen Lage allen Parteimitgliedern aufzuzeigen. In den<br />

nach den Wahlen stattgefundenen Zusammenkünften der Partei gab es auch <strong>in</strong> unserem Arbeitsgebiet<br />

e<strong>in</strong>ige selbstzufriedene Stimmen, weil die Partei zahlenmäßig zugenommen und<br />

sich gemessen an der Hetze gut geschlagen habe. Das deutsche Volk hat am 14.8.49 e<strong>in</strong>e Fehlentscheidung<br />

getroffen. <strong>Die</strong> Wähler der bürgerlichen Parteien und der Unabhängigen haben<br />

ohne es zu wollen e<strong>in</strong>e Entscheidung getroffen, die die Existenz der deutschen Nation gefährdet.<br />

<strong>Die</strong>se Entscheidung wurde erreicht durch die Hetze gegen die SU, die volksdemokratischen<br />

Länder und die <strong>KPD</strong>, mit dem Ziel, das deutsche Volk von dem Kampf um se<strong>in</strong>e wichtigsten<br />

Lebensfragen abzulenken. <strong>Die</strong>se Lebensfragen s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>heit Deutschlands, der Abzug<br />

aller Besatzungsmächte und die nationale Unabhängigkeit. [...]. In Bonn s<strong>in</strong>d Reaktionäre<br />

zur Macht gekommen, die 1932/33 Hitler an die Macht brachten, der die deutsche Nation <strong>in</strong><br />

die Katastrophe führte.« 46<br />

43 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 19.8.1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

44 Protokoll der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong> am Sonnabend, 27. August 1949, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

45 <strong>Die</strong> Lehren der Wahlen vom 14. August 1949. Resolution des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong>, 16. September 1949, <strong>in</strong>:<br />

Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1956, a.a.O., S. 196ff.<br />

46 Resolution, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.


Politik und Programmatik 157<br />

<strong>Die</strong> <strong>in</strong> dieser dramatischen Form für <strong>Bremen</strong> neuen Formulierungen waren -<br />

teilweise wörtlich - angelehnt an die Resolution des Parteivorstands. 47 <strong>Die</strong> Bremer<br />

Erklärung hatte wie die bundesweite eher die <strong>in</strong>nerparteilichen Verhältnisse im<br />

Auge, denn den Charakter e<strong>in</strong>er politischen Analyse oder Programmatik. <strong>Die</strong> beschlossenen<br />

Maßnahmen (Parteiversammlungen, Verpflichtungserklärungen etc.)<br />

sollten »die Aussprache über die nationale Front, die Bedeutung und Rolle der Politik<br />

Titos, Fragen des <strong>in</strong>ternationalen Klassenkampfes, des Verhältnisses unserer<br />

Partei zur SPD, der falschen Duldsamkeit gegenüber dem zersetzenden E<strong>in</strong>fluss<br />

parteife<strong>in</strong>dlicher Auffassungen« eröffnen und zielten damit auf <strong>in</strong>nerparteiliche<br />

Diszipl<strong>in</strong>ierung und Aktivierung.<br />

So beschäftigten sich die Führungsgremien der Bremer Landes<strong>org</strong>anisation <strong>in</strong><br />

der Folgezeit tatsächlich vor allem mit diesen <strong>in</strong>nerparteilichen Problemen. <strong>Die</strong><br />

»Nationale Politik« war kaum e<strong>in</strong> Thema, und wenn dann nur im Zusammenhang<br />

mit der Umgestaltung der Partei. Im April 1950 hielt Willy Knigge vor der Landesleitung<br />

e<strong>in</strong> Referat unter der Überschrift »Mit der nationalen Front um Frieden,<br />

E<strong>in</strong>heit und Unabhängigkeit«, <strong>in</strong> dem es nahezu ausschließlich um die »ideologische<br />

Klärung und <strong>org</strong>anisatorische Festigung« der <strong>KPD</strong> g<strong>in</strong>g, nicht aber um das im<br />

Titel genannte Thema. 48<br />

<strong>Die</strong>ses Verhältnis blieb <strong>in</strong> den folgenden Jahren bestehen. Theoretisch und propagandistisch<br />

wurde die »nationale Politik« das alles beherrschende Schwerpunktthema<br />

der Partei, das die Mitglieder und auch die Leitung aber nie richtig annahmen.<br />

Der Versuch, mit der Gründung der »Nationalen Front« (NF) e<strong>in</strong>e bündnisorientierte<br />

Organisationsform für diese Politik zu etablieren, scheiterte mehr oder<br />

weniger kläglich. 49 Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> spielte die partei<strong>in</strong>tern als »Massen<strong>org</strong>anisation«<br />

geführte NF so gut wie ke<strong>in</strong>e Rolle und konnte sich weder <strong>org</strong>anisatorisch etablieren<br />

noch nennenswerten E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> der Bevölkerung bzw. bei den gewünschten<br />

Bündnispartnern gew<strong>in</strong>nen. 50<br />

Folgerichtig wurde sehr schnell die nationale Politik mit der Friedenspolitik<br />

und dem Kampf gegen die Wiederbewaffnung verknüpft. Bereits auf der 15. PV-<br />

Tagung im März 1950 konstatierte Max Reimann diese Verknüpfung: »Der Kampf<br />

um Frieden und die Bewegung der Nationalen Front des demokratischen Deutsch-<br />

47 <strong>Die</strong> Lehren der Wahlen vom 14. August 1949. Resolution des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong>, 16. September 1949,<br />

a.a.O., hier besonders S. 196f.<br />

48 Protokoll über die Landesvorstandssitzung am Freitag den 7. April 1950, Waller R<strong>in</strong>g 41, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/2.<br />

49 Vgl. dazu ausführlich Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf,<br />

a.a.O., S. 93ff.; außerdem Patrick Major, The death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 131ff.<br />

50 Mit He<strong>in</strong>rich Nolte war zwar e<strong>in</strong> (ehemaliger) Spitzenfunktionär für die NF verantwortlich, dennoch<br />

fand die Organisation selbst im Sekretariat und der zuständigen Abteilung für Massen<strong>org</strong>anisation<br />

strategisch und thematisch kaum Erwähnung, zumal im Vergleich mit anderen Massen<strong>org</strong>anisationen<br />

(FDJ, DFD, GdsF). In den Organisations-Statistiken von 1951 wird die NF entweder überhaupt nicht<br />

oder aber mit null Parteimitgliedern aufgeführt (SAPMO I 11/20/15).


158<br />

Politik und Programmatik<br />

land ist e<strong>in</strong> und dasselbe«. 51 <strong>Die</strong>ses Junktim war naheliegend. Das Problem der<br />

Wiederbewaffnung war <strong>in</strong>zwischen wieder aktuell geworden und besaß - nur fünf<br />

Jahre nach Kriegsende - im Bewusstse<strong>in</strong> der Bevölkerung e<strong>in</strong>e hohe Relevanz. Auch<br />

die <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft selbst konnte sich mit der Friedenspolitik eher identifizieren<br />

als mit der »Nationalen Front«, die ideologisch abstrakt blieb, sich offen an<br />

Konzepte der DDR anlehnte sowie die Anerkennung der führenden Rolle der Sowjetunion<br />

zur Bed<strong>in</strong>gung machte und damit <strong>in</strong> der täglichen politischen Arbeit<br />

schwer vermittelbar war. 52<br />

Fortan waren »nationale Politik« und Friedenspolitik für die <strong>KPD</strong> Synonyme,<br />

die zur Grundlage jeglichen politischen Handelns der Partei werden sollten. Dabei<br />

wurde der Schwerpunkt vor allem auf die Entwicklung e<strong>in</strong>er Friedensbewegung<br />

und die Initiierung von Bündnissen außerhalb der Partei gelegt. An der Treue zur<br />

Sowjetunion ließ die <strong>KPD</strong> zwar auch hier ke<strong>in</strong>erlei Zweifel, machte sie aber nicht<br />

mehr zur Bed<strong>in</strong>gung für die Bündnisse. 53 Im Gegenteil wurde versucht, die Beteiligung<br />

von Kommunisten nicht zu massiv ersche<strong>in</strong>en zu lassen und nach außen die<br />

Selbständigkeit der jeweiligen Organisationen und »Bewegungen« zu betonen.<br />

1950 wurde zunächst die Rolle <strong>Bremen</strong>s und Bremerhavens als zentrale Nachschubhäfen<br />

der amerikanischen Besatzungsmacht zu e<strong>in</strong>em Anknüpfungspunkt für<br />

die <strong>KPD</strong>, dem sie »zentrale Bedeutung [...] für den Kampf um den Frieden und damit<br />

für die gesamte politische Arbeit« 54 beimaß. Dabei g<strong>in</strong>g es vor allem um die<br />

Verh<strong>in</strong>derung von Waffenentladungen durch die Hafenarbeiter. Bereits im Februar<br />

1950 forderte die Tribüne der Demokratie vehement dazu auf, die Entladung von<br />

Kriegsmaterialien zu verweigern und sich damit dem Beispiel von Häfen <strong>in</strong> Frankreich,<br />

Belgien, Italien und Holland anzuschließen. 55 Nachdem dieser Aufruf ohne<br />

wesentliche Resonanz geblieben war, <strong>in</strong>tensivierte die <strong>KPD</strong> im April 1950 die Kampagne.<br />

Initiator war der Parteivorstand <strong>in</strong> Frankfurt. In e<strong>in</strong>er Sondersitzung mit<br />

dem Bremer Sekretariat am 11. April <strong>in</strong> Frankfurt wiesen Vertreter des PV »auf den<br />

besonderen Ernst der Lage« h<strong>in</strong>, »besonders h<strong>in</strong>sichtlich des Versuches der USA-<br />

Imperialisten, die Kriegsvorbereitungen zu verstärken«. 56 Andere europäische Häfen<br />

seien »durch die Aktionen der Arbeiterschaft [...] als E<strong>in</strong>fuhr-Häfen für Kriegsmaterial<br />

aus USA ausgefallen. <strong>Die</strong> Schaffung der amerikanischen Enklave <strong>Bremen</strong><br />

diente von Anfang an dem Ziel, diese bei Kriegsvorbereitungen als Landungsstellen<br />

für Kriegsmaterial zu benutzen«. 57 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> sei dabei bisher, so zitierte<br />

e<strong>in</strong> Bremer Sekretariatsmitglied e<strong>in</strong>en PV-Vertreter,<br />

»äußerst mangelhaft und der Parteivorstand betrachte die Lage <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> mit berechtigter<br />

S<strong>org</strong>e. Im Kampf um die Erhaltung des Friedens blicken die friedliebenden Kräfte <strong>in</strong> der Welt<br />

51 Zit. nach Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf, a.a.O., S. 96.<br />

Vgl. auch Mit der Nationalen Front um Frieden, E<strong>in</strong>heit und Unabhängigkeit, Kommuniqué der 15. Tagung<br />

des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: Dokumente der <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> - 1956, a.a.O.,, S. 233f.<br />

52 Vgl. Michael Kle<strong>in</strong>, Antifaschistische Demokratie und nationaler Befreiungskampf, a.a.O., S. 96.<br />

53 Ebenda, S. 97.<br />

54 Bericht über Instruktion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven am 7.8.1950, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/2.<br />

55 Ke<strong>in</strong>en Handschlag für den Krieg!, Tribüne der Demokratie, Nr. 6/1950.<br />

56 Protokoll über die Sekretariatssitzung vom 12.4.1950 im Parteihaus Waller R<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

57 Ebenda.


Politik und Programmatik 159<br />

auf die Werktätigen im Lande <strong>Bremen</strong>. Somit laste auf unserer Organisation im Lande <strong>Bremen</strong><br />

e<strong>in</strong>e ungeheure Verantwortung.« 58<br />

Als erste Maßnahme wurde die kurzfristige E<strong>in</strong>berufung e<strong>in</strong>er großen Parteiarbeiterkonferenz<br />

für den 16. April 1950 - fünf Tage nach der Sitzung mit dem PV -<br />

beschlossen. Das Bremer Sekretariat befasste sich am 12. April 1950 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sondersitzung<br />

mit dem Thema. Ziel der Konferenz sei »die Mobilisierung der Partei und<br />

der Werktätigen. <strong>Die</strong> Parteigenossen glauben jetzt noch nicht an e<strong>in</strong>en Krieg«. Willy<br />

Knigge konstatierte e<strong>in</strong>e »Gleichgültigkeit <strong>in</strong> diesen wichtigen Fragen. [<strong>Die</strong>] Häfen<br />

<strong>in</strong> Frankreich und Italien liegen voll Schiffe mit Waffen und werden nicht entladen<br />

[...] und wir?«. 59<br />

<strong>Die</strong> Partei schaffte es tatsächlich, die Konferenz nur vier Tage später mit 350<br />

Teilnehmern zu <strong>org</strong>anisieren. 60 Willy Knigge wie auch Walter Fisch vom Parteivorstand<br />

versuchten <strong>in</strong> ihren Eröffnungsreden noch e<strong>in</strong>mal, den anwesenden Mitgliedern<br />

die Bedeutung Bremerhavens und der Tagung bewusst zu machen. »<strong>Die</strong> <strong>in</strong>ternationale<br />

Arbeiterschaft blickt auf Br.haven. <strong>Die</strong> Friedensbewegung <strong>in</strong> der Welt<br />

umfasst 900 Millionen Menschen und diese Menschen schauen jetzt auf die deutsche<br />

Arbeiterschaft. Wir müssen e<strong>in</strong>en 3. Weltkrieg verh<strong>in</strong>dern und e<strong>in</strong>en dauerhaften<br />

Frieden erkämpfen«, so Knigge. 61 Auch Walter Fisch, der die Hauptrede hielt, 62<br />

fand pathetische Worte und gab die künftige Leitl<strong>in</strong>ie für die Bremer <strong>KPD</strong> vor:<br />

»Alles was die Partei tut und spricht muss auf die Rolle, welche <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven <strong>in</strong><br />

den Kriegsplänen unserer Gegner spielt, zugeschnitten se<strong>in</strong>. Es muss der ganze Ehrgeiz, die<br />

ganze Opferbereitschaft e<strong>in</strong>es jeden e<strong>in</strong>zelnen Genossen hier <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>zutreten dafür,<br />

dass <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven nicht e<strong>in</strong> dunkler Punkt <strong>in</strong> der Geschichte der Arbeiterbewegung<br />

se<strong>in</strong> wird.« 63<br />

<strong>Die</strong> darauffolgende Diskussion beschränkte sich weitgehend auf Berichte aus<br />

e<strong>in</strong>zelnen Hafenbetriebsgruppen (<strong>Bremen</strong>, Bremerhaven, Brake, Nordenham) oder<br />

anderen Betriebe, die weiter nicht explizit auf das Thema Waffenentladungen e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>gen.<br />

Zu recht bemerkte e<strong>in</strong> Teilnehmer zum Schluss, es sei ja »nur von wenigen<br />

Genossen gesagt geworden, worauf es ankommt, nämlich unseren Kampf um den<br />

Frieden«. 64<br />

Den stellte dafür abschließend Willy Knigge noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> den Mittelpunkt.<br />

Knigge warnte die Partei dabei vor re<strong>in</strong> pazifistischen Tendenzen:<br />

»Bei den Losungen, die von uns <strong>in</strong> das Volk h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen werden sollen, haben wir besonders<br />

darauf zu achten, dass ke<strong>in</strong>e pazifistischen Losungen wie ›Nie wieder Krieg‹ geschrieben<br />

werden. Durch solche Losungen erwecken wir falsche Illusionen bei dem Volk. Wir haben bei<br />

der ideologischen Klärung und Festigung unserer Partei <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der Aufgabe des<br />

58 Ebenda.<br />

59 Ebenda.<br />

60 Parteiarbeiterkonferenz <strong>Bremen</strong> am 16.4.1950 [Bericht Walter Fisch, PV], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/4.<br />

61 Ebenda.<br />

62 Siehe auch Bremerhaven <strong>in</strong> der Kriegsstrategie, Tribüne der Demokratie Nr. 16/1950.<br />

63 Parteiarbeiterkonferenz der <strong>KPD</strong>, Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong>, am 16. April 1950 <strong>in</strong> Bremerhaven [Protokoll],<br />

<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/4.<br />

64 Ebenda.


160<br />

Politik und Programmatik<br />

Kampfes um den Frieden [...] die Frage [zu] klären der gerechten und ungerechten Kriege,<br />

dann können wir auch die richtigen Losungen <strong>in</strong> unser Volk h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>tragen.« 65<br />

<strong>Die</strong> Ablehnung des Pazifismus unter der nach Kriegsende <strong>in</strong> Deutschland weit<br />

verbreiteten Losung »Nie wieder Krieg« wurde letztlich auch zu e<strong>in</strong>em zentralen<br />

Problem im Verhältnis der <strong>KPD</strong> zu anderen Teilen der Friedensbewegung, besonders<br />

aus christlichen und bürgerlichen Kreisen. »Unser Verhältnis zu den Pazifisten<br />

war völlig ungeklärt«, so Hermann Gautier. 66 Das galt auch für das etwa zeitgleich<br />

mit den Aktionen gegen die Waffenentladungen von der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>itiierte »Komitee<br />

der Kämpfer für den Frieden« (später »Landesfriedenskomitee«, LFK), das vor allem<br />

<strong>in</strong> bürgerliche Kreisen wirken sollte und das <strong>in</strong> den folgenden Jahren zu e<strong>in</strong>em<br />

Mittelpunkt der Bremer Friedensbewegung wie auch der Bündnisbemühungen der<br />

<strong>KPD</strong> wurde. 67<br />

Das Bremer »Komitee der Kämpfer für den Frieden«, gegründet im Februar<br />

1950, 68 war Teil e<strong>in</strong>er weltweit agierenden und im wesentlichen von dem Kom<strong>in</strong>form<br />

<strong>in</strong>itiierten, aber auch anderen Kräften getragenen Friedensbewegung. An ihrer<br />

Spitze stand der 1949 etablierte Weltfriedensrat. 69 <strong>Die</strong>ser verabschiedete im März<br />

1950 den sogenannten »Stockholmer Appell«, der e<strong>in</strong> weltweites Verbot von Atomwaffen<br />

forderte. 70 Der Appell wurde zur Grundlage e<strong>in</strong>er breiten Kampagne,<br />

bei der auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zwischen April und Juni 1950, vor allem vom Friedenskomitee<br />

und der <strong>KPD</strong>, Unterschriften gesammelt wurden.<br />

Das Friedenskomitee wie auch allgeme<strong>in</strong> der »Kampf um den Frieden« wurde<br />

von der Parteibasis zunächst nur schleppend angenommen. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war zwar federführend<br />

- erster Landessekretär und Geschäftsführer wurde Hermann Gautier,<br />

e<strong>in</strong>er der beiden Vorsitzenden war mit Ge<strong>org</strong> Gumpert ebenfalls e<strong>in</strong> Kommunist -,<br />

im Sekretariat bemängelte jedoch <strong>in</strong> den ersten Wochen und Monaten nach der<br />

Gründung des Friedenskomitees der zuständige Sekretär He<strong>in</strong>rich Schramm des öfteren<br />

die mangelnde Unterstützung durch die Mitglieder. In der Partei sei »dieser<br />

Gedanke und diese Arbeit nicht voll erkannt« und bei den Sitzungen des Komitees<br />

fehlten »ausgerechnet unsere Genossen«. 71 Auch die Beteiligung an der Unterschriftensammlung<br />

ließ zu wünschen übrig. Bis Mitte Juni 1950 waren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

15.000 Unterschriften gesammelt worden, das v<strong>org</strong>egebene Soll lag bei 30.000. 72<br />

65 Ebenda.<br />

66 Zit. nach Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 61.<br />

67 Vgl. ebenda, S. 60.; Rolf Stelljes, Das Bremer Landesfriedenskomitee, <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge et al.<br />

(Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg, a.a.O., S. 161-170.<br />

68 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 59.<br />

69 Vgl. zum Weltfriedensrat ausführlich Rüdiger Schlaga, <strong>Die</strong> Kommunisten <strong>in</strong> der Friedensbewegung -<br />

erfolglos? <strong>Die</strong> Politik des Weltfriedensrates im Verhältnis zur Außenpolitik der Sowjetunion und zu<br />

unabhängigen Friedensbewegungen im Westen (1950-1979), Münster/Hamburg 1991.<br />

70 Vgl. Rüdiger Schlaga, <strong>Die</strong> Kommunisten <strong>in</strong> der Weltfriedensbewegung, a.a.O., S. 65ff; Wortlaut des<br />

Appells S. 66. Das »Westdeutsche Friedenskomitee« wurde Anfang November 1950 gegründet. Wilhelm<br />

Meyer-Buer, Fraktionsvorsitzender und Sekretariatsmitglied der Bremer <strong>KPD</strong>, war 1953 dessen<br />

Vorsitzender.<br />

71 Protokoll über die Sekretariatssitzung vom 25.3.1950 im Parteihaus Waller R<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

72 Nach Angaben von Willy Knigge auf e<strong>in</strong>er LV-Sitzung (Protokoll über die 10. Landesvorstandssitzung des<br />

L.V.-<strong>Bremen</strong>, am 25.6.1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2). Knigge sprach von »nur« 15.000 Unterschriften. In


Politik und Programmatik 161<br />

<strong>Die</strong> genannten ersten größeren friedenspolitischen Aktionen und Bündnisbemühungen<br />

- Mobilisierung der Hafenarbeiter, Gründung des Friedenskomitees und<br />

Unterschriftensammlung für den Stockholmer Appell - versuchte die <strong>KPD</strong> im Juli<br />

1950 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Konferenz zu bündeln. <strong>Die</strong> bundesweite »Konferenz<br />

der Hafenarbeiter, Seeleute und B<strong>in</strong>nenschiffer« und der Bremer Landeskongress<br />

des »Komitees der Kämpfer für den Frieden« tagten geme<strong>in</strong>sam am 8. und 9. Juli<br />

1950 <strong>in</strong> der Bremer Sporthalle. 73 <strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong>-Leitung hatte ursprünglich geplant,<br />

nur die Hafenarbeiterkonferenz zu veranstalten. <strong>Die</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem<br />

Landesfriedenskongress war auf Anweisung des Parteivorstands zustande gekommen.<br />

74 <strong>Die</strong> Delegierten der Hafenarbeiterkonferenz gründeten e<strong>in</strong> »Friedenskomitee<br />

der Hafenarbeiter, Seeleute und B<strong>in</strong>nenschiffer Deutschlands« mit Sitz <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong>. Das Komitee sollte die Gründung von weiteren Friedenskomitees <strong>in</strong> allen<br />

deutschen Häfen koord<strong>in</strong>ieren und vorantreiben. <strong>Die</strong> Konferenz, an der auch der<br />

FDGB-Vorsitzende Herbert Warnke aus der DDR teilnahm, verabschiedete außerdem<br />

e<strong>in</strong>e Resolution, <strong>in</strong> der die Verweigerung von Waffenentladungen und -<br />

transporten gefordert wurde. 75<br />

Große Wirkung hatte die Konferenz nicht. »Von den Beschlüssen der Parteiarbeiterkonferenz<br />

im April und der Friedens- und Hafenarbeiterkonferenz im Juli<br />

wurde bisher so gut wie nichts realisiert«, berichtete Walter Fisch vom Parteivorstand<br />

im August 1950. In Bremerhaven stünden »an der Spitze der Waffenentladungen<br />

Kommunisten« und es sei bislang »nicht e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige konkrete Handlung<br />

gegen die Entladungen zu verzeichnen«. Fisch wies die Verantwortung dafür auch<br />

dem Bremer Sekretariat zu, das über die Lage im Hafen »erschreckend wenig unterrichtet«<br />

sei. <strong>Die</strong> Parteiführung erkenne nicht die »zentrale Bedeutung der Häfen<br />

für den Kampf um den Frieden und damit für die gesamte politische Arbeit auf allen<br />

Gebieten«. 76<br />

In der Tat wurde nach der Doppelkonferenz im Juli das Thema im Bremer Sekretariat<br />

kaum noch behandelt. Auch die Friedenskomitees blieben weit entfernt von<br />

massenwirksamen Aktionen oder gar dem Status e<strong>in</strong>er Bewegung. Das Landesfriedenskomitee<br />

wie auch die Stadtteil- und Betriebskomitees stünden »nur noch auf<br />

dem Papier«, monierte der verantwortliche Sekretär im Oktober 1950. Es müsse »<strong>in</strong><br />

der Partei nochmals die Bedeutung der Friedensarbeit, der Komitee-Bewegung aufgezeigt<br />

[werden], damit endlich der Zustand überwunden wird, dass die Friedensarbeit<br />

die Angelegenheit e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Person ist«. 77<br />

Das »Zurückweichen der Genossen« war nicht nur mit e<strong>in</strong>em mangelnden Bewusstse<strong>in</strong><br />

um die »Bedeutung der Friedensarbeit« zu erklären, sondern wohl auch<br />

durch die zunehmend antikommunistische Stimmung <strong>in</strong> der Bevölkerung sowie<br />

Bremerhaven war die Situation <strong>in</strong> den Friedenskomitees nach den Worten Knigges »noch schlechter als<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und <strong>Bremen</strong>-Nord«. (ebenda).<br />

73 Vgl. Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 66f.<br />

74 Protokoll über die Sekretariatssitzung am 7.7.50, im Parteihaus, Waller R<strong>in</strong>g 41, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

75 Vgl. Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 66f.<br />

76 Bericht über Instruktion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven am 7.8.1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

77 Protokoll über die Sekretariatssitzung am 11. Oktober 1950 im Waller R<strong>in</strong>g 41, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.


162<br />

Politik und Programmatik<br />

die massive Gegenpropaganda und dementsprechende Maßnahmen von Seiten der<br />

bürgerlichen Presse und des Senats. Beides war durch den Beg<strong>in</strong>n des Korea-<br />

Krieges im Juni 1950 noch verstärkt worden. 78 Der Senat verweigerte der Hafenarbeiterkonferenz<br />

- wie auch anderen als kommunistisch geltenden Organisationen -<br />

die Überlassung der Rathaushalle. Im September 1950 wurde die Werbung für die<br />

<strong>KPD</strong> und andere Organisationen - u.a. auch das Friedenskomitee - an öffentlichen<br />

Gebäuden untersagt. Verboten wurden auch »bis auf weiteres Kundgebungen unter<br />

freiem Himmel«. 79<br />

Zu e<strong>in</strong>em vorläufigen Höhepunkt der friedenspolitischen <strong>KPD</strong>-Aktionen wie<br />

auch der antikommunistischen Reaktionen wurde ab dem Frühjahr 1951 die<br />

»Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluss e<strong>in</strong>es Friedensvertrages<br />

mit Gesamtdeutschland«. Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> war die Volksbefragung<br />

von der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>itiiert und im wesentlichen von ihr getragen worden. Bereits Anfang<br />

1951 hatten sich e<strong>in</strong> vorbereitender Landesausschuss sowie auf Stadtteilebene<br />

e<strong>in</strong>ige lokale Volksbefragungsausschüsse gebildet und Versammlungen und Kundgebungen<br />

abgehalten. 80 Mitte März war die Volksbefragung erstmals Thema im<br />

Bremer <strong>KPD</strong>-Sekretariat. <strong>Die</strong> Leitung forderte die Bildung von Ausschüssen »<strong>in</strong> jeder<br />

Wohngebietsgruppe und jedem Stadtteil« und beschloss die Aufstellung e<strong>in</strong>es<br />

Arbeitsplans sowie e<strong>in</strong>e verstärkte Koord<strong>in</strong>ierung der Massen<strong>org</strong>anisationen. In<br />

den Ausschüssen sollten »mehr werktätige klassenbewusste Menschen, Arbeiter<br />

und Betriebsräte führend werden«, und die Partei müsse dabei der »mobilisierende<br />

Faktor« se<strong>in</strong>. 81 <strong>Die</strong> Mitgliedschaft wurde <strong>in</strong> den darauf folgenden Wochen <strong>in</strong> zwei<br />

Pflichtmitgliederversammlungen auf die Volksbefragung und die Bildung von<br />

Ausschüssen e<strong>in</strong>geschworen. 82 E<strong>in</strong> großer Teil der Mitglieder, so e<strong>in</strong> Instrukteursbericht,<br />

sei sich dabei »unklar« über die Bildung der Volksbefragungsausschüsse<br />

gewesen. »So wurde von vielen Genossen <strong>in</strong> der Diskussion v<strong>org</strong>eschlagen, diese<br />

Volksbefragungsausschüsse auf Mitgliederversammlungen unserer Partei bzw. <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>igen Fällen auf Mitgliederversammlungen der Massen<strong>org</strong>anisationen zu bilden.«<br />

83<br />

Das konnte <strong>in</strong> der Tat nicht im S<strong>in</strong>ne der Parteileitung se<strong>in</strong>, der es vielmehr darauf<br />

ankam, der Kampagne e<strong>in</strong>e breite Basis zu verschaffen und <strong>in</strong> den Ausschüssen<br />

möglichst wenige Kommunisten zu haben. Das Sekretariat beschloss am 5. April<br />

1951, zur »Gew<strong>in</strong>nung von Persönlichkeiten« für den Bremer Volksbefragungsausschuss<br />

e<strong>in</strong>e lange Reihe von persönlichen Gesprächen. Zielgruppe waren zum e<strong>in</strong>en<br />

Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionäre (vor allem SPD-Mitglieder), zum anderen<br />

Personen aus dem bürgerlichen Lager wie Professoren, Journalisten, Kran-<br />

78 Vgl. dazu die Beispiele <strong>in</strong> Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 62ff.<br />

79 Ebenda, S. 71.<br />

80 Ebenda, S. 80.<br />

81 Bericht von der Sitzung des Sekretariats am 14.3.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

82 Bericht an das Sekretariat des PV über den Stand der Auswertung des Parteitages und den Stand der Bildung<br />

der Volksbefragungsausschüsse [9. April 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

83 Bericht an das Sekretariat des PV über den Stand der Auswertung des Parteitages und den Stand der Bildung<br />

der Volksbefragungsausschüsse [9. April 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.


Politik und Programmatik 163<br />

kenhausdirektoren, Verleger und ehemalige Wehrmachtsoffiziere. <strong>Die</strong> Gesprächsund<br />

Bündnisbereitschaft machte auch nicht halt vor dem ehemaligen NSDAP-<br />

Mitglied und Bremer Kreisvorsitzenden der faschistischen »Sozialistischen Reichspartei«<br />

(SRP) Split, der vom <strong>KPD</strong>-Fraktionsvorsitzenden Rudolf Rafoth geworben<br />

werden sollte. 84 Das Sekretariat kümmerte sich außerdem um die Anmietung e<strong>in</strong>es<br />

Büros für den Landesausschuss. 85<br />

<strong>Die</strong> Vorbereitungen zur Volksbefragung, die zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht<br />

e<strong>in</strong>mal begonnen hatte, trafen sofort auf antikommunistische Gegenpropaganda<br />

und staatliche Maßnahmen. Der Senat hatte es bereits im Februar abgelehnt, dem<br />

Vorbereitenden Landesausschuss e<strong>in</strong>e Schul-Aula für e<strong>in</strong>e Versammlung zur Verfügung<br />

zu stellen. 86 <strong>Die</strong> bürgerliche Presse brandmarkte die Kampagne als »strategische<br />

Maßnahme der SED-Leitstelle West«, mit der letztlich e<strong>in</strong>e gewaltsamer Umsturz<br />

geplant werde. 87 Der Bremer Senat schloss sich drei Tage nach dem Verbot<br />

der Volksbefragung durch die Bundesregierung den Maßnahmen gegen die unterstützenden<br />

Organisationen an und untersagte jegliche Tätigkeit für die Volksbefragung.<br />

88 Bereits e<strong>in</strong>en Tag später, am 28. April 1951, kam es zu e<strong>in</strong>er Reihe von<br />

Hausdurchsuchungen, u.a. <strong>in</strong> den Büros des Volksbefragungsausschusses, der FDJ<br />

und der VVN sowie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe von Privatwohnungen, bei denen angeblich<br />

mehrere »Zentner Propagandamaterial zur Volksbefragung« beschlagnahmt wurden.<br />

89<br />

<strong>Die</strong> Verbotsmaßnahmen konnten die Fortsetzung der Volksbefragung nicht<br />

verh<strong>in</strong>dern. 90 Vielmehr <strong>in</strong>tensivierte und beschleunigte die <strong>KPD</strong> nun die Aktion.<br />

Nach e<strong>in</strong>er Besprechung der Ersten Landessekretäre mit dem Sekretariat des Parteivorstands,<br />

auf der »die nächsten Maßnahmen gegen das gesetz- und verfassungswidrige<br />

Verbot der Volksbefragung besprochen wurden«, verkündete Hermann<br />

Gautier im Bremer Sekretariat, dass nunmehr alle Kräfte darauf konzentriert<br />

84 Protokoll von der Sekretariatssitzung vom 5. April 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6. Ob es zu diesem<br />

Gespräch kam, ist nicht bekannt. Es gab aber <strong>in</strong> der Folgezeit ke<strong>in</strong>e Kooperationen zwischen SRP und<br />

<strong>KPD</strong> bzw. dem Volksbefragungsausschuss.<br />

85 Protokoll von der Sekretariatssitzung vom 5. April 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

86 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 80.<br />

87 Vgl. Re<strong>in</strong>hard Brockhofer, Aus der Zeit der Volksbefragungskampagne 1951, <strong>in</strong>: »Nieder die Waffen -<br />

die Hände gereicht!«. Friedensbewegung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 1898 - 1958, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung,<br />

herausgegeben im Auftrag des Staatsarchivs <strong>Bremen</strong> von Helmut Donat und Andreas Röpcke,<br />

<strong>Bremen</strong> 1989, S. 167-174, hier S. 170f.; Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit von<br />

Landespolitik und Parteil<strong>in</strong>ie. Senat, SPD und die Diskussion um die Wiederbewaffnung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

und im Bundesrat 1948/49 bis 1957/58, <strong>Bremen</strong> 1988, S. 71.<br />

88 Siehe Amtliche Bekanntmachung <strong>in</strong> Bremer Nachrichten, 30. April 1951 (auch abgedruckt <strong>in</strong> Re<strong>in</strong>hard<br />

Brockhofer, Aus der Zeit der Volksbefragungskampagne 1951, a.a.O., S. 171. Vgl. auch Christoph Butterwegge,<br />

Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 80.<br />

89 Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit, a.a.O., S. 71.<br />

90 Das Verbot führte <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zwar zu e<strong>in</strong>er Reihe von Ermittlungsverfahren, <strong>in</strong> denen jedoch wegen<br />

rechtlicher Bedenken der Staatsanwaltschaft ke<strong>in</strong>e Anklagen erhoben wurden. Man wolle, so die Begründung<br />

der Staatsanwaltschaft, »bei der Unsicherheit der Rechtslage e<strong>in</strong>en Freispruch aus politischen<br />

Gründen nicht riskieren«. Im August 1952 wurden alle im Zusammenhang mit der Volksbefragung<br />

stehenden Ermittlungsverfahren e<strong>in</strong>gestellt. Vgl. Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im<br />

Widerstreit, a.a.O., S. 72.


164<br />

Politik und Programmatik<br />

werden müssten, »unmittelbar mit der Abstimmung, die <strong>in</strong> allen Formen <strong>in</strong> Betrieben<br />

und Wohngebieten durchgeführt werden sollen, zu beg<strong>in</strong>nen«. 91 Das Sekretariat<br />

beschloss unter anderem, e<strong>in</strong>e Reihe von zusätzlichen Instrukteuren e<strong>in</strong>zusetzen.<br />

Deren Arbeitsanweisung verdeutlichte noch e<strong>in</strong>mal den Stellenwert der Volksbefragung<br />

für die Partei: »<strong>Die</strong> Beschlüsse des Landesausschusses für die Volksbefragung<br />

s<strong>in</strong>d b<strong>in</strong>dend für jeden Parteigenossen.« 92<br />

E<strong>in</strong>ige Tage nach dieser Sitzung begann <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die Volksbefragung. Sie<br />

wurde <strong>in</strong> den folgenden Wochen mit e<strong>in</strong>em enormen materiellen, propagandistischen<br />

und personellen Aufwand von der <strong>KPD</strong> betrieben. In e<strong>in</strong>er Vielzahl von Versammlungen,<br />

Kundgebungen, Straßenaktionen und Hausbesuchen wurden Unterschriften<br />

gesammelt zur Frage »S<strong>in</strong>d sie gegen die Remilitarisierung Deutschlands<br />

und für e<strong>in</strong>en Friedensvertrag mit Deutschland im Jahre 1951?«. 93 Im Sekretariat<br />

wurde die Volksbefragung <strong>in</strong> den folgenden Wochen zum Schwerpunktthema, das<br />

<strong>in</strong> jeder Sitzung behandelt wurde.<br />

Koord<strong>in</strong>ation, Propagierung und Durchführung der Volksbefragung lagen <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> nahezu ausschließlich <strong>in</strong> den Händen der <strong>KPD</strong>. Der Landesausschuss für<br />

Volksbefragung trat <strong>in</strong> der Öffentlichkeit nicht als Träger der Aktion <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung,<br />

wie auch das Sekretariat Ende Mai konstatieren musste. 94 Der Ausschuss hatte<br />

seit dem Verbot der Volksbefragung nur e<strong>in</strong>mal getagt, ohne dass es zu konkreten<br />

Beschlüssen zur Durchführung der Volksbefragung gekommen war. 95 E<strong>in</strong> Vertreter<br />

der <strong>KPD</strong> beim Bundes-Hauptausschuss monierte, dort sei der E<strong>in</strong>druck entstanden,<br />

»dass die Volksbefragung im Lande <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong>e Angelegenheit der Partei<br />

ist und das Bestehen des Landesausschusses von der Partei ignoriert wird«. 96 Der<br />

Geschäftsführer der Bremer Landesausschusses - <strong>KPD</strong>-Mitglied - hatte gar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Arbeitsplan »die Besprechungen der Partei und die Beschlüsse des Sekretariats<br />

wörtlich aufgeführt«. 97 Der Grund dafür, so das Sekretariat, läge <strong>in</strong> der bislang<br />

mangelnden Anleitung. Als Gegenmaßnahmen beschloss das Sekretariat zunächst<br />

nur e<strong>in</strong>e Empfehlung an den Landesausschuss, regelmäßig zu tagen, und stellte<br />

außerdem e<strong>in</strong>e Sekretär<strong>in</strong> zur Verfügung. 98 E<strong>in</strong>e Woche später beschäftigte sich die<br />

Parteileitung noch e<strong>in</strong>mal ausführlich mit der »Hauptschwäche« der Volksbefragung<br />

(»im Augenblick e<strong>in</strong>e Angelegenheit der Partei, ohne das die bestehenden<br />

Volksbefragungsausschüsse e<strong>in</strong>schließlich des Landesausschusses als Träger der<br />

Volksbefragung <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten«) und gab diesmal konkrete Anweisungen.<br />

U.a. sollte der Ausschuss vier Tage später zusammentreten und die Annahme e<strong>in</strong>es<br />

Arbeitsplanes sowie die Herausgabe e<strong>in</strong>e Kommuniqués über die bisherigen Er-<br />

91 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 4. Mai 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

92 Arbeitsanweisung für die Genossen Instrukteure, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

93 Vgl. Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S, 84; Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung<br />

im Widerstreit, a.a.O., S. 72.<br />

94 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 31. Mai 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

95 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landesausschusses für Volksbefragung [Anlage Protokoll der Sekretariatssitzung<br />

vom 25.6.1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

96 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 31. Mai 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

97 Ebenda.<br />

98 Ebenda.


Politik und Programmatik 165<br />

gebnisse der Volksbefragung beschließen. Kommuniqué und Arbeitsplan wurden<br />

von Sekretariatsmitgliedern und den verantwortlichen <strong>KPD</strong>-Mitgliedern im Landesausschuss<br />

ausgearbeitet. 99<br />

Der Landesausschuss tagte und veröffentlichte am 18. Juni 1951 das angesprochene<br />

Kommuniqué mit den bisherigen Ergebnissen der Volksbefragung. Danach<br />

hatten <strong>in</strong> den bis dah<strong>in</strong> fünf Wochen der Volksbefragung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> von 9.036 Befragten<br />

8.144 mit Ja und 253 mit Ne<strong>in</strong> gestimmt, 560 hatten sich enthalten, 79 Stimmen<br />

waren ungültig. 100<br />

<strong>Die</strong> weitgehende Inaktivität des Landesausschusses blieb trotz der vom Sekretariat<br />

beschlossenen Maßnahmen <strong>in</strong> der Folgezeit bestehen. Wo er aktiv wurde, handelte<br />

er nach Anweisungen des <strong>KPD</strong>-Sekretariats. Auch die personelle Zusammensetzung<br />

spiegelte die Beschränkung des Ausschusses auf den E<strong>in</strong>flussbereich der<br />

<strong>KPD</strong> wider, was diese durchaus kritisch bewertete. <strong>Die</strong> Zusammensetzung des<br />

Ausschusses, so der 2. Sekretär Willi Lietzau <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung Ende Juni 1951,<br />

sei »noch ungenügend«. Von den 22 Mitgliedern des Landesausschusses seien<br />

»ca. 50% Mitglied unserer Partei, e<strong>in</strong>ige Mitglieder der befreundeten Massen<strong>org</strong>anisationen,<br />

während nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger Teil wirklich außenstehender Menschen im Ausschuss beteiligt<br />

s<strong>in</strong>d. Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass die Arbeit fast ausschließlich von den Genossen<br />

bzw. den Mitgliedern der befreundeten Massen<strong>org</strong>anisationen geleistet wird, während die<br />

außenstehenden Menschen kaum für die Arbeit herangezogen werden, mit Ausnahme von 2<br />

oder 3 Mitgliedern. Dadurch, dass der Landesausschuss nicht regelmäßig getagt hat, liegt die<br />

Durchführung bis heute im wesentlichen <strong>in</strong> den Händen der Partei, so dass der Landesausschuss<br />

als Träger der Volksbefragung nicht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung getreten ist. Er hat demzufolge<br />

auch ke<strong>in</strong>e Autorität bei der Bevölkerung, da die Bevölkerung von dem Bestehen des Landeausschusses<br />

ke<strong>in</strong>e Kenntnis hat. <strong>Die</strong> Mitglieder des Landesausschusses treten nach außen h<strong>in</strong><br />

nicht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Es besteht e<strong>in</strong>e starke Tendenz, sich <strong>in</strong> völliger Illegalität zu verkriechen.«<br />

101<br />

Das Verbot der Volksbefragung und ihre Stigmatisierung als »kommunistische<br />

Umsturzaktion« hielt nichtkommunistische Kreise von e<strong>in</strong>er Beteiligung ab und<br />

war damit sicherlich e<strong>in</strong>e der Ursachen für die Beschränkung des Ausschusses -<br />

bzw. der ganzen Aktion - auf den Dunstkreis der <strong>KPD</strong>. <strong>Die</strong> Partei versuchte zwar,<br />

die Isolation zu überw<strong>in</strong>den, bestätigte aber gerade durch ihr starkes Engagement<br />

<strong>in</strong> der Volksbefragung und deren Kontrolle durch das Sekretariat die Behauptung<br />

e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong> kommunistischen Aktion. Ohne dieses Engagement wiederum waren<br />

nennenswerte und öffentlichkeitswirksame Proteste gegen die Wiederaufrüstung<br />

gar nicht möglich. »Das H<strong>in</strong>dernis für viele Leute, sich <strong>in</strong> der Friedensbewegung zu<br />

engagieren, war die Teilnahme von Kommunisten. Aber ohne Kommunisten hätte<br />

99 Protokoll der Sekretariatssitzung am 6. Juni 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

100 Ausschuss für Volksbefragung, Land <strong>Bremen</strong>: Kommuniqué!, abgedruckt <strong>in</strong> Re<strong>in</strong>hard Brockhofer, Aus der<br />

Zeit der Volksbefragungskampagne 1951, a.a.O., S. 173. Vgl. auch Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung<br />

im Widerstreit, a.a.O., S. 72.<br />

101 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landesausschusses für Volksbefragung [Anlage Protokoll der Sekretariatssitzung<br />

vom 25.6.1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.


166<br />

Politik und Programmatik<br />

es ke<strong>in</strong>e Bewegung gegeben.« 102 <strong>Die</strong>ses Dilemma wurde letztlich e<strong>in</strong> bestimmendes<br />

für die gesamte Friedenspolitik der Partei <strong>in</strong> der ersten Hälfte der 1950er Jahre, aus<br />

dem sie sich - selbst bei Aufgabe ihres <strong>in</strong>haltlichen und personellen Führungsanspruches<br />

- nicht befreien konnte.<br />

<strong>Die</strong> Volksbefragung lief noch e<strong>in</strong>ige Zeit weiter, stand aber ab August/September<br />

1951 zunehmend nicht mehr im Mittelpunkt der Parteiarbeit. Ab<br />

September 1951 war die Aktion im Landessekretariat nur noch e<strong>in</strong> Randthema.<br />

Damit war die Kampagne <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> faktisch beendet, auch wenn sie offiziell noch<br />

bis zum Frühjahr 1952 weiter lief. 103 E<strong>in</strong>e wesentliche politische Resonanz hatte sie<br />

nicht gefunden, dafür aber umso mehr Konsequenzen für das <strong>in</strong>nenpolitische Klima,<br />

»weil sie die ohneh<strong>in</strong> verbreiteten antikommunistischen Vorurteile langfristig<br />

verstärkte und <strong>in</strong>sbesondere den bürgerlichen Parteien e<strong>in</strong>en willkommenen Anlass<br />

zur Propagierung e<strong>in</strong>es ›roten‹ Bürgerschrecks bot, <strong>in</strong> dessen Nähe alle gegen<br />

die Wiederbewaffnungspolitik der Bundesregierung opponierenden Kräfte, vor allem<br />

pazifistische und neutralistische Gruppierungen, aber auch die Sozialdemokratie<br />

gerückt wurden«. 104 Nicht zufällig fielen auch die eilige Verabschiedung des 1.<br />

Strafrechtsänderungsgesetzes - das erhebliche Verschärfungen der politischen Straftatbestände<br />

vorsah und <strong>in</strong> der Folgezeit Grundlage der politischen Justiz gegen<br />

Kommunisten wurde - im Juli 1951 sowie das Verbot der FDJ (Juni 1951) genau <strong>in</strong><br />

die Zeit der Volksbefragung.<br />

Ähnlich groß angelegte Aktionen und Bündnisbemühungen der <strong>KPD</strong> gab es <strong>in</strong><br />

den folgenden Jahren nicht mehr. Mehr noch als die Volksbefragung war die praktische<br />

Politik der Partei ab 1952 nur noch e<strong>in</strong>e Reaktion auf die Schritte der West<strong>in</strong>tegration<br />

und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik sowie andererseits der<br />

Deutschlandpolitik von DDR und Sowjetunion.<br />

<strong>Die</strong> Vorschläge der Sowjetunion für e<strong>in</strong> neutrales Deutschland (die sogenannte<br />

»Stal<strong>in</strong>-Note«) vom 10. März 1952 führten <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> zu <strong>in</strong>tensiven Diskussionen,<br />

die vor allem die »militärischen Leitsätze« betrafen. Dar<strong>in</strong> hatte die Stal<strong>in</strong>-<br />

Note e<strong>in</strong>em wiedervere<strong>in</strong>igten und neutralen Deutschland ausdrücklich das Recht<br />

zugestanden, e<strong>in</strong>e eigene Armee aufzustellen. E<strong>in</strong> solches Postulat musste <strong>in</strong> der<br />

<strong>KPD</strong>- Mitgliedschaft zum<strong>in</strong>dest auf e<strong>in</strong>ige Verwirrung stoßen, nachdem man zuvor<br />

massiv gegen e<strong>in</strong>e Wiederbewaffnung Deutschlands agitiert und gearbeitet hatte.<br />

Im Sekretariat wurde das Problem wenige Tage nach Veröffentlichung der Note<br />

diskutiert. 105 Ulrich Konetzka, Zweiter Landessekretär und zu diesem Zeitpunkt<br />

wegen Abwesenheit Hermann Gautiers Leiter des Sekretariats, wies <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>gangsreferat<br />

auf die »politische Bedeutung« der Note h<strong>in</strong>, die der Partei und der<br />

102 So die E<strong>in</strong>schätzung Wilhelm Meyer-Buers, zit. nach Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />

a.a.O., S. 83.<br />

103 Im März 1952 veröffentlichte der Hauptausschuss die Ergebnisse der Volksbefragung. Demnach hatten<br />

von 6.267.302 »deutschen Männern, Frauen und Jugendlichen, die e<strong>in</strong>en Stimmzettel <strong>in</strong> die Urne warfen<br />

oder auf Versammlungen und Kundgebungen abstimmten«, 5.917.683 oder 94,41 Prozent mit Ja gestimmt<br />

(Denkschrift des Hauptausschusses für Volksbefragung [16. März 1952], <strong>in</strong>: Ge<strong>org</strong> Fülberth, Geschichte<br />

der Bundesrepublik <strong>in</strong> Quellen und Dokumenten, Köln 1982, S. 68f.).<br />

104 Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit, a.a.O., S. 73.<br />

105 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 13. März 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.


Politik und Programmatik 167<br />

Bevölkerung nun vermittelt werden müsse. Dass dabei gerade die Vorschläge für<br />

e<strong>in</strong>e eigene Armee Deutschlands Schwierigkeiten bereiten würden, war Konetzka<br />

klar:<br />

»Bei dem gegenwärtigen ideologischen Zustand unserer Organisation muss man damit rechnen,<br />

dass viele Genossen damit nicht <strong>in</strong>s Re<strong>in</strong>e kommen werden. Ich möchte sogar unterstellen,<br />

dass - krass gesagt - e<strong>in</strong>ige glauben werden, wir können jetzt gegen die Remilitarisierung<br />

nichts tun. Das wäre sehr gefährlich.« 106<br />

Konetzka schlug e<strong>in</strong>e Argumentation vor, die den Genossen und der Bevölkerung<br />

klarmachen sollte, »dass das nur e<strong>in</strong> Punkt von vielen ist«. Es käme darauf an,<br />

»dass alles im Zusammenhang zu sehen ist. Es ist e<strong>in</strong>e Tatsache, dass Deutschland<br />

gleichberechtigt wird und auch das Recht erhalten soll, e<strong>in</strong>e nationale Streitkraft<br />

aufzustellen. <strong>Die</strong>se werden dann e<strong>in</strong>e völlig andere Zielsetzung haben.« 107<br />

<strong>Die</strong>se Selbstverständlichkeit, mit der Konetzka von dem Recht auf e<strong>in</strong>e eigene<br />

Armee sprach, war nun <strong>in</strong> der Tat auch für die <strong>KPD</strong> neu, wurde aber von den meisten<br />

Sekretariatsmitgliedern übernommen. Man müsse »schnell unseren Genossen<br />

e<strong>in</strong>e Anleitung geben«, die fragen, »was sollen wir sagen, wo wir jetzt die Frage<br />

stellen Kampf gegen Wehrbeitrag und hier steht die Frage Aufstellung e<strong>in</strong>er eigenen<br />

Armee«. <strong>Die</strong> meisten Diskussionsbeiträge stellten die Leitsätze nicht <strong>in</strong> Frage<br />

und konzentrierten sich auf das Problem der Vermittlung an die Mitgliedschaft und<br />

die Bevölkerung. <strong>Die</strong> Begründung war ebenso simpel wie holprig: <strong>Die</strong> neue Armee<br />

werde »e<strong>in</strong>en anderen Charakter haben, sie wird den Charakter e<strong>in</strong>er Volksarmee<br />

tragen«. Als solche werde sie für e<strong>in</strong> demokratisches Deutschland »wie für die<br />

Volksdemokratien« unbed<strong>in</strong>gt notwendig se<strong>in</strong>, »weil es von kapitalistischen Ländern<br />

umgeben ist«. Lediglich Willy Meyer-Buer, Fraktionsvorsitzender <strong>in</strong> der Bürgerschaft,<br />

hatte Schwierigkeiten mit e<strong>in</strong>er derartigen Selbstverständlichkeit. Meyer-<br />

Buer hob die von der Sowjetunion v<strong>org</strong>eschlagene Souveränität Deutschlands als<br />

wesentlichen Punkt der Stal<strong>in</strong>-Note hervor und wollte die militärischen Leitsätze<br />

im Rahmen dieser Souveränität lediglich als »Kann-Formel« <strong>in</strong>terpretieren:<br />

»Ob wir als Kommunisten jetzt dieses Recht, e<strong>in</strong>e Verteidigungsarmee aufzustellen, zur<br />

Pflicht unserer politischen L<strong>in</strong>ie machen müssen, ist e<strong>in</strong>e andere Frage. Ich glaube, Genossen,<br />

dass wir aus dieser Note nicht ableiten sollen, <strong>in</strong> der Öffentlichkeit dafür zu plädieren, dass<br />

Deutschland e<strong>in</strong>e nationale Armee bekommen muss. Unsere Aufgabe ist es, jawohl, Deutschland<br />

hat e<strong>in</strong> Recht zum Aufbau e<strong>in</strong>er eigenen nationalen Armee. Wir können sagen, wir wollen<br />

von diesem Recht ke<strong>in</strong>en Gebrauch machen. <strong>Die</strong>ser Standpunkt muss bei der Klärung der<br />

militärischen Leitsätze <strong>in</strong> der Note mit berücksichtigt werden. Falsch wäre es, wenn wir jetzt<br />

die Forderung erheben, Deutschland muss jetzt unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e nationale Armee haben.« 108<br />

Meyer-Buer blieb mit dieser Ansicht im Sekretariat alle<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> übrigen Mitglieder<br />

lehnten se<strong>in</strong>e Interpretation ab und beharrten auf der Zwangsläufigkeit e<strong>in</strong>er<br />

eigenen Armee. E<strong>in</strong> anwesender Vertreter des Parteivorstands me<strong>in</strong>te, er würde<br />

nicht »die Kann-Formel setzen. Es ist notwendig, e<strong>in</strong>e eigene Streitmacht zu schaffen.<br />

Denn wenn die Besatzungstruppen abziehen, muss Deutschland selbst <strong>in</strong> der<br />

106 Ebenda.<br />

107 Ebenda.<br />

108 Ebenda.


168<br />

Politik und Programmatik<br />

Lage se<strong>in</strong>, se<strong>in</strong>e eigenen Interessen nach außen und <strong>in</strong>nen zu vertreten«. E<strong>in</strong>ige<br />

Wochen später schrieb e<strong>in</strong> SED-Instrukteur, die im Landessekretariat aufgetretenen<br />

»Unklarheiten über die militärischen Leitsätze« seien <strong>in</strong>zwischen geklärt worden.<br />

»Der Genosse Meyer-Buer hat e<strong>in</strong>gesehen, dass er <strong>in</strong> diesem Punkt e<strong>in</strong>e völlig falsche<br />

Stellung e<strong>in</strong>genommen hat.« 109<br />

Auch bei der Mitgliedschaft führte die Stal<strong>in</strong>-Note zu »ideologischen Unklarheiten«:<br />

»In Mitgliederversammlungen der Grund<strong>org</strong>anisationen [...] wurde <strong>in</strong> den Diskussionen oftmals<br />

die Frage der nationalen Streitkräfte losgelöst von den politischen und wirtschaftlichen<br />

Leitsätzen des sowjetischen Vorschlags behandelt. Man vertrat die Me<strong>in</strong>ung, dass für uns die<br />

Frage der nationalen Streitkräfte von untergeordneter Bedeutung sei, und das deutsche Volk<br />

beim Abschluss e<strong>in</strong>es Friedensvertrages selbst entscheiden müsse, ob eigene Streitkräfte aufzustellen<br />

s<strong>in</strong>d oder nicht. Es wird nicht nur der demokratische Charakter e<strong>in</strong>er solchen Verteidigungsmacht<br />

verkannt, sondern man begreift auch nicht, dass eigene nationale Streitkräfte<br />

zur vollen Souveränität des deutschen Staates gehören.« 110<br />

<strong>Die</strong>se Diskussionen blieben allerd<strong>in</strong>gs weitgehend <strong>in</strong>tern, nach außen entfaltete<br />

die Partei zahlreiche Aktivitäten zur Popularisierung der Stal<strong>in</strong>-Note (Flugblattverteilung,<br />

Mitgliederversammlungen, »Stellungnahmen von Persönlichkeiten«, Bürgerschaftsdebatte,<br />

Kundgebungen etc.). Trotz vergleichsweise günstiger Bed<strong>in</strong>gungen<br />

- die Stal<strong>in</strong>-Note hatte große Resonanz <strong>in</strong> Politik, Medien und Bevölkerung,<br />

und die schnelle Ablehnung durch die Westmächte stieß auf Unverständnis - 111<br />

konnte die <strong>KPD</strong> die öffentliche Diskussion der Vorschläge kaum für sich nutzen.<br />

Das galt auch für die Debatte um den EVG- und den Deutschland-Vertrag, deren<br />

Unterzeichnung Ende Mai 1952 die West<strong>in</strong>tegration und die Wiederbewaffnung<br />

der BRD festschrieb. <strong>Die</strong> Aktionen gegen den - im <strong>KPD</strong>-Jargon - »Generalkriegsvertrag«<br />

begannen Anfang Mai 1952 nach e<strong>in</strong>er Parteivorstandsvortagung 112<br />

und konzentrierten sich vor allem auf die Betriebe. In den vorangegangenen Direktiven<br />

des Parteivorstands war die Rede von »Auslösung von Massenstreiks und nationalen<br />

Kundgebungen gegen den Generalvertrag« gewesen. 113 <strong>Die</strong> Realisierung<br />

derartiger Ziele war illusorisch, zumal angesichts der Kürze der verbleibenden Zeit<br />

bis zur - zu diesem Zeitpunkt bereits absehbaren - Unterzeichnung der EVG-<br />

Verträge Ende Mai 1952. Es kam zu diversen Aktionen, die allerd<strong>in</strong>gs weniger <strong>in</strong>,<br />

als vielmehr vor den Betrieben von Mitgliedern der Parteileitung und der Bürgerschaftsfraktion<br />

ausgelöst wurden. <strong>Die</strong> angestrebte Entwicklung von »Massenaktio-<br />

109 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 18.3. bis 9.4.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13. Meyer-Buer vermied allerd<strong>in</strong>gs z.B.<br />

<strong>in</strong> der Bürgerschaftsdebatte zur Stal<strong>in</strong>-Note am 9. April 1952 die Erwähnung der militärischen Leitsätze<br />

völlig (Bürgerschaftsprotokolle, 9. April 1952, S. 214f.).<br />

110 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 18.3. bis 9.4.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

111 Vgl. zu den Reaktionen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und der SPD - die auch unter dem E<strong>in</strong>druck der Stal<strong>in</strong>-Note ihre Politik<br />

h<strong>in</strong>sichtlich der Wiedervere<strong>in</strong>igung modifizierte - Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />

a.a.O., S. 100f.; Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit, a.a.O., S. 65ff.<br />

112 Vgl. Kommuniqué der 4. Tagung des Parteivorstandes der <strong>KPD</strong> und E<strong>in</strong>igt Euch <strong>in</strong> der Stunde der Entscheidung,<br />

<strong>in</strong>: Dokumente der Kommunistischen Partei Deutschlands <strong>1945</strong>-1956, a.a.O., S. 309ff.<br />

113 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 3.5.52 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.


Politik und Programmatik 169<br />

nen und Massenstreiks« 114 gelang nicht, die Parteibasis wurde überhaupt nicht aktiv,<br />

und selbst im Sekretariat wurde die Bedeutung der Verh<strong>in</strong>derung des Vertrages<br />

von Ulrich Konetzka zwar immer wieder betont, <strong>in</strong> den Diskussionen und Beschlüssen<br />

aber eher halbherzig behandelt. In der Woche der Unterzeichnung der<br />

Verträge (26./27. Juli 1952) musste der kommissarische Erste Sekretär feststellen,<br />

»dass an Auslösung von Aktionen gegen den Generalkriegsvertrag sehr wenig <strong>in</strong><br />

unserem Land erfolgt ist. Man muss zur Schlussfolgerung kommen, dass unsere<br />

Partei den Ernst der Situation sehr stark unterschätzt.« Man müsse nun »<strong>in</strong> dieser<br />

Woche die Hauptkräfte e<strong>in</strong>setzen, um Aktionen zu <strong>org</strong>anisieren. <strong>Die</strong> entscheidende<br />

Rolle müssen wir dar<strong>in</strong> erblicken, mit den Mitgliedern der SPD geme<strong>in</strong>sam vorzugehen.«<br />

115<br />

Wenigstens <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht hatte die Partei e<strong>in</strong>en Erfolg zu verzeichnen. <strong>Die</strong><br />

Bremische Bürgerschaft verabschiedete am 21. Mai 1952 mit den Stimmen von <strong>KPD</strong><br />

und SPD sowie BHE und SRP e<strong>in</strong>en von Wilhelm Meyer-Buer e<strong>in</strong>gebrachten Dr<strong>in</strong>glichkeitsantrag,<br />

<strong>in</strong> dem das Parlament gegen die geplante Unterzeichnung des<br />

Deutschlandvertrages protestierte. Das war e<strong>in</strong> zum<strong>in</strong>dest propagandistisch großer<br />

Erfolg für die <strong>KPD</strong>: E<strong>in</strong> bundesdeutsches Länderparlament protestierte gegen den<br />

Deutschlandvertrag, e<strong>in</strong>gebracht hatten den Antrag die Kommunisten, und verabschiedet<br />

wurde er mit den Stimmen SPD als Regierungspartei. Dementsprechend<br />

fand der Bürgerschaftsbeschluss großes, auch <strong>in</strong>ternationales Echo und Aufsehen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> selbst war von diesem Erfolg außerordentlich überrascht, wie Ulrich Konetzka<br />

später vor dem Parteivorstand zugab:<br />

»<strong>Die</strong>ser Antrag ist nicht zum Landessekretariat vorbereitet worden. Er ist mehr oder weniger<br />

von den Genossen unserer Fraktion noch <strong>in</strong> letzter M<strong>in</strong>ute zusammengestellt worden. Dann<br />

hat sich gezeigt, dass unsere Genossen <strong>in</strong> der Fraktion überrascht waren von der Dr<strong>in</strong>glichkeit<br />

über die Behandlung des Antrages und noch mehr überrascht gewesen s<strong>in</strong>d davon, dass er<br />

mit e<strong>in</strong>er 2/3 Mehrheit durchgekommen ist.« 116<br />

Sei es wegen dieser Überraschung oder e<strong>in</strong>er generellen Ger<strong>in</strong>gschätzung des<br />

Parlaments <strong>in</strong> der Partei, wie Wilhelm Meyer-Buer me<strong>in</strong>t117: <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> verwertete<br />

diesen zum<strong>in</strong>dest propagandistischen und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wirkung alle anderen Aktionen<br />

gegen den Generalvertrag weit übertreffenden Erfolg überhaupt nicht. Das Echo<br />

war sogar <strong>in</strong> den bürgerlichen Medien größer als <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie,<br />

und im Sekretariat wurde der Beschluss <strong>in</strong> der Folgezeit nicht behandelt.<br />

Nach der Unterzeichnung der Verträge versuchte die Parteileitung die Aktionen<br />

dagegen weiterzuführen und der befürchteten Resignation entgegenzutreten. »Ich<br />

glaube«, so He<strong>in</strong>rich Schramm, »jedem von uns war wohl klar, dass es uns nicht gel<strong>in</strong>gen<br />

würde, die Unterzeichnung des Generalvertrages zu verh<strong>in</strong>dern. Es werden<br />

jetzt Me<strong>in</strong>ungen auftreten, nicht nur <strong>in</strong> der Partei, sondern auch <strong>in</strong> anderen Kreisen,<br />

jetzt ist er unterzeichnet, jetzt kann man nichts mehr ändern.« Man müsse, so die<br />

114 Politischer Wochenbericht des Sekretariats der LL vom 17. bis 23. Mai 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

115 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 21. Mai 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

116 Stenographische Niederschrift der 5. Parteivorstandstagung der Kommunistischen Partei Deutschlands <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>,<br />

im Kulturhaus Oberspree am Montag, dem 14. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/239.<br />

117 Interview Meyer-Buer, 2.


170<br />

Politik und Programmatik<br />

e<strong>in</strong>hellige Me<strong>in</strong>ung im Sekretariat. »jetzt erst recht den Kampf gegen diesen<br />

Schandvertrag verstärkt fortführen.« 118<br />

<strong>Die</strong>se »Jetzt-erst-recht«-Haltung konnte freilich nicht verdecken, dass die Unterzeichnung<br />

des EVG- und Deutschlandvertrages - obwohl sie später wegen der<br />

Nicht-Ratifizierung durch das französische Parlament nicht <strong>in</strong> Kraft traten - e<strong>in</strong>en<br />

wichtigen Meilenste<strong>in</strong> der West<strong>in</strong>tegration der Bundesrepublik markierten und<br />

damit auch e<strong>in</strong>e Niederlage für die <strong>KPD</strong> darstellten. Das Ergebnis der Bundestagswahlen<br />

von 1953 bestätigte diese Niederlage.<br />

<strong>Die</strong> Wahlen am 6. September 1953 brachten den Regierungsparteien mehr als<br />

zwei Drittel der Mandate, die CDU verfehlte nur äußerst knapp die absolute Mehrheit.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> erhielt lediglich 2,2 Prozent der Stimmen (absolut: 607.761) und kam<br />

aufgrund der kurz zuvor beschlossenen 5-Prozent-Klausel nicht wieder <strong>in</strong> den<br />

Bundestag. <strong>Die</strong> Partei hatte im Vergleich zu 1949 über 55 Prozent Wählerstimmen<br />

verloren. In <strong>Bremen</strong> verlor die <strong>KPD</strong> zwar auch fast 7.000 Stimmen (1949: 20.530,<br />

1953: 13.885), lag aber mit e<strong>in</strong>em Anteil von 3,9 Prozent weit über dem Bundesdurchschnitt.<br />

<strong>Die</strong> Bremer <strong>KPD</strong> konnte damit das beste Ergebnis aller Landes<strong>org</strong>anisationen<br />

erzielen 119 und auch der Stimmenverlust im Vergleich zu 1949 lag mit 32<br />

Prozent weit unter dem Bundesdurchschnitt. »E<strong>in</strong>e vergleichbare Konstanz konnte<br />

die Partei sonst nirgendwo vorweisen.« 120<br />

<strong>Die</strong> Reaktion auf das Ergebnis war <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> verhalten, e<strong>in</strong>e weitergehende<br />

Analyse erfolgte nicht. <strong>Die</strong> Sekretariatsmitglieder sprachen e<strong>in</strong>hellig von e<strong>in</strong>er<br />

»Niederlage« und berichteten von Mitgliederversammlungen, <strong>in</strong> denen das<br />

schlechte Ergebnis vere<strong>in</strong>zelt auf die kritiklose Verteidigung der Sowjetunion und<br />

der DDR zurückgeführt worden war. 121 <strong>Die</strong> Erklärung, die Hermann Gautier im<br />

Namen der Landesleitung zwei Wochen später an die Mitgliedschaft richtete, war<br />

kurz gehalten und versuchte <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie, der Resignation entgegen zu wirken.<br />

»<strong>Die</strong> Millionen Wähler, die Adenauer ihre Stimme gaben« hätten ke<strong>in</strong>eswegs den<br />

Krieg gewollt, »im Gegenteil: alle wollten den Frieden«. Und weiter:<br />

»<strong>Die</strong>se Millionen Wähler glaubten den heuchlerischen Friedensparolen Adenauers mehr als<br />

unseren aufklärerischen Worten, die die Wahrheit verkünden [...]. Sehr bald wird sich bei ihnen<br />

e<strong>in</strong>e große Enttäuschung e<strong>in</strong>stellen und die Erkenntnis durchsetzen, dass ihre Wahl am 6.<br />

September e<strong>in</strong>e Fehlentscheidung gewesen ist.«<br />

Gerade deshalb dürfe man jetzt <strong>in</strong> dem »Kampf für unsere gerechte Sache«<br />

nicht nachlassen, »alle Voraussetzungen für große Erfolge s<strong>in</strong>d gegeben. Es kommt<br />

nur darauf an, dass wir uns fest zusammenschließen, uns um die Führung der Partei<br />

scharen und mutig vorwärts schreiten, dann wird der Sieg unser se<strong>in</strong>!« 122<br />

118 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 29. Mai 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

119 Nahezu alle anderen Länder lagen im 2-Prozent-Bereich, <strong>in</strong> den ländlich geprägten Bayern, Niedersachsen<br />

und Schleswig-Holste<strong>in</strong> waren es nur zwischen 1,1 und 1,6 Prozent. Lediglich Hamburg wies<br />

mit 3,8 Prozent für die <strong>KPD</strong> ähnliche Stimmenanteile wie <strong>Bremen</strong> auf.<br />

120 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1765.<br />

121 Protokoll der LSS am 8. September 1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

122 Erklärung der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong>, Tribüne der Demokratie 21. September 1953.


Politik und Programmatik 171<br />

<strong>Die</strong> Wahlen hatten gezeigt, dass die <strong>KPD</strong> weitgehend isoliert war, wenn auch <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> nicht so drastisch wie anderswo. <strong>Die</strong> Mitgliedschaft hatte diese Isolation im<br />

Wahlkampf zu spüren bekommen und sich bereits weitgehend vom E<strong>in</strong>satz für die<br />

Partei zurückgezogen. Nur etwa 15 Prozent der Parteimitglieder, monierte e<strong>in</strong> Instrukteur,<br />

hatten sich an dem Wahlkampf beteiligt, »e<strong>in</strong>en hohen Prozentsatz machten<br />

dabei die e<strong>in</strong>gesetzten Instrukteure und hauptamtlichen Kräfte aus.« Vor allem<br />

der Diskussion mit der Bevölkerung seien die Mitglieder ausgewichen.<br />

»Alle Genossen der Grunde<strong>in</strong>heiten, mit denen über die Bedeutung unseres Wahlkampfes gesprochen<br />

wurde, waren zu Arbeiten bereit wie Flugblattverteilung, Plakatkleben usw., aber<br />

nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger Teil zur mündlichen Agitation. Teile unserer Genossen schreckten vor der<br />

Aussprache mit der Bevölkerung zurück« 123<br />

<strong>Die</strong> nach der Bundestagswahl allmählich e<strong>in</strong>setzenden programmatischen Modifizierungen<br />

der <strong>KPD</strong> machten sich auf lokaler Ebene ab etwa 1954 vor allem bemerkbar<br />

durch e<strong>in</strong>e verstärkte Konzentration auf die Kommunalpolitik, die bis dah<strong>in</strong><br />

entweder weitgehend ignoriert oder aber nur im Zusammenhang mit deutschlandpolitischen<br />

Fragestellungen behandelt worden war. E<strong>in</strong>e glänzende Gelegenheit<br />

für e<strong>in</strong>e gewissermaßen gleichberechtigte Verb<strong>in</strong>dung beider Thematiken bot<br />

sich der Partei mit der Affäre um Landbeschlagnahmungen für US-amerikanische<br />

Wohnungsbauten <strong>in</strong> Bremerhaven.<br />

Das Gelände der Wohnsiedlung »Großer Bl<strong>in</strong>k« war im Mai 1954 durch die US-<br />

Armee im E<strong>in</strong>vernehmen mit dem Bremer Senat sowie der Bremerhavener Stadtverwaltung<br />

beschlagnahmt worden, um dort Bauten für Familienangehörige der<br />

Besatzungsmacht zu errichten. <strong>Die</strong> Bewohner der Siedlung erhielten entsprechende<br />

Schreiben und wurden aufgefordert, die Gebäude und Grundstücke unverzüglich<br />

zu räumen. 124 Der Protest gegen die Beschlagnahmungen wurde zunächst von der<br />

rechtskonservativen Deutschen Partei (DP) <strong>org</strong>anisiert, die am 19. Mai 1954 e<strong>in</strong>e<br />

Protestversammlung mit den Bewohnern des Großen Bl<strong>in</strong>k abhielt. Zwei Tage später<br />

schalteten sich die Bremer SPD-Bundestagsabgeordneten Philipp Wehr, Siegfried<br />

Bärsch und Hermann Hans<strong>in</strong>g mit e<strong>in</strong>er Kle<strong>in</strong>en Anfrage im Bundestag e<strong>in</strong><br />

und forderten die Verh<strong>in</strong>derung der Beschlagnahmungen. 125<br />

Auch die <strong>KPD</strong> wurde schnell aktiv. Bereits vor der Zustellung der Requisitionsbescheide<br />

hatte die Tribüne der Demokratie über die geplanten Beschlagnahmungen<br />

berichtet, 126 und am 19. Mai 1954 rief die Zeitung zum Widerstand gegen den<br />

»Landraub« auf 127. <strong>Die</strong> Kreisleitung Bremerhaven veröffentlichte am 18. Mai 1954<br />

das erste Flugblatt und rief die Bremerhavener Bevölkerung auf, »alle Maßnahmen<br />

zu ergreifen, die diese Beschlagnahme unmöglich machen«. 128 In den folgenden<br />

123 Land: <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />

124 Zur Affäre um den »Großen Bl<strong>in</strong>k« siehe ausführlich Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />

a.a.O., S. 117ff., hier S. 117.<br />

125 Ebenda, S. 117f.<br />

126 Schlaflose Nächte am »Großen Bl<strong>in</strong>k«, Tribüne der Demokratie, 8./9. Mai 1954.<br />

127 S<strong>in</strong>d die Bewohner am »Großen Bl<strong>in</strong>k« vogelfrei?, Tribüne der Demokratie, 19. Mai 1954.<br />

128 Landbeschlagnahmungen am »Großen Bl<strong>in</strong>k« und am »Gelben Sand«. Erklärung der Kreisleitung der K.P.D.,<br />

Flugblatt, 18.5.1954 (Privatarchiv Hermann Gautier).


172<br />

Politik und Programmatik<br />

Wochen engagierte sich die Kreisleitung weiter, 129 und auch die Tribüne der Demokratie<br />

berichtete <strong>in</strong>tensiv. E<strong>in</strong>fluss auf die Bewohner erlangen oder gar die Bremerhavener<br />

Bevölkerung zum Widerstand mobilisieren konnte die <strong>KPD</strong> nicht. Bis etwa<br />

Mitte Juli 1954 gab es kaum Protest- oder Widerstandsaktionen am »Großen Bl<strong>in</strong>k«.<br />

<strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung fand zunächst auf parlamentarischer und auf Verwaltungsebene<br />

statt. Der Bremerhavener Magistrat hatte bereits am 22. Mai 1954 se<strong>in</strong>e<br />

Zustimmung zu den Beschlagnahmungen rückgängig gemacht und führte erneut<br />

Verhandlungen mit dem Bundesf<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isterium und der US-Militärverwaltung,<br />

die jedoch erfolglos blieben. 130 Am 30. Juni 1954 debattierte die Bremische Bürgerschaft<br />

über zwei Anträge der <strong>KPD</strong> und der DP gegen die Beschlagnahmungen, die<br />

beide abgelehnt wurden. 131 Am 14. Juli 1954 wurde das Thema »Großer Bl<strong>in</strong>k« auf<br />

Antrag des Bremer DP-Abgeordneten Herbert Schneider sowie des SPD-<br />

Abgeordneten Philipp Wehr auch im Bundestag behandelt. 132<br />

Auch wegen der quer durch alle Parteien gehenden Ablehnung der Beschlagnahmungen<br />

gelang es der <strong>KPD</strong> nicht, entscheidenden E<strong>in</strong>fluss auf die Debatte zu<br />

erlangen. <strong>Die</strong> Bewohner des »Großen Bl<strong>in</strong>k« selbst grenzten sich von der <strong>KPD</strong> ab,<br />

sprachen von »kommunistischen Aufrührern« und schlossen auf Versammlungen<br />

Kommunisten aus. 133 <strong>Die</strong> Me<strong>in</strong>ungsführerschaft <strong>in</strong> der öffentlichen Debatte wie unter<br />

den Bewohnern hatte zunächst die DP mit ihrem Bundestagsabgeordneten Herbert<br />

Schneider an der Spitze, wie auch <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>-Landesleitung konstatiert werden<br />

musste. 134<br />

<strong>Die</strong> erste Gelegenheit, sich an die Spitze des bis dah<strong>in</strong> von den Bewohnern nur<br />

wenig <strong>org</strong>anisierten Widerstand zu setzen, bot sich der <strong>KPD</strong>, als am 10. Juli 1954<br />

die ersten Häuser am Großen Bl<strong>in</strong>k abgerissen werden sollten. Etwa 200 bis 300<br />

E<strong>in</strong>wohner (nach Darstellung der <strong>KPD</strong>) und e<strong>in</strong>ige kommunistische Stadtverordnete<br />

und Bürgerschaftsabgeordnete verh<strong>in</strong>derten den Baubeg<strong>in</strong>n. 135 Faktisch waren es<br />

wohl die vier <strong>KPD</strong>-Abgeordneten Maria Krüger, Erw<strong>in</strong> Schmidt (beide MdBB), Karl<br />

Trischmann und He<strong>in</strong>z R<strong>in</strong>ner (Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven), die<br />

die Initiative ergriffen, sich vor die Bagger setzten und damit die E<strong>in</strong>stellung der<br />

Bauarbeiten erzwangen. 136 <strong>Die</strong>s war e<strong>in</strong> erster Erfolg für die Bewohner wie auch<br />

für die <strong>KPD</strong>, die sich nun als »Spitze des Widerstands« darstellen konnte.<br />

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich Landesleitung und -sekretariat kaum <strong>in</strong> der<br />

Thematik »Großer Bl<strong>in</strong>k« engagiert. Auch während der Aktion am 10. Juli war ke<strong>in</strong><br />

Vertreter des Sekretariats anwesend. Maria Krüger schilderte die Ereignisse später<br />

so:<br />

129 Flugblätter der <strong>KPD</strong>-Kreisleitung <strong>in</strong> Privatarchiv Hermann Gautier.<br />

130 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 118.<br />

131 Ebenda, S. 118f.<br />

132 Ebenda, S. 119f.<br />

133 Ebenda, S. 122f.<br />

134 Protokoll der Landesleitungssitzung am 24.7.1954 <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.<br />

135 Bagger am Großen Bl<strong>in</strong>k gestoppt, Tribüne der Demokratie, 12. Juli 1954.<br />

136 Ebenda. Maria Krüger gab später <strong>in</strong> der Landesleitung e<strong>in</strong>e ähnliche Darstellung (Protokoll der Landesleitungssitzung<br />

am 24.7.1954 <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3).


Politik und Programmatik 173<br />

»<strong>Die</strong> jetzige Haltung der Bewohner am Bl<strong>in</strong>k zeigt, dass der Widerstandswille der Bl<strong>in</strong>k-<br />

Bewohner doch tiefer war, als wir es annahmen. Unverständlich ist es, dass trotzdem der Partei<br />

bekannt war, dass am 10. Juli die Räumungsarbeiten beg<strong>in</strong>nen sollten, der Gen. Meyer-<br />

Buer <strong>in</strong> Urlaub fuhr und Karl S.[<strong>in</strong>ger] 137 auf e<strong>in</strong>er Sitzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> weilte. Ich bekam den<br />

Auftrag, mich sofort zum Großen Bl<strong>in</strong>k zu begeben. Ich g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> dem Glauben, dass das Kreis-<br />

Sekr. wusste, was zu tun sei. Es war aber so, dass ke<strong>in</strong>er sich darauf vorbereitet hatte. Der Zustand<br />

war der, dass am M<strong>org</strong>en des 10. Juli der Bagger zu arbeiten begann und praktisch nur<br />

der Gen. Erw<strong>in</strong> Sch.[midt], Karl Tr.[ischmann] und Maria selbst vor dem Bagger standen.<br />

Daraus zeigt sich, dass das Landes-Sekr. die ganze Angelegenheit Bl<strong>in</strong>k unterschätzte. Nach<br />

mehrmaligen Anrufen des Gen. 2. Kreis-Sekr. erschien dann abends erst der Gen. 1. L.-<br />

Sekr.« 138<br />

Erst jetzt, nach der ersten Widerstandsaktion, beschäftigte sich auch das Sekretariat<br />

näher mit dem »Großen Bl<strong>in</strong>k«. Im Zentrum stand dabei wieder e<strong>in</strong> altes<br />

Problem: die Mobilisierung der Bevölkerung und der eigenen Partei. <strong>Die</strong> Abbrucharbeiten<br />

am 10. Juli hatten ke<strong>in</strong>eswegs die ganze Stadt <strong>in</strong> Alarmbereitschaft versetzt,<br />

wie die Tribüne der Demokratie zuvor gefordert hatte, 139 und auch die <strong>KPD</strong><br />

selbst war nur mit den wenigen Abgeordneten an der Widerstandsaktion beteiligt<br />

gewesen. »Man kann nicht davon sprechen«, so das treffende Fazit von Hermann<br />

Gautier im Sekretariat, »dass wir <strong>in</strong> Bremerhaven die Bevölkerung <strong>in</strong> Bewegung<br />

gebracht haben, um zu verh<strong>in</strong>dern, dass der Ami das Gelände beschlagnahmt.« 140<br />

<strong>Die</strong> Kritik des Sekretariats richtete sich vor allem gegen die Mitglieder und das<br />

Kreissekretariat <strong>in</strong> Bremerhaven. Gautier hatte bereits auf e<strong>in</strong>er LL-Tagung Ende<br />

Juni 1954 das »Zurückweichen unserer Partei« vor den antikommunistischen E<strong>in</strong>stellungen<br />

der Bl<strong>in</strong>k-Bewohner kritisiert, das dazu geführt habe, »dass es der Deutschen<br />

Partei wenigstens zum Teil gelungen ist, die Initiative zu ergreifen und sich<br />

als Beschützer der von der Landbeschlagnahme bedrohten Bevölkerung aufzuspielen«.<br />

141 E<strong>in</strong>en Monat später warf der Zweite Sekretär Ulrich Konetzka der Parteileitung<br />

<strong>in</strong> Bremerhaven erneut die mangelnde Mobilisierung der Mitgliedschaft vor.<br />

Zwar stünde der »Kampf der Bevölkerung« mittlerweile »<strong>in</strong> der Tat unter der Führung<br />

der Partei«, aber:<br />

»Es gibt noch e<strong>in</strong>e große Schwäche der Partei <strong>in</strong> Bremerhaven. Es waren nur wenige Genossen<br />

am Großen Bl<strong>in</strong>k, die dort entscheidende Arbeit leisteten. <strong>Die</strong> Partei ist <strong>in</strong> diesem Widerstandskampf<br />

nicht wirklich mobilisiert worden. <strong>Die</strong> Masse der Partei steht abseits. Erst <strong>in</strong> der<br />

<strong>in</strong> der vergangenen Woche fasste das Kreis-Sekr. mit Unterstützung der LL den Beschluss, <strong>in</strong><br />

allen Grunde<strong>in</strong>heiten Mitgliedervers. stattf<strong>in</strong>den [zu lassen], um alle Genossen für diesen<br />

Kampf zu aktivieren.« 142<br />

E<strong>in</strong>ige von der Mitgliedschaft für das fehlende Engagement v<strong>org</strong>ebrachte<br />

Gründe nannte Hermann Gautier später auf e<strong>in</strong>er Tagung des Parteivorstands.<br />

137 S<strong>in</strong>ger war 1. Kreissekretär der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Bremerhaven.<br />

138 Protokoll der Landesleitungssitzung am 24.7.1954 <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.<br />

139 Ab Sonnabend nacht Alarmbereitschaft, Tribüne der Demokratie, 7. Juli 1954.<br />

140 Protokoll der LSS v. 13.7.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

141 Unsere Grundforderung: Besatzung raus!, Tribüne der Demokratie, 19. Juli 1954.<br />

142 Protokoll der Landesleitungssitzung vom 24.7. 1954 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.


174<br />

Politik und Programmatik<br />

»Es gab beispielsweise solche Auffassungen, dass man mit den Menschen dort am Großen<br />

Bl<strong>in</strong>k nicht kämpfen könne, dass das alles ehemalige Nationalsozialisten seien, Leute, die dem<br />

Bürgertum angehören, die irgendwie religiöse Fanatiker s<strong>in</strong>d. Es gab beispielsweise dort e<strong>in</strong>en<br />

Ausschussvorsitzenden der Bibelforscher. 143 [...]. Es hat zunächst auch e<strong>in</strong>ige Schwächen<br />

<strong>in</strong> der Beziehung gegeben, dass die Parteileitung <strong>in</strong> Bremerhaven trotz unserer Diskussionen<br />

vom LS aus nicht bereit war, e<strong>in</strong>e eigene Versammlung oder Kundgebung durchzuführen,<br />

und dass es sogar solche Tendenzen gab, weil die Partei dort auch <strong>in</strong> den Jahren nach <strong>1945</strong><br />

sich nie hat sehen lassen, dass es z.T. e<strong>in</strong>e Ablehnung unserer Partei gab. Es gab solch e<strong>in</strong>e<br />

Stimmung, dass wir dort nicht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten könnten, weil die Menschen uns sofort<br />

ablehnen würden, wenn wir als Kommunisten für sie e<strong>in</strong>treten.« 144<br />

Im weiteren Verlauf der Affäre versuchte das Sekretariat vor allem, die Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

<strong>in</strong> den Zusammenhang mit ihrer nationalen Politik zu stellen und<br />

sie als Aktion gegen den EVG-Vertrag zu werten und zu nutzen. <strong>Die</strong> Kreisleitung<br />

Bremerhaven hatte <strong>in</strong> ihren ersten Flugblättern sofort diesen Zusammenhang hergestellt,<br />

ihn jedoch nicht <strong>in</strong> den Vordergrund gerückt und außerdem nationalistische<br />

Phrasen weitgehend vermieden - wohl auch, um den unter den Bewohnern<br />

verbreiteten Verdacht der parteipolitischen Instrumentalisierung von vornhere<strong>in</strong> zu<br />

vermeiden. Dem Landessekretariat g<strong>in</strong>g dies nicht weit genug. Es sei »völlig unverständlich«,<br />

so Hermann Gautier <strong>in</strong> der Landesleitung, »wenn über e<strong>in</strong>e längere<br />

Zeitspanne, nachdem die Bewegung im Gang ist, das Kreis-Sekretariat nach wie vor<br />

der Auffassung war, man darf den Menschen den Zusammenhang der Landbeschlagnahme<br />

mit der EVG-Politik nicht aufzeigen«. 145 Ulrich Konetzka brachte die<br />

L<strong>in</strong>ie des Sekretariats auf den Punkt: »Der Kampf am Bl<strong>in</strong>k kann nicht auf der Stufe<br />

des gegenwärtigen Widerstandskampfes stehen bleiben, es muss e<strong>in</strong>e bewusste Aktion<br />

gegen die EVG werden«. 146<br />

Im Zentrum der Diskussionen mit dem Kreissekretariat Bremerhaven stand die<br />

Forderung des Landessekretariats, den Widerstand am Großen Bl<strong>in</strong>k für die Durchführung<br />

der sogenannten »Volksabstimmung« zu nutzen. <strong>Die</strong> Unterschriftensammlung<br />

war im März 1954 gestartet worden und war - <strong>in</strong> Anlehnung an die Volksbefragung<br />

von 1951 - e<strong>in</strong> weiterer Versuch der <strong>KPD</strong> zur Entwicklung außenparlamentarischer<br />

Aktionen und Bewegungen gegen die EVG-Verträge. <strong>Die</strong> Aktion fand<br />

kaum öffentliche Resonanz, und die <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft engagierte sich nur wenig.<br />

Man sei <strong>in</strong> drei Monaten »über die Abstimmung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Straßenzügen sowie<br />

Versammlungen und anderen Veranstaltungen nicht h<strong>in</strong>ausgekommen«, schrieb<br />

e<strong>in</strong> Instrukteur im Juli 1954. 147<br />

Das Sekretariat sah nun die Aktionen am Bl<strong>in</strong>k als glänzende Gelegenheit zur<br />

Durchführung der Volksabstimmung, wogegen sich das Kreissekretariat Bremerhaven<br />

aber offenbar sperrte. Der Widerstand der Bl<strong>in</strong>k-Bewohner, so Hermann<br />

143 Sprecher der »Notgeme<strong>in</strong>schaft Bl<strong>in</strong>k« war der Architekt Wett<strong>in</strong> Müller. Müller war Anhänger der<br />

Zeugen Jehovas.<br />

144 Stenographische Niederschrift der 15. Parteivorstands-Sitzung der Kommunistischen Partei Deutschlands am<br />

19. August 1954, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/240.<br />

145 Unsere Grundforderung: Besatzung raus!, Tribüne der Demokratie, 19. Juli 1954.<br />

146 Protokoll der LSS v. 3.8.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

147 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 17.6. bis 14.7.1954, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.


Politik und Programmatik 175<br />

Gautier bereits im Juni 1954, zeige »die großen Möglichkeiten, dort erfolgreich die<br />

Hauptaufgabe der Partei, die Durchführung der Volksabstimmung <strong>in</strong> Angriff zu<br />

nehmen. Trotz der laufenden Diskussionen mit dem Kreis-Sekretariat <strong>in</strong> Bremerhaven<br />

ist bis jetzt die Volksabstimmung nicht durchgeführt«. 148 Wie sich das Sekretariat<br />

diese Durchführung vorstellte, schilderte Ulrich Konetzka am Beispiel der Aktionen<br />

vom 10. Juli 1954:<br />

»Der Genosse Karl S<strong>in</strong>ger hatte mit e<strong>in</strong>em Polizeioffizier e<strong>in</strong>e ziemlich heftige Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

während der Aktion zur Verh<strong>in</strong>derung der Baggerarbeiten. Viele Bewohner des großen<br />

Bl<strong>in</strong>k standen dabei und stimmten der Argumentation des Gen. Karl demonstrativ zu. In<br />

diesem Kreis wäre es unserer Me<strong>in</strong>ung nach möglich und notwendig gewesen, e<strong>in</strong>e Volksabstimmung<br />

durchzuführen. Der Gen. Karl, der sich hier im großen und ganzen prächtig geschlagen<br />

hat, kam jedoch gar nicht auf diesen Gedanken.« 149<br />

E<strong>in</strong>e »Volksabstimmung«, d.h. die Instrumentalisierung, gelang auch nicht,<br />

nachdem der Konflikt am Großen Bl<strong>in</strong>k am 4./5. August 1954 eskalierte und mit<br />

der Beteiligung zweier Werft-Belegschaften am Widerstand gegen die Räumung<br />

des Gebietes endlich auch die von der <strong>KPD</strong> zuvor immer geforderte E<strong>in</strong>beziehung<br />

der Arbeiterschaft <strong>in</strong> die Aktionen gegeben war. Am 4. August kam es erstmals zu<br />

gewalttätigen Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen Polizeikräften, die Bauarbeitern den<br />

Zugang zu den Grundstücken verschaffen sollten, und aufgebrachten Bewohnern,<br />

die mit Heugabeln, Reitpeitschen und ähnlichen Geräten ihre Häuser verteidigten.<br />

Am 5. August kam es zu noch schwereren Zusammenstößen, als die Polizei unter<br />

dem E<strong>in</strong>satz von Gummiknüppeln e<strong>in</strong> Kirchengrundstück räumte und dabei auch<br />

gegen Frauen und K<strong>in</strong>der v<strong>org</strong><strong>in</strong>g. <strong>Die</strong> Bl<strong>in</strong>kbewohner alarmierten Arbeiter auf der<br />

Seebeck- und der Rickmers-Werft, deren Belegschaften daraufh<strong>in</strong> die Arbeit niederlegten,<br />

mit ca. 1.500 Mann zum »Großen Bl<strong>in</strong>k« marschierten und die Polizei zum<br />

Rückzug zwangen.<br />

Für die <strong>KPD</strong> war das E<strong>in</strong>greifen der Werftarbeiter natürlich e<strong>in</strong> Fanal. In e<strong>in</strong>er<br />

später herausgebrachten Broschüre über die Ereignisse am Bl<strong>in</strong>k sprach sie pathetisch<br />

von e<strong>in</strong>em »Ruhmesblatt <strong>in</strong> der Geschichte der deutschen Arbeiterklasse im<br />

nationalen Kampf unseres Volkes um E<strong>in</strong>heit, Demokratie und Unabhängigkeit«.<br />

»Zum erstenmal nach <strong>1945</strong> erklärten sich <strong>in</strong> Westdeutschland Arbeiter von Großbetrieben<br />

mit der von der Landbeschlagnahme betroffenen Bevölkerung solidarisch<br />

und führten aus politischen Gründen e<strong>in</strong>en Streik und e<strong>in</strong>e offene Aktion gegen die<br />

Staatsmacht durch.« 150<br />

Hermann Gautier musste allerd<strong>in</strong>gs zwei Wochen nach den Ereignissen vor<br />

dem Parteivorstand e<strong>in</strong>räumen, dass es sich bei der Aktion der Werftarbeiter wohl<br />

kaum um e<strong>in</strong>en »politischen Streik« im S<strong>in</strong>ne der <strong>KPD</strong> gehandelt hatte. Gautier<br />

stellte fest,<br />

»dass der größte Teil der Werftarbeiter nicht etwa demonstriert hat, weil sie schon erkannt<br />

haben, dass es hier um e<strong>in</strong>en Kampf gegen die EVG geht, sondern sie haben uns erklärt, sie<br />

148 Weiß jeder am Bl<strong>in</strong>k, warum er räumen muss?, Tribüne der Demokratie, 16. Juli 1954.<br />

149 Auszug aus dem Referat des 2. Landes-Sekr. auf der Landesleitungssitzung am 25.7.1954, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/2.<br />

150 Der Kampf um den Bl<strong>in</strong>k, Broschüre,<strong>Bremen</strong>o.J.[PrivatarchivHermannGautier].


176<br />

Politik und Programmatik<br />

hätten darum gekämpft, weil sich der Polizeiterror gegen Frauen und K<strong>in</strong>der gerichtet hätte.<br />

Wenn man den Leuten e<strong>in</strong>en anständigen Kaufvertrag gegeben hätte, sie anständig abgefunden<br />

hätte, wären sie, so sagten sie, nicht auf die Strasse gegangen, wenn die Polizei nicht e<strong>in</strong>geschritten<br />

hätte.« 151<br />

Nach den gewalttätigen Ause<strong>in</strong>andersetzungen am 5. August 1954 flaute der<br />

Konflikt langsam ab. <strong>Die</strong> Polizei sperrte das Gelände ab und bereits am 6. August<br />

g<strong>in</strong>gen die Bauarbeiten weiter, ohne dass es <strong>in</strong> der Folgezeit noch zu größerer Gegenwehr<br />

kam. <strong>Die</strong> Bewohner erhielten günstige Angebote für den Verkauf ihrer<br />

Häuser, und die meisten verließen schließlich im Verlaufe des Herbstes ihre<br />

Grundstücke freiwillig. 152<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> versuchte noch mehrfach, den Widerstand und die Debatte aufrecht zu<br />

erhalten, u.a. durch Anträge <strong>in</strong> der Bürgerschaft und mit E<strong>in</strong>wohnerversammlungen,<br />

konnte aber freilich die schw<strong>in</strong>dende Gegenwehr der Bewohner nicht verh<strong>in</strong>dern.<br />

Mit der Affäre um den »Großen Bl<strong>in</strong>k« war die <strong>KPD</strong> damit wiederum gescheitert<br />

an ihren eigenen, völlig unrealistischen Ansprüchen, jede politische Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

auf kommunaler Ebene im S<strong>in</strong>ne ihrer nationalen Politik zu <strong>in</strong>terpretieren<br />

und zu <strong>in</strong>strumentalisieren. Am Bl<strong>in</strong>k waren allerd<strong>in</strong>gs im Gegensatz zu<br />

anderen kommunalpolitischen Thematiken immerh<strong>in</strong> günstige Voraussetzungen<br />

dafür vorhanden, da zum e<strong>in</strong>en die Beschlagnahmung von Land für Bauten der Besatzungsmacht<br />

sehr wohl im Zusammenhang mit deutschlandpolitischen Problemen<br />

betrachtet werden konnte und es zum anderen erstmals so etwas wie aktiven<br />

Widerstand von Seiten der Bewohner und der Werftbelegschaften gegen die Staatsgewalt<br />

gab. <strong>Die</strong> Kreisleitung <strong>in</strong> Bremerhaven hatte sich <strong>in</strong> den ersten Wochen der<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung immerh<strong>in</strong> bemüht, hier anzuknüpfen und die Zusammenhänge<br />

mit dem EVG-Vertrag zwar zu thematisieren, sie aber nicht zum Zwecke der<br />

parteipolitischen Instrumentalisierung <strong>in</strong> den Vordergrund gestellt. Deutlich wurde<br />

dies vor allem an der Weigerung, die vom Landessekretariat als primäres Ziel des<br />

Widerstands am Bl<strong>in</strong>k propagierte Volksabstimmung durchzuführen. Auch nach<br />

den Vorfällen vom 5. August 1954 geschah h<strong>in</strong>sichtlich der Volksabstimmung auf<br />

dem Bl<strong>in</strong>k oder bei den Werftarbeitern nichts. Das Sekretariat sah gar <strong>in</strong> den Weigerungen<br />

des Kreissekretariats Bremerhaven e<strong>in</strong>e wesentliche Ursache für das<br />

Ausbleiben weiterer Aktionen 153 und kritisierte die »Leitungsfe<strong>in</strong>dlichkeit, die Kritikfe<strong>in</strong>dlichkeit<br />

und Überheblichkeit der Genossen« 154.<br />

151 Stenographische Niederschrift der 15. Parteivorstands-Sitzung der Kommunistischen Partei Deutschlands am<br />

19. August 1954, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/240.<br />

152 Zum weiteren Verlauf der Affäre Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 124ff.<br />

153 So Hermann Gautier vor dem Parteivorstand (Stenographische Niederschrift der 15. Parteivorstands-<br />

Sitzung der Kommunistischen Partei Deutschlands am 19. August 1954, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/240).<br />

154 So Ulrich Konetzka im Sekretariat (Protokoll der LSS vom 17.8.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8). Noch im August<br />

kam es im Zusammenhang mit dieser Thematik zu e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Sitzung von Vertretern des<br />

Landessekretariats und des Kreissekretariats Bremerhaven, auf der das LS die Kritik wiederholte (das<br />

Kreissekretariat habe »<strong>in</strong> der Entwicklung der Aktion [...] ke<strong>in</strong>e genügend konkrete und beharrliche<br />

Orientierung auf die Volksabstimmung«). Das KS warf im Gegenzug dem Landessekretariat vor, falsch<br />

angeleitet zu haben, »und erst als sie Politik auf eigene Faust gemacht hätten, der Erfolg e<strong>in</strong>getreten<br />

wäre« (Brief Landessekretariat an den Parteivorstand, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8].


Politik und Programmatik 177<br />

Der »Große Bl<strong>in</strong>k« war der letzte Höhepunkt der auf kommunaler Ebene schematisch<br />

umgesetzten nationalen Politik der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Am Pr<strong>in</strong>zip dieser Politik<br />

änderte sich bis zum Verbot 1956 - und darüber h<strong>in</strong>aus - nichts wesentliches.<br />

Es waren aber zum<strong>in</strong>dest Bemühungen erkennbar, der Kommunalpolitik e<strong>in</strong>en<br />

größeren und eigenständigeren Stellenwert <strong>in</strong> der Arbeit der Partei zu verschaffen.<br />

Im Vorfeld der Bürgerschaftswahlen im Oktober 1955 brachte die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen<br />

Bremer Stadtteilen erstmals e<strong>in</strong>e Reihe von sogenannten Wohngebietszeitungen<br />

heraus. 155 <strong>Die</strong> Blättchen thematisierten zwar nach wie vor auch die Friedenspolitik,<br />

konzentrierten sich aber schwerpunktmäßig auf kommunale Probleme des jeweiligen<br />

Stadtteils wie fehlende Straßenbeleuchtungen, Verkehrsaufkommen, E<strong>in</strong>trittspreise<br />

<strong>in</strong> Schwimmbädern, Ausstattung von K<strong>in</strong>derspielplätzen und ähnlichem.<br />

Anlass dieser verstärkten Bemühungen waren natürlich zunächst die bevorstehenden<br />

Bürgerschaftswahlen, allerd<strong>in</strong>gs erschienen die Stadtteilzeitungen auch danach<br />

noch relativ regelmäßig weiter. Ausdruck solcher tendenziellen Modifikationen <strong>in</strong><br />

der praktischen Politik der <strong>KPD</strong> war auch e<strong>in</strong> im Frühjahr 1956 an die Funktionäre<br />

ausgegebenes kommunalpolitisches Handbuch der Landesleitung. 156 Es werde<br />

damit, so die E<strong>in</strong>leitung, »e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> der Partei schon lange bestehenden Bedürfnis<br />

Rechnung getragen«. Der umfangreiche Text setzte sich detailliert und stellenweise<br />

sehr fundiert mit der Arbeit im Parlament, der Steuer-, Kultur-, Jugend-, Gesundheits-<br />

und Wohnungsbaupolitik sowie der »Kle<strong>in</strong>arbeit« <strong>in</strong> Ortsteilen, Vere<strong>in</strong>en<br />

und Bürger<strong>in</strong>itiativen ause<strong>in</strong>ander.<br />

<strong>Die</strong> Akzentverschiebung von der absoluten Dom<strong>in</strong>anz der nationalen Politik<br />

der vorangegangenen Jahre h<strong>in</strong> zu dem Bemühen um e<strong>in</strong>e zum<strong>in</strong>dest gleichberechtigte<br />

und eigenständige Stellung kommunalpolitischer Themen war also spätestens<br />

seit 1955 durchaus erkennbar, politisch wirksam werden konnte sie <strong>in</strong>des bis zum<br />

Verbot 1956 nicht mehr.<br />

3. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bremischen Bürgerschaft<br />

<strong>Die</strong> Arbeit der <strong>KPD</strong> im Bremer Landes- und Stadtparlament verdient aus zweierlei<br />

Gründen e<strong>in</strong>e gesonderte Betrachtung. Zum e<strong>in</strong>en war <strong>Bremen</strong> das e<strong>in</strong>zige Bundesland,<br />

<strong>in</strong> dem die Partei noch zum Zeitpunkt des Verbots im Parlament vertreten<br />

war. Zum anderen wurde <strong>in</strong> der Bürgerschaft e<strong>in</strong> durchaus besonderes Verhältnis<br />

zur SPD sichtbar, das sich auch <strong>in</strong> gelegentlichen geme<strong>in</strong>samen Abstimmungen gegen<br />

die Koalitionspartner der regierenden Sozialdemokraten manifestierte.<br />

Der Stellenwert der Arbeit <strong>in</strong> den bürgerlichen Parlamenten der Bundesrepublik<br />

war für die <strong>KPD</strong> seit dem Ende ihrer Regierungsbeteiligungen und dem Beg<strong>in</strong>n<br />

155 Exemplare von Rund um den Oslebshauser Park (Stadtteil Gröpel<strong>in</strong>gen), De Latuchte (Hemel<strong>in</strong>gen), F<strong>in</strong>dorff<br />

ruft (F<strong>in</strong>dorff), Rund um die Zapfstelle (Blockland) und Buntentorspost (Buntentor) <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/20/18 und I 10/20/19.<br />

156 In: SAPMO I 10/20/6.


178<br />

Politik und Programmatik<br />

ihrer politischen Radikalisierung e<strong>in</strong> ambivalentes und eher <strong>in</strong>strumentelles. 157 <strong>Die</strong><br />

Parlamentsarbeit war »immer nachrangig, bestenfalls gleichrangig zu den Massenaktionen,<br />

zur außerparlamentarischen Arbeit. <strong>Die</strong> Nutzung des Parlaments als Tribüne<br />

war Teil des strategischen Konzepts.« 158<br />

In <strong>Bremen</strong> war der <strong>in</strong>nerparteiliche Stellenwert der Vertretung <strong>in</strong> der Bürgerschaft<br />

pr<strong>in</strong>zipiell ke<strong>in</strong> anderer. Deutlich wird dies schon daran, dass die Arbeit der<br />

Bürgerschaftsfraktion so gut wie nie im Sekretariat oder <strong>in</strong> der Landesleitung thematisiert<br />

wurde. Dazu Willy Meyer-Buer, ab 1951 Fraktionsvorsitzender der <strong>KPD</strong><br />

<strong>in</strong>derBremerBürgerschaft,ausheutigerSicht:<br />

»Das Parlament galt bei uns ganz wenig. Parlamentarische Arbeit genoss ke<strong>in</strong>e hohe Wertschätzung<br />

dadurch, dass wir das Parlament diskreditiert hatten bei jeder Gelegenheit. Und<br />

mit der Diskreditierung e<strong>in</strong>er Institution wurden natürlich auch die Kräfte mit diskreditiert,<br />

die <strong>in</strong> dieser Institution tätig s<strong>in</strong>d, also wir selbst. Ich hab das auch gar nicht als sehr beschämend<br />

empfunden, sondern das war halt so. [...]. Andere Leute haben das besser bewertet als<br />

wir selbst.« 159<br />

Dennoch war es gerade die Bürgerschaftsfraktion, die der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> noch<br />

am ehesten e<strong>in</strong>e Art positives Image verschaffte und ihr auch während der zunehmenden<br />

Isolation auf anderen Ebenen trotz aller antikommunistisch motivierten<br />

politischen Gegensätze zum<strong>in</strong>dest punktuell Anerkennung verschaffte. <strong>Die</strong>se Anerkennung,<br />

auch durch den politischen Gegner, bezog sich allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der Regel<br />

auf e<strong>in</strong>zelne Mitglieder der Fraktion, denen auch <strong>in</strong> späteren Veröffentlichungen<br />

immer wieder e<strong>in</strong> hohes Maß an persönlicher und politischer Integrität besche<strong>in</strong>igt<br />

wurde. »An diesen Kommunisten«, so der ke<strong>in</strong>eswegs als <strong>KPD</strong>-freundlich geltende<br />

Horst Adamietz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch über die »Bremer Parlamentarier 1951 - 1959«, »hat<br />

es nicht gelegen, dass ihre Partei <strong>in</strong> den 50er Jahren e<strong>in</strong>en solchen Niedergang erlebte«.<br />

160<br />

<strong>Die</strong> Voraussetzungen dafür, dass diese Persönlichkeiten wie auch die Politik der<br />

<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bürgerschaft, öffentlich überhaupt wahrgenommen wurden, waren <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> relativ günstig. Der Stadtstaat-Charakter des Landes bed<strong>in</strong>gte e<strong>in</strong>e enge<br />

räumliche Nähe politischer Institutionen wie auch ihrer Träger. H<strong>in</strong>zu kam, dass<br />

die Bürgerschaftssitzungen im Rundfunk live übertragen wurden, e<strong>in</strong> gerade angesichts<br />

der antikommunistischen Berichterstattung der anderen Medien für die <strong>KPD</strong><br />

nicht zu unterschätzender Faktor, der zudem auch die Attraktivität des Parlaments<br />

als »Tribüne« noch steigerte.<br />

Aus dieser erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit und der Anerkennung e<strong>in</strong>zelner<br />

kommunistischer Abgeordneter ergab sich denn auch e<strong>in</strong> zum<strong>in</strong>dest graduell<br />

höherer <strong>in</strong>nerparteilicher Stellenwert der Bürgerschaftsfraktion. Am deutlichsten<br />

wurde dies <strong>in</strong> der Legislaturperiode zwischen 1947 und 1951, die für die <strong>KPD</strong> mar-<br />

157 Siehe zur Parlamentsarbeit der <strong>KPD</strong> nach <strong>1945</strong> das grundlegende und detaillierte Werk von Jens Ulrich<br />

Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O.; außerdem Patrick Major, The death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S.<br />

74ff.<br />

158 Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 441.<br />

159 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 2.<br />

160 Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre. Bremer Parlamentarier 1951 - 1959, <strong>Bremen</strong> 1978, S. 252.


Politik und Programmatik 179<br />

kiert wurde durch das Ausscheiden aus dem Senat Anfang 1948 und der Absetzung<br />

des Fraktionsvorsitzenden Rudolf Rafoth im April 1951. Ähnlich wie für die Parteileitung<br />

kann diese Periode als e<strong>in</strong>e Übergangsphase für die Parlamentsarbeit der<br />

<strong>KPD</strong> gesehen werden. <strong>Die</strong> Rolle der Fraktion <strong>in</strong> der Bürgerschaft war zum e<strong>in</strong>en<br />

noch sehr stark geprägt von ihrer Tätigkeit als Regierungspartei von <strong>1945</strong> bis Anfang<br />

1948, andererseits wurden zunehmend Konfrontationsl<strong>in</strong>ien deutlich, die vor<br />

allem entlang der deutschlandpolitischen Entwicklungen verliefen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war am 12. Oktober 1947 mit zehn Abgeordneten <strong>in</strong> die Bürgerschaft<br />

gewählt worden. Aus <strong>Bremen</strong> waren dies der Fraktionsvorsitzende Rudolf Rafoth,<br />

se<strong>in</strong> Stellvertreter Wilhelm Meyer-Buer, die ehemalige Gesundheitssenator<strong>in</strong> Käthe<br />

Popall, der Erste Bezirkssekretär Wilhelm Knigge sowie He<strong>in</strong>rich Nolte, He<strong>in</strong>rich<br />

<strong>Die</strong>trich und der B<strong>org</strong>ward-Betriebsrat Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann. Aus <strong>Bremen</strong>-Nord kamen<br />

Albert Häusler und nach dessen Ausscheiden aus der Bürgerschaft im März<br />

1948 Erika Ewert. Bremerhaven stellte mit Erw<strong>in</strong> Schmidt und Hermann Schwager<br />

161 zwei <strong>KPD</strong>-Abgeordnete. 162<br />

Im Vorstand der Bürgerschaft war die <strong>KPD</strong> mit He<strong>in</strong>rich Nolte (Schriftführer)<br />

vertreten, 163 ebenso stellte sie je e<strong>in</strong>en Abgeordneten <strong>in</strong> allen Ausschüssen des Parlaments<br />

164. Bedeutsamer als diese eher durch Verwaltungsaufgaben geprägten<br />

Ausschüsse waren die Deputationen, e<strong>in</strong> wesentlicher Eckpfeiler der Bremischen<br />

Bürgerschaft und e<strong>in</strong>e Besonderheit der Bremer Verfassung. <strong>Die</strong> Deputationen, deren<br />

Vorsitz das jeweils zuständige Senatsmitglied <strong>in</strong>nehatte, stellten die Schnittstelle<br />

zwischen Senat und Parlamentsplenum dar und hatten über Haushaltspläne und<br />

alle anderen »Angelegenheiten ihres jeweiligen Verwaltungszweiges« zu beraten<br />

und beschließen. 165 E<strong>in</strong>e Besonderheit der Deputationen war, dass ihre Mitglieder<br />

nicht zwangsläufig der Bürgerschaft angehören mussten, 166 womit die »gerade für<br />

die <strong>KPD</strong> wichtige Verzahnung von Fraktion und Partei <strong>in</strong>stitutionalisiert werden<br />

konnte« 167. <strong>Die</strong> Partei stellte <strong>in</strong> allen staatlichen und städtischen Deputationen jeweils<br />

e<strong>in</strong>en Vertreter. Nur <strong>in</strong> fünf der <strong>in</strong>sgesamt 18 Deputationen war der <strong>KPD</strong>-<br />

Vertreter auch Bürgerschaftsabgeordneter. 168 <strong>Die</strong> »außerparlamentarischen« <strong>KPD</strong>-<br />

Mitglieder <strong>in</strong> den übrigen Deputationen waren dabei weitgehend <strong>in</strong> die Arbeit der<br />

Fraktion <strong>in</strong>tegriert und nahmen auch an den Fraktionssitzungen teil. 169<br />

161 Schwager verließ im Oktober 1950 die <strong>KPD</strong>-Fraktion und schloss sich im April 1951 der SPD an.<br />

162 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft. Herausgegeben vom Vorstand der Bremischen Bürgerschaft,<br />

<strong>Bremen</strong> 1950, S. 126.<br />

163 Ebenda, S. 117.<br />

164 Ebenda, S. 148ff. Siehe auch die Auflistung bei Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament,<br />

a.a.O., S. 142.<br />

165 Gesetz über die Deputationen vom 2. März 1948, <strong>in</strong>: Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, a.a.O., S.<br />

130ff., hier S. 130.<br />

166 Ebenda, S. 130f.<br />

167 Jens Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 142.<br />

168 <strong>Die</strong>s waren die F<strong>in</strong>anzdeputation (Wilhelm Meyer-Buer), die Deputation für den Fischereihafen <strong>in</strong><br />

Bremerhaven (Hermann Schwager), die Deputation für die politische Befreiung (Rudolf Rafoth), die<br />

Deputation für Häfen und Schifffahrt (Erw<strong>in</strong> Schmidt) und die Deputation für Wirtschaftsforschung<br />

und Außenhandel (Wilhelm Meyer-Buer) (Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, a.a.O., S. 117).<br />

169 Vgl. diverse Protokolle von Fraktionssitzungen <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/20.


180<br />

Politik und Programmatik<br />

Herausragender Kopf der <strong>KPD</strong>-Fraktion war ihr Vorsitzender Rudolf Rafoth,<br />

der e<strong>in</strong>e weit über die eigene Partei h<strong>in</strong>aus gehende Anerkennung genoss:<br />

»Rudolf Rafoth war e<strong>in</strong>er jener Sterne <strong>in</strong> der kommunistischen Partei, die für kurze Zeit alles<br />

andere überstrahlen [...] Als die kommunistische Partei sich <strong>1945</strong> konstituierte, war dieser<br />

kluge, <strong>in</strong>teressante, bee<strong>in</strong>druckende Mann Persona grata. Glänzender Redner - er sprach fesselnd<br />

und vollkommen frei, viele Abgeordnete hielten ihn für den besten Rhetoriker des Parlaments<br />

-, hatte er zudem e<strong>in</strong>e starke Überzeugungskraft, wirkte glaubhaft, weil er se<strong>in</strong>er ehrlichen<br />

Me<strong>in</strong>ung Ausdruck gab.« 170<br />

Rafoths große Akzeptanz und se<strong>in</strong> politischer Pragmatismus prägten <strong>in</strong> der Übergangsphase<br />

bis 1951 das Ersche<strong>in</strong>ungsbild der <strong>KPD</strong>-Fraktion, die bei allen zunehmend<br />

deutlicher werdenden Gegensätzen zur SPD immer noch e<strong>in</strong>en an die<br />

Regierungsjahre anknüpfenden Kooperations- und Mitbestimmungswillen zeigte.<br />

In e<strong>in</strong>igen Fällen g<strong>in</strong>g dies bis h<strong>in</strong> zur Unterstützung der SPD - zum Teil gegen deren<br />

Koalitionspartner von der BDV - bei der Durchsetzung von Gesetzesvorhaben,<br />

die ohne die <strong>KPD</strong> nicht hätten verwirklicht werden können. 171<br />

E<strong>in</strong> Beispiel hierfür war die Verabschiedung der Schulreform im März 1949. Vorausgegangen<br />

waren <strong>in</strong>tensive, teilweise hitzig geführte Debatten <strong>in</strong> der Bürgerschaft<br />

und der Bremer Öffentlichkeit. 172 <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung entzündete sich<br />

vor allem an der geplanten sechsjährigen Grundschule, die die SPD aus pädagogischen<br />

und gesellschaftspolitischen Gründen e<strong>in</strong>führen wollte. 173 Gegner der Reform<br />

waren die CDU und teilweise die BDV sowie Teile der Eltern- und Lehrerschaft<br />

aus den bürgerlichen Milieus.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte <strong>in</strong> der Debatte ke<strong>in</strong>e aktive Rolle gespielt, stellte sich aber h<strong>in</strong>ter<br />

die Reform. Rudolf Rafoth betonte <strong>in</strong> der ersten Lesung des Gesetzes, <strong>KPD</strong> und<br />

SPD hätten bereits <strong>in</strong> der Verfassungsdiskussion »ke<strong>in</strong>en Zweifel darüber gelassen,<br />

dass sie e<strong>in</strong>e gründliche Schulreform anstreben, und die Bevölkerung hat ihnen die<br />

Mehrheit gegeben«. 174 <strong>Die</strong> SPD war auch, selbst bei der bis zur Verabschiedung des<br />

Gesetzes ke<strong>in</strong>eswegs sicheren Zustimmung ihres Koalitionspartners BDV, auf die<br />

Unterstützung der <strong>KPD</strong> angewiesen, da für die Annahme des Gesetzes e<strong>in</strong>e Zweidrittelmehrheit<br />

nötig war. 175 Durch e<strong>in</strong>ige Zugeständnisse (Verschiebung der E<strong>in</strong>führung<br />

der sechsjährigen Grundschule um e<strong>in</strong> Jahr und die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>er »Late<strong>in</strong>-Sonderklasse«<br />

ab dem 5. Schuljahr) konnte die SPD schließlich auch die Zustimmung<br />

der BDV erreichen. Nach nochmals kontroversen Debatten <strong>in</strong> der Bürgerschaft<br />

am 24. und 31. März 176 wurde das Gesetz schließlich mit der erforderli-<br />

170 Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 52f.<br />

171 Siehe dazu auch Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 196ff.<br />

172 Siehe zur Schulreform <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ausführlich die Dissertation von He<strong>in</strong>rich Schulte am Hülse, <strong>Die</strong> verb<strong>in</strong>dliche<br />

sechsjährige Grundschule <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> als Politikum (1949-1957), München 1980; zur politischen<br />

Debatte außerdem Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1949, a.a.O., S. 61ff.<br />

173 Zur Konzeption der SPD und der Bildungsbehörde siehe He<strong>in</strong>rich Schulte am Hülse, <strong>Die</strong> verb<strong>in</strong>dliche<br />

sechsjährige Grundschule, a.a.O., S. 101ff.<br />

174 Bürgerschaftsprotokolle, 24. März 1949, S. 70.<br />

175 He<strong>in</strong>rich Schulte am Hülse, <strong>Die</strong> verb<strong>in</strong>dliche sechsjährige Grundschule, a.a.O., S. 248.<br />

176 Siehe zur Debatte ebenda, S. 248ff.; außerdem Horst Adamietz, Das erste Kapitel, a.a.O., S. 289ff.


Politik und Programmatik 181<br />

chen Mehrheit verabschiedet. SPD und <strong>KPD</strong> stimmten geschlossen für die Annahme,<br />

von der BDV gab es e<strong>in</strong>e Gegenstimme. 177<br />

Nur e<strong>in</strong> knappes Jahr später, kurz vor der E<strong>in</strong>führung der sechsjährigen Grundschule,<br />

drohte das Gesetz wiederum zu scheitern. <strong>Die</strong> CDU beantragte <strong>in</strong> der Bürgerschaft<br />

die Aussetzung der Schulreform. 178 Auch <strong>in</strong> der BDV wurden wieder<br />

Zweifel und Bestrebungen deutlich, die Umsetzung des e<strong>in</strong> Jahr zuvor beschlossenen<br />

Gesetzes zu verh<strong>in</strong>dern. 179 Wieder gelang es der SPD vor allem durch die sichere<br />

Unterstützung der <strong>KPD</strong>-Fraktion, die Anträge der CDU abzulehnen. 180 In der<br />

namentlichen Abstimmung am 2. März 1950 stimmten 61 Abgeordnete gegen die<br />

Aussetzung der Schulreform. Sieben Abgeordnete der 17-köpfigen BDV-Fraktion<br />

schlossen sich den CDU-Anträgen an. Ohne die Stimmen der <strong>KPD</strong> wäre die Mehrheit<br />

für die Schulreform äußerst knapp ausgefallen und gefährdet gewesen.<br />

<strong>Die</strong> BDV hatte sich »auch <strong>in</strong> der Schulpolitik als äußerst unsicherer Koalitionspartner<br />

für die SPD erwiesen«. 181 Gerade <strong>in</strong> sozial- und gesellschaftspolitisch geprägten<br />

Fragen war die SPD auf die <strong>KPD</strong> angewiesen, die diese Aufgabe als »heimlicher<br />

Koalitionspartner« auch erfüllte. Es gab <strong>in</strong> der Legislaturperiode 1947-1951<br />

weitere Beispiele dieser Kooperation der beiden Arbeiterparteien, u.a. das Ausführungsgesetz<br />

zum Artikel 47 (betriebliche Mitbestimmung), die Förderung des staatlichen<br />

und sozialen Wohnungsbaus, die Entnazifierung oder bei der Debatte um<br />

die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heitskrankenversicherung. 182 In allen diesen Fällen<br />

»stimmte die SPD-Fraktion nicht mit ihrem liberalen Koalitionspartner BDV sondern<br />

mit den Kommunisten«. 183 <strong>Die</strong>bürgerlichenParteiensprachendennauchangesichts<br />

dieser Kooperationen der beiden Arbeiterparteien von e<strong>in</strong>er »zweiten Koalition<br />

aus SPD und <strong>KPD</strong>« oder der Vormachtstellung »der marxistischen Parteiengruppe<br />

<strong>in</strong> der Bürgerschaft«. 184<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war also während dieser Periode <strong>in</strong> der Bürgerschaft ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e<br />

Art Fundamentalopposition, sondern sah sich wohl immer noch <strong>in</strong> der (Regierungs-)Verantwortung.<br />

<strong>Die</strong> Fraktion betrieb dabei e<strong>in</strong>e weitgehend eigenständige<br />

Politik, die sich vor allem auf die landes- und kommunalpolitischen Probleme konzentrierte.<br />

In diesen Jahren zwischen 1948 und 1951 war - zum<strong>in</strong>dest für die <strong>KPD</strong>-<br />

Fraktion selbst - das Parlament ke<strong>in</strong>eswegs nur e<strong>in</strong>e Tribüne für die Propagierung<br />

anderweitiger politischer Ziele, sondern hatte durchaus e<strong>in</strong>en eigenen politischen<br />

und operativen Wert. <strong>Die</strong>ser Gestaltungswille wurde noch e<strong>in</strong>mal sehr deutlich mit<br />

der Zustimmung der Fraktion zum Haushaltsplan 1951. Rudolf Rafoths Ausspruch<br />

177 Ergebnis der namentlichen Abstimmung <strong>in</strong> Bürgerschaftsprotokolle, 31. März und 1. April 1949, S. 89;<br />

tabellarische Zusammenfassung <strong>in</strong> He<strong>in</strong>rich Schulte am Hülse, <strong>Die</strong> verb<strong>in</strong>dliche sechsjährige Grundschule,<br />

a.a.O., S. 267.<br />

178 He<strong>in</strong>rich Schulte am Hülse, <strong>Die</strong> verb<strong>in</strong>dliche sechsjährige Grundschule, a.a.O., S. 270ff.<br />

179 Ebenda, S. 271; Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 64f.<br />

180 Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann erklärte <strong>in</strong> der Debatte der Anträge die weitere Unterstützung der Schulreform<br />

durch die <strong>KPD</strong> (Bürgerschaftsprotokolle, 2. März 1950, S. 99).<br />

181 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 65.<br />

182 Ebenda, S. 198f.<br />

183 Ebenda, S. 199.<br />

184 Ebenda, S. 197, 198.


182<br />

Politik und Programmatik<br />

vor dem Sekretariat »Wir s<strong>in</strong>d doch nicht immer gegen Etatbewilligungen« brachte<br />

die relativ pragmatische Haltung der Fraktion und vor allem ihres Vorsitzenden<br />

noch e<strong>in</strong>mal auf den Punkt. Mit der Absetzung Rafoths <strong>in</strong>folge der Zustimmung<br />

zum Haushalt und der Maßregelung der gesamten Fraktion war diese Rolle der<br />

<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bürgerschaft und ebenso die starke und eigenständige <strong>in</strong>nerparteiliche<br />

Stellung der Fraktion faktisch beendet.<br />

<strong>Die</strong> Rolle als heimliche dritte Regierungspartei wäre aber wohl nicht nur aufgrund<br />

des Drucks der Parteileitung nicht aufrecht zu halten gewesen. Spätestens<br />

seit 1948 wurden die Isolation der <strong>KPD</strong> und die Gegensätze vor allem <strong>in</strong> deutschlandpolitischen<br />

Fragen zu SPD und den übrigen Bürgerschaftsfraktionen deutlich.<br />

<strong>Die</strong>s zeigten z.B. die Debatten zum Parlamentarischen Rat 1948 185 und zur Annahme<br />

des Grundgesetzes 1949 186. IndiesenundanderenDebattenderBürgerschaft<br />

musste sich die <strong>KPD</strong> auch zunehmend antikommunistische Zwischenrufe, Kommentare<br />

und Anfe<strong>in</strong>dungen sowie ständige Verweise auf die »Zustände <strong>in</strong> der Ostzone«<br />

gefallen lassen. Der Antikommunismus <strong>in</strong> Bürgerschaft und Senat manifestierte<br />

sich schließlich nach Beg<strong>in</strong>n des Korea-Krieges 1950 auch <strong>in</strong> Beh<strong>in</strong>derungen<br />

und Maßnahmen zur Ausgrenzung der <strong>KPD</strong>. Der Senat verabschiedete »Richtl<strong>in</strong>ien<br />

[...] zur E<strong>in</strong>schränkung des kommunistischen E<strong>in</strong>flusses« und empfahl u.a. der<br />

Bürgerschaft, alle Ausschüsse mit <strong>KPD</strong>-Abgeordneten aufzulösen und ohne kommunistische<br />

Beteiligung neu zu bilden. 187 Infolge dessen löste sich der von der F<strong>in</strong>anzdeputation<br />

gewählte und für die Bürgerschaftsarbeit wichtige Haushaltsausschuss<br />

im September 1950 auf und konstituierte sich anschließend neu, nunmehr<br />

ohne die Beteiligung der <strong>KPD</strong>, die dort zuvor mit Wilhelm Meyer-Buer vertreten<br />

war. 188 Weniger schwerwiegend, aber nicht m<strong>in</strong>der ausgrenzend war die Nichtberücksichtigung<br />

der <strong>KPD</strong> bei E<strong>in</strong>ladungen zu Senatsempfängen »aus besonderem<br />

politischem Anlass«, an denen kommunistische Abgeordnete bis dah<strong>in</strong> selbstverständlich<br />

teilgenommen hatten. Der Präsident des Senats Wilhelm Kaisen begründete<br />

diese Maßnahme u.a. damit, »dass Veranstaltungen, die den Kontakt zwischen<br />

<strong>Bremen</strong> und se<strong>in</strong>er Umwelt verbessern wollen, bei Anwesenheit von Vertretern der<br />

<strong>KPD</strong> zwecklos werden«. 189<br />

Angesichts der massiven antikommunistischen Maßnahmen e<strong>in</strong>erseits und den<br />

<strong>in</strong>nerparteilichen und programmatischen Entwicklungen der <strong>KPD</strong> andererseits war<br />

spätestens Ende 1951 klar, dass die Partei künftig <strong>in</strong> der Bürgerschaft e<strong>in</strong>e andere<br />

Rolle spielen würde. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> stellte <strong>in</strong> der Folgezeit auch die Parlamentsarbeit<br />

ausschließlich <strong>in</strong> den Kontext der »nationalen Politik«, was im Wahlkampf zur Bürgerschaftswahl<br />

am 7. Oktober besonders deutlich wurde.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> führte den Wahlkampf nahezu ausschließlich mit deutschlandpolitischen<br />

Themen. <strong>Die</strong> Landespolitik spielte nur e<strong>in</strong>e völlig untergeordnete Rolle, oder,<br />

185 Bürgerschaftsprotokolle, 12. August 1948, S. 319ff.<br />

186 Bürgerschaftsprotokolle, 20. Mai 1949, S. 164ff.<br />

187 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 191; Karl-Ludwig Sommer, Wilhelm Kaisen.<br />

E<strong>in</strong>e politische Biographie, Bonn 2000, S. 208f.<br />

188 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 191.<br />

189 Zitiert nach Karl-Ludwig Sommer, Wilhelm Kaisen, a.a.O., S. 209.


Politik und Programmatik 183<br />

wie es das Sekretariat später mit e<strong>in</strong>iger Untertreibung ausdrückte: »<strong>Die</strong> Agitation<br />

im Wahlkampf wurde nicht beschränkt auf die Bremer Verhältnisse. Im Mittelpunkt<br />

standen die Probleme Westdeutschlands und Gesamt-Deutschlands«. 190 Nahezu<br />

alle Forderungen des im Wahlaufruf 191 enthaltenen Sofortprogramms bezogen<br />

sich auf weit über Landeskompetenzen h<strong>in</strong>ausgehende Aspekte der Deutschlandpolitik,<br />

für die sich die Bürgerschaft »e<strong>in</strong>setzen« sollte. An erster Stelle standen<br />

Forderungen wie »1. <strong>Die</strong> Bremer Bürgerschaft setzt sich für die E<strong>in</strong>stellung aller bereits<br />

<strong>in</strong> Angriff genommenen Maßnahmen zur Remilitarisierung e<strong>in</strong>. 2. <strong>Die</strong> Bremer<br />

Bürgerschaft lehnt die Schaffung e<strong>in</strong>es Wehrgesetzes ab. 3. <strong>Die</strong> Bremer Bürgerschaft<br />

lehnt e<strong>in</strong>e Beteiligung am Schumann-Plan ab.« 192 Fast alle der <strong>in</strong>sgesamt 15 Punkte<br />

enthielten solche völlig allgeme<strong>in</strong> gehaltenen Forderungen. Kommunalpolitische<br />

Bezüge wurden nur vere<strong>in</strong>zelt und im Zusammenhang mit den deutschlandpolitischen<br />

Forderungen sichtbar. So listete der letzte Punkt des Programms e<strong>in</strong>e Reihe<br />

von vor allem sozialpolitischen Maßnahmen auf (z.B. Erhöhung von Rente und Erwerbslosenunterstützung,<br />

Tarifsenkungen, verstärkter sozialer Wohnungsbau,<br />

Schul- und Krankenhausbauten etc.), die allesamt durch die »Gelder für die Remilitarisierung<br />

und für die Besatzungskosten« f<strong>in</strong>anziert werden sollten.<br />

Höhepunkt des mit großem Aufwand geführten Wahlkampfes war der Auftritt<br />

des <strong>KPD</strong>-Vorsitzenden Max Reimann vor - nach Angaben der <strong>KPD</strong> - 10.000 Kundgebungsteilnehmern.<br />

Reimann sprach ausschließlich über deutschlandpolitische<br />

Forderungen der <strong>KPD</strong> und stellte die Bürgerschaftswahl ganz <strong>in</strong> diesen Zusammenhang<br />

(»<strong>Die</strong> Wähler <strong>Bremen</strong>s werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Tagen zu den Wahlurnen gerufen,<br />

<strong>in</strong> der lebenswichtige Entscheidungen für unsere Nation zu treffen s<strong>in</strong>d.«). 193<br />

<strong>Die</strong> Wahlen am 7. Oktober 1951 brachten der <strong>KPD</strong> 21.244 Stimmen, was e<strong>in</strong>em<br />

Anteil von 6,4 Prozent entsprach. 194 Im Vergleich zur Wahl von 1947 hatte die Partei<br />

zwar absolut fast 2.000 Stimmen gewonnen, prozentual jedoch aufgrund der höheren<br />

Zahl von Wahlberechtigten und e<strong>in</strong>er wesentlich höheren Wahlbeteiligung<br />

2,4 Prozentpunkte verloren (1947: 8,8 Prozent). E<strong>in</strong>en ähnlichen Verlust hatte auch<br />

die SPD zu verzeichnen, die auf 39,1 Prozent der Stimmen kam (1947: 41,7 Prozent).<br />

<strong>Die</strong> SPD besetzte damit 43 Mandate <strong>in</strong> der Bürgerschaft, die <strong>KPD</strong> erhielt sechs Sitze.<br />

195 Damit war auch die rechnerische Mehrheit der beiden Arbeiterparteien verloren<br />

gegangen. Großer Verlierer der Wahl war die CDU, deren Stimmanteil von 22<br />

Prozent 1947 auf 9,1 Prozent sank. Auch die FDP, <strong>in</strong> der <strong>in</strong>zwischen die BDV aufgegangen<br />

war, verlor Stimmen und kam auf nur noch 11,8 Prozent, was gegenüber<br />

dem Gesamtergebnis von FDP und BDV von 1947 e<strong>in</strong>en Verlust von 7,6 Prozentpunkten<br />

bedeutete. Erhebliche Stimmenzuwächse konnten die rechten Parteien<br />

190 Kurze Zusammenfassung zur Auswertung der Wahl, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/20.<br />

191 <strong>Bremen</strong> kann e<strong>in</strong>e blühende Stadt werden, <strong>in</strong>: BAK 118/29.<br />

192 Ebenda und Das Sofortprogramm der <strong>KPD</strong> für das Land <strong>Bremen</strong>, Tribüne der Demokratie, 3. Oktober 1951.<br />

193 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> - die e<strong>in</strong>zige deutsche Partei!, Tribüne der Demokratie, 3. Oktober 1951.<br />

194 Re<strong>in</strong>hold Roth, Peter Seibt (Hrsg.), Etablierte Parteien im Wahlkampf. Studien zur Bremer Bürgerschaftswahl<br />

1975, Meisenheim am Glan 1979, S. 35ff. (nachfolgende Wahlergebnisse s<strong>in</strong>d, wenn nicht<br />

anders angegeben, ebenfalls dort entnommen).<br />

195 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, 3. Wahlperiode, <strong>Bremen</strong> 1953, S. 194ff.


184<br />

Politik und Programmatik<br />

verzeichnen, wobei besonders der E<strong>in</strong>zug der neofaschistischen Sozialistischen<br />

Reichspartei (SRP) <strong>in</strong> die Bürgerschaft bemerkenswert war. <strong>Die</strong> e<strong>in</strong> Jahr später verbotene<br />

Partei erhielt auf Anhieb 7,7 Prozent der Stimmen, wodurch deutlich wurde,<br />

»dass es auch <strong>in</strong> der Bremer Wählerschaft e<strong>in</strong> latent faschistoides Potential von beträchtlicher<br />

Stärke gab« 196. Auch die nationalkonservative Deutsche Partei (DP) erzielte<br />

starke Stimmengew<strong>in</strong>ne (1947: 3,9 Prozent, 1951: 14,7 Prozent).<br />

<strong>Die</strong> Wähler der <strong>KPD</strong> kamen vor allem aus den von e<strong>in</strong>em relativ hohen Arbeiteranteil<br />

geprägten Stadtteilen. Den höchsten Stimmenanteil wie auch die größte<br />

absolute Wählerzahl verzeichnete die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> ihrer Hochburg Gröpel<strong>in</strong>gen (14,2<br />

Prozent, 2.618 Stimmen). Hier wie <strong>in</strong> anderen Arbeiterstadtteilen konnte auch <strong>in</strong><br />

etwa der Stimmenanteil von 1947 gehalten werden. 197<br />

Trotz der relativen Stimmenverluste wertete die <strong>KPD</strong> das Wahlergebnis positiv.<br />

Das Sekretariat verkündete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ersten Stellungnahme, die Partei sei »aus dieser<br />

Wahl gestärkt herv<strong>org</strong>egangen« und begründete diese E<strong>in</strong>schätzung vor allem mit<br />

dem absoluten Stimmenzuwachs. Als Erfolg wurde auch die Niederlage der CDU<br />

gewertet. Das Wahlergebnis sei »e<strong>in</strong>e Demonstration gegen den Kriegskurs Adenauers«<br />

und bestätige, »dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung im Land<br />

<strong>Bremen</strong> gegen die Remilitarisierung und Wiederaufrüstung ist«. 198<br />

Auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>e Woche später verfassten <strong>in</strong>ternen Analyse des Sekretariats<br />

stand diese »Entscheidung gegen Bonn« an erster Stelle. Selbst der Wahlerfolg der<br />

SRP wurde <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne gewertet. Deren rund 25.000 Stimmen seien »im wesentlichen<br />

Stimmen gegen die Remilitarisierung, denn die SRP tarnte ihre chauv<strong>in</strong>istische,<br />

aggressive Revanchepolitik mit der ›Opposition‹ gegen die Remilitarisierungspolitik<br />

Adenauers«. 199<br />

Nach der Wahl bildete die SPD mit der FDP und der CDU die »Ganz Große Koalition«.<br />

200 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> zog mit sechs Abgeordneten <strong>in</strong> die neue Bürgerschaft e<strong>in</strong>.<br />

Durch die zu ger<strong>in</strong>ge Fraktionsgröße war die Partei nun <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Deputation mehr<br />

vertreten und damit von e<strong>in</strong>em wesentlichen Teil der Parlamentsarbeit ausgeschlossen.<br />

201 <strong>Die</strong> Abgeordneten der <strong>KPD</strong> waren der neue Fraktionsvorsitzende<br />

Wilhelm Meyer-Buer, se<strong>in</strong>e Stellvertreter<strong>in</strong> Erika Ewert, der Erste Landessekretär<br />

Hermann Gautier, sowie Maria Krüger, Hans Meyer und Erw<strong>in</strong> Schmidt. 202 Hans<br />

196 Karl-Ludwig Sommer, Politik im Zeichen des Bündnisses von »Kaufleuten und Arbeiterschaft«, <strong>in</strong>:<br />

ders. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> den fünfziger Jahren. Politik, Wirtschaft, Kultur, <strong>Bremen</strong> 1989, S. 8-76, hier S.<br />

23.<br />

197 Materialien Statistisches Landesamt.<br />

198 Den Wahlerfolg ausbauen! Erklärung des Sekretariats der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> zur Bürgerschaftswahl,<br />

Tribüne der Demokratie, 9. Oktober 1951.<br />

199 Vorläufige Analyse des Wahlergebnisses vom 7. Oktober und des Wahlkampfes der Partei [16. Oktober 1951],<br />

<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/20.<br />

200 Vgl. Karl-Ludwig Sommer, Politik im Zeichen des Bündnisses von »Kaufleuten und Arbeiterschaft«,<br />

a.a.O., S. 23f.; Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 67ff.<br />

201 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, 3. Wahlperiode, herausgegeben vom Vorstand der Bremischen<br />

Bürgerschaft, <strong>Bremen</strong> 1953, S. 214ff. Siehe auch die Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>in</strong> der Bürgerschaft über<br />

die Besetzung vor allem der F<strong>in</strong>anzdeputation (Bürgerschaftsprotokolle, 29. November 1951, S. 33ff.).<br />

202 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, 3. Wahlperiode, a.a.O., S. 199f.


Politik und Programmatik 185<br />

Meyer gab se<strong>in</strong> Mandat 1953 ab, für ihn rückte der bereits <strong>in</strong> den vorangegangenen<br />

Legislaturperioden der Bürgerschaft zugehörige He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich nach.<br />

<strong>Die</strong> Rolle Rudolf Rafoths als überparteilich anerkannte und herausragende Figur<br />

der <strong>KPD</strong>-Fraktion übernahm <strong>in</strong> den folgenden Jahren Wilhelm Meyer-Buer,<br />

freilich ohne den politischen Pragmatismus se<strong>in</strong>es V<strong>org</strong>ängers. Meyer-Buer war<br />

»der Stratege unter den Bremer Kommunisten«, so die Beschreibung von Horst Adamietz,<br />

»wie sie <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ke<strong>in</strong>en zweiten herv<strong>org</strong>ebracht haben, gepflegt <strong>in</strong><br />

Kleidung und Auftreten, geradezu ›e<strong>in</strong> Salon Kommunist‹, sicher <strong>in</strong> der Diktion,<br />

rout<strong>in</strong>iert, geschliffen, ja mitunter brillant als Redner«. 203 Als Meyer-Buer 1963 wegen<br />

illegaler Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> vor Gericht stand, waren die Zeugenaussagen<br />

von Angehörigen der Bürgerschaft durchweg positiv. Meyer-Buer wurde als »sachlicher<br />

Politiker« und als e<strong>in</strong> Mensch mit »anständiger Ges<strong>in</strong>nung und aufrechtem<br />

Charakter« 204 beschrieben, der sich von anderen Kommunisten »durch se<strong>in</strong>e<br />

ausgesprochene Intelligenz« 205 unterschieden und »sich <strong>in</strong> der Bürgerschaft immer<br />

den demokratischen Spielregeln unterworfen« 206 habe. »Wäre Meyer-Buer nicht<br />

Kommunist, dann wäre er e<strong>in</strong>e Zierde der Demokratie«, me<strong>in</strong>te Senator Ge<strong>org</strong><br />

Bortscheller (FDP). 207<br />

Weniger im Vordergrund und wohl auch weniger sendungsbewusst als Meyer-<br />

Buer, <strong>in</strong> der Bürgerschaft und der Bremer Öffentlichkeit aber nicht weniger anerkannt<br />

waren Maria Krüger und He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich. 208 Der Erste Landessekretär<br />

Hermann Gautier dagegen verkörperte <strong>in</strong> der Bürgerschaft eher das kommunistische<br />

Fe<strong>in</strong>dbild. »Focht Meyer-Buer Florett, so Gautier mit schwerem Säbel, notfalls<br />

auch mit e<strong>in</strong>em Knüppel oder Stuhlbe<strong>in</strong>.« 209 Ohneh<strong>in</strong> aber war die parlamentarische<br />

Arbeit für Gautier nach se<strong>in</strong>er Tätigkeit als Sekretär zweitrangig und diente<br />

wohl auch dem Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung. Gautier war dementsprechend<br />

auch nur selten <strong>in</strong> der Bürgerschaft anwesend. 210 Nur wenig politisches und<br />

persönliches Profil konnten Erika Ewert, Mitglied des Sekretariats und dort verantwortlich<br />

für Kommunalpolitik, Hans Meyer, e<strong>in</strong> ehemaliger B<strong>org</strong>ward-Arbeiter<br />

und ebenfalls Mitglied des Sekretariats, sowie der Bremerhavener Abgeordnete<br />

Erw<strong>in</strong> Schmidt entwickeln.<br />

In den folgenden Jahren nutzte die <strong>KPD</strong> die Bürgerschaft vor allem zur Propagierung<br />

ihrer deutschlandpolitischen Zielstellungen. <strong>Die</strong>se Aufgabe erfüllte die<br />

Fraktion <strong>in</strong> bemerkenswert <strong>in</strong>tensiver und stellenweise geradezu penetranter Art<br />

und Weise. Nahezu jedes kommunal- und landespolitische Thema brachte die <strong>KPD</strong><br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der West<strong>in</strong>tegration und Remilitarisierung der Bundesrepublik<br />

203 Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 241.<br />

204 So Bürgerschaftspräsident August Hagedorn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Aussage vor dem Gericht (Kaisen sagt m<strong>org</strong>en als<br />

Zeuge aus, Weser-Kurier, 9. Mai1963).<br />

205 So der Direktor der Bürgerschaft, Wolfgang Müller (ebenda).<br />

206 Justizsenator Ulrich Graf (FDP) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Zeugenaussage (Prozessmitschrift, Privatarchiv Meyer-Buer,<br />

S. 89).<br />

207 Höhepunkt im Prozess Meyer-Buer, Weser-Kurier 10. Mai 1963.<br />

208 Siehe die Beschreibungen bei Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 244ff. und S. 250ff.<br />

209 Ebenda, S. 241.<br />

210 Ebenda, S. 243f.


186<br />

Politik und Programmatik<br />

e<strong>in</strong>erseits und der Verteidigung der DDR andererseits. Beispielhaft - und <strong>in</strong> der Literatur<br />

gerne angeführt - 211 war die Ablehnung e<strong>in</strong>er Flutr<strong>in</strong>nenverbreiterung der<br />

Weser durch die <strong>KPD</strong>. Der dabei entstehende See, so Erika Ewert <strong>in</strong> ihrer Begründung,<br />

solle »e<strong>in</strong>e Start- und Landefläche von Wasserflugzeugen« der amerikanischen<br />

Besatzungsmacht werden. 212 Ihrerseits stellte die <strong>KPD</strong> zahlreiche Anträge, <strong>in</strong><br />

denen, wie bereits im Wahlkampf, immer wieder die Streichung der an den Bund<br />

abzuführenden Besatzungskosten zugunsten von <strong>in</strong>frastrukturellen und sozialen<br />

Maßnahmen gefordert wurde. Besonders anlässlich der jährlichen Haushaltsberatungen<br />

fiel die <strong>KPD</strong> durch e<strong>in</strong>e wahre Flut von Änderungsanträgen auf. Höhepunkt<br />

waren die Etatberatungen 1953: 227 der <strong>in</strong>sgesamt 282 Anträge kamen von<br />

der <strong>KPD</strong>. 213 <strong>Die</strong> Anträge g<strong>in</strong>gen dabei oft über die Grenzen e<strong>in</strong>es Stadt- und Landeshaushalts<br />

und die Kompetenzen des Landesparlaments h<strong>in</strong>aus.<br />

Über die re<strong>in</strong>e Agitation im S<strong>in</strong>ne ihrer deutschlandpolitischen Konzeption h<strong>in</strong>aus<br />

- aber nie ohne argumentative Verb<strong>in</strong>dung zu dieser - versuchte die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der<br />

Bürgerschaft auch immer wieder, sich zum Fürsprecher außerparlamentarischer Initiativen,<br />

Bewegungen und Proteste zu machen. Im Zentrum standen dabei natürlich<br />

zunächst die Betriebe und die Arbeiter. So brachte die <strong>KPD</strong> anlässlich der Hafenarbeiterstreiks<br />

1951 und 1955 und des Werftarbeiterstreiks 1953 Anträge <strong>in</strong> der<br />

Bürgerschaft e<strong>in</strong>, die auf materielle Unterstützung der Streikenden oder die E<strong>in</strong>stellung<br />

polizeilicher und staatlicher Gegenmaßnahmen zielten. <strong>Die</strong> Fraktion griff auch<br />

Forderungen e<strong>in</strong>zelner Bürger<strong>in</strong>itiativen oder E<strong>in</strong>wohnerversammlungen auf, die<br />

beispielsweise den Ausbau ihrer Wohnstraße, die Aufstellung von Straßenlaternen<br />

oder den Erhalt e<strong>in</strong>es Kle<strong>in</strong>gartengebiets forderten. Auch während der Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

um den »Großen Bl<strong>in</strong>k« wurde die Partei <strong>in</strong> der Bürgerschaft mit<br />

zahlreichen Anträgen aktiv.<br />

In der Regel lehnte die Bürgerschaft <strong>KPD</strong>-Anträge durchweg ab, gelegentlich<br />

auch en bloc, oft begleitet von spöttischen und disqualifizierenden Bemerkungen<br />

von Abgeordneten anderer Parteien. 214 Oft wurde schon die Beratung von <strong>KPD</strong>-<br />

Anträgen abgelehnt. Wilhelm Meyer-Buer konnte mit Recht den Vorwurf an die<br />

anderen Fraktionen richten, dass »Sie, die gesamte Bürgerschaft außer uns, nicht<br />

sachlich an unsere Anträge herangegangen s<strong>in</strong>d« 215.Daswarsicherbegründbarmit<br />

der Qualität der <strong>KPD</strong>-Anträge, die aber teilweise auch den Ausgrenzungsversuchen<br />

der übrigen Fraktionen entgegenkam. <strong>Die</strong> Ausgrenzung der <strong>KPD</strong> manifestierte<br />

sich schließlich 1952 durch e<strong>in</strong>e Änderung der Geschäftsordnung der Bürgerschaft,<br />

die nun mit e<strong>in</strong>er Dreiviertelmehrheit den Übergang zur Tagesordnung beschließen,<br />

also die Behandlung von <strong>KPD</strong>-Anträgen gänzlich ablehnen konnte. 216<br />

211 Ebenda, S. 270; Albert Müller, Der Weg zur Volkspartei. <strong>Die</strong> Politik der Bremer SPD und die <strong>in</strong>nerparteilichen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong> den 50er Jahren, <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Almut Schwerd<br />

(Hrsg.), Zeitzeugen berichten, a.a.O., S. 63-72, hier S. 71; Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />

a.a.O., S. 62.<br />

212 Bürgerschaftsprotokolle, 17. Dezember 1952, S. 444.<br />

213 Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 268.<br />

214 Ebenda.<br />

215 Bürgerschaftsprotokolle, 27. März 1952, S. 185.<br />

216 Ebenda.


Politik und Programmatik 187<br />

Durch e<strong>in</strong>e weitere Änderung der Geschäftsordnung wurde die <strong>KPD</strong> außerdem<br />

von den geme<strong>in</strong>samen Sitzungen der Fraktionsvorsitzenden ausgeschlossen. 217<br />

Besonders deutlich wurden das auch <strong>in</strong> der Bürgerschaft vorhandene antikommunistische<br />

Klima und die Isolation der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den deutschlandpolitischen Fragen<br />

anlässlich der Behandlung besonderer »Reizthemen« des Kalten Krieges. Als die<br />

Bürgerschaft am 1. Oktober 1952 über e<strong>in</strong>e Entschädigung heimgekehrter deutscher<br />

Kriegsgefangener aus der Sowjetunion debattierte, Wilhelm Meyer-Buer aber se<strong>in</strong>erseits<br />

beharrlich die Bundesregierung und die USA angriff und dafür verantwortlich<br />

machte, »dass noch Millionen Kriegsbeschädigte <strong>in</strong> unzulänglichen Verhältnissen<br />

leben« 218, kam es im Plenum zu schweren Tumulten, <strong>in</strong> deren Verlauf<br />

schließlich Hermann Gautier von der weiteren Sitzung ausgeschlossen wurde. 219<br />

Isoliert und ausgegrenzt war die <strong>KPD</strong> auch <strong>in</strong> der ähnlich emotional besetzten Debatte<br />

um den 17. Juni 1953 <strong>in</strong> der DDR. Der »Gedenkstunde« der Bürgerschaft blieb<br />

die <strong>KPD</strong>-Fraktion fern, e<strong>in</strong>e von Erika Ewert verlesene Erklärung wurde später im<br />

Protokoll nicht gedruckt. 220<br />

Beantragt wurde diese undemokratische Maßnahme von e<strong>in</strong>em Sozialdemokraten,undauchsonstgrenztesichdieSPDstarkvonder<strong>KPD</strong>ab,warfihrimmer<br />

wieder die »Vertretung sowjetischer Interessen« vor und antwortete auf die kommunistischeKritikandenZuständen<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>undderBundesrepublikmitVerweisen<br />

auf die DDR. »Wie ist es <strong>in</strong> der Ostzone?« war e<strong>in</strong> beliebter Zwischenruf,<br />

vor allem von SPD-Fraktionschef Richard Boljahn. 221<br />

Dennoch hatte der sozialdemokratische Antikommunismus Grenzen, sowohl<br />

auf formeller wie auf politischer Ebene. So lehnte die Bürgerschaft <strong>in</strong> der Regel die<br />

von der Staatsanwaltschaft wegen politischer Delikte seit 1951 gehäuft beantragten<br />

Aufhebungen der parlamentarischen Immunität von kommunistischen Abgeordneten<br />

ab. 1952 kam es - nachdem zuvor die Ablehnungen der Immunitätsaufhebung<br />

nahezu e<strong>in</strong>stimmig erfolgt waren - erstmals zu e<strong>in</strong>er Kampfabstimmung. Auf Antrag<br />

der Staatsanwaltschaft Lübeck sollte die Immunität von Wilhelm Meyer-Buer<br />

aufgehoben werden. Alle bürgerlichen Parteien sprachen sich diesmal dafür aus, es<br />

war e<strong>in</strong>zig die SPD, die die Aufhebung der Immunität des <strong>KPD</strong>-<br />

Fraktionsvorsitzenden verh<strong>in</strong>derte. »Denn«, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Richard<br />

Boljahn, »wir wollen auf jeden Fall vermeiden, dass, ganz gleich um welchen<br />

Abgeordneten und um welche Partei es sich handelt, <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Form irgendwelche<br />

Vorkommnisse zum Anlass genommen werden, um Abgeordnete <strong>in</strong> der<br />

Ausübung ihrer politischen Tätigkeit zu beh<strong>in</strong>dern«. 222 Pr<strong>in</strong>zipiell gesichert allerd<strong>in</strong>gs<br />

war der Schutz der Immunität für die <strong>KPD</strong>-Abgeordneten nicht. So wurde<br />

die Immunität von Hans Meyer im November 1952 - nur wenige Wochen nach der<br />

217 Ebenda.<br />

218 Bürgerschaftsprotokolle, 1. Oktober 1952, S. 375.<br />

219 Vgl. Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 252ff. Gautier hatte Vertreter anderer Fraktionen als<br />

»die wahren Landesverräter« bezeichnet (Bürgerschaftsprotokolle, 1. Oktober 1952, S. 376f.).<br />

220 Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 258.<br />

221 Ebenda.<br />

222 Bürgerschaftsprotokolle, 1. November, S. 407ff; Zitat Boljahn S. 410.


188<br />

Politik und Programmatik<br />

Abstimmung über Meyer-Buer - durch die Bürgerschaft und mit den Stimmen der<br />

SPD aufgehoben. 223<br />

Auch auf politischer Ebene kam es wieder - ähnlich wie <strong>in</strong> der vorangegangenen<br />

Legislaturperiode - punktuell zu geme<strong>in</strong>samen Abstimmungen der sozialdemokratischen<br />

und kommunistischen Fraktion gegen die Koalitionspartner der SPD.<br />

Bundesweites Aufsehen erregte die bereits geschilderte Annahme e<strong>in</strong>es <strong>KPD</strong>-<br />

Antrages, mit dem die Bürgerschaft am 21. Mai 1952 gegen die Unterzeichnung des<br />

Deutschlandvertrages protestierte. Der von Wilhelm Meyer-Buer verfasste Antrag<br />

der <strong>KPD</strong>-Fraktion war nicht mit der Parteileitung oder dem Bremer Landessekretariat<br />

abgesprochen. Nach eigener Darstellung hatte Meyer-Buer aber e<strong>in</strong>e kurzfristige<br />

Absprache mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Richard Boljahn getroffen. 224<br />

Meyer-Buer begründete die Dr<strong>in</strong>glichkeit des Antrags mit der bevorstehenden Behandlung<br />

durch den Bundestag, »es müsse von <strong>Bremen</strong> aus e<strong>in</strong>e Plattform für die<br />

m<strong>org</strong>igen Verhandlungen im Bundestag geschaffen werden«. 225 <strong>Die</strong> bürgerlichen<br />

Parteien lehnten die dr<strong>in</strong>gliche Behandlung ab, für die SPD erklärte jedoch Richard<br />

Boljahn die Zustimmung:<br />

»<strong>Die</strong> Frage des Generalvertrages [...] ist nicht nur e<strong>in</strong>e Angelegenheit des Bundestages, sondern<br />

e<strong>in</strong>e Angelegenheit, die auf unabsehbare Zeit den Status der deutschen Außen- und Innenpolitik<br />

festlegen soll. Ich glaube, dass wir als die gewählten Vertreter der bremischen Bevölkerung<br />

e<strong>in</strong> Anrecht darauf haben, unseren Freunden im Bundestag von der Stellungnahme<br />

der Bremischen Bürgerschaft zum Generalvertrag Kenntnis zu geben.« 226<br />

Schon diese Annahme der Dr<strong>in</strong>glichkeit und die Verhandlung des <strong>KPD</strong>-Antrags<br />

war e<strong>in</strong>e Überraschung. In der Debatte sprach sich neben Meyer-Buer auch Richard<br />

Boljahn gegen den Generalvertrag aus. »<strong>Die</strong> Gefahr, die durch diesen General-,<br />

bzw. Deutschlandvertrag heraufbeschworen wird, ist vor allem die, dass durch ihn<br />

die Wiedervere<strong>in</strong>igung der Ost- und der Westzone verh<strong>in</strong>dert wird. <strong>Die</strong>sen Weg<br />

wollen und werden wir nicht mitmachen.« 227 Trotz oder gerade wegen der Zustimmung<br />

zum Antrag Meyer-Buers me<strong>in</strong>te Boljahn aber auch die Abgrenzung zur<br />

<strong>KPD</strong> betonen zu müssen. <strong>Die</strong> Motive der <strong>KPD</strong> seien »weitgehend von den Interessen<br />

der sowjetrussischen Außenpolitik« gelenkt, die E<strong>in</strong>stellung der SPD dagegen<br />

richte sich »durchaus nur nach den Lebens<strong>in</strong>teressen des gesamten deutschen Volkes«.<br />

228 <strong>Die</strong> Bürgerschaft nahm schließlich <strong>in</strong> namentlicher Abstimmung mit 56 zu<br />

223 Bürgerschaftsprotokolle, 26. November 1952, S. 431ff. Meyer war als verantwortlicher Herausgeber auf<br />

e<strong>in</strong>em <strong>KPD</strong>-Flugblatt genannt, das, so die Staatsanwaltschaft, »schwerwiegende Verunglimpfungen,<br />

die sich gegen die Bundesregierung, gegen e<strong>in</strong>zelne Bundesm<strong>in</strong>ister und den Herrn Bundeskanzler Dr.<br />

Adenauer richten«, enthielt. <strong>Die</strong> Strafanzeige war durch Adenauer selbst gestellt worden (ebenda, S.<br />

431.).<br />

224 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 2. Vgl. auch Wilhelm Meyer-Buer, <strong>Die</strong> Bremer Bürgerschaftsfraktion <strong>in</strong><br />

den 50er Jahren, a.a.O., S. 98.<br />

225 Bürgerschaftsprotokolle, 21. Mai 1952, S. 259.<br />

226 Ebenda.<br />

227 Ebenda, S. 262. Siehe zur Debatte auch ebenda, S. 260ff. sowie Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre,<br />

a.a.O., S. 273ff.; Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 101f. Zur Haltung von<br />

Bremer SPD und Senat zum Generalvertrag Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit,<br />

a.a.O., S. 86ff.<br />

228 Bürgerschaftsprotokolle, 21. Mai, S. 262.


Politik und Programmatik 189<br />

22 Stimmen den Antrag der <strong>KPD</strong> an. Mit »Ja« stimmten die Abgeordneten von SPD<br />

und <strong>KPD</strong> sowie BHE und SRP, mit »Ne<strong>in</strong>« die Regierungsparteien CDU und FDP<br />

sowie größtenteils die Fraktion der DP. 229<br />

Für die <strong>KPD</strong> war dies zweifellos e<strong>in</strong> großer propagandistischer Erfolg, den sie<br />

zwar <strong>in</strong> der Folgezeit nicht weiter nutzte und der auch ke<strong>in</strong>erlei politische Folgen<br />

hatte, der aber immerh<strong>in</strong> auch deutlich gezeigt hatte, dass auf parlamentarischer<br />

Ebene trotz aller Gegensätze immer noch Übere<strong>in</strong>stimmungen und zum<strong>in</strong>dest die<br />

Möglichkeit e<strong>in</strong>er Kooperation zwischen SPD und <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen grundsätzlichen<br />

Fragen existierten. 230<br />

<strong>Die</strong> Bürgerschaftswahlen am 9. Oktober 1955 stellten angesichts der Wahlergebnisse<br />

der Partei <strong>in</strong> anderen Bundesländern und der Bundestagswahl 1953 - bei<br />

derauch<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>nichtdie5-Prozent-Markeübersprungenwerdenkonnte-für<br />

die Bremer <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e Bewährungsprobe dar. H<strong>in</strong>zu kam der laufende Verbotsprozess<br />

vor dem Bundesverfassungsgericht <strong>in</strong> Karlsruhe. 231 All dies ließ e<strong>in</strong>en Wiedere<strong>in</strong>zug<br />

der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> die Bürgerschaft als äußerst ungewiss ersche<strong>in</strong>en.<br />

Anders als bei den vorangegangenen Wahlen begann die <strong>KPD</strong> die <strong>in</strong>tensive<br />

Phase des Wahlkampfs 1955 relativ früh. Auftakt war e<strong>in</strong>e Großkundgebung am 12.<br />

August 1955. Bereits hier wurde deutlich, dass die Partei wiederum die Deutschlandpolitik<br />

<strong>in</strong> den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs stellen würde. Der Aufruf der<br />

Landesleitung sprach von e<strong>in</strong>er »große(n) Bedeutung« der bevorstehenden Wahlen,<br />

»die weit über die Grenzen <strong>Bremen</strong>s h<strong>in</strong>aus geht. Auch bei den Wahlen zur bremischen<br />

Bürgerschaft geht es darum, mit den Fe<strong>in</strong>den des Friedens, der Entspannung<br />

und der demokratischen E<strong>in</strong>heit Deutschlands [...] Abrechnung zu halten«. 232<br />

Auch der im September veröffentlichte Wahlaufruf der <strong>KPD</strong> konzentrierte sich<br />

weitgehend auf deutschlandpolitische Forderungen. Der Großteil des Programms<br />

war davon bestimmt und machte noch nicht e<strong>in</strong>mal den Versuch, Zusammenhänge<br />

zu landespolitischen Problemen herzustellen oder überhaupt nur zu erwähnen.<br />

Dort wo landespolitische Aspekte angesprochen wurden, geschah dies ausschließlich<br />

aus deutschlandpolitischer Sicht, etwa <strong>in</strong> der Kritik an der SPD und des Senats<br />

(»der Senat des faulen Kompromisses und des Paktierens mit den Bonner Militärparteien«,<br />

»Unter der Verantwortung des Koalitionssenats wurde die volksfe<strong>in</strong>dliche<br />

Steuer- und F<strong>in</strong>anzpolitik des Bonner Regimes <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> bis auf den letzten<br />

229 Ergebnis der Abstimmung <strong>in</strong> Bürgerschaftsprotokolle, 21. Mai 1952, S. 271. Zwei Abgeordnete der DP<br />

enthielten sich der Stimme.<br />

230 <strong>Die</strong> Abstimmung zum Generalvertrag war nicht das e<strong>in</strong>zige Beispiel für diese Übere<strong>in</strong>stimmungen.<br />

Ähnlich aufsehenerregend war e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Abstimmung von <strong>KPD</strong> und SPD zur Unterstützung<br />

des 1955 <strong>in</strong> der Frankfurter Paulskirche verabschiedeten »Deutschen Manifests«, das sich gegen die Pariser<br />

Verträge und den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO wandte. Vgl. Karl-Ludwig Sommer,<br />

Wiederbewaffnung im Widerstreit, a.a.O., S. 160ff.; Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />

a.a.O., S. 132ff.<br />

231 <strong>Die</strong> mündliche Verhandlung war im Juli 1954 abgeschlossen worden, mit der Urteilsverkündung und<br />

e<strong>in</strong>em wahrsche<strong>in</strong>lichen Verbot der Partei konnte also zum Zeitpunkt der Wahl schon gerechnet werden.<br />

232 9. Oktober - Tag der Abrechnung. Aufruf der <strong>KPD</strong>, Landesleitung <strong>Bremen</strong>, Tribüne der Demokratie, 6./7.<br />

August 1955.


190<br />

Politik und Programmatik<br />

Pfennig durchgesetzt«) oder mit dem H<strong>in</strong>weis auf die Adenauer-Regierung, die<br />

»auch die Entwicklung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> maßgeblich mitbestimmt« habe und verantwortlich<br />

dafür sei, »dass <strong>Bremen</strong> zu e<strong>in</strong>em Hauptstützpunkt der amerikanischen<br />

Kriegsmasch<strong>in</strong>erie geworden ist«. Der Forderungskatalog nannte an erster Stelle<br />

ebenfalls deutschland- oder <strong>in</strong>nenpolitische Themen, die auf Landesebene überhaupt<br />

nicht realisierbar waren (»<strong>Bremen</strong> tritt e<strong>in</strong> für die Beendigung des kalten<br />

Krieges«, »Raus mit den Atomkanonen aus Deutschland! Auflösung aller ausländischen<br />

Militärstützpunkte auf unserem Boden.« »Sofortige E<strong>in</strong>stellung des Verbotsprozesses<br />

gegen die <strong>KPD</strong>«). Im Vergleich zu 1951 war allerd<strong>in</strong>gs auch das Bemühen<br />

erkennbar, <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der deutschlandpolitischen Schwerpunktsetzung<br />

kommunale, landesspezifische oder <strong>in</strong>nenpolitische Themen mehr <strong>in</strong> die Forderungen<br />

mit e<strong>in</strong>zubeziehen, vor allem solche mit sozialpolitischem Charakter (Erweiterung<br />

des sozialen Wohnungsbaus, Ausbau des Gesundheitswesens, Umsetzung der<br />

Schulreform), aber auch auf wirtschafts- und tarifpolitischen Gebieten (»Förderung<br />

der Friedens<strong>in</strong>dustrie« und Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zu UdSSR<br />

und DDR, 40-Stundenwoche, »Verwirklichung des Rechtes auf Mitbestimmung«).<br />

233 Stärker noch als der Wahlaufruf g<strong>in</strong>gen auch die <strong>KPD</strong>-Kandidaten auf<br />

landespolitische Aspekte e<strong>in</strong>. 234 Trotz dieser im Vergleich zu 1951 stärkeren Berücksichtigung<br />

sozialer und kommunalpolitischer Forderungen stand aber die<br />

Deutschland- und Friedenspolitik immer noch dom<strong>in</strong>ierend im Vordergrund. <strong>Die</strong><br />

<strong>KPD</strong> agitierte damit an dem Wahlkampf der übrigen Parteien der Bürgerschaft<br />

weitgehend vorbei, <strong>in</strong> dem es vor allem um landespolitische Themen g<strong>in</strong>g. 235<br />

Das Ergebnis der Wahlen vom 9. Oktober 1955 war für die <strong>KPD</strong>, auch auf Bundesebene,<br />

bedeutsam: <strong>Die</strong> Partei zog mit genau fünf Prozent der Stimmen (18.229<br />

absolut) wieder <strong>in</strong> die Bürgerschaft e<strong>in</strong>. Damit war <strong>Bremen</strong> das e<strong>in</strong>zige Bundesland,<br />

<strong>in</strong> dem die <strong>KPD</strong> noch zu diesem Zeitpunkt die 5-Prozent-Hürde überspr<strong>in</strong>gen<br />

konnte und im Landesparlament vertreten war. 236 Im Vergleich zur Bürgerschaftswahl<br />

von 1951 waren zwar ebenfalls prozentuale und absolute Stimmenverluste zu<br />

verzeichnen (m<strong>in</strong>us 1,4 Prozentpunkte, 3.015 Stimmen), gegenüber der Bundestagswahl<br />

von 1953 aber gewann die <strong>KPD</strong> über 4.000 Stimmen (1,9 Prozentpunkte)<br />

h<strong>in</strong>zu. Wie 1951 hatte die Partei den höchsten Stimmenanteil <strong>in</strong> den Arbeitervierteln,<br />

besonders im Bremer Westen. Auch hier fiel die Diskrepanz zur Bundestags-<br />

233 Wahlaufruf der Kommunistischen Partei Deutschlands zur Bürgerschaftswahl am 9. Oktober 1955: E<strong>in</strong> glückliches<br />

Land <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gee<strong>in</strong>ten Deutschland der Demokratie und des Friedens [Privatarchiv Hermann<br />

Gautier]. Ebenfalls abgedruckt <strong>in</strong> E<strong>in</strong> glückliches <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gee<strong>in</strong>ten Deutschland der Demokratie und<br />

des Friedens, Tribüne der Demokratie, 19. September 1955.<br />

234 Siehe z.B. die Rede Wilhelm Meyer-Buers auf der o.g. Kundgebung (Kampfansage an Adenauerparteien<br />

und Kaisensenat, Tribüne der Demokratie, 13./14. August 1955) und den Aufruf von Hermann Gautier<br />

e<strong>in</strong>en Tag vor der Wahl (Werktätige <strong>Bremen</strong>s! Wählt Kommunisten!, Tribüne der Demokratie, 8./9. Oktober<br />

1955).<br />

235 Vgl. Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit, a.a.O., S. 181.<br />

236 Lediglich <strong>in</strong> Niedersachsen konnte die Partei ebenfalls 1955 noch <strong>in</strong> das Landesparlament gelangen,<br />

hier galt allerd<strong>in</strong>gs die 5-Prozent-Klausel nicht.


Politik und Programmatik 191<br />

wahl auf: 1953 war die <strong>KPD</strong> dort <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Wahlgebiet über zehn Prozent der<br />

Stimmen gekommen, 1955 erzielte sie hier durchschnittlich etwa zwölf Prozent. 237<br />

Ansonsten bestätigte das Wahlergebnis vor allem die dom<strong>in</strong>ante Stellung der<br />

SPD, die über acht Prozentpunkte gegenüber 1951 h<strong>in</strong>zu gewann (47,8 Prozent) und<br />

nun mit 52 Mandaten die absolute Mehrheit <strong>in</strong> der Bürgerschaft hatte. Auch die<br />

CDU verbesserte sich stark, kam auf e<strong>in</strong>en Stimmenanteil von 18 Prozent und<br />

konnte damit ihren sehr niedrigen Anteil von 1951 nahezu verdoppeln. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

verlor die Partei gegenüber der Bundestagswahl 6,9 Prozentpunkte.<br />

In ihrer Stellungnahme zum Wahlergebnis hob die <strong>KPD</strong> besonders diesen Verlust<br />

der CDU hervor. <strong>Die</strong> Wähler hätten »den Adenauerparteien e<strong>in</strong>e empf<strong>in</strong>dliche<br />

Niederlage zugefügt«, hieß es <strong>in</strong> der Erklärung des Sekretariats. Auch den Stimmengew<strong>in</strong>n<br />

der SPD wertete das Sekretariat als »Erfolg gegen den Bonner Kurs«:<br />

»<strong>Die</strong> Wähler der SPD gaben ihre Stimme <strong>in</strong> dem Willen, damit gegen die Bonner<br />

Politik für e<strong>in</strong>e Politik der Entspannung und der Beendigung des kalten Krieges zu<br />

stimmen«. Das eigene Ergebnis bezeichnete das Sekretariat als »beachtlichen Erfolg«<br />

und begründete dies mit den im Vergleich zur Bundestagswahl h<strong>in</strong>zu gewonnenen<br />

Stimmen. <strong>Die</strong> SPD forderte das Sekretariat auf, die Große Koalition nicht<br />

fortzusetzen und e<strong>in</strong>en »Senat der Interessen der Arbeiter« zu bilden. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> sei<br />

bereit, e<strong>in</strong>en solchen »mit allen Kräften zu unterstützen«. 238<br />

<strong>Die</strong> SPD und besonders Wilhelm Kaisen dachten allerd<strong>in</strong>gs nicht an e<strong>in</strong>e Ausnutzung<br />

der absoluten Mehrheit und der Bildung e<strong>in</strong>er SPD-Regierung mit Unterstützung<br />

der <strong>KPD</strong>, sondern setzten die Große Koalition mit CDU und FDP fort.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war <strong>in</strong> der neuen Bürgerschaft mit vier Abgeordneten vertreten. Wilhelm<br />

Meyer-Buer, Hermann Gautier und Maria Krüger waren bereits Mitglieder<br />

der alten Bürgerschaft gewesen. Neu im Parlament war Wilhelm Lahrs, Arbeiter<br />

auf der AG »Weser« und dort ehemaliges Betriebsratsmitglied. Lahrs schied bereits<br />

im Februar 1956 aus der Bürgerschaft aus, nachdem es zu partei<strong>in</strong>ternen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

gekommen war und die <strong>KPD</strong> ihn ausgeschlossen hatte. Für ihn rückte<br />

wieder He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich nach. 239<br />

<strong>Die</strong> parlamentarischen Mitwirkungsmöglichkeiten der <strong>KPD</strong> waren <strong>in</strong> der neuen<br />

Bürgerschaft sehr begrenzt. Wie bereits seit 1951 war die Partei <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Ausschuss<br />

und ke<strong>in</strong>er Deputation vertreten. Darüber h<strong>in</strong>aus hatte die <strong>KPD</strong> nun auch<br />

den Fraktionsstatus verloren, für den nach der seit 1951 gültigen Geschäftsordnung<br />

237 Materialien Statistisches Landesamt. Ihr bestes Ergebnis erzielte die <strong>KPD</strong> im Gebiet der Industriehäfen<br />

(17 Prozent). Hier, wie <strong>in</strong> den anderen Stadtteilen im Bremer Westen, die alle e<strong>in</strong>en hohen Arbeiteranteil<br />

aufwiesen und <strong>in</strong> der Nähe der Häfen gelegen waren, kam der Partei vermutlich auch ihr starkes<br />

Engagement <strong>in</strong> dem während der Wahl und des Wahlkampfs laufenden Hafenarbeiterstreik zugute.<br />

Ähnlich stabil war die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Stadtteilen im Bremer Osten (Sebaldsbrück, Hastedt und Hemel<strong>in</strong>gen),<br />

wo die <strong>KPD</strong> bei etwa 5-6 Prozent lag (1951: 6-8 Prozent). In diesen Vierteln wohnten viele Arbeiter<br />

der B<strong>org</strong>ward-Werke.<br />

238 Für e<strong>in</strong>en Senat der Interessen der Arbeiter. Erklärung des Sekretariats der <strong>KPD</strong>-Landesleitung <strong>Bremen</strong> zum Ergebnis<br />

der Bürgerschaftswahl, Tribüne der Demokratie, 15./16. Oktober 1955.<br />

239 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, 4. Wahlperiode (1955-1959), herausgegeben vom Vorstand<br />

der Bremischen Bürgerschaft, <strong>Bremen</strong> 1956, S. 275.


192<br />

Politik und Programmatik<br />

fünf Abgeordnete nötig waren. 240 Neben den f<strong>in</strong>anziellen E<strong>in</strong>bußen hatte das für<br />

die <strong>KPD</strong> die Folge, dass sie ke<strong>in</strong>e eigenen Anträge mehr e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen konnte, da hierfür<br />

die Unterstützung von m<strong>in</strong>destens fünf Abgeordneten, also die Fraktionsstärke<br />

nötig war. 241 Es war schon aus diesen Gründen nicht verwunderlich, dass die Aktivitäten<br />

der <strong>KPD</strong> im Parlament <strong>in</strong> den wenigen Monaten bis zum Verbot im August<br />

1956 merklich weniger wurden, zumal im Vergleich zur vorangegangenen Legislaturperiode.<br />

Das drohende Verbot überschattete und belastete natürlich auch die<br />

Parlamentsarbeit auf <strong>in</strong>haltlicher und personeller Ebene. Zum<strong>in</strong>dest Hermann Gautier<br />

war ab Mitte 1955 <strong>in</strong> die zentralen Vorbereitungen der <strong>KPD</strong> auf das Verbot e<strong>in</strong>bezogen<br />

und wirkte am Aufbau der sogenannten »2. L<strong>in</strong>ie« mit.<br />

Neben e<strong>in</strong>er diesen <strong>org</strong>anisatorischen Umständen zu schuldenden Abnahme<br />

der parlamentarischen Aktivitäten war aber auch e<strong>in</strong>e verbale Mäßigung und E<strong>in</strong>schränkung<br />

der »nationalen Propaganda« <strong>in</strong> der Bürgerschaft feststellbar. <strong>Die</strong>s h<strong>in</strong>g<br />

offensichtlich auch mit den Modifizierungen von Strategie und Programmatik der<br />

<strong>KPD</strong> seit dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATO und nach dem XX. Parteitag<br />

der KPdSU zusammen. Lediglich die Haushaltsrede von Wilhelm Meyer-Buer im<br />

März 1956 ließ noch Er<strong>in</strong>nerungen an die Rhetorik der letzten Legislaturperiode<br />

aufkommen, war aber <strong>in</strong>haltlich ebenfalls an die neue Parteil<strong>in</strong>ie angelehnt, wie sie<br />

<strong>in</strong> der Programmatischen Erklärung des Parteivorstandes vom Oktober 1955 zum<br />

Ausdruck gekommen war. 242<br />

In der Regal arbeiteten die <strong>KPD</strong>-Abgeordneten sachlich im Parlament mit und<br />

vermieden weitgehend nationale Phrasen sowie simplifizierende Verknüpfungen<br />

zur Deutschlandpolitik. Wiederum stimmte die <strong>KPD</strong> auch e<strong>in</strong>zelnen kommunalpolitischen<br />

Gesetzesvorlagen zu, wie etwa dem umfangreichen Wohnungsbauprogramm<br />

der SPD 243 oder dem Gesetz über die E<strong>in</strong>richtung von Arbeitnehmerkammern.<br />

In letzterem Fall kam es auch zu e<strong>in</strong>er »für die bremische Politik der fünfziger<br />

Jahre e<strong>in</strong>maligen ›Koalition‹« zwischen SPD, <strong>KPD</strong> und CDU, die für das Gesetz<br />

stimmten, während der Koalitionspartner FDP sowie die DP es ablehnten. 244 Ähnlich<br />

bemerkenswert war die Stimmenkoalition bei der ersten Beratung des bremischen<br />

Personalvertretungsgesetzes. Hier waren es die SPD-Fraktion und die <strong>KPD</strong>,<br />

die sich gegen den vom SPD-geführten Senat v<strong>org</strong>elegten Entwurf stellten, während<br />

die bürgerlichen Parteien ihn unterstützten. 245<br />

240 Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, 3. Wahlperiode, a.a.O., S. 168.<br />

241 Ebenda, S. 174f. Auch <strong>in</strong> der neuen, im Oktober 1956 verabschiedeten Geschäftsordnung blieb dieser<br />

Passus bestehen (Handbuch der Bremischen Bürgerschaft, 4. Wahlperiode, a.a.O., S. 144). Siehe auch<br />

die Kritik Wilhelm Meyer-Buers daran (Bürgerschaftsprotokolle, 17. Oktober 1956, S. 334ff.).<br />

242 Bürgerschaftsprotokolle, 21. März 1956, S. 144ff.<br />

243 Siehe die Erklärung von Maria Krüger <strong>in</strong> Bürgerschaftsprotokolle, 22. Februar 1956, S. 66f.<br />

244 Karl-Ludwig Sommer, Politik im Zeichen des »Bündnisses von Kaufleuten und Arbeiterschaft«, a.a.O.,<br />

S. 49f. Siehe auch die Rede von Wilhelm Meyer-Buer <strong>in</strong> der Schlussaussprache bei der 2. Lesung des<br />

Gesetzes (Bürgerschaftsprotokolle, 27. Juni 1956, S. 270f.).<br />

245 Karl-Ludwig Sommer, Politik im Zeichen des »Bündnisses von Kaufleuten und Arbeiterschaft«, a.a.O.,<br />

S. 50ff. <strong>Die</strong> Kontroverse um das Gesetz zog sich bis Ende 1957 h<strong>in</strong>, endgültig entschieden wurde es erst<br />

1959.


Politik und Programmatik 193<br />

Auch nach dem Verbot im August 1956 blieb die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bürgerschaft. <strong>Die</strong><br />

kommunistischen Abgeordneten verloren nach e<strong>in</strong>em Urteil des Staatsgerichtshofes<br />

zwar ihre Sitze im Landtag, behielten aber bis zum Ende der Legislaturperiode 1959<br />

ihre Mandate <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft.


Kapitel 5<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

<strong>Die</strong> Arbeit <strong>in</strong> den Betrieben und Gewerkschaften musste <strong>in</strong> Selbstverständnis und<br />

Strategie der Arbeiterpartei <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e zentrale Rolle spielen. <strong>Die</strong>se zunächst triviale<br />

Erkenntnis erhält im Zusammenhang mit der Entwicklung der Partei nach <strong>1945</strong> erst<br />

ihre Bedeutung: In ke<strong>in</strong>em anderen Betätigungsfeld können der Niedergang, der<br />

E<strong>in</strong>flussverlust, die Konfrontationsl<strong>in</strong>ien des Kalten Krieges und die sich aus diesen<br />

Prozessen ergebenden <strong>in</strong>nerparteilichen Widersprüche und Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

deutlicher beobachtet werden. Vor dem H<strong>in</strong>tergrund der bedeutsamen Rolle von<br />

Kommunisten <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren beim Wiederaufbau der Betriebe, der<br />

Stärke der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den ersten Betriebsräten und auch <strong>in</strong> den Gewerkschafts<strong>org</strong>anen<br />

musste der E<strong>in</strong>flussverlust <strong>in</strong> ihrem »traditionellen sozialen Bezugsfeld«, der Industriearbeiterschaft,<br />

1 für die Partei besondere Folgen haben. Das soll <strong>in</strong> diesem<br />

Kapitel besonders auf <strong>in</strong>nerparteilicher Ebene aufgezeigt werden.<br />

1. Überblick: <strong>Die</strong> Radikalisierung der<br />

<strong>KPD</strong>-Gewerkschaftspolitik<br />

<strong>Die</strong> Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> wurde ab 1948 - auch im Zuge der beg<strong>in</strong>nenden<br />

Parteiumgestaltung - e<strong>in</strong>er kritischen Bestandsaufnahme der Parteileitung unterzogen,diesichzunächst<strong>in</strong>derForderungnachStärkungderBetriebsgruppenund<br />

verstärkter Arbeit <strong>in</strong> den Gewerkschaften erschöpfte. Im Februar 1949 beklagte der<br />

stellvertretende Parteivorsitzende Fritz Sperl<strong>in</strong>g, die Betriebsgruppenarbeit habe<br />

sich »nicht vorwärts, sondern rückwärts entwickelt«. 2 <strong>Die</strong> Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger<br />

Delegiertenkonferenz im März 1949 betonte, die »Betriebsgruppen <strong>in</strong> den entscheidendsten<br />

Betrieben« müssten »die Schwerpunkte unserer Arbeit werden«. 3<br />

Selbstkritische Ursachenforschung für den konstatierten Missstand wurde nicht<br />

versucht, abgesehen von der allgeme<strong>in</strong>en Feststellung, »dass das niedrige Klassen-<br />

1 <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1726.<br />

2 Ebenda.<br />

3 Entschließung der Sol<strong>in</strong>ger Delegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong> (5.-6.3. 1949), <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente,<br />

a.a.O., Band 1, S. 266-284, hier S. 283.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 195<br />

bewusstse<strong>in</strong> der deutschen Arbeiterklasse« sich eben auch <strong>in</strong> der eigenen Partei widerspiegele.<br />

4 Auch konzeptionelle Neuorientierungen formulierte man noch nicht.<br />

Nach dem für die Partei enttäuschenden Ergebnis der Bundestagswahlen 1949<br />

wurde die Kritik an <strong>org</strong>anisatorischen und ideologischen Mängeln deutlicher, die<br />

<strong>in</strong>haltliche Frage der Gewerkschafts- und Betriebsgruppenpolitik allerd<strong>in</strong>gs wieder<br />

nur beiläufig und allgeme<strong>in</strong>-abstrakt behandelt. Auf der sich mit der Auswertung<br />

der Wahlen beschäftigenden 13. Parteivorstandsitzung am 16. September 1949 stellte<br />

Max Reimann wieder den ideologischen Zustand und die »nationale Frage« <strong>in</strong><br />

den Mittelpunkt, konstatierte aber auch, dass »die Partei die Betriebsarbeit, das entscheidende<br />

Feld der Arbeit e<strong>in</strong>er marxistisch-len<strong>in</strong>istischen Partei«, wie auch »die<br />

Organisierung von Massenbewegungen für höhere Löhne und andere soziale Forderungen<br />

der Betriebe und Gewerkschaften« »sträflich vernachlässigt« habe. 5 <strong>Die</strong><br />

Erkenntnis, »dass e<strong>in</strong>e konkrete Arbeiterpolitik unmöglich ist ohne e<strong>in</strong>e richtige<br />

Gewerkschaftspolitik«, und die Forderung, »dass die Gewerkschaften selbst e<strong>in</strong>er<br />

der entscheidenden Träger der nationalen Politik se<strong>in</strong> müssen«, blieben zwar abstrakt,<br />

6 deuteten aber die bald folgende programmatische Richtungsänderung an,<br />

die auch die Betriebs- und Gewerkschaftspolitik unter das Primat der »nationalen<br />

Politik« stellte.<br />

Konkretisiert und erstmals explizit formuliert wurde diese Neuorientierung <strong>in</strong><br />

der von der 15. Parteivorstandstagung im März 1950 verabschiedeten Resolution<br />

»<strong>Die</strong> Gewerkschaftsbewegung und die Kommunisten«. 7 Das Dokument kann als<br />

gewerkschaftliches Programm der <strong>KPD</strong> betrachtet werden 8 undverfestigtedie»ultral<strong>in</strong>ke(n)<br />

Auffassungen <strong>in</strong> der Gewerkschaftsfrage«. 9 <strong>Die</strong> Resolution kritisierte<br />

scharf die »rechten Gewerkschaftsführer«, die sich bemühten, »die Gewerkschaften<br />

ihres Klassencharakters zu berauben« und sich »mit den schlimmsten deutschen<br />

Scharfmachern« verbündeten. 10 Der Parteivorstand wandte sich gegen das »Nur-<br />

Gewerkschaftertum«, das die Gewerkschaftsbewegung von der politischen Bewegung<br />

fernhalte, 11 und formulierte die neue Prioritätensetzung der <strong>KPD</strong>-Politik <strong>in</strong><br />

den Gewerkschaften und Betrieben:<br />

»Im Mittelpunkt der Politik der Partei und der Arbeiterklasse steht der Kampf um den Frieden,<br />

die Schaffung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen, unabhängigen demokratischen Deutschland und der<br />

Abzug aller Besatzungstruppen. [...]. Der Kampf um den Frieden, um e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches, demokratisches<br />

Deutschland, ist unter den Bed<strong>in</strong>gungen der doppelten Ausbeutung gleichbedeu-<br />

4 Ebenda, S. 276.<br />

5 Herbert Kuehl. <strong>Die</strong> Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> von <strong>1945</strong> bis 1956. <strong>Die</strong> Rolle der Parteimitglieder <strong>in</strong><br />

betrieblichen Konflikten - im Schwerpunkt dargestellt anhand des Hamburger Werftarbeiterstreiks von<br />

1955, Hamburg 1981 (Diss.), S. 82f.<br />

6 So Herbert Kuehl, <strong>Die</strong> Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> von <strong>1945</strong> bis 1956, a.a.O., S. 83.<br />

7 Auszugsweise abgedruckt <strong>in</strong>: Dokumente der Kommunistischen Partei Deutschlands <strong>1945</strong>-1956. Mit<br />

e<strong>in</strong>em Vorwort des Ersten Sekretärs des ZK der <strong>KPD</strong> Max Reimann, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1965, S. 223-234.<br />

8 Vgl. Herbert Kuehl, <strong>Die</strong> Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> von <strong>1945</strong> bis 1956, a.a.O., S. 82.<br />

9 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 44.<br />

10 <strong>Die</strong> Gewerkschaften und die Kommunisten, <strong>in</strong>: Dokumente der Kommunistischen Partei Deutschlands<br />

<strong>1945</strong>-1956, a.a.O., S. 224.<br />

11 Ebenda, S. 225.


196<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

tend mit dem Kampf um die Existenz der Arbeiterklasse und aller Werktätigen. Er ist somit<br />

unlösbar verbunden mit dem Kampf um höhere Löhne, um die Erhaltung des Arbeitsplatzes<br />

und um das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter <strong>in</strong> den Betrieben«. 12<br />

Den Parteimitgliedern wurde die Aufgabe zugewiesen, »die Kampfbereitschaft<br />

der Arbeiter zu fördern, ihnen zu helfen, den Kampf um Lohnerhöhungen von Betrieb<br />

zu Betrieb und von Industriegruppe zu Industriegruppe zu entwickeln« sowie<br />

»die notwendigen Kampfesvorbereitungen« zu treffen. 13<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> stellte mit dieser Subsumierung gewerkschaftlicher Aufgaben - und<br />

eben nicht nur der Aufgaben der Parteimitglieder <strong>in</strong> den Gewerkschaften - unter<br />

das Primat ihrer nationalen Politik den von ihr selbst immer wieder geforderten<br />

und nach <strong>1945</strong> mit durchgesetzten Charakter der Gewerkschaften als politisch unabhängige<br />

E<strong>in</strong>heits<strong>org</strong>anisationen selbst <strong>in</strong> Frage. Zu recht weisen Judick, Schleifste<strong>in</strong><br />

und Ste<strong>in</strong>haus darauf h<strong>in</strong>, dass durch die ȟberspitzte Polemik sowie durch<br />

unsachliche Überreaktionen Brücken zu sozialdemokratischen, christlich orientierten<br />

und parteipolitisch ungebundenen Gewerkschaftern abgerissen wurden«. 14<br />

Mit der Grundforderung nach e<strong>in</strong>er aktiveren Rolle der Gewerkschaften <strong>in</strong> der<br />

Deutschland- und vor allem <strong>in</strong> der Friedenspolitik stand die <strong>KPD</strong> nicht alle<strong>in</strong>, und<br />

sie hatte durchaus e<strong>in</strong>e legitime Grundlage. <strong>Die</strong> Frage nach der Stellung und Rolle<br />

der Gewerkschaften <strong>in</strong>nerhalb der neukonstituierten Bundesrepublik war zu diesem<br />

Zeitpunkt ke<strong>in</strong>eswegs unumstritten. Zu klären war das »Verhältnis zwischen<br />

den ›klassischen‹ Vertretungsfunktionen der Gewerkschaften - also der Aufgabe<br />

des Schutzes der Lohnabhängigen vor der Willkür des Kapitals sowie der Verbesserung<br />

ihrer Arbeits- und Lebensbed<strong>in</strong>gungen - und den [...] gesellschaftspolitischen<br />

Gestaltungs- und Veränderungsfunktionen, also der Zielsetzung der ›sozialen Demokratie‹.<br />

15 Über diese Standortbestimmung wurde besonders 1951/52 e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive<br />

theoretische Debatte geführt, auch <strong>in</strong> den Gewerkschaften selbst. 16<br />

In dieser Zeit mussten die Gewerkschaften aber mit der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes<br />

im Juli 1952 auch ihre bis dah<strong>in</strong> schwerste politische<br />

Niederlage h<strong>in</strong>nehmen. Das Gesetz beschränkte die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer<br />

im Betrieb auf soziale Fragen. <strong>Die</strong> Gewerkschaften hatten damit das<br />

Ziel der paritätischen Mitbestimmung <strong>in</strong> wirtschaftlichen Fragen - die sie zuvor <strong>in</strong><br />

langen Ause<strong>in</strong>andersetzungen immerh<strong>in</strong> für die Montan<strong>in</strong>dustrie erreichen konn-<br />

12 Ebenda, S. 229f.<br />

13 Ebenda, S. 228.<br />

14 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 45.<br />

15 Frank Deppe, Ge<strong>org</strong> Fülberth und Jürgen Harrer (Hrsg.): Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung,<br />

vierte, aktualisierte und neu bearbeitete Auflage, Köln 1989, S. 514.<br />

16 Vgl. ebenda, S. 514ff.; Michael Schneider, Kle<strong>in</strong>e Geschichte der Gewerkschaften. Ihre Entwicklung <strong>in</strong><br />

Deutschland von den Anfängen bis heute, Bonn 1989, S. 290ff.; Theo Pirker, <strong>Die</strong> bl<strong>in</strong>de Macht. <strong>Die</strong> Gewerkschaftsbewegung<br />

<strong>in</strong> der Bundesrepublik, 2 Bände, Berl<strong>in</strong> 1979 [München 1960], Bd.1, S. 291ff. Als<br />

Vertreter der beiden Flügelpositionen: Goetz A. Briefs, Gewerkschaftsprobleme <strong>in</strong> unserer Zeit. Beiträge<br />

zur Standortbestimmung, 2. Aufl., Frankfurt a.M. <strong>1968</strong> [1. Aufl. 1955]; Wolfgang Abendroth, Zur<br />

Funktion der Gewerkschaften <strong>in</strong> der westdeutschen Demokratie, <strong>in</strong>: ders., Arbeiterklasse, Staat und<br />

Verfassung. Materialien zur Verfassungsgeschichte und Verfassungstheorie der Bundesrepublik. herausgegeben<br />

und e<strong>in</strong>geleitet von Joachim Perels, Frankfurt a.M. 1975, S. 33ff.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 197<br />

ten - nicht durchsetzen können. Über die E<strong>in</strong>schränkung der Mitbestimmungsrechte<br />

h<strong>in</strong>aus verbot das Gesetz außerdem jegliche <strong>in</strong>nerbetriebliche politische Betätigung<br />

der Betriebsräte. Der DGB protestierte im Vorfeld der Verabschiedung zunächst<br />

scharf gegen das geplante Gesetz. 17 In zahlreichen Städten fanden Demonstrationen,<br />

Protestkundgebungen und Warnstreiks statt. <strong>Die</strong> Proteste verpufften jedoch<br />

schließlich, die DGB-Führung beschloss die E<strong>in</strong>stellung der Aktionen.<br />

<strong>Die</strong>se Niederlage und die Widersprüchlichkeit zwischen dem anfänglich gezeigten<br />

Widerstandswillen und der resignativen Aufgabe der DGB-Führung am Ende<br />

der Ause<strong>in</strong>andersetzungen führte auf dem 2. DGB-Kongress im Oktober 1952 zu<br />

scharfer Kritik der Delegierten. 18 Gleiches galt für die Haltung des DGB-Vorstands<br />

zur Wiederaufrüstung. Der DGB hatte sich schon unter der Führung des 1951 verstorbenen<br />

Hans Böckler im Gegensatz zur SPD nicht explizit gegen e<strong>in</strong>en bundesdeutschen<br />

Wehrbeitrag gestellt, wohl auch, weil er sich so Zugeständnisse der<br />

Bundesregierung <strong>in</strong> der Frage der paritätischen Mitbestimmung erhoffte. 19 Böcklers<br />

Nachfolger Christian Fette und se<strong>in</strong> Stellvertreter Hans vom Hoff sprachen sich offen<br />

für die Remilitarisierung aus, stießen damit aber schon vor dem 2. DGB-<br />

Kongress auf Widerstand aus den mittleren und unteren Funktionärsebenen. 20<br />

Nach der massiven Kritik der Delegierten an der Politik des Bundesvorstandes<br />

wurden Fette und vom Hoff als Vorsitzende des DGB abgewählt. Fettes Nachfolger<br />

wurde der IG-Metall-Vorsitzende Walter Freitag. 21<br />

Angesichts dieser Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die politische Rolle der Gewerkschaften<br />

und der Haltung der DGB-Führung zur Remilitarisierung wird deutlich,<br />

dass die <strong>KPD</strong> grundsätzlich mit ihren friedens- und deutschlandpolitischen Forderungen<br />

an die Gewerkschaften und mit ihrer Vorstellung von den Gewerkschaften<br />

als antikapitalistischem und außerparlamentarischem Machtfaktor ke<strong>in</strong>eswegs isoliert<br />

war. Unabhängig davon, ob e<strong>in</strong>e solche Konzeption unter den realen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

objektiv überhaupt e<strong>in</strong>e Realisierungschance gehabt hätte - die Niederlage<br />

<strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung um das Betriebsverfassungsgesetz spricht eher dagegen<br />

-, hätte die Partei mit diesem Konzept zum<strong>in</strong>dest auf Resonanz auch bei der nicht<br />

kommunistischen Arbeiterschaft und den unteren gewerkschaftlichen Funktionärsebenen<br />

hoffen können. <strong>Die</strong>s aber wäre »nur durch <strong>in</strong>tensive gewerkschaftliche Arbeit,<br />

nicht aber durch e<strong>in</strong>e parteiamtliche Proklamation zu verwirklichen gewesen,<br />

die nur allzu leicht als ›Anweisung von außen‹ diffamiert werden konnte«. 22 <strong>Die</strong><br />

Möglichkeiten für die gewerkschaftliche Arbeit der kommunistischen Funktionäre<br />

<strong>in</strong> den Betrieben wurden aber nun durch die l<strong>in</strong>kssektiererischen V<strong>org</strong>aben des Par-<br />

17 Zur Ause<strong>in</strong>andersetzung um das Betriebsverfassungsgesetz siehe v.a. Theo Pirker, <strong>Die</strong> bl<strong>in</strong>de Macht,<br />

a.a.O., Band 1, S. 237ff; Frank Deppe et al. (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung,<br />

a.a.O., S. 494ff.<br />

18 Frank Deppe et al. (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, a.a.O., S. 498.<br />

19 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 51; Frank Deppe et al. (Hrsg.), Geschichte der deutschen<br />

Gewerkschaftsbewegung, a.a.O., S. 482; Theo Pirker, <strong>Die</strong> bl<strong>in</strong>de Macht, a.a.O., Band 1, S. 233; Michael<br />

Schneider, Kle<strong>in</strong>e Geschichte der Gewerkschaften, a.a.O., S. 293.<br />

20 Vgl. Theo Pirker, <strong>Die</strong> bl<strong>in</strong>de Macht, a.a.O., Band 1, S. 234ff.<br />

21 Ebenda, Band 2, S. 28ff.<br />

22 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 45.


198<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

teivorstands <strong>in</strong> der Resolution von 1950 stark e<strong>in</strong>geschränkt, zumal ihnen - abgesehen<br />

von allgeme<strong>in</strong>en Floskeln - auch nicht gesagt wurde, wie sie denn diese Ziele<br />

verwirklichen sollten. Schon deshalb waren die folgenden Schwierigkeiten bei der<br />

Durchsetzung der Resolution gegenüber den eigenen Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionären<br />

absehbar. Sichtbares Zeichen für die Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die<br />

gewerkschaftspolitische L<strong>in</strong>ie war Anfang Juli 1950 die Absetzung des für Gewerkschaftspolitik<br />

zuständigen Sekretärs Hermann Nud<strong>in</strong>g, der »se<strong>in</strong>e Bedenken gegen<br />

sektiererische Tendenzen <strong>in</strong> der Gewerkschaftsarbeit der Partei geltend« gemacht<br />

hatte. 23<br />

Im März 1951 verabschiedete der erste Parteitag der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Entschließung<br />

»<strong>Die</strong> gegenwärtige Lage und die Aufgaben der <strong>KPD</strong>« auch die »These 37«, <strong>in</strong> der<br />

die seit 1950 formulierte l<strong>in</strong>kssektiererische Gewerkschaftspolitik noch e<strong>in</strong>mal besonders<br />

scharf po<strong>in</strong>tiert zum Ausdruck gebracht wurde und mit der sich die <strong>KPD</strong><br />

schließlich selbst aus den noch verbliebenen Gewerkschaftspositionen herauskatapultierte.<br />

These 37, e<strong>in</strong>e von <strong>in</strong>sgesamt 53 <strong>in</strong> der Entschließung, griff vor allem die<br />

»rechten Gewerkschaftsführer« scharf an und warf ihnen vor, »im Auftrag und im<br />

Interesse des amerikanischen Imperialismus und im E<strong>in</strong>klang mit den deutschen<br />

Monopolisten« »die Gewerkschafts<strong>org</strong>anisation <strong>in</strong> den <strong>Die</strong>nst der Kriegsvorbereitungen<br />

zu stellen«. Daraus ergebe »sich die Aufgabe, den wachsenden Kampf- und<br />

Widerstandswillen der Arbeiter zu entwickeln und zu festigen und Kampfhandlungen<br />

auszulösen auch gegen den Willen rechter Gewerkschaftsführer«. 24 Zwar<br />

wandte sich die These auch gegen »Sektierertum von Parteimitgliedern« und forderte<br />

von den Mitgliedern, »<strong>in</strong> der Gewerkschaft zu arbeiten, der beste Gewerkschafter<br />

zu se<strong>in</strong> und Funktionen <strong>in</strong> der Gewerkschaft anzunehmen«, machte aber<br />

genau dies durch die überzogene und ultral<strong>in</strong>ke Anklage gegen die »rechten Gewerkschaftsführer«<br />

nahezu unmöglich. Es war »bei nüchterner Analyse der <strong>in</strong>nergewerkschaftlichen<br />

Lage« 25 durchaus vorhersehbar, wie die Gewerkschaften auf<br />

die Anklagen reagieren würden und dass letztlich die <strong>in</strong> den Formulierungen der<br />

These lesbare Verletzung der Gewerkschaftsstatuten 26 sowie die parteipolitische<br />

Funktionalisierung gewerkschaftlicher Ziele nur zur Isolation führen konnten.<br />

In der Tat hatte »These 37« <strong>in</strong> der Folgezeit fatale Folgen. <strong>Die</strong> IG Metall reagierte<br />

mit e<strong>in</strong>em Revers, den sie ihren kommunistischen Funktionären zur Unterschrift<br />

vorlegte. Mit dieser Erklärung sollten die Funktionäre die <strong>KPD</strong>-These als gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlich<br />

ablehnen und sich gleichzeitig zu den Beschlüssen und Satzungen<br />

der IG Metall bekennen. 27 <strong>Die</strong> Verweigerung der Unterschrift zog e<strong>in</strong> gewerkschaftliches<br />

Funktionsverbot nach sich, die Unterschriftsleistung bedeutete für die<br />

23 Ebenda. Vgl. auch Tilman Fichter, Eugen Eberle: Kampf um Bosch, Berl<strong>in</strong> 1974, S. 184f.; <strong>Die</strong>trich Staritz,<br />

<strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O. S.1730; Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 81<br />

sowie These 50 <strong>in</strong> der Entschließung des »Münchener« Parteitags von 1951: <strong>Die</strong> gegenwärtige Lage und<br />

die Aufgaben der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 368f.<br />

24 <strong>Die</strong> gegenwärtige Lage und die Aufgaben der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 1, S. 355.<br />

25 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 48.<br />

26 Vgl. Herbert Kuehl, <strong>Die</strong> Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> von <strong>1945</strong> bis 1956, a.a.O., S. 99.<br />

27 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 52.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 199<br />

Kommunisten zunächst die Distanzierung von den Beschlüssen der eigenen Partei.<br />

Damit waren die kommunistischen Gewerkschaftsfunktionäre <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e politische<br />

Zwickmühle gestürzt worden.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs hätte die <strong>KPD</strong> zu diesem Zeitpunkt durchaus noch flexibel reagieren<br />

und angesichts der absehbaren Konsequenzen die Unterschriftsleistung zum<strong>in</strong>dest<br />

tolerieren können. <strong>Die</strong> Partei verbot jedoch ihren Mitgliedern die Unterschrift des<br />

Reverses und drohte mit der Konsequenz des Parteiausschlusses. 28 Damit waren<br />

die <strong>KPD</strong>-Mitglieder <strong>in</strong> den Gewerkschaften vor die Alternative gestellt, entweder<br />

ihre gewerkschaftlichen Funktionen oder aber die Parteimitgliedschaft zu erhalten.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> verlor so »<strong>in</strong>nerhalb kürzester Frist ihre Basis unter den Funktionären der<br />

IG Metall«, und zwar durchgängig von der haupt- und ehrenamtlichen Leitungsebene<br />

bis h<strong>in</strong> zu den Vertrauensmännerkörpern <strong>in</strong> den Betrieben oder den Delegierten<br />

für Leitungswahlen auf Ortsebene. Viele Funktionäre, offenbar besonders<br />

auf den Leitungsebenen, entschieden sich <strong>in</strong> dieser Situation für die Gewerkschaft<br />

und verließen die Partei. 29 <strong>Die</strong>jenigen, die den Revers nicht unterschrieben, verloren<br />

ihre gewerkschaftlichen Funktionen, später häufig auch ihre Mitgliedschaft <strong>in</strong><br />

der Gewerkschaft. 30<br />

In der Tat also hatte sich die <strong>KPD</strong> »auf e<strong>in</strong>em zentralen Tätigkeitsfeld außerordentlich<br />

geschwächt« 31. <strong>Die</strong> »These 37« war der Höhepunkt der radikalisierten und<br />

<strong>in</strong>strumentalisierten Gewerkschaftspolitik der Partei seit 1950. Gleichzeitig markierte<br />

sie auch e<strong>in</strong>en vorläufigen Höhepunkt der bereits Jahre andauernden <strong>in</strong>nergewerkschaftlichen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten,<br />

bei denen antikommunistisch orientierte Gewerkschaftsfunktionäre mit<br />

der SPD und oftmals auch im Zusammenspiel mit staatlichen Stellen versuchten,<br />

den E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>nerhalb der gewerkschaftlichen Gremien und Organisationen<br />

wie auch <strong>in</strong> den Betrieben zurückzudrängen. 32 <strong>Die</strong> Radikalisierung der <strong>KPD</strong>-<br />

Gewerkschaftspolitik und der Umstand, dass sie <strong>in</strong>nerhalb der Mitgliedschaft - bei<br />

allen für <strong>Bremen</strong> noch zu schildernden Widerständen - überhaupt auf Resonanz<br />

stieß und trotz der absehbaren Isolation nachvollzogen wurde, muss sicher auch<br />

vor dem H<strong>in</strong>tergrund dieser bis <strong>in</strong> die Betriebe reichenden »schleichenden Verfolgung«<br />

33 gesehen werden. In der Endbilanz aber hatte sich die <strong>KPD</strong> damit <strong>in</strong> den<br />

Gewerkschaften und den betrieblichen Vertretungen <strong>in</strong>haltlich isoliert, <strong>org</strong>anisato-<br />

28 <strong>Die</strong> Unterschriftsleistung hatte ke<strong>in</strong>eswegs zwangsläufig den Parteiausschluss zur Folge, wie anhand<br />

derBremer<strong>KPD</strong>nochzuzeigense<strong>in</strong>wird.<br />

29 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 48.<br />

30 So z.B. der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Bosch-Werke <strong>in</strong> Stuttgart, Eugen Eberle, der aufgrund<br />

der »These 37« aus dem IG Metall Hauptvorstand ausscheiden musste (Tilman Fichter und Eugen Eberle,<br />

Kampf um Bosch, a.a.O., S. 185ff.).<br />

31 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 48.<br />

32 Siehe die Beispiele bei Patrick Major, The Death of the <strong>KPD</strong>. Communism and Anti-Communism <strong>in</strong><br />

West Germany, <strong>1945</strong>-1956, Oxford 1997, S. 184ff.; Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 53ff.; Gudrun<br />

Schädel, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen von <strong>1945</strong>-1956, a.a.O.,<br />

S. 163ff.<br />

33 Patrick Major, The Death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 189 (»The radicalization of <strong>KPD</strong> union policy [...] must<br />

thus be seen <strong>in</strong> the context of this creep<strong>in</strong>g persecution«).


200<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

risch stark geschwächt und den Gewerkschaftsleitungen e<strong>in</strong>e willkommene Möglichkeit<br />

gegeben, mit adm<strong>in</strong>istrativen Maßnahmen den E<strong>in</strong>fluss von Kommunisten<br />

weiter zurückzudrängen und vielfach sogar völlig auszuschalten.<br />

Angesichts dieses <strong>in</strong>nerhalb kürzester Zeit angerichteten Scherbenhaufens revidierte<br />

die <strong>KPD</strong> auf dem Parteitag Ende 1954 <strong>in</strong> Hamburg den Umgang mit der These<br />

37 und der Frage der Reverse. Im Rechenschaftsbericht des Parteivorstandes hieß<br />

es: »Sollte es zur Sicherung der weiteren gewerkschaftlichen Arbeit [...] nicht zu<br />

umgehen se<strong>in</strong>, können von der Gewerkschaftsführung v<strong>org</strong>elegte Reverse unterschrieben<br />

werden, es sei denn, dass der Inhalt der Reverse selbst gegen grundsätzliche<br />

Interessen der Arbeiterklasse verstößt«. 34 Inhaltlich beschäftigte sich der Parteitag<br />

mit der These 37 nicht, er klammerte die Frage aus. 35 <strong>Die</strong> die Gewerkschaftspolitik<br />

behandelnde These 7 des Hamburger Parteitags bemühte sich lediglich, verbale<br />

Überspitzungen zu vermeiden. So sprach man jetzt nicht mehr pauschal von<br />

den »rechten Gewerkschaftsführern« sondern von »gewisse(n) Gewerkschaftsführer(n)«.<br />

36 Es sei nicht richtig, so Willi Mohn dazu <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Schlusswort, »e<strong>in</strong>fach<br />

von rechten Gewerkschaftsführern zu sprechen, sondern es muss <strong>in</strong> der gegenwärtigen<br />

Situation unsere Aufgabe se<strong>in</strong>, zu den Worten und Taten jedes Gewerkschaftsfunktionärs<br />

entsprechend se<strong>in</strong>er Handlung Stellung zu nehmen«. 37 Inhaltlich<br />

aber wurde die These 37 von 1951 ke<strong>in</strong>er Revision unterzogen, und nach wie<br />

vor stand im Zentrum der <strong>KPD</strong>-Gewerkschaftspolitik der Widerstand gegen die<br />

Remilitarisierung. 38 »<strong>Die</strong> politische Bedeutung ökonomischer Forderungen, wie<br />

z.B. nach E<strong>in</strong>führung der 40-Stunden-Woche, wurde noch nicht <strong>in</strong> vollem Maße erkannt.«<br />

39<br />

Nicht nur für die gewerkschaftlichen Positionen und den Organisationsgrad der<br />

Mitgliedschaft 40 hatte die These 37 Folgen. Ebenso bedeutsam waren die <strong>in</strong>nerparteilichen<br />

Konsequenzen. <strong>Die</strong>s waren zum e<strong>in</strong>en die vermeidbaren Konflikte mit der<br />

betrieblichen Basis. Zum anderen wird auch der schon zuvor vorhandene Trend <strong>in</strong><br />

der Mitgliedschaft, sich aus der Betriebsarbeit <strong>in</strong> die Wohngebietsgruppen oder <strong>in</strong><br />

die völlige Passivität zurückzuziehen, zum Teil - neben dem starken Antikommunismus<br />

von Seiten der SPD, Gewerkschaften und Arbeitgeber, durch den e<strong>in</strong>e<br />

kommunistische Betätigung im Betrieb auch den Verlust des Arbeitsplatzes nach<br />

sich ziehen konnte - auf die im Widerspruch zu den betrieblichen Realitäten stehenden<br />

Radikalisierungen der <strong>KPD</strong>-Politik zurückzuführen se<strong>in</strong>. 41 Bereits 1949 war<br />

34 Protokoll des Hamburger Parteitags der Kommunistischen Partei Deutschlands vom 28. bis 30. Dezember<br />

1954, Herausgeber: Parteivorstand der Kommunistischen Partei Deutschlands, o.O. o.J., S. 38.<br />

35 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 66.<br />

36 Protokoll des Hamburger Parteitags, a.a.O., S. 238.<br />

37 Ebenda, S. 223.<br />

38 Ebenda, S. 237.<br />

39 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 66.<br />

40 Nach Angaben von Judick/Schleifste<strong>in</strong>/Ste<strong>in</strong>haus (ohne Quellenangabe) waren 1954 »<strong>in</strong>folge der vorausgegangenen<br />

Ausschlüsse aus den Gewerkschaften, aber auch im Ergebnis sektiererischen Verhaltens<br />

[...] nur noch die Hälfte der Parteimitglieder gewerkschaftlich <strong>org</strong>anisiert« (Günter Judick, Josef<br />

Schleifste<strong>in</strong>, Kurt Ste<strong>in</strong>haus: E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 61).<br />

41 Vgl. auch Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1728f.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 201<br />

der Anteil der <strong>in</strong> den Betriebsgruppen erfassten Mitglieder <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Bundesland<br />

höher als ca. 21 Prozent, <strong>in</strong> vielen Fällen lag er sogar unter 10 Prozent. <strong>Die</strong>s lag weit<br />

unter dem Arbeiteranteil an der Mitgliedschaft (45% - 65%). 42 Auch für <strong>Bremen</strong><br />

lässt sich bis 1955 e<strong>in</strong> starkes S<strong>in</strong>ken der Zahl der Betriebsgruppen und e<strong>in</strong> überproportionaler<br />

Mitgliederverlust bei den Arbeitern feststellen.<br />

2. Betriebs- und Gewerkschaftspolitik der Bremer <strong>KPD</strong><br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftsfunktionen<br />

<strong>Die</strong> Anzahl sowie die Mitgliederstärke der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> lässt<br />

sich von Ende 1948 bis Ende 1951 relativ genau, danach bis zum Verbot 1956 nur<br />

tendenziell bestimmen. <strong>Die</strong> ersten vorliegenden Übersichten aus den <strong>in</strong>ternen Parteistatistiken<br />

stammen vom Dezember 1948 und geben für <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong>sgesamt neun<br />

Betriebsgruppen (Hafen, B<strong>org</strong>ward, Atlas-Werke, AG »Weser«, Norddeutsche Hütte,<br />

Francke-Werke, Stadtwerke, Reichsbahnausbesserungswerk Sebaldsbrück, Roland<br />

Mühle), für Bremerhaven zwei (Hafen, Seebeck-Werft) und für <strong>Bremen</strong>-Nord<br />

e<strong>in</strong>e (Vulkan-Werft) an. 43 Bei diesen <strong>in</strong>sgesamt zwölf Betriebsgruppen handelte es<br />

sich - wie der Bericht betont - um »arbeitende« Gruppen. <strong>Die</strong> tatsächliche Gesamtzahl<br />

an Betriebsgruppen, e<strong>in</strong>schließlich also der nicht regelmäßig tagenden und eher<br />

passiven, lag also eventuell zu dieser Zeit noch höher.<br />

Der Erste Sekretär Willy Knigge nannte im Januar 1949 <strong>in</strong>sgesamt 33 Betriebsgruppen,<br />

davon alle<strong>in</strong>e 22 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Stadt sowie sieben <strong>in</strong> Bremerhaven und vier<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord. 44 <strong>Die</strong>s war eher e<strong>in</strong>e Soll- als e<strong>in</strong>e Ist-Zustand Beschreibung, <strong>in</strong><br />

die vermutlich alle Betriebe, <strong>in</strong> denen überhaupt Kommunisten arbeiteten, e<strong>in</strong>bezogen<br />

wurden. <strong>Die</strong> im Zuge der Parteire<strong>org</strong>anisierung ab 1949 durchgeführten Mitgliederkontrollen<br />

und die dadurch nun regelmäßigeren und genaueren Statistiken<br />

revidierten diese überhöhten Zahlenangaben. Im April 1949 gaben die Organisationsberichte<br />

e<strong>in</strong>e Gesamtzahl von 24 Betriebsgruppen an, 45 im Juli und August 1949<br />

23 46 und ab Januar 1950 konstant 24 47.<br />

42 Vgl. Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 68; <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische<br />

Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1728.<br />

43 SAPMO I 11/20/15.<br />

44 Protokoll der Sekretariatssitzung der Arbeitsgebietsleitung Land <strong>Bremen</strong> am Sonntag, dem 16. Januar 1949, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/5.<br />

45 Ergebnis der Mitgliederkontrolle, Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

46 Organisationsberichtsbogen für Landesvorstände, Monat Juli 1949, Land <strong>Bremen</strong>; Organisationsberichtsbogen<br />

für Landesvorstände, Monat August 1949, Land <strong>Bremen</strong>, beide <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

47 Handschriftliche Tabelle <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/15.


202<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

Der im Mai 1950 vom Sekretariat beschlossene Organisationsplan 48 listete für<br />

<strong>Bremen</strong>-Stadt 16 (AG »Weser«, Hafen, Atlas-Werke, BBW-F<strong>in</strong>dorff, Stadtwerke, Roland-Mühle,<br />

Behörden, BBW-Gröpel<strong>in</strong>gen, Krages, Norddeutsche Hütte, B<strong>org</strong>ward,<br />

Schiermeyer, Bundesbahnausbesserungswerk Sebaldsbrück, Franke Werke, Gaswerk,<br />

Schellhaas und Druckemüller) und für <strong>Bremen</strong>-Nord drei Betriebsgruppen<br />

auf (Bremer Vulkan, Bremer Wollkämmerei, Norddeutsche Ste<strong>in</strong>gut). Für die<br />

Kreis<strong>org</strong>anisation Bremerhaven, die <strong>in</strong> dem Organisationsplan nicht erwähnt wird,<br />

kann von zwei weiteren Betriebsgruppen (Hafen und Seebeck-Werft) ausgegangen<br />

werden, so dass auch dieser Plan auf e<strong>in</strong>e Gesamtzahl von 24 Gruppen kommt. E<strong>in</strong>e<br />

Unterscheidung, ob es sich um »arbeitende« Gruppen handelt, erfolgte nicht<br />

mehr.<br />

<strong>Die</strong> Zahlen wurden ab Januar 1951, dem Zeitpunkt e<strong>in</strong>er weiteren <strong>in</strong>tensiven<br />

Mitgliederkontrolle aufgrund des bevorstehenden »Münchener« Parteitages,<br />

nochmals nach unten korrigiert. 49 Für den Mai 1951 wurden schließlich <strong>in</strong>sgesamt<br />

20 Betriebsgruppen genannt, davon elf <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Stadt, sechs <strong>in</strong> Bremerhaven und<br />

drei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord. 50<br />

<strong>Die</strong>se Zahlen waren gleichzeitig die letzten relativ genauen Angaben zu den Betriebsgruppen.<br />

Für die Folgezeit f<strong>in</strong>den sich nur noch zwei explizite Nennungen<br />

der Gesamtzahl sowie vere<strong>in</strong>zelte H<strong>in</strong>weise auf die Existenz und Stärke e<strong>in</strong>zelner<br />

Gruppen <strong>in</strong> den Betrieben. <strong>Die</strong> vorliegenden spärlichen Angaben lassen trotz der zu<br />

vermutenden statistischen Ungenauigkeiten jedoch den Schluss zu, dass die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />

den Jahren zwischen 1951 und 1956 e<strong>in</strong>en beträchtlichen Teil ihrer Betriebsgruppen<br />

sowie deren Mitglieder verlor. Im April 1953 gab der für die Org.-Abteilung der<br />

Landesleitung verantwortliche Sekretär Herbert Breidbach für das Land <strong>Bremen</strong><br />

die Anzahl der Betriebsgruppen mit <strong>in</strong>sgesamt neun an. 51 Breidbach bezog sich auf<br />

e<strong>in</strong>e Mitglieder vom Dezember 1952, was bedeutet, dass der Partei <strong>in</strong>nerhalb von<br />

gut anderthalb Jahren von 20 Betriebsgruppen elf verloren gegangen waren. Besonders<br />

drastisch fiel dieser Verlust <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Stadt auf, wo - unterstellt man zunächst<br />

die Korrektheit von Breidbachs Angaben - nur noch fünf der elf Betriebsgruppen<br />

von 1951 existierten (AG »Weser«, Hafen, B<strong>org</strong>ward, Goliath, Atlas-Werke). H<strong>in</strong>zu<br />

kam aber wohl noch m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e Betriebsgruppe bei den Gaswerken, die bereits<br />

seit spätestens 1948 existierte 52 und die auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Aufstellung vom September<br />

1955 noch erwähnt wird. <strong>Die</strong>se zeigt, dass wohl zum<strong>in</strong>dest dieses niedrige<br />

Niveau seit 1952 bis zum Verbot gehalten werden konnte. Aufgelistet wurden für<br />

den Kreis <strong>Bremen</strong>-Stadt die o.g. Betriebe sowie e<strong>in</strong>e weitere Gruppe bei Hansa-<br />

Waggon, wo bis etwa 1954 53 nur e<strong>in</strong> sog. Stützpunkt existiert hatte. 54 1955 existier-<br />

48 Arbeitsplan zum Aufbau der Partei im Lande <strong>Bremen</strong> und zur Durchführung der Neuwahlen (Beschluss der<br />

Sekretariatssitzung vom 6. Mai 1950), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/10.<br />

49 Handschriftliche Tabelle <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/15.<br />

50 Organisationsberichte vom Land <strong>Bremen</strong> für die Org.-Konferenz am 12.7.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

51 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> [18.4.53], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

52 SAPMO I 11/20/15.<br />

53 <strong>Die</strong> erste <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppenzeitung bei Hansa-Waggon erschien Ende 1954 (<strong>Die</strong> Hansa-Achse, Betriebszeitung<br />

für die Arbeiter und Angestellten der Hansa-Waggon, Nr. 1, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/14).


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 203<br />

ten also im gesamten Land <strong>Bremen</strong> noch maximal elf Betriebsgruppen der <strong>KPD</strong><br />

(sieben <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Stadt, je zwei <strong>in</strong> Bremerhaven und <strong>Bremen</strong>-Nord). 55<br />

Entsprechend der Anzahl von Betriebsgruppen der <strong>KPD</strong> sank die Zahl der <strong>in</strong><br />

diesen erfassten und aktiven Parteimitglieder. Zwischen April 1949 und Mai 1951<br />

gab die Organisationsstatistik zwischen 417 und 518 Betriebsgruppenmitglieder für<br />

das gesamte Land <strong>Bremen</strong> an. 56 E<strong>in</strong>e Aufschlüsselung nach Kreisen erfolgte nur<br />

Mitte 1951. Danach waren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Stadt 258 Mitglieder, <strong>in</strong> Bremerhaven 109 und<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord 104 Mitglieder <strong>in</strong> Betriebsgruppen <strong>org</strong>anisiert. 57 Auffällig ist das<br />

Verhältnis dieser Zahl zur Gesamtmitgliedschaft und deren Arbeiteranteil. <strong>Die</strong> 471<br />

<strong>in</strong> diesem Zeitraum erfassten Betriebsgruppenmitglieder entsprachen e<strong>in</strong>em Anteil<br />

an der gesamten Mitgliedschaft (2.341) von etwa 20 Prozent. Bei e<strong>in</strong>em Arbeiteranteil<br />

von gut 50 Prozent bedeutete dies, dass noch nicht e<strong>in</strong>mal die Hälfte der <strong>in</strong> der<br />

Partei <strong>org</strong>anisierten Arbeiter überhaupt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Betriebsgruppe erfasst waren. <strong>Die</strong>s<br />

entsprach e<strong>in</strong>em bundesweiten Trend, der schon spätestens seit 1949 e<strong>in</strong> Problem<br />

für die <strong>KPD</strong> war 58 und der auch nicht durch zahlreiche Appelle und Aktionen der<br />

Leitung gestoppt wurde. <strong>Die</strong> etwa 1949 e<strong>in</strong>geführte Betriebskassierung, die der besseren<br />

Erfassung der <strong>in</strong> den Betrieben tätigen Kommunisten dienen und die Betriebsgruppen<br />

stärken sollte, stieß offenbar auf Widerstand. E<strong>in</strong> Instrukteur kritisierte<br />

1949, dass »die Umstellung der Partei auf die Betriebsgruppenarbeit« noch<br />

»viel zu wenig vollzogen« sei. <strong>Die</strong> Kassierung <strong>in</strong> den Betrieben funktioniere nicht,<br />

»die Genossen werden vielmehr <strong>in</strong> ihren Wohngruppen erfasst«. Auch bei der Landesleitung<br />

bestünden »große Widerstände« gegen die Betriebskassierung. 59 E<strong>in</strong> wesentlicher<br />

Grund für diese Distanz zu den Betriebsgruppen wurde auf e<strong>in</strong>er Instrukteursberatung<br />

1951 genannt: »Das Leben unserer Genossen ist oft etwas e<strong>in</strong>geengt.<br />

Sie wollten teilweise nicht im Betrieb kassiert werden, weil sie nicht als Kommunisten<br />

erkannt werden möchten.« 60<br />

Nimmt man die genannten Zahlen zur Grundlage, verschlechterte sich <strong>in</strong> der<br />

Folgezeit sowohl die Mitgliederzahl der Betriebsgruppen als auch deren Anteil zur<br />

Gesamtmitgliedschaft noch weiter. Im Dezember 1952 waren demnach nur noch<br />

<strong>in</strong>sgesamt 230 Kommunisten <strong>in</strong> den Betriebsgruppen erfasst, dies entsprach bei e<strong>in</strong>er<br />

Mitgliederzahl von 1.940 e<strong>in</strong>em Anteil von etwa elf Prozent. 61 Das ohneh<strong>in</strong><br />

54 Bericht über den Zustand und die Aktivität der Grund<strong>org</strong>anisationen des Kreises <strong>Bremen</strong> (25.9.55), <strong>in</strong>: SAPMO<br />

I 11/20/15.<br />

55 <strong>Die</strong> SPD hatte Mitte der 1950er Jahre ca. 40-50 Betriebsgruppen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Vgl. Renate Meyer-Braun,<br />

<strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 100.<br />

56 SAPMO I 11/20/15, passim.<br />

57 Organisationsberichte vom Land <strong>Bremen</strong> für die Org.-Konferenz am 12.7.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

58 Vgl. <strong>Die</strong>trich Staritz, <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Deutschlands, a.a.O., S. 1728; Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />

der Bundesrepublik, a.a.O., S. 68. Nach diesen Zahlen waren 1949 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> sogar nur 11,2 Prozent<br />

der Mitgliedschaft <strong>in</strong> Betriebsgruppen <strong>org</strong>anisiert.<br />

59 Bericht des Genossen K.E. Reuter über se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz zur Wahlkampagne Arbeitsgebiet Land <strong>Bremen</strong> (1. August<br />

1949), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

60 Sem<strong>in</strong>aristische Beratung am 25.9.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

61 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> [18.4.53], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8. Über den Anteil<br />

von Arbeitern an der Mitgliedschaft liegen für diesen Zeitpunkt ke<strong>in</strong>e Zahlen mehr vor.


204<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

schon niedrige Niveau von 1951 war also e<strong>in</strong>em Zeitraum von gut anderthalb Jahren<br />

noch e<strong>in</strong>mal um über die Hälfte gesunken. Es liegen ke<strong>in</strong>erlei Angaben darüber<br />

vor, ob und <strong>in</strong> welchem Ausmaß dieser drastische Rückgang bei den Betriebsgruppen<br />

tatsächlich auf Parteiaustritte oder <strong>in</strong> der Mehrzahl auf Rückzug <strong>in</strong> die Wohngebietsgruppen,<br />

bzw. <strong>in</strong> die völlige Passivität zurückzuführen war. Abgesehen davon,<br />

dass diese Frage h<strong>in</strong>sichtlich der negativen Folgen für die Betriebsgruppen<br />

ohneh<strong>in</strong> eher zweitrangig war, kann angesichts der Entwicklungen <strong>in</strong> der Betriebsund<br />

Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> davon ausgegangen werden, dass e<strong>in</strong> beträchtlicher<br />

Teil dieses Verlustes tatsächlich auf Austritte zurückzuführen war.<br />

Zur Abnahme der betrieblichen - und gewerkschaftlichen - Präsenz der <strong>KPD</strong><br />

h<strong>in</strong>zu kam e<strong>in</strong>e zunehmende Passivität der Mitglieder <strong>in</strong> den verbliebenden Betriebsgruppen.<br />

Ähnlich wie <strong>in</strong> den übrigen Grunde<strong>in</strong>heiten geben die Berichte über<br />

Versammlungen der Betriebsgruppen bereits 1949/50 Teilnehmerzahlen zwischen<br />

lediglich 26 Prozent und 46 Prozent an. 62 Ab etwa 1951 häuften sich die Beschwerden<br />

der Leitung und von Instrukteuren über die mangelnde Aktivität <strong>in</strong> den Betrieben.<br />

Tenor war vor allem die Kritik an dem Rückzug <strong>in</strong> die Wohngebietsgruppen<br />

sowie dem »Zurückweichen vor der Organisierung und Auslösung von Aktionen,<br />

<strong>in</strong>sbesondere Streiks«, das sich bei e<strong>in</strong>em großen Teil der Betriebsfunktionäre<br />

bemerkbar mache. 63<br />

Verschiedene E<strong>in</strong>zelschilderungen wie von der Betriebsgruppe der Vulkan-<br />

Werft, bei der 1952 von 64 Mitgliedern lediglich die Hälfte kassiert, nur »9 Genossen<br />

aktiv im Parteileben« waren, und deren ganze politische Arbeit im Verkaufen<br />

»von 100 Betriebszeitungen« bestand, 64 zeigten die Gesamttendenz der Betriebsgruppen:<br />

<strong>Die</strong> Mehrheit der Kommunisten <strong>in</strong> den Betrieben war nicht (mehr) aktiv,<br />

nahm nicht an Betriebsgruppenversammlungen oder Aktionen teil und zog sich <strong>in</strong><br />

die Wohngebietsgruppen zurück. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war also auch und gerade <strong>in</strong> dem Bereich,<br />

den sie selbst als ihren bedeutsamsten betrachtete, <strong>in</strong> viel zu ger<strong>in</strong>gem Maße<br />

<strong>in</strong> der Lage, die eigene Mitgliedschaft zu aktivieren. Mehr noch: Offenbar gerade <strong>in</strong><br />

den Betrieben waren die größten Mitgliederverluste und vielleicht auch die stärkste<br />

Resignation zu verzeichnen.<br />

<strong>Die</strong> Zahl der Betriebsräte sowie der ehren- und hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre<br />

der <strong>KPD</strong> ist nur sehr ungenau zu bestimmen. <strong>Die</strong> Gewerkschaften veröffentlichten<br />

<strong>in</strong> der Regel bei der Bekanntgabe von Wahlergebnissen nicht die Parteizugehörigkeit<br />

der gewählten Funktionäre und auch die <strong>KPD</strong>-Presse, <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

die Tribüne der Demokratie, vermied <strong>in</strong> ihrer Berichterstattung die direkte Erwähnung<br />

der Parteizugehörigkeit und bezeichnete zur Hervorhebung der <strong>KPD</strong>-<br />

Mitglieder diese z.B. als »fortschrittliche Kandidaten«. Natürlich wurden aber - dies<br />

galt für <strong>KPD</strong> und SPD wie auch für den DGB und die E<strong>in</strong>zelgewerkschaften - sehr<br />

wohl <strong>in</strong>offizielle Statistiken über die Betriebs- und Gewerkschaftsvertretungen der<br />

62 Organisationsberichtsbogen für Landesvorstände, Monat Juli 1949, Land <strong>Bremen</strong>; Organisationsberichtsbogen<br />

für Landesvorstände, Monat August 1949, Land <strong>Bremen</strong>; Organisationsberichtsbogen für Landesvorstände, Monat<br />

Februar 1950, Land <strong>Bremen</strong>, alle <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

63 Politischer Wochenbericht für die Woche vom 2.-8. Februar 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

64 Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 19.-25.4.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 205<br />

Partei geführt, und auch aus der (Partei)-Presse lassen sich <strong>in</strong>direkte Rückschlüsse<br />

gew<strong>in</strong>nen. <strong>Die</strong> vorliegenden Materialien der Bremer <strong>KPD</strong> s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs eher spärlich,<br />

was die Nennung von Zahlen betrifft. <strong>Die</strong> folgende Tabelle gibt e<strong>in</strong>e Übersicht<br />

über die Betriebs- und Gewerkschaftsmandate der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, soweit diese aus<br />

den vorliegenden Quellen rekonstruierbar s<strong>in</strong>d.<br />

Tabelle 7: Betriebsratsmandate und gewerkschaftliche Funktionen der<br />

Bremer <strong>KPD</strong> 1947 bis 1953<br />

Datum Betriebsräte gewerkschaftliche Funktion<br />

1947 (Stadt) 65 87<br />

1948 (Stadt) 66 97<br />

Februar 1951 (Land) 67 76 196<br />

Mitte 1951(Land) 68 64 157<br />

Dezember 1951 (Land) 69 62 122<br />

1953 (Land) 70 45<br />

Unabhängig von den noch zu betrachtenden E<strong>in</strong>zelentwicklungen <strong>in</strong> den großen<br />

Betrieben B<strong>org</strong>ward, AG »Weser« und im Hafen zeichnen sich für die Gesamtentwicklung<br />

die gleichen Tendenzen wie im Bundesgebiet und wie bei der geschilderten<br />

quantitativen Entwicklung der Betriebsgruppen ab. Insgesamt verlor die <strong>KPD</strong><br />

zwischen 1948 und 1956 kont<strong>in</strong>uierlich an E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> den betrieblichen und gewerkschaftlichen<br />

Gremien, auch wenn dies ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e geradl<strong>in</strong>ige, <strong>in</strong> ihren<br />

Ursachen e<strong>in</strong>deutige und widerspruchslose Entwicklung war.<br />

»These 37« und die Folgen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

<strong>Die</strong> aus der radikalisierten Gewerkschaftspolitik entstehenden Konflikte mit den<br />

Gewerkschaften sowie auch <strong>in</strong>nerhalb der <strong>KPD</strong> deuteten sich <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> erstmals<br />

anlässlich der Delegiertenversammlung und Vorstandswahl der Bremer IG Metall<br />

Anfang Februar 1951 an, also noch vor Verabschiedung der »These 37« auf dem<br />

<strong>KPD</strong>-Parteitag. Schon bei der Vorbereitung der Delegiertenwahlen kam es zu partei<strong>in</strong>ternen<br />

Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten über die Taktik <strong>in</strong> den Gewerkschaften.<br />

»<strong>Die</strong>se Fragen spielten bei allen Zusammenkünften der Metallarbeiter e<strong>in</strong>e Rolle. Es<br />

zeigten sich opportunistische Tendenzen <strong>in</strong> der Frage der Wahlen zu den Vorständen«,<br />

so Willi Lietzau auf e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Sitzung des Sekretariats mit Vertretern<br />

der Metallbetriebe. 71 Im Vorfeld der Wahlen hatte die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong> eigenes Flugblatt<br />

herausgegeben und <strong>in</strong> den Betrieben verteilt, was offenbar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Betriebs-<br />

65 Organisationsbericht der <strong>KPD</strong>-Stadtleitung, 14. Dezember 1948, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

66 Ebenda.<br />

67 Organisationsberichtsbogen für Landesvorstände, Monat: Februar 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

68 Organisations-Berichte vom Land <strong>Bremen</strong> für die Org.-Konferenz am 12.7.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

69 SAPMO I 11/20/16.<br />

70 Patrick Major, The Death of the <strong>KPD</strong>, a.a.O., S. 156 (Tabelle 7).<br />

71 Protokoll der Sekretariatssitzung am 10. Januar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.


206<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

gruppen auf Widerstand stieß. Es habe »hauptsächlich bei der Betriebsgruppe<br />

B<strong>org</strong>ward harte Diskussionen gegeben«, berichtete die zuständige Abteilung »Arbeit<br />

und Soziales« (A. u. S.) der Landesleitung. »<strong>Die</strong> Genossen waren der Me<strong>in</strong>ung,<br />

das Flugblatt der Partei würde nur Schaden br<strong>in</strong>gen«. 72 Auf e<strong>in</strong>er vorbereitenden<br />

Versammlung der <strong>in</strong>sgesamt 75 gewählten <strong>KPD</strong>-Delegierten wurden weitere Differenzen<br />

deutlich. Strittig war vor allem die Frage, ob der alte IG-Metall-Vorstand<br />

bestätigt werden sollte oder ob die <strong>KPD</strong> eigene (Gegen-)Kandidaten aufstellen sollte.<br />

<strong>Die</strong>s war vor allem deshalb e<strong>in</strong>e heikle Frage, weil mit Johann Re<strong>in</strong>ers e<strong>in</strong> <strong>KPD</strong>-<br />

Mitglied als Kassierer dem IG-Metall-Vorstand angehörte und dort seit Jahren erfolgreiche<br />

Arbeit leistete. 73 Folgerichtig war es vor allem Re<strong>in</strong>ers, der sich gegen e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>haltliche und personelle Kritik an der bestehenden Leitung - neben ihm die<br />

Sozialdemokraten Oskar Schwarz und Friedrich Düssmann - wandte. 74 Geme<strong>in</strong>sam<br />

mit anderen Genossen vertrat er die Auffassung, man solle sich nur auf die<br />

Wahl der sechs Beisitzer konzentrieren. <strong>Die</strong>s war jedoch offenbar e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheitenposition.<br />

<strong>Die</strong> A. und S.-Abteilung begründete die Ablehnung so:<br />

»Klargestellt wurde, dass dieser Weg die Politik des alten Vorstandes gutheißen würde, man<br />

auf jede Kritik am Vorstand verzichten müsse und somit selbst im Sumpf des Opportunismus<br />

landen würde. Es wurde beschlossen, fortschrittliche Gewerkschaftler dem alten Vorstand als<br />

Kandidaten entgegenzusetzen«. 75<br />

Mehr oder weniger direkt wurde damit vor allem Johann Re<strong>in</strong>ers Opportunismus<br />

v<strong>org</strong>eworfen und se<strong>in</strong>e Arbeit im IG-Metall-Vorstand kritisiert. Re<strong>in</strong>ers sah sich also<br />

bereits zu diesem Anlass mit dem wenig später durch die These 37 deutlich zutage<br />

tretenden Loyalitäts-Dilemma zwischen der zunehmend antikommunistischen<br />

Gewerkschaftsleitung und e<strong>in</strong>er radikalisierten und fraktionistischen Gewerkschaftspolitik<br />

der <strong>KPD</strong> konfrontiert.<br />

Zu ähnlichen Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten kam es auch anlässlich der Re<strong>org</strong>anisierung<br />

der Abteilung »Arbeit und Soziales« beim Landesvorstand, die die <strong>KPD</strong><br />

seit Anfang 1951 verstärkt betrieb. Bis dah<strong>in</strong> bestand die Abteilung lediglich aus e<strong>in</strong>em<br />

Mitarbeiter, nunmehr sollten Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsgruppenvertreter<br />

systematisch h<strong>in</strong>zugezogen werden und branchenspezifische Kommissionen<br />

bilden. Ziel war außerdem, »e<strong>in</strong>e bessere Durch<strong>org</strong>anisierung und politische<br />

Fundamentierung der Betriebsgruppen durchzusetzen«. 76 <strong>Die</strong> an die RGO-<br />

Politik der Weimarer Zeit er<strong>in</strong>nernde Bildung eigener Gewerkschaftskommissionen<br />

stieß auf Widerstand der Gewerkschafts- und Betriebsfunktionäre. Es seien<br />

»Schwierigkeiten bei der Kommissionsbildung« aufgetreten, berichtete der Vertreter<br />

der A. und S. Abteilung und nannte als Grund,<br />

72 Bericht der Abteilung Arbeit und Sozial vom 1.12.50 - 14.1.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

73 Vgl. zu Johann Re<strong>in</strong>ers dessen Autobiographie (Johann Re<strong>in</strong>ers, Erlebt und nicht vergessen. E<strong>in</strong>e politische<br />

Biographie, Fischerhude 1982) sowie Arne Andersen und Uwe Kiupel: IG Metall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>Die</strong><br />

ersten 100 Jahre, herausgegeben von der IG Metall <strong>Bremen</strong>, mit e<strong>in</strong>em Vorwort von He<strong>in</strong>z Me<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g,<br />

<strong>Bremen</strong> 1991, S. 49f.<br />

74 Bericht der Abteilung Arbeit und Sozial vom 1.1. - 31.1.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/19.<br />

75 Bericht der Abteilung Arbeit und Sozial vom 1.12.50 - 14.1.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

76 Bericht der Abteilung Arbeit und Sozial vom 1.1. - 31.1.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/19.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 207<br />

»dass maßgebliche Genossen, die <strong>in</strong> Gewerkschaftsfunktionen wie Hauptkassierer bei IG Metall,<br />

Sekretäre der IG-Holz und Eisenbahnergewerkschaft, die Aktionsarbeit als ›Fraktionsarbeit‹<br />

betiteln. Ferner s<strong>in</strong>d die Genossen noch nicht restlos davon überzeugt, dass man die<br />

Wurzeln der schlechten wirtschaftlichen Lage der Arbeiter aufzeigen muss, nämlich die Remilitarisierung<br />

und Wiederaufrüstung, die durch die Adenauer-Regierung betrieben wird. Sie<br />

erkennen noch nicht, dass man gegen die rechte Gewerkschaftsführung e<strong>in</strong>en schonungslosen<br />

Kampf führen muss.« 77<br />

Re<strong>in</strong>ers wurde vernünftigerweise dennoch erneut als Kandidat für den Kassiererposten<br />

im IG-Metall-Vorstand nom<strong>in</strong>iert. Als Kandidat für den Ersten Vorsitzenden<br />

der Bremer IG Metall wurde der FDJ-Landesvorsitzende und erst 23 Jahre<br />

alte Gerd Lieberum aufgestellt, als Kandidat für den Zweiten Vorsitzenden der<br />

B<strong>org</strong>ward-Arbeiter und spätere A. und S.-Sekretär der <strong>KPD</strong> Hans Meyer. 78 Auf der<br />

am 4. Februar 1951 tagenden IG-Metall-Delegiertenversammlung wurde schließlich<br />

Johann Re<strong>in</strong>ers als Kassierer wiedergewählt. Gerd Lieberum und Hans Meyer unterlagen<br />

bei der Wahl der beiden Vorsitzenden gegen Oskar Schwarz und Friedel<br />

Düssmann jeweils deutlich: Lieberum erhielt 118 (Schwarz: 276), Meyer 122 Stimmen<br />

(Düssmann: 271). 79 Auch bei der Wahl der sechs Beisitzer konnte ke<strong>in</strong>er der<br />

<strong>KPD</strong>-Kandidaten80 genügend Stimmen auf sich vere<strong>in</strong>igen. Bemerkenswert war das<br />

gute Ergebnis für Johann Re<strong>in</strong>ers, der von allen Vorstandsmitgliedern die meisten<br />

Stimmen (288) erhielt. 81<br />

Das herausragende Wahlergebnis für Johann Re<strong>in</strong>ers zeigte, dass die noch verbliebenden<br />

Positionen der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Gewerkschaften <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf persönlicher<br />

und nicht programmatischer Zustimmung basierten. Mit der auf dem Parteitag<br />

Anfang März 1951 verabschiedeten These 37 gefährdete und demontierte die Partei<br />

diese Positionen. Daneben gab sie den Gewerkschaften Gelegenheit, den kommunistischen<br />

E<strong>in</strong>fluss weiter zurückzudrängen und die bis dah<strong>in</strong> gescheiterten Ausgrenzungsversuche,<br />

z.B. gegen Johann Re<strong>in</strong>ers, 82 zu <strong>in</strong>tensivieren.<br />

Nach Verschickung der Reverse durch die IG Metall Mitte Juni 1951, mit denen<br />

sich die kommunistischen Gewerkschaftsfunktionäre von der These 37 distanzieren<br />

und zur IG Metall-Satzung bekennen sollten, sah es <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zunächst so aus, als<br />

würde die Unterzeichung unter den <strong>KPD</strong>-Mitgliedern weitestgehend auf Ablehnung<br />

stoßen. E<strong>in</strong> Instrukteur des Parteivorstandes konstatierte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht<br />

77 Ebenda.<br />

78 Ebenda.<br />

79 Bericht von der Vertreterversammlung von IG-Metall, die am 4. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> stattfand, <strong>in</strong>: SAPMO<br />

I 11/20/19.<br />

80 <strong>Die</strong>s waren Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann (Betriebsrat und Betriebsgruppenleiter der <strong>KPD</strong> bei B<strong>org</strong>ward), Kurt<br />

Kle<strong>in</strong>e-Beck (Betriebsratsvorsitzender bei Goliath), Gerd Lieberum (FDJ-Landesvorsitzender), Max<br />

Müller (Betriebsratsvorsitzender Norddeutsche Hütte), Joseph Sosna (Betriebsrat Vulkan-Werft) und<br />

Ge<strong>org</strong> Stöhr.<br />

81 Bericht von der Vertreterversammlung von IG-Metall, die am 4. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> stattfand, <strong>in</strong>: SAPMO<br />

I 11/20/19.<br />

82 Trotz se<strong>in</strong>er großen persönlichen Anerkennung auch bei sozialdemokratischen Gewerkschaftern hatte<br />

die SPD bereits 1948 versucht, Johann Re<strong>in</strong>ers aus dem Vorstand abwählen zu lassen, und ihm e<strong>in</strong>en<br />

eigenen Kandidaten entgegengestellt. Der Versuch scheiterte ebenso wie bei der geschilderten Delegiertenwahl<br />

1951 (vgl. Arne Andersen und Uwe Kiupel, IG Metall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 49f.).


208<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

über e<strong>in</strong>e Betriebsarbeiterkonferenz Anfang Juli 1951: »E<strong>in</strong> Teil der Genossen haben<br />

mit scharfer Ablehnung den Brief beantwortet, andere Genossen haben zuerst e<strong>in</strong>e<br />

Stellungnahme ihres Betriebes oder ihrer Abteilung im Betrieb verlangt und mit<br />

dieser Erklärung der Kollegen ihre Antwort geschrieben«. 83 E<strong>in</strong>e solche »Erklärung<br />

der Kollegen«, e<strong>in</strong>e Entschließung der Ressortversammlung der Elektrikerabteilung<br />

bei B<strong>org</strong>ward, legte z.B. Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann, Betriebsgruppenvorsitzender der <strong>KPD</strong>,<br />

se<strong>in</strong>em Antwortschreiben an die IG Metall bei. 84<br />

E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche L<strong>in</strong>ie zum Umgang mit den Reversen gab der Landesvorstand<br />

erst Mitte August 1951 auf e<strong>in</strong>er eigens dafür e<strong>in</strong>berufenen Sitzung der <strong>KPD</strong>-<br />

Gewerkschaftsfunktionäre vor. <strong>Die</strong> Funktionäre waren angeblich e<strong>in</strong>stimmig zu der<br />

Auffassung gekommen, e<strong>in</strong>e Unterschrift abzulehnen, und es seien bislang auch<br />

ke<strong>in</strong>e Unterschriftsleistungen bekannt geworden. 85<br />

Ob die Ablehnung der Unterschrift wirklich e<strong>in</strong>stimmig erfolgte, darf bezweifelt<br />

werden, wie sich spätestens im Dezember 1951 zeigte. <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

spitzte sich nun sowohl von Gewerkschaftsseite wie auch <strong>in</strong>nerhalb der <strong>KPD</strong> zu.<br />

Anfang des Monats enthob die IG Metall den kommunistischen Betriebsratsvorsitzenden<br />

bei der Masch<strong>in</strong>enbau-Firma Eickemeyer, Walter Gries, se<strong>in</strong>er gewerkschaftlichen<br />

Funktionen. 86 Gleichzeitig wurden nun erstmals <strong>KPD</strong>-Funktionäre bekannt,<br />

die das Revers unterzeichnet hatten. Namentlich genannt und <strong>in</strong> der Folgezeit<br />

scharf kritisiert wurden zwei Betriebsräte auf der AG »Weser« sowie Johann<br />

Re<strong>in</strong>ers als gewerkschaftlich am meisten exponierter <strong>KPD</strong>-Funktionär <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>.<br />

Re<strong>in</strong>ers hatte nach e<strong>in</strong>er Unterredung mit dem 2. IG-Metall Vorsitzenden Hans<br />

Brümmer den Revers unterschrieben, mit dem Vorbehalt, wie er später schrieb,<br />

»auch weiterh<strong>in</strong> me<strong>in</strong>e gegebenenfalls für erforderlich gehaltene Kritik aussprechen<br />

zu können«. 87<br />

<strong>Die</strong> Landesleitung versuchte zunächst, das Problem herunterzuspielen und berichtete<br />

dem Parteivorstand Anfang Dezember,<br />

»die politische Diskussion mit den Genossen bei der A.G. Weser hat dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Erfolg gehabt,<br />

dass die Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre, die den Revers unterschrieben haben,<br />

zugeben, dass das e<strong>in</strong> großer Fehler war. Sie geben auch zu, dass ihre bisherige Politik sie<br />

von den Kollegen im Betrieb trennt.« 88<br />

Ähnliches schrieb e<strong>in</strong> Instrukteur: Es sei »bereits gelungen, die Genossen zu überzeugen,<br />

wie falsch die von ihnen aufgestellte Theorie ist. So bereuen z.B. jetzt bei<br />

der Weser A.G. e<strong>in</strong>ige, dass sie ihre Unterschrift gegeben haben.« 89 Es habe aller-<br />

83 Bericht über Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionär-Konferenz am 1.7.1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/19.<br />

84 Ebenda.<br />

85 <strong>KPD</strong>-Landesleitung <strong>Bremen</strong> - Arbeit und Sozial -: An den Parteivorstand der <strong>KPD</strong> - Arbeit und Sozial (28. Aug.<br />

1951), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/19.<br />

86 Politischer Wochenbericht der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> [8. Dezember 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

87 Johann Re<strong>in</strong>ers, Kampf gegen Restauration oder Sozialpartnerschaft? <strong>Die</strong> Politik der IG Metall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />

<strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Almut Schwerd (Hrsg.): Zeitzeugen berichten, a.a.O., S. 31-41, hier<br />

S. 40.<br />

88 Politischer Wochenbericht der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> [8. Dezember 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

89 Bericht über <strong>Bremen</strong> aus der Zeit vom 20.11.-18.12.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 209<br />

d<strong>in</strong>gs »heftige Diskussionen« über die Reverse und die drohenden Funktionsenthebungen<br />

gegeben. Der Instrukteur nannte auch die für die Unterzeichnung der Reverse<br />

v<strong>org</strong>ebrachten Gründe:<br />

»<strong>Die</strong> Funktionsenthebungen entfernen unsere Genossen von der E<strong>in</strong>flussbasis ihrer Kollegen,<br />

ihre Me<strong>in</strong>ung dr<strong>in</strong>gt dann nicht mehr über e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Ressort h<strong>in</strong>aus. Man müsse taktisch<br />

alles versuchen, um die Genossen <strong>in</strong> den Gewerkschaften zu lassen (kommen mit verstümmelten<br />

Len<strong>in</strong>-Zitaten)«. 90<br />

Dass das <strong>KPD</strong>-Landessekretariat gewillt war, gegen die Funktionäre, die unterschrieben<br />

hatten, vorzugehen, zeigte wenige Tage später e<strong>in</strong> Artikel <strong>in</strong> der Tribüne<br />

der Demokratie von Ulrich Konetzka, <strong>in</strong> dem vor allem Johann Re<strong>in</strong>ers scharf angegriffen<br />

wurde. Konetzka unterstrich zunächst - nach e<strong>in</strong>er Kritik an dem »Erpressungsrevers«,<br />

der die Richtigkeit der These 37 nur bestätige - die hohe Bedeutung<br />

des Problems:<br />

»<strong>Die</strong> Unterzeichnung der Reverse bedeutet also, dass man die Beschlüsse der Partei widerruft,<br />

dass man sich von der Politik unserer Partei entfernt. Sie bedeutet aber darüber h<strong>in</strong>aus, dass<br />

man aufhört, die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten, denn die Kommunisten haben<br />

ke<strong>in</strong>e von den Interessen der Arbeiterklasse gesonderten Interessen. <strong>Die</strong> Reversunterzeichnung<br />

unterstützt also die arbeiterfe<strong>in</strong>dliche Politik der rechten DGB-Führung.« 91<br />

Re<strong>in</strong>ers wurde v<strong>org</strong>eworfen, die Len<strong>in</strong>-Zitate, die er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Aussprache zur<br />

Begründung für die Unterschrift angebracht hatte, seien aus dem Zusammenhang<br />

gerissen. Weiterh<strong>in</strong> konnte Konetzka ihn aus e<strong>in</strong>em Grund angreifen, der sich aus<br />

Re<strong>in</strong>ers’ Funktion als Kassierer ergab, ihn aber natürlich, mehr noch als die <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie symbolische Unterzeichnung des Revers, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Loyalitäts-Dilemma brachte:<br />

»Er ist auf dem abschüssigen Weg bereits soweit gekommen, dass er sich dazu hergibt, als<br />

ausführendes Organ, als Büttel zu fungieren. In der Durchführung der gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlichen<br />

Maßnahmen im <strong>Die</strong>nste der Kriegstreiber lässt er sich dazu missbrauchen, die Aufforderungen<br />

zur Ablieferung der Kassiererkarten usw. zu unterzeichnen und an solche Kollegen zu<br />

versenden, die nicht den Revers unterschrieben haben und die nun aus ihren gewerkschaftlichen<br />

Funktionen entfernt werden sollen«. 92<br />

<strong>Die</strong> Kritik an Johann Re<strong>in</strong>ers und den beiden AG »Weser« Betriebsräten hatte<br />

jedoch ke<strong>in</strong>e weiteren Folgen, wie überhaupt <strong>in</strong> der Folgezeit die These 37 <strong>in</strong> der<br />

Bremer <strong>KPD</strong> zwar thematisiert und Gegenstand von Ause<strong>in</strong>andersetzungen wurde,<br />

die Unterschriftsleistung aber - soweit dies aus den Quellen ersichtlich ist - nicht zu<br />

Konsequenzen <strong>in</strong> Form von Parteiausschlüssen führte.<br />

Auch Johann Re<strong>in</strong>ers blieb zunächst <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong>, verlor jedoch weitgehend den<br />

Kontakt und die B<strong>in</strong>dung zur Partei, deren Politik er offenbar schon länger ablehnend<br />

gegenüberstanden hatte. Er schrieb 1989:<br />

»<strong>Die</strong> Satzung und die Mehrheitsbeschlüsse der Organisation [geme<strong>in</strong>t ist die IG Metall; HB]<br />

bestimmten me<strong>in</strong> Handeln. Damit geriet ich für die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>s Abseits. Deren radikale Vorstellungen<br />

ließen sich nicht mit den me<strong>in</strong>en länger vere<strong>in</strong>baren. <strong>Die</strong> <strong>in</strong> diesen Jahren erfolgten<br />

Austritte aus der <strong>KPD</strong>, die von Radikalismus geprägten Ausschlüsse, z.B. des befähigten Ru-<br />

90 Politischer Wochenbericht der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> [8. Dezember 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

91 Metallarbeiter, sichert gewerkschaftliche Demokratie!, Tribüne der Demokratie, 13.12.1951.<br />

92 Ebenda.


210<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

dolf Rafoth, waren für mich unerträglich. Auch ich rechnete damit, ausgeschlossen zu werden,<br />

doch man wollte ansche<strong>in</strong>end nicht. Selber auszutreten zögerte ich, weil ich mir nicht<br />

nachsagen lassen wollte, dies nur getan zu haben, um me<strong>in</strong>e Stellung bei der IG Metall zu festigen«.<br />

93<br />

Auch die Partei beließ es bei diesem Zustand, der vermutlich <strong>in</strong> ähnlicher Form<br />

auch für andere, noch <strong>in</strong> Gewerkschaftsfunktionen verbliebene Kommunisten<br />

galt. 94<br />

<strong>Die</strong> auffällige Zurückhaltung des Bremer Landessekretariats h<strong>in</strong>sichtlich der <strong>in</strong>nerparteilichen<br />

Konsequenzen der Reversunterzeichnung ließ sich auch <strong>in</strong> der Folgezeit<br />

beobachten. E<strong>in</strong> Instrukteur, der Anfang 1952 über »die politische Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit den Genossen, die den Erpresserrevers der DGB-Führung gegen die<br />

These 37 der Entschließung des Parteitages unterschrieben haben« berichtete, warf<br />

dem Landessekretariat vor, es führe »ke<strong>in</strong>en beharrlichen und konsequenten<br />

Kampf zur ideologischen Ause<strong>in</strong>andersetzung und Zerschlagung dieser fe<strong>in</strong>dlichen<br />

Auffassungen«. Er habe den E<strong>in</strong>druck, »als ob die Genossen vor diesen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

zurückweichen«. 95<br />

Dennoch wurde die These 37 <strong>in</strong> den folgenden Jahren immer wieder thematisiert<br />

und war Gegenstand <strong>in</strong>nerparteilicher Diskussionen. Der Schwerpunkt der<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung lag jedoch weniger auf der Ebene der hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre<br />

- von denen die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ohneh<strong>in</strong> nicht mehr viele<br />

stellte -, sondern vielmehr <strong>in</strong> den Betrieben selbst, an der Gewerkschaftsbasis, <strong>in</strong><br />

den Betriebsräten und den Vertrauensmännerkörpern, dort also, wo die <strong>KPD</strong> noch<br />

e<strong>in</strong>en relevanten E<strong>in</strong>fluss besaß.<br />

Gelegenheit zur öffentlichen Kritik an der Reversunterzeichnung bot sich der<br />

Bremer Parteileitung Mitte 1952 anlässlich des Austritts von Willi Ganzer, Mitglied<br />

der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe und Vertrauenskörperobmann bei den zum B<strong>org</strong>ward-<br />

Konzern gehörenden Goliath-Werken. Ganzer, der das Revers der IG Metall unterzeichnet<br />

hatte, hatte sich bei e<strong>in</strong>em zweitägigen »wilden« Streik der 2.500 Arbeiter<br />

bei Goliath <strong>in</strong> den Augen der Parteileitung zu passiv verhalten und »e<strong>in</strong> parteischädigendes<br />

Verhalten an den Tag [gelegt], <strong>in</strong>dem er trotz Rücksprache mit den<br />

Genossen der Betriebsgruppe und der Kreisleitung ke<strong>in</strong>e Maßnahmen zur Bildung<br />

e<strong>in</strong>er Streikleitung getroffen und e<strong>in</strong>e Reihe anderer wichtiger Parteiaufträge nicht<br />

erfüllt hat«. 96 Ganzer trat kurze Zeit später aus der <strong>KPD</strong> aus, wurde aber dennoch<br />

oder gerade deswegen zum Ziel scharfer Angriffe, bei denen es »weniger um se<strong>in</strong>e<br />

Person, sondern um e<strong>in</strong>ige grundsätzliche Fragen der Politik der Partei« 97 g<strong>in</strong>g. <strong>Die</strong><br />

<strong>KPD</strong>-Leitung nutzte den Fall, um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen Artikel <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie<br />

noch e<strong>in</strong>mal die These 37 zu rechtfertigen und das Unterschreiben der Rever-<br />

93 Johann Re<strong>in</strong>ers, Kampf gegen Restauration oder Sozialpartnerschaft?, a.a.O., S. 40.<br />

94 So me<strong>in</strong>te Hermann Gautier im Oktober 1952: »Wir haben uns zu wenig mit unseren Genossen, die<br />

führende Funktionen <strong>in</strong> der Gewerkschaft haben, beschäftigt. <strong>Die</strong>se haben den Kontakt zur Partei verloren,<br />

den wir wieder herstellen müssen.« (Protokoll der LSS am 9.10.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7).<br />

95 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 23.1. - 24.2.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

96 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 28.4. bis 23.5.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

97 <strong>Die</strong> Partei kann nicht vorwärts schreiten, ohne ständigen Kampf gegen den Opportunismus <strong>in</strong> ihren eigenen<br />

Reihen, Tribüne der Demokratie, 5./6.7.1952


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 211<br />

se als Ausdruck e<strong>in</strong>er weit darüber h<strong>in</strong>ausgehenden Gewerkschafts- und Parteife<strong>in</strong>dlichkeit<br />

h<strong>in</strong>zustellen. 98 Der von Arthur Böpple, Mitglied der Landesleitung<br />

und später Erster Bremer Kreissekretär, verfasste Artikel wies die Auffassung von<br />

Ganzer und anderen zurück, man könne auch ohne offen für die These 37 e<strong>in</strong>zutreten<br />

danach handeln. Es gebe, so Böpple, nur die Alternative zwischen der »L<strong>in</strong>ie<br />

Fettes - das heißt Unterordnung der Gewerkschafts<strong>org</strong>anisation unter die Politik<br />

Adenauers, das heißt e<strong>in</strong>en 2. Mai 1933, das heißt schließlich Krieg« und der »den<br />

Interessen der Arbeiter« dienenden Gewerkschaftspolitik, wie sie die These 37 festlege.<br />

<strong>Die</strong> von Ganzer und »e<strong>in</strong>igen anderen Genossen« v<strong>org</strong>ebrachte Argumentation,<br />

»wir können doch nicht zulassen, dass wir alle Funktionen <strong>in</strong> den Gewerkschaften<br />

verlieren« bezeichnete Böpple - mit Hilfe e<strong>in</strong>iger Len<strong>in</strong>-Zitate, die <strong>in</strong> dieser<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung auf beiden Seiten immer wieder e<strong>in</strong>e Rolle spielten - als »typisch<br />

opportunistische Auffassung«, die sich bei Ganzer schon länger gezeigt habe,<br />

<strong>in</strong>dem er nicht mehr regelmäßig <strong>in</strong> der Betriebsgruppe mitarbeitete, Aufträgen der<br />

Partei ausgewichen sei und nicht gewillt war, »selbstkritisch zu se<strong>in</strong>em Verhalten<br />

Stellung zu nehmen und sich zu revidieren. E<strong>in</strong> Genosse mit e<strong>in</strong>er solchen E<strong>in</strong>stellung<br />

muss zwangsläufig immer weiter <strong>in</strong> den Sumpf des Opportunismus abgleiten<br />

und zu e<strong>in</strong>em direkten Helfer für die Politik Adenauers werden.« Böpple kam<br />

schließlich zu dem Schluss, dass »unbelehrbare Opportunisten, die sich e<strong>in</strong>er kritischen<br />

und selbstkritischen Diskussion entziehen, an der Arbeit der Partei<strong>org</strong>anisation<br />

nicht teilnehmen, der Partei und der Arbeiterklasse nicht helfen vorwärts zu<br />

schreiten, sondern sie hemmen« aus der Partei »entfernt« werden müssten.<br />

Der Tenor des Artikels und der L<strong>in</strong>ie der Parteileitung - e<strong>in</strong>e klare Ausschlussdrohung<br />

- richtete sich nicht nur an Ganzer, sondern an alle, die die Reverse unterzeichnet<br />

hatten, bzw. sie <strong>in</strong> Zukunft vielleicht unterzeichnen wollten. Dennoch: Es<br />

blieb bei diesen verbalen Drohungen, Ganzer trat aus der Partei aus, wie vermutlich<br />

auch e<strong>in</strong>ige andere Gewerkschaftsfunktionäre. Gegen die verbliebenen Funktionäre,<br />

die das Revers unterzeichnet hatten, g<strong>in</strong>g die Parteileitung nicht weiter diszipl<strong>in</strong>arisch<br />

vor, und ähnliche Artikel wie der von Böpple erschienen <strong>in</strong> der Folgezeit<br />

nicht mehr.<br />

In dem Artikel war auch angedeutet, wie die Parteibasis vere<strong>in</strong>zelt versuchte,<br />

sich aus dem durch die These 37 entstandenen Dilemma zu befreien. Gegen die <strong>in</strong><br />

ihren Augen »opportunistische« Auffassung e<strong>in</strong>iger Funktionäre, die Unterschrift<br />

unter die Reverse lediglich als Formalie zu betrachten und trotzdem weiterh<strong>in</strong> die<br />

<strong>KPD</strong>-Gewerkschaftspolitik zu vertreten, konnte die Parteileitung immerh<strong>in</strong> noch<br />

argumentieren oder gar mit Ausschlussdrohungen v<strong>org</strong>ehen. Es gab aber offenbar<br />

auch andere Versuche, sich dem Dilemma zu entziehen. So traten beispielsweise e<strong>in</strong>ige<br />

IG-Metall Funktionäre zur Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) über,<br />

um e<strong>in</strong>em drohendem Ausschluss zuvorzukommen und um weiterh<strong>in</strong> Mitglied e<strong>in</strong>er<br />

Gewerkschaft bleiben zu können. 99 <strong>Die</strong> V<strong>org</strong>ehensweise der Betriebsgruppe bei<br />

der Hamburger Howaldt-Werft, die schlicht »vergessen« hatte, »e<strong>in</strong>ige Mitglieder<br />

98 Ebenda.<br />

99 Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 29.3. bis zum 4.4.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.


212<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

auszuschließen, die den Revers unterschrieben hatten« 100, wird auch e<strong>in</strong>e Handlungsoption<br />

e<strong>in</strong>iger Betriebsgruppen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> gewesen se<strong>in</strong>, lässt sich aber nicht<br />

belegen.<br />

<strong>Die</strong> Diskussion <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> über die Unterzeichnung der Reverse wurde<br />

nie wirklich beendet. E<strong>in</strong> akutes Problem wurde sie wieder im Dezember 1952 anlässlich<br />

der Wahlen zur Delegiertenversammlung der IG Metall. <strong>Die</strong> <strong>in</strong> den Betrieben<br />

gewählten kommunistischen Delegierten bekamen vom Bundesvorstand der<br />

Gewerkschaft erneut den Revers zugeschickt, mit der Aufforderung, sich von der<br />

»gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlichen« These 37 zu distanzieren. 101 E<strong>in</strong> Instrukteur der SED<br />

berichtete, es seien daraufh<strong>in</strong> »die verschiedensten falschen Me<strong>in</strong>ungen zutage getreten«,<br />

weil die Partei <strong>in</strong> der Vergangenheit nicht »systematisch Aufklärung über<br />

die These 37« betrieben habe. 102 <strong>Die</strong> Mehrzahl der <strong>KPD</strong>-Delegierten hatte sich für<br />

die Unterschrift des Revers ausgesprochen. »Fast alle Genossen«, so der Instrukteur,<br />

hätten dafür wiederum die Len<strong>in</strong>-Zitate über die unbed<strong>in</strong>gt notwendige Arbeit<br />

<strong>in</strong> den Gewerkschaften aus »Der ›l<strong>in</strong>ke Radikalismus‹, die K<strong>in</strong>derkrankheit im<br />

Kommunismus« als wesentliches Argument angeführt. 103 E<strong>in</strong>e weitere Begründung<br />

war das für die <strong>KPD</strong> ungünstige Kräfteverhältnis <strong>in</strong> den Gewerkschaften, das nicht<br />

ausreiche, um e<strong>in</strong>e erfolgversprechende Kampagne gegen die Reverse durchzuführen.<br />

<strong>Die</strong> These 37 sei pr<strong>in</strong>zipiell richtig, »aber man hätte sie nicht <strong>in</strong> der Form veröffentlichen<br />

sollen«, und man dürfe sich »<strong>in</strong> der jetzigen Situation« nicht der Gefahr<br />

aussetzen, »von den Massen getrennt zu werden«. 104<br />

Im Landessekretariat wusste man offenbar nicht, wie mit der nun wieder akut<br />

gewordenen Frage nach der Unterschriftenleistung umgegangen werden sollte. Es<br />

habe Diskussionen gegeben, berichtete der SED-Instrukteur. <strong>Die</strong>se Diskussionen<br />

führten nicht zu e<strong>in</strong>er endgültigen Entscheidung, »obwohl die Mehrzahl der Genossen<br />

gegen die Unterschriftsleistung aufgetreten ist«. 105 Was folgte, ist durchaus<br />

bemerkenswert: Das Bremer Sekretariat schickte e<strong>in</strong>en Vertreter zum Parteivorstand,<br />

»um unsere Stellung zur Unterschriftsleistung [...] e<strong>in</strong>deutig zu klären«. 106<br />

Wohlgemerkt, das Sekretariat wollte e<strong>in</strong>e Frage beim PV beantwortet haben, die ei-<br />

100 Herbert Kuehl, <strong>Die</strong> Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> von <strong>1945</strong> bis 1956, a.a.O., S. 117.<br />

101 Bericht über den E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vom 3. bis 21.12.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13. Der berichtende SED-<br />

Instrukteur beklagte anlässlich dieser Delegiertenwahlen die »zu späte Orientierung der Partei auf gewerkschaftspolitische<br />

Fragen« und führte dies <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf »die schlechte Anleitung durch den<br />

PV« zurück: »<strong>Die</strong> fast e<strong>in</strong>zigste Form der Anleitung [...] s<strong>in</strong>d Direktiven, die zu allgeme<strong>in</strong> gehalten s<strong>in</strong>d<br />

und <strong>in</strong> der Regel 2-3 Wochen zu spät e<strong>in</strong>treffen. So kam die Direktive des PV zu den Delegiertenwahlen,<br />

nachdem dieselben <strong>in</strong> Bremerhaven bereits abgeschlossen waren«.<br />

102 Ebenda.<br />

103 Das von den Befürwortern der Unterschrift genannte Zitat lautete: »Man muss all dem widerstehen<br />

können, muss zu jedwedem Opfer entschlossen se<strong>in</strong> und sogar - wenn es se<strong>in</strong> muss - alle möglichen<br />

Schliche, Listen und illegalen Methoden anwenden, die Wahrheit verschweigen und verheimlichen,<br />

nur um <strong>in</strong> die Gewerkschaften h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zukommen, <strong>in</strong> ihnen zu bleiben und <strong>in</strong> ihnen um jeden Preis<br />

kommunistische Arbeit zu leisten.« (W.I. Len<strong>in</strong>, Der »l<strong>in</strong>ke Radikalismus«, die K<strong>in</strong>derkrankheit im<br />

Kommunismus, <strong>in</strong>: W.I. Len<strong>in</strong>, Werke, Band 31, S. 5-106, hier S. 40).<br />

104 Bericht über den E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vom 3. bis 21.12.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

105 Ebenda.<br />

106 Ebenda.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 213<br />

gentlich längst geklärt war. Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> war bereits 1951 die Ablehnung der<br />

Unterschrift unter die Reverse als verb<strong>in</strong>dliche L<strong>in</strong>ie v<strong>org</strong>egeben worden. Trotzdem<br />

hielt es die Bremer Parteileitung noch Ende 1952 für nötig - offenbar aufgrund der<br />

starken Widerstände aus den Reihen der Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionäre<br />

und auch aufgrund eigener Unsicherheiten und Une<strong>in</strong>igkeiten - vom Parteivorstand<br />

»e<strong>in</strong>deutige« Handlungsanweisungen e<strong>in</strong>zuholen.<br />

Laut Bericht des SED-Instrukteurs stellte denn auch Fritz Rische107 <strong>in</strong> der betreffenden<br />

Aussprache mit dem Vertreter des Bremer Sekretariats fest, »dass die Frage<br />

der Unterschriftsleistung und die Diskussion im Zusammenhang mit der These 37<br />

nur im Land <strong>Bremen</strong> noch nicht geklärt sei, während <strong>in</strong> den anderen Ländern die<br />

Frage durch Diskussionen bereits abgeschlossen geklärt ist«. 108 Offenbar aber, und<br />

das wäre zum<strong>in</strong>dest überraschend, konnte auch der Parteivorstand nach dieser ersten<br />

Debatte nicht die gewünschte e<strong>in</strong>deutige Handlungsanweisung geben: »Erst<br />

nachdem e<strong>in</strong> zweiter Genosse nochmals zum PV gefahren ist, kam die Mitteilung:<br />

nicht unterschreiben, mit der entsprechenden Begründung«. 109<br />

Das Zögern der Parteileitungen lag vermutlich zum Teil auch <strong>in</strong> der absehbaren<br />

Verschärfung der Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>in</strong>nerhalb der IG Metall angesichts der bevorstehenden<br />

Delegierten- und Betriebsratswahlen begründet. Schon bei der Delegiertenkonferenz<br />

zur Wahl des Ortsvorstandes <strong>in</strong> Bremerhaven hatte die Gewerkschaftsleitung<br />

den kommunistischen Delegierten, die das Revers zuvor nicht unterzeichnet<br />

hatten, die Teilnahme an der Konferenz und die Ausstellung von Delegiertenausweisen<br />

verweigert.<br />

»Unsere Genossen Delegierten erzwangen mit Unterstützung der parteilosen Kollegen und<br />

e<strong>in</strong>iger Sozialdemokraten dann doch den E<strong>in</strong>lass. In e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>stündigen Debatte über die Reversunterschrift<br />

wurde von der Gewerkschaftsleitung begründet, warum unsere Genossen<br />

unterschreiben müssten, andernfalls sie nicht als Delegierte zu den Konferenzen zugelassen<br />

werden [...].« 110<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Delegierten legten außerdem e<strong>in</strong>e angeblich vom Parteivorstand <strong>in</strong><br />

Düsseldorf vorbereitete »Gegenerklärung« vor, die sie anstatt der Gewerkschaftsreverse<br />

bereit seien zu unterschreiben. <strong>Die</strong> Delegiertenversammlung lehnte dies mit<br />

dem H<strong>in</strong>weis ab, »dass unsere Genossen dann auch die von der Gewerkschaft v<strong>org</strong>elegte<br />

Erklärung unterschreiben könnten«. Der berichtende Instrukteur me<strong>in</strong>te,<br />

»der grundsätzliche Unterschied zwischen beiden Erklärungen« sei von den Kollegen<br />

nicht begriffen worden. 111 Unabhängig von den konkreten Abläufen der Kon-<br />

107 Friedrich (Fritz) Rische (1914-1994): Redakteur. SAJ, KJVD, 1932 <strong>KPD</strong>, 1933 illegale Arbeit im KJVD, Oktober<br />

1933 verhaftet, 1934 zweimal verurteilt (vier und 19 Monate Haft), <strong>1945</strong> <strong>KPD</strong> Ruhrgebiet, Mitglied<br />

des Wirtschaftsrats, 1949-1953 MdB, <strong>KPD</strong>-PV und Sekretariat, 1953 verhaftet, trotzdem Vertreter<br />

der <strong>KPD</strong> im Verbotsprozess, 1956 vom Bundesgerichtshof zu dreie<strong>in</strong>halb Jahren Gefängnis verurteilt<br />

(wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« wegen se<strong>in</strong>er Mitarbeit am Programm zur nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />

von 1952), nach vorzeitiger Entlassung zeitweise DDR und CSSR, <strong>1968</strong> Rückkehr <strong>in</strong> die<br />

BRD, Mitglied im PV der DKP.<br />

108 Bericht über den E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vom 3. bis 21.12.1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

109 Ebenda.<br />

110 Ebenda.<br />

111 Ebenda.


214<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

ferenz und dem nicht vorliegenden Inhalt der »Gegenerklärung« wurde doch schon<br />

hier die Zuspitzung der Situation deutlich: auf der e<strong>in</strong>en Seite die Gewerkschaftsleitung,<br />

die entschlossen war, die Politik der Reverse konsequent durchzusetzen und<br />

den rechtmäßig <strong>in</strong> den Betrieben gewählten kommunistischen Delegierten die Teilnahme<br />

an der Konferenz und der Wahl des Ortsvorstandes zu verweigern; auf der<br />

anderen Seite die <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong> der sowohl an der Basis als auch <strong>in</strong> der Leitung die Frage<br />

der Unterzeichnung der Reverse strittig war, die aber auch nicht willens und fähig<br />

war, von der These 37 abzurücken oder wenigstens flexibel auf die Reverse zu reagieren.<br />

<strong>Die</strong> »Gegenerklärung« durch den Parteivorstand, sollte sie denn tatsächlich<br />

existiert haben, kann günstigstenfalls immerh<strong>in</strong> noch als e<strong>in</strong>e Art Entgegenkommen<br />

an die Gewerkschaften oder als Handlungsoption für die eigenen Gewerkschaftsfunktionäre<br />

gewertet werden, blieb aber letztendlich wirkungslos. Bei der Delegiertenkonferenz<br />

der IG Metall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 31. März 1953 spielte diese dann offenbar<br />

auch ke<strong>in</strong>e Rolle mehr. Vielmehr kam es dort <strong>in</strong> Folge der Frage der Zulassung<br />

kommunistischer Delegierter, die die Reverse nicht unterzeichnet hatten, zum Eklat<br />

und be<strong>in</strong>ahe zu Handgreiflichkeiten.<br />

Nach den der Konferenz vorausgegangenen Delegiertenwahlen, bei denen die<br />

<strong>KPD</strong> nach eigenen Angaben e<strong>in</strong>en absoluten Zuwachs von 175 Prozent erzielt hatte,<br />

112 versandte die IG Metall um den 19. März 1953 herum die Reverse an die<br />

kommunistischen und e<strong>in</strong>ige parteilose Delegierte, verbunden mit der Aufforderung,<br />

sie <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Woche zu unterschreiben. 113 H<strong>in</strong>tergrund dieser kurzen<br />

Frist war die Delegiertenkonferenz, die am 31. März stattf<strong>in</strong>den sollte und von der<br />

die <strong>KPD</strong>-Vertreter offenbar ferngehalten werden sollten. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> reagierte schnell<br />

undveröffentlichtewenigeTagespäter<strong>in</strong>derTribüne der Demokratie e<strong>in</strong>en Artikel<br />

des auf Kreisebene für Gewerkschaftsarbeit zuständigen Sekretärs Erich Funke, der<br />

die aufgrund der Reversverschickung durch die Gewerkschaftsleitung vorhersehbare<br />

Konfrontation <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> verschärfte. 114 NebenderüblichenArgumentation<br />

über die Bedeutung der These 37, die sich durch die Verschickung der Reverse erneut<br />

bestätigt habe, griff Funke vor allem die Bremer Ortsverwaltung der IG Metall<br />

scharf an. Namentlich den beiden Vorsitzenden Oskar Schwarz und Friedel Düssmann<br />

- Johann Re<strong>in</strong>ers wurde nicht erwähnt - warf er vor, sich h<strong>in</strong>ter dem Hauptvorstand<br />

<strong>in</strong> Frankfurt, von dem die Verschickung der Reverse ausg<strong>in</strong>g, zu »verkriechen«.<br />

»Jedem Kollegen ist jedoch klar, dass die Ortsverwaltung, vertreten durch Schwarz und<br />

Düssmann, die treibenden Kräfte dieser Aktion s<strong>in</strong>d. Sie s<strong>in</strong>d es, die die Namen und Adressen<br />

der fortschrittlichen Kollegen nach Frankfurt melden und so dem Hauptvorstand ermöglichen,<br />

e<strong>in</strong>en Ges<strong>in</strong>nungsterror und die Erpressung an diesen Kollegen anzuwenden.« 115<br />

112 Im Geiste Stal<strong>in</strong>s, neuen Erfolgen entgegen!, Tribüne der Demokratie, 2.4.1953.<br />

113 Vgl. Hendrik Bunke (Hrsg.), Willy Hundertmark - Er<strong>in</strong>nerungen an e<strong>in</strong> widerständiges Leben, <strong>Bremen</strong><br />

1997, Abb. S. 77.<br />

114 Organisiert den Kampf um die Erhaltung der <strong>in</strong>nergewerkschaftlichen Demokratie, Tribüne der Demokratie,<br />

26.3.1953.<br />

115 Ebenda.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 215<br />

Düssmann und Schwarz würden »e<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> im Interesse der Monopolkapitalisten«<br />

handeln und wollten die Gewerkschaft »vor den Kriegskarren der<br />

Imperialisten spannen«. Funkes Angriffe gegen die beiden gipfelten <strong>in</strong> dem Vorwurf,<br />

sie würden mit den Reversen »faschistische Methoden« anwenden, um »e<strong>in</strong>en<br />

Vertreterkörper zurechtzuschieben, von dem sie glauben, nichts befürchten zu<br />

brauchen«.<br />

Auf der Delegiertenkonferenz der IG Metall am 31. März 1953 kam es dann be<strong>in</strong>ahe<br />

zum Eklat. Nicht zur Konferenz zugelassene kommunistische Delegierte unter<br />

der Führung von Erich Funke ›stürmten‹ die Versammlung und wollten ihre Teilnahme<br />

erzw<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>e gewaltsame Ause<strong>in</strong>andersetzung wurde nur verh<strong>in</strong>dert<br />

durch den E<strong>in</strong>satz anderer Kommunisten, denen die IG Metall die Teilnahme nicht<br />

verwehrt hatte und die ihre Genossen schließlich überredeten, die Konferenz wieder<br />

zu verlassen. 116<br />

Bis zur vorsichtigen Revision der These 37 auf dem Hamburger Parteitag Ende<br />

1954 verstummte die Diskussion über die Frage der Unterschriften nie ganz, war<br />

jedoch nicht mehr Gegenstand spektakulärer öffentlicher Debatten und Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

wie anlässlich der IG-Metall Delegiertenkonferenz 1953. Thematisiert<br />

wurde sie nach wie vor vor allem auf der Ebene der Betriebe, und dort besonders<br />

von Seiten der Betriebsgruppen B<strong>org</strong>ward und AG »Weser«. Bei B<strong>org</strong>ward werde<br />

h<strong>in</strong>sichtlich der These 37 immer noch das Argument gebracht: »Grundsätzlich hat<br />

die Partei recht, aber man muss e<strong>in</strong>e andere Taktik anwenden«, so e<strong>in</strong> Mitglied des<br />

Landessekretariats Mitte 1954. 117 Ähnliche H<strong>in</strong>weise kamen von der AG »Weser«,<br />

wo»immerwiederüberdieThese37diskutiert«wurde. 118<br />

Bei der Auswertung des Hamburger Parteitages war denn auch die Frage des<br />

Umgangs mit der Revision der These 37 das zentrale Thema im Bremer Landessekretariat.<br />

Es hatte, wie nicht anders zu erwarten war, offenbar sofort nach dem Parteitag<br />

Diskussionen <strong>in</strong> der Partei gegeben, die nun die Funktionäre, die das Revers<br />

unterschrieben hatten, im Recht sahen. 119 Das Sekretariat bekam Rechtfertigungsprobleme<br />

und musste begründen, weshalb die Unterschrift der Reverse vor dem<br />

Parteitag falsch, danach jedoch zum<strong>in</strong>dest akzeptabel war. Hermann Gautier stellte<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht fest, »wir werden e<strong>in</strong>e Diskussion bekommen, war die Unterschrift<br />

unter dem Revers richtig oder nicht.« 120 In der Frage des Umgangs mit dieser<br />

Diskussion war sich das Sekretariat zwar weitgehend e<strong>in</strong>ig, der argumentative<br />

Notstand aber war klar erkennbar. »Damals«, so Hermann Gautier <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht,<br />

sei es richtig gewesen, die Unterschrift abzulehnen, diejenigen, die unterschrieben<br />

hatten, hätten »opportunistisch gehandelt«. Ähnlich argumentierte der<br />

Erste Sekretär des Kreises <strong>Bremen</strong> Arthur Böpple: Es dürfe nicht darauf verzichtet<br />

werden, »nachzuweisen, dass die Genossen, die unterschrieben haben, sich aus opportunistischen<br />

Gründen von der Politik der Partei distanziert haben. Sie haben<br />

116 Interview Willy Hundertmark,2; Interview Herbert Breidbach, 2.<br />

117 Protokoll der LSS v. 29.6.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

118 Protokoll der LSS v. 31.8.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

119 Protokoll der LSS v. 4.1.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9.<br />

120 Ebenda.


216<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

damals nicht unterschrieben, weil sie wussten, dass nach 4 Jahren dies geändert<br />

wird, sondern sie haben verzichtet auf den Kampf.« 121 Böpple lieferte auch gleich<br />

e<strong>in</strong> Beispiel, wie dieser Nachweis geführt werden könne. Man müsse jetzt klarmachen,<br />

»dass Unterschrift nicht gleich Unterschrift ist«.<br />

»Z.B. e<strong>in</strong> Genosse unterschreibt ohne Bedenken. E<strong>in</strong> anderer Genosse sagt, das verstößt gegen<br />

die <strong>in</strong>nergewerkschaftliche Demokratie und entfaltet e<strong>in</strong>en Kampf <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Branche. Das<br />

reicht aber nicht aus, um die Gewerkschaftsleitung zu zw<strong>in</strong>gen, den Revers zurückziehen. Er<br />

unterschreibt dann doch und arbeitet weiterh<strong>in</strong> für die Durchsetzung der DGB-Beschlüsse.<br />

Dann ist es politisch richtig und die Unterschrift des ersten Genossen ist falsch. Man muss<br />

immer davon ausgehen, ist der Unterschrift e<strong>in</strong>e Bewegung vorausgegangen oder nicht, und<br />

zweitens, wie führt der Genosse die Beschlüsse des DGB durch oder kämpft für deren Durchführung<br />

<strong>in</strong> der Funktion, die er durch die Unterschrift behalten hat.« 122<br />

Das war natürlich e<strong>in</strong>e völlig abstrakte und aus der Not konstruierte Interpretation,<br />

die unter anderem unterschlug, dass angesichts des Drucks von Seiten der<br />

Gewerkschaft wie auch durch die Partei selbst e<strong>in</strong>em kommunistischen Gewerkschaftsfunktionär<br />

wohl kaum Zeit und Raum für die »Entfaltung e<strong>in</strong>er Bewegung«<br />

geblieben wäre.<br />

Das durch die Revision der Reversfrage entstandene Legitimationsproblem war<br />

also deutlich. Gleichzeitig aber war diese Frage zu diesem Zeitpunkt nicht mehr<br />

von wirklicher politischer Bedeutung, denn der Schaden für die betrieblichen und<br />

gewerkschaftlichen Positionen der <strong>KPD</strong> war längst entstanden und nicht mehr zu<br />

beheben. Der E<strong>in</strong>flussverlust der Partei auf e<strong>in</strong>em zentralen Gebiet ihrer Politik und<br />

ihres Selbstverständnisses war dabei zu e<strong>in</strong>em Großteil auch dem massiven Antikommunismus<br />

der Gewerkschaften geschuldet und hätte sich <strong>in</strong> weniger drastischer<br />

Form auch ohne die These 37 vollzogen, wie es bereits vor 1951 absehbar war.<br />

Von größerer Bedeutung war die verfehlte Reverspolitik daher für die <strong>in</strong>nerparteiliche<br />

Situation. E<strong>in</strong> großer Teil der Parteiaustritte der Jahre ab 1951 wird - neben<br />

den von der Gesamtproblematik nicht zu trennenden »Säuberungen« - auf den<br />

Umgang mit der These 37 und dem dadurch für kommunistische Gewerkschafter<br />

entstandenen Dilemma zurückzuführen se<strong>in</strong>. 123 Ebensolches gilt für die bereits<br />

konstatierte Resignation der Betriebsgruppen: Wie sollte man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ohneh<strong>in</strong><br />

schwierigen, weil antikommunistisch geprägten Situation im Betrieb noch s<strong>in</strong>nvoll<br />

arbeiten können ohne gewerkschaftlichen Rückhalt? Gleichzeitig wurde e<strong>in</strong> Großteil<br />

der Mitglieder der Betriebsgruppen und der Gewerkschaftsfunktionäre <strong>in</strong> Opposition<br />

zur Parteileitung gebracht, 124 was <strong>in</strong> Anbetracht der deutlich gewordenen<br />

mehrheitlichen Zustimmung zu den Inhalten der These 37 durchaus vermeidbar<br />

gewesen wäre.<br />

121 Ebenda.<br />

122 Ebenda.<br />

123 Hermann Gautier spricht gar von »massenhaften« Austritten <strong>in</strong>folge der These 37 (Interview Hermann<br />

Gautier, 2).<br />

124 <strong>Die</strong> Mehrheit der Mitglieder <strong>in</strong> den Betriebsgruppen habe, nachdem die Folgen der These 37 sichtbar<br />

wurden, »ihre Kritik gegen die Parteiführung gerichtet, das war die Haupttendenz«, so Hermann Gautier<br />

aus heutiger Sicht (ebenda).


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 217<br />

»Nationale Politik« im Betrieb: <strong>Die</strong> Instrumentalisierung der Betriebsgruppen<br />

Bereits kurze Zeit nach der Resolution der 15. Tagung des Parteivorstandes von Anfang<br />

März 1950, mit der die gewerkschaftspolitische Radikalisierung der <strong>KPD</strong> und<br />

die Unterordnung der Betriebspolitik unter die nationale Politik e<strong>in</strong>geleitet worden<br />

war, wurde die Umsetzung dieser Politik durch die Bremer Parteileitung sichtbar.<br />

Es müsse allgeme<strong>in</strong> festgestellt werden, so e<strong>in</strong> Bericht des Sekretariats zur Vorbereitung<br />

der bevorstehenden Betriebsrätewahlen, »dass <strong>in</strong> Betriebsgruppen immer<br />

noch zu viel über ›Betriebsangelegenheiten‹ und zu wenig politisch diskutiert«<br />

werde. <strong>Die</strong> »ideologisch-politische Festigung der Partei« sei <strong>in</strong> den Betrieben nur<br />

mangelhaft vollzogen. 125 Damit waren die neuen Ziele der Betriebsgruppenarbeit<br />

und die Eckpunkte der Ause<strong>in</strong>andersetzung der nächsten Jahre bereits benannt: die<br />

Instrumentalisierung <strong>in</strong>nerbetrieblicher Angelegenheiten - <strong>in</strong> dem Bericht schon<br />

verdeutlicht durch die herabsetzenden Anführungszeichen bei den »Betriebsangelegenheiten«<br />

- zugunsten der allgeme<strong>in</strong>-politischen Ziele der Partei.<br />

Über bloße Aufforderungen oder Feststellungen des »ideologisch schwachen<br />

Niveaus der Betriebsgruppenleitungen« kam die Partei jedoch <strong>in</strong> der Folgezeit nicht<br />

h<strong>in</strong>aus. <strong>Die</strong> zögerliche Umsetzung der Beschlüsse des Parteivorstands zeigte sich<br />

auf e<strong>in</strong>er Tagung der Landesleitung am 7. April 1950. Der Erste Sekretär Willy<br />

Knigge nahm ausführlich Stellung zu der Resolution des PV - die e<strong>in</strong>e »Ergänzung<br />

und Konkretisierung an e<strong>in</strong>er wichtigen Front unserer Arbeit <strong>in</strong> den Betrieben und<br />

Gewerkschaften« darstelle - und kritisierte daran anknüpfend die bisherige Betriebsgruppenarbeit<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Es mangele immer noch an arbeitsfähigen Betriebsgruppenleitungen,<br />

auch <strong>in</strong> den übergeordneten Leitungen sei »noch nicht das genügende<br />

Verständnis für die Betriebsgruppenarbeit vorhanden«. 126<br />

Dabei blieb es. Knigge machte ke<strong>in</strong>erlei konkrete Vorschläge zur Verbesserung<br />

der von ihm und der PV-Resolution angesprochenen Mängel. <strong>Die</strong> übrigen Mitglieder<br />

der Landesleitung schilderten <strong>in</strong> der folgenden Diskussion lediglich e<strong>in</strong>ige<br />

konkrete Beispiele von Missständen oder auch erfolgreicher Arbeit <strong>in</strong> den Betriebsgruppen,<br />

stellten jedoch ke<strong>in</strong>erlei Bezug zur Resolution oder den Ausführungen<br />

von Knigge her. Willy Meyer-Buer me<strong>in</strong>te gar, die Resolution habe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Sätzen<br />

»e<strong>in</strong>en fehlerhaften Stil«, führte dies jedoch nicht weiter aus. 127<br />

In der Folgezeit blieb es zunächst bei dieser zögerlichen Umsetzung der <strong>in</strong> der<br />

Resolution des Parteivorstands skizzierten neuen L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> der Betriebspolitik und<br />

der Betriebsgruppen<strong>org</strong>anisation. <strong>Die</strong>s galt sowohl für die Betriebsgruppen selbst<br />

wie auch für die Bremer Parteileitung. Wie schon bei der <strong>org</strong>anisatorischen Umgestaltung<br />

zur Partei neuen Typus und der Titoismus-Kampagne wurden auch hier<br />

zentrale Beschlüsse und Richtl<strong>in</strong>ien des PV nur sehr langsam von der Bremer Partei<br />

aufgenommen<br />

Eswarsoschließlichauchke<strong>in</strong>Zufall,dasssichdieerstenAuswirkungenund<br />

Umsetzungen der beiden eng mite<strong>in</strong>ander verwobenen Bereiche der Parteiumges-<br />

125 Politischer Bericht des Sekretariats Land <strong>Bremen</strong>, März 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

126 Protokoll über die Landesvorstandssitzung am Freitag den 7. April 1950, Waller R<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.<br />

127 Ebenda.


218<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

taltung und der Akzentverschiebung <strong>in</strong> der Betriebspolitik zeitlich nahezu parallel<br />

zeigten: <strong>Die</strong> Ablösung des alten Sekretariats und der Metallarbeiterstreik im Februar<br />

1951, den die Parteileitung versuchte, im S<strong>in</strong>ne der Ausrichtung auf die nationale<br />

Politik zu bee<strong>in</strong>flussen und damit vor allem am Widerstand der Betriebsgruppe<br />

B<strong>org</strong>ward scheiterte. 128 <strong>Die</strong>s waren die ersten offenkundigen Versuche der Neuorientierung<br />

der Betriebs- und Gewerkschaftspolitik <strong>in</strong> der Partei umzusetzen. Gleichzeitig<br />

wurden aber auch bereits die diesbezüglichen noch näher zu schildernden<br />

<strong>in</strong>nerparteilichen Schwierigkeiten und Konflikte bei der Umsetzung dieser L<strong>in</strong>ie<br />

deutlich.<br />

1952 wurde die Instrumentalisierung der Betriebsgruppen für die deutschlandund<br />

außenpolitischen Zielstellungen der Partei besonders deutlich. Zentraler Anlass<br />

war die Unterzeichnung der EVG-Verträge. Wieder erfolgte die explizite Orientierung<br />

der Betriebsgruppen auf die »Auslösung von Bewegungen gegen den Generalkriegsvertrag<br />

<strong>in</strong> den Betrieben« 129 relativ spät, nämlich etwa ab Mai 1952, zu<br />

e<strong>in</strong>er Zeit also, <strong>in</strong> der die Unterzeichnung der Verträge (27. Mai 1952) unmittelbar<br />

bevorstand. <strong>Die</strong> Landes<strong>org</strong>anisation stehe, so e<strong>in</strong> Bericht des Sekretariats von Mitte<br />

Mai 1952, »vor der Aufgabe, <strong>in</strong> der Zeit der ständig verschärften Situation <strong>in</strong> Betrieben<br />

und Stadtteilen Massenaktionen und Massenstreiks zu entwickeln, um<br />

hierdurch die Unterzeichnung des Generalkriegsvertrages zu verh<strong>in</strong>dern«. 130 Um<br />

dies zu erreichen, wurden die Betriebsgruppen wichtiger Betriebe (u.a. B<strong>org</strong>ward,<br />

AG »Weser«, Hafen) zu Sondersitzungen zusammengefasst und erhielten den Auftrag,<br />

<strong>in</strong> Betriebsratssitzungen und Belegschaftsversammlungen entsprechende Anträge<br />

e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen sowie Streikbeschlüsse herbeizuführen. 131 E<strong>in</strong> grundlegendes<br />

Problem war auch dabei die Mobilisierung der Parteimitglieder <strong>in</strong> den Betrieben<br />

für überbetriebliche und sehr hochgesteckte Zielsetzungen wie die Verh<strong>in</strong>derung<br />

der Unterzeichnung des EVG-Vertrages. Aus den Betriebsgruppen kamen denn die<br />

Aktivitäten auch nur spärlich. Schwerpunkt der ›betrieblichen‹ Aktionen gegen den<br />

»Generalkriegsvertrag« waren Agitationen von außen, wie z.B. Reden von Bürgerschaftsabgeordneten<br />

und anderer Parteiprom<strong>in</strong>enz vor den Betrieben. 132 Selbstkritisch<br />

bemerkte der Politische Wochenbericht des Sekretariats, dass sich dadurch<br />

»das Leben der Parteibetriebsgruppen« nicht entwickeln ließe. 133<br />

Tatsächlich war der S<strong>in</strong>n derartiger Aktionen im Sekretariat umstritten, wie sich<br />

auf e<strong>in</strong>er Sitzung unmittelbar nach Unterzeichnung des EVG-Vertrages zeigte. »Es<br />

tritt jetzt die Me<strong>in</strong>ung bei e<strong>in</strong>zelnen Genossen auf«, so Ulrich Konetzka, »dass uns<br />

diese Aktionen nichts weiter br<strong>in</strong>gen, dass sie nicht zum Erfolg führen, wir erreichen<br />

nichts damit, unsere Betriebsgruppen kommen nichts weiter. Unsere Betriebs-<br />

128 Siehe ausführlich unten.<br />

129 Politischer Wochenbericht des Sekretariats der LL vom 17. bis 23. Mai 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

130 Ebenda.<br />

131 Ebenda und Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 24. - 30. Mai 1952 des Sekretariates der LL <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/11.<br />

132 Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 24. - 30. Mai 1952 des Sekretariates der LL <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>:SAPMOI<br />

11/20/11.<br />

133 Politischer Wochenbericht des Sekretariats der LL vom 17. bis 23. Mai 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 219<br />

gruppenmüssenvon<strong>in</strong>nendieAktionenführen«. 134 Konetzka wandte sich gegen<br />

diese Auffassung. Man könne die Stärkung der Betriebsgruppen und die Aktionen<br />

vor den Betrieben nicht vone<strong>in</strong>ander trennen, sondern beides müsse »<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesunden<br />

Verhältnis« durchgeführt werden. Nach der Unterzeichnung des »Schandvertrags«<br />

müsse der Kampf dagegen »erst recht« verstärkt fortgeführt werden. Auf<br />

das Problem der Mobilisierung der Parteimitglieder für e<strong>in</strong>en solchen »Kampf«<br />

g<strong>in</strong>g He<strong>in</strong>rich Schramm e<strong>in</strong>: »Es werden jetzt die Me<strong>in</strong>ungen auftreten [...], jetzt ist<br />

er unterzeichnet, jetzt kann man nichts mehr ändern. Ich b<strong>in</strong> der Me<strong>in</strong>ung, wir<br />

müssen unseren Genossen das Kraftbewusstse<strong>in</strong> stärker beibr<strong>in</strong>gen«. Schramm<br />

sprach sich ebenfalls für die Beibehaltung der Aktionen vor den Betrieben aus, gab<br />

aber auch zu, dass sie vor allem im Hafen »gar nichts e<strong>in</strong>gebracht haben« und dass<br />

»solche Aktionen die systematische Arbeit der Betriebsgruppen« hemmen.<br />

Auf dieser Sitzung waren exemplarisch die Grundprobleme der Betriebsgruppen(politik)<br />

und des Verhältnisses zwischen Betriebsgruppen und Parteileitung<br />

deutlich geworden. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Leitung versuchte, die Betriebsgruppen zum wichtigsten<br />

Instrument e<strong>in</strong>er allen anderen Problemen übergeordneten Friedens- und<br />

Deutschlandpolitik zu machen, stieß dabei aber bei den Mitgliedern <strong>in</strong> den Betrieben<br />

oftmals entweder auf mangelnde Motivation oder e<strong>in</strong>e gewisse Renitenz.<br />

<strong>Die</strong>se Renitenz der Betriebskader war auch der Tatsache geschuldet, dass die<br />

Gewerkschaften versuchten, kommunistische Partei-Agitation auf Betriebsebene<br />

oder im Rahmen gewerkschaftlicher Aktionen zu verh<strong>in</strong>dern. Anlässlich e<strong>in</strong>er großen<br />

DGB-Demonstration gegen das Betriebsverfassungsgesetz am 5. Juni 1952 entfaltete<br />

die <strong>KPD</strong>-Leitung verschiedene Aktivitäten, die wiederum auf e<strong>in</strong>e Verknüpfung<br />

mit dem »Kampf gegen den Generalvertrag« h<strong>in</strong>auslief, der nur dann Erfolg<br />

haben könne, »wenn wir e<strong>in</strong>e breite Bewegung <strong>in</strong> den Betrieben auslösen«. 135 Zur<br />

Vorbereitung der Demonstration wurden mit Vertretern der Betriebsgruppen Sondersitzungen<br />

durchgeführt. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppen, <strong>in</strong>sbesondere die betrieblichen<br />

Vertrauensmänner der Partei, erhielten den Auftrag, »<strong>in</strong> ihren Ressorts Versammlungen<br />

durchzuführen und Kampflosungen für die kommende Demonstration<br />

des DGB annehmen zu lassen« sowie »<strong>in</strong> den vorher stattf<strong>in</strong>denden Betriebsräteund<br />

Vertrauensmännersitzungen Entschließungen e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen, die den Zusammenhang<br />

zwischen Generalvertrag und Betriebsverfassungsgesetz aufzeigen«. 136<br />

Der Versuch, »Kampflosungen« im S<strong>in</strong>ne der <strong>KPD</strong> sowie entsprechende Entschließungen<br />

<strong>in</strong> den Betrieben zu verabschieden, um die Gewerkschaftsdemonstration<br />

für das übergeordnete Ziel - »Kampf gegen den Generalvertrag« - zu nutzen, musste<br />

zu <strong>in</strong>nerbetrieblichen Konflikten führen und Gegenmaßnahmen der Gewerkschaften<br />

provozieren. <strong>Die</strong> Gewerkschaftsleitung verbot das Mitführen nicht von ihr<br />

genehmigter Parolen auf der Demonstration. Gleichzeitig hielten sich die Betriebsgruppen<br />

offenbar mit der Umsetzung der Beschlüsse zurück oder verweigerten sich<br />

ihnen gar. In den Automobilwerken B<strong>org</strong>ward und Goliath sei es nicht gelungen,<br />

134 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 29. Mai 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

135 Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 24. - 30. Mai 1952 des Sekretariates der LL <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>:SAPMOI<br />

11/20/11.<br />

136 Ebenda.


220<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

Ressortversammlungen e<strong>in</strong>zuberufen und die »Kampflosungen« zu beschließen,<br />

»die Genossen Vertrauensleute wichen vor der Aufgabenstellung zurück«, beschwerte<br />

sich der Politische Wochenbericht des Sekretariats und zitierte e<strong>in</strong>en <strong>KPD</strong>-<br />

Vertrauensmann bei B<strong>org</strong>ward:<br />

»Der Betriebsrat Buchholz (SPD) hat uns ausdrücklich verboten, Transparente mitzuführen,<br />

die nicht von der Gewerkschaft genehmigt s<strong>in</strong>d. Was nütze ich der Partei, wenn ich me<strong>in</strong>e<br />

Funktion als Vertrauensmann verliere und aus der Gewerkschaft ausgeschlossen werde. Wir<br />

zerschlagen hierdurch den e<strong>in</strong>heitlichen Charakter der Demonstration«. 137<br />

<strong>Die</strong> Parteileitung reagierte auf diese Argumentation mit Opportunismus-<br />

Vorwürfen und dem öffentlich bekundeten Willen zur stärkeren Kontrolle der Betriebsgruppen.<br />

Unmittelbar nach der DGB-Demonstration skizzierte Ulrich Konetzka<br />

die Position des Sekretariats:<br />

»Das Landessekretariat kümmerte sich <strong>in</strong> der Vergangenheit <strong>in</strong> ungenügendem Maße um die<br />

Betriebsgruppen [...] Ungenügende Verb<strong>in</strong>dung der nationalen Politik mit den sozialen Problemen<br />

der Arbeiterklasse, mangelnde Kenntnis über die entscheidenden V<strong>org</strong>änge <strong>in</strong> den Betrieben,<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Gewerkschaften und der SPD, mangelndes Wissen über den Zustand<br />

unserer Betriebsgruppen s<strong>in</strong>d die Ursache für die fehlerhafte Arbeit des Landessekretariats <strong>in</strong><br />

Bezug auf die Anleitung der Kreisleitungen und der Betriebsgruppen. <strong>Die</strong>se ungenügende<br />

Anleitung durch das Landessekretariat ist Ursache für das Vorhandense<strong>in</strong> opportunistischer<br />

und sektiererischer Tendenzen bei vielen unserer Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionäre«.<br />

138<br />

›Mangelnde Anleitung‹ und nicht etwa e<strong>in</strong>e verfehlte, weil <strong>in</strong>strumentalisierte<br />

Politik <strong>in</strong> Betriebs- und Gewerkschaftsfragen war für das Sekretariat der Grund für<br />

die Differenzen mit den Betriebsfunktionären. Andere denkbare Konsequenzen,<br />

wie der 1952 im Sekretariat geäußerte Vorschlag von Albert Oltmanns, man müsse<br />

<strong>in</strong> die Leitungen »gute Betriebsfunktionäre e<strong>in</strong>bauen« und auch zu den Landesleitungssitzungen<br />

»viel mehr gute Betriebsarbeiter heranziehen«, um die bislang oftmals<br />

nicht gegebene Durchführbarkeit der Beschlüsse <strong>in</strong> den Betrieben zu gewährleisten,<br />

139 die also statt Diszipl<strong>in</strong>ierung eher auf den Dialog und e<strong>in</strong>e stärkere demokratische<br />

E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung der Betriebsgruppen <strong>in</strong> die Beschlussfassung der Leitungen<br />

setzten, wurden nie ernsthaft umgesetzt.<br />

<strong>Die</strong> zahlreichen von Sekretariats- und Kreisleitungsmitgliedern immer wieder<br />

mit Vertretern »problematischer« Betriebsgruppen geführten Gespräche können<br />

vor diesem H<strong>in</strong>tergrund kaum als ernsthafte Dialogversuche gewertet werden. Sie<br />

waren letztlich Diszipl<strong>in</strong>ierungsversuche im S<strong>in</strong>ne der Instrumentalisierung der Betriebsgruppen<br />

für die nationale Politik, die auf die Beseitigung »falscher und opportunistischer«<br />

Auffassungen zielte, nicht aber auf Kompromissf<strong>in</strong>dung oder e<strong>in</strong>e<br />

ernsthafte Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Betriebsfunktionären, die <strong>in</strong> ihren Betrieben<br />

den Widersprüchen zwischen der Parteil<strong>in</strong>ie und den realen Bed<strong>in</strong>gungen ausgesetzt<br />

waren und deren politische und gewerkschaftliche Arbeit durch diese Widersprüche<br />

erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht wurde.<br />

137 Politischer Wochenbericht für die Zeit vom 31.5. - 6.6.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

138 Kommunique der Tagung der <strong>KPD</strong> Landesleitung <strong>Bremen</strong>, Tribüne der Demokratie, 16. Juni 1953.<br />

139 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 31. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 221<br />

Geradezu fatal war dabei die oft geäußerte Fehle<strong>in</strong>schätzung der Parteileitung,<br />

<strong>in</strong> den Betrieben habe man eigentlich gute Bed<strong>in</strong>gungen und genügend E<strong>in</strong>fluss zur<br />

Entwicklung e<strong>in</strong>er Massenbewegung gegen die West<strong>in</strong>tegration der Bundesrepublik<br />

sowie die »rechten Gewerkschaftsführer«, wenn es denn nur gelänge, die <strong>KPD</strong>-<br />

Funktionäre und die Arbeiter davon zu überzeugen, die betrieblichen und sozialen<br />

Probleme mit der Lösung der »nationalen Frage« zu verb<strong>in</strong>den. Der verbliebene<br />

E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Betrieben wurde im Laufe der 1950er Jahre zunehmend<br />

abhängig von e<strong>in</strong>zelnen Personen und Funktionären, die sich jahrelang als Vertrauensleute<br />

oder Betriebsräte die Anerkennung ihrer Kollegen erarbeitet hatten, dabei<br />

aber auch weitgehend unabhängig von der Partei und Parteipolitik agierten. 140 Bei<br />

weitem nicht die e<strong>in</strong>zigen, aber herausragende Beispiele für diese Entwicklung waren<br />

der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei B<strong>org</strong>ward Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann,<br />

der bei der Betriebsratswahl 1955 - die unmittelbar nach se<strong>in</strong>em Austritt aus der<br />

<strong>KPD</strong> stattfand - mehr Stimmen als der Betriebsratsvorsitzende Buchholz (SPD) erhielt,<br />

141 oder der langjährige Betriebsratsvorsitzende der Norddeutschen Hütte<br />

(später Klöckner) Max Müller. Solche Persönlichkeiten hatten ihren <strong>in</strong>ner- und auch<br />

außerbetrieblichen Status und E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie nicht wegen, sondern zunehmend<br />

eher ihrer <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft. Dort wo es solche Persönlichkeiten nicht gab<br />

oder wo Funktionäre weitgehend kongruent mit der Parteil<strong>in</strong>ie agierten, g<strong>in</strong>g dieser<br />

E<strong>in</strong>fluss zum<strong>in</strong>dest stärker, teilweise auch schlagartig zurück. So waren die E<strong>in</strong>zelpersönlichkeiten<br />

<strong>in</strong> den Betrieben e<strong>in</strong> gewisser Garant für kommunistische Positionen<br />

<strong>in</strong> den Betrieben, die trotz zunehmender Isolation der <strong>KPD</strong> und trotz e<strong>in</strong>es<br />

starken Antikommunismus gehalten werden konnten. <strong>Die</strong> Parteileitung beg<strong>in</strong>g<br />

zum e<strong>in</strong>en den Fehler, diese Positionen und den daraus resultierenden E<strong>in</strong>fluss als<br />

parteipolitischen, als Zeichen für die Stärke der <strong>KPD</strong> im Betrieb und »günstige Bed<strong>in</strong>gung«<br />

für Aktionen im S<strong>in</strong>ne der überbetrieblichen Ziele zu <strong>in</strong>terpretieren. Zum<br />

zweiten griff sie zur Durchsetzung dieser Ansprüche genau die Funktionäre an, die<br />

durch relativ parteiunabhängige Politik und Arbeit Garant starker Positionen waren.<br />

<strong>Die</strong> Instrumentalisierung der Betriebsgruppen für das Primat der <strong>in</strong>nen- und<br />

deutschlandpolitischen Ziele und die Unfähigkeit der Leitung, auf die Argumente<br />

der Betriebsfunktionäre e<strong>in</strong>zugehen, schwächte so nicht nur die Bedeutung der Partei<br />

<strong>in</strong> den Betrieben. Ähnlich wie beim Umgang mit der Reversfrage und der These<br />

37 waren die negativen <strong>in</strong>nerparteilichen Folgen m<strong>in</strong>destens ebenso deutlich.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> behielt diese <strong>in</strong>strumentalisierte Betriebspolitik pr<strong>in</strong>zipiell bis zum<br />

Verbot bei. Zu jeder sich bietenden Gelegenheit wie Lohnbewegungen, Streiks, Delegierten-<br />

und Betriebsratswahlen wurde von den Leitungs<strong>org</strong>anen die Verbesserung<br />

der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit gefordert. <strong>Die</strong>s jedoch nicht zur Durch-<br />

140 Auf den Punkt brachte dies 1953 e<strong>in</strong> betrieblicher Vertrauensmann der <strong>KPD</strong> und widersprach damit<br />

dem A. und S. Sekretär, der aufzeigen wollte, »welch e<strong>in</strong>e Wandlung <strong>in</strong> den Betrieben sich vollzogen<br />

hat, dass das Vertrauen zur Partei wächst, wenn unsere Genossen gute Arbeit leisten«: »So ist das<br />

nicht. Das Vertrauen ist nicht zur Partei. Das Vertrauen ist nur zur Person.«( Protokoll der LSS am 5.2.53,<br />

<strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.).<br />

141 Vgl. Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Almut Schwerd (Hrsg.):<br />

Zeitzeugen berichten, a.a.O., S. 43-57, hier S. 50.


222<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

setzung gewerkschaftlicher und betrieblicher Ziele, sondern »um den Kampf gegen<br />

die Kriegspolitik der Adenauer-Regierung noch besser und entschiedener als bisher<br />

führen zu können«. 142 Das sich aus e<strong>in</strong>em solch großen Anspruch - der Betriebsratsund<br />

Delegiertenwahlen als »entscheidender als jede Parlamentswahl« betrachtete -<br />

143 ergebende krasse Missverhältnis zu den realen Bed<strong>in</strong>gungen und der Stärke der<br />

<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Betrieben war der Parteileitung <strong>in</strong> gewisser Weise sehr wohl bewusst.<br />

<strong>Die</strong>s führte aber nicht zu e<strong>in</strong>er flexibleren und realistischeren Politik, sondern wurde<br />

beharrlich mit dem Unvermögen und Unverständnis <strong>in</strong> den Betrieben erklärt.<br />

<strong>Die</strong> größte Schwäche bei der Initiierung außerparlamentarischer Aktionen sei, so<br />

e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied 1953, »dass unsere Genossen <strong>in</strong> den Betrieben und schon<br />

lange die Arbeiter nicht verstehen, den Zusammenhang dieser konkreten betrieblichen<br />

Fragen mit den politischen Fragen zu verb<strong>in</strong>den«. 144<br />

3. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppen: Drei Bremer Beispiele<br />

Betriebsgruppen als Basisopposition? Das Beispiel B<strong>org</strong>ward<br />

Im Zentrum der sich aus den geschilderten Widersprüchen und Fehle<strong>in</strong>schätzungen<br />

ergebenden <strong>in</strong>nerparteilichen Ause<strong>in</strong>andersetzungen stand seit 1950 e<strong>in</strong>e der<br />

größten und für die Bremer <strong>KPD</strong> bedeutsamsten Betriebsgruppen, nämlich die Betriebsgruppe<br />

im Stammwerk des Automobilkonzerns B<strong>org</strong>ward.<br />

Das seit 1924 Automobile produzierende Werk des Firmengründers und -leiters<br />

Carl B<strong>org</strong>ward hatte bereits <strong>in</strong> den 1930er Jahren und während des Krieges »e<strong>in</strong>e<br />

bedeutende Rolle sowohl <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> als auch <strong>in</strong>nerhalb der deutschen Automobilbranche«<br />

gespielt. 145 Seit 1949 bestand die dann so genannte B<strong>org</strong>ward-Gruppe aus<br />

drei Automobilwerken: die »Goliath-Werke GmbH«, die »Lloyd-Motoren-Werke<br />

GmbH« sowie das Stammwerk, die »Carl F.W. B<strong>org</strong>ward GmbH«. 146 B<strong>org</strong>ward<br />

wurde zum größten privaten Autokonzern <strong>in</strong> der Bundesrepublik und zum größten<br />

privaten Steuerzahler und Arbeitgeber <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Zwischen 1950 und 1960 nahm<br />

der Konzern »e<strong>in</strong>en rasanten Aufschwung«, was sich unter anderem <strong>in</strong> der Steigerung<br />

der Stückzahlen um ca. 400% und e<strong>in</strong>em Beschäftigungsstand von zuletzt<br />

knapp 23.000 Mitarbeitern zeigte. 147<br />

142 Sekretariatsvorlage zur Vorbereitung und Durchführung der Delegiertenwahlen <strong>in</strong> der Gewerkschaft, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/8.<br />

143 Sekretariatsvorlage zur Vorbereitung und Durchführung der Delegiertenwahlen <strong>in</strong> der Gewerkschaft, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/8; Protokoll L.S.S. vom 26.2.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

144 Protokoll v.d. LSS am 26.3.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

145 Vgl. Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall. Arbeit im Wirtschaftswunder. B<strong>org</strong>ward,<br />

Goliath, Lloyd, <strong>Bremen</strong> 1987, S. 17f.; dies., B<strong>org</strong>ward, Goliath, Lloyd, <strong>in</strong>: Karl-Ludwig Sommer (Hrsg.):<br />

<strong>Bremen</strong> <strong>in</strong> den fünfziger Jahren: Politik, Wirtschaft, Kultur, <strong>Bremen</strong> 1989, S. 209-228.<br />

146 Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>ward, Goliath, Lloyd, a.a.O., S. 210.<br />

147 Ebenda.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 223<br />

<strong>Die</strong> Strukturen der Belegschaften <strong>in</strong> den drei Werken unterschieden sich dabei<br />

erheblich. Bei Goliath und Lloyd wies die Belegschaft e<strong>in</strong>en hohen Grad von unund<br />

angelernten Arbeitern auf und war gekennzeichnet von vielen unstetigen Beschäftigungsverhältnissen.<br />

<strong>Die</strong> »typischen Kennzeichen der Belegschaft im B<strong>org</strong>ward-Stammwerk«<br />

waren dagegen e<strong>in</strong> hoher Facharbeiteranteil (1960: 56 Prozent),<br />

e<strong>in</strong>e »hohe Seniorität«, das heißt e<strong>in</strong> hoher Anteil von langjährig Beschäftigten, sowie<br />

e<strong>in</strong>e »große betriebliche Integration«. 148 <strong>Die</strong> Gründe hierfür lagen vor allem <strong>in</strong><br />

den gewachsenen Strukturen des Stammwerkes, <strong>in</strong> dem bereits vor 1933 Autos<br />

produziert worden waren, während Goliath und vor allem Lloyd nach <strong>1945</strong> »aus<br />

dem Boden gestampft« wurden, sowie <strong>in</strong> den Unterschieden h<strong>in</strong>sichtlich des Produkts:<br />

In den beiden kle<strong>in</strong>eren und neuen Werken wurden vor allem die konjunkturabhängigeren<br />

Kle<strong>in</strong>wagen produziert, was <strong>in</strong> absatzschwachen Zeiten zu schnellen<br />

Entlassungen, <strong>in</strong> absatzstarken Zeiten zu vermehrten E<strong>in</strong>stellungen von - <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie ungelernten - Arbeitern führte. In dem hier zu behandelnden Stammwerk<br />

dagegen gab es <strong>in</strong>folge der hohen Seniorität und dem Stolz auf die dort hergestellten<br />

hochwertigeren Autos e<strong>in</strong>e sehr hohe Identifikation der Arbeiter mit dem Werk<br />

und se<strong>in</strong>en Produkten. H<strong>in</strong>zu kamen verschiedene Gratifikationen von Seiten der<br />

Firmenleitung (bis h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er eigenen Wohnsiedlung für Arbeiter <strong>in</strong> der Nähe des<br />

Werkes).<br />

<strong>Die</strong> Belegschaft des B<strong>org</strong>ward-Stammwerkes wies e<strong>in</strong>en sehr hohen gewerkschaftlichen<br />

Organisationsgrad auf. 95 Prozent der gewerblichen Arbeitnehmer waren<br />

Mitglied der IG Metall, »h<strong>in</strong>zu kam e<strong>in</strong> hervorragender und auch funktionierender<br />

gewerkschaftlicher Vertrauenskörper«. 149 Ähnliche Verhältnisse gab es im<br />

Goliath-Werk, im Lloyd-Werk lag der Organisationsgrad - auch wegen der oben<br />

bereits genannten Gründe - nicht ganz so hoch. Insgesamt stellte damit die B<strong>org</strong>ward-Belegschaft<br />

<strong>in</strong> der Bremer IG Metall ca. e<strong>in</strong> Drittel der Mitgliedschaft, 150 etwa<br />

zwei Drittel davon waren Arbeiter im Stammwerk. Schon aus diesem zahlenmäßigen<br />

Anteil ergab sich e<strong>in</strong>e starke und bestimmende Bedeutung <strong>in</strong>nerhalb der Bremer<br />

IG Metall. H<strong>in</strong>zu kam e<strong>in</strong>e gewisse Vorreiterrolle, <strong>in</strong>sbesondere des Stammwerkes,<br />

bei der Durchsetzung gewerkschaftlicher Forderungen und Lohnverbesserungen.<br />

»Ob es e<strong>in</strong> freier Sonnabend (wir von B<strong>org</strong>ward waren die ersten, die<br />

sonnabends nicht mehr gearbeitet haben), ob es e<strong>in</strong> neuer Manteltarif war, die anderen<br />

Betriebe der Bremer IG Metall hatten es eigentlich immer uns zu verdanken«.<br />

151 <strong>Die</strong>se Vorreiterrolle wurde den B<strong>org</strong>ward-Werken »als gewerkschaftlich<br />

best<strong>org</strong>anisierten Automobilwerk« auch vom Hauptvorstand der IG Metall zugemessen.<br />

Der Betriebsratsvorsitzende des B<strong>org</strong>ward-Stammwerkes Ernst Buchholz<br />

(SPD) war denn auch ehrenamtliches Mitglied des Hauptvorstands. 152<br />

148 Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 73.<br />

149 Ebenda, S. 78.<br />

150 Ebenda.<br />

151 So Karl Grobe, e<strong>in</strong>flussreiches Mitglied im B<strong>org</strong>ward-Betriebsrat und bis 1952 auch <strong>KPD</strong>-Mitglied. Zitiert<br />

nach: Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 106.<br />

152 Ebenda.


224<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

Aus der großen Bedeutung des Werkes für <strong>Bremen</strong> und für die Gewerkschaft<br />

ergab sich e<strong>in</strong>e entsprechende <strong>in</strong>ner- und auch außerbetriebliche Rolle der betrieblichen<br />

Vertretungs<strong>org</strong>ane. Der Sozialdemokrat Ernst Buchholz war seit 1949 Vorsitzender<br />

des seitdem von der SPD dom<strong>in</strong>ierten Betriebsrates. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte allerd<strong>in</strong>gs<br />

im Betrieb seit <strong>1945</strong> e<strong>in</strong>e starke Stellung und stellte 1948 kurzfristig auch den<br />

Betriebsratsvorsitzenden. 153 <strong>Die</strong>se Stellung blieb pr<strong>in</strong>zipiell trotz der SPD-<br />

Dom<strong>in</strong>anz <strong>in</strong> den folgenden Jahren bis 1955 erhalten. Sie war <strong>in</strong> starkem Maße zurückzuführen<br />

auf e<strong>in</strong>zelne, stark engagierte und e<strong>in</strong>flussreiche Personen wie Erw<strong>in</strong><br />

He<strong>in</strong>emann, bis 1955 zweiter Betriebsratsvorsitzender und auch Bürgerschaftsabgeordneter<br />

der <strong>KPD</strong>, und Karl Grobe, an dessen Person sich ab 1950 die ersten Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

zwischen der Betriebsgruppe und der Bremer Parteileitung<br />

entwickelten. Zwischen SPD und <strong>KPD</strong> gab es im Betrieb e<strong>in</strong>erseits »e<strong>in</strong> erbittertes<br />

R<strong>in</strong>gen«, andererseits aber auch, meist auf persönlicher Ebene, zahlreiche Berührungspunkte.<br />

154 Den harten Ause<strong>in</strong>andersetzungen vor allem anlässlich von Betriebsratswahlen<br />

stand geme<strong>in</strong>sames Handeln gegenüber, »dort, wo es um elementare<br />

Interessen der Belegschaft oder um persönliche Rechte von Individuen<br />

g<strong>in</strong>g«. 155 Auch diese »Geme<strong>in</strong>samkeiten« waren im wesentlichen auf das starke Solidarverhalten<br />

der B<strong>org</strong>ward-Belegschaft sowie die herausragenden E<strong>in</strong>zelpersonen<br />

bei der SPD wie auch bei der <strong>KPD</strong> zurückzuführen. Dem SPD-Betriebsratsvorsitzenden<br />

Ernst Buchholz wurden <strong>in</strong>tegrative Fähigkeiten zugeschrieben, die<br />

sich z.B. <strong>in</strong> der Deckung des Kommunisten Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann gegenüber der Geschäftsleitung<br />

ausdrückten, wenn der wegen e<strong>in</strong>er Fahrt nach Moskau se<strong>in</strong>en Urlaub<br />

überschritten hatte, 156 oder auch <strong>in</strong> der Vergabe von betrieblichen Funktionen<br />

an »opponierende <strong>KPD</strong>-Leute« 157.<br />

<strong>Die</strong> Betriebsgruppe der <strong>KPD</strong> bei B<strong>org</strong>ward gehörte mit 41 Mitgliedern bereits<br />

1946 zu den größten <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. 158 1951 hatte sie nach Angaben der <strong>KPD</strong> 81 Mitglieder.<br />

159 Sie war damit e<strong>in</strong>e der bedeutsamsten Betriebsgruppen der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>.<br />

Im Vergleich zu den Betriebsgruppen bei der AG »Weser« und im Hafen<br />

wurde die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward <strong>in</strong> Berichten der Bremer Leitung oder von Instrukteuren<br />

durchweg als besonders aktiv bezeichnet. Indiz dafür war auch die<br />

<strong>KPD</strong>-Betriebszeitung »Der Sche<strong>in</strong>werfer«, die mit e<strong>in</strong>er durchschnittlichen Auflage<br />

von 2.000 Stück erschien (1955) 160 und e<strong>in</strong>e der wenigen Betriebszeitung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

153 Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>ward, Goliath, Lloyd, S. 218f; Willi Elmers, Arbeitskämpfe<br />

bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49; Peter Brandt: Betriebsräte, Neuordnungsdiskussion und betriebliche Mitbestimmung<br />

<strong>1945</strong>-1948, a.a.O., S. 201.<br />

154 Vgl. Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 92 und 98ff.; Willi Elmers, Arbeitskämpfe<br />

bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49.<br />

155 Siehe die Beispiele bei Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 98ff.<br />

156 Vgl. ebenda, S. 99.<br />

157 So der IG.Metall-Kassierer Johann Re<strong>in</strong>ers, zitiert nach Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>ward,<br />

Goliath, Lloyd, a.a.O., S. 219.<br />

158 Vgl. Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung. Aufbau, Ausprägung, Politik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

<strong>1945</strong>/46, Hamburg 1976, S. 202.<br />

159 Bericht, E<strong>in</strong>satz <strong>Bremen</strong> vom 16.3. bis 7.4.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

160 Siehe die Exemplare <strong>in</strong> SAPMO I 10/20/11.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 225<br />

war, die größtenteils von Mitgliedern der Betriebsgruppe selbst verfasst wurde. 161<br />

Allerd<strong>in</strong>gs sche<strong>in</strong>t der Anteil der tatsächlich an der aktiven Arbeit beteiligten Mitglieder<br />

der Betriebsgruppe auch nicht höher gewesen zu se<strong>in</strong> als <strong>in</strong> anderen Gruppen.<br />

Während des Metallarbeiterstreiks von 1951 beteiligten sich nach eigenen Angaben<br />

nur 20 von den <strong>in</strong>sgesamt ca. 80 Genossen aktiv an der Durchführung des<br />

Streiks. 162<br />

<strong>Die</strong> Stärke der relativ fest im Betrieb verankerten <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation<br />

mit dem gewerkschaftlichen Selbstbewusstse<strong>in</strong> der Gesamtbelegschaft war<br />

Grundlage der Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit der Parteileitung und deren Schwierigkeiten<br />

bei der Durchsetzung ihrer <strong>in</strong>strumentalisierten Gewerkschaftspolitik ab<br />

1950. Deutlich wurden die Differenzen erstmals anlässlich des vom B<strong>org</strong>ward-<br />

Stammwerk ausgehenden Bremer Metallarbeiterstreiks im Februar 1951.<br />

Bei der Vorbereitung und Durchführung des Streiks der »Landbetriebe«, d.h.<br />

der Nicht-Schiffbau-Betriebe <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, spielte die <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Rolle bei der Durchsetzung der Streikziele und auch - aus <strong>in</strong>nerparteilicher<br />

Sicht - bei der Verh<strong>in</strong>derung parteipolitischer Instrumentalisierungsversuche der<br />

Leitung. Ausgangspunkt des Streiks war die Kündigung des Lohntarifs durch die<br />

IG Metall Anfang 1951, die auf e<strong>in</strong>en von Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann (<strong>KPD</strong>) erwirkten Beschluss<br />

e<strong>in</strong>er Belegschaftsversammlung des B<strong>org</strong>ward-Stammwerkes im Dezember<br />

1950 zurückg<strong>in</strong>g. 163 Nachdem von Arbeitgeberseite ke<strong>in</strong>e Verhandlungsbereitschaft<br />

signalisiert wurde, beschlossen die Betriebsräte der drei B<strong>org</strong>ward-Werke die E<strong>in</strong>berufung<br />

e<strong>in</strong>er Vertrauensmännerversammlung für den 13. Februar 1951. Auf Initiative<br />

der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe beschloss diese Vertrauensmännerversammlung bei<br />

B<strong>org</strong>ward, nicht sofort e<strong>in</strong>en Streik auszurufen, sondern am nächsten M<strong>org</strong>en <strong>in</strong> allen<br />

Branchen Belegschaftsversammlungen e<strong>in</strong>zuberufen und die Lage dort zu<br />

schildern. 164 Karl Grobe begründete diese abwartende Taktik der Betriebsgruppe<br />

so:<br />

»E<strong>in</strong> Antrag <strong>in</strong> dieser VM-Vlg. [Vertrauensmännerversammlung; HB] den Streik sofort zu beschließen,<br />

wäre bei der Zusammensetzung der VM-Vlg. (12 KP - 25 SP-Mitglieder) abgelehnt<br />

worden, da von ›oben‹, von der Ortsverwtlg, noch ke<strong>in</strong>e Anweisung vorhanden und auch<br />

nicht zu erwarten war. [...]. E<strong>in</strong>e Abstimmung nur <strong>in</strong> der VM, ohne vorher die Belegschaft zu<br />

mobilisieren, wäre zweifelhaft gewesen.« 165<br />

<strong>Die</strong> Rücksichtnahme auf die betrieblichen Mehrheitsverhältnisse, <strong>in</strong> diesem Fall<br />

repräsentiert durch den Vertrauensmännerkörper, und das Bestreben, die Belegschaft<br />

möglichst e<strong>in</strong>heitlich h<strong>in</strong>ter die eigenen, an Lohnverbesserung orientierten<br />

Zielen des Streiks zu sammeln, charakterisierte schon das Verhalten der <strong>KPD</strong>-<br />

Betriebsgruppe im weiteren Verlauf des Streiks und die Gründe für die Ause<strong>in</strong>an-<br />

161 <strong>Bremen</strong>, LS-Sitzg. 16.3.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8. Andere Betriebszeitungen wurden oft von der Kreisoder<br />

Landesleitung verfasst.<br />

162 Diskussion von der Landesdelegiertenkonferenz am 25.2.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1.<br />

163 Vgl. die bei Eberwe<strong>in</strong>/Tholen abgedruckte Darstellung des Streiks von Karl Grobe (<strong>KPD</strong>) (Wilhelm<br />

Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 110ff.).<br />

164 Ebenda.<br />

165 Ebenda.


226<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

dersetzungen mit der Parteileitung. <strong>Die</strong> Taktik der Betriebsgruppe g<strong>in</strong>g auf: <strong>Die</strong><br />

Branchenversammlungen am 14. Februar nahmen die Arbeit nicht wieder auf und<br />

forderten e<strong>in</strong>e Lohnerhöhung um 20 Pfennig pro Stunde. <strong>Die</strong> beiden anderen Bremer<br />

B<strong>org</strong>ward-Werke, Goliath und Lloyd, schlossen sich dem Streik am selben Tag<br />

an.<br />

Bei Goliath hatte es bereits am Tag zuvor <strong>in</strong> zwei Abteilungen Arbeitsniederlegungen<br />

gegeben. <strong>Die</strong> Gewerkschaft unterstützte den Streik zu diesem Zeitpunkt<br />

noch nicht, angeblich weil man erst noch die Genehmigung des IG-Metall Hauptvorstands<br />

e<strong>in</strong>holen wollte. 166 Allerd<strong>in</strong>gs war das Verhalten der Bremer Gewerkschaftsleitung<br />

e<strong>in</strong> widersprüchliches. Karl Grobe berichtete, zusammen mit dem<br />

B<strong>org</strong>ward-Betriebsrat habe die Ortsverwaltung versucht, »die Kollegen ›zur Vernunft‹<br />

zu br<strong>in</strong>gen und erst die weiteren Verhandlungen abzuwarten«, gleichzeitig<br />

aber den Betriebsratsvorsitzenden der Goliath-Werke, Kle<strong>in</strong>e-Beck (<strong>KPD</strong>), aufgefordert,<br />

»den Kampf durchzuziehen«. 167 Das war <strong>in</strong> der Tat e<strong>in</strong> »merkwürdiges<br />

Spiel« 168, stimmt aber übere<strong>in</strong> mit der Darstellung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em wenige Tage später<br />

verfassten Bericht des <strong>KPD</strong>-Sekretariats an den Parteivorstand, <strong>in</strong> dem vermerkt<br />

wurde, es habe auf der Sitzung der Betriebsräte mit der Gewerkschaftsleitung am<br />

12. Februar 1951 e<strong>in</strong>en »besonderen H<strong>in</strong>weis an den Betriebsrat Goliath (Gen. Kle<strong>in</strong>e-Beck)<br />

zu beg<strong>in</strong>nen« gegeben. 169 Danach hätten also die kurzzeitigen Arbeitsniederlegungen<br />

bei Goliath am folgenden Tag die Rückendeckung der Gewerkschaft<br />

gehabt. Auch am M<strong>org</strong>en des 14. Februar, so der Bericht weiter, habe sich die Gewerkschaftsleitung<br />

h<strong>in</strong>ter die streikende Belegschaft gestellt. Tatsächlich schien also<br />

die Bremer Ortsverwaltung der IG Metall den Streik bei Goliath vorbehaltlos zu unterstützen,<br />

während sie im B<strong>org</strong>ward-Stammwerk eher zögerlich auftrat. <strong>Die</strong> Belegschaft<br />

beschloss am Nachmittag des 14. Februar 1951 dennoch, den Streik fortzusetzen<br />

und bildete e<strong>in</strong> Streikkomitee mit vier <strong>KPD</strong>- und sechs SPD-Mitgliedern sowie<br />

drei Parteilosen. 170 E<strong>in</strong> <strong>KPD</strong>-Sekretariatsmitglied sprach allerd<strong>in</strong>gs später von e<strong>in</strong>er<br />

»paritätischen Zusammensetzung« des Streikkomitees. 171<br />

Das Landessekretariat der <strong>KPD</strong> beschäftigte sich noch am selben Abend mit<br />

dem Streik. 172 Der Erste Sekretär Willy Knigge - dessen Ablösung wie die des ganzen<br />

Sekretariats zu diesem Zeitpunkt ja schon beschlossene Sache war und der das<br />

Sekretariat auf eben dieser Sitzung zustimmte - berichtete kurz vom Stand der D<strong>in</strong>ge<br />

und forderte, den Streik »mit aller Konsequenz« zu unterstützen. 173 Er kritisierte<br />

aber auch die schlechte »Verb<strong>in</strong>dung von Betrieb zu Parteileitung« und warf den<br />

»Genossen im Betrieb« Opportunismus und »Angst vor ›politischer Bee<strong>in</strong>flussung‹«<br />

vor. 174 Worauf konkret diese Vorwürfe beruhten, ist <strong>in</strong> dem Sitzungsproto-<br />

166 Vgl. Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O. S. 45.<br />

167 Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 113.<br />

168 So Karl Grobe, ebenda.<br />

169 An den Parteivorstand der <strong>KPD</strong>, Düsseldorf. Betrifft: Metallarbeiterstreik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/19.<br />

170 Nach Angaben vom Karl Grobe (Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 113).<br />

171 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

172 Ebenda und Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 113.<br />

173 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 14. Februar 1951 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

174 Ebenda.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 227<br />

koll nicht vermerkt, aber Knigge formulierte damit bereits am ersten Tag die Ziele<br />

des Sekretariats im Streik und die wesentlichen Aspekte der folgenden Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward. Das Sekretariat beschloss schließlich,<br />

»zwei Genossen zur Kontrolle der Maßnahmen und zur Hilfestellung <strong>in</strong> der Nähe<br />

des Betriebes bereitzustellen. Des weiteren ist das ganze Sekretariat während der<br />

Dauer des Streiks sofort zur Verfügung«. 175<br />

Das Sekretariat maß dem Metallarbeiterstreik, der zu diesem Zeitpunkt noch<br />

auf die drei B<strong>org</strong>ward-Betriebe beschränkt war, also e<strong>in</strong>e große Bedeutung zu. <strong>Die</strong><br />

bundesweite Relevanz für die <strong>KPD</strong> war offensichtlich: B<strong>org</strong>ward war e<strong>in</strong>er der<br />

größten Automobilkonzerne der Bundesrepublik, und der Streik war bundesweit<br />

der erste größere seit Verabschiedung der gewerkschaftspolitischen Resolution des<br />

Parteivorstandes im März 1950. Der <strong>KPD</strong> bot sich damit erstmals die Möglichkeit,<br />

lohnpolitische Bewegungen größeren Umfangs für das <strong>in</strong> der Resolution postulierte<br />

Primat der »nationalen Politik« zu nutzen. Es gelang ihr allerd<strong>in</strong>gs nicht, was <strong>in</strong> erheblichem<br />

Maße auch an der eigenen Betriebsgruppe bei B<strong>org</strong>ward lag.<br />

Angeblich hatte das Sekretariat <strong>in</strong> dieser Sitzung auch gefordert, »e<strong>in</strong>en ›Sitzstreik‹<br />

durchzuführen«. 176 In den Goliath-Werken hielten die Arbeiter den Betrieb<br />

bis zum Mittag des 15. Februar 1951 besetzt und versuchten tatsächlich, e<strong>in</strong>en Sitzstreik<br />

durchzuführen. 177 Bei B<strong>org</strong>ward habe Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann (<strong>KPD</strong>) mit e<strong>in</strong>er<br />

Gruppe weiterer Kollegen am M<strong>org</strong>en des 15. Februar ebenfalls versucht, den Betrieb<br />

zu besetzen und der »Anweisung der KP-Ltg.« zu folgen, »nach kurzer Rücksprache<br />

und kurzer Debatte« aber »die S<strong>in</strong>nlosigkeit dieser Parole« e<strong>in</strong>gesehen und<br />

den Betrieb wieder verlassen. 178 <strong>Die</strong> Betriebsgruppe hatte sich also - wenn auch offenbar<br />

zunächst nicht geschlossen - dem Sekretariat widersetzt. Karl Grobe schildert<br />

die daraus resultierende Ause<strong>in</strong>andersetzung so:<br />

»15. Febr.: Mittags Sitzung der KP-Funktionäre mit Knigge (KP-Pol.-Leit). Heftige Kontroverse.<br />

Wirft uns Opportunismus vor. Wir hätten die Betriebe besetzt halten müssen, dann hätte<br />

Bgw. [B<strong>org</strong>ward] die Polizei gerufen, dann wäre die Streikwirkung größer gewesen! Unsere<br />

Auffassung, die Kollegen wollen zunächst e<strong>in</strong>mal mehr Geld <strong>in</strong> der Lohntüte und ke<strong>in</strong>e Straßenschlachten,<br />

wird als typischer Opportunismus zurückgewiesen. Aber die Genossen aus<br />

den Betrieben waren anderer Me<strong>in</strong>ung und wenn man schon e<strong>in</strong> Streikkomitee bildet, dann<br />

muss die Entscheidung auch dort gefällt werden. Jedenfalls s<strong>in</strong>d die Gen. nicht Kn. [Knigges]<br />

Me<strong>in</strong>ung-.« 179<br />

Der Streik weitete sich, nachdem ihn die IG Metall anerkannt hatte, <strong>in</strong> der Folgezeit<br />

auf alle »Landbetriebe« der metallverarbeitenden Industrie <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> aus.<br />

175 Ebenda.<br />

176 So die Darstellung von Karl Grobe (Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S.<br />

113). In dem vorliegenden Sitzungsprotokoll f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e entsprechende Forderung nicht.<br />

177 An den Parteivorstand der <strong>KPD</strong>, Düsseldorf. Betrifft: Metallarbeiterstreik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/19;<br />

Karl Grobe schildert ähnliches: »Goliath streikt. Sitzstreik! Sehen aber die S<strong>in</strong>nlosigkeit e<strong>in</strong> und verlassen<br />

mittags das Werk.« (Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 113).<br />

178 So Karl Grobe (Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 113).<br />

179 Ebenda.


228<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

E<strong>in</strong> Arbeitgeberangebot e<strong>in</strong>er Lohnerhöhung um 10 Pfennig pro Stunde wurde am<br />

17. Februar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Urabstimmung mit 86,8 Prozent Ne<strong>in</strong>-Stimmen abgelehnt. 180<br />

Anlässlich des Arbeitgeberangebots und der Urabstimmung beschloss die <strong>KPD</strong>,<br />

e<strong>in</strong> eigenes Flugblatt an die streikenden Arbeiter herauszugeben, was die Betriebsgruppe<br />

aber wiederum ablehnte, »um die Streikfront nicht aufzusplittern«. 181 <strong>Die</strong>se<br />

Weigerung wurde später e<strong>in</strong> zentraler Kritikpunkt des Sekretariats an der Betriebsgruppe.<br />

<strong>Die</strong>se hatte die Auffassung vertreten, »dass es jetzt nicht Aufgabe der Partei<br />

se<strong>in</strong> kann <strong>in</strong> den Kampf e<strong>in</strong>zugreifen, sondern sie sollte e<strong>in</strong> Flugblatt an die Bevölkerung<br />

herausgeben«. 182 <strong>Die</strong>s war offenbar zunächst auch der geme<strong>in</strong>same Beschluss<br />

von Betriebsgruppe und Sekretariat, wurde aber »auf Veranlassung des PV.<br />

Vertreters, Gen. Rische, zurückgestellt«. 183 Warum der Parteivorstand die Herausgabe<br />

e<strong>in</strong>es Flugblattes an die Bevölkerung ablehnte, ist nicht klar. E<strong>in</strong>deutig aber<br />

war, dass die Parteileitung auf e<strong>in</strong>er direkten politischen Bee<strong>in</strong>flussung des Streiks<br />

bestand und damit <strong>in</strong> Konflikt zur Betriebsgruppe geriet.<br />

Zwei Tage später versuchte die Partei weiter, die Streikaktionen auszuweiten.<br />

Der SED-Instrukteur forderte, so die Schilderung von Grobe, die »sofortige E<strong>in</strong>berufung<br />

von Streikversammlungen, Bildung von neuen Streikkomitees184, Aktionen,<br />

Plakate, Öfftl. Versammlungen, Große Streikverslg. etc.« 185 Karl Grobes Kommentar<br />

verdeutlicht noch e<strong>in</strong>mal die gegensätzlichen Auffassungen zwischen Parteileitung<br />

und Betriebsgruppe:<br />

»Ke<strong>in</strong>e Ahnung und E<strong>in</strong>schätzung der wirklichen Kraft und Stärke der Partei. Durchführung<br />

dieser Aktionen und Parolen muss <strong>in</strong> dieser augenblicklichen Situation zur Isolierung und<br />

Sektiererei führen. Natürlich werden gegenteilige Auffassungen als opportunistische und titoistische<br />

Abweichungen gebrandmarkt«. 186<br />

Der Streik endete schließlich nach e<strong>in</strong>wöchiger Dauer am 21. Februar 1951 mit<br />

e<strong>in</strong>em Kompromiss, der e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Lohnerhöhung um 16 Pfennig pro Stunde<br />

vorsah. <strong>Die</strong>sem Ergebnis stimmten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Urabstimmung 59,7 Prozent der Metallarbeiter<br />

zu, 39,6 Prozent lehnten ihn ab. Am 22. Februar 1951 wurde die Arbeit <strong>in</strong><br />

den Betrieben wieder aufgenommen. 187<br />

180 Ebenda, S. 114.<br />

181 Ebenda, S. 113.<br />

182 So Karl Grobe auf der wenige Tage später tagenden Landesdelegiertenkonferenz (Diskussion von der<br />

Landesdelegiertenkonferenz am 25.2.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1).<br />

183 So Willy Knigge auf e<strong>in</strong>er Sekretariatssitzung am 21. Februar 1951 (Bericht von e<strong>in</strong>er Sitzung des Sekretariats<br />

am 21. Febr. 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6).<br />

184 Das zunächst von der Belegschaft gebildete Streikkomitee war nach Anerkennung des Streiks durch<br />

die IG Metall durch e<strong>in</strong>e zentrale Streikleitung ersetzt worden, der lediglich die Betriebsratsvorsitzenden<br />

angehörten.<br />

185 Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 114.<br />

186 Ebenda.<br />

187 Der Streik hatte im übrigen e<strong>in</strong> Nachspiel <strong>in</strong> der Bremischen Bürgerschaft und der IG Metall. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong><br />

hatte bereits während des Streiks <strong>in</strong> der Bürgerschaft die Bewilligung von 100.000 DM zur Unterstützung<br />

der Metallarbeiter beantragt. In der Verhandlung darüber am 15. März 1951 begründete der <strong>KPD</strong>-<br />

Abgeordnete He<strong>in</strong>rich Nolte diesen Antrag u.a. damit, dass die gewerkschaftliche Streikunterstützung<br />

nicht so hoch se<strong>in</strong> konnte, »dass e<strong>in</strong> völliger Ausgleich für die Löhne vorhanden war, so dass viele Arbeiterfamilien<br />

<strong>in</strong> bitterste Not gestürzt wurden« (Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 15.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 229<br />

Noch am Abend nach der Urabstimmung kommentierte Willy Knigge im <strong>KPD</strong>-<br />

Sekretariat das Ergebnis. E<strong>in</strong> »besseres Resultat« - das hieß: e<strong>in</strong>e Ablehnung des<br />

Angebots - wäre möglich gewesen, wenn sich die Partei aktiver bei Verteilung von<br />

eigenen Flugblättern gezeigt hätte. 188 Es war offensichtlich, dass er die Hauptverantwortungdafürden<strong>KPD</strong>-Funktionären<strong>in</strong>denBetriebenzumaß.<strong>Die</strong>sehätten<br />

»opportunistische Auffassungen« gezeigt wie z.B. »›<strong>Die</strong> Kollegen s<strong>in</strong>d noch nicht<br />

genügend geschult und haben seit 30 Jahren zum ersten Male e<strong>in</strong>en Streik geführt‹«.<br />

»Das ist Versöhnlertum«, so Knigge. 189<br />

<strong>Die</strong> Kontroverse offenbarte sich endgültig auf der drei Tage später folgenden<br />

Landesdelegiertenkonferenz, auf der die Auswertung des Metallarbeiterstreiks zum<br />

zentralen Thema wurde und die »Neuwahl« des Sekretariats <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund<br />

drängte. Hermann Gautier, neuer Erster Sekretär, stellte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat zunächst<br />

den gerade beendeten Metallarbeiterstreik als »besten Beweis« für die Möglichkeit<br />

der »Aktionse<strong>in</strong>heit zwischen sozialdemokratischen, kommunistischen und parteilosen<br />

Arbeitern« dar. 190 Er me<strong>in</strong>te damit vor allem die zu Beg<strong>in</strong>n des Streiks gebildeten<br />

betrieblichen Streikkomitees, die nach wenigen Tagen aufgelöst und durch<br />

e<strong>in</strong>e zentrale Streikleitung ersetzt worden waren. Gautier formulierte deutlich, <strong>in</strong><br />

welchem Zusammenhang diese »Aktionse<strong>in</strong>heit« und die Streikkomitees für die<br />

<strong>KPD</strong> von Bedeutung waren: »Es kommt jetzt darauf an, die im Kampf geschmiedete<br />

Aktionse<strong>in</strong>heit weiter zu festigen und auf e<strong>in</strong>e höhere Ebene des Kampfes um<br />

politische Forderungen [...] zu heben. <strong>Die</strong> gebildeten Streikausschüsse müssen <strong>in</strong><br />

Aktionsausschüsse gegen Remilitarisierung umgebildet werden...« 191 Der »entscheidende<br />

Fehler« während des Streiks habe dar<strong>in</strong> gelegen, »dass es der Partei<br />

nicht gelungen ist, den streikenden Metallarbeitern zum Bewusstse<strong>in</strong> zu br<strong>in</strong>gen,<br />

dass ihr Kampf um Lohnerhöhung e<strong>in</strong>e der wirksamsten Formen des Widerstandes<br />

gegen Remilitarisierung und Wiederaufrüstung ist.« 192 Gautiers Kritik, deren Tenor<br />

sich auch <strong>in</strong> der später veröffentlichen Resolution der Delegiertenkonferenz wieder-<br />

März 1951, S. 102). Der 2. IG Metall Bevollmächtigte und SPD-Abgeordnete Friedel Düßmann wies den<br />

Antrag scharf zurück und nutzte die Gelegenheit, um die <strong>KPD</strong> pauschal anzugreifen. Nolte - ebenfalls<br />

IG-Metall-Mitglied - bef<strong>in</strong>de sich mit diesem Antrag »auf e<strong>in</strong>em gewerkschaftsschädigenden Weg«.<br />

<strong>Die</strong> IG Metall könne »ihre Kämpfe« alle<strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzieren, Nolte wolle lediglich se<strong>in</strong> Ansehen bei der Parteileitung<br />

heben, die versucht habe, den Streik und die Gewerkschaften »<strong>in</strong> die Hand zu bekommen«<br />

(ebenda, S. 104). Oskar Schulze, Vorsitzender der Bremer IG Metall und SPD-Abgeordneter, griff Nolte<br />

ebenfalls scharf an: »Wir wissen, was die <strong>KPD</strong> aus diesem Streik machen wollte [...]. Sie wollte diesen<br />

Streik, weil er e<strong>in</strong>er der ersten größeren war, wahrnehmen, um ihn politisch auszunutzen. Dagegen<br />

werden sich die Gewerkschaften wehren. E<strong>in</strong> Lohn- und Tarifstreik ist e<strong>in</strong> Lohn- und Tarifstreik, und<br />

wer versucht, ihn <strong>in</strong> das politische Fahrwasser zu br<strong>in</strong>gen, verstößt gegen die gewerkschaftlichen<br />

Grundsätze. Das hat Herr Nolte getan.« (ebenda, S. 105). Der Antrag der <strong>KPD</strong> wurde erwartungsgemäß<br />

abgelehnt (ebenda, S. 106).<br />

188 Bericht von e<strong>in</strong>er Sitzung des Sekretariats am 21. Febr. 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

189 Ebenda.<br />

190 Bremer Metallarbeiterstreik bestätigt Wilhelm Pieck, Tribüne der Demokratie, 3./4.3.51.<br />

191 Ebenda.<br />

192 Ebenda.


230<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

fand, 193 traf vor allem die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward und deren Weigerung, e<strong>in</strong><br />

Flugblatt der Partei unter den Streikenden zu verteilen:<br />

»E<strong>in</strong>ige Genossen lehnten die Notwendigkeit ab, von der Partei aus an die streikenden Metallarbeiter<br />

e<strong>in</strong> Flugblatt herauszugeben, <strong>in</strong> dem die Partei zur Gesamtlage <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit<br />

dem Streik Stellung nehmen wollte. Sie begründeten ihre Haltung damit, dass die Partei sich<br />

<strong>in</strong> diesen Kampf nicht ›e<strong>in</strong>mischen‹ dürfe, da es sich um e<strong>in</strong>en von der Gewerkschaft sanktionierten<br />

Streik handele. Hier zeigt sich doch e<strong>in</strong>e Unterschätzung der Rolle der Partei. Selbstverständlich<br />

hat unsere Partei bei solchen Kämpfen doch den kämpfenden Arbeitern wie der<br />

übrigen Arbeiterschaft und der ganzen Bevölkerung etwas zu sagen. Wie sollte die Partei ihre<br />

führende Rolle verwirklichen, wenn es nicht möglich wäre, während e<strong>in</strong>er solchen Aktion laufend<br />

der Bevölkerung und den kämpfenden Arbeitern den Standpunkt unserer Partei <strong>in</strong> dieser<br />

oder jener Frage aufzuzeigen.« 194<br />

In der Diskussion der Delegiertenkonferenz am folgenden Tag stand wiederum<br />

der Metallarbeiterstreik im Mittelpunkt. Stellungnahmen kamen vor allem von<br />

Mitgliedern der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward, die sich gegen die Vorwürfe Gautiers<br />

verteidigten. 195 Dabei bestritten sie nicht die von Gautier postulierte Notwendigkeit<br />

der Politisierung des Streiks, lehnten aber Alle<strong>in</strong>gänge der <strong>KPD</strong> ab. Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>eman<br />

begründete die Haltung der Betriebsgruppe:<br />

»Es ist so, dass wenn e<strong>in</strong>e gewisse Bewegung ausgelöst wurde, man e<strong>in</strong>e gewisse Basis haben<br />

muss um die politische Zielsetzung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Wir waren der Auffassung, dass wir im<br />

ersten Moment dieses Kampfes versuchen mussten e<strong>in</strong>e geschlossene Kampffront zu bekommen.<br />

Wir fassten e<strong>in</strong>en Beschluss, dass die Streikkomitees versuchen sollen e<strong>in</strong> Flugblatt oder<br />

e<strong>in</strong>e Resolution herauszubr<strong>in</strong>gen, welches auf diese D<strong>in</strong>ge h<strong>in</strong>weisen sollte.« 196<br />

He<strong>in</strong>emann me<strong>in</strong>te außerdem, es sei teilweise sehr wohl gelungen, »den streikenden<br />

Metallarbeitern das Bewusstse<strong>in</strong> zu stärken«, und hob die <strong>in</strong>itiative Rolle<br />

der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe bei der Auslösung des Streiks hervor: »Wir waren richtunggebend.«<br />

197<br />

Andere argumentierten ähnlich. Erich Funke, Mitglied der Betriebsgruppe bei<br />

Lloyd, me<strong>in</strong>te, »dass wir <strong>in</strong> diesen Kampf e<strong>in</strong>getreten s<strong>in</strong>d, um nicht e<strong>in</strong>e Welt zu<br />

verändern, sondern aus wirtschaftlichen Gründen. Ich denke, wir haben zu oft den<br />

10. Schritt getan, ehe wir den ersten taten«. 198 Hans Meyer, Mitglied der Betriebsgruppe<br />

B<strong>org</strong>ward und später Sekretär für Arbeit und Soziales:<br />

»Ich b<strong>in</strong> der Auffassung: ›Es führen mehrere Wege nach Rom‹. Wenn die Verhältnisse des Betriebes<br />

nicht dafür geschaffen s<strong>in</strong>d, die Menschen zu dieser Abstimmung [gegen die Remilitarisierung;<br />

HB] zu bewegen, dann glaube ich, ist [...] die größte Bewegung im Kampf gegen die<br />

Remilitarisierung die Aktion selbst«. 199<br />

Den schärfsten Widerspruch zu Hermann Gautier formulierte Karl Grobe, bis<br />

zu dieser Landesdelegiertenkonferenz selbst noch Mitglied des Sekretariats:<br />

193 Für die friedliche Lösung der deutschen Frage, Tribüne der Demokratie, 28.2.1951.<br />

194 Bremer Metallarbeiterstreik bestätigt Wilhelm Pieck, Tribüne der Demokratie, 3./4.3.51.<br />

195 Diskussion von der Landesdelegiertenkonferenz am 25.2.51, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/1.<br />

196 Ebenda.<br />

197 Ebenda.<br />

198 Ebenda.<br />

199 Ebenda.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 231<br />

»Der Gen. Gautier sagte gestern <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat, dass die Betr.Gruppe B<strong>org</strong>ward auf dem<br />

Standpunkt steht, dass erst der wirtschaftliche und dann der politische Kampf geführt werden<br />

muss. Das ist nicht der Fall und ich frage den Gen. Knigge, der <strong>in</strong> letzter Zeit wiederholt <strong>in</strong><br />

der Betriebsgruppe war, ob er diese Tendenz bei uns festgestellt hat. Wenn man im Sekretariat<br />

weiß, dass diese Tendenz schon lange bei uns herrscht, dann ist es me<strong>in</strong>er Ansicht nach e<strong>in</strong><br />

großes Versäumnis der Parteileitung, dass sie sich nicht schon lange darum gekümmert hat.<br />

[...] Man soll nicht die eigenen Fehler und Schwächen auf die Betriebsgruppen abwälzen«. 200<br />

Grobe betonte die <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Augen besondere Bedeutung des betrieblichen<br />

Streikkomitees h<strong>in</strong>sichtlich der Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten und Parteilosen.<br />

Das entscheidende sei gewesen, »mit ihnen zu e<strong>in</strong>er geschlossenen Handlung«<br />

zu kommen:<br />

»Es wäre falsch gewesen, wenn wir gesagt hätten, wir machen jetzt die Aktionse<strong>in</strong>heit unter<br />

Führung der Kommunisten. Wir müssen danach trachten, dass wir uns das Vertrauen der<br />

Kollegen durch unsere gute Haltung err<strong>in</strong>gen und somit zur Führung kommen. [...] Wir waren<br />

uns darüber im klaren, dass wir im Streikkomitee e<strong>in</strong>es Tages zu politischen Diskussionen<br />

kommen werden. Aber wir wollten diese Diskussionen, die sehr wahrsche<strong>in</strong>lich zu e<strong>in</strong>em<br />

Bruch geführt hätten, auch nicht heraufprovozieren.« 201<br />

<strong>Die</strong> Differenzen waren auf der Landesdelegiertenkonferenz also sehr deutlich<br />

geworden. Schärfster Opponent des Sekretariats, dem er bis dah<strong>in</strong> selbst noch angehört<br />

hatte, war Karl Grobe, was sich <strong>in</strong> der Zeit zuvor schon angedeutet hatte.<br />

Grobe war bereits anlässlich des III. Parteitags der SED und seit den Maßregelungen<br />

gegen Hermann Gautier und Wilhelm Meyer-Buer im August 1950 <strong>in</strong> Widerspruch<br />

zur neuen L<strong>in</strong>ie der Partei geraten. Seit dieser Ause<strong>in</strong>andersetzung war<br />

Grobe den Sekretariatssitzungen meistens unentschuldigt ferngeblieben, nahm se<strong>in</strong>e<br />

Aufgaben als Sekretariatsmitglied also nicht mehr wahr. 202 Das übrige Sekretariat<br />

führte deshalb e<strong>in</strong>ige Aussprachen mit ihm, 203 ergriff aber ke<strong>in</strong>e weiteren Maßnahmen,<br />

vermutlich, weil zu diesem Zeitpunkt die »Neuwahlen« und die Ablösung<br />

des gesamten Sekretariats ohneh<strong>in</strong> unmittelbar bevorstanden. Nach dem Metallarbeiterstreik<br />

und der Landesdelegiertenkonferenz blieb Grobe zunächst noch Mitglied<br />

der <strong>KPD</strong>. Er zahlte jedoch ke<strong>in</strong>e Beiträge mehr und trat schließlich im Juli<br />

1952 aus der Partei aus. 204<br />

<strong>Die</strong> auf der Landesdelegiertenkonferenz erstmals zu Tage getretenen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

eskalierten <strong>in</strong> der Folgezeit. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward wurde<br />

zum Brennpunkt <strong>in</strong>nerparteilicher Diskussionen und Gegensätze, oder, wie es Willy<br />

Meyer-Buer aus se<strong>in</strong>er Sicht 1952 ausdrückte: »<strong>Die</strong> Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward ist<br />

seit Jahr und Tag der Pfuhl aller derer, die parteife<strong>in</strong>dliche Tendenzen vertreten.«<br />

205<br />

200 Ebenda.<br />

201 Ebenda.<br />

202 Vgl. die Sekretariatsprotokolle <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

203 Protokoll von der Sekretariatssitzung am 27. Dezember 1950, <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/5.<br />

204 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 31. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

205 Landesleitungssitzung am 11. Mai 1952; <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.


232<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

Besonders im Zusammenhang mit den Säuberungskampagnen 1951/52 stand<br />

auch die B<strong>org</strong>ward-Betriebsgruppe im Zentrum der Kritik, und ihre leitenden Mitglieder<br />

wurden immer wieder des »Opportunismus« bezichtigt.<br />

Offen angegriffen wurde die Betriebsgruppe auf der Kreisdelegiertenkonferenz<br />

am 9. März 1952. Das Hauptreferat der Konferenz - wahrsche<strong>in</strong>lich gehalten vom<br />

Ersten Kreissekretär - beschäftigte sich ausgiebig mit den »Problemen des Kampfes<br />

gegen den Opportunismus«. 206 <strong>Die</strong> dar<strong>in</strong> geäußerte Kritik an der Betriebsgruppe<br />

B<strong>org</strong>ward basierte wiederum auf dem Streitpunkt um die Frage nach der Durchsetzbarkeit<br />

politischer Ziele <strong>in</strong> den Betrieben. <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>schätzung der dortigen Situation<br />

war mehr als optimistisch und maß der <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e Vorreiterrolle zu:<br />

»Ohne dass wir die Situation <strong>in</strong> den Betrieben überschätzen, können wir sagen, dass die Arbeiter<br />

<strong>in</strong> ganz Westdeutschland bereit s<strong>in</strong>d, gegen Adenauers Pläne das Mittel des politischen<br />

Massenstreiks e<strong>in</strong>zusetzen. [...] Unsere Partei kann mit Stolz sagen, dass sie <strong>in</strong> dieser Bewegung<br />

die führende Kraft war und ist. Wo unsere Partei sich nicht an die Spitze des Kampfes<br />

gestellt hat, wo Genossen die Kampfbereitschaft der Arbeiter unterschätzten [...], wo unsere<br />

Genossen dem Kampf auswichen oder ihn gar sabotierten, da kam es noch nicht und konnte<br />

es auch noch nicht zu den Streikbewegungen kommen.« 207<br />

Verantwortlich für das bisherige Ausbleiben von »politischen Massenstreiks«<br />

und das Scheitern der <strong>KPD</strong>-Politik waren also die widerspenstigen Betriebsgruppen.<br />

Im folgenden nannte der Autor die <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Augen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> dafür Verantwortlichen,<br />

nämlich - im wesentlichen - die leitenden Funktionäre der B<strong>org</strong>ward-<br />

Betriebsgruppe:<br />

»S<strong>in</strong>d diese verderblichen Auffassungen, die uns <strong>in</strong> den Bremer Betrieben geh<strong>in</strong>dert haben,<br />

den Kampf gegen die Kriegspolitik Adenauers <strong>in</strong> Aktionen überzuleiten, nicht durch die EntwicklungdesletztenhalbenJahrestreffendwiderlegtworden?WassagendennnundieGenossen<br />

Karl Grobe, Paul Kratsch, Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann von B<strong>org</strong>ward [...] ? S<strong>in</strong>d sie bereit, ihre<br />

opportunistischen Auffassungen und Handlungen wenigstens e<strong>in</strong>zusehen und bereit, sie zu<br />

korrigieren oder s<strong>in</strong>d sie immer noch der Me<strong>in</strong>ung, den Kampf gegen die Remilitarisierung<br />

könne man nicht <strong>in</strong> ihrem Betrieb führen? [...] Der Opportunismus und das Sektierertum von<br />

Genossen äußert sich gerade <strong>in</strong> dieser entscheidenden Frage.« 208<br />

Den drei direkt Angesprochenen wurde außerdem private und politische Kontakte<br />

zu Re<strong>in</strong>hold Popall v<strong>org</strong>eworfen:<br />

»In e<strong>in</strong>em Artikel209 hat vor e<strong>in</strong>igen Wochen der Genosse Konetzka den Weg Re<strong>in</strong>hold Popalls<br />

aufgezeigt und dabei die Genossen aufgefordert, die Gast waren bei Popall [...], sich zu<br />

äußern. Es kann doch niemand behaupten wollen, dort habe man sich über das Wetter oder<br />

über die nächste Kartoffelernte unterhalten. <strong>Die</strong> Genossen Karl Grobe, Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann,<br />

Paul Kratsch [...] haben sich bisher noch nicht geäußert [...]. <strong>Die</strong> Partei ist verpflichtet, von allen<br />

Genossen, die ständigen Kontakt mit solch e<strong>in</strong>em Genossen wie Re<strong>in</strong>hold Popall hatten,<br />

206 Zu den Problemen des Kampfes gegen den Opportunismus und des Sektierertums (handschriftlicher Vermerk:<br />

»Teil e<strong>in</strong>es Referats auf der Kreisdelegiertenkonferenz <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 9.3.52«), <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/15.<br />

Der Autor des Referats ist nicht genannt. Üblich war aber auf solchen Delegiertenkonferenzen, dass<br />

das Referat vom Ersten Sekretär gehalten wurde.<br />

207 Ebenda, S. 3.<br />

208 Ebenda, S. 4f.<br />

209 <strong>Die</strong> Re<strong>in</strong>igung der <strong>KPD</strong> von Opportunisten und Parteife<strong>in</strong>den ist die Voraussetzung für ihren Sieg!, Tribüne<br />

der Demokratie, 16./17.2.1952.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 233<br />

e<strong>in</strong>e klare Stellungnahme zu hören. [...]. Teilen diese genannten Genossen die opportunistischen<br />

Auffassungen Re<strong>in</strong>hold Popalls, oder was haben sie getan, um ihn von se<strong>in</strong>em verhängnisvollen<br />

Weg abzubr<strong>in</strong>gen. Dass die Genossen bis heute geschwiegen haben, sche<strong>in</strong>t aber<br />

zu beweisen, dass es ihre Argumente ebenfalls s<strong>in</strong>d. Während e<strong>in</strong>er Silvesterfeier sagte e<strong>in</strong>er<br />

dieser Genossen: ›Man gut, dass das nicht auf Tonband aufgenommen wurde, was hier<br />

heute Abend gesagt worden ist‹.« 210<br />

<strong>Die</strong> Säuberungskampagne hatte die Betriebsgruppen erreicht, mehr noch: Zum<strong>in</strong>dest<br />

e<strong>in</strong>ige ihrer e<strong>in</strong>flussreichsten Vertreter, besonders die von B<strong>org</strong>ward, standen<br />

im Mittelpunkt der Opportunismus-Vorwürfe. Es dürfe, so e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied<br />

im Juli 1952, im »Kampf gegen den Opportunismus« nicht nur zu Popall Stellung<br />

genommen werden,<br />

»es muss <strong>in</strong>sbes. zu dem Stand der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward Stellung genommen werden.<br />

Dort ist die Auswirkung solcher Tendenzen am stärksten [...]. In die Landesleitung kann man<br />

nicht nur den Fall Popall h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>tragen, sondern generell den Kampf führen und die Namen<br />

nennen wo sie sitzen, dann werden die Genossen es begreifen und wir werden vorankommen.«<br />

211<br />

Zu Parteiverfahren kam es jedoch nicht. Karl Grobe, der im Mittelpunkt der<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen gestanden hatte und dem im Sekretariat weiterh<strong>in</strong> Vorwürfe<br />

gemacht wurden - z.B. die angebliche Verwendung von »Tito-Material« für die<br />

<strong>KPD</strong>-Betriebszeitung bei B<strong>org</strong>ward -212 trat im Juli 1952 aus der Partei aus.<br />

Der Rest der Betriebsgruppe wehrte sich weiter gegen die Kritik und öffentliche<br />

Anprangerung und kritisierte ihrerseits das Sekretariat. Auf e<strong>in</strong>em »Generalmitgliederappell«,<br />

d.h. e<strong>in</strong>er Vollversammlung der Betriebsgruppe, unter der Leitung<br />

des Sekretariatsmitglieds Herbert Breidbach Ende Juli 1952 wurde diese Kritik sehr<br />

deutlich geäußert. In Breidbachs Bericht heißt es:<br />

»Der Gen. Paul Kratsch sagte, es ist nicht richtig, jedes D<strong>in</strong>g personeller Art <strong>in</strong> die Zeitung zu<br />

br<strong>in</strong>gen und sich gegenseitig fertigzumachen. Im letzten Jahr s<strong>in</strong>d viele solcher D<strong>in</strong>ge geschehen<br />

und sehr oft immer erst dann, wenn es bereits zu spät war. [...Später] sprach er davon,<br />

dass die Leitungen ohne dass sich junge Genossen bewähren, diese zu schnell <strong>in</strong> höhere Funktionen<br />

der Partei br<strong>in</strong>gen. 213<br />

<strong>Die</strong> Kritik richtete sich also nicht nur gegen den Umgang mit der Betriebsgruppe<br />

und hatte ihre Ursachen offensichtlich auch <strong>in</strong> den neuen Organisationsstrukturen<br />

und dem seit der Landesdelegiertenkonferenz latenten Generationsproblem <strong>in</strong><br />

der Partei. <strong>Die</strong> übrigen anwesenden Genossen, so Breidbach, unterstützten Paul<br />

Kratsch:<br />

»Sie s<strong>in</strong>d der Ansicht, es fehlt das richtige Verhältnis zwischen Landesleitung, Kreisleitung<br />

und Betriebsgruppe. <strong>Die</strong> Genossen dieser Leitungen kommen mit e<strong>in</strong>er ›v<strong>org</strong>efassten‹ Me<strong>in</strong>ung<br />

zur Betriebsgruppe und sie fordern, dass endlich das Landes-Sekretariat und auch das<br />

Kreissekretariat <strong>Bremen</strong> wirklich selbstkritisch zu ihrer Arbeit Stellung nehmen [...].<br />

Es gab so noch e<strong>in</strong>e ganze Reihe D<strong>in</strong>ge, über die Genossen Popall, Grobe, Kratsch, He<strong>in</strong>emann<br />

usw. und immer wieder kam zum Ausdruck, man hat uns falsch behandelt von der Landeslei-<br />

210 Zu den Problemen des Kampfes, a.a.O., S. 8.<br />

211 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 17. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

212 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 9. April 1952 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

213 Über die Durchführung des General-Mitgliederappells bei B<strong>org</strong>ward, [28.7.52], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.


234<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

tung, kle<strong>in</strong>e Fehler unsererseits hat man nicht kameradschaftlich mit uns durchgesprochen,<br />

sondern gleich als Opportunismus usw. h<strong>in</strong>gestellt, um zugleich eigene Fehler zu verdecken.<br />

Ich fragte sie, warum sie nicht jedes Mal, wenn ihrer Ansicht nach etwas falsch gemacht würde<br />

von der Leitung sofort durch e<strong>in</strong>e offene Kritik <strong>in</strong> der Partei oder <strong>in</strong> der Presse Stellung<br />

nähmen. Sie w<strong>in</strong>kten ab und me<strong>in</strong>ten, das hätten sie ja immer getan, aber das sei zwecklos.<br />

[...] Alle Genossen, die dort anwesend waren [...] haben e<strong>in</strong>e v<strong>org</strong>efasste Me<strong>in</strong>ung gegen die<br />

Landes- und Kreisleitung <strong>Bremen</strong>. Sie s<strong>in</strong>d der Ansicht, dass diese Leitungen nichts oder nur<br />

sehr wenig von Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit verstehen, ihnen deshalb oft unrichtige<br />

Aufgaben stellten und dadurch dazu beitrugen, dass ihre e<strong>in</strong>stmals so starke Betriebsgruppe<br />

heute so daniederliegt.« 214<br />

Deutlicher konnte die Unzufriedenheit mit den Parteileitungen nicht formuliert<br />

werden. Es war e<strong>in</strong>e pr<strong>in</strong>zipielle Opposition gegen die Politik und Struktur der Leitungsgremien<br />

wie auch gegen die mangelnde <strong>in</strong>nerparteiliche Demokratie. H<strong>in</strong>zu<br />

kamen die Probleme der Betriebsgruppe mit dem Primat der Deutschlandpolitik,<br />

die Herbert Breidbach, als Vertreter des Sekretariats, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung als wesentlich<br />

betrachtete:<br />

»Ich sehe die tieferen Ursachen (das kam allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> dieser Besprechung nicht klar zum<br />

Ausdruck) dafür dar<strong>in</strong>, dass diese Genossen, unklar <strong>in</strong> den Fragen der nationalen Politik unserer<br />

Partei, vor Aufgaben, die sich daraus für sie ergaben, zurückwichen. Als daraufh<strong>in</strong> die<br />

Kritik durch übergeordnete Leitungen e<strong>in</strong>setzte, nahmen sie diese nicht sachlich und selbstkritisch<br />

an und versuchten, ihre Schwächen zu überw<strong>in</strong>den, sondern betrachteten diese Kritik<br />

als e<strong>in</strong>e persönliche. Sie g<strong>in</strong>gen dann nicht den Weg der offenen Aussprache <strong>in</strong> Mitgliederversammlungen,<br />

Betriebsarbeiterzusammenkünften usw., sondern machten ihrem Ärger und ihren<br />

falschen Auffassungen <strong>in</strong> Zusammenkünften außerhalb der Partei mit anderen zur Arbeit<br />

der Landesleitung gleichfalls negativ e<strong>in</strong>gestellten Genossen Platz.« 215<br />

Breidbachs Vorschläge zum weiteren Umgang mit diesen Unzufriedenheiten<br />

verdeutlichten, dass das Sekretariat nicht gewillt war, die von der Betriebsgruppe<br />

e<strong>in</strong>geforderte Dialogbereitschaft zu zeigen:<br />

»Me<strong>in</strong>er Ansicht nach wird hier nicht das helfen, was die Genossen selbst immer wieder vorschlagen,<br />

nämlich persönliche Aussprachen mit ihnen über all die D<strong>in</strong>ge, mit denen sie nicht<br />

klarkommen. Ich würde vorschlagen, e<strong>in</strong>en starken Genossen für diesen Betrieb für längere<br />

Zeit als ständigen Instrukteur verantwortlich zu machen. In den kommenden Funktionärssitzungen,<br />

Mitgliederversammlungen und auf den Schulungsabenden ist dann äußerstes Gewicht<br />

auf die ständige [...] Diskussion über die nationale Politik der Partei zu legen und <strong>in</strong> jeder<br />

dieser Sitzungen s<strong>in</strong>d daraus sich ergebende konkrete zunächst kle<strong>in</strong>e Aufgaben den Genossen<br />

als Beschlüsse zu übertragen. Nur über diesen Weg der politischen Weiterentwicklung<br />

und des systematischen Heranführens an die Arbeit kann m.E. nach bei B<strong>org</strong>ward der jetzige<br />

schlechte Zustand überwunden werden.« 216<br />

E<strong>in</strong> solcher Umgang mit der Problematik - kontrollierend, adm<strong>in</strong>istrativ und belehrend<br />

- war genau das V<strong>org</strong>ehen, das die Betriebsgruppe am Sekretariat kritisierte.<br />

<strong>Die</strong>se Unflexibilität gegenüber den Belangen der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward war<br />

allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der Landesleitung und auch im Sekretariat nicht unumstritten. Es kam<br />

214 Ebenda.<br />

215 Ebenda.<br />

216 Ebenda.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 235<br />

auch hier vere<strong>in</strong>zelt zur Kritik am Umgang mit der B<strong>org</strong>ward-Betriebsgruppe. Auf<br />

e<strong>in</strong>er Landesleitungssitzung am 11. Mai 1952, <strong>in</strong> der es im wesentlichen um den Fall<br />

Popall und die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward g<strong>in</strong>g, äußerten e<strong>in</strong>ige Leitungsmitglieder<br />

diese Kritik. Bob Freg<strong>in</strong> forderte e<strong>in</strong>e Anerkennung der positiven Arbeit der Betriebsgruppe<br />

und machte auch dem Sekretariat Vorwürfe:<br />

»Dem Genossen He<strong>in</strong>emann ist es gelungen, e<strong>in</strong>ige B<strong>org</strong>ward-Kollegen zu DDR zu schicken.<br />

Ich will damit zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen, dass wenn die Betriebsgruppen gute Arbeit leisten,<br />

diese auch anerkannt wird. Wenn e<strong>in</strong> Genosse e<strong>in</strong>e gute Arbeit getan hat, muss man sie auch<br />

anerkennen. Lieber zweimal als überhaupt nicht. Der sogenannte Holzhammer muss verschw<strong>in</strong>den.<br />

Wenn e<strong>in</strong> Genosse vom Landes-Sekr. <strong>in</strong> die Betriebsgruppensitzungen geht, muss<br />

er mit den Genossen ausgiebig diskutieren und nicht, wie es der Genosse Willi Meyer-Buer<br />

gesagt hat, also Genossen, ich habe heute nicht viel Zeit, das muss schnell gehen, hält e<strong>in</strong> pol.<br />

Referat und ist dann wieder verschwunden. Ich wundere mich nicht, wenn wir nach e<strong>in</strong>em<br />

Jahr dann nur noch <strong>in</strong>aktive Genossen haben <strong>in</strong> der Betriebsgruppe.« 217<br />

Mehr Diskussions- und Dialogbereitschaft forderte auch Albert Oltmanns, der<br />

zuvor bereits den Umgang mit den Popalls kritisiert hatte:<br />

Ȁhnlich liegen die D<strong>in</strong>ge mit der Frage der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward. Ich sprach gestern mit<br />

dem Genossen Paul Kratsch. Es handelt sich hier um die Betriebszeitung ›Der Sche<strong>in</strong>werfer‹.<br />

Sie hatten ihre Manuskripte e<strong>in</strong>gereicht. <strong>Die</strong> Kreisleitung war hiermit nicht e<strong>in</strong>verstanden und<br />

die Betriebsgr. bekam von Erich Funke e<strong>in</strong> Schreiben, dass sie Betriebsgruppenzeitung nicht<br />

ersche<strong>in</strong>en kann. Das ist vor 8 Wochen passiert. Solange schon kommt ke<strong>in</strong>e Zeitung heraus.<br />

Vorher ist die Zeitung <strong>in</strong> großen Auflagen verteilt worden. Der Genosse Erich Funke hat nicht<br />

geschrieben, was sie falsch gemacht haben. Man soll hier viel vorsichtiger se<strong>in</strong> und muss anders<br />

mit den Genossen <strong>in</strong> den Betrieben diskutieren und sprechen. Man darf auch nicht sagen,<br />

wie der Gen. Willi Meyer-Buer, dass die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward e<strong>in</strong> Sumpf wäre. Das ist<br />

falsch. Man kann nicht alle B<strong>org</strong>ward-Genossen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Topf werfen.« 218<br />

Oltmanns, zu diesem Zeitpunkt immerh<strong>in</strong> Zweiter Landessekretär und für Kaderfragen<br />

zuständig, bekräftigte diese zum<strong>in</strong>dest differenziertere und selbstkritische<br />

Me<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sekretariatssitzung am 31. Juli 1952, wenige Tage nach der<br />

geschilderten Sitzung mit der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward, an der auch Oltmanns<br />

teilgenommen hatte:<br />

»Es wird viel das Wort, das ist Opportunismus geprägt, aber wir haben unseren Genossen<br />

noch nicht gesagt, wor<strong>in</strong> der Opportunismus sich ausdrückt. Wenn wir jetzt am Montag die<br />

Aussprache mit den Genossen von der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward hatten, zeigt sie uns, dass<br />

wir <strong>in</strong> der Vergangenheit e<strong>in</strong>ige D<strong>in</strong>ge nicht gesehen haben.« 219<br />

<strong>Die</strong> »Entwicklung des Kampfes gegen Opportunismus«, so Oltmanns weiter, »können<br />

wir nur entwickeln, wenn wir die Kritik von unten nach oben fördern«. 220 Das<br />

war e<strong>in</strong>e zum<strong>in</strong>dest teilweise Anerkennung der pr<strong>in</strong>zipiellen Berechtigung der Kritik<br />

durch die B<strong>org</strong>ward-Betriebsgruppe. In der E<strong>in</strong>schätzung des Verhaltens der Betriebsgruppe<br />

als »Opportunismus« bestand im Sekretariat E<strong>in</strong>igkeit, une<strong>in</strong>s war<br />

man sich über den daraus resultierenden Umgang mit der Problematik. Wilhelm<br />

217 Landesleitungssitzung am 11. Mai 1952; <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.<br />

218 Ebenda.<br />

219 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 31. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

220 Ebenda.


236<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

Meyer-Buer monierte, man könne mit der Betriebsgruppe ke<strong>in</strong>e Beratung »über<br />

Opportunismus und Parteife<strong>in</strong>dlichkeit führen, ohne dass das Sekretariat e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche<br />

Me<strong>in</strong>ung hat«. 221<br />

Meyer-Buer war der für die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward zuständige Sekretär 222<br />

und offensichtlich auch ihr schärfster Kritiker Karl Grobe hatte ihm sogar die<br />

Hauptverantwortung für die Ause<strong>in</strong>andersetzungen zugewiesen (»Meyer-Buer hat<br />

die ganze Betriebsgruppe zerschlagen«) 223. In dieser Sekretariatssitzung musste er<br />

jedoch Kritik h<strong>in</strong>nehmen. V<strong>org</strong>eworfen wurde ihm mangelnde Selbstkritik und e<strong>in</strong><br />

zu »persönliches Angehen« der Diskussion. Albert Oltmanns me<strong>in</strong>te zum Verhalten<br />

Meyer-Buers auf der Betriebsgruppensitzung: »Ich hatte den E<strong>in</strong>druck, Willi, als<br />

wenn du schlachten wolltest«. 224<br />

<strong>Die</strong> Differenzen im Sekretariat konnten jedoch die generellen Streitpunkte mit<br />

der Betriebsgruppe seit dem Metallarbeiterstreik nicht verdecken. Der Vorwurf des<br />

Opportunismus und der Nichtakzeptanz des Primats der politischen Ziele stand<br />

seitens der Parteileitung. <strong>Die</strong> Repräsentanten der Betriebsgruppe blieben bei ihrer<br />

E<strong>in</strong>stellung, die dieses Primat im wesentlichen ja nicht leugnete, aber die Durchsetzungsfähigkeit<br />

im Betrieb bezweifelte. Inwieweit diese Opposition der leitenden<br />

Funktionäre <strong>in</strong>nerhalb der Betriebsgruppe Konsens war, lässt sich nicht sagen.<br />

Festzustellen waren aber die Folgen der Ause<strong>in</strong>andersetzung. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte mit<br />

Karl Grobe e<strong>in</strong>en ihrer anerkanntesten und beliebtesten Funktionäre bei B<strong>org</strong>ward<br />

verloren, der se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auch nach se<strong>in</strong>em Austritt behielt. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe<br />

selbst wurde durch die Entwicklungen stark geschwächt, wofür auch die erwähnten<br />

H<strong>in</strong>weise auf die »daniederliegende« Betriebsgruppe und die »Zerschlagung«<br />

sprechen. Es gibt auch H<strong>in</strong>weise auf e<strong>in</strong>en starken Mitgliederverlust und e<strong>in</strong>e zunehmende<br />

Passivität. Bei der geschilderten Mitgliederversammlung im Juli 1952<br />

waren lediglich zehn Mitglieder anwesend. Der Bericht behauptete, dies seien etwa<br />

30 Prozent der Gesamtmitgliedschaft, die sich demnach auf nur noch etwa 30 gegenüber<br />

80 im Februar 1951 belaufen hätte. Auch wenn diese Zahlen vermutlich so<br />

nicht zutreffen, <strong>in</strong>dizieren sie dennoch zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>en starken Rückzug der <strong>KPD</strong>-<br />

Mitglieder bei B<strong>org</strong>ward aus der aktiven Arbeit.<br />

Schwer zu beurteilen ist, <strong>in</strong>wieweit die partei<strong>in</strong>ternen Ause<strong>in</strong>andersetzungen,<br />

die Diskussionen um die These 37, die personelle Ausdünnung der Betriebsgruppe<br />

oder auch der Parteiaustritt von Karl Grobe Auswirkungen auf die Stellung der<br />

Partei im Betrieb hatten. Bei den Betriebsratswahlen im April 1953 gelangte Erw<strong>in</strong><br />

He<strong>in</strong>emann wieder <strong>in</strong> den Betriebsrat. 225 Bei der vorhergehenden Wahl des Vertrauensmännerkörpers<br />

waren elf <strong>KPD</strong>-Mitglieder gewählt worden. 226 Auch hier<br />

zeigte sich, dass Kommunisten trotz der Parteipolitik und der Gegenmaßnahmen<br />

der IG Metall <strong>in</strong> die gewerkschaftlichen Funktionen gewählt wurden. <strong>Die</strong>s galt vor<br />

221 Ebenda.<br />

222 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 2.<br />

223 Landesleitungssitzung am 11. Mai 1952; <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.<br />

224 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 31. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

225 Vgl. Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 100.<br />

226 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> [18.4.53], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 237<br />

allem für Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann, der wie schon 1951 auch bei dieser Wahl von se<strong>in</strong>er<br />

Abteilung als Kandidat durchgesetzt und als Vertrauensmann gewählt wurde, trotz<br />

der Versuche von Gewerkschaftsleitung und Betriebsrat, die Kandidatur von der<br />

Unterschrift des Revers zur These 37 abhängig zu machen. 227<br />

<strong>Die</strong> Reversfrage war <strong>in</strong> den Jahren 1953 und 1954 e<strong>in</strong>es der Hauptthemen der<br />

weiter schwelenden Differenzen zwischen der Betriebsgruppe und dem Sekretariat.<br />

228 Daneben blieben aber auch die grundsätzlichen Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten<br />

und Konflikte weiter deutlich. Immer wieder gab es Besprechungen zwischen Sekretariat<br />

und Betriebsgruppe, bei denen sich »sozusagen 2 Lager gegenüber gestanden«<br />

hätten, wie es e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied 1953 ausdrückte. 229 1954 bezeichnete<br />

Hermann Gautier die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward als »politisch krank«. Es gebe <strong>in</strong><br />

der Gruppe die Tendenz, »dass niemand daran glaubt, dass wir was erreichen können«.<br />

230 Allerd<strong>in</strong>gs wurden im Sekretariat auch immer noch Me<strong>in</strong>ungen geäußert,<br />

die der Betriebsgruppe trotz der <strong>in</strong>haltlichen Gegensätze zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> Recht auf<br />

Kritik e<strong>in</strong>räumten und weiter den Dialog mit ihr forderten. He<strong>in</strong>rich Reichel me<strong>in</strong>te<br />

Anfang 1954 - kurz nachdem das Sekretariat e<strong>in</strong>e erneute Überprüfung der Betriebsgruppe<br />

B<strong>org</strong>ward beschlossen hatte -, er sehe »e<strong>in</strong>e ganze Reihe berechtigter<br />

Kritik von Seiten der Betriebsgruppe«:<br />

»Es ist e<strong>in</strong>e Unterlassungssünde von der LL und KL, dass wir auf die Kritiken [...] nicht e<strong>in</strong>gegangen<br />

[s<strong>in</strong>d]. Ich b<strong>in</strong> der Me<strong>in</strong>ung, auf der Betriebsgruppensitzung muss zu drei D<strong>in</strong>gen gut<br />

untermauert Stellung genommen werden: 1.) 17. Juni, 2.) These 37, 3.) Frage der Leitung. Nur<br />

wenn unsere Genossen, die dazu sprechen, sich leiten lassen von e<strong>in</strong>er kameradschaftlichen<br />

Art und Weise besteht die Möglichkeit, den anderen Genossen aufzuzeigen, dass sie mit ihrer<br />

E<strong>in</strong>stellung im Unrecht s<strong>in</strong>d. H.[e<strong>in</strong>emann] u. K.[ratsch] (B<strong>org</strong>ward) haben <strong>in</strong> die Diskussionen<br />

D<strong>in</strong>ge gebracht, die direkt an Parteife<strong>in</strong>dlichkeit grenzen und wir müssen es <strong>in</strong> der Aussprache<br />

verstehen, diese Genossen <strong>in</strong> der Argumentation von den anderen zu trennen. Das<br />

bedeutet, dass wir selbstkritisch zu den Fehlern, die von der Leitung gemacht worden s<strong>in</strong>d,<br />

Stellung nehmen.«<br />

Reichels Stellungnahme repräsentierte nicht die Me<strong>in</strong>ung des gesamten Sekretariats,<br />

zeigte aber, dass <strong>in</strong> der Leitung immer noch Une<strong>in</strong>igkeit über den Umgang<br />

mit der Betriebsgruppe herrschte. Deutlich wurde aber auch, dass die <strong>in</strong>haltlichen<br />

Differenzen nach wie vor akut waren und sich ke<strong>in</strong>eswegs auf gewerkschaftspolitische<br />

Fragen beschränkten (17. Juni, Frage der Leitung). <strong>Die</strong>se waren dann allerd<strong>in</strong>gs<br />

wieder der Auslöser für die nächste große Kontroverse, die zum Austritt des<br />

Betriebsgruppenvorsitzenden Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann und zum Parteiausschluss der übrigen<br />

Betriebsgruppenleitung (Paul Kratsch und Willi Elmers) führte.<br />

Der Streit entzündete sich anlässlich der Betriebsratswahlen am 21./22. April<br />

1955. Bereits auf der ersten Sitzung der Betriebsgruppe mit dem Sekretariat zur<br />

Vorbereitung der Wahlen kam es am 12. April 1955 wieder zu über den eigentli-<br />

227 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 16.1.-11.2.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />

228 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 14.3. bis 2.4.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11(20/14; Protokoll der LSS v. 29.6.54, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 11/20/8; Protokoll der LSS v. 12.10.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

229 Protokoll der LSS v. 24.9.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

230 Protokoll der LSS v. 13.7.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.


238<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

chen Anlass h<strong>in</strong>ausgehende Kritik e<strong>in</strong>zelner Betriebsgruppenmitglieder an der<br />

Bremer Landesleitung und dem Sekretariat. Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann und Paul Kratsch<br />

me<strong>in</strong>ten, so der Bericht des Sekretariats,<br />

»dass <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denhofstraße [Sitz von <strong>KPD</strong>-Landesleitung und Sekretariat] e<strong>in</strong> zu großer<br />

Wasserkopf bestehe. E<strong>in</strong>e Kreisleitung sei nicht notwendig, deren Arbeit könne die Landesleitung<br />

mit erledigen. <strong>Die</strong> jetzige Zusammensetzung der K.L. und L.L. sei die Ursache dafür,<br />

dass über 100 alte Gen. <strong>in</strong>aktiv neben der Partei ständen. Sie hätten beide des öfteren Stellung<br />

genommen gegen die E<strong>in</strong>setzung verschiedener Funktionäre. <strong>Die</strong>ses sei nicht beachtet worden,<br />

im Gegenteil, sie seien als nicht auf der Parteil<strong>in</strong>ie liegende Gen. angesehen worden.« 231<br />

Das war wiederum die seit 1951 geführte Diskussion um die Kaderpolitik der<br />

Partei, die offenbar immer noch für erhebliche Unzufriedenheit mit der Parteileitung<br />

s<strong>org</strong>te. Das Landessekretariat beauftragte daraufh<strong>in</strong> sofort das Kreissekretariat,<br />

e<strong>in</strong>e weitere Sitzung mit der Betriebsgruppe durchzuführen und zu den Äußerungen<br />

von Kratsch und He<strong>in</strong>emann Stellung zu nehmen. »Es ist die Aufgabe der<br />

Vertreter des Kreis-Sekretariats der Betriebsgruppe, besonders den Gen. K. und H.<br />

klarzumachen, dass solche Äußerungen parteischädigend s<strong>in</strong>d und objektiv auf der<br />

L<strong>in</strong>ie der Argumentation des Klassengegners liegen.« 232 Zur Durchführung der bevorstehenden<br />

Betriebsrätewahlen sollten die Betriebsgruppen außerdem angeleitet<br />

werden,<br />

»die fortschrittlichen Gewerkschafter - Kommunisten, Sozialdemokraten und Parteilose - auf<br />

der Grundlage ihres E<strong>in</strong>tretens für die Interessen der Belegschaft und besonders ihres E<strong>in</strong>satzes<br />

für die Verwirklichung der Beschlüsse des 3. DGB-Kongresses zu popularisieren. [...]. In<br />

den Besprechungen mit unseren Betriebsgruppen kann nach gründlicher Überprüfung der<br />

jeweiligen konkreten Bed<strong>in</strong>gungen der e<strong>in</strong>zelnen Betriebe <strong>in</strong> den Betriebszeitungen oder auch<br />

<strong>in</strong> der Form e<strong>in</strong>es Flugblattes Stellung genommen werden zu den Aufgaben der Betriebsräte<br />

und <strong>in</strong> dem Zusammenhang entsprechend der Kandidatenliste von uns e<strong>in</strong> Vorschlag über<br />

die unserer Me<strong>in</strong>ung nach zu wählenden Kollegen gemacht werden«. 233<br />

Das war der entscheidende Beschluss, mit dem die jahrelangen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

zwischen der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward und dem Sekretariat schließlich eskalierten.<br />

Für die Betriebsratswahl bei B<strong>org</strong>ward war e<strong>in</strong>e gewerkschaftliche E<strong>in</strong>heitsliste<br />

aufgestellt worden. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Wahlen war<br />

diese Liste jedoch erstmals nicht im wesentlichen von der SPD-Betriebsgruppe aufgestellt,<br />

sondern von e<strong>in</strong>er Vertrauensmännerversammlung verabschiedet und<br />

empfohlen worden. 234 <strong>Die</strong> SPD hatte zur Wahl der ersten 21 Kandidaten auf der<br />

Liste aufgerufen. <strong>Die</strong>s waren 17 Sozialdemokraten, drei Parteilose sowie als e<strong>in</strong>ziger<br />

Vertreter der <strong>KPD</strong> Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann. 235 Der Beschluss des Landessekretariats,<br />

öffentlich durch Flugblätter eigene Kandidaten zu empfehlen, ignorierte nun völlig<br />

den im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen demokratischeren Entstehungsprozess<br />

der Liste und torpedierte außerdem das Pr<strong>in</strong>zip der gewerkschaftli-<br />

231 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 27.3. bis 12.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12.<br />

232 Nicht betiteltes und undatiertes Beschlussprotokoll, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9 [Blatt 162]. Aus den <strong>in</strong>haltlichen<br />

und chronologischen Zusammenhängen ergibt sich, dass die Sitzung am 14. April 1955 stattfand.<br />

233 Ebenda.<br />

234 Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49.<br />

235 Protokoll der LSS v. 21.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 239<br />

chen E<strong>in</strong>heitsliste. Beides bedeutete zwangsläufig e<strong>in</strong>e Konfrontation mit SPD und<br />

IG Metall, »e<strong>in</strong> persönlich und politisch diffamierendes Wäschewaschen« 236. Genau<br />

diese Konfrontation wollte die Betriebsgruppe der <strong>KPD</strong> »diesmal verh<strong>in</strong>dern«.<br />

237<br />

<strong>Die</strong> Sitzung des Kreissekretariats mit der Betriebsgruppe, auf der es schließlich<br />

zur offenen Konfrontation kam, fand am 16. April 1955 statt. 238 Anwesend waren<br />

zehn Mitglieder der Betriebsgruppe sowie e<strong>in</strong>ige Mitglieder des Kreissekretariats,<br />

u.a. auch Willy Meyer-Buer.<br />

Der berichtende Vertreter des Sekretariats schrieb: »In der Diskussion wurde<br />

ruhig und sachlich zu den Problemen Stellung genommen. Als wir zu der Aufgabenstellung<br />

übergehen wollten, nämlich m<strong>in</strong>destens 2 bis 3 Agitationsmaterialien<br />

zu den Betriebsrätewahlen herauszugeben, kam es zu scharfen Ause<strong>in</strong>andersetzungen.«<br />

239 <strong>Die</strong> Vertreter der Betriebsgruppe lehnten die Herausgabe von <strong>KPD</strong>-<br />

Materialien strikt ab. Es habe bereits bei der Aufstellung der Gewerkschaftsliste<br />

Schwierigkeiten gegeben, und man solle »Abstand davon nehmen, diese Schwierigkeiten<br />

erneut aufleben zu lassen.« 240 Flugblätter würden nur »Verleumdungen<br />

und neue Hetze« br<strong>in</strong>gen, »das hält dann die Kollegen ab, unsere Kandidaten zu<br />

wählen«. 241 H<strong>in</strong>zu käme, so Paul Kratsch, dass man es bei dem Betriebsratsvorsitzenden<br />

Ernst Buchholz (SPD) nicht mit e<strong>in</strong>em »politisch fairen Gegner« zu tun habe.<br />

»Der Buchholz hat dort e<strong>in</strong>e eigene Druckerei zur Verfügung und könnte uns <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Stunde mit Schmutz und Dreck antworten.« 242<br />

Nachdem sich gezeigt hatte, dass die anwesenden Vertreter der Betriebsgruppe<br />

nahezu e<strong>in</strong>hellig - lediglich e<strong>in</strong> Redner unterstützte die Haltung des Sekretariats -<br />

gegen e<strong>in</strong>en »Flugblattkrieg« 243 waren und ke<strong>in</strong> Parteimaterial im Betrieb verteilen<br />

wollten, kam es zum Eklat. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe wollte e<strong>in</strong>e Abstimmung herbeiführen.<br />

Willy Meyer-Buer, als Vertreter des Sekretariats, lehnte e<strong>in</strong>e solche »Abstimmung<br />

über die Politik der Partei« ab und habe sie verh<strong>in</strong>dert, so der Bericht des<br />

Sekretariats, woraufh<strong>in</strong> es »zu scharfen Ause<strong>in</strong>andersetzungen« kam. 244 Der Erste<br />

Sekretär der Betriebsgruppe Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann verließ schließlich mit den Worten<br />

»Ihr werdet noch von mir hören!« 245 vorzeitig die Sitzung und drohte damit, se<strong>in</strong>e<br />

236 So Willi Elmers‘ Charakterisierung der bisherigen »Wahlkämpfe« (Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei<br />

B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49).<br />

237 Ebenda.<br />

238 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 13.4. bis 17.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12. Willi Elmers<br />

nennt als Datum dieser Besprechung irrtümlich den 19. Mai 1955 (Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei<br />

B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49).<br />

239 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 13.4. bis 17.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12.<br />

240 Ebenda.<br />

241 Ebenda.<br />

242 Ebenda. Buchholz konnte als Betriebsratsvorsitzender die betriebseigene Druckerei bei B<strong>org</strong>ward benutzen.<br />

Vgl. auch Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49.<br />

243 Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49.<br />

244 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 13.4. bis 17.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12. Willi Elmers<br />

berichtet ähnlich: »<strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung wurde nun härter« (Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei<br />

B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49).<br />

245 Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49.


240<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

Kandidatur zum Betriebsrat zurückzuziehen. Wenige Stunden später hatte er se<strong>in</strong><br />

Parteibuch abgegeben und war aus der <strong>KPD</strong> ausgetreten. 246 Paul Kratsch, 2. Vorsitzender,<br />

und Willi Elmers, Kassierer der Betriebsgruppe, erklärten ihren Rückzug<br />

von der Kandidatenliste zur Betriebsratswahl. 247 Sie »wollten die D<strong>in</strong>ge erst e<strong>in</strong>mal<br />

an uns rankommen lassen, zu den Betriebsgruppensitzungen wollten wir erstmal<br />

nicht mehr h<strong>in</strong>gehen, wir hatten die Nase voll«. 248 Mit He<strong>in</strong>i Bresse erklärte e<strong>in</strong><br />

weiter Betriebsratskandidat se<strong>in</strong>en Rücktritt von der Kandidatur. 249<br />

Das Kreissekretariat reagierte sofort und beschloss die E<strong>in</strong>leitung von Ausschlussverfahren<br />

gegen Paul Kratsch, He<strong>in</strong>i Bresse und Willi Elmers. 250 <strong>Die</strong>ser Beschluss<br />

sollte von e<strong>in</strong>er außerordentlichen Kreisleitungssitzung am 27. April bestätigt<br />

werden. Weiterh<strong>in</strong> fasste das Kreissekretariat e<strong>in</strong>e Reihe von Beschlüssen -<br />

Herausgabe e<strong>in</strong>er Erklärung der Kreisleitung, E<strong>in</strong>berufung e<strong>in</strong>er Parteiaktivtagung<br />

sowie die Bildung e<strong>in</strong>er Untersuchungskommission -, um <strong>in</strong> der Partei »e<strong>in</strong>e Klärung<br />

über die opportunistischen Auffassungen zu der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit<br />

zu führen«. 251<br />

Das Landessekretariat bestätigte am 21. April diese Beschlüsse. Man müsse jetzt<br />

»Klarheit schaffen«, »damit die ganze Partei schnell e<strong>in</strong>e klare Ausrichtung bekommt<br />

und nicht überall falsche Diskussionen auftauchen. Denn es hat sich gezeigt,<br />

dass diese Genossen von B<strong>org</strong>ward schon sehr viele Genossen aufgesucht haben<br />

und die Sache dort falsch darstellen.« 252 Der Erste Kreissekretär fasste die<br />

Sichtweise des Sekretariats noch e<strong>in</strong>mal zusammen:<br />

»<strong>Die</strong> Sitzungen mit der Betriebsgruppe, die harten Ause<strong>in</strong>andersetzungen über diese politischen<br />

Fragen haben dazu geführt, dass wir zur Klärung e<strong>in</strong>er seit Jahren schwelenden Frage<br />

gekommen s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong> Genossen, die von der Parteil<strong>in</strong>ie abweichen, s<strong>in</strong>d zum offenen Auftreten<br />

gezwungen worden. Wenn die SPD bei B<strong>org</strong>ward ihre Kandidaten popularisiert und die Kollegen<br />

s<strong>in</strong>d mit dem alten Betriebsrat nicht mehr e<strong>in</strong>verstanden (wie aus Diskussionen herv<strong>org</strong>eht),<br />

s<strong>in</strong>d wir verpflichtet, den Kollegen zu sagen, welches die besten Kollegen, die <strong>in</strong> den<br />

neuen Betriebsrat gehören, s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong> Kollegen warten auf Vorschläge. Deshalb ist der Beschluss<br />

richtig, dass wir ihnen Kollegen nennen [...]. Wir dürfen dabei aber nicht auf die politische<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung verzichten (das wollten die Genossen der Betriebsgruppe<br />

nicht).« 253<br />

246 Willi Elmers berichtet, He<strong>in</strong>emann habe noch vor Ende der Sitzung »se<strong>in</strong>e Austrittserklärung und se<strong>in</strong><br />

Parteibuch durch den Briefkastenschlitz des Parteihauses geworfen« (Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei<br />

B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49). Im Bericht des Sekretariats hieß es, Paul Kratsch habe am nächsten M<strong>org</strong>en<br />

das Parteibuch He<strong>in</strong>emanns abgegeben (Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 13.4. bis<br />

17.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12).<br />

247 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 13.4. bis 17.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12.<br />

248 Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 49f.<br />

249 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 13.4. bis 17.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12.<br />

250 Nicht betiteltes und datiertes Protokoll [17. oder 18. April 1955], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9 [Bl. 160]. <strong>Die</strong><br />

Datierung ergibt sich aus den <strong>in</strong>haltlichen Zusammenhängen und den Term<strong>in</strong>fristen der Beschlüsse.<br />

251 Ebenda.<br />

252 Protokoll der LSS. v. 21.4.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9.<br />

253 Ebenda. Unterstreichung im Orig<strong>in</strong>al.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 241<br />

<strong>Die</strong> Kreisleitung beschloss am 27. April 1955 die Ausschlussverfahren gegen<br />

Paul Kratsch und Willi Elmers wegen »Verstoß gegen das Parteistatut«. Kratsch<br />

wurden außerdem »parteife<strong>in</strong>dliche Diskussionen« v<strong>org</strong>eworfen. 254<br />

E<strong>in</strong>en Tag später wurden der Betriebsgruppe diese Beschlüsse unterbreitet. <strong>Die</strong><br />

verbliebenen Mitglieder nahmen jedoch die E<strong>in</strong>leitung der Ausschlussverfahren<br />

nicht widerspruchslos h<strong>in</strong>. Es habe »starke Ause<strong>in</strong>andersetzungen« <strong>in</strong>sbesondere<br />

mit Alfred Goedecke - dem neuen Ersten Sekretär der Betriebsgruppe - 255 gegeben.<br />

»<strong>Die</strong>ser war der Auffassung, dass man mit der E<strong>in</strong>leitung dieser Parteiverfahren<br />

die Arbeit der gesamten Betriebsgruppe zerschlagen würde.« 256 Schließlich aber erklärte<br />

sich die Betriebsgruppe »nach längerer Diskussion« mit den Maßnahmen<br />

e<strong>in</strong>verstanden. 257<br />

Den Abschluss der Ause<strong>in</strong>andersetzungen bildete e<strong>in</strong>e Erklärung der Kreisleitung<br />

<strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie. <strong>Die</strong> Erklärung bekräftigte natürlich zunächst die<br />

Haltung des Sekretariats, »dass mit der Entscheidung über die Betriebsratskandidaten<br />

auch gleichzeitig Entscheidungen über die Durchführung von Gewerkschaftsbeschlüssen,<br />

über soziale Forderungen, über politische Fragen und über Probleme<br />

unserer nationalen Politik getroffen werden« und e<strong>in</strong>e »Aufklärung der Belegschaft«<br />

über die Kandidaten daher notwendig gewesen sei. 258 <strong>Die</strong> Betriebsgruppe,<br />

besonders aber He<strong>in</strong>emann, Kratsch und Elmers, hätten dies jedoch abgelehnt und<br />

damit »die Kraft der Massen« unterschätzt. Sie seien der »Diskussion im Betrieb«<br />

ausgewichen aus Furcht vor den »Argumenten des Kollegen Buchholz«. »Damit<br />

verzichteten diese Genossen auf die führende Rolle der Partei.«<br />

Den Ablauf der Ause<strong>in</strong>andersetzung gab die Kreisleitung weitgehend richtig<br />

wieder, wie überhaupt der Tenor im Vergleich zu den polemischen und diffamierenden<br />

Ausfällen der Jahre 1951/52 etwas sachlicher war. <strong>Die</strong> Erklärung sprach<br />

auch die Kritik der Betriebsgruppe an der Leitung und die über die gewerkschaftspolitischen<br />

Differenzen h<strong>in</strong>ausgehenden Ursachen der Ause<strong>in</strong>andersetzung an:<br />

»Bekanntlich führt die Leitung der Partei seit über vier Jahren mit führenden Genossen bei<br />

B<strong>org</strong>ward Diskussionen über Pr<strong>in</strong>zipien der Partei. [...]. He<strong>in</strong>emann und der Genosse Kratsch<br />

haben sich ideologisch schon lange von der Partei gelöst, sonst wäre es nicht zu verstehen,<br />

dass sie <strong>in</strong> persönlichen Unterhaltungen die Leitung der Partei als e<strong>in</strong>en ›Wasserkopf‹ bezeichneten,<br />

[...] das ist nicht neu bei He<strong>in</strong>emann und dem Genossen Kratsch. Bereits nach der<br />

Landesdelegiertenkonferenz vor vier Jahren s<strong>in</strong>d sie gegen die Landesleitung aufgetreten mit<br />

der Begründung, dass die neue Leitung zu jung sei und dass durch sie alte und bewährte Genossen<br />

beiseite geschoben werden. Damals haben sie dem Landessekretariat den Vorwurf<br />

gemacht, die Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward zerschlagen zu haben. [...] Es gibt auch <strong>in</strong> anderen<br />

Stadtteilen und Grunde<strong>in</strong>heiten Diskussionen über die angeblich falsche Kaderpolitik der Partei.<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung He<strong>in</strong>emanns und des Genossen Kratsch zeigen, woh<strong>in</strong> solche Diskussio-<br />

254 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 24.4. bis 1.5.1955, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12.<br />

255 Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 50.<br />

256 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> für die Zeit vom 24.4. bis 1.5.1955, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12.<br />

257 Ebenda.<br />

258 Festigt die Partei im Kampf gegen den Opportunismus, Tribüne der Demokratie, 3. Mai 1955.


242<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

nen führen. H<strong>in</strong>ter der angeblichen Unzufriedenheit mit der Kaderpolitik der Partei verbirgt<br />

sich oft die Ablehnung der Politik der Partei überhaupt.« 259<br />

E<strong>in</strong>e argumentative Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den angesprochenen Problemen<br />

leistete die Erklärung also nicht, sondern stellte sie wiederum <strong>in</strong> den Zusammenhang<br />

der »Parteife<strong>in</strong>dlichkeit«, He<strong>in</strong>emann und Kratsch wurde zudem »Brandlerismus«<br />

v<strong>org</strong>eworfen.<br />

Dabei hätte wenigstens das Ergebnis der Betriebsratswahl bei B<strong>org</strong>ward am 21.<br />

April 1955 Anlass zu e<strong>in</strong>er argumentativen Ause<strong>in</strong>andersetzung über die gewerkschaftspolitischen<br />

Differenzen gegeben. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> gelangte erstmals seit 1946 nicht<br />

<strong>in</strong> den Betriebsrat. Der aus der Partei ausgetretene Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann, vor se<strong>in</strong>em<br />

Parteiaustritt e<strong>in</strong>ziger Kommunist unter den ersten 21 Kandidaten auf der Gewerkschaftsliste,<br />

erhielt 4.107 Stimmen. Das waren etwa 59 Prozent aller abgegebenen<br />

Stimmen. He<strong>in</strong>emann hatte damit die meisten Stimmen aller Kandidaten und auch<br />

rund 500 mehr als der Betriebsratsvorsitzende Ernst Buchholz erhalten. 260<br />

<strong>Die</strong>ses für die Partei verheerende Ergebnis erwähnte die Kreisleitung <strong>in</strong> ihrer<br />

Erklärung nur beiläufig und schob die Verantwortung dafür vollständig der Betriebsgruppe<br />

zu: »Warum steht das Wahlresultat bei B<strong>org</strong>ward im Widerspruch zu<br />

den Wünschen der Kollegen? Weil die Betriebsgruppe der Partei nicht kämpferisch<br />

an ihre Aufgabe herangegangen ist.« 261<br />

Das Beispiel der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward zeigt detailliert die Folgen der <strong>in</strong>strumentalisierten<br />

und radikalisierten Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong> seit 1950 auf,<br />

sowohl auf der betrieblichen Ebene als auch <strong>in</strong> <strong>in</strong>nerparteilicher H<strong>in</strong>sicht. Bereits<br />

beim Metallarbeiterstreik, der ersten größeren Gelegenheit für die Partei, die lohnpolitischen<br />

Forderungen der Arbeiterschaft mit ihrer nationalen Politik zu verknüpfen,<br />

zeigte sich die starke Renitenz der <strong>KPD</strong>-Betriebsfunktionäre gegen solche Vere<strong>in</strong>nahmungsversuche.<br />

Dass die Betriebsgruppe diese Widerstände über vier Jahre<br />

aufrechterhalten konnte, hatte verschiedene Gründe. Sie lagen zum Teil <strong>in</strong> der spezifischen<br />

Belegschafts- und Betriebsstruktur bei B<strong>org</strong>ward sowie der - bei allen<br />

auch hier vorhandenen Ause<strong>in</strong>andersetzungen und antikommunistischen Maßnahmen<br />

von Seiten der SPD und der Gewerkschaft - relativ guten und stabilen Zusammenarbeit<br />

<strong>in</strong> Betriebsrat und Vertrauensmännerkörper. Zum anderen ergab<br />

sich die Widerstandsfähigkeit der Betriebsgruppe auch aus der persönlichen Stärke<br />

e<strong>in</strong>zelner Funktionäre wie Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann, die gerade weil sie die betrieblichen<br />

und gewerkschaftlichen Belange sowie e<strong>in</strong>e diesbezügliche Zusammenarbeit mit<br />

dem sozialdemokratischen Betriebsrat über die Parteipolitik stellten, maßgeblich<br />

dafür verantwortlich waren, dass die <strong>KPD</strong> sich überhaupt noch Positionen im Betrieb<br />

erhalten konnte. Durch das Ignorieren und die Fehl<strong>in</strong>terpretation dieser Zusammenhänge<br />

trug die Parteileitung wesentlich zur Demontage dieser Positionen<br />

bei.<br />

259 Ebenda.<br />

260 Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 99f.; Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei<br />

B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 50.<br />

261 Festigt die Partei im Kampf gegen den Opportunismus, Tribüne der Demokratie, 3. Mai 1955.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 243<br />

Allerd<strong>in</strong>gs war dem Sekretariat wohl die Bedeutung der Betriebsgruppe wie<br />

auch ihrer herausragenden Funktionäre bewusst. Deren <strong>in</strong>nerbetriebliche und <strong>in</strong>nerparteiliche<br />

Stärke verh<strong>in</strong>derte immerh<strong>in</strong> vier Jahre ihren durchaus schon<br />

1951/52 vorstellbaren Ausschluss und zwang die Leitung, sich mit der der Parteil<strong>in</strong>ie<br />

widersprechenden Kritik ause<strong>in</strong>anderzusetzen und sie h<strong>in</strong>zunehmen. Daraus<br />

ergab sich für die Parteileitung e<strong>in</strong> besonderes <strong>in</strong>nerparteiliches Problem. In dem<br />

Moment, wo die Kritik über die betriebs- und gewerkschaftspolitischen Fragen h<strong>in</strong>ausg<strong>in</strong>g<br />

und sich gegen die Kaderpolitik, die Säuberungen, die nationale Politik<br />

oder gar den kritiklosen Umgang mit der DDR richtete, waren zentrale Aspekte<br />

sowohl der <strong>in</strong>nerparteilichen Struktur wie auch der politischen Programmatik der<br />

<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Frage gestellt, und das Sekretariat musste e<strong>in</strong>e Ausweitung solcher Opposition<br />

befürchten. <strong>Die</strong> Vehemenz, mit der <strong>in</strong> den entsprechenden Artikeln und Erklärungen<br />

immer wieder vor der »Parteife<strong>in</strong>dlichkeit« solcher Kritik gewarnt wurde,<br />

ist e<strong>in</strong> deutliches Indiz dafür. Gegen die Opposition prom<strong>in</strong>enter Genossen wie<br />

Rudolf Rafoth, Folkert Potrykus oder Re<strong>in</strong>hold Popall, die zwar e<strong>in</strong>e große <strong>in</strong>nerparteiliche<br />

Bedeutung, aber ke<strong>in</strong>e betrieblichen Positionen hatten, ließen sich<br />

1951/52 Ausschlüsse noch durchsetzen, wenn auch nur mit großen Schwierigkeiten.<br />

<strong>Die</strong> <strong>in</strong>nerbetriebliche Stärke und Verankerung verh<strong>in</strong>derte dies bei Funktionären<br />

wie Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann oder - auf gewerkschaftlicher Ebene - bei Johann Re<strong>in</strong>ers<br />

und ließ so die Betriebsgruppen zum wesentlichen Träger von Basisopposition <strong>in</strong><br />

der <strong>KPD</strong> werden. »<strong>Die</strong> Kritik an der Leitung«, so die E<strong>in</strong>schätzung von Wilhelm<br />

Meyer-Buer aus heutiger Sicht, »kam vor allem aus den Betrieben«. 262<br />

Betriebsgruppen zwischen Radikalisierung, Repression und Resignation:<br />

Das Beispiel AG »Weser«<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung der <strong>KPD</strong> auf der traditionsreichen Großwerft AG »Weser« <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong>-Gröpel<strong>in</strong>gen verdeutlichte <strong>in</strong> zugespitzter und komprimierter Form das<br />

Spannungsfeld, <strong>in</strong> dem sich Kommunisten <strong>in</strong> den Betrieben bewegten. Zu betrachten<br />

s<strong>in</strong>d hier im wesentlichen die Jahre 1953 bis 1956, <strong>in</strong> denen die <strong>KPD</strong> als traditionell<br />

e<strong>in</strong>flussreiche Kraft auf der Werft zunächst von e<strong>in</strong>er radikalisierten Belegschaft<br />

mit e<strong>in</strong>er großen Mehrheit im Betriebsrat ausgestattet wurde und schließlich<br />

am Ende marg<strong>in</strong>alisiert ohne jegliches Betriebsratsmandat und ohne nennenswerten<br />

E<strong>in</strong>fluss unter den Arbeitern dastand.<br />

<strong>Die</strong> Belegschaft der AG »Weser« hatte seit Ende des 19. Jahrhunderts <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Bremer Arbeiterbewegung e<strong>in</strong>e zentrale Rolle gespielt. <strong>Die</strong> Mehrheit der Belegschaft<br />

war dabei immer radikal <strong>in</strong> ihren betrieblichen und politischen Forderungen.<br />

Innerhalb der Bremer Sozialdemokratie war sie vor 1914 e<strong>in</strong> wichtiger Teil des l<strong>in</strong>ken<br />

Flügels und stellte ab 1916 die soziale Basis der »Bremer L<strong>in</strong>ksradikalen«, die<br />

ihr theoretisches Fundament durch e<strong>in</strong>e Reihe von sozialistischen Lehrern (Anton<br />

Pannekoek, Johann Knief, Karl Radek) erhielten und die schließlich zu den Mitbe-<br />

262 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 2.


244<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

gründern der <strong>KPD</strong> gehörten. 263 Bei der Durchsetzung ihrer politischen und betrieblichen<br />

Forderungen zeigte die Belegschaft der AG »Weser« e<strong>in</strong>e starke Kampfbereitschaft.<br />

Erste Streikerfahrungen hatte sie bereits 1886 gemacht, <strong>in</strong> den folgenden<br />

Jahren kam es immer wieder zu größeren Arbeitsausständen, die die Unternehmer<br />

teilweise mit Aussperrungen beantworteten und die oft auch ohne Unterstützung<br />

der Gewerkschaft geführt wurden. 264 <strong>Die</strong> durch diese Erfahrungen gestärkte Radikalität<br />

wurde auch nicht gebrochen durch die Erfahrungen der gescheiterten Bremer<br />

Räterepublik, <strong>in</strong> der die AG »Weser« Belegschaft die »treibende Kraft« 265 darstellte.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte nach 1919 e<strong>in</strong>en starken E<strong>in</strong>fluss auf der Werft und stellte bis<br />

Mitte der 1920er Jahre die Mehrheit im Betriebsrat, die sie jeweils gegen die sozialdemokratisch<br />

dom<strong>in</strong>ierte Gewerkschaftsliste errang. Mit der ultral<strong>in</strong>ken Wendung<br />

der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Jahren 1923-1925 g<strong>in</strong>g diese Mehrheit verloren. Nach der erneuten<br />

Radikalisierung im Zuge der RGO-Politik ab 1929 verlor die Partei zwar weitere Betriebsratsmandate,<br />

behielt aber auf der Werft e<strong>in</strong>en erheblichen E<strong>in</strong>fluss. 266<br />

Bis 1933 ergibt sich <strong>in</strong>sgesamt das Bild e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>takten Milieu verankerten<br />

Belegschaft, die »kampferfahren, aktionsbereit, hoch<strong>org</strong>anisiert und politisch<br />

radikal war« 267. Auch die nationalsozialistische Diktatur konnte die Arbeiterschaft<br />

der Werft nicht mehrheitlich gew<strong>in</strong>nen. <strong>Die</strong> Werft wurde zu e<strong>in</strong>em Sammelbecken<br />

des antifaschistischen Widerstands <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, »wozu auch die Praxis des Werftdirektors<br />

Stapelfeldt beitrug, ehemalige Arbeiterfunktionäre auf der Werft e<strong>in</strong>zustellen«.<br />

268<br />

Dem ersten Betriebsrat der AG »Weser« nach Kriegsende gehörten sechs Sozialdemokraten,<br />

fünf Kommunisten und e<strong>in</strong> Parteiloser an. 269 Nach dem Scheitern<br />

der E<strong>in</strong>heitsbestrebungen und der Auflösung der KGF ergab sich e<strong>in</strong> differenziertes<br />

Bild. Auf der »Bremer Dock- und Masch<strong>in</strong>enbau AG«, die aus der für die Demontage<br />

v<strong>org</strong>esehenen Werft ausgegliedert worden war, dom<strong>in</strong>ierten Sozialdemokraten<br />

den Betriebsrat, die <strong>KPD</strong> war hier überhaupt nicht vertreten. Der Betriebsrat der<br />

Demontagearbeiter (»AG Weser Räumung«) h<strong>in</strong>gegen bestand aus drei Kommunisten,<br />

drei Sozialdemokraten sowie drei Arbeitern mit unbekannter Parteizugehörigkeit.<br />

270 <strong>Die</strong> Gründe für diese deutlichen Unterschiede waren <strong>in</strong> der Belegschafts-<br />

263 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 140ff.; Jörg Wollenberg,<br />

<strong>Die</strong> AG »Weser« zwischen Sozialpartnerschaft und Klassenkampf, hrsg. von den Jungsozialisten<br />

<strong>in</strong> der SPD, Unterbezirksvorstand <strong>Bremen</strong>-West und Landesvorstand <strong>Bremen</strong>, Berl<strong>in</strong>-West und <strong>Bremen</strong><br />

1984.<br />

264 Vgl. zusammenfassend He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O.,<br />

S. 142.<br />

265 Ebenda, S. 141.<br />

266 Ebenda, S. 146.<br />

267 Ebenda.<br />

268 Ebenda, S. 147. <strong>Die</strong> Rolle Stapelfeldts ist <strong>in</strong> der Literatur allerd<strong>in</strong>gs umstritten.<br />

269 Peter Brandt, Betriebsräte, Neuordnungsdiskussion und betriebliche Mitbestimmung <strong>1945</strong>-1948, a.a.O.,<br />

S. 201.<br />

270 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 148f.; Peter Brandt,<br />

Betriebsräte, Neuordnungsdiskussion und betriebliche Mitbestimmung <strong>1945</strong>-1948, a.a.O., S. 201.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 245<br />

struktur zu suchen. <strong>Die</strong> Belegschaft der »Bremer Dock- und Masch<strong>in</strong>enbau« war<br />

gezielt aus der alten Kernbelegschaft ausgesucht worden und wies dementsprechend<br />

e<strong>in</strong>en sehr hohen Facharbeiteranteil auf, der Räumungsbetrieb dagegen war<br />

eher heterogen zusammengesetzt und beschäftigte viele Ungelernte. »Hier deutet<br />

sich schon an, was <strong>in</strong> den 1950er Jahren prägend für das politische Verhalten der<br />

Belegschaft werden sollte: <strong>Die</strong> langjährig beschäftigten Facharbeiter mit handwerklicher<br />

Qualifikation und Tradition optierten eher für die Sozialdemokratie, die Anund<br />

Ungelernten eher für die Kommunisten.« 271 In dem ersten nach der Wiedere<strong>in</strong>gliederung<br />

der »Bremer Dock- und Masch<strong>in</strong>enbau« 1948 gewählten Betriebsrat<br />

waren <strong>KPD</strong> (sechs Sitze) und SPD (fünf Sitze) wieder nahezu gleichstark vertreten.<br />

<strong>Die</strong>ses Gleichgewicht blieb bis 1953 erhalten, wobei allerd<strong>in</strong>gs der Betriebsratsvorsitzende<br />

immer von der SPD gestellt wurde. 272<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte also auch nach <strong>1945</strong> e<strong>in</strong>e starke Stellung im Betrieb. <strong>Die</strong>s galt<br />

auch für die Betriebsgruppe selbst. Bereits 1946 war sie e<strong>in</strong>e der wichtigsten <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> und mit 43 Mitgliedern auch die größte. 273 Noch 1955 hatte die Betriebsgruppe<br />

auf der AG »Weser« - nach Angaben des Landessekretariats - über 80 Mitglieder.<br />

274 Für die Partei hatte die Betriebsgruppe wie auch der gesamte Betrieb<br />

nicht nur deshalb e<strong>in</strong>e große Bedeutung. H<strong>in</strong>zu kam die oben geschilderte Tradition<br />

der Belegschaft <strong>in</strong>nerhalb der Bremer Arbeiterbewegung und für die <strong>KPD</strong> sowie<br />

die Verankerung und Dom<strong>in</strong>anz des Betriebes im Stadtteil Gröpel<strong>in</strong>gen und dem<br />

dortigen Milieu. 275 In Gröpel<strong>in</strong>gen konnte die <strong>KPD</strong> regelmäßig die höchsten Wahlergebnisse<br />

<strong>in</strong> ganz <strong>Bremen</strong> verzeichnen (1951: 14,2 Prozent). Ab 1950 hatte die Landes<strong>org</strong>anisation<br />

hier - <strong>in</strong> unmittelbarer Nachbarschaft zur AG Weser - ihre Parteizentrale,<br />

was die Werft zusätzlich zu e<strong>in</strong>em bevorzugten Agitationsobjekt der Partei<br />

machte.<br />

Zu e<strong>in</strong>em gewerkschafts- und landespolitischen und damit auch für die <strong>KPD</strong><br />

wirklich relevanten Betrieb wurde die AG »Weser« allerd<strong>in</strong>gs erst wieder mit der<br />

Wiederaufnahme des Schiffbaus im Jahre 1950. 1951 war die Belegschaft des Bremer<br />

Werks von 2.200 im Jahre 1949 auf 4.250 gestiegen. 276 Auch die Lohnbewegungen<br />

nahmen nun zu. Dabei knüpfte die Belegschaft wieder an ihre Traditionen von<br />

vor <strong>1945</strong> bzw. 1933 an. »<strong>Die</strong> Forderungen g<strong>in</strong>gen von der Belegschaft aus, die ihnen<br />

durch Aktionen Nachdruck verlieh. Sie wurden dann von der örtlichen Tarifkommission<br />

- bisweilen gegen den Willen der Gewerkschaftsführung - übernommen.<br />

271 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 149.<br />

272 Ebenda.<br />

273 Peter Brandt, Antifaschismus und Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 202.<br />

274 Protokoll der LSS v. 8.2.55, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/9. Für die Jahre zwischen 1946 bis 1955 liegen leider ke<strong>in</strong>e<br />

weiteren Mitgliederzahlen vor.<br />

275 Vgl. dazu ausführlich Peter Alheit, Hanna Haack, He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Renate Meyer-Braun: Gebrochene<br />

Modernisierung - Der langsame Wandel proletarischer Milieus. E<strong>in</strong>e empirische Vergleichsstudie<br />

ost- und westdeutscher Arbeitermilieus <strong>in</strong> den 1950er Jahren, unter Mitarbeit von Hendrik Bunke,<br />

Elke <strong>Die</strong>rßen, Jutta Friemann-Wille, Heidrun Herzberg, Kathr<strong>in</strong> Möller, Kar<strong>in</strong> Thomsen-Labahn, Andreas<br />

Wagner, 2 Bände, <strong>Bremen</strong> 1999.<br />

276 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 27 und Tabelle<br />

S. 30.


246<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

<strong>Die</strong> bei den Tarifverhandlungen erzielten Kompromisse stießen jedoch häufig auf<br />

Protest und Ablehnung der Belegschaft.« 277<br />

Bereits <strong>in</strong> diesen kle<strong>in</strong>eren, dem großen Werftarbeiterstreik von 1953 vorausgehenden<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen der Jahre 1951 und 1952 äußerte sich die radikalisierte<br />

Gewerkschaftspolitik der <strong>KPD</strong>. Sie fand ihren Ausdruck - neben massiver<br />

Kritik an dem »rechten Betriebsratsvorsitzenden Klatte« 278 (SPD)-vorallem<strong>in</strong>der<br />

Forderung nach der Bildung von betrieblichen »Kampfausschüssen«. Erstmals<br />

tauchte diese Forderung im Juli 1951 auf. 279 Sie zog sich <strong>in</strong> der Folgezeit bei allen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen auf der Werft durch die Veröffentlichungen der Betriebsgruppe<br />

und der Tribüne der Demokratie. Zunächst wurde noch versucht, die Funktion<br />

solcher »nebengewerkschaftlichen« Betriebsgremien als Mittel zur Durchsetzung<br />

gewerkschaftlicher Ziele zu formulieren (»<strong>Die</strong> Kampfausschüsse werden der Gewerkschaftsleitung<br />

den notwendigen Rückhalt bei den Verhandlungen mit den Unternehmern<br />

geben«). 280 Sehr schnell aber wurde der kontroverse und auf These 37<br />

basierende Charakter dieser Forderung deutlich. Im Dezember 1951 schrieb die Tribüne<br />

der Demokratie: »<strong>Die</strong>se Kampfausschüsse mobilisieren die Belegschaften zum<br />

Kampf um ihre gerechten Forderungen und zw<strong>in</strong>gen dadurch auch die rechte Gewerkschaftsbürokratie,<br />

gegenüber allen Kollegen Farbe zu bekennen«. 281 <strong>Die</strong> Bildung<br />

solcher Ausschüsse gelang nicht, dokumentiert ist lediglich der erfolglose<br />

Versuch der Gründung von »Lohnkommissionen« anlässlich der Tarifause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

im August 1952, mit denen die <strong>KPD</strong> - nach e<strong>in</strong>er Urabstimmung der IG<br />

Metall, <strong>in</strong> der das Arbeitgeberangebot angenommen worden war - versuchte, e<strong>in</strong>e<br />

Fortsetzung des Lohnkonflikts zu erreichen. 282<br />

Innerhalb der Betriebsgruppe war dieser Kurs umstritten. Ab Ende 1951 wurden<br />

Konflikte deutlich, die sich zum e<strong>in</strong>en an der These 37 und dem Umgang mit<br />

der Reversfrage entzündeten, zum anderen an der Frage der Politisierung, d.h. der<br />

Thematisierung überbetrieblicher Probleme. <strong>Die</strong>se Konflikte wurden im wesentlichen<br />

wiederum zwischen e<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong>flussreichen Betriebsgruppenmitgliedern<br />

und Betriebsräten e<strong>in</strong>erseits und dem Sekretariat andererseits ausgetragen. Anders<br />

als bei B<strong>org</strong>ward jedoch zeigten sich die Differenzen auch <strong>in</strong>nerhalb der Betriebsgruppe.<br />

Im Zentrum der Kritik des Sekretariats standen vor allem die Betriebsräte Bernd<br />

Priemer - außerdem Leiter der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe - und He<strong>in</strong>rich Weber, die bei-<br />

277 Ebenda, S. 154. Zum Verlauf dieser Konflikte 1951/52 ebenda, S. 150ff.<br />

278 AG-Weser-Kollegen müssen Kampfausschüsse bilden, Tribüne der Demokratie, 14.12.1951. Den <strong>in</strong> diesem<br />

Artikel geäußerten Vorwurf gegen Klatte, er habe private Vere<strong>in</strong>barungen mit der Werksleitung getroffen,<br />

musste die Betriebsgruppe später - nach e<strong>in</strong>er entsprechenden Veröffentlichung <strong>in</strong> der SPD-<br />

Betriebsgruppenzeitung - wieder zurücknehmen (Werftecho, Nr. 1, Januar 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/12).<br />

279 Werftecho, Nr. 9, Juli 1951, <strong>in</strong> SAPMO I 10/20/12. <strong>Die</strong>ses Werftecho war noch ke<strong>in</strong>e explizite Veröffentlichung<br />

der Betriebsgruppe AG »Weser«, sondern war für alle Werftarbeiter im Land <strong>Bremen</strong> gedacht,<br />

evtl. sogar (dies geht aus vorhergehenden Ausgaben hervor) nur für die <strong>in</strong> Bremerhaven.<br />

280 Ebenda.<br />

281 AG-Weser-Kollegen müssen Kampfausschüsse bilden, Tribüne der Demokratie, 14.12.1951.<br />

282 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 153.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 247<br />

de die Reverse der IG Metall zur These 37 unterzeichnet hatten. 283 Das Sekretariat<br />

berichtete zwar bereits im Dezember 1951 »dass die Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre,<br />

die den Revers unterschrieben haben, zugeben, dass das e<strong>in</strong><br />

großer Fehler war«, 284 die Differenzen waren damit aber noch nicht beendet. Anlässlich<br />

<strong>in</strong>nerbetrieblicher Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die Verweigerung von Überstunden<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Ressorts und die Höhe des Weihnachtsgeldes Mitte Dezember<br />

1951 warf das Sekretariat allen fünf Betriebsräten der <strong>KPD</strong> vor, sie hätten »durch<br />

ihre opportunistische Haltung die Entwicklung der Bewegung« gegen die Überstunden<br />

gehemmt. 285<br />

<strong>Die</strong> Differenzen wurden <strong>in</strong> der Folgezeit zunächst <strong>in</strong> weiteren <strong>in</strong>ternen Diskussionen<br />

ausgetragen. Im Mai 1952 wurde die Betriebsgruppenleitung mit Bernd<br />

Priemer an der Spitze ausgewechselt. 286 Deutlich wurden nun auch die <strong>in</strong>ternen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen auf der AG »Weser«. Als Hermann Prüser 287 - neuer Erster<br />

Sekretär der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe, der später e<strong>in</strong>e wichtige Rolle beim Werftarbeiterstreik<br />

1953 spielen sollte - im Juni 1952 auf e<strong>in</strong>er Ressortversammlung entsprechend<br />

der oben geschilderten Parteil<strong>in</strong>ie zur Wahl e<strong>in</strong>es »Kampfausschusses« aufforderte,<br />

war es se<strong>in</strong> eigener Genosse He<strong>in</strong>rich Weber, der dies als Versammlungsleiter<br />

verh<strong>in</strong>derte. 288 Für das Sekretariat war dies der Anlass, nunmehr verschärft<br />

gegen »den Opportunismus der Betriebsräte« vorzugehen. Weber und Priemer hätten<br />

es »seit e<strong>in</strong>em Jahr verstanden, die Partei immer wieder an der Nase<br />

herumzuführen«. 289 Man müsse »jetzt offensiv gegen sie v<strong>org</strong>ehen mit dem Ziel, sie<br />

aus der Partei auszuschließen. Man muss den Kollegen klarmachen, dass sie<br />

arbeiterfe<strong>in</strong>dlich handeln, dass sie schuld s<strong>in</strong>d, wenn es ke<strong>in</strong>e Lohnerhöhung gibt<br />

usw.«. 290 Das Sekretariat beauftragte Wilhelm Meyer-Buer, »geme<strong>in</strong>sam mit dem<br />

Kreis-Sekretariat <strong>Bremen</strong> und der Betriebsgruppe AG »Weser« Maßnahmen<br />

vorzubereiten, die den Ausschluss aus der Partei der Opportunisten Priemer,<br />

Naud<strong>in</strong>g und Weber zum Ziel haben«. 291 Der Ausschlussversuch verlief jedoch<br />

offenbar erfolglos. Zum<strong>in</strong>dest im Falle Webers gab es Widerstände vom<br />

zuständigen Kreissekretariat, das der Me<strong>in</strong>ung war, Weber dürfe noch nicht<br />

ausgeschlossen werden. Es sei »festgelegt worden«, so berichtete Wilhelm Meyer-<br />

Buer über se<strong>in</strong>e Gespräche mit der Kreisleitung, »dass mit dem Genossen Weber<br />

e<strong>in</strong>e Aussprache stattf<strong>in</strong>det. [...] Es soll erreicht werden, dass sich Weber aktiv am<br />

Kampf gegen die opportunistischen Elemente beteiligt. <strong>Die</strong> Genossen der<br />

283 Politischer Wochenbericht der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> [8. Dezember 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11;<br />

Bericht über <strong>Bremen</strong> aus der Zeit vom 20.11.-18.12.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

284 Politischer Wochenbericht der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> [8. Dezember 1951], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

285 Politischer Wochenbericht v. Montag, d. 17.12 bis Sonnabend, d. 22.12.51, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/11.<br />

286 Politischer Wochenbericht des Sekretariats der LL vom 17. bis 23. Mai 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11.<br />

287 Hermann Prüser (1903-1989): Masch<strong>in</strong>enbauer, Werftarbeiter. <strong>KPD</strong>, 1928-1933 Mitglied der Bremischen<br />

Bürgerschaft, 1933-1935 illegale Arbeit und Haft, 1935 bis <strong>1968</strong> AG »Weser«, 1953 Betriebsratsvorsitzender,<br />

seit <strong>1968</strong> DKP.<br />

288 Politischer Wochenbericht v. 22. - 29.6.52, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/11; Protokoll der Sekretariats-Sitzung am 3.<br />

Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

289 Protokoll der Sekretariats-Sitzung am 3. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

290 Ebenda.<br />

291 Ebenda.


248<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

schen Elemente beteiligt. <strong>Die</strong> Genossen der Kreisleitung s<strong>in</strong>d der Me<strong>in</strong>ung, dass<br />

man Weber mit den anderen nicht auf e<strong>in</strong>e Stufe stellen kann.« 292 Ob von den anderen<br />

betroffenen Betriebsräten <strong>in</strong> der Folgezeit jemand ausgeschlossen wurde, ist<br />

anhand der Quellen nicht genau festzustellen. Das Sekretariat schien die Ausschlüsse<br />

jedoch nicht mehr zu forcieren. Im Februar 1953 kritisierte Hermann Gautier<br />

im Sekretariat zwar erneut die Betriebsräte auf der AG »Weser« und warf ihnen<br />

sogar die Anwendung von »Agentenmethoden« vor. Das Sekretariat könne jedoch<br />

»nicht beschließen über den Ausschluss gegen solche Genossen, das ist Angelegenheit<br />

der Betriebsgruppe. Ihre Haltung muss man offen <strong>in</strong> der Presse unter Kritik<br />

stellen.« 293 Im April 1953 berichtete das Sekretariat, man sei auf der AG »Weser«<br />

»im verstärkten Maße gegen Opportunismus, Sektierertum und Sozialdemokratismus<br />

durch offene Kritik <strong>in</strong>nerhalb der Betriebsgruppe und im Betrieb v<strong>org</strong>egangen.<br />

Wir hatten hier von 12 Betriebsräten 5 Genossen, die aber, bis auf e<strong>in</strong>en, <strong>in</strong> der Praxis<br />

die Politik des sozialdemokratischen Betriebsratsvorsitzenden - Ruhe im Betrieb,<br />

Lohnbewegung abwürgen usw. - mitmachten«. E<strong>in</strong>er dieser Betriebsräte sei <strong>in</strong>zwischen<br />

»raus aus der Partei, zwei andere werden folgen«. 294<br />

Adm<strong>in</strong>istrative Maßnahmen ergriff das Sekretariat also offenbar nicht mehr. Sie<br />

wären angesichts der seit Anfang 1953 auf der Werft sichtbar werdenden Entwicklungen,<br />

die schließlich zu e<strong>in</strong>em sechswöchigen Werftarbeiterstreik führten, auch<br />

überflüssig gewesen, da die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> diesen Ereignissen e<strong>in</strong>e zentrale Rolle spielte<br />

und mit e<strong>in</strong>igen ihrer Positionen auf die Zustimmung der Mehrheit der Belegschaft<br />

traf.<br />

Nach kle<strong>in</strong>eren Arbeitsniederlegungen anlässlich der Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

um das Weihnachtsgeld im November/Dezember 1952 und e<strong>in</strong>em halbstündigen<br />

Streik der Brenner und Schweißer im Januar 1953 verschärfte sich die Lage auf der<br />

Werft Ende Januar 1953. Rationalisierungspläne der Direktion, die e<strong>in</strong>e Verdreifachung<br />

der Arbeitsleistungen vorsahen und erhebliche gesundheitliche Belastungen<br />

der betroffenen Arbeiter zur Folge gehabt hätten, führten zu spontanen, im wesentlichen<br />

von den Brennern und Schweißern ausgehenden Proteststreiks. 295 Am 30.<br />

Januar demonstrierten 3.000 Arbeiter vor dem Verwaltungsgebäude der Werft, forderten<br />

die Rücknahme der Pläne und stellten Forderungen nach e<strong>in</strong>er Veränderung<br />

des Akkordsystems. Auf e<strong>in</strong>er von der Demonstration ebenfalls geforderten, von<br />

Werftleitung und Betriebsrat aber lange h<strong>in</strong>ausgezögerten Betriebsversammlung<br />

am 17. Februar lehnte der Werftdirektor Schliephake, von dem die Rationalisierungspläne<br />

stammten, die Forderungen der Arbeiter ab, woraufh<strong>in</strong> die Brenner<br />

und Schweißer <strong>in</strong> den Streik traten. <strong>Die</strong>sen von drei Schichten geführten Ausstand<br />

beantworte die Werftleitung am folgenden Tage mit der Entlassung der gesamten<br />

292 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 11. Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7.<br />

293 Protokoll der L.S.S. v. 19.2.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

294 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> [18.4.53], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

295 Vgl. ausführlich Andree Postel, »Alles annere is Tünkrom und ward aflehnt!«. Der Bremer Werftarbeiterstreik<br />

1953 - ArbeiterInnen zwischen Klassenkampf und Antikommunismus, Hausarbeit im Rahmen<br />

der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien, Gött<strong>in</strong>gen 1995, S. 68ff.; He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen,<br />

Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 155.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 249<br />

Nachtschicht der Brenner und Schweißer, <strong>in</strong>sgesamt 94 Arbeiter. Betriebsrat und<br />

Gewerkschaftsleitung stimmten der Entlassung zunächst zu, handelten aber<br />

schließlich doch auf Druck der betroffenen Abteilung mit der Direktion die Wiedere<strong>in</strong>stellung<br />

von 42 Arbeitern aus. 296<br />

<strong>Die</strong>se Ause<strong>in</strong>andersetzungen zum Jahresanfang 1953 waren im wesentlichen<br />

von den Brennern und Schweißern ausgegangen, unter denen der E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong><br />

traditionell groß war. 297 Klares Indiz für e<strong>in</strong> wachsendes Gewicht der Kommunisten<br />

<strong>in</strong> der Belegschaft war auch die Wahl der Vertrauensmänner Anfang Februar<br />

1953. Es wurden 22 <strong>KPD</strong>-Kandidaten gewählt (von <strong>in</strong>sgesamt 70 Vertrauensmännern).<br />

298 Zuvor war die Partei lediglich mit »6-8 Genossen« im Vertrauensmännerkörper<br />

vertreten gewesen. 299 Zum Vorsitzenden des Vertrauensmännerkörpers<br />

wurde mit Hermann Prüser ebenfalls e<strong>in</strong> Kommunist gewählt. 300<br />

Alle drei V<strong>org</strong>änge - die Radikalisierung der Belegschaft <strong>in</strong>folge verschärfter<br />

Arbeits- und Lohnbed<strong>in</strong>gungen, der zunehmende E<strong>in</strong>fluss der Kommunisten und<br />

die Wahl von Hermann Prüser zum Vertrauensobmann - h<strong>in</strong>gen eng mite<strong>in</strong>ander<br />

zusammen und kündigten die kurze Zeit später folgenden Ereignisse an. Mitte Februar<br />

kündigte die IG Metall aufgrund des Drucks der AG »Weser«-Belegschaft den<br />

Tarifvertrag für die Werft<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven. 301 Forderungen<br />

der Gewerkschaft waren u.a. die Erhöhung des Ecklohns um acht Pfennig pro<br />

Stunde, e<strong>in</strong>e Anhebung der Verdienste der Zeitlohnarbeiter, Erhöhung der Angestelltengehälter<br />

sowie e<strong>in</strong>e Erhöhung der Lehrl<strong>in</strong>gsbezüge und deren E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />

<strong>in</strong> den Tarifvertrag. 302 <strong>Die</strong> Verhandlungen für die <strong>in</strong>sgesamt 17.000 Beschäftigten<br />

scheiterten am 16. April 1953, da die Unternehmer diese Forderungen sämtlich ablehnten.<br />

303 <strong>Die</strong> daraufh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>berufenen Vertrauensmännerversammlungen der<br />

Werften beschlossen die Durchführung e<strong>in</strong>er Urabstimmung, bei der schließlich am<br />

22. April 1953 91,9 Prozent der <strong>org</strong>anisierten Werftarbeiter für den Streik stimmten.<br />

304 Am 25. April 1953 traten die 14.000 Werftarbeiter <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Bremerhavengeschlossen<strong>in</strong>denAusstand.<br />

Genau mit Streikbeg<strong>in</strong>n fanden auf der AG »Weser« vom 24. bis 27. April die<br />

Betriebsratswahlen statt, deren Ergebnis den Ereignissen während des Streiks wie<br />

auch darüber h<strong>in</strong>aus zusätzliche Dynamik und Konfliktpotentiale gab. <strong>Die</strong> Wahlen<br />

296 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 156.; Andree Postel,<br />

»Alles annere is Tünkrom und ward aflehnt!«, a.a.O., S. 71.<br />

297 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 156.<br />

298 Protokoll der L.L.S. v. 12.2.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8; E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats<br />

<strong>Bremen</strong> [18.4.53], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

299 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 16.1.-11.2.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />

300 E<strong>in</strong>schätzung der Arbeit des Landes-Sekretariats <strong>Bremen</strong> [18.4.53], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8; Hermann Prüser,<br />

Werftarbeiterstreik und Absetzung des Betriebsrats. <strong>Die</strong> AG »Weser« 1952/53, <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen<br />

und Almut Schwerd (Hrsg.): Zeitzeugen berichten, a.a.O., S. 57-63, hier S. 58.<br />

301 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 156f.<br />

302 Andree Postel, »Alles annere is Tünkrom und ward aflehnt!«, a.a.O., S. 73; He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen<br />

Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 157.<br />

303 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 157.<br />

304 Ebenda.


250<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

brachten e<strong>in</strong>e klare Mehrheit für die <strong>KPD</strong>: Von <strong>in</strong>sgesamt 19 Betriebsräten stellte sie<br />

nun zwölf, die SPD drei, der Rest war parteilos. 305 Zum Betriebsratsvorsitzenden<br />

wurde Hermann Prüser gewählt, womit zum ersten Mal seit <strong>1945</strong> e<strong>in</strong> Kommunist<br />

diese Funktion auf der Werft bekleidete.<br />

Besondere Brisanz hatte die Wahl Prüsers <strong>in</strong>nergewerkschaftlich, h<strong>in</strong>sichtlich<br />

des Verhältnisses zwischen <strong>KPD</strong> auf der e<strong>in</strong>en sowie SPD und IG Metall auf der<br />

anderen Seite. <strong>Die</strong> IG Metall hatte Prüser bereits im März 1953 anlässlich dessen<br />

Wahl zum Vertrauensmännerobmann den Revers zur These 37 v<strong>org</strong>elegt. 306 Prüser<br />

unterschrieb nicht, woraufh<strong>in</strong> der IG Metall Hauptvorstand ihm am 10. April 1953<br />

jegliche gewerkschaftliche Funktionärstätigkeit untersagte. 307 »Obgleich die Mitgliedschaft<br />

im Betriebsrat, der ja ke<strong>in</strong> gewerkschaftliches Gremium ist, davon natürlich<br />

unberührt blieb, kann man sich die komplizierte Situation vorstellen, die<br />

nun entstand: E<strong>in</strong> von der IG Metall mit Funktionsverbot belegtes Mitglied wird<br />

Betriebsratsvorsitzender <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der wichtigsten Bremer Großbetriebe.« 308 H<strong>in</strong>zu<br />

kam, dass der neue Betriebsrat sich erst nach dem Streik konstituieren konnte, währenddessen<br />

also der alte mit dem sozialdemokratischen Vorsitzenden Theodor Klatte<br />

weiter amtierte. Auch dies musste zu Konflikten führen, »zumal der nicht wiedergewählte<br />

ehemalige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Labuske von der<br />

IGM als Streikleiter e<strong>in</strong>gesetzt wurde«. 309<br />

Für die <strong>KPD</strong> war die Wahl <strong>in</strong> zweifacher H<strong>in</strong>sicht bedeutsam. Neben dem großen<br />

Erfolg, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em für die Partei besonders zentralen Betrieb die klare Mehrheit<br />

im Betriebsrat sowie den Betriebsratsvorsitzenden zu stellen und damit erstmals<br />

seit Verabschiedung der These 37 e<strong>in</strong>e verme<strong>in</strong>tliche Bestätigung für die radikalisierte<br />

und politisierte Gewerkschaftspolitik erhalten zu haben, musste die Wahl<br />

Prüsers der Parteileitung auch als Erfolg <strong>in</strong>nerhalb bei den 1952/53 ausgetragenen<br />

Konflikten mit den »Opportunisten« <strong>in</strong> der eigenen Betriebsgruppe ersche<strong>in</strong>en.<br />

Prüser war der Vertreter der Betriebsgruppe, der bereits vor dem Streikbeg<strong>in</strong>n am<br />

ehesten versucht hatte, die Parteil<strong>in</strong>ie auf der AG »Weser« umzusetzen, vere<strong>in</strong>zelt<br />

sogar gegen den Widerstand von Weber und Priemer. Er hatte außerdem im Gegensatz<br />

zu diesen beiden den Revers der IG Metall nicht unterschrieben und daher<br />

gewerkschaftliches Funktionsverbot, war aber dennoch - <strong>in</strong> den Augen des <strong>KPD</strong>-<br />

Sekretariats vielleicht auch gerade deswegen - gewählt worden.<br />

<strong>Die</strong>se Ausgangslage - die e<strong>in</strong>e wesentlich günstigere war als noch beim Metallarbeiterstreik<br />

1951 - konnte die <strong>KPD</strong> nur als Ermutigung und gute Voraussetzung<br />

für e<strong>in</strong>e Gestaltung des Streiks <strong>in</strong> ihrem S<strong>in</strong>ne und e<strong>in</strong>e Zuspitzung des Konflikts<br />

305 Ebenda. E<strong>in</strong>e Übersicht über die Ergebnisse aller Werften im Lande <strong>Bremen</strong> gab auch e<strong>in</strong> <strong>KPD</strong>-<br />

Instrukteursbericht, der sogar von lediglich zwei von vormals acht Mandaten für die SPD sprach (Vorläufige<br />

Übersicht über das Ergebnis der Betriebsrätewahlen <strong>in</strong> den Werften im Land <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

11/20/14).<br />

306 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und die Absetzung des Betriebsrates<br />

der AG »Weser« 1953, <strong>in</strong>: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 5.<br />

Jahrgang, Heft 2, April 1990, S. 36-59, hier S. 41.<br />

307 Ebenda, S. 42f.<br />

308 Ebenda, S. 42.<br />

309 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 158.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 251<br />

mit den »rechten Gewerkschaftsführern« <strong>in</strong>terpretieren. Und tatsächlich wurde die<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischen SPD und IG Metall e<strong>in</strong>erseits und <strong>KPD</strong> andererseits<br />

zu e<strong>in</strong>em zentralen Thema des Streiks, der bis zum 10. Juni 1953 dauerte und damit<br />

der bis dah<strong>in</strong> längste <strong>in</strong> der Geschichte der Bundesrepublik war. 310<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> trat im Streik von Anfang an auf der Grundlage ihrer radikalisierten<br />

gewerkschaftspolitischen L<strong>in</strong>ie seit 1950/51 auf. 311 <strong>Die</strong> strategischen Rollen der unterschiedlichen<br />

Beteiligten waren dabei offenbar verteilt. <strong>Die</strong> Verquickung des<br />

Streiks mit dem »Kampf gegen das Adenauerregime«, mit den deutschlandpolitischen<br />

Themen also, geschah weitestgehend durch das Sekretariat und <strong>in</strong> der Tribüne<br />

der Demokratie. Bereits zwei Tage nach Streikbeg<strong>in</strong>n fasste Hermann Gautier <strong>in</strong><br />

der Parteizeitung die Sichtweise des Sekretariats unter der Überschrift »Werftarbeiterstreik<br />

- Aktion gegen das Adenauerregime« zusammen. 312 Mit der Durchsetzung<br />

der Lohnforderungen werde »die Verwirklichung der Generalvertragspolitik erheblich<br />

gefährdet«, so Gautier. Dementsprechend hatte das Sekretariat schon am Tag<br />

des Streikbeg<strong>in</strong>ns auf e<strong>in</strong>er eiligst e<strong>in</strong>berufenen »Versammlung der Genossen Metallarbeiter«<br />

vier verschiedene Maßnahmen als »wichtigste Aufgabe« der Partei <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> deklariert, von denen lediglich die vierte und letzte wenigstens ansatzweise<br />

die lohnpolitischen Ziele des Streiks ansprach (»Wahrung der e<strong>in</strong>heitlichen<br />

Kampffront für die gewerkschaftlichen M<strong>in</strong>destforderungen! Ke<strong>in</strong>e neuen Lohnforderungen!«).<br />

An erster Stelle der Maßnahmen stand explizit die Orientierung auf<br />

die politischen Ziele: »Der wirtschaftliche Kampf der Arbeiter <strong>in</strong> den Betrieben,<br />

<strong>in</strong>sbesondere jetzt der Werftarbeiter, muss auf der Grundlage des Programms der<br />

Nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands eng verbunden werden mit den politischen<br />

Ursachen.« 313 Es folgten der damit im engen Zusammenhang stehende<br />

»Kampf gegen das BVG [Betriebsverfassungsgesetz]« sowie die »ständige systematische<br />

Aufklärungsarbeit« unter den streikenden Werftarbeitern.<br />

Frühzeitig forderte die <strong>KPD</strong> die Ausweitung des Streiks auf andere Bremer und<br />

sogar westdeutsche Betriebe. Bereits <strong>in</strong> der ersten Stellungnahme <strong>in</strong> der Tribüne der<br />

Demokratie hatte Hermann Gautier erklärt: »Für die gesamte Arbeiterschaft Westdeutschlands<br />

sollte der Streik der Werftarbeiter das Signal se<strong>in</strong>, ebenfalls zum aktiven<br />

Kampf gegen die Adenauerpolitik überzugehen«. 314 Am Vorabend des 1. Mai<br />

310 Der Streikverlauf ist <strong>in</strong> der Literatur ausreichend aufgearbeitet und wird hier nicht weiter geschildert.<br />

Vgl. ausführlich Andree Postel, »Alles annere is Tünkrom und ward aflehnt!«, a.a.O. Außerdem:<br />

He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 157ff.; He<strong>in</strong>z-Gerd<br />

Hofschen, Werfarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und die Absetzung des Betriebsrats der AG<br />

»Weser« 1953, a.a.O.; für <strong>Bremen</strong>-Nord: Joachim Oltmann, Kalter Krieg und kommunale Integration.<br />

Arbeiterbewegung im Stadtteil <strong>Bremen</strong>-Vegesack <strong>1945</strong>-1956, Marburg a.d. Lahn 1987, S. 453ff.<br />

311 <strong>Die</strong> Rekonstruktion der Rolle und Ziele der <strong>KPD</strong> während des Werftarbeiterstreiks kann weitgehend<br />

nur auf Basis ihrer Veröffentlichungen (u.a. <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie, Werft-Echo, Flugblätter etc.)<br />

erfolgen. Exakt für die gesamte Dauer des Streiks fehlen <strong>in</strong> den vorliegenden Aktenbeständen die Protokolle<br />

des Landessekretariats wie auch die der Landesleitung. Interne Diskussionen lassen sich deshalb<br />

nur <strong>in</strong>direkt erschließen.<br />

312 Werftarbeiterstreik - Aktion gegen das Adenauerregime, Tribüne der Demokratie, 27.4.1953.<br />

313 Werftarbeiterstreik br<strong>in</strong>gt Adenauer dem Sturz näher, Tribüne der Demokratie, 29.4.1953.<br />

314 Werftarbeiterstreik - Aktion gegen das Adenauerregime, Tribüne der Demokratie, 27.4.1953.


252<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

1953 forderte die Landesleitung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Flugblatt an alle »Arbeiter und Angestellte<br />

im Lande <strong>Bremen</strong>« dazu auf, sich »mit den kämpfenden Werftarbeitern solidarisch<br />

zu erklären« und »noch heute... <strong>in</strong> Branchen und Abteilungsversammlungen<br />

die sofortige E<strong>in</strong>reihung <strong>in</strong> die Kampffront der Werftarbeiter« zu verlangen. 315<br />

Zehn Tage nach Streikbeg<strong>in</strong>n forderte die Tribüne der Demokratie auf der Titelseite,<br />

»Metall- und Hafenarbeiter müssen sich <strong>in</strong> die Kampffront der Werftarbeiter e<strong>in</strong>reihen!«<br />

316, und Hermann Gautier machte e<strong>in</strong>en Tag später unter der Überschrift<br />

»<strong>Die</strong> Streikfront muss erweitert werden« erneut deutlich, dass damit nicht nur die<br />

Bremer Betriebe geme<strong>in</strong>t waren:<br />

»<strong>Die</strong> Hafenarbeiter, die Arbeiter der übrigen Metall<strong>in</strong>dustrie sowie besonders die Werftarbeiter<br />

<strong>in</strong> Hamburg, Schleswig-Holste<strong>in</strong>, die selbst Lohnforderungen gestellt haben, müssen jetzt<br />

den Kampf zur Durchsetzung ihrer eigenen Forderungen auslösen. Das wäre für die Erfüllung<br />

ihrer gerechten Forderungen der geeignetste Zeitpunkt und wäre zugleich die beste Unterstützung<br />

für die kämpfenden Werftarbeiter an der Weser«. 317<br />

Während also die Parteileitung von Anfang an auch die übergeordnete politische<br />

Bedeutung des Streiks hervorhob und ihn <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne ausweiten wollte,<br />

blieben solche Forderungen und Aussagen <strong>in</strong> den Veröffentlichungen der Betriebsgruppe<br />

auf der AG »Weser« und den übrigen Werften weitgehend im H<strong>in</strong>tergrund.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Betriebszeitung Werft-Echo konzentrierte sich auf Informationen über den<br />

Streikverlauf und auf die Forderungen nach konsequenter Durchsetzung der gewerkschaftlichen<br />

Ziele, bei gleichzeitig scharfen Angriffen gegen die »rechten Gewerkschaftsführer«.<br />

318 <strong>Die</strong>s war e<strong>in</strong>e relativ basisnahe Orientierung der <strong>KPD</strong> an<br />

den unmittelbaren Interessen der streikenden Arbeiter, die ke<strong>in</strong>eswegs im Widerspruch<br />

zu den politischen Äußerungen der Parteileitung stand, sondern nur e<strong>in</strong>e<br />

unterschiedliche Rollenverteilung und vielleicht unterschiedliche Interessensschwerpunkte<br />

offenbarte: hier die Parteileitung, die ihre Instrumentalisierungspolitik<br />

zum Kern ihrer Aktivitäten machte, dort die Betriebsgruppe, die unmittelbarer<br />

im Geschehen stand und eher zwischen Partei-, Gewerkschafts- und Belegschafts<strong>in</strong>teressen<br />

lavieren musste.<br />

E<strong>in</strong> zentraler Punkt <strong>in</strong> Agitation und Handlungsweise der <strong>KPD</strong> auf der Werft<br />

während des Streiks war - und hier gab es ke<strong>in</strong>erlei Unterschiede zur Parteileitung<br />

und zur Tribüne der Demokratie - die scharfe Kritik an der Gewerkschafts- und<br />

Streikleitung. <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung entzündete sich dabei zunächst an der von<br />

der <strong>KPD</strong> von Beg<strong>in</strong>n des Streiks an geforderte Bildung e<strong>in</strong>er betrieblichen Streikleitung.<br />

<strong>Die</strong>s war zum e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e Forderung, die deutlich <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>ie der seit 1951/52<br />

von der Partei propagierten Bildung von »Kampfausschüssen« stand. Zum anderen<br />

richtete sie sich gegen die durch die Gewerkschaft gebildete zentrale Streikleitung,<br />

an der die <strong>KPD</strong> nicht beteiligt war und die von dem gerade abgewählten stellvertretenden<br />

Betriebsratsvorsitzenden Labuske (SPD) geführt wurde. Aus beiden<br />

315 Arbeiter und Angestellte im Lande <strong>Bremen</strong>!, Flugblatt der <strong>KPD</strong>-Landesleitung, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13.<br />

316 Feste Aktionse<strong>in</strong>heit der Werft-Streikfront, Tribüne der Demokratie, 5.5.1953.<br />

317 <strong>Die</strong> Streikfront muss erweitert werden, Tribüne der Demokratie, 6.5.1953.<br />

318 Vgl. die Ausgaben des Werft-Echo, Sonderausgabe, Informationsdienst der streikenden Werftarbeiter, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 10/20/13.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 253<br />

Gründen heraus war es für die <strong>KPD</strong> naheliegend, die Gründung e<strong>in</strong>er von ihr dom<strong>in</strong>ierten<br />

betrieblichen Streikleitung zu versuchen. Bereits unmittelbar vor Beg<strong>in</strong>n<br />

des Ausstands hatte die Betriebsgruppe AG »Weser« <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Flugblatt ebensolches<br />

gefordert und der Bremer Gewerkschaftsleitung Willkür bei der E<strong>in</strong>setzung<br />

der zentralen Streikleitung v<strong>org</strong>eworfen. 319 Auch <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie war<br />

kurz zuvor betont worden, e<strong>in</strong>e betriebliche Streikleitung sei notwendig für e<strong>in</strong>en<br />

»erfolgreichen Kampf«. 320 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> maß dieser gegen die Streikführung der IG Metall<br />

gerichteten Forderung oberste Priorität zu. Hermann Gautier hatte sofort nach<br />

Streikbeg<strong>in</strong>n die Schaffung »betrieblicher Kampf<strong>org</strong>ane« und die Erweiterung der<br />

zentralen Streikleitung durch »die Wahl von klassenbewussten, klarsehenden und<br />

mutigen Kollegen aus der Belegschaft« gefordert. 321 E<strong>in</strong>em SED-Instrukteur zufolge<br />

hatte das Sekretariat auch darauf gedrängt, die Streikleitungen bereits vor Streikbeg<strong>in</strong>n<br />

zu gründen, was aber an den »Genossen <strong>in</strong> den Betrieben« gescheitert sei. 322<br />

<strong>Die</strong> Gründung der betrieblichen Streikleitung auf der AG »Weser« erfolgte<br />

schließlich am 30. April 1953, also fünf Tage nach Streikbeg<strong>in</strong>n. 323 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> fühlte<br />

sich dazu vermutlich auch durch das kurz zuvor bekanntgegebene Ergebnis der Betriebsratswahl<br />

ermutigt. <strong>Die</strong> Konfrontation zur IG Metall war nun offensichtlich<br />

und sollte auch als solche verstanden werden. <strong>Die</strong>s verdeutlichten die von der <strong>KPD</strong><br />

gegebenen Begründungen. <strong>Die</strong> Tribüne der Demokratie schrieb, die Belegschaft erwarte<br />

von dieser betrieblichen Streikleitung, »dass die Fehlentscheidungen der<br />

Streikbruchleitung, die von den rechten Gewerkschaftsführern zusammengeschoben<br />

ist, sofort korrigiert und e<strong>in</strong>e Wiederholung solcher Fehler verh<strong>in</strong>dert wird«. 324<br />

Noch schärfer war der Ton der Begründung im Werft-Echo, <strong>in</strong> dem die Ernennung<br />

der Streikleitung durch den IG-Metall-Ortsvorstand mit Methoden der nationalsozialistischen<br />

DAF und dem »preußischen Kommiss« verglichen wurde. 325<br />

<strong>Die</strong> Partei hatte mit diesem unabhängig von der Gewerkschaft gegründeten betrieblichen<br />

Organ natürlich Legitimationsprobleme. <strong>Die</strong> Formulierung <strong>in</strong> der Tribüne<br />

der Demokratie hatte noch bewusst den E<strong>in</strong>druck erweckt, als handelte es sich um<br />

e<strong>in</strong>e von der gesamten Belegschaft gewählte Streikleitung (»<strong>Die</strong> AG-Weser Belegschaft<br />

wählte am Donnerstag aus ihrer Mitte nach demokratischen Grundsätzen e<strong>in</strong>e<br />

eigene Streikleitung«). 326 Das Werft-Echo gab dagegen zu, die Streikleitung sei<br />

»noch nicht von der gesamten Belegschaft gewählt und muss noch erweitert wer-<br />

319 Kollegen der AG-Weser, Flugblatt, o.O., o.J., <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13.<br />

320 Zum Streik um höheren Lohn entschlossen, Tribüne der Demokratie, 22.4.1953.<br />

321 Werftarbeiterstreik - Aktion gegen das Adenauerregime, Tribüne der Demokratie, 27.4.53.<br />

322 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 21.4. bis 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />

323 Verschärfter Kampf der Bremer Werftarbeiter, Tribüne der Demokratie, 2./3. Mai 1953.<br />

324 Verschärfter Kampf der Bremer Werftarbeiter, Tribüne der Demokratie, 2./3. Mai 1953. Der Vorwurf der<br />

»Streikbruchleitung« bezog sich auf e<strong>in</strong> Ereignis zwei Tage zuvor: Der Streikleiter der IG Metall Labuske<br />

hatte, nach Darstellung der <strong>KPD</strong>, e<strong>in</strong>e »Streikbrecherkolonne« angeführt und versucht, ihr Zugang<br />

zur Werft zu verschaffen (Lohnkampf - Kampf um demokratische Rechte, Tribüne der Demokratie,<br />

30.4.1953).<br />

325 Werft-Echo! Sonderausgabe, Informationsdienst der streikenden Werftarbeiter, Nr. 6, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13.<br />

326 Verschärfter Kampf der Bremer Werftarbeiter, Tribüne der Demokratie, 2./3. Mai 1953.


254<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

den«. Sie sei aber »überhaupt gewählt im Gegensatz zu dem e<strong>in</strong>gesetzten Streikleiter<br />

Labuske«. 327<br />

<strong>Die</strong> zunächst ausschließlich aus Kommunisten bestehende Streikleitung versuchte<br />

denn auch, sich möglichst schnell e<strong>in</strong>e breitere Legitimationsbasis zu verschaffen.<br />

Streikversammlungen auf der Werft wurden von der IG Metall nach wie<br />

vor verweigert und fanden <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nicht e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Mal statt. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>, die dies<br />

während des gesamten Streiks scharf kritisierte, versuchte durch eigene Werftarbeiterversammlungen<br />

diese Blockade zu umgehen und der eigenen Streikleitung mehr<br />

Breite und Legitimation zu verschaffen. 328 Sie scheiterte damit aber weitgehend.<br />

<strong>Die</strong> Partei konnte zu den eigenen Versammlungen nicht mehr als 250 bis 500 AG<br />

»Weser«-Arbeiter mobilisieren. 329 »<strong>Die</strong> betriebliche Streikleitung konnte sich während<br />

des Streiks«, schrieb e<strong>in</strong> SED-Instrukteur, »nicht die erforderliche Autorität<br />

erkämpfen, um alle Werftarbeiter der AG Weser geschlossen h<strong>in</strong>ter sich zu br<strong>in</strong>gen.«<br />

330 »Trotz Bemühungen« sei es ihr nicht gelungen, »sich wirklich an die Stelle<br />

des von der zentralen Streikleitung beauftragten Labuske zu setzen sondern sie hat<br />

ihre Arbeiten neben ihm durchgeführt«. 331 Dementsprechend waren die Handlungsspielräume<br />

der kommunistischen Streikleitung weitgehend beschränkt auf<br />

Stellungnahmen zum Streikverlauf, Entsendung von Delegationen »<strong>in</strong> den Hafen<br />

zur Verh<strong>in</strong>derung von Streikbrucharbeiten« und das Aufsuchen von Betriebsräten<br />

»von größeren Firmen zur Entwicklung der Solidaritätsbewegung«. 332<br />

<strong>Die</strong>se »Solidaritätsbewegung« war der zweite, diesmal nach außen gerichtete<br />

Schwerpunkt der Maßnahmen der <strong>KPD</strong>, mit denen der Streik auf e<strong>in</strong>e möglichst<br />

breite Basis gestellt werden sollte. Auch mit ihnen wurden Konfrontationen zur<br />

Gewerkschaft aufgebaut bzw. verstärkt. <strong>Die</strong> betriebliche Streikleitung rief mit Unterstützung<br />

des DFD den »Zentralen Solidaritätsausschuss« <strong>in</strong>s Leben, der Spenden<br />

der Bremer Bevölkerung und aus der DDR sammelte und an die Streikenden verteilte.<br />

333 Besonders richtete sich dieses Angebot an die nicht <strong>in</strong> der IG Metall <strong>org</strong>anisierten<br />

Werftarbeiter, die von der Gewerkschaft ke<strong>in</strong>e Unterstützung erhielten<br />

und gegen die mit Beg<strong>in</strong>n des Streiks e<strong>in</strong> Mitgliederaufnahmestopp verhängt worden<br />

war. <strong>Die</strong> Realisierung dieser unterstützenden Arbeit der Solidaritätsausschüsse<br />

gelang der <strong>KPD</strong> - trotz massiver Widerstände und Gegenmaßnahmen von Seiten<br />

der IG Metall und des Senats - relativ gut. Auch ist wohl davon auszugehen, dass<br />

durch diese materielle und moralische Unterstützungsleistung gerade die Un<strong>org</strong>anisierten<br />

an den Streik gebunden wurden. <strong>Die</strong> dem Ausschuss darüber h<strong>in</strong>aus von<br />

der <strong>KPD</strong> zugedachten Funktionen - die politische Unterstützung des Streiks <strong>in</strong> der<br />

übrigen Bremer Bevölkerung und se<strong>in</strong>e Ausweitung auf weitere Betriebe - konnte<br />

327 Werft-Echo! Sonderausgabe, Informationsdienst der streikenden Werftarbeiter, Nr. 6, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13.<br />

328 Erweiterte Streikleitung der AG-Weser-Belegschaft gewählt, Tribüne der Demokratie, 11. Mai 1953. Vgl.<br />

auch Andree Postel, »Alles annere is Tünkrom...«, a.a.O., S. 117.<br />

329 Erweiterte Streikleitung der AG-Weser-Belegschaft gewählt, Tribüne der Demokratie, 11. Mai 1953; Andree<br />

Postel, »Alles annere is Tünkrom…”, a.a.O., S. 117.<br />

330 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 21.4. bis 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />

331 Ebenda.<br />

332 Ebenda.<br />

333 Vgl. ausführlich Andree Postel, »Alles annere is Tünkrom..., a.a.O., S. 120ff.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 255<br />

dagegen kaum erfüllt werden. »Im Solidaritätsausschuss«, so der SED-Instrukteur<br />

resümierend, »stand die Frage der Unterstützung allzu sehr im Vordergrund, anstatt<br />

die zur Mitarbeit bereiten Werftarbeiter zur Entwicklung von Solidaritätsstreiks<br />

<strong>in</strong> anderen Betrieben heranzuziehen.« 334<br />

<strong>Die</strong> Politik der <strong>KPD</strong> im Streik war von e<strong>in</strong>er scharfen Agitation gegen die »rechten<br />

Gewerkschaftsführer« begleitet. Dabei wurden vor allem die IG Metall-<br />

Sekretäre Friedrich Düßmann (Ortsvorstand <strong>Bremen</strong>), Karl Wastl (<strong>Bremen</strong>-Nord,<br />

e<strong>in</strong> ehemaliger Kommunist) und He<strong>in</strong>rich Bohnsack (Bezirksleitung Hamburg), aber<br />

auch der eigene Genosse Johann Re<strong>in</strong>ers, 335 scharf angegriffen. Inhaltlich richteten<br />

sich die Angriffe gegen die Streikführung der IG Metall, der die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e zu<br />

große Kompromissbereitschaft und den undemokratischen Charakter der Streikleitung<br />

vorwarf. <strong>Die</strong> Anklagen g<strong>in</strong>gen bis zu der Behauptung, »Düßmann und Labuske<br />

<strong>org</strong>anisieren Streikbruch«. 336 Eigentlicher H<strong>in</strong>tergrund aber war natürlich<br />

die generelle L<strong>in</strong>ie der <strong>KPD</strong>-Politik gegen die »rechten Gewerkschaftsführer«, auf<br />

die während des Streiks immer wieder Bezug genommen wurde. 337<br />

Demgegenüber stand e<strong>in</strong>e Koalition aus IG Metall, SPD, Senat, Justiz und bürgerlicher<br />

Tagespresse, die ihrerseits antikommunistisch motiviert gegen die <strong>KPD</strong><br />

agitierten und handelten. 338 Während des Streiks ergab sich so zwischen IG Metall<br />

und <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e äußerst angespannte Situation, die aber zunächst noch nicht eskalierte.<br />

Nach dem Ende des Streiks jedoch hatte die Konfrontation für die <strong>KPD</strong> und speziell<br />

für Hermann Prüser harte Folgen.<br />

Der Werftarbeiterstreik wurde am 9. Juni 1953 beendet. <strong>Die</strong> IG Metall hatte unter<br />

Vermittlung von Arbeitssenator van Heukelum (SPD) mit den Unternehmern<br />

e<strong>in</strong>e Erhöhung des Ecklohns um fünf Pfennig ausgehandelt. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte konsequent<br />

die Annahme des - nach ihren Worten - »Schandangebots« abgelehnt, warf<br />

den Verhandlungsführern der IG Metall Verrat vor und forderte die Fortsetzung<br />

des Streiks. 339 Mit dieser Forderung nach »Weiterführung des Kampfes bis zur vollen<br />

Erfüllung aller gewerkschaftlichen Forderungen« 340 hatte die Partei die Mehrheit<br />

der gewerkschaftlich <strong>org</strong>anisierten Werftarbeiter auf ihrer Seite. Bei der Urabstimmung<br />

am 8. Juni stimmten rund 60 Prozent gegen die Annahme des Kompromisses<br />

und für die Fortsetzung des Streiks. Nach der Satzung der IG Metall war dafür<br />

jedoch e<strong>in</strong>e Dreiviertelmehrheit erforderlich, sodass die Arbeit auf den Werften<br />

am 10. Juni 1953 wieder aufgenommen wurde.<br />

334 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 21.4. bis 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />

335 So z.B. <strong>in</strong> Werft-Echo! Sonderausgabe, Informationsdienst der streikenden Werftarbeiter, Nr. 6, <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/20/13.<br />

336 Werft-Echo! Sonderausgabe, Informationsdienst der streikenden Werftarbeiter, Nr. 4, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13<br />

337 Vgl. die Artikel zum Streik vor allem <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie, aberauchimWerft-Echo.<br />

338 Vgl. dazu ausführlich die Schilderung des Streikverlaufs bei Andree Postel., »Alles annere is<br />

Tünkrom...«, a.a.O., S. 72ff.<br />

339 Werft-Echo, Informationsdienst der streikenden Werftarbeiter, Nr. 33, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13; Werft-Echo, Informationsdienst<br />

der streikenden Werftarbeiter, Nr. 34, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/13; Schandangebot wird abgelehnt!,<br />

Tribüne der Demokratie, 6./.7. Juni 1953.<br />

340 Schandangebot wird abgelehnt!, Tribüne der Demokratie, 6./.7. Juni 1953.


256<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> wertete den Streik <strong>in</strong>sgesamt dennoch als Erfolg. Im Sekretariat war<br />

man sich unmittelbar nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Urabstimmung e<strong>in</strong>ig<br />

<strong>in</strong> der Beurteilung. 341 Es sei damit zu rechnen gewesen, dass aufgrund der langen<br />

Dauer des Streiks die 75 Prozent Mehrheit für die Fortsetzung nicht zu erreichen<br />

gewesen wären. Trotzdem müsse den Werftarbeitern jetzt gesagt werden, »dass sie<br />

e<strong>in</strong>en entschlossenen Kampf geführt haben zur Verbesserung ihrer Lebenslage und<br />

gegen die Ausbeutungspolitik des Adenauer-Regimes. Denn trotzdem die Werftunternehmer<br />

jegliche Lohnerhöhung abgelehnt hatten [...] mussten sie schließlich 5<br />

Pfennig bewilligen.« 342 Damit, so Hermann Gautier, sei das Pr<strong>in</strong>zip durchbrochen<br />

worden, »dass ke<strong>in</strong>e Lohnerhöhungen gestellt werden dürfen. Das ist e<strong>in</strong> Beitrag<br />

zum nationalen Kampf gegen das Adenauer-Regime. <strong>Die</strong>ser Kampf hat die ganze<br />

Kriegspolitik der Adenauer-Reg. durche<strong>in</strong>andergebracht.« 343 Daneben stellten die<br />

offiziellen Äußerungen der Partei wiederum vor allem die Bedeutung des »Kampfes«<br />

gegen die »rechten SPD- und DGB-Führer« 344 heraus. <strong>Die</strong>se seien nunmehr<br />

»durch ihre Taten im Werftarbeiterstreik entlarvt«. 345 E<strong>in</strong>e Erklärung der <strong>KPD</strong>-<br />

Landesleitung erhob noch e<strong>in</strong>mal schwere Vorwürfe gegen die Führung der IG Metall:<br />

»Statt den Kampf mit allen Mitteln entschlossen zu führen und die Werftunternehmer zur Erfüllung<br />

der von Bohnsack & Co. selbst als bescheiden erklärten Forderungen zu zw<strong>in</strong>gen, taten<br />

sie alles, um den Unternehmern die Lage zu erleichtern und die Niederlage der Werftarbeiter<br />

vorzubereiten. Sie <strong>org</strong>anisierten unter dem Deckmantel sogenannter ›Notstandsarbeiten‹<br />

den Streikbruch, stimmten offen Streikbrucharbeit zu [...] und verh<strong>in</strong>derten mit allen Mitteln<br />

die E<strong>in</strong>beziehung der Landbetriebe der Metall<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> den Streik [...]. Sie hielten die<br />

Masse der Streikenden bewusst vom Kampf fern. [...]. Sie verh<strong>in</strong>derten die Bildung von gewählten<br />

betrieblichen Streikleitungen und setzten Polizei gegen die Streikenden e<strong>in</strong>, wenn die<br />

die Verwirklichung ihrer demokratischen Rechte forderten. [...]. <strong>Die</strong> Werftarbeiter und die<br />

ganze übrige Arbeiterschaft müssen erkennen, dass die Verräter <strong>in</strong> den Reihen der Gewerkschaften<br />

und der Arbeiterklasse, die rechten Gewerkschaftsführer, davongejagt werden müssen<br />

[...].« 346<br />

Das waren völlig verfehlte Angriffe. <strong>Die</strong> IG Metall hatte den Streik als »Machtkampf<br />

der Unternehmer ›gegen die gesamte Arbeitnehmerschaft und ihre Gewerkschaften‹<br />

begriffen«. In der sechswöchigen harten Ause<strong>in</strong>andersetzung g<strong>in</strong>g es der<br />

Gewerkschaft darum, »die Lohnstopp-Politik der Unternehmer zu durchbrechen<br />

und den Versuch der [...] Werft<strong>in</strong>dustriellen, die ›Lohn- und Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />

künftig diktieren‹ zu wollen, zurückzuweisen«. 347<br />

Neben den überzogenen Angriffen auf die Gewerkschaft und der be<strong>in</strong>ahe euphorischen<br />

Gesamte<strong>in</strong>schätzung des Streiks im Zusammenhang mit der eigenen<br />

341 Bericht über die Sitzung vom 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

342 Ebenda.<br />

343 Ebenda.<br />

344 Zu Fragen des Streiks auf den Werften, Tribüne der Demokratie, 11. Juni 1953.<br />

345 Der Streik bestätigt die Richtigkeit der These 37, Tribüne der Demokratie, 12. Juni 1953.<br />

346 Zum Abschluss des Werftarbeiterstreiks. Erklärung der Landesleitung der <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong>, TribünederDemokratie,<br />

13./14. Juni 1953.<br />

347 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 159.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 257<br />

Gewerkschaftspolitik zeigten sich partei<strong>in</strong>tern auch kritische Bewertungen, die vor<br />

allem die Betriebsgruppe der AG »Weser« betrafen. Es sei der Partei nicht gelungen,<br />

so Hermann Gautier auf der ersten Sekretariatssitzung nach dem Ende des<br />

Streiks, »dass die Arbeiter den Kampf <strong>in</strong> die eigenen Hände genommen haben«, die<br />

»Gewerkschaftsbürokratie« habe »den Kampf bis zum letzten Moment fest <strong>in</strong> der<br />

Hand« gehabt. 348 Gautier kritisierte, dass vor Streikbeg<strong>in</strong>n ke<strong>in</strong>e »eigenen Streikleitungen«<br />

gebildet worden seien. <strong>Die</strong> Ursachen dafür lägen <strong>in</strong> der »Schwäche der<br />

Partei«, besonders aber »<strong>in</strong> der Schwäche der Betriebsgruppen der Werften<br />

selbst«. 349 Es habe zwar während des Streiks e<strong>in</strong>e ständige Anleitung durch die<br />

Landesleitung und das Kreis-Sekretariat gegeben, dennoch gebe es <strong>in</strong> den Betriebsgruppen<br />

»e<strong>in</strong>e Reihe erheblicher Schwächen«. 350 Gautier wiederholte die bereits<br />

vor dem Streik gegen die Betriebsgruppe der AG »Weser« wie auch gegen andere<br />

Betriebsgruppen geäußerte Kritik:<br />

»<strong>Die</strong> Hauptschwäche liegt dar<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> großer Teil unserer Genossen das Programm der nationalen<br />

Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands nicht begriffen haben und dass e<strong>in</strong> großer Teil befangen<br />

ist im Gewerkschaftslegalismus. Unsere Genossen haben oftmals auf dem Standpunkt<br />

gestanden, ›die Partei hat recht, aber wir dürfen uns nicht <strong>in</strong> den Vordergrund stellen‹.« 351<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus wurden die beiden Betriebsratsmitglieder der <strong>KPD</strong> Säwecke<br />

und Weber angegriffen, die »ganz offen gezeigt haben, dass sie parteife<strong>in</strong>dliche Argumente<br />

<strong>in</strong> die Betriebsgruppe h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>tragen«. 352<br />

Auch die Kritik e<strong>in</strong>es SED-Instrukteurs g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ähnliche Richtung und<br />

sprach von »starken ideologischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen« <strong>in</strong> der Betriebsgruppe<br />

AG »Weser«. Zwar sei es gelungen, »die alten negativen Wortführer mehr <strong>in</strong> den<br />

H<strong>in</strong>tergrund zu drängen«, immer noch wären aber »e<strong>in</strong>zelne führende Betriebsgruppenfunktionäre<br />

unserer Partei sehr schlecht <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung« getreten. 353<br />

<strong>Die</strong> Bewertung des Streiks durch das Sekretariat zeigte somit den seit 1951 üblichen<br />

Umgang mit der Betriebsgruppe, wie er sich auch beim Metallarbeiterstreik<br />

und der Betriebsgruppe B<strong>org</strong>ward gezeigt hatten. Dennoch gab es auch Unterschiede.<br />

Anders als bei B<strong>org</strong>ward war es der <strong>KPD</strong> auf der AG »Weser« immerh<strong>in</strong><br />

gelungen, e<strong>in</strong>e eigene Streikleitung zu bilden, sich neben der Gewerkschaft zu positionieren<br />

und <strong>in</strong>nerhalb der Belegschaft damit Unterstützung zu f<strong>in</strong>den. Außerdem<br />

konnte sich diese L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong>nerhalb der Betriebsgruppe durchsetzen und der E<strong>in</strong>fluss<br />

348 Bericht über die Sitzung vom 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

349 Ebenda.<br />

350 Ebenda.<br />

351 Ebenda.<br />

352 Ebenda. Gautier schilderte e<strong>in</strong>e Sitzung mit der Betriebsgruppe AG »Weser« während des Streiks, auf<br />

der er die Problematik »Parteife<strong>in</strong>de« thematisiert hatte: »[Ich b<strong>in</strong>] ausgegangen vom Beschluss der 13.<br />

Tagung des ZK der SED über die Lehren aus dem Slansky-Prozess. Ich habe mich gestützt auf e<strong>in</strong>e der<br />

Schlussfolgerungen dieses Beschlusses, dass es der Hauptmangel war, dass es <strong>in</strong> den Leitungen ke<strong>in</strong>e<br />

kämpferische Ause<strong>in</strong>andersetzungen gab und ke<strong>in</strong> Auftreten der Leitungen und Grund<strong>org</strong>anisationen<br />

gegen parteife<strong>in</strong>dliche und falsche Auffassungen. <strong>Die</strong> Diskussion g<strong>in</strong>g dah<strong>in</strong>, ›ja der Hermann hat ja<br />

recht, aber so schlimm war das nun auch nicht‹. Sie fanden Ausreden, ohne auf den Grund der D<strong>in</strong>ge<br />

e<strong>in</strong>zugehen.«<br />

353 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz: vom 21.4. bis 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.


258<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

derjenigen Funktionäre, die die Konfrontation mit der IG Metall vermeiden wollten,<br />

war zurückgedrängt worden. Das Landessekretariat hatte zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

H<strong>in</strong>sicht aus den Fehlern des Metallarbeiterstreiks 1951 gelernt: Man hatte nicht<br />

mehr versucht, über den Streik und die Durchsetzung der Lohnforderungen h<strong>in</strong>ausgehende<br />

Ziele <strong>in</strong> die Belegschaft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zutragen. <strong>Die</strong>s war zwar immer noch<br />

e<strong>in</strong>e wesentliche Grundlage der <strong>KPD</strong>-Konzeption, die aber - anders als 1951 - im<br />

Rahmen e<strong>in</strong>er Rollenverteilung zwischen Betriebsgruppen und Parteileitung vor allem<br />

außerhalb des Betriebs - z.B. von der Tribüne der Demokratie - propagiert wurde.<br />

<strong>Die</strong> Betriebsgruppe konzentrierte sich dagegen auf die konsequente Durchsetzung<br />

der Lohnforderungen und die Angriffe gegen die IG Metall.<br />

Genau diese Konfrontation mit der Gewerkschaft aber war es, die zum e<strong>in</strong>en für<br />

die größten Widersprüche <strong>in</strong>nerhalb der Betriebsgruppe selbst s<strong>org</strong>te und zum anderen<br />

für die <strong>KPD</strong> auf der AG »Weser« schwere Konsequenzen hatte. E<strong>in</strong>zelne<br />

Funktionäre hatten bereits während des Streiks vor der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />

der IG Metall gewarnt und vor allem aus diesem Grund die Bildung e<strong>in</strong>er betrieblichen<br />

Streikleitung abgelehnt, da dies gegen die Statuten der Gewerkschaft verstoße.<br />

354 Auch Konsequenzen durch die Unternehmensleitung waren befürchtet worden:<br />

»Wir müssen vorsichtig se<strong>in</strong>, sonst werden alle 12 Genossen Betriebsräte wieder<br />

entlassen«, zitierte der SED-Instrukteur »e<strong>in</strong>zelne führende Betriebsfunktionäre«.<br />

355 Auch im Sekretariat war man sich dieser Gefahren bewusst und rechnete<br />

nach dem Streik sogar damit. Senat und Unternehmensleitung würden nun »Wert<br />

darauf legen, dass die Betriebe Ruhe haben und versuchen, die Kommunisten aus<br />

den Betrieben zu entfernen. Das bedeutet, dass man mit Maßregelungen rechnen<br />

muss, das haben uns der Hafenarbeiter- und verschiedene andere Streiks gezeigt.<br />

Und es liegt e<strong>in</strong>e Gefahr dar<strong>in</strong>, dass der Betriebsrat bei der AG-Weser nicht wieder<br />

<strong>in</strong> den Betrieb kommt.« 356 Hermann Gautier rechnete außerdem mit Maßregelungen<br />

der kommunistischen Betriebsratsmitglieder durch »die rechte Gewerkschaftsführung«.<br />

357<br />

<strong>Die</strong> Befürchtungen der Betriebsfunktionäre und des Sekretariats sollten sich<br />

schon bald als nur allzu berechtigt herausstellen. Gut zwei Wochen nach Beendigung<br />

des Streiks leitete die IG Metall gegen den neuen Betriebsratsvorsitzenden<br />

Hermann Prüser sowie alle anderen elf kommunistischen Mitglieder des Betriebsrats<br />

e<strong>in</strong> Ausschlussverfahren e<strong>in</strong>. 358 Begründet wurde dies mit den Aktivitäten<br />

während des Streiks. <strong>Die</strong> IG-Metall Ortsverwaltung schrieb an Hermann Prüser:<br />

»Während des Streiks hast du Dich laufend gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlich betätigt. Du hast entgegen<br />

den Anweisungen der Streikleitung und Ortsverwaltung der Industriegewerkschaft Metall e<strong>in</strong><br />

betriebliches Streikkomitee gebildet und Flugblätter mit gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlichen Parolen,<br />

354 Ebenda.<br />

355 Ebenda.<br />

356 Bericht über die Sitzung vom 9.6.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

357 Ebenda.<br />

358 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates<br />

der AG »Weser« 1953, a.a.O., S. 46.; siehe auch AG-Weser-Kollegen stehen geschlossen h<strong>in</strong>ter ihrem<br />

Betriebsrat, Tribüne der Demokratie, 11./12. Juli 1953.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 259<br />

mit de<strong>in</strong>er Unterschrift versehen, herausgegeben. Weiter hast du Versammlungen e<strong>in</strong>berufen<br />

und durchgeführt. <strong>Die</strong>se Versammlungen wurden dazu benutzt, um geme<strong>in</strong>sam mit den Un<strong>org</strong>anisierten<br />

e<strong>in</strong>e wüste Hetze gegen die Gewerkschaften und ihre verantwortlichen Leiter zu<br />

starten« 359<br />

<strong>Die</strong>se scharfen und »zweifellos überzogen(en)« 360 Vorwürfe waren sicher nicht<br />

nur als Reaktion auf die Aktivitäten des betrieblichen Streikkomitees und die ebenso<br />

überzogenen Angriffe der <strong>KPD</strong> auf die Leitung der IG Metall zu verstehen, sondern<br />

dienten offensichtlich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie der antikommunistisch motivierten<br />

Schwächung des gerade mit großer Mehrheit von der Belegschaft gewählten Betriebsrates.<br />

Prüser setzte sich zwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben gegen die Anschuldigungen<br />

zur Wehr und wies vor allem den Vorwurf der Gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlichkeit zurück,<br />

361 blieb damit aber erfolglos. Nach der Anhörung durch e<strong>in</strong>en Untersuchungsausschuss<br />

votierte dieser für den Ausschluss, der Prüser schließlich am 21.<br />

November vom IG-Metall Hauptvorstand mit der lapidaren Begründung mitgeteilt<br />

wurde, se<strong>in</strong> Verhalten während des Streiks sei »weitgehend nach den Anweisungen<br />

der <strong>KPD</strong> erfolgt«. 362<br />

Damit waren die politischen Mehrheitsverhältnisse auf der AG »Weser« aber<br />

noch nicht geändert, der von der <strong>KPD</strong> dom<strong>in</strong>ierte Betriebsrat noch nicht abgesetzt.<br />

<strong>Die</strong>s gelang jedoch nach arbeitsrechtlichen Maßnahmen der Unternehmensleitung<br />

gegen drei <strong>KPD</strong>-Mitglieder des Betriebsrates, die dazu führten, dass Hermann Prüser<br />

noch vor se<strong>in</strong>em Gewerkschaftsausschluss vom Posten des Betriebsratsvorsitzenden<br />

entfernt wurde. Auf e<strong>in</strong>er Betriebsversammlung der AG »Weser« am 9. Juli<br />

1953 hatte das Betriebsratsmitglied Robert Wilczek (<strong>KPD</strong>) die Verabschiedung e<strong>in</strong>er<br />

Protestresolution gegen e<strong>in</strong>en für den 12. Juli <strong>in</strong> Gießen geplanten Aufmarsch des<br />

rechtsradikalen »Stahlhelm-Bundes« beantragt. 363 Der Versammlungsleiter Wilhelm<br />

Lahrs, 2. Betriebsratsvorsitzender und ebenfalls <strong>KPD</strong>-Mitglied, ließ - gegen<br />

den Protest e<strong>in</strong>es sozialdemokratischen Betriebsratsmitglieds, der e<strong>in</strong>en Verstoß<br />

gegen das Betriebsverfassungsgesetz mutmaßte - über den Antrag abstimmen, der<br />

schließlich auch angenommen wurde. Am folgenden Tag sandte daraufh<strong>in</strong> Hermann<br />

Prüser als Vorsitzender des Betriebsrats e<strong>in</strong> Telegramm an die hessische<br />

Landesregierung mit dem Text: »<strong>Die</strong> Belegschaft der ›AG Weser‹ protestiert gegen<br />

den Stahlhelm-Aufmarsch <strong>in</strong> Gießen«. 364<br />

359 Zitiert nach He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des<br />

Betriebsrates der AG »Weser« 1953, a.a.O., S. 46.<br />

360 Ebenda.<br />

361 Hermann Prüser, Werftarbeiterstreik und Absetzung des Betriebsrats, a.a.O., S. 61; He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen,<br />

Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates der AG »Weser«<br />

1953, a.a.O., S. 47.<br />

362 Hermann Prüser, Werftarbeiterstreik und Absetzung des Betriebsrats, a.a.O., S. 61; He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen,<br />

Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates der AG »Weser«<br />

1953, a.a.O., S. 48<br />

363 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates<br />

der AG »Weser« 1953, a.a.O., S. 49.<br />

364 Ebenda. Siehe auch AG-Weser-Kollegen stehen geschlossen h<strong>in</strong>ter ihrem Betriebsrat, Tribüne der Demokratie,<br />

11./12. Juli 1953.


260<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

<strong>Die</strong> Werftleitung nahm dies zum Anlass, beim Arbeitsgericht gegen Prüser,<br />

Lahrs und Wilczek den Ausschluss aus dem Betriebsrat wegen Verstoßes gegen das<br />

Betriebsverfassungsgesetz zu beantragen. Das Arbeitsgericht <strong>Bremen</strong> folgte diesem<br />

Antrag und setzte mit Beschluss vom 21. August 1953 die drei Kommunisten als Betriebsräte<br />

ab. <strong>Die</strong> Urteilsbegründung berief sich dabei ausdrücklich auf den § 51<br />

BetrVG, der e<strong>in</strong>e parteipolitische Betätigung im Betrieb untersagte. 365<br />

Jetzt war auch der Weg für SPD, IG Metall und Unternehmensleitung frei, den<br />

mehrheitlich kommunistischen Betriebsrat wieder loszuwerden und den E<strong>in</strong>fluss<br />

der <strong>KPD</strong> auf der Werft nachhaltig zurückzudrängen. Um e<strong>in</strong>e Neuwahl des Betriebsrates<br />

zu erzw<strong>in</strong>gen, traten Mitte Oktober 1953 nach der Absetzung von Prüser,<br />

Lahrs und Wilczek die drei sozialdemokratischen Mitglieder des Betriebsrates<br />

zurück. Ihnen folgten wenige Tage später die Angestelltenbetriebsräte und fast alle<br />

Nachrücker. 366 <strong>Die</strong> dadurch notwendig gewordene Neuwahl des Betriebsrates<br />

wurde für den 4. und 5. Januar 1954 angesetzt.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war natürlich gegen die Gewerkschaftsausschlüsse und vor allem gegen<br />

die Absetzung der drei Betriebsräte durch das Arbeitsgericht agitatorisch vehement<br />

angegangen. 367 Sie hatte dabei immer wieder an die Belegschaft der AG<br />

»Weser« appelliert, gegen das Verfahren zu protestieren und die Absetzung von<br />

Prüser, Wilczek und Lahrs zu verh<strong>in</strong>dern, blieb damit aber weitgehend wirkungslos.<br />

<strong>Die</strong> Entfaltung von Protestmaßnahmen unter den Werftarbeitern gelang der<br />

<strong>KPD</strong> nicht, auch die Betriebsgruppe selbst hielt sich mit offenen Aktivitäten zurück.<br />

<strong>Die</strong> Kommunisten waren angesichts der scharfen Maßnahmen von IG Metall und<br />

Werftleitung nun offenbar <strong>in</strong> die Defensive geraten. »Unter e<strong>in</strong>em Teil unserer Genossen«,<br />

schrieb e<strong>in</strong> SED-Instrukteur, »gibt es gegenwärtig e<strong>in</strong>e immer stärker zutage<br />

tretende Angst um den Arbeitsplatz und e<strong>in</strong>e faktische Anerkennung des reaktionären<br />

Betriebsverfassungsgesetzes«. 368 Auch im Sekretariat war man sich dessen<br />

bewusst. Anlässlich des Bundestagswahlkampfes 1953 sprach der für die Betriebe<br />

zuständige Sekretär für Arbeit und Soziales von e<strong>in</strong>er weitverbreiteten Resignation<br />

365 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates<br />

der AG »Weser« 1953, a.a.O., S. 49ff. Dort auch ausführlich der weitere Verlauf der gerichtlichen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung und deren juristische und politische E<strong>in</strong>ordnung. <strong>Die</strong> drei Ausgeschlossenen<br />

hatten Beschwerde gegen das Urteil e<strong>in</strong>gelegt, woraufh<strong>in</strong> die Sache bis <strong>in</strong> die höchste Instanz vor<br />

das Bundesarbeitsgericht g<strong>in</strong>g, das den Ausschluss schließlich im Mai 1955 bestätigte. Das Urteil erhielt<br />

grundsätzliche Bedeutung für das Arbeitsrecht.<br />

366 AG-Weser-Betriebsrat zurückgetreten, Tribüne der Demokratie, 17./18. Oktober 1953. Vgl. auch He<strong>in</strong>z-<br />

Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und Wirtschaftswunder, a.a.O., S. 165.<br />

367 Zum Verfahren vor dem Bremer Arbeitsgericht: Provokationen gegen AG-Weser-Betriebsräte, Tribüne der<br />

Demokratie, 12. August 1953; AG-Weser-Betriebsrat verteidigt Gewerkschaftssatzung, TribünederDemokratie,<br />

22./23. August 1953; »Hände weg von unseren Betriebsräten!«, Tribüne der Demokratie, 24. August<br />

1953; AG-Weser-Direktion tritt Arbeiterrechte mit Füßen!, Tribüne der Demokratie, 25. August 1953; Berufungsverhandlung<br />

gegen AG-Weser-Betriebsräte, Tribüne der Demokratie, 14. Oktober 1953; Gegen die Kruppdirektoren,<br />

Tribüne der Demokratie, 21. Oktober 1953; E<strong>in</strong> abgekartetes Spiel, Tribüne der Demokratie, 22.<br />

Oktober 1953; Mit Lüge und Verleumdung zu Felde gezogen, Tribüne der Demokratie, 23. Oktober 1953;<br />

Was notwendig ist, Tribüne der Demokratie, 12. November 1953. Zum Gewerkschaftsausschluss Prüsers:<br />

Gewerkschaft geschwächt, Tribüne der Demokratie, 23. Oktober 1953.<br />

368 Land: <strong>Bremen</strong> [14.9.1953], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 261<br />

<strong>in</strong> den Betrieben (»die Genossen weichen <strong>in</strong> erschreckendem Maße zurück«) und<br />

führte als Beispiel vor allem die AG »Weser« an. 369 Als Ursache der Resignation<br />

h<strong>in</strong>zu kam wohl auch die massive Verstärkung der antikommunistischen Stimmung<br />

<strong>in</strong>folge der Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 <strong>in</strong> der DDR.<br />

All dies waren für die <strong>KPD</strong> denkbar ungünstige Voraussetzungen für die nun anstehenden<br />

Betriebsratswahlen.<br />

Das Sekretariat nahm die Wahlen auf der AG »Weser« sehr ernst, und die gesamte<br />

Bremer Partei wurde auf die Vorbereitungen orientiert. Das Bremer Sekretariat<br />

gab dabei von Anfang an die Bildung e<strong>in</strong>er eigenen Kandidatenliste vor. <strong>Die</strong>se<br />

»betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste« hatte zweierlei Begründungen. Zum e<strong>in</strong>en hatte die IG<br />

Metall e<strong>in</strong>e »Gewerkschaftsliste« angekündigt, auf der die aus der Gewerkschaft<br />

ausgeschlossenen Kommunisten aus dem alten Betriebsrat nicht kandidieren konnten.<br />

<strong>Die</strong> Aufstellung dieser Gewerkschaftsliste wurde von e<strong>in</strong>er Vertrauensmännerversammlung<br />

der AG »Weser« am 11. November 1953 e<strong>in</strong>stimmig beschlossen.<br />

370 Bereits vor diesem Beschluss aber hatte das Sekretariat der <strong>KPD</strong> auf die betriebliche<br />

E<strong>in</strong>heitsliste orientiert, sie war also von der Partei politisch gewollt und<br />

nicht etwa nur e<strong>in</strong>e Reaktion auf die Gewerkschaftsliste. Mit dem Betriebsratsvorsitzenden<br />

Hermann Prüser hatte das Sekretariat sogar Diskussionen geführt, ob es<br />

überhaupt s<strong>in</strong>nvoll sei, auf der Vertrauensmännersitzung zu ersche<strong>in</strong>en. Prüser<br />

hatte dies abgelehnt mit der Begründung, »man sollte die Vertrauensmännersitzung<br />

nicht dadurch <strong>in</strong>teressant machen, dass man vergeblich versucht h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zukommen«.<br />

371 Das Sekretariat dagegen wollte auf dieser Sitzung vor allem die Aufstellung<br />

der Gewerkschaftsliste verh<strong>in</strong>dern. 372 Es gab also von vornhere<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e<br />

ernsthaften Versuche der <strong>KPD</strong>, auf die Gestaltung der Gewerkschaftsliste E<strong>in</strong>fluss<br />

zu nehmen. 373<br />

<strong>Die</strong> Durchsetzung und Propagierung der betrieblichen E<strong>in</strong>heitsliste sowie die<br />

Erstellung e<strong>in</strong>es »betrieblichen Forderungsprogramms« wurde für die <strong>KPD</strong> zum<br />

zentralen Thema der Vorbereitungen zur Betriebsratswahl. <strong>Die</strong>s galt auch für die<br />

Betriebsgruppe, <strong>in</strong> der die Aufstellung e<strong>in</strong>er eigenen Liste allerd<strong>in</strong>gs nicht unumstritten<br />

war, wie schon die Kandidatur e<strong>in</strong>zelner Kommunisten auf der Gewerkschaftsliste<br />

zeigte. Im Sekretariat wurde öfter beklagt, »dass noch bei weitem ke<strong>in</strong>e<br />

Klarheit besteht über die Aufstellung der betrieblichen E<strong>in</strong>heitsliste, auch bei den<br />

369 Protokoll der Landes-Sekretariats-Sitzung v. 18.8.53, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/8.<br />

370 Protokoll der LSS am 10.11.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8; Protokoll der LSS am 14.11.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

371 Protokoll der LSS am 10.11.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

372 Ebenda.<br />

373 Dass dies möglich gewesen wäre, zeigt die Tatsache, dass es e<strong>in</strong>igen Kommunisten <strong>in</strong> den Branchenversammlungen<br />

gelang, als Kandidaten für die Gewerkschaftsliste aufgestellt zu werden. Das Sekretariat<br />

beließ es trotz der Konkurrenz zur eigenen betrieblichen E<strong>in</strong>heitsliste dabei: »Sie sollen dort bleiben,<br />

damit wir wenn nachher der Betriebsrat gewählt ist, mit diesem e<strong>in</strong>e ersprießliche Zusammenarbeit<br />

erreichen können. Wir haben nichts davon, wenn wir sie dazu br<strong>in</strong>gen von der Gewerkschaftsliste<br />

zurückzutreten.« (Protokoll der LSS v. 8.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8). <strong>Die</strong> Betriebsgruppe dagegen hatte<br />

beschlossen, »dass ke<strong>in</strong> Genosse auf der ›gewerkschaftlichen E<strong>in</strong>heitsliste‹ kandidieren kann.« (Protokoll<br />

der LSS am 1.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8).


262<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

führenden Genossen« im Betrieb. 374 Es herrsche noch »ke<strong>in</strong>e volle Überzeugung«,<br />

dass die Orientierung des Sekretariats richtig ist. 375 Auch die Mobilisierung der<br />

Mitglieder auf der Werft gelang nur dürftig. An den Betriebsgruppensitzungen<br />

nahmen auch während des Wahlkampfes nicht mehr als 20 Genossen teil, 376 und<br />

der <strong>in</strong> dieser Zeit durchgeführte Umtausch der Parteibücher zur Erfassung und Aktivierung<br />

der Mitgliedschaft lief ausgerechnet auf der AG »Weser«, die dafür aufgrund<br />

der bevorstehenden Betriebsratswahl als besonders beispielhafter Schwerpunktbetrieb<br />

auserkoren war, nur äußerst schleppend. 377<br />

<strong>Die</strong> betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste, die nach Angaben der <strong>KPD</strong> die Zustimmung der<br />

Mehrheit e<strong>in</strong>er Betriebsversammlung 378 und e<strong>in</strong>iger Branchenversammlungen gefunden<br />

hatte, wurde trotz der Bedenken <strong>in</strong> der Betriebsgruppe e<strong>in</strong>gereicht und veröffentlicht.<br />

379 Sie enthielt 25 Kandidaten, davon - nach Angaben der <strong>KPD</strong> - »etwa<br />

40%«, 380 also zehn Kommunisten, unter ihnen Hermann Prüser, Willi Lahrs und<br />

Robert Wilczek.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> betrieb den Wahlkampf relativ zurückhaltend und versuchte vor allem,<br />

zu scharfe Angriffe gegen die IG Metall zu vermeiden. Der Wahlkampf dürfe<br />

»nicht gegen die sogn. Gewerkschaftsliste geführt werden«, hieß es im Sekretariat.<br />

Es solle vielmehr argumentiert werden, »dass diese Liste nicht den Interessen der<br />

Belegschaft dient, wobei aber die Kollegen, die auf ihr kandidieren, nicht über e<strong>in</strong>en<br />

Kamm geschert werden können«. 381 Auch die Tribüne der Demokratie agierte nur<br />

vorsichtig gegen die Gewerkschaftsliste: »Selbstverständlich kandidieren auch auf<br />

der sogenannten Gewerkschaftsliste viele gute ehrliche Gewerkschafter, die für die<br />

E<strong>in</strong>heit der Belegschaft s<strong>in</strong>d, aber sie kandidieren zumeist an aussichtsloser Stelle«.<br />

382<br />

<strong>Die</strong> SPD-Betriebsgruppe dagegen war »mit e<strong>in</strong>er starken antikommunistischen<br />

Propaganda aktiv geworden« und bezeichnete die <strong>KPD</strong> als »Gewerkschaftsspalter«.<br />

383 Noch am ersten Tag der Betriebsratswahl plakatierte auch die IG Metall im<br />

Betrieb mit der Aufschrift: »Gebt der Kommunistischen Spalterliste die richtige<br />

Antwort! Wählt Liste 1 - Gewerkschaftsliste!«. 384<br />

Der Vorwurf der »Gewerkschaftsspaltung« ignorierte natürlich völlig den eigenen<br />

Anteil der IG Metall am Zustandekommen der betrieblichen E<strong>in</strong>heitsliste, näm-<br />

374 Protokoll der LSS v. 24.11.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

375 Protokoll der LSS am 1.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

376 Protokoll der LSS v. 24.11.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

377 Protokoll der LSS v. 8.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

378 Ebenda; Werftarbeiter e<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung: Betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste, Tribüne der Demokratie, 5./6. Dezember<br />

1953. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte auf der Belegschaftsversammlung angeblich versucht, die beiden Listen zu verschmelzen<br />

(Protokoll der LSS v. 8.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8).<br />

379 Protokoll der LSS v. 8.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8; Nur die Besten wählen!, Tribüne der Demokratie, 16.<br />

Dezember 1953.<br />

380 Protokoll der LSS v. 8.12.53, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

381 Ebenda.<br />

382 Nur die Besten wählen!, Tribüne der Demokratie, 16. Dezember 1953.<br />

383 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates<br />

der AG »Weser« 1953, a.a.O., S. 56.<br />

384 Spalter am Werk!, Tribüne der Demokratie, 6. Januar 1954.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 263<br />

lich den Ausschluss der kommunistischen Betriebsräte. Dennoch kam diese Argumentation<br />

bei der Belegschaft offenbar an. <strong>Die</strong> Gewerkschaftsliste erhielt 2.620 von<br />

3.958 abgegebenen Stimmen, also fast zwei Drittel. <strong>Die</strong> betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste mit<br />

den Kandidaten der <strong>KPD</strong> erhielt 1.265 Stimmen. 385 In den Betriebsrat gewählt wurden<br />

damit 17 Kandidaten der Gewerkschaftsliste und acht der betrieblichen E<strong>in</strong>heitsliste.<br />

386 <strong>Die</strong> Mehrheitsverhältnisse des alten Betriebsrates waren damit völlig<br />

umgekehrt worden, zumal auch die Zahl der Betriebsräte von 19 auf 29 erhöht worden<br />

war.<br />

<strong>Die</strong> Wahl hatte nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Jahr nach der für die <strong>KPD</strong> so erfolgreichen Betriebsratswahl<br />

und dem großen Streik e<strong>in</strong>e verheerende Niederlage für die Partei<br />

gebracht. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> g<strong>in</strong>g öffentlich <strong>in</strong> der Folgezeit auf das Ergebnis nicht weiter e<strong>in</strong>.<br />

In der Tribüne der Demokratie erschienen lediglich zwei kurze Meldungen über den<br />

Wahlausgang, die mit dem H<strong>in</strong>weis auf die wiedergewählten Prüser, Lahrs und<br />

Wilczek versuchten, die positiven Aspekte <strong>in</strong> den Vordergrund zu stellen. 387 Das<br />

Sekretariat beschloss die E<strong>in</strong>setzung e<strong>in</strong>er Kommission, die e<strong>in</strong>e Analyse der Betriebsratswahl<br />

erarbeiten sollte. 388 Ergebnisse dieser Analyse fanden sich <strong>in</strong> der<br />

Folgezeit nicht.<br />

Mit dieser Wahl war der E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> auf der AG »Weser« gebrochen. <strong>Die</strong><br />

IG Metall nutzte das für sie gute Ergebnis für weitere adm<strong>in</strong>istrative Maßnahmen<br />

gegen die Kommunisten. Unmittelbar nach der Wahl leitete sie gegen alle Kandidaten<br />

der betrieblichen E<strong>in</strong>heitsliste Ausschlussverfahren e<strong>in</strong>. 389 Der neugewählte Betriebsratsvorsitzende<br />

Gustav Böhrnsen (SPD) amtierte die nächsten 25 Jahre. Mit<br />

ihm vollzog sich auf der Werft zwischen 1954 und 1956 der Ȇbergang vom betrieblichen<br />

Handeln, bei dem autonome Basisaktivitäten mit gewerkschaftlichen<br />

Strategien zusammenwirkten, zum nahezu ausschließlich <strong>in</strong>stitutionalisierten Barga<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

durch die Gewerkschaften«. 390 Innerhalb dieser Institutionen war die <strong>KPD</strong><br />

aber durch das massive V<strong>org</strong>ehen der IG Metall sowie durch die eigenen Fehle<strong>in</strong>schätzungen<br />

und Radikalisierungen bedeutungslos geworden.<br />

<strong>Die</strong> Partei äußerte sich auf der Werft nicht mehr oder g<strong>in</strong>g zum<strong>in</strong>dest nicht<br />

mehr auf Konfrontationskurs. Gerade die 1954 noch gewählten Betriebsräte hielten<br />

sich dabei zurück. Bereits im Juni 1954 stellte das Sekretariat fest: »<strong>Die</strong> Genossen<br />

Betriebsräte auf der AG Weser vertreten die Ansicht, dass man als Betriebsrat nicht<br />

<strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten könne, weil das BVG bestehe. Es wäre besser ke<strong>in</strong>e Funktion<br />

im Betrieb zu bekleiden, dann könne man besser auftreten.« 391 Hermann Prüser,<br />

385 Absicht der Kruppdirektion durchkreuzt, Tribüne der Demokratie, 8. Januar 1954.<br />

386 Jetzt Forderungsprogramm verwirklichen!, Tribüne der Demokratie, 9. Januar 1954.<br />

387 Absicht der Kruppdirektion durchkreuzt, Tribüne der Demokratie, 8. Januar 1954; Jetzt Forderungsprogramm<br />

verwirklichen!, Tribüne der Demokratie, 9. Januar 1954.<br />

388 Protokoll der LSS v. 12.1.54. E<strong>in</strong>e Diskussion zu dem schlechten Ergebnis f<strong>in</strong>det sich im Protokoll nicht,<br />

hatte aber vermutlich - aufgrund des Beschlusses zur E<strong>in</strong>setzung e<strong>in</strong>er Kommission - stattgefunden.<br />

Das Protokoll trägt den Vermerk: »E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gehendes Protokoll kann nicht angefertigt werden, da die<br />

Unterlagen schnellstens vernichtet wurden«.<br />

389 Anschlag auf Gewerkschaftse<strong>in</strong>heit, Tribüne der Demokratie, 16./17. Januar 1954.<br />

390 He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O., S. 167.<br />

391 Protokoll der LSS v. 29.6.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.


264<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

dem noch 1957 und 1960 die Wiederaufnahme <strong>in</strong> die IG Metall verweigert wurde,<br />

392 trat ebenso wie andere zuvor aktive Kommunisten politisch auf der Werft<br />

nicht mehr <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Gerade im Fall des kurzzeitigen Betriebsratsvorsitzenden<br />

waren die gewerkschaftlichen Ausschlussmaßnahmen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den<br />

arbeitsrechtlichen Konsequenzen des BVG und dem drohenden Arbeitsplatzverlust<br />

offenbar besonders wirksam geworden. 393<br />

Auch die übrige Betriebsgruppe verfiel nun endgültig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zustand zwischen<br />

Resignation und Lethargie e<strong>in</strong>erseits sowie Kritik bzw. Schuldzuweisungen<br />

an das Sekretariat andererseits. <strong>Die</strong> Betriebsgruppenleitung, so e<strong>in</strong> Sekretariatsmitglied<br />

im März 1954, sei »e<strong>in</strong> richtiger Haufen«. 394 Im August 1954 berichtete Hermann<br />

Prüser <strong>in</strong> der Landesleitung, die Betriebsgruppe auf der AG »Weser« sei »ideologisch<br />

schwach. In der letzten Zeit kommen nur noch 2 - 3 Genossen, trotzdem<br />

wir 60 haben.« 395 Prüsers Schilderung der Betriebsgruppe war von e<strong>in</strong>em nahezu<br />

dramatischen und auch hilflos-resignativen Ton gekennzeichnet:<br />

»Es bestehen Unklarheiten über die betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste, die wir damals aufgestellt haben.<br />

Es gibt Genossen, die behaupten, das Verhalten im Werftarbeiterstreik im letzten Jahr mit<br />

dem Solidaritäts-Ausschuss war falsch. E<strong>in</strong>ige Genossen me<strong>in</strong>en, die betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste<br />

war gegen die Gewerkschaftsliste gerichtet. Das war nicht der Fall und <strong>in</strong> diese Richtung haben<br />

wir auch nie diskutiert. [...]. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe tritt nicht offensiv, auch nicht <strong>in</strong> Lohnfragen<br />

auf. <strong>Die</strong> Kampfentschlossenheit, die im Werftarbeiterstreik da war, ist ausgelöscht. Wir<br />

müssen das wiederbekommen, aber wie? [...] Ich weiß nicht, wie wir da rankommen sollen.<br />

<strong>Die</strong> Genossen kommen nicht zu den Betriebsgruppenversammlungen, aber im Betrieb reden<br />

sie über unsere Politik falsch.« 396<br />

Prüsers Beitrag h<strong>in</strong>terließ E<strong>in</strong>druck. Das sei »e<strong>in</strong>e sehr ernste Lage«, so Hermann<br />

Gautier <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Schlusswort der Landesleitungssitzung. Gautiers »Ursachenanalyse«<br />

verdeutlichte aber auch, dass das Sekretariat offenbar die wirklichen<br />

Gründe des Zustandes der Betriebsgruppe nicht wahrnehmen wollte oder konnte,<br />

sondern nur reflexartig und pauschal den E<strong>in</strong>fluss von Parteife<strong>in</strong>den vermutete:<br />

»Das ist e<strong>in</strong>e Arbeit von Brandleragenten, die es darauf absehen, diese entscheidende<br />

Betriebsgruppe kampfunfähig zu machen«. 397<br />

Das Sekretariat beschäftigte sich auf se<strong>in</strong>er folgenden Sitzung noch e<strong>in</strong>mal ausführlich<br />

mit der Betriebsgruppe. Wiederum wurde vor allem den »parteife<strong>in</strong>dlichen<br />

392 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Werftarbeiterstreik, Gewerkschaftsausschlüsse und Absetzung des Betriebsrates<br />

der AG »Weser« 1953, a.a.O., S. 57f.; Hermann Prüser, Werftarbeiterstreik und Absetzung<br />

des Betriebsrats, a.a.O., S. 61.<br />

393 Herbert Breidbach berichtet, Prüsers Verbleiben im Betrieb sei dem neuen Betriebsratsvorsitzenden zu<br />

verdanken gewesen, der dies jedoch vom politischen Stillschweigen Prüsers abhängig machte: »Hermann<br />

blieb nur, weil Gustav Böhrnsen sich für ihn e<strong>in</strong>gesetzt hat und gesagt hat, ›gut Hermann, du<br />

bleibst, aber hier im Betrieb ke<strong>in</strong> politisches Wort mehr. Du gehst wieder re<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Werkzeugschlosserei,<br />

gehst an de<strong>in</strong>en Arbeitsplatz zurück. Wir br<strong>in</strong>gen es e<strong>in</strong>fach nicht übers Herz, dich rauszuschmeißen,<br />

<strong>in</strong> de<strong>in</strong>em Alter kriegst du nirgendwo mehr Arbeit als Werftarbeiter.‹ Und Hermann hat<br />

seitdem die Klappe nicht mehr aufgemacht, was zu verstehen war.« (Interview Herbert Breidbach, 2).<br />

394 Protokoll der LSS v. 29.6.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

395 Protokoll der Landesleitungssitzung am 29. August 1954, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/3.<br />

396 Ebenda.<br />

397 Ebenda.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 265<br />

Argumenten« <strong>in</strong> der Betriebsgruppe die Hauptverantwortung für deren schlechten<br />

Zustand gegeben. Es werde, so der Sekretär für Arbeit und Soziales, vor allem die<br />

betriebliche E<strong>in</strong>heitsliste als falsch bezeichnet, aber auch These 37 sei immer noch<br />

e<strong>in</strong> Thema. 398 Als Hauptverantwortliche dafür wurden die bereits vor 1953 <strong>in</strong> die<br />

Kritik des Sekretariats geratenen Weber, Saewecke und Warneke genannt, aber<br />

auch der Betriebsgruppenvorsitzende und abgesetzte Betriebsrat Willi Lahrs. Das<br />

Sekretariat behandelte das Problem nahezu ausschließlich unter dem Aspekt der<br />

Parteife<strong>in</strong>dlichkeit und der »Brandler-Agenten« und g<strong>in</strong>g die Lösung des Problems<br />

nur von dieser Seite an. Es sollte - wie für andere wichtige Betriebe auch - e<strong>in</strong> Instrukteurskollektiv<br />

gebildet werden, um <strong>in</strong> der Betriebsgruppe argumentativ gegen<br />

die »falschen Auffassungen« vorzugehen und sie zu mobilisieren. Diszipl<strong>in</strong>arische<br />

Maßnahmen gegen die Kritisierten wurden zwar nicht beschlossen, Hermann Gautier<br />

formulierte aber das Ziel der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Betriebsgruppe: »Wir<br />

brauchen da gar nicht lange reden. Wenn wir <strong>in</strong> der Betriebsgruppe e<strong>in</strong>e solche Lage<br />

geschaffen haben, dass der größte Teil erkennt, Weber, Saewecke usw. s<strong>in</strong>d<br />

Fe<strong>in</strong>de der Arbeiterklasse, dann werden sie ausgeschlossen«. 399<br />

<strong>Die</strong> angestrebte Mobilisierung der Betriebsgruppe gelang mit diesen - die Realitäten<br />

und eigentlichen Ursachen der Entwicklung auf der AG »Weser« völlig ignorierenden<br />

- adm<strong>in</strong>istrativen Vorhaben nicht. Der vorläufige Tiefpunkt für die <strong>KPD</strong><br />

auf der AG »Weser« wurde schließlich mit der Betriebsratswahl Anfang Januar<br />

1956 erreicht: Erstmals seit <strong>1945</strong> gelangte ke<strong>in</strong> Kommunist <strong>in</strong> den Betriebsrat. Im<br />

Gegensatz zu 1954 war diesmal nur e<strong>in</strong>e Liste aufgestellt worden, auf der Kommunisten<br />

aber nur auf den h<strong>in</strong>teren Rängen kandidieren konnten. In den Betriebsrat<br />

gewählt wurden - wie von der IG Metall empfohlen - die ersten 17 Kandidaten der<br />

Liste. »Der an 17. Stelle stehende Gewerkschaftskandidat hat immer noch 400<br />

Stimmen mehr auf sich vere<strong>in</strong>igen können als der weiter unten auf der 52 Kandidaten<br />

umfassenden Liste stehende erste <strong>KPD</strong>-Kandidat«, vermeldeten zufrieden die<br />

Bremer Nachrichten unter der Überschrift »Leistungen zwangen <strong>KPD</strong> nieder«. 400 Natürlich<br />

waren auch die kommunistischen Kandidaten Gewerkschaftsmitglieder.<br />

Nicht nur dies verschwieg die bürgerliche Presse, sondern auch die Tatsache, dass<br />

viele auf der Werft bekannte Kommunisten wegen der Ausschlüsse aus der IG Metall<br />

gar nicht auf der gewerkschaftlichen E<strong>in</strong>heitsliste - die die <strong>KPD</strong> im übrigen<br />

selbst befürwortet und gefordert hatte - 401 kandidieren konnten. Für e<strong>in</strong>e weitere<br />

Schwächung der <strong>KPD</strong> hatte zuvor die Direktion der Werft ges<strong>org</strong>t, <strong>in</strong>dem sie den<br />

Betriebsrat und Ersten Sekretär der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe Willi Lahrs und e<strong>in</strong> weiteres<br />

kommunistisches Betriebsratsmitglied fristlos entließ. 402 <strong>Die</strong>Niederlagebeider<br />

398 Protokoll der LSS v. 31.8.54, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

399 Ebenda.<br />

400 Leistungen zwangen <strong>KPD</strong> nieder, Bremer Nachrichten 6. Januar 1956.<br />

401 Erstmals im November 1955 (E<strong>in</strong>heitsliste, Tribüne der Demokratie, 17. November 1956).<br />

402 Lahrs war seit Oktober 1955 Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft und als solcher mit e<strong>in</strong>er Delegation<br />

nach Genf gereist, woraufh<strong>in</strong> ihn die Werftleitung wegen »unbefugten Verlassen des Betriebsgeländes«<br />

fristlos entließ. E<strong>in</strong>e Klage beim Arbeitsgericht blieb für Lahrs erfolglos (Arbeitsgericht lehnt<br />

Klage Willi Lahrs ab, Tribüne der Demokratie, 19. Dezember 1955). Lahrs wurde daraufh<strong>in</strong> als hauptamtlicher<br />

Parteifunktionär von der <strong>KPD</strong> beschäftigt, die ihn aber nur kurze Zeit später im Februar 1956


266<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

Betriebsratswahl war somit die logische Konsequenz der Defensive, <strong>in</strong> der sich die<br />

<strong>KPD</strong> auf der Werft seit dem Ende des Streiks 1953 befand.<br />

In diesen drei Jahren waren auf der AG »Weser« die Gründe für die betriebsund<br />

gewerkschaftspolitische Defensive der <strong>KPD</strong> deutlich geworden. <strong>Die</strong> Repressionen<br />

und adm<strong>in</strong>istrativen Maßnahmen e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> ihrer antikommunistischen Motivation<br />

sehr e<strong>in</strong>igen Koalition aus Gewerkschaft, SPD, Unternehmensleitung, Staat<br />

und Justiz ließen der <strong>KPD</strong> nur sehr wenig Raum für e<strong>in</strong>e eigenständige Politik im<br />

Betrieb und bedrohten ganz massiv nicht nur deren politischen E<strong>in</strong>fluss sondern<br />

auch die materielle Existenz ihrer Mitglieder. Dem standen die Parteileitung und<br />

e<strong>in</strong>e radikalisierte und <strong>in</strong>strumentalisierte Betriebs- und Gewerkschaftspolitik gegenüber,<br />

die zum e<strong>in</strong>en oftmals an den betrieblichen Realitäten vorbeig<strong>in</strong>g, zum<br />

anderen Gewerkschaft und Unternehmensleitung willkommene Argumentationshilfen<br />

und Anlässe für ihre Maßnahmen gegen die <strong>KPD</strong> schaffte. Der Streik 1953<br />

hatte aber auch gezeigt, dass die Partei mit dieser Politik bei e<strong>in</strong>er zeitweise radikalisierten<br />

Belegschaft zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> Teilen auf Zustimmung stieß. Dazwischen stand<br />

die <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe, die e<strong>in</strong>erseits besonders während des Streiks die radikale<br />

Gewerkschaftspolitik umsetzte und ihr größtenteils zustimmte, <strong>in</strong> der andererseits<br />

aber auch die pr<strong>in</strong>zipiellen Widersprüche dieser Politik und e<strong>in</strong>e partielle Opposition<br />

zum Sekretariat sichtbar wurden.<br />

Letzte Bastionen: <strong>Die</strong> Betriebsgruppe Hafen und der Hafenarbeiterstreik 1955<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung und Rolle der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe im Bremer Hafen wies im<br />

Vergleich zu B<strong>org</strong>ward und der AG »Weser« neben e<strong>in</strong>igen Parallelen signifikante<br />

Unterschiede auf. Besonders deutlich wurde dies anlässlich des - von Gewerkschaft,<br />

SPD und Öffentlichkeit als »wild« deklarierten - zweiwöchigen Hafenarbeiterstreiks<br />

1955, der maßgeblich von der <strong>KPD</strong> bee<strong>in</strong>flusst und <strong>in</strong>itiiert worden war.<br />

Auch die e<strong>in</strong>ige Monate zuvor durchgeführte Betriebsratswahl verdeutlichte Unterschiede<br />

zu anderen Bremer Großbetrieben. Während auf der AG »Weser« und<br />

B<strong>org</strong>ward zu diesem Zeitpunkt der E<strong>in</strong>fluss der Kommunisten nahezu völlig beseitigt<br />

war, wurde im Hafen e<strong>in</strong> Kommunist zum Betriebsratsvorsitzenden des Hafenbetriebsvere<strong>in</strong>s<br />

(HBV) gewählt.<br />

<strong>Die</strong> Belegschafts- und Betriebsstruktur im Hafen unterschied sich von der anderer<br />

Großbetriebe erheblich. Im wesentlichen wurde die Arbeit im Hafen von zwei<br />

Betrieben durchgeführt. <strong>Die</strong> im öffentlichen Besitz bef<strong>in</strong>dliche Bremer Lagerhaus<br />

Gesellschaft (BLG) war für die Infrastruktur im Hafen und für e<strong>in</strong>en Großteil des<br />

Umschlags verantwortlich; die dortigen Arbeiter war fest angestellt. Im Hafenbetriebsvere<strong>in</strong><br />

(HBV), <strong>in</strong> dem die übrigen Hafenbetriebe <strong>org</strong>anisiert waren, wurden<br />

dagegen vor allem sogenannte »Unständige« beschäftigt. <strong>Die</strong>se Unständigen stell-<br />

wegen »schwerer Verstöße gegen die E<strong>in</strong>heit der Partei, die Pr<strong>in</strong>zipien der <strong>in</strong>nerparteilichen Demokratie<br />

und die Parteidiszipl<strong>in</strong>« ausschloss (Mitteilung der <strong>KPD</strong>-Landesleitung <strong>Bremen</strong> über den Ausschluss von<br />

Willi Lahrs aus der <strong>KPD</strong>, Tribüne der Demokratie, 10./11. März 1956). Der Darstellung der Landesleitung<br />

zufolge waren weniger politische Differenzen, sondern persönliche Fehlleistungen Lahrs’ ausschlaggebend<br />

für den Ausschluss.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 267<br />

ten die Mehrheit der Hafenarbeiter und waren <strong>in</strong> der Weimarer Republik <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie die Träger von Streiks und spontanen Aktionen gewesen, auch gegen den<br />

Willen der Gewerkschaft. 403 Beide Betriebe hatten e<strong>in</strong>en eigenen Betriebsrat, waren<br />

aber seit 1950 im Gesamthafenbetrieb zusammengeschlossen, der erstmals den Unständigen<br />

e<strong>in</strong>en festen M<strong>in</strong>destlohn garantierte. 404<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte im Hafen bereits während der Weimarer Republik e<strong>in</strong>e starke<br />

Stellung gehabt, sowohl bei den fest beschäftigten Arbeitern der BLG - erst ab 1930<br />

g<strong>in</strong>g hier ihr E<strong>in</strong>fluss zurück - als auch und vor allem bei den Unständigen. 405 Für<br />

die Partei war der Hafen nicht nur deshalb e<strong>in</strong> zentraler Betrieb. H<strong>in</strong>zu kam die<br />

große, im Verlauf der 1950er Jahre noch zunehmende wirtschaftliche Bedeutung für<br />

<strong>Bremen</strong> sowie se<strong>in</strong>e Rolle - neben Bremerhaven - als e<strong>in</strong> zentraler Nachschub- und<br />

Umschlagshafen der amerikanischen Streitkräfte <strong>in</strong> Deutschland. Vor allem letzteres<br />

machte den Hafen ab 1950 im Zuge der nationalen Politik zum Schwerpunktbetrieb<br />

der <strong>KPD</strong>, dem sie e<strong>in</strong>e »zentrale Bedeutung [...] für den Kampf um den Frieden<br />

und damit für die gesamte politische Arbeit« 406 beimaß.<br />

<strong>Die</strong> Erfüllung dieser Ansprüche gelang vor Ort zunächst überhaupt nicht. Instrukteure<br />

von SED und <strong>KPD</strong>-Parteivorstand kritisierten 1950/51 öfter das Bremer<br />

Sekretariat und die Betriebsgruppe. Das Sekretariat sei, so e<strong>in</strong> Instrukteur 1950, ȟber<br />

die Lage im Hafen erschreckend wenig unterrichtet. Es gibt ke<strong>in</strong> System der direkten<br />

Anleitung der Partei<strong>org</strong>anisation <strong>in</strong> den Häfen durch das Sekretariat.« 407 <strong>Die</strong><br />

hiesige Landesleitungsabteilung für Arbeit und Soziales bezeichnete Anfang 1951<br />

die Betriebsgruppe beim HBV als »arbeitsunfähig« und wies die Verantwortung<br />

dafür den beiden <strong>KPD</strong>-Betriebsräten von Hörsten und Raschen zu. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe<br />

bei der BLG wurde dagegen als »aktiv« bezeichnet. 408<br />

<strong>Die</strong> Instrumentalisierungsversuche gelangen also im Hafen trotz der ihm zugemessenen<br />

Bedeutung für die Deutschlandpolitik der Partei genauso wenig wie <strong>in</strong><br />

den anderen Betrieben. Auch die Hafenarbeiter erreichte die <strong>KPD</strong> mit dieser Zielsetzung<br />

kaum, trotz e<strong>in</strong>iger groß angelegter Versuche wie z.B. e<strong>in</strong>er deutschlandweiten<br />

»Friedenskonferenz der Hafenarbeiter und Seeleute« im Juli 1950. 409 Anlässlich<br />

e<strong>in</strong>es Streiks <strong>in</strong> den niederländischen Häfen Rotterdam und Amsterdam im<br />

August 1950 beklagte der vom Parteivorstand e<strong>in</strong>gesetzte Instrukteur die mangelnde<br />

Bereitschaft zur Solidarität unter den Bremer Hafenarbeitern und das mangelhafte<br />

»Parteibewusstse<strong>in</strong> und die Parteimoral der Genossen« <strong>in</strong> der Betriebsgruppe.<br />

410<br />

E<strong>in</strong>en immerh<strong>in</strong> gewissen Erfolg <strong>in</strong> den Mobilisierungsbemühungen konnte die<br />

<strong>KPD</strong> mit dem dreitägigen »wilden« Hafenarbeiterstreik im Oktober 1951 verzeich-<br />

403 Vgl. He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen, Arbeit und Arbeiter im Überseehafen, <strong>in</strong>: Klaus Schlottau, Daniel Tilgner<br />

(Hrsg.), Der Bremer Überseehafen, <strong>Bremen</strong> 1999, S. 125-146, hier S. 136ff.<br />

404 Ebenda, S. 143.<br />

405 Ebenda, S. 139.<br />

406 Bericht über Instruktion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven am 7.8.1950, <strong>in</strong> SAPMO I 11/20/2.<br />

407 Ebenda.<br />

408 Bericht der Abteilung Arbeit und Sozial vom 1.1. - 31.1.1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/19.<br />

409 Vgl. Kapitel 4.<br />

410 Instrukteurbericht, 30. August 1950, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/2.


268<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

nen, der se<strong>in</strong>e öffentliche Wirkung aber vor allem durch das massive E<strong>in</strong>greifen<br />

von staatlicher Seite und die Vermittlungsversuche von Wilhelm Kaisen erzielte.<br />

Ausgangspunkt des Streiks waren zentrale Lohnverhandlungen zwischen ÖTV und<br />

Arbeitgebern für die deutschen Seehäfen, die mit e<strong>in</strong>em Schlichtungsangebot endeten.<br />

Darüber führte die ÖTV am 18. und 19. Oktober 1951 e<strong>in</strong>e Urabstimmung<br />

durch, <strong>in</strong> der die erforderliche Mehrheit von 75 Prozent für die Ablehnung nicht erreicht<br />

wurde. Das von der Gewerkschaft ausgehandelte Angebot galt damit als angenommen.<br />

Mit Arbeitsbeg<strong>in</strong>n am folgenden Montag (22. Oktober 1951) traten daraufh<strong>in</strong><br />

die Arbeiter im Überseehafen <strong>in</strong> den Streik und verlangten die Wiederaufnahme<br />

der Verhandlungen auf der Grundlage der ursprünglichen Lohnforderung.<br />

411 Am nächsten Tag schlossen sich auch die übrigen Hafenarbeiter (Industriehäfen<br />

u.a.) dem Streik an, zugleich waren auch die Hamburger Hafenarbeiter <strong>in</strong><br />

den Ausstand getreten. 412<br />

Bürgerliche Medien, Unternehmer und die ÖTV stellten sich von Anfang an gegen<br />

den als »wild« und »kommunistisch gesteuert« bezeichneten Ausstand. <strong>Die</strong><br />

ÖTV hatte sich sofort vom Streik distanziert, zur sofortigen Wiederaufnahme der<br />

Arbeit aufgefordert und erklärt, »für die Nichtaufnahme der Arbeit trägt jeder e<strong>in</strong>zelne<br />

selbst die Konsequenzen«. 413 <strong>Die</strong> Gewerkschaft verweigerte also jegliche Unterstützung<br />

materieller oder juristischer Art. Der Hafenbetriebsvere<strong>in</strong> als Arbeitgeber<br />

schaltete e<strong>in</strong>en Tag nach Streikbeg<strong>in</strong>n sogar e<strong>in</strong>e Anzeige im Weser-Kurier, <strong>in</strong><br />

der es hieß, »unverantwortliche politische Elemente« hätten »versucht, den Arbeitsfrieden<br />

des Hafens <strong>Bremen</strong> zu stören und die Arbeitsverteilung verh<strong>in</strong>dert«. 414<br />

Schützenhilfe erhielt der HBV e<strong>in</strong>en Tag später vom Herausgeber des Weser-<br />

Kurier, Hans Hackmack (SPD), der unter der Überschrift »Wilder Streik« den Streikenden<br />

»Gewalt und Terror« und »ungesetzliche Arbeitsbeh<strong>in</strong>derung« vorwarf.<br />

<strong>Die</strong> dafür Verantwortlichen seien »im kommunistischen Lager« zu suchen. »Überall<br />

spürt man fremde Drahtzieher«, so Hackmack. 415 <strong>Die</strong> Gründe für diese Reaktionen<br />

waren offensichtlich: die zentrale Bedeutung der Häfen für die Bremer Wirtschaft,<br />

416 e<strong>in</strong>e seit der Weimarer Republik für ihre Neigung zu spontanen und radikalen<br />

Aktionen bekannte Belegschaft, die sich außerdem durch die hohe Zahl von<br />

Unständigen <strong>in</strong> ihrer Struktur und <strong>in</strong> ihrer Kontrollierbarkeit erheblich von der<br />

»fester« Betriebe unterschied, sowie der zwar schwankende, aber nach wie vor große<br />

E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> dieser Belegschaft.<br />

411 Wilder Streik im Überseehafen, Weser-Kurier, 23. Oktober 1951.<br />

412 Hafenarbeiterstreik greift um sich, Weser-Kurier, 24. Oktober 1951. Siehe auch Gerald Sommer, Streik im<br />

Hamburger Hafen. Arbeiterprotest, Gewerkschaften und <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong>: Ergebnisse, Heft 13 (1981).<br />

413 Wilder Streik im Überseehafen, Weser-Kurier, 23. Oktober 1951.<br />

414 Hafenarbeiter!, Anzeige Weser-Kurier, 23. Oktober 1951.<br />

415 Wilder Streik, Weser-Kurier, 24. Oktober 1951.<br />

416 Der Herausgeber des Weser-Kuriers, Hans Hackmack, äußerte dies propagandistisch zugespitzt, aber<br />

im Kern zutreffend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kommentar: »Würde e<strong>in</strong> wilder Streik die bremischen Häfen für längere<br />

Zeit stilllegen, so würde jeder Zweig des Wirtschaftslebens unserer Freien Hansestadt <strong>in</strong> Mitleidenschaft<br />

gezogen. Denn auf Unsicherheit <strong>in</strong> Seehäfen reagiert der Welthandel erfahrungsgemäß sehr<br />

schnell und verlagert die Arbeit durch Umleitung der Überseeschiffe <strong>in</strong> jene Häfen, wo Arbeitsfriede<br />

herrscht.« (Wilder Streik, Weser-Kurier, 24. Oktober 1951).


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 269<br />

In der Tat hatte die <strong>KPD</strong> offensichtlich bei der Initiierung und Durchführung<br />

des Streiks e<strong>in</strong>e erhebliche Rolle gespielt. E<strong>in</strong>en Tag nach Bekanntgabe des Schiedsspruches<br />

(16. Oktober 1951) beschloss das Bremer Landessekretariat verschiedene<br />

Maßnahmen, mit denen die Hafenarbeiter auf e<strong>in</strong>e Ablehnung des Angebots orientiert<br />

werden sollten. 417 Am 19. Oktober, am ersten Tag der Urabstimmung, rechnete<br />

das Sekretariat damit, »dass im Hafen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> über 75% der Hafenarbeiter gegen<br />

den Schiedsspruch stimmen« und beschloss: »Es muss alles <strong>in</strong> Bewegung gesetzt<br />

werden, damit sofort nach Bekanntwerden des Abstimmungsresultates der Hafen<br />

stillgelegt werden kann (Besprechung mit Betriebsgruppe usw.).« 418 <strong>Die</strong> Planungen<br />

umfassten außerdem die Herausgabe e<strong>in</strong>e Flugblatts der Landesleitung, das am<br />

darauffolgenden Wochenende im Hafen verteilt wurden, die »Vorbereitung der Solidaritätsbewegungen«<br />

sowie die Schaffung e<strong>in</strong>er zentralen Streikleitung, »die<br />

ständig <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Hamburg den Kampf der Hafenarbeiter anleitet«. 419<br />

<strong>Die</strong> Streikleitung wurde am ersten Tag des Streiks gebildet und tatsächlich gehörten<br />

ihr mehrheitlich Kommunisten an. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> versuchte außerdem u.a. durch<br />

Auftritte von Hermann Gautier, Wilhelm Meyer-Buer und anderen Bürgerschaftsabgeordneten,<br />

Streikverlauf und -<strong>in</strong>halte zu bee<strong>in</strong>flussen und ihn auf andere Nordseehäfen<br />

(Emden, Brake, Bremerhaven) auszudehnen.<br />

Am zweiten Tag des Streiks eskalierten die Ause<strong>in</strong>andersetzungen, was vor allem<br />

am massiven E<strong>in</strong>greifen von Polizeikräften lag, die <strong>in</strong>zwischen das Hafengelände<br />

abgesperrt hatten. E<strong>in</strong>e Demonstration der Hafenarbeiter versuchte e<strong>in</strong>e der<br />

Sperren zu durchbrechen, woraufh<strong>in</strong> die Polizei gewaltsam unter E<strong>in</strong>satz von<br />

Gummiknüppeln gegen die Demonstranten v<strong>org</strong><strong>in</strong>g. Auch e<strong>in</strong>e Demonstration vor<br />

dem Bremer Rathaus wurde gewaltsam aufgelöst, außerdem wurden sieben Hafenarbeiter<br />

verhaftet. 420<br />

Wohl auch als Reaktion auf diese Eskalation schalteten sich nun der Senat und<br />

besonders Wilhelm Kaisen <strong>in</strong> die Ereignisse e<strong>in</strong>. Kaisen veröffentlichte e<strong>in</strong>en Aufruf<br />

an die Hafenarbeiter und forderte sie zur Wiederaufnahme der Arbeit auf. <strong>Die</strong> Erklärung<br />

enthielt, bis auf die unverb<strong>in</strong>dliche Zusage, »dass niemand gemaßregelt<br />

wird, wenn er jetzt se<strong>in</strong>e Arbeit wieder aufnimmt«, ke<strong>in</strong>erlei Zugeständnisse oder<br />

gar Anzeichen von Verständnis für die Streikgründe, sondern wiederholte die<br />

Vorwürfe, der Streik diene »politischen Zwecken der <strong>KPD</strong>«. Relativ unverblümt<br />

waren Kaisens Drohungen gegen die Arbeiter: »die Staats<strong>org</strong>ane s<strong>in</strong>d verpflichtet,<br />

jeden Staatsbürger bei der Ausübung se<strong>in</strong>er Tätigkeit gegen Terror und Gewaltmaßnahmen<br />

zu schützen. Hafenarbeiter, das gilt auch für euch!«. Das bedeutete<br />

nichts anderes als die Androhung weiterer staatlicher Gewalt zwecks Beendigung<br />

des Streiks. Kaisens Aufruf endete dramatisch: »Isoliert die Terroristen, verlasst<br />

nicht die gewerkschaftliche Basis bei Lohnkämpfen! E<strong>in</strong> Schritt ab vom Wege im<br />

S<strong>in</strong>ne der kommunistischen Drahtzieher - und das Chaos ist da! Ersche<strong>in</strong>t daher<br />

417 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 17. Oktober 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

418 Protokoll der Sekretariatssitzung vom 19. Oktober 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/6.<br />

419 Ebenda.<br />

420 Streikwellen schlugen vom Hafen <strong>in</strong> die Stadt und Täglich 120000 DM Streikschäden, Weser-Kurier, 24. Oktober<br />

1951.


270<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

zur ordnungsgemäßen Arbeitsvermittlung!«. 421 Kaisen beließ es nicht bei diesem<br />

Aufruf. Noch am Tag der Veröffentlichung erschien der Präsident des Senats persönlich<br />

im Hafen und sprach vor e<strong>in</strong>er Versammlung der Streikenden. Hier machte<br />

er nun erstmals auch leichte Zugeständnisse und sicherte den Arbeitern im Falle<br />

der Beendigung des Streiks e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>malige Zahlung von Kartoffelgeld zu. Parallel<br />

dazu hatte auch die ÖTV angeboten, die während des Streiks ausgefallenen Löhne<br />

zu zahlen. 422 <strong>Die</strong> Arbeiter lehnten dennoch zunächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er von Kaisen <strong>in</strong>itiierten<br />

Abstimmung die Beendigung des Streiks ab, wohl auch unter dem E<strong>in</strong>druck weiterer,<br />

kurz zuvor erfolgter Verhaftungen zweier Kommunisten aus der Streikleitung.<br />

Am nächsten Tag jedoch brach der Streik nach nur dreitägiger Dauer zusammen,<br />

ohne dass die Forderungen erfüllt worden waren. <strong>Die</strong> Mehrheit der Arbeiter<br />

nahm zur Mittagsschicht die Arbeit wieder auf. 423 <strong>Die</strong> Mischung aus staatlicher<br />

Gewalt, antikommunistischer Rhetorik und materiellen Zusícherungen hatte offenbar<br />

gewirkt. Für die <strong>KPD</strong> war dies ebenfalls e<strong>in</strong>e Niederlage, die zwei Aspekte sehr<br />

deutlich gemacht hatte: Sie war kurzfristig durchaus <strong>in</strong> der Lage gewesen, die wenig<br />

homogene und spontaneistisch orientierte Belegschaft im Hafen zu mobilisieren,<br />

auch die festangestellten Arbeiter der BLG. Sie war aber nicht fähig, dem staatlichen<br />

E<strong>in</strong>greifen wirksam entgegenzutreten, die Durchsetzung der Forderungen zu<br />

erreichen und den Streik mit ihren allgeme<strong>in</strong>en politischen Zielen zu verb<strong>in</strong>den.<br />

In der E<strong>in</strong>schätzung des Streiks hob die Parteileitung vor allem die <strong>in</strong> ihren Augen<br />

positiven Aspekte hervor. Hermann Gautier betonte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Stellungnahme<br />

vor dem Parteivorstand die »gute Kampfmoral« während des Streiks, die die<br />

partei<strong>in</strong>ternen Kritiker vor allem bei B<strong>org</strong>ward widerlegt habe. <strong>Die</strong> Arbeiter hätten<br />

deren Argument, »die seien nicht bereit zu kämpfen, e<strong>in</strong>deutig widerlegt«. <strong>Die</strong><br />

Partei habe gerade deshalb an Ansehen gewonnen, »weil wir entgegen dieser<br />

falschen Auffassung, dass sich unsere Partei nicht e<strong>in</strong>mischen dürfe, von Anfang an<br />

e<strong>in</strong>e selbständige Haltung <strong>in</strong> diesem Kampf e<strong>in</strong>genommen haben, weil wir den<br />

Arbeitern aufgezeigt haben, was sie machen müssen.« Fehler sah Gautier lediglich<br />

im Fehlen e<strong>in</strong>er zentralen Streikleitung für alle Häfen und »dass wir nicht die<br />

Taktik der rechten Gewerkschaftsführer erkannt haben, den Hafenarbeitern die<br />

Führung aus der Hand zu nehmen«. 424 Geradezu euphorisch beurteilte e<strong>in</strong><br />

Vertreter der Betriebsgruppe die Ergebnisse des Streiks für die <strong>KPD</strong>:<br />

»Es kann festgestellt werden, dass alle Hafenarbeiter während des Streiks auf die kommunistischen<br />

Genossen gesehen haben. Das ist das Entscheidende, dass wir als Kommunistische<br />

Partei von Anfang an das Heft <strong>in</strong> der Hand hatten, um auch die [Streik-] Leitung richtig <strong>in</strong> die<br />

Wege zu br<strong>in</strong>gen. [...] <strong>Die</strong> Zeiten s<strong>in</strong>d vorbei, wo die Kommunistische Partei als e<strong>in</strong> isoliertes<br />

Häufle<strong>in</strong> neben der Arbeiterklasse stand. Heute ist die Zeit bereits da, wo die Kommunistische<br />

Partei die Arbeiterklasse wirklich zum Kampf und zum Sieg führen muss.« 425<br />

421 Hafenarbeiter!, Anzeige Weser-Kurier, 24. Oktober 1951.<br />

422 Verständigungsvorschlag der Gewerkschaft ÖTV, Weser-Kurier, 25. Oktober 1951.<br />

423 Der wilde Streik ist zusammengebrochen, Weser-Kurier, 26. Oktober 1951. In Hamburg dagegen dauerte<br />

der Streik noch bis zum 9. November 1951 (Gerald Sommer, Streik im Hamburger Hafen, a.a.O.).<br />

424 2. Tagung des PV der <strong>KPD</strong> 9.-11.11.1951, Bd. 2, S. 456ff., <strong>in</strong>: SAPMO DY IV/10.03/238.<br />

425 2. Tagung des PV der <strong>KPD</strong> 9.-11.11.1951, Bd. 1, S. 204f., <strong>in</strong>: SAPMO DY IV/10.03/237.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 271<br />

<strong>Die</strong> Freude von Parteileitung und Betriebsgruppe über die führende Rolle der<br />

<strong>KPD</strong> während des Streiks war zwar, was die Auslösung und Durchführung betraf,<br />

<strong>in</strong> gewissem Maße berechtigt. Das schnelle und nahezu ergebnislose Ende der Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

jedoch und die Entwicklung der folgenden Jahre widersprachen<br />

dem Optimismus. <strong>Die</strong> ÖTV schloss im Januar 1952 sieben Bremer Hafenarbeiter<br />

wegen gewerkschaftsfe<strong>in</strong>dlichen Verhaltens während des Streiks aus. Unter ihnen<br />

war auch der kommunistische Vorsitzende der Streikleitung. 426 <strong>Die</strong> Betriebsgruppe<br />

war <strong>in</strong>folge des massiven staatlichen E<strong>in</strong>greifens, der schnellen Beendigung des<br />

Streiks und der Gewerkschaftsausschlüsse <strong>in</strong> der Folgezeit offenbar zunächst nahezu<br />

<strong>in</strong>aktiv. Der Streik von 1951 habe »e<strong>in</strong>e nicht unerhebliche Depression h<strong>in</strong>terlassen«,<br />

die Betriebsgruppe sei »sehr getroffen« und »die Aktivität der Genossen gehemmt«<br />

gewesen, hieß es später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Instrukteursbericht. 427 Nach wie vor<br />

nahm der Hafen als Schwerpunktbetrieb e<strong>in</strong>e zentrale Stellung <strong>in</strong> der Konzeption<br />

des Sekretariats e<strong>in</strong>, das sich aber weiter nicht besonders darum kümmerte. 428<br />

Trotzdem behielt die Partei vor allem im Hafenbetriebsvere<strong>in</strong> ihren E<strong>in</strong>fluss. Bei<br />

den Betriebsratswahlen 1953 gelangte sie mit m<strong>in</strong>destens zwei Vertretern <strong>in</strong> den<br />

HBV-Betriebsrat. 429 Nach Angaben der <strong>KPD</strong> konnte »der alte Betriebsratsvorsitzende<br />

<strong>in</strong> der konstituierenden Sitzung nur e<strong>in</strong>e Stimme mehr bekommen als der<br />

ebenfalls für den Vorsitzenden v<strong>org</strong>eschlagene Genosse«. 430 Bei der Bremer Lagerhausgesellschaft<br />

gelangte die <strong>KPD</strong> nicht <strong>in</strong> den Betriebsrat. 431<br />

1955 gelang es dann der <strong>KPD</strong>, diesen trotz der Niederlage beim Streik 1951 und<br />

der Lethargie der Betriebsgruppe aufrechterhaltenen latenten E<strong>in</strong>fluss unter den<br />

Hafenarbeitern zu nutzen und sogar zu stärken. Sichtbarstes Zeichen dafür war die<br />

Wahl des Kommunisten Karl Lampe zum HBV-Betriebsratsvorsitzenden. Bei den<br />

Betriebsratswahlen am 28. und 29. April 1955 wurden fünf Mitglieder der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />

den <strong>in</strong>sgesamt 17-köpfigen Betriebsrat des HBV gewählt. 432 Wie 1953 erhielt die<br />

SPD lediglich e<strong>in</strong> Mandat, der Rest entfiel auf parteilose Kandidaten. 433 Bei der<br />

konstituierenden Betriebsratssitzung weigerte sich der bisherige Vorsitzende und<br />

spätere ÖTV-Sekretär Max Hilse, der bei den Wahlen die meisten Stimmen erhalten<br />

426 Gerald Sommer, Streik im Hamburger Hafen, a.a.O., S. 83f.<br />

427 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />

428 So monierte e<strong>in</strong>e Instrukteur<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong>er Sekretariatsitzung, sie »wundere sich«, dass <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Sitzung<br />

des Sekretariats Stellung zum Schwerpunkt Hafen genommen werde. »Es müssen die dafür verantwortlichen<br />

Genossen doch berichten, was dort gemacht wurde.« (Protokoll der Sekretariats-Sitzung am 3.<br />

Juli 1952, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/7).<br />

429 Arbeitsbüro, 10.8.55, Anlage 3)., <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/71. Der Instrukteursbericht gab e<strong>in</strong>e<br />

Übersicht über die Bremer Betriebsratswahlen 1955, enthielt aber auch die Ergebnisse der letzten Wahlen<br />

von 1953. Laut dieser Übersicht war die SPD im Betriebsrat von 1953 nur mit e<strong>in</strong>em Sitz vertreten,<br />

die Mehrzahl der Betriebsräte war parteilos.<br />

430 Zwischenbericht zum Stal<strong>in</strong>-Aufgebot d. Land <strong>Bremen</strong> bis zum 15.4.1953, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

431 Ebenda.<br />

432 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102. Andere<br />

Quellen von <strong>KPD</strong> und SED sprachen von vier bzw. sechs <strong>KPD</strong>-Mandaten (Analyse des Hafenarbeiterstreiks<br />

1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188; Arbeitsbüro, 10.8.55, Anlage 3, <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO<br />

DY 2/10/.02/71).<br />

433 Arbeitsbüro, 10.8.55, Anlage 3, <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/71.


272<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

hatte, im neuen Betriebsrat mit Karl Lampe zusammenzuarbeiten und schlug stattdessen<br />

den Kommunisten als Betriebsratsvorsitzenden vor. <strong>Die</strong>ser wurde daraufh<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>stimmig gewählt. 434 Auch bei der Bremer Lagerhausgesellschaft gelang es der<br />

<strong>KPD</strong> wieder, mit zwei Mandaten vertreten zu se<strong>in</strong>. 435<br />

Bereits zuvor war die <strong>KPD</strong> im Hafen wieder aktiver geworden und hatte dadurch<br />

bei dieser Wahl »beachtliche Erfolge« 436 erzielt. <strong>Die</strong> Betriebsgruppenzeitung<br />

»De Stauhoken« erschien ab Anfang 1955 wieder regelmäßig 437 und wurde zu dem<br />

am häufigsten ersche<strong>in</strong>enden Betriebs<strong>org</strong>an der Bremer Partei. Spätere Analysen<br />

der <strong>KPD</strong> schrieben dem Blatt e<strong>in</strong>en wesentlichen Anteil an dem Ergebnis der Betriebsratswahl<br />

wie auch bei der Vorbereitung des im Herbst folgenden Streiks<br />

zu. 438<br />

Nach der Wahl von Karl Lampe wurde die Arbeit weiter <strong>in</strong>tensiviert, sowohl <strong>in</strong><br />

»atmosphärischer« H<strong>in</strong>sicht - es gelang der Partei, e<strong>in</strong>e Delegation mit mehr als der<br />

Hälfte der Hafenbetriebsräte zusammenzustellen, die die Häfen <strong>in</strong> Rostock und<br />

Wismar besuchte und dort e<strong>in</strong> »geme<strong>in</strong>sames Kampfprogramm für die Herstellung<br />

e<strong>in</strong>er gesamtdeutschen Zusammenarbeit« aufstellte - 439 alsauch<strong>in</strong>derEntwicklung<br />

betrieblicher Forderungen. <strong>Die</strong>se mündeten schließlich <strong>in</strong> konkreten Forderungen<br />

nach e<strong>in</strong>er Teuerungszulage auf den Schichtlohn um 2,- DM, die Zahlung<br />

e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>kellerungsbeihilfe von 80,- DM und die Zahlung e<strong>in</strong>er Erschwerniszulage<br />

von 3 DM für die Sackträger. <strong>Die</strong>se Forderungen - propagiert im »Stauhoken« - 440<br />

wurden auch an die ÖTV herangetragen, die deren Durchsetzung auf betrieblicher<br />

Ebene jedoch ablehnte, da sie »tarifliche Forderungen« seien. 441 <strong>Die</strong> Entwicklung<br />

und Aufstellung der Forderungen liefen also an der Gewerkschaft wie auch am Betriebsrat<br />

mit dem kommunistischen Vorsitzenden vorbei.<br />

E<strong>in</strong>e Belegschaftsversammlung des HBV verlieh den Forderungen am 18. September<br />

1955 noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>stimmig Nachdruck. 442 <strong>Die</strong> Versammlung beauftragte<br />

den Betriebsrat, unverzüglich über die Forderungen mit dem HBV zu verhandeln<br />

und setzte ihm e<strong>in</strong>e Frist von e<strong>in</strong>er Woche, nach der über die Ergebnisse berichtet<br />

werden sollte. 443 »<strong>Die</strong>se Betriebsversammlung wurde von der Betriebsgruppe der<br />

<strong>KPD</strong> bis <strong>in</strong> alle E<strong>in</strong>zelheiten gründlich vorbereitet und dadurch die e<strong>in</strong>stimmige<br />

434 Wochenbericht der Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong> vom 2.5. bis 9.5. 1955, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12. Der Bericht<br />

gab ke<strong>in</strong>e Erklärung für dieses Verhalten von Hilse.<br />

435 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />

436 Ebenda.<br />

437 Vgl. die Exemplare <strong>in</strong> SAPMO I 10/20/15.<br />

438 »Dadurch, dass diese Betriebszeitung <strong>in</strong> der Lage war, alle betrieblichen Probleme, Wünsche und Forderungen<br />

der Hafenarbeiter aufzugreifen, e<strong>in</strong>gehend zu behandeln, wurde der Stauhoken populär und<br />

als die Betriebszeitung der Hafenarbeiter anerkannt«, hieß es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der Berichte. (Analyse des Hafenarbeiterstreiks<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102). Andere Berichte formulierten<br />

ähnlich.<br />

439 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />

440 Z.B. Teuerungszulage erkämpfen, De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter [1.9.55], <strong>in</strong>:<br />

SAPMO I 10/20/15.<br />

441 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />

442 »Mit Sanella und Haferflocken ist es nicht getan«, Tribüne der Demokratie, 20. September 1955.<br />

443 Hafenarbeiter auf dem richtigen Weg, Tribüne der Demokratie, 23. September 1955.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 273<br />

Annahme der Beschlüsse auch gesichert«, hieß es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em späteren Bericht. 444 Tatsächlich<br />

hatte die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong>tensiv für den Besuch der an e<strong>in</strong>em Sonntag stattf<strong>in</strong>denden<br />

Betriebsversammlung geworben und dabei auch die aufgestellten Forderungen<br />

noch e<strong>in</strong>mal begründet. 445 Während der Versammlung trat vor allem der junge Hafenarbeiter<br />

und Kommunist Gerd Lieberum als Redner hervor und positionierte<br />

sich gegen den Vertreter der ÖTV. 446 Der 27-Jährige war bis 1951 Landesvorsitzender<br />

der FDJ gewesen, seitdem Mitglied der <strong>KPD</strong>-Kreisleitung und zum Zeitpunkt<br />

der Betriebsversammlung 1955 auch Kandidat der Partei für die am 9. Oktober anstehenden<br />

Bürgerschaftswahlen. Der E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> war also sehr deutlich, und<br />

Lieberum wurde beim nachfolgenden Streik auch Vorsitzender und Sprecher der<br />

Streikleitung.<br />

<strong>Die</strong> Gespräche zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung fanden bis zum<br />

festgelegten Term<strong>in</strong> (25. September 1955) ke<strong>in</strong> Ergebnis. Der Hafenbetriebsvere<strong>in</strong><br />

lehnte die Teuerungs- und Erschwerniszulagen ab, für die E<strong>in</strong>kellerungsbeihilfe sei<br />

er nicht zuständig. 447 <strong>Die</strong> Belegschaft hielt die Forderungen jedoch aufrecht und<br />

beauftragte den Betriebsrat e<strong>in</strong> zweites Mal, mit den Unternehmern zu verhandeln.<br />

<strong>Die</strong> Betriebsgruppe der <strong>KPD</strong> gab e<strong>in</strong>e dementsprechende Sondernummer des Stauhoken<br />

heraus und forderte den Betriebsrat auf, am 29. September um 14 Uhr<br />

(Schichtwechsel) vor Schuppen 13 Bericht zu erstatten. 448 <strong>Die</strong>se Versammlung stellte<br />

den Beg<strong>in</strong>n des über zweiwöchigen Hafenarbeiterstreiks dar.<br />

Bereits die Ankündigung der Versammlung hatte die Polizei veranlasst, ab acht<br />

Uhr m<strong>org</strong>ens auf dem Schuppengelände zu patrouillieren. 449 Zum angekündigten<br />

Zeitpunkt waren schließlich drei Hundertschaften und e<strong>in</strong> Wasserwerfer aufgefahren.<br />

Trotzdem versammelten sich etwa 1.500 bis 2.000 Hafenarbeiter auf dem Gelände,<br />

verließen es jedoch nach Aufforderungen der Polizei wieder und zogen vor<br />

e<strong>in</strong>e Vermittlungsstelle. 450 Auch dort waren starke Polizeikräfte aufgefahren, die<br />

sich jedoch nach entsprechenden Forderungen der Arbeiter wieder zurückzogen.<br />

Statt des Betriebsratsvorsitzenden Karl Lampe, der eigentlich den Arbeitern Bericht<br />

über die Verhandlungen erstatten sollte, sprach zunächst der Direktor des Hafenbetriebsvere<strong>in</strong>s<br />

Dr. Bierwirth, der dem Kommunisten angeblich zuvor Redeverbot erteilt<br />

hatte. 451 Bierwirth lehnte noch e<strong>in</strong>mal alle Forderungen der Belegschaft ab und<br />

444 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />

445 Auf zur Betriebsversammlung, De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter [16.9.55], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/20/15.<br />

446 Hafenarbeiter auf dem richtigen Weg, Tribüne der Demokratie, 23. September 1955.<br />

447 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />

448 Ebenda; Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />

2/10.03/102; Beschlüsse durchführen!-fordern Bremer Hafenarbeiter, Tribüne der Demokratie, 28. September<br />

1955. Schuppen 13 war e<strong>in</strong> historischer Ort für den Hafen und die Arbeiterversammlungen, von<br />

hier g<strong>in</strong>gen fast alle Hafenstreiks aus.<br />

449 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />

450 Ebenda. <strong>KPD</strong> und bürgerliche Medien schrieben den konfliktlosen Ablauf übere<strong>in</strong>stimmend dem »ruhigen<br />

Verhalten« der Arbeiter zu. Der Weser-Kurier schrieb außerdem: »Zusätzlich besänftigte die Polizei<br />

noch die Gemüter über Lautsprecher mit ›La Paloma‹-Melodien.« (Lösch- und Ladearbeitern ruhten<br />

gestern im Hafen, Weser-Kurier, 30. September 1955).<br />

451 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.


274<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

erklärte, e<strong>in</strong>e Zustimmung läge ohneh<strong>in</strong> nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Macht. 452 Auch der anwesende<br />

Vertreter der ÖTV forderte die Arbeiter auf, wieder an die Arbeit zu gehen,<br />

da ihr Verhalten die laufenden Rahmentarifverhandlungen gefährde. Karl Lampe<br />

schloss sich dieser Argumentation an und forderte ebenfalls zur Besonnenheit und<br />

Wiederaufnahme der Arbeit auf. Damit war e<strong>in</strong>e bemerkenswerte Situation entstanden:<br />

Der kommunistische Vorsitzende des Betriebsrates stellte sich nicht h<strong>in</strong>ter<br />

die Forderungen der großen Mehrheit der Belegschaft, die zuvor von se<strong>in</strong>er eigenen<br />

Partei maßgeblich vorangetrieben und formuliert worden waren.<br />

<strong>Die</strong> Belegschaft nahm entgegen der Aufforderungen ihres Betriebsratsvorsitzenden<br />

die Arbeit nicht wieder auf und wählte auf Initiative von Gerd Lieberum<br />

e<strong>in</strong>e Delegation, die die weiteren Verhandlungen zur Durchsetzung der Forderungen<br />

führen sollte. <strong>Die</strong> Unternehmensleitung verweigerte e<strong>in</strong> Gespräch mit dieser<br />

Delegation. Damit hatte der Streik begonnen. Am nächsten m<strong>org</strong>en schloss sich<br />

auch die Frühschicht der Arbeitsniederlegung an. Insgesamt befanden sich damit<br />

alle Arbeiter des Hafenbetriebsvere<strong>in</strong>s im Streik. 453 <strong>Die</strong> Belegschaft der Bremer Lagerhaus-Gesellschaft<br />

schloss sich dagegen dem Streik nicht an.<br />

Wie bereits 1951 machten die bürgerlichen Zeitungen sofort Stimmung gegen<br />

den Ausstand und bezeichneten ihn als »wilden Streik« und »e<strong>in</strong>deutig kommunistisch<br />

gelenkt«. 454 Der Bremer Senat hielt sich diesmal mit Äußerungen und Interventionen<br />

zurück, setzte allerd<strong>in</strong>gs die starke Polizeipräsenz während der gesamten<br />

Dauer des Streiks fort. Bereits am zweiten Tag wurden die Hafenzugänge abgesperrt<br />

und nur noch fest Beschäftigte mit entsprechenden Ausweisen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gelassen.<br />

455 <strong>Die</strong> ÖTV wiederholte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erklärung noch e<strong>in</strong>mal das Argument von der<br />

Gefährdung der Rahmentarifverhandlungen: »<strong>Die</strong> durch verantwortungslose Kräfte<br />

angezettelte Arbeitsniederlegung hat uns erheblich zurückgeworfen. Der Gang<br />

der Verhandlungen darf nicht noch weiter erschwert werden. Es ist notwendig,<br />

dass die Arbeit wiederaufgenommen wird.« 456<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> stellte sich vorbehaltlos h<strong>in</strong>ter den Streik und versuchte dabei von Anfang<br />

an, ihn auf andere Häfen und die Bremer Metallbetriebe zu erweitern. »Es<br />

herrschte im Sekretariat Klarheit darüber, alles daranzusetzen, den Streik auszubreiten«,<br />

so e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terner Bericht. Das Ziel wurde weder für die Bremer Betriebe<br />

(»trotzdem e<strong>in</strong>ige Versuche von der Kreis- und Landesleitung und auch der Betriebsgruppe<br />

unternommen wurden«) 457 noch für die anderen Seehäfen erreicht. 458<br />

Besonders im wichtigen Hamburger Hafen gelang es nicht - obwohl »fast täglich<br />

Delegationen der Streikenden entsandt« wurden - Solidaritätsaktionen auszulösen.<br />

452 Lösch- und Ladearbeitern ruhten gestern im Hafen, Weser-Kurier, 30. September 1955.<br />

453 3700 Hafenarbeiter im wilden Streik, Weser-Kurier, 1. Oktober 1955.<br />

454 Ebenda.<br />

455 Vgl. die Erklärung des Polizeipräsidenten (ebenda).<br />

456 Ebenda.<br />

457 Vgl. auch die zahlreichen Flugblätter der <strong>KPD</strong> an die Arbeiter <strong>in</strong> der Metall<strong>in</strong>dustrie, <strong>in</strong> der zu dieser<br />

Zeit Tarifverhandlungen stattfanden, <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/10.<br />

458 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102. Wie<br />

beim Werftarbeiterstreik 1953 fehlen für die gesamte Dauer des Streiks im Hafen die Protokolle des<br />

Landesekretariats.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 275<br />

Entsprechende Versuche von drei kommunistischen Betriebsratsmitgliedern wurden<br />

von der Hamburger Unternehmensleitung mit sofortiger Entlassung beantwortet.<br />

459<br />

E<strong>in</strong>en Tag nach Streikbeg<strong>in</strong>n bildete die Belegschaft e<strong>in</strong>e Streikleitung, der neben<br />

dem Sprecher Gerd Lieberum e<strong>in</strong> weiterer Kommunist sowie »e<strong>in</strong>ige gute parteilose<br />

Kollegen und Sozialdemokraten« angehörten. 460 <strong>Die</strong> Streikleitung bestand<br />

zunächst »ausschließlich aus jungen Kollegen« 461, was die ÖTV <strong>in</strong> ihrer Gegenagitation<br />

versuchte auszunutzen. Sie sprach <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erklärung vom 4. Oktober 1955<br />

von »berufsfremden Agitatoren«: »Der Hauptredner der illegalen Streikleitung ist<br />

e<strong>in</strong> im Hafenleben noch völlig unerfahrener Mensch. Setzt se<strong>in</strong>en Parolen eure Berufserfahrung<br />

und eure objektive gewerkschaftliche Haltung entgegen«. 462<br />

<strong>Die</strong> Zusammenarbeit zwischen Streikleitung und <strong>KPD</strong> war von Anfang an eng<br />

und <strong>in</strong>tensiv. <strong>Die</strong>s betraf zunächst vor allem die Informationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit,<br />

e<strong>in</strong> aufgrund der Betriebs- und Belegschaftsstruktur und den öffentlichen<br />

Anfe<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong> diesem Streik besonders wichtiger Aspekt. Bei der Ausarbeitung<br />

der von der Streikleitung herausgegebenen Informationen an die Hafenarbeiter<br />

gab »die Partei auf Wunsch der Streikleitung [...] die größtmögliche Hilfe«. 463<br />

Um den e<strong>in</strong>seitigen Presseberichten entgegenzuarbeiten, veranstaltete die Streikleitung<br />

»auf Empfehlung« des <strong>KPD</strong>-Landessekretariats e<strong>in</strong>e Pressekonferenz, die<br />

zwar auch von den bürgerlichen Medien »sehr gut besucht war«, von diesen aber<br />

dennoch <strong>in</strong> der Berichterstattung weitgehend ignoriert wurde. 464 Zur Informationsverbreitung<br />

blieb der Streikleitung so vor allem die Tribüne der Demokratie, die<br />

die Verlautbarungen der Streikenden im Wortlaut veröffentlichte 465 und die während<br />

des Streiks kostenlos im Hafen verteilt wurde.<br />

Obwohl nach Angaben der <strong>KPD</strong> zunächst »die Organisation durch die Streikleitung«<br />

»äußerst schwach« war, 466 gelang es <strong>in</strong> den ersten Tagen, die Belegschaft geschlossen<br />

h<strong>in</strong>ter den Streik zu br<strong>in</strong>gen. Weder die erneuten Aufforderungen zur<br />

Wiederaufnahme der Arbeit durch Gewerkschaft und Betriebsratsvorsitzenden<br />

noch die vom HBV am 4. Oktober ausgesprochene Entlassung aller streikenden Hafenarbeiter<br />

führten zum Abbruch des Streiks. 467<br />

Nach nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>er Woche war schließlich e<strong>in</strong> erster Erfolg zu verzeichnen,<br />

der aber gleichzeitig die Streikfront bröckeln ließ. E<strong>in</strong>e anlässlich des Streiks e<strong>in</strong>be-<br />

459 E<strong>in</strong>stimmiger Beschluss: »Weiter streiken!«, Tribüne der Demokratie, 5. Oktober 1955; Streik im Hafen flaut<br />

weiter ab, Weser-Kurier, 7. Oktober 1955.<br />

460 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />

461 Ebenda.<br />

462 Ebenda.<br />

463 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />

464 Ebenda.<br />

465 <strong>Die</strong> erste Erklärung der Streikleitung wurde am 4. Oktober veröffentlicht und rekapitulierte vor allem<br />

Streikgründe und -beg<strong>in</strong>n (Unser Kampf - e<strong>in</strong>e gerechte Sache. Erklärung der Streikleitung der Bremer Hafenarbeiter,<br />

Tribüne der Demokratie, 4. Oktober 1955).<br />

466 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />

467 E<strong>in</strong>stimmiger Beschluss: »Weiter streiken!«, Tribüne der Demokratie, 5. Oktober 1955; 37 Gänge nahmen<br />

gestern Arbeit auf, Weser-Kurier, 5. Oktober 1955.


276<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

rufene Delegiertenkonferenz der ÖTV Fachgruppe 6 (Hafen) beschloss am 5. Oktober<br />

1955, die laufenden Rahmentarifverhandlungen durch Lohnverhandlungen zu<br />

ergänzen, trotz des noch elf Monate laufenden Lohntarifvertrags. 468 <strong>Die</strong> Delegierten<br />

forderten aber gleichzeitig mit großer Mehrheit zur Beendigung des Streiks<br />

auf. 469 <strong>Die</strong> Verhandlungen wurden tatsächlich am folgenden Tag aufgenommen. 470<br />

<strong>Die</strong> Streikleitung erklärte, »das Kampfprogramm der Streikenden könne nun auf<br />

die Forderung nach e<strong>in</strong>em nichtrückzahlbaren E<strong>in</strong>kellerungsgeld <strong>in</strong> Höhe von 80<br />

DM beschränkt werden«. 471 Der Beschluss zur Aufnahme von Lohnverhandlungen<br />

und der Aufruf zur Beendigung des Streiks hätten unter den Arbeitern »e<strong>in</strong>e große<br />

Wirkung erzielt« und »stark deprimierend« gewirkt, so e<strong>in</strong>e Analyse der <strong>KPD</strong>. 472<br />

Tatsächlich ließen sich wohl e<strong>in</strong>e Reihe von Arbeitern <strong>in</strong> der Folge des ÖTV-<br />

Beschlusses wieder vermitteln, und e<strong>in</strong>zelne Betriebe nahmen die Arbeit wieder<br />

auf. Der von den bürgerlichen Medien <strong>in</strong> den folgenden Tagen vermittelte E<strong>in</strong>druck,<br />

der Streik breche nun zusammen, erwies sich jedoch als falsch. 473 Es gelang<br />

der Streikleitung zunächst, auch unter H<strong>in</strong>weis auf die nach wie vor stark präsenten<br />

Polizeikräfte, deren Abzug nun zusätzlich gefordert wurde, die Fortführung des<br />

Streiks durch die Mehrheit der Hafenarbeiter zu erreichen. 474<br />

Dennoch war der Streikleitung bewusst, dass sich der Ausstand nicht mehr lange<br />

würde aufrecht halten lassen.<br />

»<strong>Die</strong> Tatsache, dass im Hafen weit über Tausend Streikbrecher an der Arbeit waren, dass nach<br />

Hamburg umgeleitete Schiffe dort bearbeitet und nach ke<strong>in</strong>er Seite Verhandlungsmöglichkeiten<br />

bestanden, sowie der Umstand, dass die materielle Lage der Kollegen zur schweren Last<br />

wurde, erforderten seitens der Streikleitung, sich ernsthaft mit der Beendigung [...] zu befassen.«<br />

475<br />

Es g<strong>in</strong>g jetzt auch für die <strong>KPD</strong> um e<strong>in</strong>en geordneten und von der Streikleitung<br />

respektive der Partei kontrollierten Abbruch des Streiks. »Das Landessekretariat hat<br />

von dem Augenblick an, wo sich zeigte, dass e<strong>in</strong>e Verbreiterung des Streiks nicht<br />

mehr gel<strong>in</strong>gen würde, den Plan für e<strong>in</strong>en geschlossenen Abbruch des Streiks festgelegt«,<br />

hieß es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em späteren Bericht. Es habe Klarheit darüber bestanden, »dass<br />

es unter ke<strong>in</strong>en Umständen zu e<strong>in</strong>em Zusammenbruch des Streiks kommen dürfe«.<br />

476<br />

Zwei Ankündigungen der ÖTV setzten dabei die Streikleitung weiter unter<br />

Druck: Zum e<strong>in</strong>en hatte die Gewerkschaft verlauten lassen, sie wolle e<strong>in</strong>e Abstim-<br />

468 Erster Streikerfolg: ÖTV will Lohnverhandlungen aufnehmen, Tribüne der Demokratie, 6. Oktober 1955.<br />

469 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />

470 Auch am siebenten Streiktag feste Kampffront, Tribüne der Demokratie, 7. Oktober 1955.<br />

471 Erster Streikerfolg: ÖTV will Lohnverhandlungen aufnehmen, Tribüne der Demokratie, 6. Oktober 1955;<br />

Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />

472 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />

473 37 Gänge nahmen gestern Arbeit auf, Weser-Kurier, 5. Oktober 1955; Über 600 Hafenarbeiter nahmen die Arbeit<br />

auf, Weser-Kurier, 6. Oktober 1955; Streik im Hafen flaut weiter ab, Weser-Kurier, 7. Oktober 1955.<br />

474 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188. Vgl. auch Bremer Streikfront<br />

steht, Tribüne der Demokratie, 10. Oktober 1955.<br />

475 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />

476 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 277<br />

mung über die Beendigung des Streiks durchführen, zum anderen sollten am 14.<br />

Oktober die <strong>in</strong> Hamburg stattf<strong>in</strong>denden Lohnverhandlungen abgeschlossen werden.<br />

Für die <strong>KPD</strong> ergab sich nun plötzlich zusätzlich die Gefahr, dass es womöglich<br />

die ÖTV se<strong>in</strong> würde, die den Streik zu e<strong>in</strong>em Abschluss brachte. »Jetzt galt es, der<br />

Gewerkschaftsleitung zuvorzukommen, um der Streikleitung nicht das Gesetz zum<br />

Handeln aus den Händen reißen zu lassen und damit das ihr während des ganzen<br />

Streiks entgegen gebrachte Vertrauen der Hafenkollegen zu erhalten«, beschrieb die<br />

spätere Analyse der Landesleitung die Lage. 477<br />

Hermann Gautier machte auf e<strong>in</strong>er Tagung des Bundesparteivorstands noch<br />

e<strong>in</strong>mal den großen E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> auf die Entscheidung zum Abbruch des<br />

Streiks deutlich:<br />

»Wir standen vor der Frage, wie lange wir <strong>in</strong> dieser Situation <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong> werden, diesen<br />

Kampf noch zu halten, und wir s<strong>in</strong>d nach langen Beratungen zu der Auffassung gekommen,<br />

man muss e<strong>in</strong>en Schritt tun, um den Streik geschlossen zu beenden. Es gab zwei Möglichkeiten:<br />

Entweder hätte die Streikleitung am Sonntag m<strong>org</strong>en mit 200 oder 300 Aufrechten alle<strong>in</strong><br />

draußen gestanden, weil alles andere langsam <strong>in</strong> den Betrieb geschlichen wäre, oder man<br />

muss e<strong>in</strong>en solchen Schritt tun, den Streik geschlossen zu beenden, und wir haben uns für das<br />

letztere entschieden. Wir haben das also durch die Streikleitung beschließen lassen [sic!; HB],<br />

obwohl es dabei noch e<strong>in</strong>en sehr schweren Kampf gab. <strong>Die</strong> Mitglieder der Streikleitung waren<br />

noch nicht alle davon überzeugt, dass man den Kampf abbrechen müsse.« 478<br />

<strong>Die</strong> Streikleitung kündigte daraufh<strong>in</strong> die Belegschaftsversammlung und die Abstimmung<br />

über die Beendigung des Streiks für den 14. Oktober 1955 an. 479 Gerd<br />

Lieberum appellierte als Sprecher der Streikleitung auf der am nächsten Tag stattf<strong>in</strong>denden<br />

Versammlung an die noch ca. 800 anwesenden Streikenden, »für den<br />

Abschluss des Streikes ihre Stimme abzugeben«. 480 In der anschließenden geheimen<br />

Abstimmung sprachen sich etwa 78 Prozent der Arbeiter für diesen Vorschlag<br />

aus. Damit war der »wilde« Hafenarbeiterstreik nach 15 Tagen beendet. Am selben<br />

Tag wurde das Ergebnis der Verhandlungen zwischen ÖTV und Unternehmern bekannt<br />

gegeben: Der neue Lohntarifvertrag sah e<strong>in</strong>e Erhöhung der Schichtlöhne um<br />

1,10 DM auf 16 DM vor. 481<br />

<strong>Die</strong>ses Ergebnis der Lohnverhandlungen der ÖTV konnte durchaus als e<strong>in</strong> Erfolg<br />

des ohne gewerkschaftliche Unterstützung geführten Streiks gewertet werden,<br />

da die Verhandlungen über den - eigentlich noch zehn Monate gültigen - Tarifvertrag<br />

ja überhaupt erst aufgrund der Arbeitsniederlegung aufgenommen worden<br />

477 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />

478 Stenographische Niederschrift der 21. Parteivorstandstagung am 15./16.10. 1955, SAPMO DY IV<br />

2/10.03/244.<br />

479 Montag erneut Urabstimmung <strong>in</strong> Bremer Metallbetrieben, Tribüne der Demokratie, 14. Oktober 1955. <strong>Die</strong><br />

Überschrift - Untertitel: Nach beachtlichen Streikerfolgen stimmen Hafenarbeiter heute über Wiederaufnahme<br />

der Arbeit ab - verdeutlichte noch e<strong>in</strong>mal den Versuch e<strong>in</strong>er irgendwie gearteten Ausweitung des Hafenarbeiterstreiks<br />

- mit dessen Beendigung die <strong>KPD</strong> wohl schon fest rechnete - auf die Lohnverhandlungen<br />

der Metall<strong>in</strong>dustrie.<br />

480 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />

481 Für 30 000 Hafenarbeiter neue Tarife beschlossen, Weser-Kurier, 15. Oktober 1955; Bremer Hafenstreik erkämpft<br />

16 DM pro Schicht, Tribüne der Demokratie, 15./16. Oktober 1955. Den Streikenden war das Ergebnis<br />

der Lohnverhandlungen wahrsche<strong>in</strong>lich bei der Abstimmung noch nicht bekannt.


278<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

waren und wohl auch nur aufgrund des Drucks auf Gewerkschaft und Unternehmer<br />

zu e<strong>in</strong>em so schnellen Abschluss gebracht werden konnten. <strong>Die</strong> Streikleitung<br />

zog e<strong>in</strong> entsprechend positives Fazit: »<strong>Die</strong> gleichen Unternehmer, die unsere Forderungen<br />

strikt ablehnten und sogar die bed<strong>in</strong>gungslose Kapitulation der streikenden<br />

Hafenarbeiter forderten, wurden an den Verhandlungstisch gezwungen. <strong>Die</strong> Verhandlungen<br />

über den neuen Lohntarif waren von ihnen nicht v<strong>org</strong>esehen«. 482<br />

Für die <strong>KPD</strong> stand bei der Bewertung des Streiks neben der Lohnerhöhung<br />

auch die eigene maßgebliche Rolle während des Streiks im Vordergrund. Hermann<br />

Gautier bilanzierte den Streik auf der oben bereits erwähnten Parteivorstandssitzung<br />

so:<br />

»E<strong>in</strong> Ergebnis haben wir <strong>in</strong> diesem Kampf ohne Zweifel: <strong>Die</strong> Autorität unserer Partei ist gestiegen,<br />

das Kampfbewusstse<strong>in</strong> hat sich gezeigt und ist gestärkt, und selbst, wenn die Unternehmer<br />

e<strong>in</strong>en Teil der Streikenden maßregeln sollten, was sie versuchen werden, b<strong>in</strong> ich der<br />

Me<strong>in</strong>ung, dass wir trotzdem im Hafen jetzt genügend Kumpel haben, die auch <strong>in</strong> der Zukunft<br />

den Kampf für die Rechte der Arbeiter fortführen werden.« 483<br />

Der Hafenarbeiterstreik hatte gezeigt, dass die <strong>KPD</strong> noch 1955 <strong>in</strong> der Lage war,<br />

die Arbeiter e<strong>in</strong>es der wichtigsten Wirtschaftsbereiche <strong>Bremen</strong>s zu mobilisieren<br />

und gegen den Widerstand der Gewerkschaft e<strong>in</strong>en zum<strong>in</strong>dest teilweise erfolgreichen<br />

Kampf zu führen. Dass dies auch gegen den Willen des eigenen Betriebsratsvorsitzenden<br />

geschah, machte den Streik für die Partei um so bemerkenswerter und<br />

hatte schließlich auch Folgen: Karl Lampe wurde knapp e<strong>in</strong>en Monat später aus der<br />

<strong>KPD</strong> ausgeschlossen.<br />

Der Ausschluss war absehbar gewesen. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe wollte bereits während<br />

des Streiks zu Lampes Verhalten Stellung nehmen, wurde davon aber durch<br />

das Landessekretariat abgehalten. »Wir haben gesagt, wir wollen diese Geschichte<br />

nicht während des Streiks machen; aber wir werden uns mit den Betriebsräten nach<br />

dem Streik sehr ernst ause<strong>in</strong>anderzusetzen haben«, berichtete Hermann Gautier vor<br />

dem Parteivorstand. 484 Unmittelbar nach Beendigung des Streiks, am 16. Oktober<br />

1955, wurde das Parteiverfahren gegen Lampe »auf Beschluss der Mitgliedschaft<br />

der Betriebsgruppe Hafen« eröffnet. Es endete am 10. November mit dem Ausschluss<br />

des Betriebsratsvorsitzenden »wegen parteischädigenden Verhaltens und<br />

wegen se<strong>in</strong>es Paktierens mit dem Unternehmer während des Hafenarbeiterstreiks«.<br />

485 Wesentlicher Punkt der von der Betriebsgruppe veröffentlichten Ausschlussbegründung<br />

war Lampes Passivität während des Streiks. Dabei machte sie<br />

die Konflikte zwischen dem Betriebsratsvorsitzenden und der kommunistisch geführten<br />

Streikleitung deutlich:<br />

482 Bremer Hafenstreik erkämpft 16 DM pro Schicht, Tribüne der Demokratie, 15./16. Oktober 1955.<br />

483 Stenographische Niederschrift der 21. Parteivorstandstagung am 15./16.10. 1955, SAPMO DY IV<br />

2/10.03/244.<br />

484 Ebenda.<br />

485 An alle Hafenarbeiter!, De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter [11.11.55], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/20/15. <strong>Die</strong> Ausschlussbegründung der Betriebsgruppe ist gekürzt wiedergegeben <strong>in</strong> Betriebsratsmitglied<br />

verlor Vertrauen, Tribüne der Demokratie, 15. November 1955.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 279<br />

»<strong>Die</strong> Streikleitung hat während des Streikkampfes [...] e<strong>in</strong>e harte Ause<strong>in</strong>andersetzung mit e<strong>in</strong>igen<br />

Betriebsräten, vornehmlich mit Karl Lampe, geführt, um zu erreichen, dass der Betriebsrat<br />

sich auf die Seite der Streikenden stellt. <strong>Die</strong> Streikleitung vermochte jedoch trotz aller<br />

Anstrengungen nicht, Karl Lampe von se<strong>in</strong>em Standpunkt abzubr<strong>in</strong>gen und ihm klar zu machen,<br />

dass das Betriebsverfassungsgesetz e<strong>in</strong> arbeiterfe<strong>in</strong>dliches Gesetz sei, und daher niemals<br />

Arbeitsgrundlage e<strong>in</strong>es Arbeitervertreters se<strong>in</strong> könne. Bis zum letzten Streiktage hat Karl<br />

Lampe mit anderen freigestellten Betriebsräten sich den Streikkampf se<strong>in</strong>er Kollegen Hafenarbeiter<br />

gegen die Front der Unternehmer und des Staatsapparates vom stillen Betriebsratszimmer<br />

im Verwaltungsgebäude des HBV aus angesehen. Er, der taktisch kluge Betriebsratsvorsitzende,<br />

rechtfertigte auf se<strong>in</strong>e Art das Vertrauen der Hafenarbeiter - er verschanzte sich<br />

h<strong>in</strong>ter dem BVG.« 486<br />

Während die Begründung der Betriebsgruppe im Wesentlichen die V<strong>org</strong>änge<br />

während des Streiks <strong>in</strong> den Vordergrund stellte, verwies die Erklärung der Kreisleitung<br />

auch auf die - erst e<strong>in</strong> halbes Jahr zuvor bei B<strong>org</strong>ward besonders sichtbar gewordenen<br />

- pr<strong>in</strong>zipiellen <strong>in</strong>nerparteilichen Konflikte:<br />

»<strong>Die</strong> Ursache für das arbeiter- und parteischädigende Verhalten Karl Lampes ist dar<strong>in</strong> zu sehen,<br />

dass er zwar große Mühe aufwandte, um die Paragraphen solcher Bonner Unternehmergesetze<br />

wie des BVG zu studieren, aber sich <strong>in</strong> den letzten Jahren weder gründlich mit der<br />

marxistisch-len<strong>in</strong>istischen Theorie der Arbeiterklasse noch mit den Dokumenten der <strong>KPD</strong> beschäftigte.<br />

[...]. Darauf ist auch zurückzuführen, dass Karl Lampe genau wie zum Beispiel die<br />

ehemaligen Mitglieder der <strong>KPD</strong>, Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann und Paul Kratsch, ke<strong>in</strong> Vertrauen <strong>in</strong> die<br />

Kraft der Arbeiterklasse und die Politik der <strong>KPD</strong> hat. So ›prophezeite‹ er schon <strong>in</strong> den ersten<br />

Tagen des Hafenarbeiterstreiks den ›Zusammenbruch‹ der Streikfront. Ebenso ist darauf zurückzuführen,<br />

dass Karl Lampe zum Träger und Verbreiter brandleristischer Argumente<br />

wurde, die darauf abzielen, e<strong>in</strong>en Gegensatz zwischen Parteileitungen und Parteimitgliedschaft,<br />

zwischen alten und jungen Kadern <strong>in</strong> die <strong>KPD</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zutragen. Karl Lampe war nicht<br />

bereit, selbstkritisch zu se<strong>in</strong>en Fehlern Stellung zu nehmen. Alle sachlichen Argumente der<br />

von ihm selbst mitgewählten Leitung der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe des Hafens lehnte er ab, u.a.<br />

mit der Begründung, diese Genossen [...] seien zu jung, um ihn im Auftrage der Partei zur<br />

Verantwortung zu ziehen.« 487<br />

Damit wurde deutlich, dass auch dieser Konflikt und der Ausschluss Lampes<br />

im Kontext der <strong>in</strong>nerparteilichen Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die Betriebspolitik seit<br />

1951 stand. Im Vergleich zu den Entwicklungen bei B<strong>org</strong>ward und auf der AG<br />

»Weser« hatte die <strong>KPD</strong> jedoch im Hafenarbeiterstreik von 1955 relativ erfolgreich<br />

agiert. Erstmals gelang es, e<strong>in</strong> betriebliches Streikkomitee zu etablieren, und die Belegschaft<br />

handelte unabhängig von der Gewerkschaft.<br />

<strong>Die</strong> ausgeprägte, aber ke<strong>in</strong>esfalls konstante Autonomie der Hafenarbeiter hatte<br />

ihre Ursachen <strong>in</strong> der offenen Betriebsstruktur und dem Status der unständigen Arbeiter<br />

im HBV. Im Vergleich zu »festen« Betrieben machte diese Struktur es auch<br />

der Gewerkschaft und der SPD schwerer, sich im Hafen als dom<strong>in</strong>ierende Kraft zu<br />

etablieren und wie bei B<strong>org</strong>ward und der AG »Weser« Träger des <strong>in</strong>stitutionalisierten<br />

Barga<strong>in</strong><strong>in</strong>g zu werden.<br />

486 An alle Hafenarbeiter!, De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter [11.11.55], <strong>in</strong>: SAPMO I<br />

10/20/15<br />

487 Kommunisten gehören an die Spitze der kämpfenden Arbeiterschaft! Erklärung des Sekretariats der <strong>KPD</strong>-<br />

Kreisleitung <strong>Bremen</strong> zum Ausschluss Karl Lampes, Tribüne der Demokratie, 26./27. November 1955.


280<br />

Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik<br />

Nachdem die <strong>KPD</strong> dort letztlich auch an diesem Prozess gescheitert war, konnte<br />

sie sich im Hafen noch 1955 - zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt also, an dem sie <strong>in</strong> den anderen<br />

Betrieben bereits marg<strong>in</strong>alisiert war - erfolgreich an die Spitze der Belegschaft stellen.<br />

Im wesentlichen agierte sie dabei auf ihrer gewerkschaftspolitischen L<strong>in</strong>ie seit<br />

1950, verzichtete bei diesem Streik aber weitgehend auf Instrumentalisierungsversuche.<br />

Der Hafen war somit der letzte wichtige Bremer Betrieb, <strong>in</strong> dem sich die <strong>KPD</strong><br />

Mitte der 1950er Jahre noch als relevante Kraft halten konnte. Anders als z.B. bei<br />

der AG »Weser« gelang es auch nach diesem Streik Gewerkschaft und SPD trotz<br />

massiver Versuche nicht, den E<strong>in</strong>fluss der Kommunisten entscheidend zurückzudrängen.<br />

Wie von der Parteileitung befürchtet, kam es <strong>in</strong>folge des Streiks zu Maßregelungen<br />

von Gewerkschafts- und Unternehmerseite. <strong>Die</strong> ÖTV leitete Ausschlussverfahren<br />

gegen alle Mitglieder der Streikleitung e<strong>in</strong>. 488 Fünf Betriebsräte -<br />

unter ihnen drei <strong>KPD</strong>-Mitglieder -, die sich h<strong>in</strong>ter den Streik gestellt hatten, wurden<br />

nur unter der Bed<strong>in</strong>gung wieder e<strong>in</strong>gestellt, dass sie ihr Mandat niederlegten. 489<br />

Sämtliche Mitglieder der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe wurden zunächst nicht wieder vermittelt<br />

und erhielten mehrere Tage ke<strong>in</strong>e Arbeit. 490 Mehrere andere Streikende bekamen<br />

bei ihrer Wiedere<strong>in</strong>stellung Verwarnungen ausgesprochen. 491<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe protestierte zwar wiederholt im Stauhoken gegen das<br />

V<strong>org</strong>ehen von Unternehmern und ÖTV, 492 es kam jedoch zu ke<strong>in</strong>en Gegenaktionen<br />

der Belegschaft mehr. Auf der ersten Belegschaftsversammlung nach dem Streik<br />

zeigte sie dann jedoch noch e<strong>in</strong>mal die Widerständigkeit gegen die <strong>in</strong>stitutionalisierten<br />

Aushandlungsprozesse. <strong>Die</strong> Versammlung sprach dem Betriebsrat »fast<br />

e<strong>in</strong>mütig« das Misstrauen aus und beschloss die Neuwahl. 493<br />

Für diese Wahl am 3. und 4. Februar 1956 wurden drei Kandidatenlisten aufgestellt.<br />

Liste 1 war bereits im Dezember von der ÖTV und der SPD aufgestellt worden.<br />

Auf der Liste 3 kandidierte der noch amtierende und nun parteilose Betriebsratsvorsitzende<br />

Karl Lampe. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> agitierte zunächst vehement gegen die Aufstellung<br />

der anderen beiden Listen und forderte e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Gewerkschaftsliste,<br />

494 stellte dann aber doch am 15. Januar 1956 e<strong>in</strong>e eigene Liste auf, u.a. mit ihren<br />

488 Wir dulden ke<strong>in</strong>e Ausschlussverfahren der besten unserer Kollegen!, De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer<br />

Hafenarbeiter [11.11.55], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/15.<br />

489 Hafen-Streikleitung bleibt bestehen, Tribüne der Demokratie, 21. Oktober 1955; Analyse des Hafenarbeiterstreiks<br />

1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188. Es war der Betriebsratsvorsitzende Lampe, der den<br />

Betriebsräten dies mitteilte, was die Betriebsgruppe später als weiteren Grund für se<strong>in</strong>en Ausschluss<br />

anführte.<br />

490 Analyse des Hafenarbeiterstreiks 1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />

491 Analyse des Hafenarbeiterstreiks <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, September/Oktober 1955, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/102.<br />

492 Vgl. De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter [11.11.55], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/15; Siehe auch<br />

Solidarität mit gemaßregelten Kollegen, Tribüne der Demokratie, 27. Oktober 1955.<br />

493 Neuwahl des Betriebsrates beschlossen, Tribüne der Demokratie, 17. November 1955; Analyse des Hafenarbeiterstreiks<br />

1955 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.02/188.<br />

494 Vgl. die diversen Ausgaben von De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter, <strong>in</strong>:SAPMOI<br />

10/20/15, erstmals am 20. Dezember 1955.


Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 281<br />

bisherigen Betriebsratsmitgliedern und auch e<strong>in</strong>igen Parteilosen. 495 Es kam zu e<strong>in</strong>em<br />

hitzigen Wahlkampf, <strong>in</strong> dem sich SPD und <strong>KPD</strong> gegenseitig der Gewerkschaftsspaltung<br />

bezichtigten und für das Nichtzustandekommen e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen<br />

Liste verantwortlich machten. 496 Bei den Wahlen stimmte schließlich e<strong>in</strong>e Mehrheit<br />

von 54 Prozent (1.015 Stimmen) der Hafenarbeiter für die von ÖTV und SPD propagierte<br />

Liste 1. <strong>Die</strong> Liste 2 der <strong>KPD</strong> erhielt 26,7 Prozent (516 Stimmen), Liste 3<br />

(Karl Lampe) 18,5 Prozent (359 Stimmen). Im neuen HBV-Betriebsrat g<strong>in</strong>gen damit<br />

von <strong>in</strong>sgesamt 15 Sitzen acht an die Kandidaten der Liste 1, vier an die Liste der<br />

<strong>KPD</strong> und drei an die von Karl Lampe. 497<br />

Damit hatte die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> etwa die Zahl ihrer Betriebsräte und ihren E<strong>in</strong>fluss im<br />

Hafen trotz der vehementen Angriffe vor allem durch die SPD halten können. Dass<br />

dies nicht nur auf die Erfolge während des Streiks zurückzuführen war, sondern<br />

von e<strong>in</strong>er festen Basis im Hafen zeugte, verdeutlichte die Entwicklung <strong>in</strong> den folgenden<br />

Jahren, auch nach dem Verbot im August 1956: Noch 1960 konnten Kommunisten<br />

die Mehrheit im Betriebsrat erlangen, bei den folgenden Wahlen konnte<br />

die SPD mit massivem, auch öffentlichem E<strong>in</strong>satz diese Mehrheit zwar zurückerobern,<br />

die Kommunisten blieben jedoch im Betrieb selbst wie auch im Betriebsrat<br />

während der gesamten 1960er Jahre präsent.<br />

495 Noch heute e<strong>in</strong>heitliche Betriebsratswahl möglich, De Stauhoken, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter [ohne<br />

Datum], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/15; Liste 3 - <strong>Die</strong> Kandidaten für e<strong>in</strong>en besseren Betriebsrat, Tribüneder<br />

Demokratie, 16. Januar 1956.<br />

496 Siehe diverse Ausgaben von De Stauhoken, z.B. Warum 3 Listen zur Betriebsratswahl?, De Stauhoken, Betriebszeitung<br />

der Bremer Hafenarbeiter [27.1.56], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/15; Bremer Bürgerzeitung, 21. Januar<br />

1956.<br />

497 Wochenbericht des Landes <strong>Bremen</strong> vom 20.1. - 5.2.1956, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/12; Bremer Hafenarbeiter schenken<br />

Liste 2 starkes Vertrauen, Tribüne der Demokratie, 7. Februar 1956.


Kapitel 6<br />

Politische Justiz und Verbot<br />

1. Verfolgung vor dem Verbot<br />

Bereits vor dem Verbot der <strong>KPD</strong> am 17. August 1956 wurde die Partei durch adm<strong>in</strong>istrative<br />

Ausgrenzungen, Verfassungsschutzbeobachtung, politische Prozesse und<br />

Berufsverbote <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art Halblegalität gedrängt. Das Verbot war somit »für die Politische<br />

Justiz gegen Kommunisten ke<strong>in</strong>eswegs konstitutiv«. 1<br />

»Bereits 1950/51 war das Ausmaß der Verfolgung erheblich. Schon die Besatzungsmächte<br />

hatten e<strong>in</strong>e »Vielzahl von Strafbestimmungen erlassen« und wandten<br />

diese »auch mehrfach gegen die politische Betätigung von Kommunisten an«. Unter<br />

anderem war der Parteivorsitzende Max Reimann trotz se<strong>in</strong>er Mitgliedschaft im<br />

Parlamentarischen Rat 1949 verurteilt und <strong>in</strong>haftiert worden. 2 Weitere Maßnahmen<br />

der Besatzungsmächte waren mehrfache Zeitungsverbote - die letzten noch 1951 -<br />

und Infiltrationsversuche.<br />

Fanden diese Maßnahmen zwar mit Unterstützung, aber ohne Verantwortung<br />

deutscher Behörden statt, so wurden diese erstmals eigenständig aktiv mit der Entfernung<br />

von Kommunisten aus dem öffentlichen <strong>Die</strong>nst. Im September 1950 beschloss<br />

die Bundesregierung e<strong>in</strong>en Erlass über die »Politische Betätigung von Angehörigen<br />

des öffentlichen <strong>Die</strong>nstes gegen die demokratische Grundordnung« und<br />

erklärte dar<strong>in</strong> die Mitgliedschaft <strong>in</strong> 13 namentlich aufgeführten Organisationen als<br />

»unvere<strong>in</strong>bar mit den <strong>Die</strong>nstpflichten«. 3 Betroffenwarennebender<strong>KPD</strong>»mitallen<br />

ihren Unter<strong>org</strong>anisationen« u.a. die »Freie Deutsche Jugend« (FDJ), die »Vere<strong>in</strong>igung<br />

der Verfolgten des Naziregimes« (VVN) und weitere, als der <strong>KPD</strong> nahestehend<br />

geltende Organisationen. Aufgeführt waren auch zwei rechtsextremistische<br />

Vere<strong>in</strong>igungen, aber schon der Text der Verordnung machte den primär antikommunistischen<br />

Charakter der Maßnahme deutlich: »[...] wer <strong>in</strong>sbesondere im Auftrag<br />

oder im S<strong>in</strong>ne der auf Gewalthandlungen abzielenden Beschlüsse des 3. Parteitages<br />

der kommunistischen SED und des sogenannten ›Nationalen Kongresses‹ wirkt,<br />

1 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 127.<br />

2 Vgl. ebenda, a.a.O., S. 52ff. Hier auch weitere Beispiele. Zum Fall Max Reimanns siehe auch dessen eigene<br />

Darstellung <strong>in</strong>: Max Reimann, Entscheidungen <strong>1945</strong>-1956, Frankfurt a.M. 1973, S. 135ff.<br />

3 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 54. Hier auch e<strong>in</strong>e Liste der<br />

genannten Organisationen.


Politische Justiz und Verbot 283<br />

macht sich e<strong>in</strong>er schweren Pflichtverletzung schuldig«. 4 <strong>Die</strong> Regelung wurde von<br />

nahezu allen Bundesländern übernommen 5 und zeigte ihre Wirkung - neben der<br />

weiteren öffentlichen Ausgrenzung und Stigmatisierung von Kommunisten und<br />

der <strong>KPD</strong> - wohl vor allem bei den kommunistischen Arbeitern <strong>in</strong> den Kommunen. 6<br />

Seit 1950 g<strong>in</strong>g die Polizei im ganzen Bundesgebiet gegen <strong>KPD</strong>-Veranstaltungen<br />

vor und löste teilweise mit Gewalt kommunistische Demonstrationen und Versammlungen<br />

auf. 7 Auch gegen kommunistische Propaganda und gegen DDR-<br />

Kontakte wurde massiv v<strong>org</strong>egangen. 8 Beides traf zu diesem Zeitpunkt <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie die FDJ, die schließlich auch am 26. Juni 1951 per Verordnung von der Bundesregierung<br />

für verfassungswidrig erklärt und verboten wurde. 9 Weitere Verbotsverordnungen<br />

betrafen 1951 die Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und<br />

die »Vere<strong>in</strong>igung der Verfolgten des Naziregimes« (VVN), deren Durchsetzung jedoch<br />

<strong>in</strong> den Ländern und bei den Gerichten teilweise auf Schwierigkeiten stieß. 10<br />

Am 31. August 1951 trat das 1. Strafrechtsänderungsgesetz (wegen se<strong>in</strong>er ungewöhnlich<br />

schnellen Verabschiedung durch den Bundestag auch »Blitzgesetz« genannt)<br />

<strong>in</strong> Kraft. Es nannte als neuen Straftatbestand die »Staatsgefährdung« (§§ 88 -<br />

99 StGB). 11 Als Staatsgefährdung galt e<strong>in</strong>e Handlung, die »darauf h<strong>in</strong>zielt, die Bundesrepublik<br />

Deutschland ganz oder teilweise unter fremde Botmäßigkeit zu br<strong>in</strong>gen,<br />

ihre Selbständigkeit sonst zu beseitigen oder e<strong>in</strong>en Teil des Bundesgebietes<br />

loszulösen«. 12 Der S<strong>in</strong>n dieser Ergänzung war e<strong>in</strong>e Ausdehnung des politischen<br />

Strafrechts <strong>in</strong> das Vorfeld der klassischen Hoch- und Landesverratsparagraphen.<br />

Politisch war dieses Gesetz, wie Alexander von Brünneck schreibt, »e<strong>in</strong>deutig und<br />

ausschließlich gegen die Kommunisten gerichtet«. 13<br />

Das 1. Strafrechtsänderungsgesetz stellte bis zum Verbot 1956 die wesentliche<br />

juristische Grundlage zur Bekämpfung der <strong>KPD</strong> und ihr als nahestehend geltender<br />

Organisationen oder Aktivitäten dar. Von 1951 bis 1956 wurden <strong>in</strong>sgesamt 3.060<br />

Personen wegen politischer Delikte (Hochverrat, Staatsgefährdung und Landesverrat)<br />

rechtskräftig verurteilt, davon alle<strong>in</strong>e 2.548 aufgrund der §§ 88-98 StGB (Staats-<br />

4 Ebenda, S. 54.<br />

5 Ebenda, S. 55. Ausnahme war Würtemberg-Hohenzollern.<br />

6 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP <strong>1945</strong>-1990, a.a.O., S. 85. In <strong>Bremen</strong> gab es aufgrund des Erlasses zahlreiche<br />

Parteiaustritte.<br />

7 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 57ff. Bei e<strong>in</strong>er dieser Demonstrationen<br />

- der kommunistisch <strong>org</strong>anisierten »Jugendkarawane« <strong>in</strong> Essen - kam es im Mai 1952<br />

zu schweren Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen der Polizei und e<strong>in</strong>em Teil der 30000 Teilnehmer, <strong>in</strong> deren<br />

Verlauf der 21jährige FDJler Phillip Müller von der Polizei erschossen wurde.<br />

8 Ebenda, S. 60ff.<br />

9 Ebenda, S. 64f.<br />

10 Ebenda, S. 62ff.<br />

11 <strong>Die</strong> wichtigsten Bestimmungen des Gesetzes s<strong>in</strong>d abgedruckt bei Alexander von Brünneck, Politische<br />

Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 387 - 401. Zur Entstehungsgeschichte des Gesetzes siehe auch ebenda,<br />

S. 71ff.; außerdem: Rolf Gössner, <strong>Die</strong> vergessenen Justizopfer des kalten Krieges. Über den unterschiedlichen<br />

Umgang mit der deutschen Geschichte <strong>in</strong> Ost und West, mit e<strong>in</strong>em Vorwort von He<strong>in</strong>rich<br />

Hannover, Hamburg 1994, S. 50ff.<br />

12 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 389 (§ 88).<br />

13 Ebenda, S. 73ff; Zitat S. 73.


284<br />

Politische Justiz und Verbot<br />

gefährdung). 14 Hierunter fallen auch die rechtsradikalen Täter, wobei aber davon<br />

ausgegangen werden muss, dass der ganz überwiegende Teil der Verurteilten<br />

Kommunisten oder ihnen Nahestehende waren. 15<br />

In <strong>Bremen</strong> hatte der Senat bereits vor dem Erlass der Bundesregierung gegen<br />

Kommunisten im öffentlichen <strong>Die</strong>nst vom Herbst 1950 Richtl<strong>in</strong>ien zur »E<strong>in</strong>schränkung<br />

des kommunistischen E<strong>in</strong>flusses« ausgearbeitet. Auf Grund dieser Richtl<strong>in</strong>ien<br />

trat der Haushaltsausschuss der Bürgerschaft zurück, um so das e<strong>in</strong>zige kommunistische<br />

Mitglied, Wilhelm Meyer-Buer, loszuwerden. Der stellvertretende amerikanische<br />

Landeskommissar äußerte daraufh<strong>in</strong> befriedigt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit<br />

Bürgermeister Kaisen und Innensenator Ehlers, dass <strong>Bremen</strong> damit das erste Land<br />

<strong>in</strong> Westdeutschland sei, »das aktive Maßnahmen gegen e<strong>in</strong>e kommunistische Infiltration<br />

unternommen habe«. 16 <strong>Die</strong> Folgen des Erlasses für die Verankerung der <strong>KPD</strong><br />

im öffentlichen <strong>Die</strong>nst waren schwerwiegend. <strong>Die</strong> Mehrzahl der <strong>in</strong> den ersten<br />

Nachkriegsjahren <strong>in</strong> staatliche und öffentliche Institutionen gelangten Kommunisten<br />

verließ offenbar die Partei, um nicht den Arbeitsplatz zu verlieren. Im November<br />

1950 berichtete e<strong>in</strong> Instrukteur, dass aufgrund der Richtl<strong>in</strong>ien gegen Kommunisten<br />

im öffentlichen <strong>Die</strong>nst »22 Genossen ihren Austritt aus der <strong>KPD</strong> erklärt« hätten.<br />

17 <strong>Die</strong> Zahl war vermutlich weit untertrieben. <strong>Die</strong> Partei verlor <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zwischen<br />

Oktober und Dezember 1950 über 300 Mitglieder, nachdem die Zahlen zuvor<br />

stabil gewesen waren. E<strong>in</strong> derartig drastischer Verlust kann nur mit den Repressionen<br />

gegen Kommunisten im öffentlichen <strong>Die</strong>nst erklärt werden. Auch exponierte<br />

Mitglieder verließen die <strong>KPD</strong>: Hermann Schwager, Bürgerschaftsmitglied und Betriebsratsvorsitzender<br />

im Arbeitsamt Bremerhaven, trat im Oktober 1950 aus der<br />

Partei aus. Andere prom<strong>in</strong>ente Kommunisten dagegen konnten im öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nst und <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> bleiben: Maria Krüger, Bürgerschaftsabgeordnete der <strong>KPD</strong><br />

und Leiter<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sonderschule, erhielt Unterstützung vom Kollegium ihrer Schule<br />

wie auch von Bildungssenator Christian Paulmann (SPD). 18<br />

Nach der Verabschiedung des »Blitzgesetzes« durch den Bundestag im Sommer<br />

1951 setzte auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong>e massive Ermittlungstätigkeit gegen Kommunisten<br />

e<strong>in</strong>. Als »staatsgefährdend« galten dabei schon das Verteilen von regierungsfe<strong>in</strong>dlichen<br />

Flugblättern oder Kontakte <strong>in</strong> die DDR. Betroffen waren auch die Mitglieder<br />

der Bürgerschaftsfraktion. <strong>Die</strong> meisten dieser Ermittlungsverfahren wurden e<strong>in</strong>gestellt<br />

und führten nicht zur Anklage. Dennoch kam es auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zu mehreren<br />

14 Ebenda, S. 276.<br />

15 Alexander von Brünneck geht davon aus, »dass die nicht zur Politischen Justiz gegen Kommunisten<br />

zählenden Verurteilungen nur e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>gen, mit etwa 10% anzusetzenden Anteil aller Verurteilungen<br />

wegen politischer Delikte ausmachen«. Ebenda, S. 274 und S. 236.<br />

16 Renate Meyer-Braun, <strong>Die</strong> Bremer SPD 1949-1959, a.a.O., S. 191f.<br />

17 Land: <strong>Bremen</strong>, Dauer der Reise: 18. - 28.11.50, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

18 Ebenda. Paulmann ignorierte schlicht Maria Krügers <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft, die nach den Richtl<strong>in</strong>ien zu<br />

ihrer Entlassung hätte führen müssen. Nach Darstellung des Instrukteurs teilte Paulmann Maria Krüger<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit, »dass er Kenntnis davon habe, dass 14 Lehrer an ihrer Schule gegen e<strong>in</strong>e<br />

evtl. Entlassung ihrer Person s<strong>in</strong>d und er auch selbstverständlich ke<strong>in</strong>e Ahnung habe und auch nicht<br />

wisse, dass sie Mitglied der <strong>KPD</strong> wäre«.


Politische Justiz und Verbot 285<br />

Prozessen und Verurteilungen, die <strong>in</strong> der Regel zur Bewährung ausgesetzt wurden.<br />

19<br />

<strong>Die</strong> ersten größeren politischen Prozesse gegen Kommunisten <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> waren<br />

1955/56 mehrere Verfahren gegen <strong>in</strong>sgesamt 20 Mitglieder der bereits verbotenen<br />

FDJ. 20 <strong>Die</strong> Anklageschrift der Staatsanwaltschaft im ersten dieser Verfahren umfasste<br />

717 Seiten und beschuldigte die Angeklagten u.a. der »Rädelsführerschaft <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er verfassungsfe<strong>in</strong>dlichen Vere<strong>in</strong>igung«, der »Geheimbündelei« und der »Mitgliedschaft<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung«. <strong>Die</strong> Verfahren endeten allesamt mit<br />

Urteilen, »deren Maß den ehrgeizigen Aufwand der Staatsanwaltschaft kaum rechtfertigte:<br />

Bewährungsstrafen bis zu zehn Monaten«. 21<br />

<strong>Die</strong> zahlreichen und mit hohem Aufwand betriebenen Ermittlungsverfahren<br />

führtenjedochauch<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>dazu,dassdie<strong>KPD</strong>bereitsvordemVerbotkrim<strong>in</strong>alisiert<br />

und damit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art Halbillegalität gedrängt wurde. <strong>Die</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vergleichsweise<br />

liberale Rechtsprechung änderte nichts an Funktion und Wirksamkeit<br />

der politischen Justiz. <strong>Die</strong>se lag vor allem dar<strong>in</strong>, dem gesellschaftlichen und politischen<br />

Antikommunismus e<strong>in</strong>e rechtliche Fundierung zu geben, Kommunisten zu<br />

krim<strong>in</strong>alisieren und sie aus dem legalen politischen Spektrum zu verdrängen.<br />

He<strong>in</strong>rich Hannover schätzt die Folgen für die <strong>KPD</strong> treffend so e<strong>in</strong>:<br />

»Ich glaube schon, dass das e<strong>in</strong> vernichtender Schlag war, weil <strong>in</strong> der deutschen Bevölkerung<br />

dieses obrigkeitsstaatliche Denken doch sehr stark verankert ist. Wenn da also beispielsweise<br />

e<strong>in</strong> Haftbefehl erlassen wird, dann gilt so e<strong>in</strong> Mensch doch gleich als Krim<strong>in</strong>eller. Dass man<br />

diese Kommunisten krim<strong>in</strong>alisierte, ist ja <strong>in</strong> der breiten Masse nie als e<strong>in</strong>e Form politischer<br />

Verfolgung erkannt worden, die haben ja tatsächlich geglaubt, das seien Krim<strong>in</strong>elle. Insofern<br />

war das schon vernichtend für die Kommunisten.« 22<br />

19 Beispielhafte Schilderungen von Kommunistenprozessen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>: He<strong>in</strong>rich Hannover, Kommunistenprozesse<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge et al. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg, a.a.O., S.<br />

147ff.; He<strong>in</strong>rich Hannover, <strong>Die</strong> Republik vor Gericht, 1954-1974. Er<strong>in</strong>nerungen e<strong>in</strong>es unbequemen<br />

Rechtsanwalts, Berl<strong>in</strong> 1998, S. 42ff.; Hendrik Bunke (Hrsg.), Willy Hundertmark. Er<strong>in</strong>nerungen an e<strong>in</strong><br />

widerständiges Leben, <strong>Bremen</strong> 1997, S. 78ff. Hundertmark wurde zwischen 1953 und 1956 drei Mal<br />

verurteilt. E<strong>in</strong>ige Anklageschriften, Vorladungen und Urteilsbegründungen f<strong>in</strong>den sich im Privatarchiv<br />

Willy Hundertmark.<br />

20 He<strong>in</strong>rich Hannover, Kommunistenprozesse <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 148ff.; Wolfgang Merkel und Beenhard<br />

Oldigs: M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 70.<br />

21 He<strong>in</strong>rich Hannover, Kommunistenprozesse <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 148f. Hannover, damals Verteidiger<br />

der Angeklagten, führt die vergleichsweise milden Urteile auf die Liberalität des Vorsitzenden Richters<br />

zurück, der e<strong>in</strong>e »Ausnahmeersche<strong>in</strong>ung ... im bundesdeutschen Justizapparat« gewesen sei: »Se<strong>in</strong>e<br />

Verhandlungsführung unterschied sich wohltuend von dem Verfolgungseifer, den man <strong>in</strong> Kommunistenprozessen<br />

der 50er und 60er Jahre andernorts traf« (ebenda). Zwei der Angeklagten waren von Gerichten<br />

<strong>in</strong> anderen Städten bereits verurteilt worden und hatten auch Gefängnisstrafen verbüßt (Wolfgang<br />

Merkel und Beenhard Oldigs, M<strong>org</strong>en rot!, a.a.O., S. 70).<br />

22 Interview He<strong>in</strong>rich Hannover. Siehe zu den ideologischen Auswirkungen der politischen Justiz auch<br />

Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 342ff.


286<br />

Politische Justiz und Verbot<br />

2. Das Verbot und die Folgen <strong>in</strong> der BRD<br />

Am 22. November 1951 stellte die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht<br />

<strong>in</strong> Karlsruhe den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der <strong>KPD</strong>. Unmittelbar<br />

zuvor, am 19. November 1951, hatte die Regierung auch das Verbot der<br />

faschistischen »Sozialistischen Reichspartei« (SRP) beantragt, wodurch »offenbar<br />

beide Parteien <strong>in</strong> dasselbe ›totalitäre‹ Licht gerückt werden« sollten. 23 Das Verfahren<br />

gegen die SRP endete bereits am 23. Oktober 1952 mit e<strong>in</strong>em Verbot der Partei,<br />

das <strong>KPD</strong>-Verfahren dagegen zog sich bis 1956 h<strong>in</strong>. Das Bundesverfassungsgericht<br />

beschloss am 24. Januar 1952 die Durchführung des Verfahrens. Es folgten Durchsuchungen<br />

beim Parteivorstand und bei den elf Landesleitungen, bei denen umfangreiches<br />

Material beschlagnahmt wurde, das vermutlich auch für anderweitige<br />

Ermittlungen und Verfahren gegen Kommunisten benutzt wurde. 24<br />

Der Beg<strong>in</strong>n der mündlichen Verhandlung wurde jedoch bis 1954 h<strong>in</strong>ausgezögert,<br />

da das Bundesverfassungsgericht offensichtlich Zweifel an der politischen<br />

Opportunität des Verbotsantrags hatte. 25 Der Präsident des BVerfG suchte im November<br />

1954 Bundeskanzler Adenauer auf, »um zu klären, ob die Bundesregierung<br />

weiter an ihrem Antrag festhalte«. 26 <strong>Die</strong> Bundesregierung zog den Antrag nicht zurück,<br />

woraufh<strong>in</strong> die mündliche Verhandlung am 23. November 1954 eröffnet wurde.<br />

Sie wurde nach 51 Verhandlungstagen und e<strong>in</strong>er umfangreichen Beweisaufnahme,<br />

die »im wesentlichen auf e<strong>in</strong>e Sammlung von belastenden Zitaten aus den<br />

der <strong>KPD</strong> zugerechneten Veröffentlichungen« h<strong>in</strong>auslief, am 14. Juli 1955 abgeschlossen.<br />

27<br />

Am 17. August 1956 verkündete der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts<br />

schließlich das Urteil. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> wurde für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst.<br />

In der Urteilsbegründung 28 heißt es, dass die <strong>KPD</strong> sich zur Lehre des Marxismus-<br />

Len<strong>in</strong>ismus, der als Ziel die »Errichtung e<strong>in</strong>er sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung<br />

auf dem Wege über die proletarische Revolution und die Dikta-<br />

23 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 117.<br />

24 Ebenda.<br />

25 Siehe hierzu Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S.87; Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik,<br />

a.a.O., S. 114; Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 117.<br />

26 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 117. Der 1954 verstorbene<br />

erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts war »e<strong>in</strong> erklärter Gegner des Verbotsprozesses gegen<br />

die <strong>KPD</strong>« (<strong>Die</strong>ther Posser, Anwalt im Kalten Krieg. Deutsche Geschichte <strong>in</strong> politischen Prozessen 1951<br />

-<strong>1968</strong>, Bonn 2000, S. 147).<br />

27 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 118. Vgl. zum Verlauf des<br />

Verfahrens ausführlich Gerd Pfeiffer, Hans-Ge<strong>org</strong> Strickert (Hrsg.), <strong>KPD</strong>-Protzes. Dokumentarwerk zu<br />

dem Verfahren über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der<br />

Kommunistischen Partei Deutschlands vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts, 3 Bde.,<br />

Karlsruhe 1956; aus <strong>KPD</strong>-Sicht: Weißbuch, der Kommunistischen Partei Deutschlands über die mündlichen<br />

Verhandlungen im Verbotsprozess vor dem Bundesverfassungsgericht <strong>in</strong> Karlsruhe, zusammengestellt<br />

nach dem amtlichen Verhandlungsprotokoll des Gerichts, herausgegeben vom Parteivorstand<br />

der Kommunistischen Partei Deutschlands, Berl<strong>in</strong> (Ost) 1955.<br />

28 Vgl. Gerd Pfeiffer, Hans-Ge<strong>org</strong> Strickert (Hrsg.), <strong>KPD</strong>-Prozess, a.a.O., Band 3, S. 581ff.


Politische Justiz und Verbot 287<br />

tur des Proletariats« 29 habe, bekenne und diese auch aktiv anwende. <strong>Die</strong>s sei jedoch<br />

mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvere<strong>in</strong>bar, da die Diktatur<br />

des Proletariats »auf die une<strong>in</strong>geschränkte Herrschaft der Kommunistischen Partei<br />

h<strong>in</strong>auslaufe, die allgeme<strong>in</strong>e Geltung der Grundrechte, <strong>in</strong>sbesondere des Gleichheitssatzes,<br />

beseitige« 30 sowie die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie,<br />

wie z.B. das Mehrparteiensystem, negiere. Das Gericht betonte, dass es damit ke<strong>in</strong><br />

Urteil über den Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus als Wissenschaft fälle. 31<br />

Ausschlaggebend für das Verbot war aber offensichtlich die Beurteilung der aktuellen<br />

Politik der <strong>KPD</strong>, für die das Gericht im wesentlichen das »Programm der<br />

Nationalen Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands« von 1952 zur Grundlage nahm. 32<br />

Das Urteil wertete dieses Programm als »Angriff gegen die freiheitliche demokratische<br />

Grundordnung«. 33 <strong>Die</strong> Revision wesentlicher Teile dieser Programmatik<br />

durch die Erklärung des Parteivorstandes vom 18. März 1956 (»Es muss und kann<br />

anders werden«) ignorierte das Gericht. Auch den von der <strong>KPD</strong> im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Programmrevision beantragten Neue<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Beweisaufnahme lehnte das Bundesverfassungsgericht<br />

ab. 34 »So wurde die <strong>KPD</strong> am 17. August 1956 auch wegen<br />

e<strong>in</strong>er Politik verboten, die sie zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr vertrat.« 35<br />

Noch am Tag der Verkündung des Urteils wurden überall im Bundesgebiet die<br />

Büros der <strong>KPD</strong> durchsucht und geschlossen. Insgesamt wurden (nach e<strong>in</strong>er<br />

Aufstellung von Hans Kluth) 2.500 Büros und Wohnungen durchsucht, 199 Büros,<br />

35 Druckereien, Verlage und Zeitungsredaktionen geschlossen und 199 Funktionäre<br />

festgenommen. 36 Außerdem wurde sämtliches Vermögen der <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>gezogen. 37<br />

Das Verbotsurteil des Bundesverfassungsgericht bewirkte zunächst die völlige<br />

Zerschlagung der legalen <strong>KPD</strong> und anderer als kommunistisch geltende Organisationen.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus diente es aber auch, <strong>in</strong> Ergänzung zum bisherigen politischen<br />

Strafrecht, als zusätzliche Legitimation und Möglichkeit zur Verfolgung von<br />

Kommunisten. Von großer Bedeutung <strong>in</strong> diesem Zusammenhang war die Bestimmung<br />

des Urteils, dass Zuwiderhandlungen des Verbots nach §§ 42, 47 des Bun-<br />

29 Zitiert nach Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 122.<br />

30 Ebenda.<br />

31 Ebenda, S. 123f.; Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 87.<br />

32 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 124. Vgl. auch die Darstellung<br />

des am Urteil beteiligten Bundesverfassungsrichters Mart<strong>in</strong> Drath, auf die sich von Brünneck bezieht,<br />

<strong>in</strong>: Urteil: <strong>KPD</strong>-Verbot aufheben. Politisches und Rechtliches zum Verbot der <strong>KPD</strong> (Protokoll des<br />

Öffentlichen Hear<strong>in</strong>gs über die Problematik des <strong>KPD</strong>-Verbots mit Gästen aus der Bundesrepublik und<br />

aus dem Ausland am 5. Juni 1971 <strong>in</strong> der Mercator-Halle <strong>in</strong> Duisburg, Köln 1971, S. 48-58, hier S. 49, sowie<br />

den entsprechenden Abschnitt <strong>in</strong> der Urteilsbegründung (Gerd Pfeiffer, Hans-Ge<strong>org</strong> Strickert<br />

[Hrsg.], <strong>KPD</strong>-Prozess, a.a.O., Band 3, S. 679ff.<br />

33 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 125f.<br />

34 Ebenda, S. 125.<br />

35 Ebenda.<br />

36 Hans Kluth, <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik, a.a.O., S. 118.<br />

37 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 132ff.


288<br />

Politische Justiz und Verbot<br />

desverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bestraft werden. 38 Als Zuwiderhandlung<br />

galt die Fortführung der verbotenen <strong>KPD</strong> sowie die Bildung von Ersatz<strong>org</strong>anisationen,<br />

darüber h<strong>in</strong>aus auch die Förderung derselben; selbst der Versuch e<strong>in</strong>er Förderung<br />

war strafbar. 39 Mit diesen allgeme<strong>in</strong>en Bestimmungen konnte praktisch jede<br />

politische Betätigung von Kommunisten strafrechtlich verfolgt werden. <strong>Die</strong> §§ 42,<br />

47 BVerfGG stellten somit e<strong>in</strong>e Erweiterung der bisherigen Staatsschutzbestimmungen<br />

dar und wurden dementsprechend von den Gerichten angewandt.<br />

Aufgrund von § 90a Abs. 3 StGB (»Ist die Vere<strong>in</strong>igung e<strong>in</strong>e politische Partei im<br />

räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so darf die Tat erst verfolgt werden,<br />

nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass die Partei verfassungswidrig<br />

ist«) konnte nun - nach dem Verbot - auch die e<strong>in</strong>fache Betätigung für<br />

die <strong>KPD</strong>, selbst wenn sie vor 1956 lag, verfolgt und verurteilt werden. Erst 1961 erklärte<br />

das Bundesverfassungsgericht § 90a Abs. 3 StGB für nichtig. 40<br />

Neben den Organisationsdelikten wurden auch sämtliche politischen Me<strong>in</strong>ungsäußerungen<br />

- <strong>in</strong>sbesondere publizistische - von Kommunisten 41 sowie politische<br />

Kontakte <strong>in</strong> die DDR 42 als Zuwiderhandlung gegen das <strong>KPD</strong>-Verbot verfolgt.<br />

Insgesamt s<strong>in</strong>d zwischen 1956 und <strong>1968</strong> ca. 4.000 Personen wegen kommunistischer<br />

Betätigung verurteilt worden, die Zahl der Ermittlungsverfahren zwischen 1951<br />

und <strong>1968</strong> gibt von Brünneck mit ungefähr 125.000 an. 43 »Bei allen politischen Delikten<br />

zwischen 1956 und <strong>1968</strong> betrug das Verhältnis von Verurteilungen zu staatsanwaltschaftlichen<br />

Ermittlungsverfahren etwa 1 zu 19«. 44 <strong>Die</strong>ses krasse Missverhältnis<br />

verdeutlicht den enormen Aufwand und die Intensität mit der die politische<br />

Justiz gegen Kommunisten betrieben wurde. Bereits im Vorfeld der gerichtlichen<br />

Verfahren gab es »e<strong>in</strong> ausgedehntes Feld staatsanwaltschaftlicher und polizeilicher<br />

Ermittlungstätigkeit« 45, die oft aus nur ger<strong>in</strong>gen Anlässen <strong>in</strong> Gang gesetzt wurde.<br />

Nach 1963 nahmen die Fälle der Verfolgung von Kommunisten stark ab. Das<br />

allmähliche E<strong>in</strong>setzen der Entspannungspolitik sowie die programmatische Wandlung<br />

der <strong>KPD</strong> - bei ihrer gleichzeitigen politischen Bedeutungslosigkeit - machten<br />

die These von der kommunistischen Gefahr unglaubwürdig und ließen den »Anachronismus<br />

der Kommunistenverfolgung« 46 <strong>in</strong> das öffentliche Bewusstse<strong>in</strong> rücken.<br />

Mit der Verabschiedung des 8. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 29. Mai <strong>1968</strong>, das<br />

wesentliche Bestimmungen von 1951 aufhob, 47 sowie mit e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>en Monat später<br />

erlassenen Amnestie für alle im Zusammenhang mit der Kommunistenverfolgung<br />

38 Vgl. ebenda, S. 134. § 42 bestimmt, dass »vorsätzliche Zuwiderhandlungen« gegen e<strong>in</strong>e Entscheidung<br />

des BVG mit m<strong>in</strong>destens 6 Monaten Gefängnis bestraft werden, § 47 erklärt § 42 bei Parteiverboten für<br />

anwendbar.<br />

39 Ebenda, S. 135.<br />

40 Ebenda, S. 150.<br />

41 Ebenda, S. 175ff.<br />

42 Ebenda, S. 196ff.<br />

43 Ebenda, S. 236ff.. <strong>Die</strong>se Zahl ist laut von Brünneck eher zu niedrig als zu hoch geschätzt.<br />

44 Ebenda, S. 244.<br />

45 Ebenda, S. 245.<br />

46 Ebenda, S. 353.<br />

47 Ebenda, S. 324f.


Politische Justiz und Verbot 289<br />

stehenden Straftaten 48 war die politische Justiz gegen Kommunisten praktisch beendet.<br />

3. Das Verbot <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Der im November 1951 gestellte Verbotsantrag der Bundesregierung hatte auf die<br />

eigentliche Arbeit der Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zunächst nur e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>gen E<strong>in</strong>fluss. E<strong>in</strong><br />

SED-Instrukteur berichtete, es »zeigten sich <strong>in</strong> allen Partei<strong>org</strong>anisationen Tendenzen,<br />

dieses Verbot nicht ernst zu nehmen. Man argumentierte [...], dass wir heute<br />

e<strong>in</strong>e wesentlich andere Situation haben wie 1933; viele Genossen glaubten, daraus<br />

die Schlussfolgerung ziehen zu können, es könne überhaupt nichts Schlimmes passieren«.<br />

49 <strong>Die</strong>se E<strong>in</strong>stellungen hielten sich pr<strong>in</strong>zipiell bis zum Verbot 1956 <strong>in</strong> der<br />

Partei. »Es gibt Me<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> der Mitgliedschaft«, so e<strong>in</strong> Instrukteur 1955, »die Partei<br />

wird nicht verboten. [...]. Es ist die Auffassung vorhanden: Uns kann ke<strong>in</strong>er.« 50<br />

Auch über die Art e<strong>in</strong>er eventuell bevorstehenden Illegalität herrschte Unsicherheit.<br />

Insbesondere die älteren Mitglieder g<strong>in</strong>gen wohl von ähnlichen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

wie zur Zeit des Faschismus aus und rechneten mit Massenverhaftungen<br />

oder Schlimmerem. <strong>Die</strong>se Auffassung wurde sicher nicht von allen Mitgliedern geteilt,<br />

51 <strong>in</strong>sgesamt aber g<strong>in</strong>g die Partei wohl - natürlich auch aufgrund der Erfahrung<br />

des Faschismus - von e<strong>in</strong>er wesentlich schärferen Illegalität aus als sie dann tatsächlich<br />

e<strong>in</strong>trat.<br />

<strong>Die</strong>s musste vor allem für die Parteileitung gelten. Grundkonzept der unmittelbar<br />

nach dem Antrag 1951 e<strong>in</strong>setzenden Vorbereitungen der <strong>KPD</strong> war daher, e<strong>in</strong>erseits<br />

bis zur letzten M<strong>in</strong>ute legal weiterzuarbeiten, gleichzeitig aber e<strong>in</strong>e sogenannte<br />

»Zweite L<strong>in</strong>ie« zu schaffen. 52 <strong>Die</strong>se sollte nach dem Verbot die Leitungen übernehmen,<br />

um die Partei nicht »völlig kopflos« dastehen zu lassen, 53 denn man g<strong>in</strong>g<br />

davon aus, dass die ortsbekannten Funktionäre als erstes verhaftet werden würden.<br />

54 Für diese zweite L<strong>in</strong>ie wurden erstmals bereits Anfang 1952 Funktionäre aus<br />

der öffentlichen Arbeit herausgezogen und <strong>in</strong> anderen Bundesländern auf die Leitungstätigkeit<br />

nach dem Verbot vorbereitet. In <strong>Bremen</strong> betraf dies den Ersten Sekre-<br />

48 Ebenda, S. 325f.<br />

49 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom: 20.11. - 18.12. 1951, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/13.<br />

50 Land: <strong>Bremen</strong>, E<strong>in</strong>satz vom 24.3. bis 4.5. 1955, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />

51 Willy Hundertmark spricht von zwei L<strong>in</strong>ien zum Verbot: »<strong>Die</strong> e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie vertrat die Auffassung, dass<br />

es wieder große Massenverhaftungen geben würde, wie bei den Nazis. Es gäbe schon KZs <strong>in</strong> der Lüneburger<br />

Heide usw. Und die andere L<strong>in</strong>ie war, die Bundesrepublik Deutschland kann nicht mehr so<br />

handeln wie die Nazis gehandelt haben. Dafür s<strong>in</strong>d die Nachbarn <strong>in</strong> West und Ost viel zu misstrauisch.«<br />

(Interview Willy Hundertmark,1). Hermann Gautier stellt die Situation ähnlich dar (Interview<br />

Hermann Gautier, 3).<br />

52 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., a.a.O., S. 82.<br />

53 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />

54 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S.83.


290<br />

Politische Justiz und Verbot<br />

tär Hermann Gautier, den Zweiten Sekretär Willi Lietzau sowie den Kadersekretär<br />

Willi Seipel. 55 Nachdem sich 1952 zeigte, dass e<strong>in</strong> Verbot nicht unmittelbar bevorstand,<br />

wurden viele der Maßnahmen und die »Zweite L<strong>in</strong>ie« zunächst weitgehend<br />

wieder aufgegeben. Hermann Gautier kehrte im September 1952 nach <strong>Bremen</strong> zurück<br />

und übernahm wieder die Leitung der Partei. Erst ab 1955, mit Abschluss der<br />

mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht, wurden wieder<br />

Funktionäre für Aufgaben nach e<strong>in</strong>em Verbot vorbereitet. Auch Hermann Gautier<br />

1955 verließ e<strong>in</strong>ige Zeit die Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und g<strong>in</strong>g vermutlich <strong>in</strong> die Zweite L<strong>in</strong>ie.<br />

56<br />

Neben diesen <strong>org</strong>anisatorischen Umstellungen, die die <strong>KPD</strong> mit ihrem ohneh<strong>in</strong><br />

relativ kle<strong>in</strong>en Funktionärskadern zusätzlich belasteten, 57 versuchte die Partei die<br />

Öffentlichkeit wie auch die eigene Mitgliedschaft gegen den Prozess und e<strong>in</strong> eventuelles<br />

Verbot zu mobilisieren. Dabei wurde immer wieder versucht, den Verbotsantrag<br />

<strong>in</strong> größere Zusammenhänge zu stellen. »Wir müssen uns dessen bewusst<br />

se<strong>in</strong>«, so beispielsweise e<strong>in</strong>e Sekretariatsvorlage von 1953, »dass das Schicksal der<br />

deutschen Nation wesentlich mit dem Schicksal der <strong>KPD</strong> zusammenhängt«. Der<br />

Versuch, die <strong>KPD</strong> zu verbieten, sei »e<strong>in</strong>e Maßnahme zur Vorbereitung e<strong>in</strong>es neuen<br />

imperialistischen Krieges«. 58 Schon aufgrund dieser Verknüpfung konnte angesichts<br />

der Isolation der <strong>KPD</strong> und der antikommunistischen Stimmung <strong>in</strong> der Bevölkerung<br />

e<strong>in</strong>e wirksame Mobilisierung der Öffentlichkeit nicht gel<strong>in</strong>gen.<br />

Mit Beg<strong>in</strong>n der mündlichen Verhandlungen <strong>in</strong> Karlsruhe im November 1954<br />

begann der Protest gegen den Verbotsprozess phasenweise andere politische Themen<br />

<strong>in</strong> der Partei zu überlagern. Im Vordergrund der Agitation, so e<strong>in</strong> Instrukteur<br />

1955, stünden »nicht genügend die Frage, die die Menschen am meisten bewegten,<br />

sondern die Fragen des Verbotsprozesses«, und drückte damit ungewollt auch das<br />

Des<strong>in</strong>teresse der breiten Bevölkerung am Verbotsprozess aus. Das Des<strong>in</strong>teresse<br />

zeigte sich auch an den Teilnehmerzahlen der Kundgebungen:<br />

»Alle Kundgebungen und Demonstrationen der Partei [...] wurden immer unter der gleichen<br />

Losung ›Gegen den Verbotsprozess‹ durchgeführt. [...]. Da die Partei schon monatelang<br />

Kundgebungen und Versammlungen mit dem gleichen Thema durchgeführt hat, ist verständlich,<br />

wenn die Versammlungen der letzten Wochen nur ger<strong>in</strong>g besucht waren. Am 15. Juni<br />

nahmen an e<strong>in</strong>er solchen Kundgebung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nicht e<strong>in</strong>mal annähernd 200 Menschen teil.<br />

Das war für <strong>Bremen</strong> die schlechteste Kundgebung seit langer Zeit«. 59<br />

1956 begann die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ihre Aktivitäten gegen das drohende Verbot<br />

wieder zu <strong>in</strong>tensivieren und versuchte dabei vor allem <strong>in</strong> die SPD und die Gewerk-<br />

55 Vgl. Kapitel 2.<br />

56 Gautier besuchte nach eigenen Angaben e<strong>in</strong>e längere Parteischule (Interview Hermann Gautier, 3).<br />

Andere Interviewpartner geben an, er sei im Zuge der Vorbereitung auf das Verbot <strong>in</strong> die Zweite L<strong>in</strong>ie<br />

abberufen worden. Gautier war etwa seit Anfang 1956 wieder <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. Nach dem Verbot leitete<br />

Gautier kurze Zeit die Partei<strong>org</strong>anisation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Bundesland (ebenda).<br />

57 »Der Aufbau dieser 2. L<strong>in</strong>ie hat die Partei doch e<strong>in</strong>iges an Kraft gekostet und die Wirksamkeit ihrer politischen<br />

Tätigkeit ist natürlich dadurch e<strong>in</strong>geschränkt worden.« (Interview Hermann Gautier, 3).<br />

58 Sekretariatsvorlage zur Durchführung von Maßnahmen gegen das beabsichtigte Verbot der <strong>KPD</strong> und Verstärkung<br />

des Kampfes zur Verteidigung der demokratischen Rechte, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/8.<br />

59 E<strong>in</strong>satz vom: 13. Juni bis 17. Juli 1955, Land: <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.


Politische Justiz und Verbot 291<br />

schaften zu wirken. Im März, als die Partei offenbar davon ausg<strong>in</strong>g, dass das Urteil<br />

des Bundesverfassungsgerichts noch im selben Monat bevorstünde, suchten Mitglieder<br />

der Kreis- und Landesleitung führende Funktionäre von SPD und DGB auf<br />

und baten sie um Stellungnahmen zu dem »geplanten Verbot«, die dann <strong>in</strong> der Tribüne<br />

der Demokratie veröffentlicht wurden. 60 E<strong>in</strong>e ganze Reihe dieser »Prom<strong>in</strong>enten«<br />

sprach sich aus verschiedenen Gründen gegen e<strong>in</strong> Verbot der <strong>KPD</strong> aus, allerd<strong>in</strong>gs,<br />

me<strong>in</strong>t Herbert Breidbach, habe e<strong>in</strong> Großteil auch »gekniffen«. 61 So auch der<br />

Präsident des Senats, Wilhelm Kaisen. <strong>Die</strong>sen suchten Hermann Gautier und Willi<br />

Meyer-Buer am 23. März 1956 auf und baten ihn um e<strong>in</strong>e Stellungnahme zu dem<br />

erwarteten Karlsruher Urteil. 62 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>, so Hermann Gautier, sei der Me<strong>in</strong>ung,<br />

dass wenn <strong>in</strong>sbesondere die SPD-geführten Länder sich gegen das Verbot aussprechen<br />

würden, dieses nicht verkündet werden könnte. Kaisen äußerte <strong>in</strong> diesem Gespräch,<br />

dass auch er es nicht für richtig halte, die <strong>KPD</strong> zu diesem Zeitpunkt zu verbieten<br />

und bot an, ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben um e<strong>in</strong>e persönliche Stellungnahme zu<br />

bitten. <strong>Die</strong>s tat Hermann Gautier im Namen der Landesleitung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben<br />

vom 24. März 1956, 63 wohl<strong>in</strong>derErwartung,dassKaisensichähnlichäußernwürde<br />

wie <strong>in</strong> dem Gespräch. Das Schreiben Kaisens vom 26. März 1956 entsprach dann<br />

aber ke<strong>in</strong>eswegs diesen Erwartungen: Kaisen lehnte e<strong>in</strong>e persönliche Stellungnahme<br />

ab, da er den »Stand der Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht<br />

nicht kenne« und es außerdem nicht üblich sei, zu e<strong>in</strong>em schwebenden Verfahren<br />

Stellung zu nehmen. »Ob es e<strong>in</strong>e echte Alternative zu e<strong>in</strong>em Verbot gibt, kann<br />

schließlich nur die <strong>KPD</strong> selbst wissen. <strong>Die</strong> Aufhebung der Parteiverbote dort, wo<br />

sie selbst regiert, würde <strong>in</strong> diesen Zusammenhang gehören«. 64 <strong>Die</strong> <strong>in</strong> dem Gespräch<br />

geäußerte Ablehnung des Verbots tauchte <strong>in</strong> dem Schreiben nicht auf, Kaisen<br />

hatte wohl Bedenken, sich als Senatspräsident öffentlich für den Erhalt der <strong>KPD</strong><br />

auszusprechen. <strong>Die</strong> Tribüne der Demokratie veröffentlichte daraufh<strong>in</strong> lediglich, dass<br />

Kaisen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit Vertretern der <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong> Verbot der Partei als »außerordentlich<br />

unglücklich und unklug« bezeichnet habe. 65<br />

Bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts setzte die <strong>KPD</strong> ihre Maßnahmen<br />

zur Mobilisierung der Öffentlichkeit gegen e<strong>in</strong> Verbot fort. Es wurden weiterh<strong>in</strong><br />

Stellungnahmen von SPD- und Gewerkschaftsfunktionären veröffentlicht, <strong>in</strong> den<br />

Betrieben wurden Flugblätter verteilt, und von <strong>KPD</strong>-Versammlungen wurden Entschließungen<br />

verabschiedet die u.a. auch an den Bundestag und die Bremer Bürgerschaft<br />

gesandt wurden. 66 Dabei wurde immer wieder <strong>in</strong>sbesondere an SPD und<br />

Gewerkschaften appelliert, das Verbot zu verh<strong>in</strong>dern. 67<br />

60 Verbotsplan stößt auf Ablehnung, Tribüne der Demokratie 29. März 1956.<br />

61 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />

62 Aktennotiz der Senatskanzlei v. 24.3.56 <strong>in</strong>: StaB 3-K.13.Nr.100.<br />

63 In: StaB 3-K.13.Nr.100<br />

64 Schreiben Wilhelm Kaisen an <strong>KPD</strong> <strong>Bremen</strong> (26. März 1956), <strong>in</strong>: StaB 3-K.13.Nr.100.<br />

65 Verbotsplan stößt auf Ablehnung, Tribüne der Demokratie 29. März 1956.<br />

66 So z.B. e<strong>in</strong>e Versammlung der <strong>KPD</strong> Gröpel<strong>in</strong>gen vom 23. April 1956 (StaB 3-K.13.Nr.100).<br />

67 So heißt es zum Beispiel <strong>in</strong> der Entschließung e<strong>in</strong>er Kreisdelegiertenkonferenz vom 5./6.Mai 1956:<br />

»Wir fordern die Bevölkerung <strong>Bremen</strong>s, besonders die sozialdemokratischen Genossen und Gewerkschafter<br />

auf, mit uns geme<strong>in</strong>sam die demokratischen Rechte und die Freiheit der <strong>KPD</strong>, wie die freie Be-


292<br />

Politische Justiz und Verbot<br />

Unmittelbar vor dem Verbot versuchte die <strong>KPD</strong> noch e<strong>in</strong>mal, den öffentlichen<br />

Protest zu mobilisieren, ohne dabei selbst noch wirklich an e<strong>in</strong>en Erfolg zu glauben.<br />

Am 15. August rief die Landesleitung »die Bevölkerung und alle Mitglieder der<br />

<strong>KPD</strong> im Lande <strong>Bremen</strong>« auf, an e<strong>in</strong>er Protestkundgebung am folgenden Tag teilzunehmen.<br />

68 An der Kundgebung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Gröpel<strong>in</strong>gen beteiligten sich nach Aussagen<br />

der Partei »rund 1000 Bremer Werktätige«, um »zur Verteidigung der <strong>KPD</strong><br />

aufzurufen«. He<strong>in</strong>rich Schramm und Arthur Böpple forderten <strong>in</strong> ihren Reden noch<br />

e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>sbesondere »die sozialdemokratischen Klassengenossen« auf, »jetzt Schulter<br />

an Schulter mit den Kommunisten und parteilosen Arbeitern dafür S<strong>org</strong>e zu<br />

tragen, dass die Adenauerära begraben werde«. 69 In der letzten legalen Ausgabe<br />

der Tribüne der Demokratie vom 17. August 1956 wurden auch noch e<strong>in</strong>mal Stellungnahmen<br />

von Gewerkschaftsfunktionären - u.a. Gustav Böhrnsen, Betriebsratsvorsitzender<br />

der AG »Weser« - gegen e<strong>in</strong> Verbot veröffentlicht. 70<br />

Insgesamt gesehen waren die Appelle und Bemühungen der <strong>KPD</strong> zur Mobilisierung<br />

der Öffentlichkeit gegen e<strong>in</strong> Verbot wenig erfolgreich. Freilich waren sie<br />

wohl auch von Seiten der Partei eher gedacht als Vorbereitung auf die bevorstehende<br />

Illegalität, <strong>in</strong> der Hoffnung, dass sich Sozialdemokraten und Gewerkschafter<br />

mit der verbotenen Arbeiterpartei <strong>KPD</strong> solidarisieren oder wenigstens verstärkt mit<br />

Kommunisten zusammenarbeiten würden.<br />

»...man kennt sich ja.« <strong>Die</strong> Verbotsmaßnahmen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Bereits wenige M<strong>in</strong>uten nach Verkündung des Urteils <strong>in</strong> Karlsruhe am 17. August<br />

1956 wurden <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> sämtliche Parteibüros der <strong>KPD</strong> und die der sogenannten<br />

»Tarn<strong>org</strong>anisationen« durch e<strong>in</strong> Sonderkommando der Bremer Polizei besetzt und<br />

durchsucht. 71 Im e<strong>in</strong>zelnen waren dies die Büros der Landesleitung und der Kreisleitung<br />

<strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denhofstraße (Robert-Stamm-Haus), das Kreisbüro <strong>Bremen</strong>-Nord<br />

<strong>in</strong> Vegesack sowie e<strong>in</strong>e Parteibaracke <strong>in</strong> der Wiedaustraße. Weiterh<strong>in</strong> wurden auch<br />

die Büros des »Landesfriedenskomitees«, des »Ausschusses für Bürgerrechte«, des<br />

»Arbeitskreises für Land- und Forstwirtschaft«, des »Demokratischen Kulturbundes«<br />

sowie die ebenfalls <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denhofstraße untergebrachten Redaktionsräume<br />

der »Tribüne der Demokratie« durchsucht und geschlossen. 72<br />

Beschlagnahmt wurden <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie »Propagandamaterial« und Büroausstattungen,<br />

außerdem wurde e<strong>in</strong> Konto der <strong>KPD</strong> (Saldo: 15,90 DM) gesperrt. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong><br />

hatte natürlich sämtliche eventuell für die Polizei <strong>in</strong>teressante Materialien rechtzei-<br />

tätigung für alle Organisationen der Arbeiterklasse und demokratischen Bewegungen zu verteidigen.«<br />

(Für die Verteidigung der demokratischen Rechte, Tribüne der Demokratie 17. Mai 1956).<br />

68 Heraus zu <strong>KPD</strong>-Protestkundgebung!, Tribüne der Demokratie 15. August 1956.<br />

69 Fackeldemonstration gegen <strong>KPD</strong>-Verbot, Tribüne der Demokratie 17. August 1956.<br />

70 Tribüne der Demokratie, 17. August 1956.<br />

71 Acht <strong>KPD</strong>-Zentren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geschlossen, Weser-Kurier 18. August 1956. <strong>Die</strong> Aktion war natürlich geplant.<br />

Der Senat hatte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vertraulichen Sitzung am 14. August 1956 »Maßnahmen für den Fall e<strong>in</strong>es<br />

Verbots der <strong>KPD</strong> durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts« beschlossen (Aktennotiz <strong>in</strong> StaB 3-<br />

K.13.Nr.100).<br />

72 Acht <strong>KPD</strong>-Zentren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geschlossen, Weser-Kurier 18. August 1956.


Politische Justiz und Verbot 293<br />

tig aus den Büros entfernt. 73 <strong>Die</strong> Behörden rechneten wohl auch nicht ernsthaft mit<br />

größeren Funden. 74 Laut Bericht e<strong>in</strong>es SED-Instrukteurs habe Wirtschaftssenator<br />

Hermann Wolters Mitgliedern der <strong>KPD</strong>-Landesleitung unmittelbar vor dem Verbot<br />

sogar geraten, »alles beiseite« zu schaffen. Man werde mit den Maßnahmen »erst<br />

beg<strong>in</strong>nen, wenn wir annehmen müssen, dass ihr re<strong>in</strong> Schiff gemacht habt«. 75 Auch<br />

Materialien aus den Büros der sogenannten Tarn<strong>org</strong>anisationen wurden vor dem<br />

Verbot beseitigt, da man auch hier mit Durchsuchungen rechnete. 76<br />

Dementsprechend lief die gesamte Polizeiaktion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> relativ ruhig und<br />

konfliktfrei ab, nach den Worten der <strong>KPD</strong>-Bürgerschaftsabgeordneten Maria Krüger<br />

sogar »albern«. 77 Irgende<strong>in</strong>e Art von Widerstand wurde den Polizisten nicht<br />

entgegengesetzt, und es gab ke<strong>in</strong>erlei Verhaftungen oder Festnahmen, was der Polizeipräsident<br />

von Bock und Pollach so kommentierte: »Das kann <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> auch<br />

nicht passieren, man kennt sich ja.« 78 E<strong>in</strong> SED-Instrukteur bestätigte die staatliche<br />

Zurückhaltung. <strong>Die</strong> Polizei habe sich »beim Auftreten entschuldigt und ist also<br />

nicht brutal v<strong>org</strong>egangen«. 79 <strong>Die</strong> Hausdurchsuchungen bei e<strong>in</strong>zelnen Funktionären<br />

liefen ähnlich ab und seien »formal« durchgeführt worden. 80 <strong>Die</strong> Privatwohnungen<br />

leitender Funktionäre und der vier Bürgerschaftsabgeordneten wurden nicht<br />

durchsucht. »<strong>Die</strong> Erfahrung hat uns gelehrt, dass e<strong>in</strong>e Nachlese bei den führenden<br />

Leuten s<strong>in</strong>nlos ist. Deshalb haben wir es gar nicht erst versucht«, so der Polizeipräsident.<br />

81<br />

Der Senat konnte also am 21. August zurecht feststellen, »dass die Maßnahmen<br />

anlässlich des Verbots der <strong>KPD</strong> durch das Bundesverfassungsgericht ohne Zwischenfälle<br />

verlaufen« seien. 82 Zu e<strong>in</strong>em bereits <strong>in</strong> dieser Sitzung angesprochenen<br />

Sonderthema entwickelte sich das Robert-Stamm-Haus, <strong>in</strong> dem die Landes- und die<br />

Kreisleitung der <strong>KPD</strong> untergebracht waren. Das Haus war Eigentum der 1946 gegründeten<br />

»Robert-Stamm-Genossenschaft« und an die <strong>KPD</strong> nur vermietet. Es<br />

handelte sich also eigentlich nicht um Partei-, sondern um Privatvermögen mehre-<br />

73 Dazu Maria Krüger: »Es war ja nicht so, dass man auf e<strong>in</strong> Gerichtsurteil wartete, was noch irgendwo <strong>in</strong><br />

der Luft schwebte. <strong>Die</strong> Partei sagte: Aus unserem Haus <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denhofstraße verschw<strong>in</strong>det alles! Da<br />

ist nicht e<strong>in</strong> Fitz, wenn die Durchsuchung kommt und die Beschlagnahme. Und jeder von euch macht<br />

se<strong>in</strong>e Wohnung »sauber«, und Gnade euch, die f<strong>in</strong>den bei Euch etwas, was sie nicht f<strong>in</strong>den sollen!« Zitiert<br />

nach Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 291.<br />

74 Der Weser-Kurier schilderte e<strong>in</strong>e Büro-Durchsuchung wörtlich: »KP-Mann: ‚Da s<strong>in</strong>d sie ja.’ Polizeibeamter:<br />

‚Na, viel wird ja wohl nicht mehr zu holen se<strong>in</strong>.’ KP-Mann: Denken Sie denn, wir s<strong>in</strong>d von gestern?’«<br />

(Acht <strong>KPD</strong>-Zentren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geschlossen, Weser-Kurier 18. August 1956).<br />

75 Arbeitsbüro, 23.8.56, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />

76 Rolf Stelljes über die Durchsuchung des Büros des Landesfriedenskomitees : »Sie kamen am 17. August<br />

1956 <strong>in</strong>s Büro und haben dann festgestellt, an irgendwelchen Nägeln hängen nur noch kle<strong>in</strong>e Zettelchen<br />

[...]. Da stand überall drauf: ›Hier h<strong>in</strong>g mal was‹. Also, wir haben die regelrecht ›vergackeiert‹«.<br />

(Interview Rolf Stelljes).<br />

77 Horst Adamietz, <strong>Die</strong> fünfziger Jahre, a.a.O., S. 291.<br />

78 Acht <strong>KPD</strong>-Zentren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geschlossen, Weser-Kurier 18. August 1956.<br />

79 Arbeitsbüro, 23.8.56, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />

80 Ebenda.<br />

81 Acht <strong>KPD</strong>-Zentren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geschlossen, Weser-Kurier 18. August 1956.<br />

82 Auszug aus dem Senatsprotokoll vom 21. August 1956, <strong>in</strong>: StaB 3-K.13.Nr.100.


294<br />

Politische Justiz und Verbot<br />

rer Personen, die größtenteils ihre Wiedergutmachungszahlungen <strong>in</strong> die Genossenschaft<br />

<strong>in</strong>vestiert hatten. Dennoch wurden am 17. August zunächst Akten und Vermögen<br />

der Genossenschaft beschlagnahmt. Innensenator Adolf Ehlers teilte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Schreiben vom 22. August dem Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>ister mit, dass dieses Material<br />

sichergestellt wurde und dass es sich dabei wahrsche<strong>in</strong>lich um Eigentum der <strong>KPD</strong><br />

handele. Ehlers bat das Innenm<strong>in</strong>isterium um den Erlass e<strong>in</strong>er Verfügung, wonach<br />

das Vermögen der Genossenschaft - also auch das Haus <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denhofstraße -<br />

zugunsten der Bundesrepublik e<strong>in</strong>gezogen werde. 83 Nachdem diese Verfügung ergangen<br />

war, klagte die Genossenschaft dagegen, verlor allerd<strong>in</strong>gs den Prozess mit<br />

der Begründung, die Verteilung auf mehrere Genossen sei nur e<strong>in</strong>e Tarnung der<br />

wirklichen Eigentumsverhältnisse gewesen. 84<br />

Das Problem der <strong>KPD</strong>-Bürgerschaftsmandate<br />

Das Bundesverfassungsgericht hatte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Urteilsspruch zu der Frage, ob mit<br />

dem Verbot der Partei auch die kommunistischen Mandate <strong>in</strong> den Länderparlamenten<br />

verfallen, ke<strong>in</strong>e Stellung bezogen. <strong>Die</strong>s führte <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> zu e<strong>in</strong>er bundesweit<br />

e<strong>in</strong>maligen Entwicklung.<br />

Zunächst schien die Lage e<strong>in</strong>deutig. <strong>Die</strong> Presse meldete e<strong>in</strong>en Tag nach dem<br />

Verbot, dass aufgrund von § 35 des 1955 verabschiedeten Bremischen Wahlgesetzes<br />

die vier kommunistischen Abgeordneten ihre Sitze <strong>in</strong> der Bürgerschaft verlieren<br />

würden. 85 Bereits zwei Tage später jedoch wies der Bürgerschaftspräsident August<br />

Hagedorn (SPD) darauf h<strong>in</strong>, dass zunächst das Präsidium der Bürgerschaft zusammentreten<br />

müsse, um über die Aberkennung der Mandate zu beschließen. 86<br />

<strong>Die</strong>s geschah am 3. September 1956 - allerd<strong>in</strong>gs mit e<strong>in</strong>em anderen Ergebnis als erwartet:<br />

Der Vorstand der Bürgerschaft beschloss, vor e<strong>in</strong>er eventuellen Aberkennung<br />

der <strong>KPD</strong>-Mandate den Staatsgerichtshof zu e<strong>in</strong>er Stellungnahme anzurufen<br />

und e<strong>in</strong>en dementsprechenden Antrag dem Plenum der Bürgerschaft zur Beschlussfassung<br />

vorzulegen. 87<br />

<strong>Die</strong> Sitzung der Bürgerschaft zu diesem Thema fand am 12. September 1956<br />

statt. Zu Beg<strong>in</strong>n der Debatte - an der die vier kommunistischen Abgeordneten nicht<br />

teilnahmen - begründete August Hagedorn noch e<strong>in</strong>mal ausführlich die rechtlichen<br />

Bedenken des Bürgerschaftsvorstandes. 88 In § 35 des Bremischen Wahlgesetzes sei<br />

zwar festgelegt, dass die Mitglieder e<strong>in</strong>er verbotenen Partei ihre Mandate <strong>in</strong> der<br />

Bürgerschaft verlieren. <strong>Die</strong>s sei jedoch lediglich als Ausführungsbestimmung zu e<strong>in</strong>em<br />

entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu betrachten. Als alle<strong>in</strong>ige<br />

Rechtsgrundlage des Mandatsverlustes würde § 35 nicht ausreichen, da er<br />

83 Auszug aus dem Senatsprotokoll vom 21. August 1956, <strong>in</strong>: StaB 3-K.13.Nr.100.<br />

84 Interview He<strong>in</strong>rich Hannover.<br />

85 Acht <strong>KPD</strong>-Zentren <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> geschlossen, Weser-Kurier 18. August 1956.<br />

86 Noch im Besitz der Immunität, Weser-Kurier 21. August 1956.<br />

87 KP-Abgeordnete weiter <strong>in</strong> Bürgerschaft, Weser-Kurier 4. September 1956.<br />

88 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 12. September 1956, S. 307 ff. Siehe auch Hartes R<strong>in</strong>gen<br />

um Schicksal der KP-Mandate, Weser-Kurier 13. September 1956.


Politische Justiz und Verbot 295<br />

sonst <strong>in</strong> Widerspruch zu § 80 der Landesverfassung 89 stünde. Daher sei der »Kern<br />

des Problems« die Frage, ob sich der Verlust der Mandate direkt aus dem Urteil des<br />

Bundesverfassungsgerichts ergebe. <strong>Die</strong>se Frage sei vom Vorstand der Bürgerschaft,<br />

aufgrund der unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu diesem Thema, nicht endgültig<br />

zu klären gewesen. Man befände sich deshalb »<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em echten Zweifel« und<br />

wolle zur Klärung den Staatsgerichtshof anrufen.<br />

Während die Überlegungen des Präsidiums, wie Hagedorn ausdrücklich betonte,<br />

re<strong>in</strong> rechtlicher Natur waren, kamen <strong>in</strong> der nachfolgenden Debatte <strong>in</strong> der Bürgerschaft<br />

auch politische Aspekte zum Vorsche<strong>in</strong>. CDU und DP vertraten die Me<strong>in</strong>ung,<br />

dass mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts »auf das zw<strong>in</strong>gendste alles<br />

klargestellt« sei. 90 Artikel 21 des Grundgesetzes (nach dem die <strong>KPD</strong> verboten<br />

worden war) sei e<strong>in</strong>e zw<strong>in</strong>gende Verfassungsdirektive, die das »demokratische<br />

Staatswesen« vor sie bedrohenden E<strong>in</strong>richtungen schützen solle, »unabhängig davon,<br />

ob sie akut gefährlich oder weniger gefährlich s<strong>in</strong>d«. Denn, so Marwede<br />

(CDU), »die Gefahr, die von der durch Moskau gesteuerten <strong>KPD</strong> her droht, ist [...]<br />

zu jeder Zeit, <strong>in</strong> jeder Form, <strong>in</strong> jeder Größe beträchtlich«. <strong>Die</strong> FDP argumentierte<br />

ähnlich. 91 Als e<strong>in</strong>zige der vier Fraktionen sprach sich die SPD für den Antrag des<br />

Vorstandes aus. Se<strong>in</strong>e Fraktion, so ihr Vorsitzender Richard Boljahn, teile die rechtlichen<br />

Bedenken des Präsidiums. <strong>Die</strong> entscheidende Frage sei, ob tatsächlich lediglich<br />

die Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts ausreiche, Bremer Landesrecht<br />

zu brechen und die Mandate zu streichen. <strong>Die</strong> SPD habe daran starke<br />

Zweifel und deshalb müsse »unsern Brüdern und Schwestern im Osten gegenüber<br />

noch e<strong>in</strong>mal ganz klar unter Beweis« gestellt werden, »dass wir bis zur letzten Konsequenz<br />

den alten Rechtsgrundsatz verwirklicht sehen möchten: Im Zweifelsfall zu<br />

Gunsten des Angeklagten!«. <strong>Die</strong> Bürgerschaft nahm schließlich mit den Stimmen<br />

der SPD und e<strong>in</strong>iger Abgeordneten der anderen Parteien den Antrag des Präsidiums<br />

an, das Schicksal der KP-Mandate vom Staatsgerichtshof klären zu lassen. 92<br />

<strong>Die</strong> sozialdemokratischen Senatoren teilten die Me<strong>in</strong>ung ihrer Bürgerschaftsfraktion<br />

nicht. Der Senat äußerte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sitzung vom 16. Oktober 1956 die Auffassung,<br />

dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit § 35 des<br />

Bremischen Wahlgesetzes ausreichend sei, um den kommunistischen Abgeordneten<br />

ihr Mandat zu entziehen. Weiterh<strong>in</strong> sprach er sich »entschieden für e<strong>in</strong> Verbot<br />

jeglicher Versammlungen und Veranstaltungen, zu denen ehemalige Abgeordnete<br />

89 § 80 der Landesverfassung regelt »abschließend« die Voraussetzungen, unter denen die Mitgliedschaft<br />

<strong>in</strong> der Bürgerschaft erlischt. <strong>Die</strong>s s<strong>in</strong>d lediglich der freiwillige Verzicht auf das Mandat oder der Wegfall<br />

e<strong>in</strong>er für die Wählbarkeit maßgebenden Vorraussetzung.<br />

90 So der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion Marwede (Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft,<br />

12. September 1956, S. 311). Vgl. auch Appell an Staatsgerichtshof umstritten, Weser-Kurier 5.<br />

September 1956.<br />

91 Ihr Fraktionsvorsitzender Ge<strong>org</strong> Bortscheller - der sich <strong>in</strong> der Debatte gegen die Anrufung des Staatsgerichtshofes<br />

ausgesprochen und vom »automatischen Untergang der Mandate« geredet hatte - enthielt<br />

sich <strong>in</strong> der namentlichen Abstimmung der Stimme.<br />

92 Das genaue Ergebnis der namentlichen Abstimmung <strong>in</strong> Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft,<br />

12. September 1956, S. 327.


296<br />

Politische Justiz und Verbot<br />

der <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>laden, aus«. 93 Letzteres bezog sich auf e<strong>in</strong>e rechtliche Unklarheit, die<br />

sich aus der vorläufigen Nichtaberkennung der Mandate ergab. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-<br />

Abgeordneten hatten auf e<strong>in</strong>em öffentlichen Plakat zu e<strong>in</strong>er Versammlung e<strong>in</strong>geladen.<br />

94 Innensenator Ehlers (SPD) me<strong>in</strong>te diese verbieten zu müssen, sah sich dabei<br />

aber mit der Situation konfrontiert, dass die Veranstalter immer noch Abgeordnete<br />

der Bürgerschaft waren, somit unter Immunitätsschutz standen und nicht ohne<br />

weiteres strafrechtlich belangt werden konnten. In dieser rechtlich zweifelhaften Situation<br />

wollte sich Ehlers durch die Erklärung des Senats offenbar Rückendeckung<br />

verschaffen, 95 was ihm auch gelang: Der Senat sprach sich für e<strong>in</strong> Verbot der<br />

Veranstaltung aus. 96<br />

<strong>Die</strong> mündliche Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof über den Antrag des<br />

Bürgerschaftspräsidiums fand am 3. November 1956 statt. Der Antrag enthielt folgende<br />

drei Fragen:<br />

»1. Haben diejenigen Mitglieder der Bürgerschaft, welche der Kommunistischen Partei<br />

Deutschlands vor deren Auflösung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.<br />

August 1956 angehörten, ihren Sitz <strong>in</strong> der Bürgerschaft verloren?<br />

2. Bejahendenfalls, zu welchem Zeitpunkt ist dieser Verlust e<strong>in</strong>getreten bzw. wird er e<strong>in</strong>treten?<br />

3. Bejahendenfalls, gilt die gleiche Folge für die Mitgliedschaft dieser Abgeordneten zur<br />

Stadtbürgerschaft?« 97<br />

<strong>Die</strong> vier Abgeordneten Wilhelm Meyer-Buer, He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich, Hermann Gautier<br />

und Maria Krüger wurden <strong>in</strong> der Verhandlung von Professor Kröger (Berl<strong>in</strong>)<br />

und Rechtsanwalt Böhmer (Düsseldorf) vertreten, die auch die Prozessbevollmächtigten<br />

der <strong>KPD</strong> vor dem Bundesverfassungsgericht gewesen waren. Sie beantragten,<br />

»dass der Staatsgerichtshof erkennen möge, dass die Bürgerschaftsmandate der<br />

Abgeordneten [...], die zur Zeit der Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 17. August 1956 Abgeordnete der Kommunistischen Partei<br />

Deutschlands waren, nicht erloschen s<strong>in</strong>d«. 98 Zur Begründung führten sie u.a. aus,<br />

dass sich im Grundgesetz ke<strong>in</strong> unmittelbarer und zw<strong>in</strong>gender Zusammenhang zwischen<br />

Parteienverbot und Mandatsverlust erkennen lasse. Vielmehr fordere das<br />

Grundgesetz mit se<strong>in</strong>em Bekenntnis zum freien Mandat <strong>in</strong> Artikel 38 gerade den<br />

gegenteiligen Schluss. 99 Weiterh<strong>in</strong> sei es auch nicht aufgrund von § 35 des Bremi-<br />

93 Auszug aus dem Senatsprotokoll vom 16. Oktober 1956, <strong>in</strong>: StaB 3-K.13. Nr.100.<br />

94 Allerd<strong>in</strong>gs nicht als <strong>KPD</strong>, sondern lediglich als »vier Abgeordnete der Bürgerschaft«.<br />

95 In dem Protokoll der Senatssitzung heißt es wörtlich: »Nach se<strong>in</strong>er, Herrn Senator Ehlers, Auffassung<br />

verpflichte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ihn, jede Tätigkeit der <strong>KPD</strong> und ihrer ehemaligen<br />

Mitglieder zu unterb<strong>in</strong>den und daher auch jede Versammlung zu untersagen. Er bitte den Senat, diese<br />

Ansicht zu bestätigen.«( Auszug aus dem Senatsprotokoll vom 16. Oktober 1956, <strong>in</strong>: StaB 3-K.13. Nr.100.).<br />

96 Ebenda. Siehe auch Senat untersagt Wählerversammlung, Weser-Kurier 17. Oktober 1956.<br />

97 Wortlaut <strong>in</strong> Hartes R<strong>in</strong>gen um Schicksal der KP-Mandate, Weser-Kurier 13. September 1956.<br />

98 Niederschrift der Sitzung des Staatsgerichtshofs am 3. November 1956, <strong>Bremen</strong>o.J.,S.5.<br />

99 <strong>Die</strong>ser H<strong>in</strong>weis auf Art. 38 war neu. In diesem Zusammenhang wies Prof. Kröger auch auf die widersprüchliche<br />

Argumentation des Bundesverfassungsgerichts h<strong>in</strong>: Wenn es e<strong>in</strong>en zw<strong>in</strong>genden Zusammenhang<br />

zwischen Partei und Abgeordnetenmandat gebe - wie er <strong>in</strong> dem Urteil gegen die SRP festgestellt<br />

worden war -, dann müsse auch der Parteiwechsel e<strong>in</strong>es Abgeordneten den Mandatsverlust zur


Politische Justiz und Verbot 297<br />

schen Wahlgesetzes möglich, die Mandate für verloren zu erklären, da er im Widerspruch<br />

zu § 80 der Landesverfassung stünde und damit verfassungswidrig sei.<br />

<strong>Die</strong>ser Widerspruch könne nur durch e<strong>in</strong>en Spruch des Bundesverfassungsgerichts<br />

»geheilt« werden. <strong>Die</strong>s sei jedoch nur im konkreten Falle der SRP geschehen, nicht<br />

aber generell. 100<br />

Der Staatsgerichtshof verkündete se<strong>in</strong> Urteil am 5. Januar 1957: <strong>Die</strong> Abgeordneten<br />

der <strong>KPD</strong> verloren ihre Sitze <strong>in</strong> der Bürgerschaft als Landtag, nicht aber die <strong>in</strong><br />

der Stadtbürgerschaft. 101 In der Begründung heißt es, dass sich der Mandatsverlust<br />

nicht aus dem <strong>KPD</strong>-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergebe, das <strong>in</strong> diesem<br />

konkreten Fall ke<strong>in</strong>e »B<strong>in</strong>dungswirkung« habe. 102 Anwendbar sei aber § 35 des<br />

Bremischen Wahlgesetzes, der durch die »Auslegung des Artikels 21 Abs.2 GG als<br />

e<strong>in</strong>e Norm des lebenden Rechts« 103 von se<strong>in</strong>er Verfassungswidrigkeit geheilt sei.<br />

<strong>Die</strong>se Heilung gelte allerd<strong>in</strong>gs nicht bezüglich der Mandate <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft.<br />

Hier handele es sich um e<strong>in</strong> vom Landesparlament unterscheidbares Organ,<br />

<strong>in</strong> dem nicht eigentliche politische Entscheidungen fallen. Von daher sei die Stellung<br />

der Abgeordneten <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft von der - auf Bundestag und Landesparlamente<br />

beschränkten - Auslegung des Artikels 21 GG nicht betroffen.<br />

Bemerkenswert an diesem Urteil war, dass gleichzeitig mit der Urteilsbegründung<br />

auch zwei M<strong>in</strong>derheiten-Gutachten veröffentlicht wurden. Das war <strong>in</strong> der<br />

deutschen Justizgeschichte e<strong>in</strong>malig: Bis dah<strong>in</strong> wurde immer nur die Mehrheitsme<strong>in</strong>ung<br />

verkündet, die Abstimmungsergebnisse blieben geheim. 104 Das erste Gutachten<br />

- unterschrieben vom Präsidenten des Staatsgerichtshofes Lifschütz, dem<br />

Bremer Richter Spr<strong>in</strong>gstub und dem Marburger Professor Wolfgang Abendroth -<br />

vertrat die Auffassung, dass es ke<strong>in</strong>e bundes- oder landesrechtliche Grundlage für<br />

die Aberkennung der Landtagsmandate gebe. <strong>Die</strong> Abgeordneten seien rechtlich<br />

Vertreter des ganzen Volkes und von daher unabhängig von dem Geschick ihrer<br />

Partei, auch wenn deren Verfassungswidrigkeit festgestellt wurde. Weiterh<strong>in</strong> sei<br />

das Bundesverfassungsgericht nicht berechtigt gewesen, über den Wegfall der<br />

Mandate zu bestimmen, da dies vom Gesetzgeber ausdrücklich den Parlamenten<br />

selbst vorbehalten worden sei und deshalb auch das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht<br />

bewusst ke<strong>in</strong>e derartige Möglichkeit be<strong>in</strong>halte. Das Bundesverfassungsgericht<br />

befände sich also »<strong>in</strong> offenem Widerspruch« zu diesem Gesetz. 105 Das<br />

Folge haben. <strong>Die</strong>se Konsequenz sei aber, mit Berufung auf Artikel 38, tatsächlich nie gezogen worden.<br />

(Niederschrift der Sitzung des Staatsgerichtshofs am 3. November 1956, S.11f.).<br />

100 Niederschrift der Sitzung des Staatsgerichtshofs am 3. November 1956, S.20.<br />

101 Das Urteil, die Begründung sowie die abweichenden Ansichten s<strong>in</strong>d nachzulesen <strong>in</strong>: Entscheidungen<br />

des Staatsgerichtshofes der Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong> 1950-1969, herausgegeben vom Präsidenten des<br />

Staatsgerichtshofes, <strong>Bremen</strong> 1970, S. 73-92.<br />

102 Ebenda, S. 78.<br />

103 Ebenda, S. 79<br />

104 Vgl. Drei Me<strong>in</strong>ungen, Der Spiegel Nr. 8/1957.<br />

105 In Artikel 41 GG ist festgelegt, dass der Bundestag entscheidet, ob e<strong>in</strong> Abgeordneter se<strong>in</strong> Mandat verloren<br />

hat. Indirekt warfen die drei Richter damit dem Bundesverfassungsgericht Verfassungswidrigkeit<br />

vor. Noch deutlicher wird dieser Vorwurf mit der folgenden Aussage: »Aufgrund derjenigen Erfahrungen,<br />

die das deutsche Volk im März 1933 mit den Wirkungen derartiger außerparlamentarischer


298<br />

Politische Justiz und Verbot<br />

zweite Gutachten - unterzeichnet vom Präsidenten des Landgerichts Dr. Arndt,<br />

dem Gött<strong>in</strong>ger Professor Weber und dem Präsidenten des Bremer Landessozialgerichts<br />

Dr. Rohwer-Kahlmann - vertrat dagegen die Ansicht, dass die kommunistischen<br />

Mandate sowohl im Landtag als auch <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft verfallen<br />

müssten. § 35 des Bremischen Wahlgesetzes sei <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Teil verfassungswidrig<br />

und deshalb auch auf die Mandate <strong>in</strong> der Kommunalvertretung, die e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit<br />

mit dem Landesparlament bilde, anwendbar. Das Urteil stellte also e<strong>in</strong>en Kompromiss<br />

zwischen den beiden gegensätzlichen Auffassungen dar, bei dem offenbar der<br />

an ke<strong>in</strong>em der beiden Gutachten beteiligte Richter Raschhofer ausschlaggebend<br />

war.<br />

<strong>Die</strong> beiden Vertreter der ehemaligen kommunistischen Abgeordneten kündigten<br />

nach Ende der Verhandlung e<strong>in</strong>e Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht<br />

gegen die Aberkennung der Landtagsmandate an, 106 was auch dem<br />

Bürgerschaftspräsidenten mitgeteilt wurde. August Hagedorn wies jedoch sofort<br />

darauf h<strong>in</strong>, dass dies ke<strong>in</strong>e rechtsaufschiebende Wirkung haben werde. 107 In der<br />

Bürgerschaftssitzung vom 30. Januar 1957 schließlich teilte Hagedorn mit, dass der<br />

Vorstand der Bürgerschaft, entsprechend dem Urteil des Staatsgerichtshofes, den<br />

vier Abgeordneten der <strong>KPD</strong> ihr Landtagsmandat aberkannt habe. 108<br />

Nach Verkündung des Urteils, so berichtet Wilhelm Meyer-Buer, kam der Polizeipräsident<br />

von Bock und Pollach zu ihm und sprach dem Kommunisten se<strong>in</strong> Bedauern<br />

über den Entzug der Landtagsmandate aus, gratulierte ihm aber auch<br />

gleichzeitig zum Erhalt der Sitze <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft. 109 Andere Reaktionen<br />

waren nicht so freundlich. Der Spruch des Staatsgerichtshofes wurde von allen Parteien<br />

stark kritisiert. Durch den Erhalt der Stadtbürgerschafts-Mandate könnten die<br />

Kommunisten weiterh<strong>in</strong> politisch tätig se<strong>in</strong>, da jedes kommunalpolitische Problem<br />

auch bundes- oder landespolitische Anknüpfungspunkte habe. Außerdem könne<br />

ihnen nun auch schwerlich die Herausgabe e<strong>in</strong>es Mitteilungsblattes oder die Abhaltung<br />

von Versammlungen verwehrt werden. 110 Innensenator Ehlers erwog sogar<br />

e<strong>in</strong>e Änderung von Artikel 148 der Landesverfassung, nach dem die Entscheidungen<br />

des Staatsgerichtshofes auch für die Stadtbürgerschaft gelten. Ehlers verstieg<br />

sich zu der Behauptung, e<strong>in</strong> wesentlicher Grund für das Urteil sei dar<strong>in</strong> zu sehen,<br />

»dass der Vorsitzende des Gerichts die Landesverfassung offenbar nicht ausreichend<br />

kenne«. 111 Das war vielleicht nicht ganz ernst geme<strong>in</strong>t, zeigt aber, dass die<br />

Korrektur der Zusammensetzung des Parlaments machen musste, muss dieser Verfassungsgrundsatz<br />

als besonders wichtig ersche<strong>in</strong>en. Es ist nicht wesentlich verschieden, ob E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> die Struktur des<br />

Parlaments wie 1933 durch die Exekutive oder durch die richterliche Gewalt erfolgen.« (Entscheidungen<br />

des Staatsgerichtshofes der Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 86)<br />

106 Kommunisten verlieren ihre Landtagsmandate, Weser-Kurier 7. Januar 1957.<br />

107 KP-Mandate vor Karlsruher Richtern, Weser-Kurier 8. Januar 1957. <strong>Die</strong> Verfassungsbeschwerde der vier<br />

Abgeordneten wurde vom Bundesverfassungsgericht am 14. Mai 1957 als unzulässig abgelehnt. (Verhandlungen<br />

der Bremischen Bürgerschaft, 19. Juni 1957, S. 126).<br />

108 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 30. Januar 1957, S.1f.<br />

109 Interview Meyer-Buer, 1.<br />

110 Kommunisten verlieren ihre Landtagsmandate, Weser-Kurier 7. Januar 1957.<br />

111 Auszug aus Senatsprotokoll v. 8.1.57, <strong>in</strong>: StaB 3-B.1.Nr.358.


Politische Justiz und Verbot 299<br />

Entscheidung des Staatsgerichtshofes durchaus überraschend und ärgerlich für den<br />

Senat war.<br />

Politische Justiz nach dem Verbot<br />

Der Erhalt der Bürgerschaftsmandate <strong>in</strong>dizierte, dass die politischen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

für die Bremer <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der folgenden Illegalität vergleichsweise günstig waren.<br />

H<strong>in</strong>zu kamen die zahlreichen persönlichen Kontakte zwischen Sozialdemokraten<br />

und Kommunisten und e<strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt relativ liberales politisches Klima, wodurch<br />

die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wesentlich bessere Voraussetzungen hatte als <strong>in</strong> anderen Städten<br />

und Bundesländern. 112 Auch das Ausmaß der juristischen Verfolgung war <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> ger<strong>in</strong>ger als <strong>in</strong> anderen Städten, wohl auch ger<strong>in</strong>ger als von der <strong>KPD</strong> erwartet,<br />

und nicht mit der Illegalitätsphase von 1933-<strong>1945</strong> gleichzusetzen. 113<br />

Gelegentlich sah sich die Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> veranlasst, die Mitglieder vor allzu<br />

viel S<strong>org</strong>losigkeit zu warnen. Anlässlich der Verhaftung mehrerer Funktionäre <strong>in</strong><br />

Oldenburg schrieb die illegale Tribüne der Demokratie im Februar 1957:<br />

»<strong>Die</strong>se Tatsachen zeigen uns, dass der Fe<strong>in</strong>d nicht schläft [...]. Darum ist es notwendig, aufs<br />

Strengste die gegenwärtig notwendigen Regeln unserer Arbeit e<strong>in</strong>zuhalten, nicht aber aus<br />

Freundschaft, oder bei e<strong>in</strong>em der ehemals führenden Genossen, oder aus anderen Gründen<br />

davon abzuweichen. Darum ist es notwendig, jeder Ersche<strong>in</strong>ung der S<strong>org</strong>losigkeit entschieden<br />

entgegenzutreten, auch wenn bei uns lange nichts passiert ist.« 114<br />

In der Tat konnten natürlich die Verhältnisse <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nicht als gänzlich harmlos<br />

betrachtet werden. Auch nach dem Verbot gab es Bespitzelung, Verfolgung und<br />

politische Justiz gegen Kommunisten. <strong>Die</strong> staatlichen Stellen beschränkten sich dabei<br />

aber weitgehend auf die Überwachung der <strong>KPD</strong>. Zu Verhaftungen von Funktionären<br />

aus der illegalen Leitung der Partei kam es <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nicht. Schwerpunkt<br />

der politischen Justiz war, wie bereits vor dem Verbot, die umfangreiche Ermittlungstätigkeit.<br />

Wie weit diese selbst <strong>in</strong> private Bereiche reichte und wie sehr das<br />

politische und gesellschaftliche Klima auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> vom Antikommunismus bestimmt<br />

war, mag e<strong>in</strong> Beispiel von 1957 aus den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten<br />

veranschaulichen. 115<br />

112 »In Hannover war das schwieriger. Da s<strong>in</strong>d zwei- dreimal Leitungen hochgegangen, das heißt verhaftet<br />

worden. <strong>Die</strong> haben uns da auch Spitzel e<strong>in</strong>geschleust. Aber hier <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> war das im Grunde genommen<br />

e<strong>in</strong> relativ friedliches Pflaster, wo man mit solchen D<strong>in</strong>gen nicht rechnen brauchte.« (Interview<br />

Breidbach, 1).<br />

113 »In der ganzen Bundesrepublik, würde ich heute sagen, war das Verbot nicht zu vergleichen mit dem<br />

Verbot der Faschisten, wo ja direkte körperliche Vernichtung betrieben wurde. In <strong>Bremen</strong> war es dazu<br />

noch besonders loyal gehandhabt: Hier haben sich ja Sozialdemokraten wie Adolf Ehlers und andere<br />

kaum getraut, Kommunisten mal festzunehmen. Ich will das nicht überschätzen und übertreiben, aber<br />

von e<strong>in</strong>er ‚harten’ Illegalitätsphase kann man wirklich nicht sprechen.« (Interview Breidbach, 1). Alle<br />

anderen Interviewpartner berichten ähnliches.<br />

114 S<strong>org</strong>losigkeit hilft dem Fe<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>: Tribüne der Demokratie 3(10), 2. Hälfte Februar 1957.<br />

115 Ermittlungsakten Staatsanwaltschaft <strong>Bremen</strong>, Band XV, Az 10 Js 159/57 (StaB 4,89/3). Alle folgenden<br />

Zitate ebenda.


300<br />

Politische Justiz und Verbot<br />

E<strong>in</strong> Hausbesitzer hatte e<strong>in</strong>e Mieter<strong>in</strong> angezeigt, weil sie angeblich <strong>in</strong> ihrem Keller<br />

Materialien der verbotenen <strong>KPD</strong> lagerte. Er übergab das Material der Polizei,<br />

mit der zusätzlichen Bemerkung, dass Frau Meyer 116 »jede Nacht unterwegs ist«.<br />

Bei den betreffenden Materialien handelte es sich um Flugblätter der <strong>KPD</strong> von 1952<br />

(!), trotzdem setzten nun Polizei und Staatsanwaltschaft e<strong>in</strong> Ermittlungsverfahren<br />

<strong>in</strong> Gang. Bei e<strong>in</strong>er Vernehmung der übrigen Hausbewohner wurde festgestellt,<br />

»dass die Meyer trotz ihrer körperlichen Frische ke<strong>in</strong>er Beschäftigung nachgeht und<br />

von der Wohlfahrt lebt. Fast ke<strong>in</strong>en Abend kommt sie vor 24.00 Uhr nach Hause.<br />

Sonnabend ist sie um 1.35 Uhr <strong>in</strong> ihre Wohnung zurückgekehrt«. Aus der Aufbewahrung<br />

der Flugblätter und den Denunziationen der Hausbewohner versuchte<br />

dann das zuständige Kommissariat e<strong>in</strong>e illegale Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> zu konstruieren:<br />

»[...] so muss durch die Aufbewahrung der alten Flugblätter doch angenommen werden, dass<br />

sie sich politisch und zwar für die <strong>KPD</strong> oder deren Tarn<strong>org</strong>anisationen betätigt. H<strong>in</strong>zu<br />

kommt, dass sie fast jeden Abend unterwegs ist und nach Aussagen der Mitbewohner erst um<br />

oder nach Mitternacht nach Hause kommt. Sie selbst empfängt zu Hause so gut wie ke<strong>in</strong>en<br />

Besuch, wodurch der Verdacht e<strong>in</strong>er illegalen Tätigkeit außerhalb des Hauses noch bekräftigt<br />

wird.«<br />

<strong>Die</strong> Polizei führte dann aufgrund dieser »Verdachtsmomente« sogar e<strong>in</strong>e Hausdurchsuchung<br />

durch, die aber ebenso wie die anschließende Vernehmung der Verdächtigen<br />

nichts weiteres ergab. Das Verfahren wurde schließlich e<strong>in</strong>gestellt.<br />

Der Fall steht stellvertretend für zahlreiche andere Ermittlungsverfahren der<br />

Staatsanwaltschaft und verdeutlicht sowohl die durch das Verbot noch verstärkte<br />

Wirkung der politischen und juristischen Ausgrenzung von Kommunisten als auch<br />

die Ger<strong>in</strong>gfügigkeit der Anlässe für e<strong>in</strong> Ermittlungsverfahren. <strong>Die</strong> allermeisten dieser<br />

Verfahren führten wie <strong>in</strong> dem Beispiel nie zu e<strong>in</strong>er Anklage, wohl aber unter<br />

Umständen zu gesellschaftlicher Isolierung und Denunziation der Verdächtigen.<br />

<strong>Bremen</strong> erlebte während der Illegalität der <strong>KPD</strong> lediglich e<strong>in</strong>en großen politischen<br />

Prozess gegen e<strong>in</strong>en Kommunisten, der aber e<strong>in</strong> umso anschaulicheres Beispiel<br />

für die V<strong>org</strong>ehensweise der Politischen Justiz wie auch für die speziellen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> darstellte. Im Frühjahr 1963 stand Wilhelm Meyer-Buer als<br />

Angeklagter vor dem Landgericht. 117<br />

Meyer-Buer hatte sich 1961 als E<strong>in</strong>zelkandidat um e<strong>in</strong> Bundestagsmandat beworben,<br />

und forderte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Wahlversammlung dazu auf, ihn, »den Kommunisten«,<br />

zu wählen. Nachfolgende Wahlveranstaltungen wurden daraufh<strong>in</strong> von der<br />

Polizei unterbunden. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der <strong>KPD</strong> war nicht der<br />

e<strong>in</strong>zige kommunistische E<strong>in</strong>zelkandidat: In der gesamten Bundesrepublik bewarben<br />

sich <strong>in</strong>sgesamt 34 ehemalige Mitglieder der <strong>KPD</strong> um e<strong>in</strong> Mandat im Bundestag.<br />

<strong>Die</strong> Justiz g<strong>in</strong>g gegen die Kandidaten vor: <strong>Die</strong> vier Hamburger E<strong>in</strong>zelkandidaten<br />

wurden im September 1962 wegen Verstoßes gegen das Verbot der <strong>KPD</strong> verur-<br />

116 Name geändert.<br />

117 Siehe zu diesem Prozess ausführlich He<strong>in</strong>rich Hannover, <strong>Die</strong> Republik vor Gericht, a.a.O., S. 105-128;<br />

ders., Kommunistenprozesse <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 151-154; Wilhelm Meyer-Buer, Als Kommunist vor<br />

Gericht, <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge et al. (Hrsg.): <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg, <strong>Bremen</strong> 1991, S. 155-160.


Politische Justiz und Verbot 301<br />

teilt. 118 Gegen Meyer-Buer wurde schließlich im Oktober 1962 Anklage erhoben.<br />

Der Vorwurf lautete, er habe sich »im Sommer 1961 auf Weisung der Führung der<br />

illegalen <strong>KPD</strong> zur Förderung ihrer Ziele <strong>in</strong> der Bundesrepublik als kommunistischer<br />

E<strong>in</strong>zelkandidat zur Bundestagswahl« beworben, 119 und sich dabei dazu bekannt,<br />

Kommunist zu se<strong>in</strong>. Er habe die politischen Thesen der <strong>KPD</strong> vertreten und<br />

»hetzerische Angriffe gegen die verfassungsmäßige Ordnung und Mitglieder der<br />

Bundesregierung« geführt. 120 <strong>Die</strong> 198 Seiten umfassende Anklageschrift versuchte<br />

zu beweisen, dass es sich bei der Kandidatur von Meyer-Buer und den übrigen<br />

kommunistischen Bewerbern um e<strong>in</strong>e von der illegalen <strong>KPD</strong> gelenkte Aktion handelte.<br />

Der anschließende Strafprozess vor der Großen Strafkammer III des Landgerichts<br />

wurde am 25. April 1963 eröffnet. 121 Er fand <strong>in</strong> der Bremer Öffentlichkeit e<strong>in</strong>e<br />

äußerst große und ungewöhnliche Aufmerksamkeit. Weser-Kurier und Bremer Nachrichten<br />

berichteten ausführlich über fast jeden der 15 Verhandlungstage und zitierten<br />

dabei auch aus <strong>in</strong> der Verhandlung verlesenen Reden Meyer-Buers oder aus<br />

Programmen der <strong>KPD</strong>. Beim Gericht g<strong>in</strong>gen vor Eröffnung der Verhandlung zahlreiche<br />

Proteste - unter anderem von der Bremer Polizeigewerkschaft oder dem Erzbischof<br />

von Canterbury - e<strong>in</strong>. 122 <strong>Die</strong>se große Aufmerksamkeit für e<strong>in</strong>en Kommunistenprozess<br />

ist nur dadurch zu erklären, dass Meyer-Buer <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong>e bekannte<br />

Persönlichkeit war und sich durch se<strong>in</strong>e Arbeit <strong>in</strong> der Bürgerschaft - das zeigte der<br />

Prozessverlauf - auch <strong>in</strong> Kreisen se<strong>in</strong>er politischen Gegner persönliche Anerkennung<br />

erworben hatte. H<strong>in</strong>zu kam, dass der Kaufmann Meyer-Buer nicht <strong>in</strong> das typische<br />

Bild e<strong>in</strong>es »echten Proletariers« und Kommunisten passte, was ihn für das<br />

bürgerliche <strong>Bremen</strong> vielleicht eher akzeptabel machte: »Er war ja nicht nur Kommunist,<br />

sondern er hatte ja auch e<strong>in</strong>en sehr bürgerlichen Beruf. Er hatte e<strong>in</strong> Uhrenund<br />

Silberwarengeschäft und galt als vermögender Mann damals. Da hatten die<br />

Leute Schwierigkeiten: Wie wird so e<strong>in</strong>er Kommunist?« 123<br />

Meyer-Buer war seit 1931 Mitglied der <strong>KPD</strong> und als solches bereits von der nationalsozialistischen<br />

Justiz zweimal zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden.<br />

Er verbrachte mehrere Jahre <strong>in</strong> Zuchthäusern und <strong>in</strong> Konzentrationslagern und erlitt<br />

dabei schwerste Misshandlungen, die ihn zum Schwerbeschädigten machten.<br />

Über 20 Jahre später stand er nun erneut wegen illegaler Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> vor<br />

e<strong>in</strong>em deutschen Gericht.<br />

Im Verlaufe des Prozesses wurden zahlreiche Passagen aus bei Meyer-Buer beschlagnahmten<br />

Materialien der <strong>KPD</strong> sowie zwei Reden des Angeklagten wörtlich<br />

verlesen. 124 Damit sollte bewiesen werden, dass er sich <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit<br />

118 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 158.<br />

119 Zitiert nach He<strong>in</strong>rich Hannover, Kommunistenprozesse <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, S. 151.<br />

120 Ebenda.<br />

121 Ebenda. Siehe auch Anklage wirft Rädeslführerschaft vor, Weser-Kurier 26. April 1963.<br />

122 Wilhelm Meyer-Buer, Als Kommunist vor Gericht, a.a.O., S. 156.<br />

123 Interview He<strong>in</strong>rich Hannover.<br />

124 Das tagelange Verlesen kommunistischer Materialien veranlasste die Verteidigung zu der Feststellung:<br />

»Das läuft ja jetzt schon fast auf Fortsetzung der verbotenen <strong>KPD</strong> h<strong>in</strong>aus«, zitiert nach e<strong>in</strong>er privaten<br />

Prozessmitschrift, S. 49 (Privatarchiv Meyer-Buer).


302<br />

Politische Justiz und Verbot<br />

den Zielen der verbotenen Partei befand und se<strong>in</strong>e Kandidatur von dieser gesteuert<br />

war. Aus dem gleichen Grund wurden die Äußerungen der anderen Kandidaten<br />

mite<strong>in</strong>ander verglichen, wobei der dazu vernommene Beamte des Bundeskrim<strong>in</strong>alamtes<br />

feststellte, dass »<strong>in</strong> den Gedankengängen« Übere<strong>in</strong>stimmungen festgestellt<br />

werden konnten. So habe sich beispielsweise der im <strong>KPD</strong>-Wahlprogramm enthaltene<br />

Gedankengang »Krieg oder Frieden, atomare Aufrüstung oder allgeme<strong>in</strong>e Abrüstung«<br />

<strong>in</strong> den Materialien von elf Kandidaten befunden, »Schluss mit der Atomund<br />

Raketenrüstung« bei Meyer-Buer und zwölf weiteren Kandidaten. 125<br />

Natürlich waren diese Forderungen nicht verfassungswidrig und fanden sich<br />

auch bei anderen Parteien. Selbst die Staatsanwaltschaft musste zugeben, dass auch<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Enzyklika des Papstes ähnliches vorkam. Trotzdem schien es der Anklage<br />

e<strong>in</strong> Beweis für die Steuerung Meyer-Buers durch die <strong>KPD</strong>.<br />

Im weiteren Verlauf der Verhandlung wurden auf Antrag der Verteidigung<br />

auch mehrere prom<strong>in</strong>ente Bremer Politiker als Zeugen gehört. Meyer-Buer wurde<br />

als sachlicher Politiker und als e<strong>in</strong> Mensch mit »anständiger Ges<strong>in</strong>nung und aufrechtem<br />

Charakter« 126 beschrieben, der sich von anderen Kommunisten »durch<br />

se<strong>in</strong>e ausgesprochene Intelligenz« 127 unterschieden und »sich <strong>in</strong> der Bürgerschaft<br />

immer den demokratischen Spielregeln unterworfen« 128 habe. »Wäre Meyer-Buer<br />

nicht Kommunist, dann wäre er e<strong>in</strong>e Zierde der Demokratie« me<strong>in</strong>te Senator Ge<strong>org</strong><br />

Bortscheller (FDP). 129 Negativ äußerte sich lediglich Wilhelm Kaisen, der Meyer-<br />

Buer als e<strong>in</strong>en »politischen Wirrkopf« bezeichnete. 130<br />

Im Schlussplädoyer des Staatsanwaltes wurde dann noch e<strong>in</strong>mal deutlich, worum<br />

es <strong>in</strong> diesem Prozess - wie auch <strong>in</strong> anderen dieser Art - tatsächlich g<strong>in</strong>g, nämlich<br />

um »die juristische Praktizierung des politischen Antikommunismus als Staatsideologie«<br />

131. Der Staatsanwalt argumentierte politisch gegen die <strong>KPD</strong> und verteidigte<br />

die Bundesregierung, der er »Friedensliebe« besche<strong>in</strong>igte. 132 Meyer-Buer sei es bei<br />

se<strong>in</strong>er Kandidatur darum gegangen, die Ziele der verbotenen <strong>KPD</strong> zu vertreten, die<br />

er dadurch maßgeblich gefördert habe. Auch habe e<strong>in</strong>e Steuerung durch die illegale<br />

Partei v<strong>org</strong>elegen und: »Selbst wenn das Gericht me<strong>in</strong>en sollte, e<strong>in</strong>e Steuerung sei<br />

nicht mit letzter Sicherheit anzunehmen, muss er trotzdem bestraft werden. [...]. E<strong>in</strong>e<br />

Willensübere<strong>in</strong>stimmung ist dabei ausreichend, auch stillschweigendes E<strong>in</strong>verständnis.«<br />

133<br />

125 Prozessmitschrift, S. 74 (Privatarchiv Meyer-Buer).<br />

126 So August Hagedorn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Aussage vor dem Gericht (Kaisen sagt m<strong>org</strong>en als Zeuge aus, Weser-<br />

Kurier 9. Mai 1963).<br />

127 So der Direktor der Bürgerschaft, Wolfgang Müller (ebenda).<br />

128 Justizsenator Ulrich Graf (FDP) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Zeugenaussage (Prozessmitschrift, S. 89)<br />

129 Höhepunkt im Prozeß Meyer-Buer, Weser-Kurier 10. Mai 1963.<br />

130 »Er ist e<strong>in</strong> politischer Wirrkopf”, Weser-Kurier 11. Mai 1963.<br />

131 Interview Hannover.<br />

132 In den Ausführungen des Staatsanwaltes heißt es wörtlich: »Es ist auch e<strong>in</strong> weiteres Beispiel für die<br />

Friedensliebe der Bundesregierung, dass sie auf ABC-Waffen verzichtet hat. Von e<strong>in</strong>em so kle<strong>in</strong>en<br />

Land wie der Bundesrepublik kann sich die SU nicht bedroht fühlen. Das ist e<strong>in</strong>e Realität.« (Prozessmitschrift,<br />

S. 111)<br />

133 Ebenda, S. 113.


Politische Justiz und Verbot 303<br />

Man muss es noch e<strong>in</strong>mal betonen: Für e<strong>in</strong>e Verurteilung wegen Förderung der<br />

illegalen <strong>KPD</strong> reichte dem Staatsanwalt e<strong>in</strong> »stillschweigendes E<strong>in</strong>verständnis« mit<br />

deren Zielen. Noch deutlicher wird der Charakter der Anklage <strong>in</strong> der Begründung<br />

des Strafantrages, womit der Staatsanwalt, so Meyer-Buer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schlussrede, e<strong>in</strong>e<br />

wörtliche Formulierung aus den Urteilen von 1934 und 1936 übernommen habe:<br />

»[...] der Angeklagte ist e<strong>in</strong> unbelehrbarer, fanatischer Anhänger der <strong>KPD</strong>. Um ihn<br />

<strong>in</strong> der gebotenen Weise abzuschrecken, halte ich e<strong>in</strong>e Gefängnisstrafe für erforderlich,<br />

die über der M<strong>in</strong>deststrafe von 6 Monaten liegen muss.« 134 Dass er aber an<br />

diese Abschreckung wohl selber nicht glaubte, gab der Staatsanwalt dann e<strong>in</strong> paar<br />

Sätze später zu: »Mir ist klar, dass der Angeklagte se<strong>in</strong>e Ges<strong>in</strong>nung nicht aufgibt.<br />

Das braucht er auch nicht. Wir haben ke<strong>in</strong>e Ges<strong>in</strong>nungsjustiz.« 135<br />

Das Gericht verurteilte Meyer-Buer am 20. Mai 1963 wegen Verstoßes gegen das<br />

<strong>KPD</strong>-Verbot zu acht Monaten Gefängnis und setzte die Strafe auf fünf Jahre zur<br />

Bewährung aus. 136 Zwar sei nicht mit letzter Sicherheit bewiesen, so die Urteilsbegründung,<br />

dass Meyer-Buer auf Weisung der illegalen <strong>KPD</strong>-Leitung gehandelt habe.<br />

Es sei aber e<strong>in</strong>deutig, dass er sich über das Verbot h<strong>in</strong>weggesetzt und für die<br />

<strong>KPD</strong> geworben habe, um sie <strong>in</strong> der politischen Situation des Bundestagswahlkampfes<br />

1961 <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung zu br<strong>in</strong>gen. 137<br />

134 Ebenda, S. 114.<br />

135 Ebenda.<br />

136 Gefängnisstrafe für Meyer-Buer, Weser-Kurer 21. Mai 1963.<br />

137 Ebenda und He<strong>in</strong>rich Hannover, Kommunistenprozesse <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 154. Natürlich bedeutete<br />

der Prozess aber auch, trotz der Verurteilung, e<strong>in</strong>en gewissen Erfolg für die <strong>KPD</strong>. Durch die breite Berichterstattung<br />

<strong>in</strong> den Medien waren die <strong>KPD</strong> und ihre Ziele e<strong>in</strong>er breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht<br />

worden. <strong>Die</strong>s sieht auch Meyer-Buer so: »<strong>Die</strong> Gesamtheit der Zeugenaussagen und Erklärungen,<br />

selbst des Staatsanwaltes, sowie die Urteilsbegründung bedeuteten e<strong>in</strong>en großen Erfolg für die Öffentlichkeitsarbeit<br />

unserer Partei. <strong>Die</strong> Leser der bremischen Zeitungen konnten erfahren, welche Aufgaben<br />

die <strong>KPD</strong> sich bezüglich der Sicherung des Friedens gestellt und wie jeder e<strong>in</strong>zelne Kommunist diese<br />

Aufgaben zu se<strong>in</strong>er persönlichen Pflicht gemacht hatte.« (Wilhelm Meyer-Buer, Als Kommunist vor<br />

Gericht, a.a.O., S. 160). Meyer-Buer war auch mit dieser Zielsetzung <strong>in</strong> den Prozess gegangen (ebenda,<br />

S. 158f.).


Kapitel 7<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

1. Überblick: Zur Entwicklung der illegalen<br />

<strong>KPD</strong> auf Bundesebene<br />

Organisation<br />

<strong>Die</strong> Umstellung der Partei<strong>org</strong>anisation auf die Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität gelang<br />

der <strong>KPD</strong> nach dem Verbot unterschiedlich. Unproblematisch war die Etablierung<br />

e<strong>in</strong>er arbeitsfähigen Parteispitze. Sofort nach dem Verbot übernahm anstelle des<br />

Parteivorstandes e<strong>in</strong> Zentralkomitee mit dem Vorsitzenden Max Reimann - der bereits<br />

seit 1954 <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> lebte - die Führung der <strong>KPD</strong>. 1 Weiterh<strong>in</strong> wurden e<strong>in</strong>gerichtet:<br />

e<strong>in</strong> Politbüro (1957), die zentrale Parteikontrollkommission (1958) und e<strong>in</strong><br />

Sekretariat des Zentralkomitees (1960). 2 <strong>Die</strong> Schaffung dieses Apparates geschah <strong>in</strong><br />

enger Abstimmung und Verflechtung mit der SED. 3 <strong>Die</strong> Spitzengremien der Partei<br />

waren komplett <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> angesiedelt und führten dort »e<strong>in</strong> eigenes, vor Gegnern<br />

wie Anhängern gleichermaßen abgeschirmtes Leben«. 4<br />

Als schwierig erwies sich dagegen der Umbau der unteren Partei<strong>org</strong>anisationen.<br />

Der Apparat sollte nun zergliedert werden. <strong>Die</strong> Landes<strong>org</strong>anisationen wurden<br />

<strong>in</strong> Bezirks<strong>org</strong>anisationen umgewandelt. <strong>Die</strong> Leitungen <strong>in</strong> den Bezirken und Kreisen<br />

hatten die Form von Dreier-Gruppen und wurden sofort nach dem Verbot im Zuge<br />

des Konzepts der Zweiten L<strong>in</strong>ie von ortsfremden Funktionären übernommen. <strong>Die</strong>s<br />

bedeutete e<strong>in</strong>e - wie sich herausstellte unnötige - Erschwernis der illegalen Arbeit,<br />

weil die neu e<strong>in</strong>gesetzten Funktionäre oftmals die örtlichen Gegebenheiten nicht<br />

kannten, was aber gerade unter den Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität besonders wichtig<br />

gewesen wäre. 5<br />

1 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 83.<br />

2 Andreas Voigt, Nach dem Verbot. <strong>Die</strong> kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland 1956-1961, dargestellt<br />

anhand illegaler <strong>KPD</strong>-Publizistik, Magisterarbeit Universität Hamburg 1989 (ms.), S. 20; Ge<strong>org</strong><br />

Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 91.<br />

3 Vgl. zum Organisationsaufbau auch: Kommunistische Tätigkeit <strong>in</strong> der Bundesrepublik im Jahre 1964 (Bericht<br />

des Bundesm<strong>in</strong>isters des Innern), <strong>in</strong>: Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage »Das Parlament«),<br />

Nr. 33/1965, Schaubild S. 27. Zu weiteren E<strong>in</strong>zelheiten (Sitzungen des ZK, andere »zentrale Ereignisse«)<br />

siehe Andreas Voigt, Nach dem Verbot, a.a.O., S. 20f.<br />

4 Andreas Voigt, Nach dem Verbot, a.a.O., S. 19.<br />

5 Ebenda.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 305<br />

<strong>Die</strong> Grund<strong>org</strong>anisationen sollten <strong>in</strong> Fünfer-Gruppen arbeiten. 6 <strong>Die</strong>s stellte sich<br />

als langwierige und teilweise nicht durchführbare Aufgabe heraus, da viele Mitglieder<br />

der legalen Partei an e<strong>in</strong>er Arbeit <strong>in</strong> der Illegalität ke<strong>in</strong> Interesse mehr hatten<br />

und die <strong>KPD</strong> so viel Zeit und Anstrengungen für die Erfassung noch zur Partei<br />

stehender Genossen und ihrer Organisation <strong>in</strong> Dreier- und Fünfer-Gruppen aufwenden<br />

musste. 7 <strong>Die</strong> Erfassung der alten Mitgliedschaft gelang der Partei nur äußerst<br />

unzureichend. E<strong>in</strong> Jahr nach dem Verbot konstatierte das Politbüro, die Aktivität<br />

beschränke sich »im wesentlichen auf e<strong>in</strong>en verhältnismäßig engen Kreis, der -<br />

mit erheblichen Schwankungen nach oben und unten - im Durchschnitt bei etwa 10<br />

Prozent der im Zeitpunkt des Verbots erfassten Parteimitgliedschaft liegt«. 8 <strong>Die</strong><br />

Zahl der arbeitenden <strong>KPD</strong>-Mitglieder war danach zu diesem Zeitpunkt - legt man<br />

e<strong>in</strong>e ungefähre Mitgliederzahl von 80.000 zum Zeitpunkt des Verbots zugrunde -<br />

nicht höher als 8000. 9 Noch Ende 1960 hatte sich diese Bilanz nicht pr<strong>in</strong>zipiell verbessert:<br />

»Nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger Prozentsatz der Mitglieder, die vor dem Verbot der Partei angehörten, ist<br />

heute <strong>in</strong> der illegalen Parteiarbeit erfasst. Tausende Genossen s<strong>in</strong>d nach wie vor nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Partei<strong>org</strong>anisation oder <strong>in</strong> die <strong>org</strong>anisierte Parteiarbeit e<strong>in</strong>bezogen. [...]. Politisch selbständig<br />

arbeitende und aktionsfähige Grund<strong>org</strong>anisationen gibt es nur wenige. Zahlenmäßig und <strong>org</strong>anisatorisch<br />

s<strong>in</strong>d sie schwach.« 10<br />

<strong>Die</strong> Schwäche der Grunde<strong>in</strong>heiten war auch zurückzuführen auf Probleme <strong>in</strong><br />

den Anleitungsstrukturen. <strong>Die</strong> Schaffung bzw. Aufrechterhaltung der Verb<strong>in</strong>dung<br />

zu übergeordneten E<strong>in</strong>heiten erwies sich nach dem Verbot als schwierig, nicht zuletzt<br />

auch wegen der Zusammensetzung der Leitungen mit ortsfremden Funktionären.<br />

Viele Mitglieder und Grund<strong>org</strong>anisationen blieben oft längere Zeit ohne Kontakt<br />

zu weisungsberechtigten Führungsgremien und somit auch ohne Anweisung.<br />

Dort, wo nicht e<strong>in</strong>zelne Mitglieder oder Gruppen von sich aus die Initiative ergriffen<br />

und ohne Anleitung von oben Parteiarbeit leisteten, kam die politische und <strong>org</strong>anisatorische<br />

Arbeit zum Erliegen. Selbstständigkeit und Aktionsgrad der Grunde<strong>in</strong>heiten<br />

waren bereits vor dem Verbot e<strong>in</strong> großes Problem der <strong>KPD</strong> gewesen, das<br />

jetzt unter den Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität umso stärkere Wirkungen zeigte.<br />

Das Kernproblem der <strong>KPD</strong> nach dem Verbot war neben der <strong>org</strong>anisatorischen<br />

Erfassung der Mitgliedschaft die Verb<strong>in</strong>dung von legaler und illegaler Arbeit. In<br />

den Thesen des Parteitages von 1957 wurde dies so zusammengefasst:<br />

»Wir brauchen e<strong>in</strong>e kampffähige illegale Organisation, die die Regeln der Konspiration e<strong>in</strong>hält,<br />

aber andererseits überall <strong>in</strong> den Betrieben, Gewerkschaften, Massen<strong>org</strong>anisationen, überall<br />

wo die Massen s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> allen Volksschichten arbeitet. Dabei müssen nicht nur alle bestehenden<br />

legalen Möglichkeiten genutzt werden; die Kommunisten müssen vielmehr darum<br />

6 Ebenda.<br />

7 Vgl. Andreas Voigt, Nach dem Verbot, a.a.O., S. 15.<br />

8 Stenographisches Protokoll der 6. ZK-Tagung der Kommunistischen Partei Deutschlands [1957], <strong>in</strong>: SAPMO<br />

DY IV 2/10.03/249.<br />

9 Judick/Schleifste<strong>in</strong>/Ste<strong>in</strong>haus nennen für die Jahre 1956 - 1960 e<strong>in</strong>e Zahl von 12.000 <strong>org</strong>anisierten Mitgliedern.<br />

(Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 83).<br />

10 Organisationspolitische Richtl<strong>in</strong>ien der <strong>KPD</strong> (Dez. 1960), <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/93, S. 8ff.


306<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

kämpfen, sich weitere Möglichkeiten des legalen Auftretens zu verschaffen, um den Rahmen<br />

der Illegalität zu sprengen.« 11<br />

Auch dies gelang der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den ersten Jahren des Verbots nur sehr unzureichend.<br />

<strong>Die</strong> Parteidelegiertenkonferenz von 1960 musste feststellen, dass es<br />

»e<strong>in</strong>e große Enge <strong>in</strong> der Entwicklung der Beziehungen zu den Massen und den<br />

Massen<strong>org</strong>anisationen« gebe, 12 und konstatierte gleichzeitig <strong>in</strong> der Partei aufkommende<br />

»Stimmungen des Abwartens, des Schwankens, des Zurückweichens vor<br />

dem Gegner [....] Es gibt sogar Genossen, die die Notwendigkeit der Partei und der<br />

<strong>org</strong>anisierten Parteiarbeit bestreiten.« 13<br />

Mit Beg<strong>in</strong>n der 1960er Jahre hatte die <strong>KPD</strong> die genannten Probleme erkannt und<br />

modifizierte ihre Organisationspr<strong>in</strong>zipien. Wichtigste Änderung war die Besetzung<br />

der Bezirksleitungen mit örtlichen Funktionären. 14 <strong>Die</strong> vom Politbüro im Dezember<br />

1960 verabschiedeten neuen <strong>org</strong>anisationspolitischen Richtl<strong>in</strong>ien begründeten dies<br />

so:<br />

»<strong>Die</strong> bisherigen Erfahrungen mit den örtlich ansässigen Leitungsmitgliedern können nur positiv<br />

gewertet werden. In ihrem Heimatgebiet verwurzelt, verfügen diese Kader über konkrete<br />

Kenntnisse der Mitglieder und Organisationsprobleme <strong>in</strong> ihrem Bezirk. Ortsansässige Leitungskader<br />

s<strong>in</strong>d stärker mit dem lebendigen Leben verbunden, was die Orientierung auf die<br />

legale Massenarbeit der Partei erleichtert. [...] Auch zeigen die Erfahrungen, dass bei kluger<br />

Arbeitsweise die illegale Arbeit besser dem Gegner gegenüber abgesichert werden kann. Je<br />

mehr natürliche lebendige Verb<strong>in</strong>dungen zu Genossen, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern<br />

bestehen, um so schwerer wird es dem Gegner se<strong>in</strong>, die wirklich leitenden Kräfte der Organisation<br />

zu identifizieren. <strong>Die</strong>se Taktik erweist sich auch deshalb als zweckmäßig, weil dem<br />

Gegner bereits seit langem unser Schema der bisherigen Leitungsarbeit mit fremden Kadern<br />

bekannt ist.« 15<br />

Illegale Funktionäre durften ke<strong>in</strong>en Kontakt zu den neuen legalen Bezirksleitungen<br />

unterhalten, was sowohl der politischen und personellen Stabilität der Leitungsstrukturen,<br />

als auch der Absicherung des nach wie vor vorhandenen illegalen<br />

Organisationsapparates diente. 16 Ergänzt wurde diese Abschottung der neuen legalen<br />

Strukturen durch verschiedene Maßnahmen wie den »Fortfall der schriftlichen<br />

Abrechnung, die Begrenzung der schriftlichen Berichterstattung auf die wichtigsten<br />

Schwerpunkte und die Überbr<strong>in</strong>gung dieser Berichte durch Kuriere und nicht<br />

durch BL-Mitglieder«. 17<br />

11 Thesen des Parteitags der <strong>KPD</strong> 1957, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 2, S. 175ff., hier S. 226.<br />

12 Beschluss der Parteidelegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong> 1960, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 2, S.<br />

229ff., hier S. 276.<br />

13 Ebenda, S. 273.<br />

14 »Allgeme<strong>in</strong> ist systematisch darauf Kurs zu nehmen, die Leitungen mit legalen bezirkseigenen Kadern<br />

zu besetzen« (Organisationspolitische Richtl<strong>in</strong>ien der <strong>KPD</strong> (Dez. 1960), SAPMO DY IV 2/10.03/93, S. 36).<br />

15 Organisationspolitische Richtl<strong>in</strong>ien der <strong>KPD</strong> (Dez. 1960), SAPMO DY IV 2/10.03/93, S. 36.<br />

16 Informationen der ZPKK [Zentrale Parteikontrollkommission] an das PB und Sekretariat, Nr. 54: Erfahrungen<br />

und Lehren aus den wichtigsten Aktionen des Gegners und Prozessen der jüngsten Zeit (10.2.1962), <strong>in</strong>:<br />

SAPMO DY IV 2/10.03/92.<br />

17 Ebenda.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 307<br />

Juristische Voraussetzung für die Modifizierung der Leitungs<strong>org</strong>anisation war<br />

e<strong>in</strong> Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1961, das die bis dah<strong>in</strong> nach § 90a<br />

mögliche nachträgliche Bestrafung abschaffte. 18<br />

E<strong>in</strong>e weitere Änderung betraf die Organisation der Grunde<strong>in</strong>heiten. Da sich die<br />

Fünfer-Gruppen als nicht effektiv erwiesen hatten, konnten nun auch Grund<strong>org</strong>anisationen<br />

auf der Basis von »Wirkungsbereichen« gegründet werden. <strong>Die</strong>s war auch<br />

die Konsequenz aus der Tatsache, dass <strong>in</strong>zwischen viele Kommunisten <strong>in</strong> legalen<br />

Bewegungen arbeiten und zusammenkommen konnten. 19<br />

Es wurden jetzt auch bei der Mitgliederwerbung wieder Erfolge erzielt: Während<br />

zwischen 1956 und 1960 nur etwa 220 neue Mitglieder geworben wurden,<br />

konnten 1962 bereits mehr Mitglieder aufgenommen werden »als <strong>in</strong> den ersten vier<br />

Jahren der Illegalität zusammengenommen«. 20 <strong>Die</strong> Gesamtzahl der noch <strong>in</strong> der Partei<br />

erfassten Mitglieder ist nicht genau festzustellen, die Angaben schwanken zwischen<br />

6.000 und 20.000. 21<br />

Programmatik<br />

<strong>Die</strong> wichtigsten programmatischen Änderungen nach dem Verbot betrafen weiter<br />

die Deutschlandpolitik, deren primäres Ziel nach dem Beitritt der Bundesrepublik<br />

zur NATO nun die Anerkennung der DDR und der als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges<br />

gezogenen Grenzen wurde. Bereits mit der am 15./16.Oktober 1955 verabschiedeten<br />

Programmatischen Erklärung »<strong>Die</strong> neue Lage und die neuen Aufgaben<br />

<strong>in</strong> Westdeutschland« hatte die <strong>KPD</strong> diese Abkehr vom Ziel e<strong>in</strong>es neutralen Gesamtdeutschlands<br />

e<strong>in</strong>geleitet, was jedoch <strong>in</strong> den Monaten vor dem Verbot kaum<br />

noch zum Tragen gekommen war.<br />

Auf dem ersten illegalen Parteitag der <strong>KPD</strong> im Juni 1957 wurde der Kurswechsel<br />

genauer bestimmt. 22 <strong>Die</strong> Partei forderte »im Interesse der Annäherung der beiden<br />

deutschen Staaten und der Wiedervere<strong>in</strong>igung Deutschlands« die Aufnahme<br />

von Verhandlungen mit der DDR. 23 Langfristig hielt der Parteitag die Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />

immer noch für möglich, nannte aber als Bed<strong>in</strong>gungen u.a. den Austritt der<br />

Bundesrepublik aus der NATO, die »Wiederherstellung der demokratischen Rechte<br />

18 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 101.<br />

19 Ebenda.<br />

20 Ebenda.<br />

21 Nach Judick/Schleifste<strong>in</strong>/Ste<strong>in</strong>haus »stieg die Zahl der erfassten Parteimitglieder <strong>in</strong> der zweiten Hälfte<br />

der 60-er Jahre auf 15.000« (ebenda). Siehe aber dazu auch Andreas Voigt, der bemerkt, dass »allgeme<strong>in</strong>«<br />

die Mitgliederzahl der illegalen Partei mit 6.000-7.000 angegeben werde (Andreas Voigt, Nach<br />

dem Verbot, a.a.O., S. 124). <strong>Die</strong>se Zahl deckt sich mit den Zahlen, die der Verfassungsschutzbericht für<br />

1964 nennt (Bericht des Bundesm<strong>in</strong>isters des Innern, <strong>Die</strong> Kommunistische Tätigkeit <strong>in</strong> der Bundesrepublik<br />

im Jahre 1964, a.a.O., S. 26). Siegfried Heimann schätzt die Zahl der »illegal arbeitenden Kader«<br />

auf 7.000-20.000 (Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, <strong>in</strong>: Richard Stöss [Hrsg.],<br />

Parteien-Handbuch. <strong>Die</strong> Parteien der Bundesrepublik Deutschland <strong>1945</strong>-1980, Band 1, S. 901-981, hier<br />

S. 972).<br />

22 Thesen des Parteitags der <strong>KPD</strong> 1957, a.a.O., S. 175ff.<br />

23 Ebenda, S. 175.


308<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

des Volkes«, sowie die »Zurückdrängung der Macht der Monopole«. 24 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> betonte<br />

ausdrücklich, dass dies »ke<strong>in</strong>e sozialistischen Bed<strong>in</strong>gungen für die Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />

Deutschlands« seien, 25 und forderte die »Zusammenarbeit aller nationalen<br />

Kräfte im Kampf gegen Militarismus, für Frieden, Demokratie und die Wiedervere<strong>in</strong>igung«<br />

26.<br />

Auch die Parteidelegiertenkonferenz von 1960 verknüpfte politische Vorstellungen<br />

mit dem Ziel der Wiedervere<strong>in</strong>igung. <strong>Die</strong> Konferenz beschloss e<strong>in</strong> Aktionsprogramm,<br />

mit dessen Verwirklichung <strong>in</strong> der Bundesrepublik die Bed<strong>in</strong>gungen geschaffen<br />

würden, »die e<strong>in</strong>e friedliche Wiedervere<strong>in</strong>igung möglich machen; denn<br />

nur der demokratische, friedliche Weg ist der reale Weg zur Wiedervere<strong>in</strong>igung.« 27<br />

E<strong>in</strong>e friedliche Lösung der deutschen Frage sei nur möglich durch die Anerkennung<br />

der Existenz zweier deutscher Staaten, die über e<strong>in</strong>e Konföderation zu e<strong>in</strong>er<br />

verbesserten Zusammenarbeit und schließlich zur Wiedervere<strong>in</strong>igung kommen<br />

könnten. 28 Dabei ließ die <strong>KPD</strong> allerd<strong>in</strong>gs die künftige Gesellschaftsordnung e<strong>in</strong>es<br />

wiedervere<strong>in</strong>igten Deutschlands, das lediglich als friedliebend und demokratisch<br />

charakterisiert wurde, offen. »<strong>Die</strong>se unscharfen Formulierungen spiegelten im<br />

Grunde genommen bereits die Tatsache wider, dass es für die Wiederherstellung<br />

der nationalen E<strong>in</strong>heit ke<strong>in</strong>e konkreten Vorstellungen mehr gab.« 29<br />

Auf ihrem zweiten illegalen Parteitag im Juni 1963 forderte die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

»Programmatischen Erklärung« wiederum die friedliche Koexistenz und e<strong>in</strong>e Konföderation<br />

zwischen der Bundesrepublik und der DDR. 30 Allerd<strong>in</strong>gs wurde auch<br />

festgestellt: »Solange die Bundesrepublik durch das Monopolkapital und den Militarismus<br />

beherrscht wird, gibt es ke<strong>in</strong>e Wiedervere<strong>in</strong>igung mit der Deutschen Demokratischen<br />

Republik«. 31<br />

Der Parteitag - der auch e<strong>in</strong> neues Statut verabschiedete - 32 proklamierte als<br />

Ziel e<strong>in</strong>e auf dem Grundgesetz basierende friedliche und demokratische Ordnung<br />

<strong>in</strong> der Bundesrepublik, die getragen werden solle »von den Klassen und Schichten,<br />

die die überwältigende Mehrheit unseres Volkes bilden: von der Arbeiterklasse,<br />

den Bauern, den Geistesschaffenden, den städtischen Mittelschichten und den<br />

friedliebenden Kreisen der Bourgeoisie«. 33 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> betonte, dass sie ke<strong>in</strong>e revolutionäre<br />

Strategie mehr verfolge. Im Gegenteil, sie machte sich jetzt gewisser-<br />

24 Ebenda, S. 189f.<br />

25 Ebenda, S. 190.<br />

26 Ebenda, S. 207.<br />

27 Beschluss der Parteidelegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong> 1960, a.a.O., S. 258f.<br />

28 Ebenda, S. 259.<br />

29 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 95.<br />

30 Der Weg zur Rettung des Friedens, zum Schutz der demokratischen Rechte, zu sozialer Sicherheit. Programmatische<br />

Erklärung der Kommunistischen Partei Deutschlands - beschlossen vom Parteitag der <strong>KPD</strong> 1963, <strong>in</strong>: Parteitag<br />

1963 der Kommunistischen Partei Deutschlands. Protokoll, Berl<strong>in</strong> (Ost) 1963, S. 419ff.<br />

31 Ebenda, S. 438.<br />

32 Statut der Kommunistischen Partei Deutschlands. E<strong>in</strong>stimmig beschlossen auf dem Parteitag der <strong>KPD</strong> 1963, <strong>in</strong>:<br />

Parteitag 1963 der Kommunistischen Partei Deutschlands. Protokoll, a.a.O., S. 469ff.<br />

33 Programmatische Erklärung der Kommunistischen Partei Deutschlands - beschlossen vom Parteitag der <strong>KPD</strong><br />

1963, a.a.O., S. 462.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 309<br />

maßen zum Verteidiger des Grundgesetzes, <strong>in</strong>dem sie erklärte, dass die Kluft, »die<br />

gegenwärtig zwischen den demokratischen Forderungen der Verfassung und den<br />

realen politischen Verhältnissen besteht« durch e<strong>in</strong>e neue demokratische Ordnung<br />

beseitigt werden müsse. 34 Mit dieser demokratischen Ordnung - gekennzeichnet<br />

durch die »Überw<strong>in</strong>dung des Militarismus und Imperialismus« und der »Entmachtung<br />

des Monopolkapitals« - wären auch die H<strong>in</strong>dernisse für e<strong>in</strong>e Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />

der beiden deutschen Staaten beseitigt: »Zwischen e<strong>in</strong>er friedlichen und demokratischen<br />

Bundesrepublik und dem sozialistischen Friedensstaat der Arbeiter<br />

und Bauern, der Deutschen Demokratischen Republik, wird es ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>er Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />

entgegenstehenden politischen Schwierigkeiten mehr geben.« 35<br />

In dem im Februar <strong>1968</strong> v<strong>org</strong>estellten Programmentwurf präzisierte die <strong>KPD</strong> ihre<br />

Vorstellungen über den »Weg zur Lösung der nationalen Frage«. 36 »Heute bestehen<br />

zwei Staaten deutscher Nation, und offensichtlich für e<strong>in</strong>e längere Zeit. Sie<br />

können und müssen normale, gleichberechtigte staatliche Beziehungen zue<strong>in</strong>ander<br />

herstellen, um zu e<strong>in</strong>en friedlichen Neben- und Mite<strong>in</strong>ander zu gelangen« 37,hießes<br />

<strong>in</strong> dem Entwurf. Damit war die Wiedervere<strong>in</strong>igung als »historisches Fernziel« 38<br />

deklariert, gleichzeitig wurde zum ersten Mal e<strong>in</strong>e konkrete Aussage über die Gesellschaftsordnung<br />

im wiedervere<strong>in</strong>igten Deutschlands getroffen: »Das künftige<br />

gee<strong>in</strong>te Deutschland, das wir Kommunisten im Interesse des arbeitenden Volkes<br />

erstreben, wird sozialistisch se<strong>in</strong>.« 39 <strong>Die</strong> Vere<strong>in</strong>igung könne nur »das Ergebnis e<strong>in</strong>es<br />

längeren historischen Prozesses, tiefgehender demokratischer und gesellschaftlicher<br />

Umgestaltungen <strong>in</strong> der Bundesrepublik se<strong>in</strong>«, 40 entscheidende Voraussetzung<br />

dafür sei die »Entmachtung des Monopolkapitals«. 41 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> betonte, dass<br />

sie dabei »den friedlichen und demokratischen Weg der sozialistischen Umwälzung«<br />

42 anstrebe, allerd<strong>in</strong>gs werde »das herrschende Großkapital se<strong>in</strong>e Macht und<br />

se<strong>in</strong>e Privilegien nicht freiwillig« aufgeben 43.<br />

Gründung der DKP<br />

Seit Mitte der 1960er Jahre war die Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots Gegenstand <strong>in</strong>tensiver<br />

öffentlicher Debatten. 44 <strong>Die</strong> Partei selbst hatte von Anfang an diese Forderung<br />

erhoben, stieß damit jedoch erst jetzt auf nennenswerte Resonanz. <strong>Die</strong>s hatte meh-<br />

34 Ebenda.<br />

35 Ebenda, S. 463.<br />

36 Programm der <strong>KPD</strong> - Entwurf (Februar <strong>1968</strong>), <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 2, S. 395ff.,<br />

hier S. 435.<br />

37 Ebenda, S. 436.<br />

38 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 111.<br />

39 Programm der <strong>KPD</strong> - Entwurf, (Februar <strong>1968</strong>), a.a.O., S. 437.<br />

40 Ebenda, S. 436.<br />

41 Ebenda, S. 437.<br />

42 Ebenda, S. 423.<br />

43 Ebenda, S. 424.<br />

44 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 105; Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische<br />

Partei, a.a.O., S. 903; Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, a.a.O., S. 326.


310<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

rere Gründe. 45 Das <strong>KPD</strong>-Verbot stand <strong>in</strong> Widerspruch zur nach dem Mauerbau<br />

allmählich e<strong>in</strong>setzenden Entspannungspolitik, die <strong>in</strong> Westdeutschland zu e<strong>in</strong>er veränderten<br />

deutschlandpolitischen Strategie führte. <strong>Die</strong>se Strategie des »Wandels<br />

durch Annäherung« - zum erstenmal propagiert 1963 von Egon Bahr (SPD) - g<strong>in</strong>g<br />

von der gesicherten Existenz der DDR aus und zielte auf die Beseitigung der H<strong>in</strong>dernisse,<br />

die e<strong>in</strong>er möglichen Wiedervere<strong>in</strong>igung zu e<strong>in</strong>em späteren Zeitpunkt im<br />

Wege standen. Das Verbot der <strong>KPD</strong> konnte aber durchaus als e<strong>in</strong> solches H<strong>in</strong>dernis<br />

e<strong>in</strong>er Verständigungspolitik mit der Sowjetunion und der DDR begriffen werden.<br />

Parallel dazu führte außerdem die starke öffentliche Kritik an der Kommunistenverfolgung<br />

durch die Politische Justiz zu e<strong>in</strong>er Diskussion um die Zweckmäßigkeit<br />

des <strong>KPD</strong>-Verbots.<br />

Spätestens 1967 war die Wiederzulassung e<strong>in</strong>er kommunistischen Partei im<br />

Pr<strong>in</strong>zip unumstritten. Strittig war jedoch, <strong>in</strong> welcher Form dies geschehen sollte.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> selbst bestand auf der Aufhebung des Verbots. Anfang 1967 46 gründeten<br />

fünf ehemalige Mitglieder 47 der Partei e<strong>in</strong>en »Initiativausschuss für die Wiederzulassung<br />

der <strong>KPD</strong>«, der sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em offenen Brief an die Bundesregierung für die<br />

Wiederzulassung und gegen die Neugründung aussprach. Als Gründe wurden genannt,<br />

dass bei e<strong>in</strong>er Neugründung die Gefahr e<strong>in</strong>es erneuten Verbots als Ersatz<strong>org</strong>anisation<br />

bestünde, und dass es ohne Amnestie für Kommunisten ke<strong>in</strong>e Sicherheit<br />

gebe, gefahrlos politisch arbeiten zu können. 48<br />

Auf Seiten der Bundesregierung und der Länderregierungen kristallisierte sich<br />

dagegen die Me<strong>in</strong>ung heraus, dass e<strong>in</strong>e Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots rechtlich<br />

nicht möglich sei, der Neugründung e<strong>in</strong>er kommunistischen Partei jedoch nichts im<br />

Wege stünde. <strong>Die</strong>se Auffassung hatte Bundesjustizm<strong>in</strong>ister He<strong>in</strong>emann bereits im<br />

Juli 1967 vertreten, 49 ihr schlossen sich die Innenm<strong>in</strong>ister der Länder auf e<strong>in</strong>er Konferenz<br />

am 12. Oktober 1967 an. 50<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> g<strong>in</strong>g jedoch auf dieses Angebot zur Neugründung nicht e<strong>in</strong>, sondern<br />

bestand weiterh<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong>er Wiederzulassung. Um diese Forderung zu unterstreichen,<br />

wurde auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz am 8. Februar <strong>1968</strong> der Entwurf e<strong>in</strong>es Par-<br />

45 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 105ff.; Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische<br />

Partei, a.a.O., S. 903f.<br />

46 Das Datum ist <strong>in</strong> der Literatur unterschiedlich angegeben: Heimann gibt den 13. März 1967 an (Siegfried<br />

Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S. 904), Fülberth den Februar 1967 (Ge<strong>org</strong><br />

Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 108).<br />

47 Karl Schabrod, Franz Ahrens, Manfred Kapluck, Kurt Erlebach und Richard Scher<strong>in</strong>ger; vgl. Siegfried<br />

Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S. 905; Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O.,<br />

S. 108.<br />

48 Vgl. Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S. 904.<br />

49 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 109.<br />

50 Beschlossen wurde folgende Sprachregelung: »<strong>Die</strong> Gründung e<strong>in</strong>er neuen <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik,<br />

die sich <strong>in</strong> ihrer Zielsetzung und <strong>in</strong> ihrer Tätigkeit deutlich von der alten <strong>KPD</strong> unterscheidet, ist [...]<br />

nach Art. 21 Abs. 1 GG ohne Zulassung möglich. Auf den Namen e<strong>in</strong>er solchen Partei kommt es nicht<br />

an [...]. E<strong>in</strong>e Wiederzulassung der früheren <strong>KPD</strong> mit ihrem alten Programm ist ohne Verfassungsänderung<br />

nicht möglich.« (zitiert nach Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S.<br />

905).


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 311<br />

teiprogramms der <strong>KPD</strong> v<strong>org</strong>estellt. 51 Zu dieser Pressekonferenz reisten auch drei<br />

ZK-Mitglieder aus Ost-Berl<strong>in</strong> an. <strong>Die</strong> Vorstellung des Programmentwurfs sollte vor<br />

allem belegen, dass die <strong>KPD</strong> ke<strong>in</strong>e verfassungsfe<strong>in</strong>dlichen Ziele verfolge. Daneben<br />

sollte aber wohl auch getestet werden, ob e<strong>in</strong> öffentliches Auftreten der <strong>KPD</strong> von<br />

den Behörden toleriert würde. 52 <strong>Die</strong>s schlug jedoch fehl: die Pressekonferenz wurde<br />

vom hessischen Innenm<strong>in</strong>ister wegen »Fortführung e<strong>in</strong>er verbotenen Partei« untersagt,<br />

zwei der Veranstalter wurden festgenommen. 53<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> beharrte öffentlich zunächst weiter auf die Wiederzulassung. Intern<br />

und <strong>in</strong> der SED existierten aber spätestens seit Juni <strong>1968</strong> konkrete Planungen für die<br />

Neugründung e<strong>in</strong>er kommunistischen Partei. 54 E<strong>in</strong>e Vorlage des SED-Arbeitsbüros<br />

(Titel: »Über die weitere Entwicklung der Kommunistischen Partei <strong>in</strong> Westdeutschland«)<br />

vom 25. Juni <strong>1968</strong> konstatierte: »Gegenwärtig ist e<strong>in</strong> Zeitpunkt herangereift,<br />

da die westdeutschen Kommunisten sowohl vor der dr<strong>in</strong>genden Notwendigkeit<br />

stehen als auch günstige Möglichkeiten haben, sich als Bundesdeutsche Kommunistische<br />

Partei legal zu konstituieren.« 55<br />

<strong>Die</strong> Vorlage begründete die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er Neugründung mit der Entwicklung<br />

<strong>in</strong> der Bundesrepublik und den dafür unter den Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität<br />

nicht ausreichenden Kräften der Partei:<br />

»Gleichzeitig stehen die Kommunisten vor der Tatsache, dass <strong>in</strong> der neuen Etappe der imperialistischen<br />

Entwicklung <strong>in</strong> Westdeutschland die Renazifizierung des gesellschaftlichen Lebens<br />

beschleunigt wird und die Formierung der Rechtskräfte schneller voranschreitet als die<br />

Entwicklung und Verbreiterung der antifaschistisch-demokratischen Bewegung. Angesichts<br />

e<strong>in</strong>er solchen Lage ist es e<strong>in</strong> dr<strong>in</strong>gendes Erfordernis, dass die Kommunistische Partei <strong>in</strong> der<br />

Bundesrepublik ihren historisch notwendigen Platz voll ausfüllt, ihre führende Rolle im antifaschistisch-demokratischen<br />

Kampf mit Leben erfüllt und den Formierungsprozess der antifaschistisch-demokratischen<br />

Kräfte maximal fördert [...]. Dazu ist es für die Partei notwendig,<br />

dass sie erstens als Partei der Bundesrepublik auftritt und dass sie zweitens ihre Tätigkeit frei<br />

entfaltet [...].<br />

<strong>Die</strong> rasche Entwicklung der aktiven Bewegung <strong>in</strong> den letzten Monaten, aber ebenso die außerordentlichen<br />

Unklarheiten über die Strategie und Taktik des Kampfes unter breiten Teilen<br />

der antifaschistisch-demokratischen Kräfte haben die objektive Rolle der Kommunistischen<br />

Partei für die Bundesrepublik wie nie zuvor <strong>in</strong> den letzten Jahren sichtbar gemacht. Gleichzeitig<br />

wird für die demokratischen Kräfte wie auch für die Kommunisten selbst immer spürbarer,<br />

dass angesichts der hohen Anforderungen und der großen Möglichkeiten die Kraft und<br />

die Fähigkeit der Partei und ihrer Führung nicht ausreichen.<br />

<strong>Die</strong> praktische Entwicklung lässt klar erkennen: die Legalisierung der Kommunistischen Partei,<br />

so wie sie vor dem Verbot bestand, ist gegenwärtig und <strong>in</strong> absehbarer Zukunft nicht real.<br />

51 Vgl. Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S. 904; Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und<br />

DKP, a.a.O., S. 110.<br />

52 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S.110.<br />

53 Ebenda und Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S. 905.<br />

54 Siehe dazu ausführlich Hans-Peter Müller, Gründung und Frühgeschichte der DKP im Lichte der SED-<br />

Akten, <strong>in</strong>: Klaus Schroeder (Hrsg.): Geschichte und Transformation des SED-Staates. Beiträge und Analysen,<br />

Berl<strong>in</strong> 1994, S. 251-285, hier S. 262ff.<br />

55 Über die weitere Entwicklung der Kommunistischen Partei <strong>in</strong> Westdeutschland [25.6.1868], <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />

2/10.03/223. Der Name ist im Orig<strong>in</strong>al zentriert abgesetzt.


312<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

Andererseits bef<strong>in</strong>det sich der imperialistische Gegner <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schwierigen taktischen Situation<br />

mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>geschränkten Handlungsspielraum. Der legalen Konstituierung e<strong>in</strong>er Bundesdeutschen<br />

Kommunistischen Partei könnte er im Augenblick kaum mit e<strong>in</strong>em Frontalangriff<br />

begegnen.«<br />

Im Weiteren wurden <strong>in</strong> der Vorlage programmatische Grundlagen der neu zu<br />

gründenden Partei und erste konkrete Schritte der Konstituierung skizziert. Grundlage<br />

der Programmatik sollte der Programmentwurf der <strong>KPD</strong> vom Februar se<strong>in</strong>.<br />

»Lediglich die klarere Profilierung als Partei der Bundesrepublik bildet im gewissen<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>e Neuorientierung.« Zum Ablauf der Neukonstituierung schlug das SED-<br />

Papier die E<strong>in</strong>berufung e<strong>in</strong>er »Initiativkonferenz zur Konstituierung der Bundesdeutschen<br />

Kommunistischen Partei« vor, die als erste Maßnahmen u.a. den Aufruf<br />

zur Konstituierung, e<strong>in</strong>e Grundsatzerklärung, die E<strong>in</strong>berufung des ersten Parteitages<br />

für April 1969 sowie e<strong>in</strong>en diese Maßnahmen vorbereitenden Ausschuss beschließen<br />

sollte. 56<br />

Endgültig Kurs auf e<strong>in</strong>e Neugründung nahm die <strong>KPD</strong> kurze Zeit später, nach<br />

e<strong>in</strong>em Gespräch der <strong>KPD</strong>-Funktionäre Grete Thiele und Max Schäfer mit Bundesjustizm<strong>in</strong>ister<br />

Gustav He<strong>in</strong>emann am 4. Juli <strong>1968</strong>. He<strong>in</strong>emann empfahl die Neugründung<br />

e<strong>in</strong>er kommunistischen Partei und bezeichnete dies als e<strong>in</strong>zige Möglichkeit<br />

für die legale Arbeit von Kommunisten. 57 Das Gespräch mit He<strong>in</strong>emann war<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich für die <strong>KPD</strong> der letzte Anstoß, e<strong>in</strong>er Neugründung den Vorzug zu<br />

geben. H<strong>in</strong>zu kam, dass die Partei - auch aufgrund der Intervention von Truppen<br />

des Warschauer Paktes <strong>in</strong> der CSSR im August <strong>1968</strong> - e<strong>in</strong>e erneute Isolierung <strong>in</strong>nerhalb<br />

des l<strong>in</strong>ken Spektrums fürchten musste, wenn sie nicht die Möglichkeit zur legalen<br />

Arbeit bekam. Angesichts der Studentenrevolte und e<strong>in</strong>er starken Außerparlamentarischen<br />

Opposition me<strong>in</strong>te die <strong>KPD</strong>, »nicht mehr auf die durch legale Arbeit<br />

besseren politischen E<strong>in</strong>flussmöglichkeiten verzichten zu können«. 58 Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus waren durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz (29. Mai <strong>1968</strong>) und die Amnestie<br />

für im Zusammenhang mit der Kommunistenverfolgung stehende Straftaten<br />

(28. Juni <strong>1968</strong>) wichtige H<strong>in</strong>dernisse, die die <strong>KPD</strong> zuvor gegen e<strong>in</strong>e Neugründung<br />

genannt hatte, entfallen.<br />

Am 26. September <strong>1968</strong> schließlich wurde auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz <strong>in</strong> Frankfurt<br />

a.M. die Konstituierung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) bekannt<br />

56 In etwa nach diesem Entwurf verlief später die Gründung der DKP. <strong>Die</strong> v<strong>org</strong>eschlagene »Initiativkonferenz«<br />

konstituierte sich als vorbereitender Ausschuss oder »Gründungsausschuss«, der auf e<strong>in</strong>er<br />

Pressekonferenz im September schließlich die Konstituierung der DKP bekannt gab. Auch der vorbereitende<br />

Ausschuss konstituierte sich als »Bundesausschuss«. Der erste Parteitag der DKP fand dann<br />

tatsächlich im April 1969 statt (vgl. Wilhelm Mens<strong>in</strong>g, Wir wollen unsere Kommunisten wieder haben...,<br />

Demokratische Starthilfen für die Gründung der DKP, Zürich und Osnabrück 1989, S. 31ff.).<br />

57 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 110; Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische<br />

Partei, a.a.O., S. 906; Wilhelm Mens<strong>in</strong>g, Wir wollen unsere Kommunisten wieder haben, S. 11ff.<br />

58 Siegfried Heimann, <strong>Die</strong> Deutsche Kommunistische Partei, a.a.O., S. 906.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 313<br />

gegeben. 59 <strong>Die</strong> illegale <strong>KPD</strong> existierte jedoch offenbar zunächst weiter, ihr Vorsitzender<br />

Max Reimann trat erst am 27. September 1971 der DKP bei. 60<br />

2. <strong>Die</strong> Umstellung der Bremer <strong>KPD</strong>-Organisation<br />

nach dem Verbot<br />

<strong>Die</strong> Leitung der Partei nach dem Verbot übernahmen auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ortsfremde<br />

Funktionäre, die aus verschiedenen Bundesländern kamen (u.a. Hamburg, Hessen,<br />

Ruhrgebiet) und dort teilweise bekannte Kommunisten gewesen waren. Lediglich<br />

Herbert Breidbach gehörte nach eigenen Angaben <strong>in</strong> der ersten Zeit der Illegalität<br />

der als Dreiergruppe <strong>org</strong>anisierten Führung der Bremer Partei<strong>org</strong>anisation an. 61<br />

<strong>Die</strong> Mitglieder der Gruppe wurden ständig gewechselt, nach sechs bis acht Monaten<br />

schied e<strong>in</strong> Mitglied aus und wurde durch e<strong>in</strong>en neuen, ebenfalls ortsfremden<br />

Funktionär ersetzt. 62 <strong>Die</strong>ses bis etwa 1961 praktizierte System stellte sich auch <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> als h<strong>in</strong>derlich für die politische Arbeit der illegalen <strong>KPD</strong> heraus. »Was weiß<br />

jemand, der aus Bayern kommt, über die landes- und kommunalpolitischen Gegebenheiten<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>? Bis er die begriffen hat, wird er wieder abgezogen.« 63<br />

Daneben bedeutete e<strong>in</strong>e Leitung mit Nicht-Bremern auch e<strong>in</strong>e erhöhte Gefahr »aufzufliegen«.<br />

64<br />

59 Das offizielle Datum der Konstituierung war der 25. September <strong>1968</strong>, die dazugehörige Erklärung zur<br />

Neukonstituierung e<strong>in</strong>er Kommunistischen Partei war vom 22. September datiert.<br />

60 Zum Verhältnis <strong>KPD</strong>/DKP siehe Wilhelm Mens<strong>in</strong>g, Wir wollen unsere Kommunisten wiederhaben,<br />

a.a.O., S. 69ff. Max Reimann war für e<strong>in</strong>en Vorsitz der neuen Partei nicht <strong>in</strong> Frage gekommen, um nicht<br />

e<strong>in</strong>e Kont<strong>in</strong>uität zur alten <strong>KPD</strong> deutlich zu machen. Reimann, der sich zunächst lange gegen e<strong>in</strong>e Neugründung<br />

gesperrt hatte (Wilhelm Mens<strong>in</strong>g, Wir wollen unsere Kommunisten wiederhaben, a.a.O., S.<br />

35), hatte den Vorsitz der neuen Partei durchaus beansprucht. Hermann Gautier, an der Gründung der<br />

DKP maßgeblich beteiligt: »Max Reimann wollte natürlich sofort wieder der Vorsitzende dieser legalen<br />

Partei werden. Aber wir waren alle der Auffassung, das sei ja nun nicht gerade die richtige Lösung.<br />

Wir wollten natürlich von vornhere<strong>in</strong> auch deutlich machen durch die Persönlichkeiten, die wir an die<br />

Spitze der Partei stellten, dass das nicht e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e Fortsetzung der illegalen <strong>KPD</strong> war.« (Interview<br />

Hermann Gautier, 3). Ge<strong>org</strong> Fülberth weist auch darauf h<strong>in</strong>, dass »ke<strong>in</strong>eswegs alle Mitglieder der illegalen<br />

<strong>KPD</strong> zur DKP« g<strong>in</strong>gen. Unklar ist allerd<strong>in</strong>gs, ob dies im E<strong>in</strong>vernehmen mit der <strong>KPD</strong>-Leitung geschah,<br />

um e<strong>in</strong>e Art stille Reserve für den Fall des Scheiterns der DKP - deren Gründung angesichts e<strong>in</strong>es<br />

eventuell erneut drohenden Verbots ja auch e<strong>in</strong> Wagnis darstellte - zu bilden (Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong><br />

und DKP, a.a.O., S. 118). Vgl. auch Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung,<br />

a.a.O., S. 114, die me<strong>in</strong>en, dass es »auch nicht wenige« Kommunisten gab, »die nach wie vor auf e<strong>in</strong>e<br />

Wiederzulassung der <strong>KPD</strong> setzten und daher zunächst e<strong>in</strong>e abwartende Haltung e<strong>in</strong>nahmen«.<br />

61 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />

62 Ebenda.<br />

63 Ebenda.<br />

64 »Wenn wir mit drei Bremern irgendwo gesessen hätten und hätten nicht gerade belastende Papiere bei<br />

uns gehabt, hätte uns niemand was können. Aber wenn ich mit e<strong>in</strong>em aus dem Ruhrgebiet, mit e<strong>in</strong>em<br />

aus Hessen [...] zusammengesessen habe und da wäre die Polizei re<strong>in</strong>gekommen, konnt' ich reden was<br />

ich wollte: Ich saß mit zwei ihnen bekannten Kommunisten zusammen!« (ebenda).


314<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

Erschwerend für die Umstellung der Leitungsstrukturen wirkte sich auch die<br />

Erweiterung des Zuständigkeitsgebietes aus. Bereits kurz vor dem Verbot waren<br />

die umliegenden Kreise Verden, Osterholz-Scharmbeck, Delmenhorst und Wesermarsch<br />

h<strong>in</strong>zugekommen. Später wurde die Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong> zum Bezirk<br />

<strong>Bremen</strong>-Weser/Ems, der sich dann bis Ostfriesland (Aurich, Emden) erstreckte. 65<br />

<strong>Die</strong> ersten Wochen nach dem Verbot verbrachte die Bremer Partei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art<br />

Abwartehaltung und trat öffentlich kaum <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Geplante Aktionen, wie<br />

z.B. das Malen von Parolen an Häuserwände, wurden nicht durchgeführt. 66 Es sei<br />

zwar abgesprochen gewesen, sofort nach dem Verbot Losungen zu malen, so die<br />

Begründung der dafür e<strong>in</strong>geteilten Mitglieder, es »war jedoch ke<strong>in</strong> Verantwortlicher<br />

dafür da, welcher mit uns die Losungen malen konnte«. 67 Ebenso scheiterte<br />

die für den Tag nach dem Verbot geplante Herausgabe e<strong>in</strong>er »Extraausgabe« der<br />

Tribüne der Demokratie und die Verteilung des Aufrufs 68 des Parteivorstands zum<br />

Verbot der <strong>KPD</strong>. 69 <strong>Die</strong> naheliegenden Gründe für diese Schwierigkeiten schildert<br />

Hermann Gautier:<br />

»Obwohl das ja eigentlich seit Jahren erwartet worden war, hat der Schock durch das Verbot<br />

natürlich auch zunächst e<strong>in</strong>e gewisse Wirkung gehabt. Es hat e<strong>in</strong> bisschen gedauert bis sich<br />

die illegalen Leitungen zusammengefunden und irgendwas produziert haben. Es gab auch<br />

welche, die Angst hatten, die sagten, ›um Gottes Willen, lasst mich mal zufrieden damit, ich<br />

möchte nicht wegen der Herstellung e<strong>in</strong>er illegalen Kle<strong>in</strong>zeitung <strong>in</strong> den Knast gehen‹. <strong>Die</strong>sen<br />

ersten Schock zu überw<strong>in</strong>den, das hat schon hier oder da etwas gedauert.« 70<br />

E<strong>in</strong> Instrukteur bezeichnete Stimmung und Moral <strong>in</strong> der Bremer Partei unmittelbar<br />

nach dem Verbot dennoch als gut, e<strong>in</strong>e »Niedergeschlagenheit« sei nicht festzustellen.<br />

71 Tatsächlich begannen zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>zelne Grunde<strong>in</strong>heiten bald wieder<br />

zu arbeiten. <strong>Die</strong> ersten Wohngebietsgruppen tagten nach etwa vier Wochen wieder<br />

<strong>in</strong> Privatwohnungen. 72 <strong>Die</strong> größten, auch nach außen gerichteten Aktivitäten kamen<br />

aus den Betriebsgruppen. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe Hafen trat angeblich bereits vier<br />

Tage nach dem Verbot wieder zusammen, 73 und Ende September 1956 tauchte im<br />

Hafen die erste illegale Ausgabe der Betriebszeitung »De Stauhoken« auf. 74 <strong>Die</strong><br />

beiden Betriebszeitungen der <strong>KPD</strong> auf der AG »Weser«, der Vulkan- und der Seebeck-Werft,<br />

»Werftecho« und »Wir blenden auf«, erschienen ebenfalls nicht e<strong>in</strong>mal<br />

65 Vgl. auch: <strong>Die</strong> kommunistische Tätigkeit <strong>in</strong> der Bundesrepublik im Jahre 1966 (Bericht des Bundesm<strong>in</strong>isters<br />

des Innern), <strong>in</strong>: Aus Politik und Zeitgeschehen (Beilage zur Wochenzeitung das Parlament) B<br />

28/67, Schaubild S. 16.<br />

66 Arbeitsbüro, 23.8.56, <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/ 20/14.<br />

67 Ebenda.<br />

68 Erklärung des PV der <strong>KPD</strong> zum Parteiverbot, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 2, S. 153ff.<br />

69 Arbeitsbüro, 23.8.56, <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/ 20/14.<br />

70 Interview Hermann Gautier, 3.<br />

71 Arbeitsbüro, 23.8.56, <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/ 20/14.<br />

72 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />

73 Arbeitsbüro, 23.8.56, <strong>Bremen</strong> [Instrukteursbericht], <strong>in</strong>: SAPMO I 11/ 20/14.<br />

74 Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft <strong>Bremen</strong>, Politische Sachen 1955-1959, Band IV - XVI (StaB 4,89/3;<br />

künftig zitiert als »Ermittlungsakten«), hier Band IX. Das Blatt war vom HBV-Betriebsratsvorsitzenden<br />

Schröder (SPD) bei der Polizei abgegeben worden.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 315<br />

vier Wochen nach dem Verbot erstmals wieder auf den Werften. 75 <strong>Die</strong> erste illegale<br />

Ausgabe der Parteizeitung Tribüne der Demokratie erschien vermutlich ebenfalls spätestens<br />

Mitte September 1956. 76 <strong>Die</strong> »Zeitung« bestand jetzt aus acht, später zehn<br />

eng beschriebenen, hektographierten DIN A4 Seiten und trug den Untertitel »Organ<br />

der Kommunistischen Partei Deutschlands, Land <strong>Bremen</strong>«. Sie kam <strong>in</strong> der Folgezeit<br />

bis vermutlich 1959 etwa alle zwei Wochen zur Verteilung.<br />

Thematischer Schwerpunkt <strong>in</strong> diesen ersten illegalen Publikationen der Bremer<br />

<strong>KPD</strong> war erwartungsgemäß das Verbot der Partei, das <strong>in</strong> Beziehung zur kurz zuvor<br />

vom Bundestag verabschiedeten Wehrpflicht gesetzt wurde. So hieß es beispielsweise<br />

im Werft-Echo unter der Überschrift »Schützt den Jahrgang 1937! Freiheit für<br />

die <strong>KPD</strong>!«, das Bundesverfassungsgericht habe auf Anweisung Adenauers die <strong>KPD</strong><br />

verbieten müssen, da diese die »entschiedenste Kämpfer<strong>in</strong>« gegen die Wehrpflicht<br />

sei. 77 Außerdem wurde immer wieder betont, dass die <strong>KPD</strong> trotz des Verbots weiter<br />

arbeite: »<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> wurde verboten, aber der Geist lebt. [...]. Man kann nicht e<strong>in</strong>e<br />

Partei verbieten, deren ganzes Schaffen auf das Glück und die Wohlfahrt der Menschen<br />

gerichtet ist. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> ist da und sie bleibt da!«, hieß es z.B. im Stauhoken. 78<br />

<strong>Die</strong> Demonstration der Weiterexistenz der Partei musste zwangsläufig zunächst<br />

e<strong>in</strong>e Hauptaufgabe der Grunde<strong>in</strong>heiten se<strong>in</strong>, vor allem der Wohngebietsgruppen,<br />

deren Wirkungsfeld noch beschränkter war als das der Betriebsgruppen. <strong>Die</strong> Sichtagitation<br />

der Partei wurde ab Herbst 1956 durchaus bemerkbar. <strong>Die</strong>s geschah mit<br />

Hilfe von gemalten Wandparolen, kle<strong>in</strong>en Handzetteln und ähnlichem, auf denen<br />

Parolen wie z.B. »<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> lebt«, »Freiheit für die <strong>KPD</strong>« oder »<strong>Die</strong> Kommunistische<br />

Partei <strong>in</strong> ihrem Lauf hält weder Ochs noch Adenauer auf! Kämpft für die Legalität<br />

der <strong>KPD</strong>!« zu lesen waren. 79 Im Bundestagswahlkampf 1957 kamen gefälschte 10-<br />

Mark Sche<strong>in</strong>e zur Verteilung, die auf der Rückseite e<strong>in</strong>e Stellungnahme der <strong>KPD</strong><br />

zur Wahl enthielten. 80 Beispiele für erfolgreiche Aktionen wurden <strong>in</strong> der Tribüne der<br />

75 Das betreffende »Werft-Echo« erschien ohne Nummer oder Datum, ist aber wahrsche<strong>in</strong>lich, wie aus<br />

dem Inhalt herv<strong>org</strong>eht, Anfang September geschrieben und verteilt worden. <strong>Die</strong>s bestätigen auch Erkenntnisse<br />

der Bremer Polizei: »[...] wurde <strong>in</strong> Erfahrung gebracht, dass [...] etwa 4 Wochen nach dem<br />

KP-Verbot vor der AG »Weser« e<strong>in</strong>e Betriebszeitung der Bremer Werftarbeiter - ohne Nr. - gefunden<br />

wurde.« (Ermittlungsakten, Band XI). Das Ersche<strong>in</strong>en der beiden Betriebszeitungen wurde auch <strong>in</strong><br />

»Neues Deutschland« gemeldet (Neues Deutschland 4. Oktober 1956), wodurch die Polizei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

überhaupt erst auf die Flugschriften aufmerksam wurde und das auch erst mit reichlicher Verspätung:<br />

<strong>Die</strong> Anzeige datiert vom 15. Januar 1957.<br />

76 <strong>Die</strong> erste vorliegende Ausgabe ist mit »2. Okt. Hälfte 56« datiert und trägt die Nummer 194. <strong>Die</strong> Nr.<br />

197 (2. Hälfte November) ist mit dem Zusatz »(5)« versehen. Von daher ist anzunehmen, dass Nr. 194<br />

bereits die zweite Ausgabe war.<br />

77 Wörtlich heißt es <strong>in</strong> dem Beitrag: »<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> war und bleibt die entschiedenste Kämpfer<strong>in</strong> gegen Militarismus<br />

und Barras, für Frieden und E<strong>in</strong>heit und Sozialismus. Adenauer und Blank wollen die deutsche<br />

Jugend erneut gegen ihren Willen <strong>in</strong> den Waffenrock pressen. Darum musste das Bundesverfassungsgericht<br />

auf Anweisung Adenauers 4 Wochen nach Annahme des Wehrpflichtgesetzes die <strong>KPD</strong> verbieten.«<br />

(»Werft-Echo«, Betriebszeitung der Bremer Werftarbeiter, o.O. o.J.)<br />

78 »De Stauhoken«, Betriebszeitung der Bremer Hafenarbeiter, o.O. o.J. (vermutlich Ende September<br />

1956).<br />

79 Ermittlungsakten, Band XI.<br />

80 Ermittlungsakten, Band XVI.


316<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

Demokratie geschildert und mit der Aufforderung an die Mitglieder verbunden, diese<br />

Aktivitäten zu steigern. 81<br />

E<strong>in</strong>e derartige Arbeit konnte freilich nur dort stattf<strong>in</strong>den, wo die Wohngebietsgruppen<br />

oder e<strong>in</strong>zelne Mitglieder von sich aus die Initiative ergriffen und, ohne auf<br />

Anleitung von oben zu warten, entsprechende Aktivitäten zeigten. <strong>Die</strong> massiven<br />

Aufforderungen <strong>in</strong> der illegalen Parteizeitung und die Art der Schilderungen - jedes<br />

kle<strong>in</strong>e Beispiel von Sichtagitation wurde beschrieben und als Erfolg gewertet -<br />

deuten aber darauf h<strong>in</strong>, dass die Aktivitäten der Grunde<strong>in</strong>heiten nicht nur <strong>in</strong> diesem<br />

Bereich eher spärlich waren. <strong>Die</strong> geschilderten Umstellungsschwierigkeiten<br />

und das Warten auf die Leitung setzte sich fort. »Der alte aktive Kern der Partei ist<br />

bereit, auch weiter aktiv zu arbeiten, nur wissen die Genossen oft nicht, wie sie es<br />

anpacken sollen, sie warten auf Anleitung«, schrieb e<strong>in</strong> Instrukteur im November<br />

1956 und gab auch gleich e<strong>in</strong>e wesentliche Begründung: »Alte Mängel der Partei,<br />

z.B., dass die Initiative jedes e<strong>in</strong>zelnen Genossen zu wenig entfaltet wurde, wirken<br />

sich jetzt hemmend aus«. 82 Traten diese Schwierigkeiten schon bei dem »aktiven<br />

Kern« der Mitgliedschaft auf - der ja bereits vor 1956 zusehends kle<strong>in</strong>er geworden<br />

war -, war es naheliegend, dass die zuvor weitgehend passiven Mitglieder sich nun<br />

vollends aus der Parteiarbeit zurückzogen, sich auf Zusammenkünfte <strong>in</strong> den<br />

Grunde<strong>in</strong>heiten beschränkten oder auch das Verbot zum Anlass nahmen, die Partei<br />

ganz zu verlassen. 83<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> verlor die Partei so - trotz der vergleichsweise günstigen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

- weiter Mitglieder. Besonders negativ wirkte sich jetzt auch die<br />

ungünstige Alterstruktur aus. <strong>Die</strong> verfehlte Jugendpolitik der vergangenen Jahre<br />

und das Verbot der FDJ hatten bereits vor 1956 nur verschw<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>ge<br />

Neuaufnahmen <strong>in</strong> der Altersgruppe der unter 25-Jährigen zur Folge gehabt. Jetzt,<br />

<strong>in</strong> der Illegalität, waren sie nahezu unmöglich. <strong>Die</strong> über 50-Jährigen dagegen, die<br />

die große Mehrheit der Mitgliedschaft stellten, waren verständlicherweise<br />

aufgrund ihres Alters und der Erfahrungen des Faschismus größtenteils nicht mehr<br />

bereit, noch e<strong>in</strong>mal illegal zu arbeiten. 84 Neuaufnahmen gab es zwischen 1956 und<br />

1960 wie <strong>in</strong> der gesamten Bundesrepublik auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> so gut wie ke<strong>in</strong>e. <strong>Die</strong><br />

Situation besserte sich erst im Laufe der 1960er Jahre, nachdem das politische Klima<br />

für Kommunisten etwas günstiger geworden war und die legale Arbeit immer<br />

mehr <strong>in</strong> den Vordergrund rückte. In dieser Zeit konnte die Bremer Organisation<br />

angeblich bis zu 50 Neuaufnahmen jährlich verzeichnen. 85 Trotzdem konnte der<br />

81 So z.B. <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie 15(22), Ende Juli 1957: »E<strong>in</strong>ige Grunde<strong>in</strong>heiten haben <strong>in</strong> den vergangenen<br />

Wochen gute Beispiele der Sichtagitation geschaffen. So prangte bei B<strong>org</strong>ward an der Mauer<br />

»Ohne <strong>KPD</strong> - ke<strong>in</strong>e freien Wahlen!« und bei Goliath »Freiheit für die <strong>KPD</strong>«. [...] Gemalte Losungen,<br />

Streuzettel, Klebestreifen und sogar selbst hergestellte Plakate haben e<strong>in</strong>e große Wirkung. Überall,<br />

massenhaft, unaufhörlich muss der Name unserer Partei <strong>in</strong> der mündlichen Aufklärung, durch unsere<br />

Materialien und durch e<strong>in</strong>e vielseitige Sichtagitation <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten.«<br />

82 Land: <strong>Bremen</strong>/Niedersachsen, E<strong>in</strong>satz: vom 16.10. - 3.11. 1956, <strong>in</strong>: SAPMO I 11/20/14.<br />

83 Ebenda. Auch ehemals prom<strong>in</strong>ente Mitglieder wie die ehemalige Gesundheitssenator<strong>in</strong> Käthe Popall<br />

und der IG-Metall Kassierer Johann Re<strong>in</strong>ers brachen anlässlich des Verbots endgültig mit der <strong>KPD</strong>, <strong>in</strong><br />

der sie aber schon zuvor isoliert waren.<br />

84 Wilhelm Meyer-Buer: »Da waren viele Alte, die die Illegalität unter den Nazis schon mitgemacht hatten,<br />

die hatten denn auch die Nase voll.« (Interview Meyer-Buer, 1).


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 317<br />

Neuaufnahmen jährlich verzeichnen. 85 Trotzdem konnte der Mitgliederschwund<br />

nicht aufgehalten werden: Zur Zeit der Gründung der DKP <strong>1968</strong> waren die Mitgliederzahlen<br />

der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> von 1.200 (1956) auf ca. 700 bis 800 gesunken. 86<br />

<strong>Die</strong> Organisierung der verbliebenen Mitglieder <strong>in</strong> den Grunde<strong>in</strong>heiten nach<br />

dem Pr<strong>in</strong>zip der Fünfer-Gruppen gelang auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nicht und wurde offenbar<br />

auch als nicht notwendig erachtet:<br />

»<strong>Die</strong> Fünfer-Organisationen waren natürlich graue Theorie, als mehr und mehr klar wurde,<br />

dass so e<strong>in</strong> strenges, scharfes Verbot gar nicht durchgezogen wurde. [...] Wir haben <strong>in</strong> unserer<br />

Gruppe <strong>in</strong> diesem Haus Versammlungen gemacht mit 10-14 Leuten. Von wegen nur als Fünfer-Gruppen<br />

zusammenkommen, das hat bei uns <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> so nicht funktioniert, ist so auch<br />

nicht gemacht worden. Wir haben nach Möglichkeit die Gruppen zusammengehalten.« 87<br />

<strong>Die</strong> Zusammenkünfte der Gruppen fanden größtenteils <strong>in</strong> Privatwohnungen, 88<br />

aber auch <strong>in</strong> Lokalen statt. So tagten beispielsweise verschiedene Gröpel<strong>in</strong>ger Basisgruppen<br />

im Clubzimmer e<strong>in</strong>es Skatvere<strong>in</strong>s. 89 Insgesamt beschränkte sich die Arbeit<br />

der Wohngebietsgruppen90 <strong>in</strong> den ersten Jahren der Illegalität im wesentlichen<br />

auf Diskussionen und das Verteilen von Flugblättern und ähnlichem Material. <strong>Die</strong><br />

Wirkung ihrer illegalen Parteiarbeit war damit zunächst sehr ger<strong>in</strong>g.<br />

3. <strong>Die</strong> politische Arbeit bis 1960<br />

<strong>Die</strong> politische Arbeit der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den ersten Jahren der Illegalität konzentrierte sich<br />

nach wie vor auf die Friedenspolitik. Primäres Ziel musste dabei gerade unter den<br />

Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität die Schaffung von Bündnissen mit nichtkommunistischen<br />

Organisationen und die Beteiligung von Kommunisten an außerparlamentarischen<br />

Bewegungen se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong>s gelang zunächst kaum <strong>in</strong> nennenswertem Maße.<br />

In den ersten Monaten nach dem Verbot war <strong>in</strong> der Tribüne der Demokratie die<br />

Ablehnung der Wehrpflicht e<strong>in</strong> zentrales Thema. <strong>Die</strong> betroffenen Jugendlichen<br />

wurden aufgefordert, sich dem Kriegsdienst zu verweigern und der E<strong>in</strong>berufung<br />

ke<strong>in</strong>e Folge zu leisten. Sie müssten »ihr demokratisches Recht der Kriegsdienstverweigerung<br />

<strong>in</strong> Anspruch nehmen«, und: »Deshalb sollte auch ke<strong>in</strong> Jugendlicher zur<br />

Erfassung h<strong>in</strong>gehen, wenn er die Aufforderung erhält, sonst würde er den ersten<br />

Schritt zur Rekrutierung tun und damit helfen, unser Volk abermals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Katastrophe<br />

zu stürzen. Das will doch ke<strong>in</strong>er!« 91.<br />

85 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />

86 Ebenda.<br />

87 Ebenda.<br />

88 Interviews Wilhelm Meyer-Buer (1), Herbert Breidbach (1), Willy Hundertmark (1).<br />

89 Interview Willy Hundertmark, 1.<br />

90 Zur Arbeit der Betriebsgruppen siehe Kapitel 7.4.<br />

91 »Wehret den Anfängen«, Tribüne der Demokratie Nr. 194, 2. Okt. Hälfte 1956.


318<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

In <strong>Bremen</strong> erlebte die »Internationale der Kriegsdienstgegner« (IdK) - die Mitte<br />

der 1950er Jahre von überwiegend gewerkschaftlich und sozialdemokratisch orientierten<br />

Jugendlichen gegründet worden war - nach der E<strong>in</strong>führung der Wehrpflicht<br />

e<strong>in</strong>en starken Mitgliederboom. 92 <strong>Die</strong> IdK rief zur Wehrdienstverweigerung auf,<br />

richtete Beratungsstellen für Wehrpflichtige e<strong>in</strong> und führte verschiedene Aktionen<br />

gegen die Wehrerfassung durch. 93 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> unterstützte die IdK und ihre Aktivitäten.<br />

<strong>Die</strong> Tribüne der Demokratie berichtete über Aktionen der Organisation und stellte<br />

sie als Beweis für den erfolgreichen Widerstand der Jugendlichen gegen die<br />

Wehrpflicht und für den Frieden heraus. 94 Gleichzeitig wurde zur Unterstützung<br />

der IdK aufgefordert: <strong>Die</strong> Jugend brauche »jetzt und sofort den Schutz aller Gegner<br />

der Wiederaufrüstung«, um »die Adenauer-Regierung mit allen Mitteln daran zu<br />

h<strong>in</strong>dern, die Wehrpflicht durchzuführen«. 95 Dafür sei jetzt das »geme<strong>in</strong>same Handeln<br />

aller antimilitaristischen Kräfte, vor allem der Arbeiter<strong>org</strong>anisationen« notwendig.<br />

96 Arbeiter, Betriebsräte, Gewerkschaften und die Jugend<strong>org</strong>anisationen<br />

wurden aufgefordert, die Jugendlichen bei deren Widerstand zu unterstützen:<br />

»In den Betrieben sollten die Jugendlichen darauf dr<strong>in</strong>gen, dass die Belegschaften, besonders<br />

aber die Gewerkschaften und Vertrauensmännerkörper ihnen schützend zur Seite stehen. Den<br />

Jugend<strong>org</strong>anisationen entsteht hierbei e<strong>in</strong>e große Aufgabe, die nicht alle<strong>in</strong>e durch Tanzveranstaltungen,<br />

wie sie vom Jugendr<strong>in</strong>g <strong>org</strong>anisiert werden, gelöst werden kann. Es ist richtig,<br />

dass die Jugend tanzt, anstatt auf den Kasernenhöfen gedrillt zu werden und auf den<br />

Schlachtfeldern zu verbluten. Aber gerade deshalb muss der Jugendr<strong>in</strong>g mehr unternehmen<br />

als nur die Organisierung von Tanzveranstaltungen.« 97<br />

Zwar beteiligten sich auch Bremer Kommunisten an der IdK und den Aktionen<br />

gegen die Wehrpflicht, 98 ihr E<strong>in</strong>fluss und ihre Zahl blieben aber ger<strong>in</strong>g. <strong>Die</strong> IdK bestand<br />

größtenteils aus Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und Parteilosen. 99 <strong>Die</strong>s<br />

galt ebenso für die 1958 <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie von SPD und DGB <strong>in</strong>itiierte Kampagne<br />

»Kampf dem Atomtod« (KdA). 100 <strong>Die</strong> KdA konnte <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> breite Kreise der Be-<br />

92 Zur IdK und zur Kriegsdienstverweigerung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> siehe ausführlich Christoph Butterwegge, Friedenspolitik<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> nach dem Zweiten Weltkrieg, a.a.O., S. 186ff. Außerdem Dorothee Colberg-<br />

Tjadens, <strong>Die</strong> Gründung der Bremer IdK; Detlef Dahlke, Kriegsdienstverweigerung als Gewissenentscheidung<br />

und Protesthaltung, beide <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge et al. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg,<br />

a.a.O., S. 179ff. und S. 184ff.<br />

93 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 186ff.<br />

94 Vgl. z.B. <strong>Bremen</strong>s Jugend trotzt der Wehrpflicht, Tribüne der Demokratie Nr. 197(5), 2. Hälfte November<br />

1956; Kundgebung der Wehrdienstgegner <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>: Ne<strong>in</strong> dem Wehrdienst, Tribüne der Demokratie Nr.<br />

198(6), 1. Hälfte Dezember 1956.<br />

95 Kundgebung der Wehrdienstgegner <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>: Ne<strong>in</strong> dem Wehrdienst, Tribüne der Demokratie Nr. 198(6), 1.<br />

Hälfte Dezember 1956.<br />

96 Ebenda<br />

97 Auch Drohbriefe schüchtern nicht e<strong>in</strong>, Tribüne der Demokratie Nr. 197(5), 2. Hälfte November 1956.<br />

98 Vgl. Herbert Breidbach, Das <strong>KPD</strong>-Verbot und die illegale Arbeit bis <strong>1968</strong>, <strong>in</strong>: Christoph Butterwegge et<br />

al. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg, a.a.O., S. 137-146, hier S. 140. Breidbach nennt namentlich zwei<br />

Kommunisten.<br />

99 Vgl. Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 189. Vorsitzender der IdK war seit<br />

Oktober 1956 der Sozialdemokrat und Gewerkschaftsfunktionär Detlef Dahlke.<br />

100 Siehe zur KdA-Kampagne <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ausführlich Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit<br />

von Landespolitik und Parteil<strong>in</strong>ie, a.a.O., S. 233ff.; Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong>


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 319<br />

völkerung gegen die atomare Wiederbewaffnung der Bundeswehr mobilisieren. So<br />

nahmen an der Kundgebung zum 1. Mai 1958, die der DGB ganz unter das Motto<br />

»Kampf dem Atomtod« gestellt hatte, rund 80.000 Menschen teil. E<strong>in</strong>e vom örtlichen<br />

KdA-Ausschuss am 13. Mai 1958 veranstaltete Großkundgebung, auf der<br />

auch Wilhelm Kaisen sprach, fand über 25.000 Teilnehmer. 101 Parallel zu diesen<br />

Straßenaktionen beschloss die Bremische Bürgerschaft am 7. Mai mit den Stimmen<br />

von SPD und FDP e<strong>in</strong> Volksbefragungsgesetz, nach dem die Bürger <strong>Bremen</strong>s am<br />

22. Juni folgende Fragen beantworten sollten: »1. S<strong>in</strong>d sie mit e<strong>in</strong>er atomaren Bewaffnung<br />

deutscher Streitkräfte e<strong>in</strong>verstanden? 2. S<strong>in</strong>d sie damit e<strong>in</strong>verstanden,<br />

dass im Lande <strong>Bremen</strong> Abschussvorrichtungen für atomare Sprengkörper angelegt<br />

werden?«.<br />

<strong>Die</strong> Volksbefragung wurde jedoch auf Antrag der Bundesregierung am 12. Juni<br />

1958 vom Bundesverfassungsgericht per e<strong>in</strong>stweiliger Verfügung gestoppt und<br />

schließlich am 30. Juli 1958 als verfassungswidrig verboten. Das bedeutete auch das<br />

faktische Ende der KdA-Bewegung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. SPD und DGB verzichteten fortan<br />

auf außerparlamentarische Aktionen, ohne die Unterstützung der beiden Groß<strong>org</strong>anisationen<br />

jedoch konnte die Friedensbewegung ke<strong>in</strong>e größeren Massenproteste<br />

mehr auf die Straße br<strong>in</strong>gen.<br />

<strong>Die</strong> Kampagne »Kampf dem Atomtod« als breite, von den Arbeiter<strong>org</strong>anisationen<br />

getragene Massenbewegung entsprach eigentlich genau dem Bündniskonzept<br />

der <strong>KPD</strong>. Bereits 1957 schrieb die »Tribüne der Demokratie« unter der Überschrift<br />

»Volksfront gegen Atomkrieg«:<br />

»Noch nie gab es e<strong>in</strong>e solche breite umfassende Bewegung. Gewerkschaften, SPD, Frauenausschüsse,<br />

Jugendverbände, kirchliche Vere<strong>in</strong>igungen und viele andere soziale und kulturelle<br />

Organisationen erklärten sich gegen die Atomrüstung und fassten Kampfbeschlüsse. Käme es<br />

zu e<strong>in</strong>em Zusammenschluss all dieser Kräfte, es würde e<strong>in</strong>e wahre Volksfront gegen Atomkrieg<br />

stehen! Und wenn es trotz der großen Bereitschaft der Massen noch nicht zu umfassenden<br />

Aktionen gekommen ist, dann deshalb, weil die Bewegung zersplittert ist, weil jede<br />

Organisation alle<strong>in</strong>e handelt und die Massen nicht ihre mächtige Kraft spüren, die sie besitzen,<br />

wenn sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitlichen Aktionen auftreten. <strong>Die</strong>se Zersplitterung zu überw<strong>in</strong>den, e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>heitliche feste Front aller Gegner der Atomrüstung zu schaffen, das ist das Gebot der Stunde!«<br />

102<br />

Mit der KdA-Bewegung waren diese Vorstellungen, wenn auch nur für kurze<br />

Zeit, im Pr<strong>in</strong>zip verwirklicht. Dementsprechend waren natürlich auch Kommunisten<br />

an den Aktionen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> beteiligt. Insbesondere <strong>in</strong> den Betrieben arbeiteten<br />

sie an Beschlüssen und Kundgebungsaufrufen gegen die Wiederbewaffnung und<br />

zur geplanten Volksbefragung mit. 103 <strong>Die</strong> Bremer Bezirksleitung der <strong>KPD</strong> hatte be-<br />

<strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 154ff. Für die KdA auf Bundesebene siehe vor allem Hans-Karl Rupp, Außerparlamentarische<br />

Opposition <strong>in</strong> der Ära Adenauer, a.a.O.<br />

101 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 175.<br />

102 Volksfront gegen Atomkrieg, Tribüne der Demokratie Nr. 15(22), Ende Juli 1957.<br />

103 Herbert Breidbach, Das <strong>KPD</strong>-Verbot und die illegale Arbeit bis <strong>1968</strong>, a.a.O., S. 138.


320<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

reits anlässlich der Erklärung der »Gött<strong>in</strong>ger Achtzehn« 104 im April 1957 die Mitglieder<br />

aufgefordert,<br />

»alles zu tun zur Unterstützung der 18 Wissenschaftler, zur Unterstützung der Bewegung gegen<br />

die Atomkriegsvorbereitungen. Alle Voraussetzungen s<strong>in</strong>d gegeben, bis zu den Bundestagswahlen<br />

e<strong>in</strong>e breite Bewegung gegen die Bonner Regierung und ihre Atomkriegspolitik zu<br />

<strong>org</strong>anisieren. Setzt eure ganze Kraft für diese Bewegung e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Arbeiter, die Gewerkschaften,<br />

das ganze Volk wird dann umso schneller die Bedeutung und Stärke der <strong>KPD</strong> erkennen«.<br />

105<br />

Der E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> auf die Bewegung blieb jedoch auch hier nur sehr ger<strong>in</strong>g<br />

und auf die Initiative e<strong>in</strong>zelner Kommunisten beschränkt. <strong>Die</strong>s lag zum e<strong>in</strong>en an<br />

dem rigide ausgrenzenden Antikommunismus von SPD, Gewerkschaften und anderen<br />

Friedenskräften, zum anderen aber auch an der Lethargie und e<strong>in</strong>er der Illegalität<br />

geschuldeten Handlungsunfähigkeit der Partei. Anfang 1958 beklagte sich<br />

Hermann Gautier darüber auf e<strong>in</strong>er ZK-Tagung:<br />

»[Es ist] <strong>in</strong> der Partei e<strong>in</strong>fach nicht dr<strong>in</strong>, dass diese Frage des Kampfes um den Frieden und<br />

gegen die Atomrüstung die entscheidende Frage ist, die man überall <strong>in</strong> den Mittelpunkt rücken<br />

muss [...] dieser Gedanke, dass das die entscheidende Frage ist, dass es auf uns ankommt,<br />

ist <strong>in</strong> der Partei nicht dr<strong>in</strong>. <strong>Die</strong>se Orientierung fehlt. Das hängt natürlich auch damit<br />

zusammen, dass unsere ganze Arbeit <strong>in</strong> der Organisation noch zu schwach entwickelt ist, dass<br />

<strong>in</strong> den Leitungen, ganz zu schweigen von den Grund<strong>org</strong>anisationen, politisch viel zu wenig<br />

diskutiert wird. <strong>Die</strong> Genossen beschäftigen sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mit <strong>org</strong>anisatorischen und <strong>org</strong>anisationstechnischen<br />

Fragen.« 106<br />

Das Ziel der <strong>KPD</strong>, nach dem Verbot verstärkt legal <strong>in</strong> Friedensbündnissen zu<br />

arbeiten, konnte also zunächst nicht verwirklicht werden. Für die Öffentlichkeitsarbeit<br />

und das legale Wirken der Partei ungleich wichtiger waren deshalb <strong>in</strong> den ersten<br />

Jahren der Illegalität die Gruppe der »Unabhängigen Sozialisten« (US) <strong>in</strong> der<br />

Stadtbürgerschaft sowie das Auftreten bei Wahlen.<br />

104 Im April 1957 veröffentlichten 18 westdeutsche Atomwissenschaftler <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>e Erklärung, <strong>in</strong><br />

der sie sich gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen aussprachen. Anlass<br />

war e<strong>in</strong>e Erklärung von Bundeskanzler Adenauer wenige Tage zuvor, <strong>in</strong> der er e<strong>in</strong>e solche Atombewaffnung<br />

befürwortete. <strong>Die</strong> Atomphysiker warnten vor der Zerstörungskraft der sogenannten »taktischen«<br />

Atombomben und lehnten es ab, sich <strong>in</strong> irgend e<strong>in</strong>er Weise an deren Entwicklung zu beteiligen.<br />

<strong>Die</strong> Erklärung erregte weltweites Aufsehen und löste <strong>in</strong> der Bundesrepublik e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Diskussion<br />

und Bewegung gegen die Atombewaffnung aus, die schließlich zur KdA-Kampagne führte. Vgl. dazu<br />

ausführlich Hans-Karl Rupp, Außerparlamentarische Opposition <strong>in</strong> der Ära Adenauer, a.a.O., S. 73ff.<br />

(dort auch der Wortlaut der Erklärung und e<strong>in</strong>e Liste der Unterzeichner, S. 74f.). Zur Reaktion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Karl-Ludwig Sommer, Wiederbewaffnung im Widerstreit, a.a.O., S. 226ff.; Christoph Butterwegge,<br />

Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 155ff.<br />

105 Kommunistische Partei Deutschlands, Landes<strong>org</strong>anisation <strong>Bremen</strong>: An alle Mitglieder der <strong>KPD</strong>! Genoss<strong>in</strong>nen<br />

und Genossen! [13. April 1957], <strong>in</strong>: SAPMO I 10/20/3.<br />

106 Stenographische Niederschrift der 8. Tagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO DY IV 2/10.03/251, S. 135.


<strong>Die</strong> Bundestagswahl 1957<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 321<br />

<strong>Die</strong> Bundestagswahl im September 1957 war für die <strong>KPD</strong> die erste größere Gelegenheit,<br />

an die Öffentlichkeit zu treten, verbunden mit dem Zwang zu e<strong>in</strong>er Wahlempfehlung.<br />

In <strong>Bremen</strong> kam es über diese Frage zu <strong>in</strong>tensiven partei<strong>in</strong>ternen Diskussionen<br />

und Ause<strong>in</strong>andersetzungen, die e<strong>in</strong>e zwar kle<strong>in</strong>e, aber <strong>in</strong>sgesamt ›lebendige‹<br />

Parteibasis offenbarte.<br />

Politbüro und Zentralkomitee der <strong>KPD</strong> beschlossen zunächst im Februar 1957<br />

die Aufstellung von E<strong>in</strong>zelkandidaten der Partei und außerdem, für die Zweitstimme<br />

(Landeslisten) auf die Wahl der SPD zu orientieren. 107 Veröffentlicht wurden<br />

diese Orientierungen im Bundestagswahlprogramm (März 1957), wobei e<strong>in</strong>e<br />

namentliche Wahlempfehlung für die SPD vermieden wurde. 108<br />

Hermann Gautier - seit der Entscheidung des Staatsgerichtshofes Anfang 1957<br />

wieder <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, um die legalen Auftrittsmöglichkeiten als Bürgerschaftsabgeordneter<br />

zu nutzen - war als E<strong>in</strong>zelkandidat für den Wahlkreis <strong>Bremen</strong>-West v<strong>org</strong>esehen.<br />

Gautier gelang es nicht, diese Kandidatur <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong>nerparteilich<br />

durchzusetzen. Besonders <strong>in</strong> dem betreffenden Wahlkreis gab es nach Gautiers Angaben<br />

»aktiven Widerstand«. 109 Gautier schilderte die Bremer V<strong>org</strong>änge auf e<strong>in</strong>er<br />

ZK-Tagung im Juli 1957, nachdem das Politbüro die im Februar beschlossene Wahltaktik<br />

wieder geändert hatte: Auf die Aufstellung von E<strong>in</strong>zelkandidaten sollte nun<br />

doch verzichtet und außerdem e<strong>in</strong> Wahlaufruf zugunsten der SPD veröffentlicht<br />

werden. 110<br />

Obwohl damit die E<strong>in</strong>zelkandidaturen verworfen wurden, kritisierte das Politbüro<br />

Gautier für die Nichtdurchsetzung des Beschlusses vom Februar und verlangte<br />

Rechenschaft, warum er »nicht alles getan habe, damit diese Taktik durchgeführt<br />

107 Stenographische Niederschrift der 3. Tagung des Zentralkomitees der <strong>KPD</strong> 23./25. Februar 1957, SAPMO DY<br />

IV 2/10.03/248.<br />

108 Wörtlich hieß es: »Wir lassen uns nicht durch das undemokratische V<strong>org</strong>ehen der Bonner Regierung<br />

daran h<strong>in</strong>dern, selbständig <strong>in</strong> den Wahlkampf e<strong>in</strong>zugreifen, so wie wir zu allen politischen Fragen von<br />

Bedeutung selbständig Stellung nehmen. Sollte sich unsere Partei nicht selbst zur Wahl stellen können,<br />

dann fordern wir die Wähler auf, solchen Kandidaten ihre Stimmen zu geben, deren Grundsätze unserem<br />

Programm am nächsten kommen. Dann fordern wir die Wähler auf, ihre erste Stimme den Wahlkreiskandidaten<br />

zu geben, die durch ihr Verhalten <strong>in</strong> der Vergangenheit und durch die Klarheit ihres<br />

Programms die beste Gewähr dafür bieten, dass sie auch nach der Wahl konsequent für e<strong>in</strong>e Politik des<br />

Friedens und der Sicherheit, für die Interessen der Arbeiterklasse und der Bauern e<strong>in</strong>treten. [...] Wenn<br />

es unserer Partei unmöglich gemacht wird, eigene Landeslisten aufzustellen, dann fordern wir die<br />

Wähler auf, ihre zweite Stimme den Landeslisten der Partei zu geben, die sich für e<strong>in</strong>e Wende <strong>in</strong> der<br />

Bundespolitik e<strong>in</strong>setzen will und die der Arbeiterschaft am nächsten steht.« (Bundestagswahlprogramm<br />

der <strong>KPD</strong> 1957, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 2, S. 157ff., hier S. 172f.; Hervorhebungen<br />

im Orig<strong>in</strong>al).<br />

109 Stenographisches Protokoll der 6. Tagung der Kommunistischen Partei Deutschlands, SAPMO DY IV<br />

2/10.03/249.<br />

110 Auf der darüber beratenden ZK-Tagung gab es noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>tensive Diskussionen über die Frage der<br />

Wahltaktik (Stenographisches Protokoll der 6. Tagung der Kommunistischen Partei Deutschlands, SAPMO DY<br />

IV 2/10.03/249). Vgl. Andreas Voigt, Nach dem Verbot, a.a.O., S. 40ff; Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong><br />

und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 91. Wortlaut des Aufrufs: Schlagt Adenauer, den Fe<strong>in</strong>d unseres<br />

Volkes! Wahlaufruf der <strong>KPD</strong> zu den Bundestagswahlen 1957, Juli 1957, <strong>in</strong>: <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> lebt und kämpft. Dokumente<br />

der Kommunistischen Partei Deutschlands 1956-1962, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1963, S. 120ff.


322<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

wurde«. 111 Gautier schilderte daraufh<strong>in</strong> vor dem Zentralkomitee, nach nochmaliger<br />

Aufforderung des Parteivorsitzenden Max Reimann (»Das ist e<strong>in</strong> sehr wichtiger<br />

Fall«), ausführlich die V<strong>org</strong>änge <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. 112<br />

Demnach war <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> bereits vor Weihnachten 1956 die Frage nach<br />

dem Verhalten zur Bundestagswahl im September 1957 aufgetaucht. »<strong>Die</strong> Genossen<br />

standen auf dem Standpunkt, es gibt für uns nichts anderes, man muss SPD wählen,<br />

und diese L<strong>in</strong>ie wurde systematisch, weil sie <strong>in</strong> den Leitungen saßen, <strong>in</strong> die<br />

Partei h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen.« Gautier maß die Verantwortung dafür den Funktionären<br />

zu, »die <strong>in</strong> den mittleren Leitungen der Partei sitzen, <strong>in</strong> den Kreisleitungen, <strong>in</strong> den<br />

Stadtteilleitungen«. Als Hauptopponenten Gautiers traten Willy Hundertmark - <strong>in</strong><br />

dieser Zeit Stadtteilleiter <strong>in</strong> Gröpel<strong>in</strong>gen - 113 und, ebenfalls aus Gröpel<strong>in</strong>gen, Erich<br />

Funke hervor, die nach Gautiers Worten, »früher <strong>in</strong> der Landesleitung und <strong>in</strong> unserer<br />

Partei<strong>org</strong>anisation e<strong>in</strong>e große Rolle gespielt haben und die auch <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

durch ihre Tätigkeit sich immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> der Partei gesichert<br />

haben«.<br />

<strong>Die</strong> Bremer Parteibasis votierte also sehr früh für e<strong>in</strong>e Unterstützung der SPD<br />

bei der Bundestagswahl und wich von dieser E<strong>in</strong>stellung auch nicht nach dem Februar-Beschluss<br />

des ZK ab, Gautier als E<strong>in</strong>zelkandidaten aufzustellen. Es kam zu<br />

schweren Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen Hundertmark und Funke e<strong>in</strong>erseits und<br />

dem ehemaligen Landesvorsitzenden Gautier andererseits. <strong>Die</strong> Bremer Verantwortlichen<br />

lehnten die E<strong>in</strong>zelkandidatur vehement ab, verdächtigten Gautier, er »möchte<br />

gern se<strong>in</strong> Bild an den Anschlagsäulen sehen, oder vielleicht reizen ihn die Diäten<br />

e<strong>in</strong>es Bundestagsabgeordneten«, und argumentierten, e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelkandidatur würde<br />

»unser Verhältnis zu den Sozialdemokraten stören«. <strong>Die</strong> Notwendigkeit zur Abgrenzung<br />

gegenüber dem sozialdemokratischen E<strong>in</strong>zelkandidaten mache die Empfehlung,<br />

mit der Zweitstimme SPD zu wählen, letztlich unglaubwürdig. Der Widerstand<br />

g<strong>in</strong>g so weit, dass Funke sogar androhte, im Falle der Kandidatur Gautiers<br />

auch öffentlich dagegen aufzutreten.<br />

Schon diese Opposition gegen e<strong>in</strong>en Beschluss des Zentralkomitees wie auch<br />

die e<strong>in</strong>deutige Option auf die Wahl der SPD war bemerkenswert, wenn auch nicht<br />

unbed<strong>in</strong>gt verwunderlich angesichts der Brisanz des Frage und der selbst im ZK<br />

vorhandenen Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten und langen Diskussionen. <strong>Die</strong> Verärgerung<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> <strong>in</strong>dizierte aber auch erstmals e<strong>in</strong> pr<strong>in</strong>zipielles <strong>in</strong>nerparteiliches<br />

Phänomen, das se<strong>in</strong>e Ursachen <strong>in</strong> den gänzlich andersartigen Organisationsstrukturen<br />

<strong>in</strong> der Illegalität hatte. <strong>Die</strong> vor Ort arbeitenden Kommunisten begannen, sich<br />

eigenständiger und unabhängiger von den zentralen Leitungen zu verhalten. <strong>Die</strong><br />

vor dem Verbot errichteten, e<strong>in</strong>seitig von oben nach unten oktroyierten Entscheidungsstrukturen<br />

wurden angesichts der Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität zusehends<br />

wirkungslos. Zwei von Hermann Gautier zitierte Äußerungen Erich Funkes mach-<br />

111 Stenographisches Protokoll der 6. Tagung der Kommunistischen Partei Deutschlands, SAPMO DY IV<br />

2/10.03/249.<br />

112 Ebenda, S. 111ff. Folgende Zitate ebenda.<br />

113 Vgl. Hendrik Bunke (Hrsg.), Willy Hundertmark, a.a.O., S. 85.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 323<br />

ten das <strong>in</strong> diesem Fall deutlich. Zum e<strong>in</strong>en betonte Funke die Eigenständigkeit und<br />

Verantwortung der örtlichen Kreis-, bzw. Stadtteilleitung für diese Frage:<br />

»Wie kannst du dich überhaupt unterstehen, über den Kopf der Leitung h<strong>in</strong>weg solche D<strong>in</strong>ge<br />

e<strong>in</strong>zuleiten? Du setzt dich e<strong>in</strong>fach über den Kopf der Leitung h<strong>in</strong>weg und diskutierst e<strong>in</strong>e solche<br />

Frage. Was s<strong>in</strong>d das für Zustände?! Wenn man das früher gemacht hätte, wo du der verantwortliche<br />

Mann <strong>in</strong> der Leitung warst, da hättest du aber mit uns verfahren.«<br />

<strong>Die</strong> folgende ›Frage‹ brachte die Problematik auf den Punkt: »Wer sagt mir<br />

denn, dass das die L<strong>in</strong>ie der Partei ist, dass der Hermann hier kandidieren soll?<br />

Wer bestätigt mir denn das eigentlich?«. Zweifellos waren die schwieriger gewordenen<br />

Kommunikationswege bei der Vermittlung der Parteil<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong> zentrales Problem<br />

der <strong>KPD</strong> nach dem Verbot. In diesem Fall nutzten es Funke und Hundertmark<br />

- die vermutlich sehr wohl wussten, dass die Kandidatur Gautiers der Parteil<strong>in</strong>ie<br />

entsprach - um die Position der Gröpel<strong>in</strong>ger Stadtteil<strong>org</strong>anisation gegen das ZK<br />

und Gautier durchzusetzen. Auch Gautier selbst machte gegenüber dem ZK die<br />

Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität für die Nichtdurchsetzung der Parteibeschlüsse verantwortlich:<br />

»Es ist natürlich so, das kostet heute natürlich mehr Zeit als während der Legalität der Partei.<br />

Während der Legalität der Partei hätten wir e<strong>in</strong>e solche Geschichte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Parteiaktivtagungen,<br />

wenn es noch so hart hergegangen wäre, gelöst. Aber bei dem jetzigen Zustand der<br />

Partei, wo viele Genossen schwanken, nicht wissen, wo sie sich h<strong>in</strong>orientieren sollen, ist das<br />

bedeutend schwieriger.«<br />

In diesem Fall war es nicht nur schwieriger, sondern unmöglich: <strong>Die</strong> Bremer<br />

Parteibasis setzte sich durch. Es kam schließlich zu e<strong>in</strong>er Kreiskonferenz, auf der<br />

sich die Mehrheit der Anwesenden gegen e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelkandidatur Gautiers aussprach.<br />

114<br />

Öffentlich angedeutet hatte sich die klare Option für die SPD bereits Anfang<br />

März, als das Bundestagswahlprogramm des ZK noch nicht bekannt war. E<strong>in</strong><br />

Grußschreiben an den SPD-Landesparteitag forderte zu e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>heitlichen Handeln<br />

gegen die Bonner Regierung auf und formulierte Vorschläge für e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen<br />

Wahlkampf. Es gelte, ȟber das Trennende h<strong>in</strong>weg das geme<strong>in</strong>same<br />

Handeln zustande kommen zu lassen«. 115<br />

Am 9. Juli 1957 - wiederum vor Veröffentlichung des zentralen Wahlaufrufs der<br />

Partei - richtete die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>en Brief zur Führung des Bundestagswahlkampfes an<br />

den Bremer SPD-Landesvorstand, <strong>in</strong> dem noch mal betont wurde, dass für die <strong>KPD</strong><br />

das oberste Ziel bei den Bundestagswahlen die Niederlage der CDU sowie die Verh<strong>in</strong>derung<br />

der Atomrüstung sei. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> sei bereit, die SPD »<strong>in</strong> allen Maßnahmen<br />

zu unterstützen, die die Massen gegen die Adenauer-Politik <strong>in</strong> Bewegung br<strong>in</strong>gt<br />

und den Menschen zu e<strong>in</strong>er klaren Entscheidung bei den Bundestagswahlen verhilft.«<br />

116<br />

114 Gautier sprach vor dem ZK von »dieser berühmten Konferenz«.<br />

115 Handeln wir geme<strong>in</strong>sam!, Tribüne der Demokratie, Nr. 4(11), 1. Hälfte März 1957.<br />

116 Geme<strong>in</strong>sam Adenauer schlagen, Tribüne der Demokratie Nr.14(21), Mitte Juli 1957.


324<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

NachdemAufrufdesZKder<strong>KPD</strong>vom20.Juli,derauch<strong>in</strong><strong>Bremen</strong><strong>in</strong>Form<br />

von Flugblättern veröffentlicht wurde, 117 forderte die Bremer <strong>KPD</strong> nun auch offen<br />

dazu auf, die SPD zu wählen. <strong>Die</strong> Gegner der E<strong>in</strong>zelkandidatur Hermann Gautiers<br />

sahen sich bestätigt, man habe »die Partei vor e<strong>in</strong>er falschen Entscheidung bewahrt«.<br />

118<br />

Trotzdem sah sich die Partei natürlich auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> weiterh<strong>in</strong> im Rechtfertigungszwang<br />

gegenüber den Mitgliedern. 119 <strong>Die</strong> Tribüne der Demokratie betonte <strong>in</strong><br />

der Folgezeit, dass mit e<strong>in</strong>em Wahlsieg der SPD ke<strong>in</strong>e grundlegende Änderung der<br />

politischen Verhältnisse e<strong>in</strong>treten werde, sondern dass es zunächst vor allem darum<br />

gehe »Adenauer e<strong>in</strong>e Niederlage bei den Bundestagswahlen zu bereiten«. 120<br />

<strong>Die</strong>se Betonung der Kritik an der SPD schien vor allem notwendig zu se<strong>in</strong>, um<br />

nicht den E<strong>in</strong>druck zu erwecken, die SPD verfolge eigentlich die gleichen Ziele wie<br />

die <strong>KPD</strong>, wodurch diese <strong>in</strong> den Augen der Wähler und auch der Mitglieder als überflüssig<br />

dagestanden hätte. Dementsprechend hob die Tribüne der Demokratie hervor,<br />

dass es nur die <strong>KPD</strong> sei, »die den Massen e<strong>in</strong>e klare Orientierung zu geben<br />

vermag«. 121 <strong>Die</strong> Thesen des <strong>KPD</strong> Parteitages 1957 seien Ausdruck der Forderungen<br />

der Massen nach Frieden und Wohlstand und wiesen den Weg zur Erfüllung dieser<br />

Forderungen. »<strong>Die</strong>ses den Massen zu erläutern, das ist die wichtigste Aufgabe der<br />

Kommunisten im Wahlkampf.« 122 Daher dürfe die <strong>KPD</strong> sich nicht auf den Aufruf<br />

zur Wahl der SPD beschränken, sondern müsse vielmehr e<strong>in</strong>en eigenen und selbständigen<br />

Wahlkampf führen:<br />

»Wir dürfen <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall auf die Führung e<strong>in</strong>es eigenen Wahlkampfes verzichten. Wir können<br />

doch nicht dazu schweigen, wenn durch das Verbot unsere Partei geh<strong>in</strong>dert wird, sich an<br />

den Wahlen zu beteiligen! Würden wir den Aufruf unserer Partei so verstehen, dass wir uns<br />

zum Anhängsel der SPD machen, würde dies die Aktionse<strong>in</strong>heit ke<strong>in</strong>en Schritt vorwärts br<strong>in</strong>gen.«<br />

123<br />

117 Ermittlungsakten, Band XV.<br />

118 So zitierte Max Reimann Willy Hundertmark (Stenographisches Protokoll der 6. Tagung der Kommunistischen<br />

Partei Deutschlands, SAPMO DY IV 2/10.03/249, S. 118).<br />

119 Auch <strong>in</strong> dem Aufruf des ZK wurden diese Probleme deutlich: »Wir Kommunisten wissen, dass mit der<br />

Niederlage der Adenauer-Partei bei den Wahlen noch nicht die grundlegende Änderung der Politik<br />

und der gesellschaftlichen Verhältnisse <strong>in</strong> der Bundesrepublik erreicht wird. Dennoch treten wir dafür<br />

e<strong>in</strong>, der SPD den Sieg bei den Bundestagswahlen zu sichern und die Bildung e<strong>in</strong>er sozialdemokratisch<br />

geführten Regierung zu ermöglichen.« (Wähler<strong>in</strong>nen und Wähler <strong>in</strong> Stadt und Land. Aufruf der Kommunistischen<br />

Partei Deutschlands zur Bundestagswahl 1957, Flugblatt o.O, o.J). Der Aufruf ist ebenfalls abgedruckt<br />

<strong>in</strong> Freies Volk, Nr. 27(44), Ende Juli 1957.<br />

120 So heißt es z.B. <strong>in</strong> der ersten Ausgabe der Tribüne der Demokratie nach dem Aufruf: »Damit alle Kräfte<br />

vere<strong>in</strong>igt werden, um Adenauer e<strong>in</strong>e Niederlage bei den Bundestagswahlen, hat das Zentralkomitee<br />

der Partei dazu aufgerufen, die Stimme der SPD zu geben. Wir müssen zugleicherzeit der Illusion entgegentreten,<br />

dass mit e<strong>in</strong>em Wahlsieg der SPD die Wende <strong>in</strong> der Politik der Bundesrepublik herbeigeführt<br />

ist, auf die die Massen hoffen.« (Um die Verwirklichung der Beschlüsse des Parteitages, Tribüneder<br />

Demokratie Nr.15(22), Ende Juli 1957).<br />

121 Ebenda.<br />

122 Ebenda.<br />

123 Um die Verwirklichung der Beschlüsse des Parteitages 1957, Tribüne der Demokratie Nr. 17(24), 1. Hälfte<br />

August 1957. Hier wird auch e<strong>in</strong> weiteres Motiv der Beteiligung am Wahlkampf deutlich, nämlich <strong>in</strong><br />

der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die <strong>KPD</strong> trotz Verbots weiterexistiert und auch noch von Bedeutung


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 325<br />

<strong>Die</strong> Mitglieder wurden aufgefordert, sich aktiv am Wahlkampf zu beteiligen<br />

und Kontakt zu Sozialdemokraten zu suchen:<br />

»Das wichtigste ist die Aufklärung <strong>in</strong> Wort und Schrift. [...]. Wir müssen mehr als zuvor aus<br />

uns herausgehen, sichern, dass unsere Wahlmaterialien breit gestreut werden. Wichtig ist,<br />

dass unsere Betriebs- und Wohngebiets<strong>org</strong>anisationen eigene Flugblätter herausgeben, wo sie<br />

zu betrieblichen und örtlichen Fragen Stellung nehmen und diese mit der Entscheidung zu<br />

den Bundestagswahlen verb<strong>in</strong>den. Jeder Genosse sollte sich zur Pflicht machen, unverzüglich<br />

sozialdemokratische Genossen aufzusuchen, um mit ihnen zu beraten, wie der Wahlkampf<br />

geme<strong>in</strong>sam geführt werden kann, um e<strong>in</strong>e Niederlage Adenauers zu sichern.« 124<br />

Tatsächlich tauchten <strong>in</strong> den Wochen vor der Wahl verstärkt Materialien der<br />

<strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> auf. Verteilt wurden der Aufruf des ZK, die Thesen des Parteitags<br />

sowie zahlreiche andere Flugblätter wie z.B. der bereits erwähnte gefälschte 10-<br />

Mark Sche<strong>in</strong>, auf dessen Rückseite Forderungen der <strong>KPD</strong> zur Wahl abgedruckt waren<br />

und der unterschrieben war mit »Wählt SPD! Kommunistische Partei Deutschlands«.<br />

125 Außerdem wurden z.B. CDU-Plakate mit Losungen wie »Wählt SPD -<br />

Freiheit für die <strong>KPD</strong>!« oder »Wählt SPD - Kämpft mit der <strong>KPD</strong>!« überklebt, und es<br />

kamen zahlreiche kle<strong>in</strong>e Handzettel mit ähnlichen Parolen zur Verteilung. 126<br />

Inwieweit der Wahlaufruf Erfolge zeigte, ist nicht genau festzustellen. Indiz dafür,<br />

dass die ehemalige <strong>KPD</strong>-Wählerschaft tatsächlich mehrheitlich für die SPD<br />

stimmte, waren die Ergebnisse <strong>in</strong> den Ortsteilen, <strong>in</strong> denen die <strong>KPD</strong> bei der Bürgerschaftswahl<br />

1955 relativ hohe Stimmenanteile (zwischen neun und 17 Prozent) verzeichnen<br />

konnte (Industriehäfen, Neuenland, Osterfeuerberg, Gröpel<strong>in</strong>gen, Oslebshausen,<br />

Burg-Grambke). Hier erzielte die SPD im Vergleich zu den Bürgerschaftswahlen<br />

von 1955 e<strong>in</strong>en Stimmenzuwachs zwischen 2,1 und 15 Prozentpunkten,<br />

während <strong>in</strong> allen anderen Ortsteilen ihr Anteil rückgängig war. 127<br />

<strong>Die</strong> Gruppe »Unabhängige Sozialisten« (US) <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft<br />

<strong>Die</strong> vier Abgeordneten der ehemaligen <strong>KPD</strong>-Fraktion - Wilhelm Meyer-Buer, Maria<br />

Krüger, Hermann Gautier und He<strong>in</strong>rich <strong>Die</strong>trich - benannten sich Mitte Oktober<br />

1956 - also noch vor dem Urteil des Staatsgerichtshofes, das ihnen erlaubte bis 1959<br />

<strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft vertreten zu se<strong>in</strong> - zur Gruppe »Unabhängige Sozialisten«<br />

(US) um. 128 Natürlich bedeutete die Möglichkeit, im Parlament legal auftreten zu<br />

können, e<strong>in</strong>en enormen Vorteil für die Bremer <strong>KPD</strong>: »Das war sozusagen e<strong>in</strong> Teil<br />

ist. So heißt es beispielsweise auch <strong>in</strong> dem o.e. Brief an die SPD vom 9. Juli: »Wenn auch die reaktionären<br />

Kreise <strong>in</strong> Bonn unsere Partei als e<strong>in</strong>e ›bedeutungslose Gruppe‹ - die sie jedoch trotz dieser ›Bedeutungslosigkeit‹<br />

verbieten ließ - h<strong>in</strong>zustellen versucht, so beweisen doch viele Tatsachen, <strong>in</strong>sbesondere<br />

das Ergebnis der letzten Betriebsrätewahlen, dass der E<strong>in</strong>fluss und das Ansehen der Kommunisten unter<br />

der Bevölkerung gewachsen ist.« (Geme<strong>in</strong>sam Adenauer schlagen, Tribüne der Demokratie Nr. 14(21),<br />

Mitte Juli 1957).<br />

124 Um die Verwirklichung der Beschlüsse des Parteitages, Tribüne der Demokratie Nr.15(22), Ende Juli 1957.<br />

125 Ermittlungsakten, Band XV und XVI.<br />

126 Ermittlungsakten Band XVI.<br />

127 Materialien Statistisches Landesamt <strong>Bremen</strong> (Wahlamt).<br />

128 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft, 17. Oktober 1956.


326<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

der Öffentlichkeitsarbeit der sich <strong>in</strong> der Illegalität bef<strong>in</strong>denden Partei. So haben es<br />

auch alle aufgefasst.« 129 <strong>Die</strong>s wurde denn auch von den Abgeordneten, respektive<br />

der <strong>KPD</strong> versucht zu nutzen.<br />

Noch im Oktober 1956 gab die US erstmals ihr Mitteilungsblatt Weser-Post heraus,<br />

mit dem sie, so die Abgeordneten im Geleitwort, »die demokratische Öffentlichkeit<br />

unseres Landes über unsere Ansicht zu allen wichtigen, die Interessen der<br />

werktätigen Menschen berührenden Probleme, sowie über unsere Tätigkeit <strong>in</strong>- und<br />

außerhalb des Parlaments <strong>in</strong>formieren« wollten. 130 Angekündigt war zunächst e<strong>in</strong><br />

zweiwöchiges Ersche<strong>in</strong>en. <strong>Die</strong>se erste Ausgabe wurde allerd<strong>in</strong>gs sofort beschlagnahmt,<br />

die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungsverfahren wegen Fortführung der<br />

illegalen <strong>KPD</strong> gegen die Herausgeber e<strong>in</strong>. 131 Außerdem wurden aufgrund e<strong>in</strong>es<br />

Senatsbeschlusses öffentliche Versammlungen der Abgeordneten verboten und entsprechende<br />

Ankündigungsplakate beschlagnahmt. 132 <strong>Die</strong> US protestierte gegen<br />

diese aufgrund der noch nicht getroffenen Entscheidung des Staatsgerichtshofes<br />

möglichen, rechtlich allerd<strong>in</strong>gs zweifelhaften Maßnahmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em offenen Brief an<br />

die Bürgerschaft und warf der Justiz »Ges<strong>in</strong>nungsverfolgung« und E<strong>in</strong>griff »<strong>in</strong> die<br />

Kompetenz des Parlaments« vor. 133<br />

Mit dem Urteil des Staatsgerichtshofes war der rechtliche Status der ehemaligen<br />

<strong>KPD</strong>-Abgeordneten dann gesichert. <strong>Die</strong> zweite Ausgabe der Weser-Post erschien<br />

daraufh<strong>in</strong> Ende Januar 1957 134 und ab diesem Zeitpunkt relativ regelmäßig etwa alle<br />

zwei Wochen.<br />

Schon das Geleitwort der ersten Ausgabe hatte deutlich gemacht, dass die Weser-Post<br />

ke<strong>in</strong>esfalls nur die Thematiken behandeln wollte, die <strong>in</strong> den Zuständigkeitsbereich<br />

der (Stadt-)Bürgerschaft fielen. Das Blatt wurde quasi e<strong>in</strong> legales Organ<br />

der illegalen <strong>KPD</strong>, vermutlich das e<strong>in</strong>zige <strong>in</strong> der gesamten Bundesrepublik. <strong>Die</strong> Artikel<br />

nahmen Stellung zu allen wesentlichen deutschland- und friedenspolitischen<br />

Entwicklungen. <strong>Die</strong> kommunalen Themen standen im H<strong>in</strong>tergrund und wurden <strong>in</strong><br />

gewohnter Manier mit den bundespolitischen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht.<br />

Auch <strong>in</strong> der eigentlichen Parlamentstätigkeit der US stand die Öffentlichkeitsarbeit<br />

für die <strong>KPD</strong> im Vordergrund. Politisch konnte die US ohneh<strong>in</strong> kaum etwas<br />

bewegen, zumal sie nur <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft vertreten, also von den wesentlichen<br />

landespolitischen Entscheidungen ausgeschlossen war. 135 <strong>Die</strong> Beschränkung<br />

129 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 1.<br />

130 Zum Geleit, Weser-Post, Mitteilungsblatt der Bürgerschaftsabgeordneten H. <strong>Die</strong>trich, H. Gautier, M.<br />

Krüger, W. Meyer-Buer, Nummer 1, Ende Oktober 1956 [Privatarchiv Hermann Gautier].<br />

131 StaB 3-B.1. Nr.94 (3).<br />

132 Auszug aus Senatsprotokoll vom 16. Oktober 1956, <strong>in</strong>: StaB 3-K.13. Nr.100.<br />

133 Offener Brief an alle Abgeordneten der Bremer Bürgerschaft und die Bevölkerung des Landes <strong>Bremen</strong> (18. Dezember<br />

1956), <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier.<br />

134 Weser-Post, Mitteilungsblatt der Bürgerschaftsabgeordneten H. <strong>Die</strong>trich, H. Gautier, M. Krüger, W.<br />

Meyer-Buer, Nummer 2, Ende Januar 1957 [Privatarchiv Hermann Gautier].<br />

135 Allerd<strong>in</strong>gs bekam die Gruppe der US von der Bürgerschaftsverwaltung auch die Materialien des Landtags<br />

zugeschickt. Hermann Gautier führt dies auf das Wohlwollen des sozialdemokratischen Bürgerschaftspräsidenten<br />

August Hagedorn zurück, der immer alles getan habe, »um unsere Lage nicht noch<br />

weiter zu erschweren« (Interview Hermann Gautier, 3).


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 327<br />

auf re<strong>in</strong> kommunalpolitische Themen h<strong>in</strong>derte die US jedoch nicht daran, auch und<br />

<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie bundespolitische Thematiken zu behandeln. »<strong>Die</strong> konnten uns e<strong>in</strong><br />

Thema h<strong>in</strong>legen, was sie wollten: Wir haben immer die große Politik da re<strong>in</strong>gebracht.«<br />

136 Besonders die Haushalts- und F<strong>in</strong>anzdebatten der Stadtbürgerschaft<br />

nutzte die US für allgeme<strong>in</strong>politische Reden. »<strong>Die</strong> F<strong>in</strong>anzlage <strong>Bremen</strong>s und damit<br />

die Lebensfähigkeit dieses ohneh<strong>in</strong> schon zur Kritik veranlassenden Haushalts<br />

wird von zwei Seiten bee<strong>in</strong>flusst: von der krisenhaften Entwicklung der kapitalistischen<br />

Wirtschaft, die auch die Bundesrepublik erfasst hat, und zweitens durch die<br />

Aufrüstungspolitik der Bundesregierung«, sagte Wilhelm Meyer-Buer anlässlich<br />

der Haushaltsdebatte 1958 und umriss damit präzise die <strong>in</strong>haltlichen Schwerpunkte<br />

der US. 137 Der Haushalt <strong>Bremen</strong>s lasse sich nur durch Kürzung der Zahlungen an<br />

die »Bonner Rüstungskasse« sanieren: »E<strong>in</strong>e wesentliche Verbesserung unseres Etats<br />

ist durch ke<strong>in</strong> anderes Mittel zu erreichen als durch solche Maßnahmen, die die<br />

verhängnisvolle Aufrüstung Westdeutschlands stoppen und die atomare Bewaffnung<br />

verh<strong>in</strong>dern.« 138 <strong>Die</strong> Haushaltsreden, die Wilhelm Meyer-Buer und Hermann<br />

Gautier für die US 1957 bis 1959 hielten, wurden zu großen wirtschaftlichen und<br />

politischen Grundsatzerörterungen (»Gestatten Sie mir, der eigentlichen Analyse<br />

unseres Haushalts e<strong>in</strong>ige allgeme<strong>in</strong>e Darlegungen der westdeutschen Haushaltswirtschaft<br />

vorauszuschicken«) 139, die <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie der öffentlichen Verbreitung<br />

politischer Inhalte der <strong>KPD</strong> dienen sollten und auch nur konnten. Ähnlich war es<br />

mit den von der US zahlreich gestellten Änderungsanträgen zum Haushalt, die <strong>in</strong><br />

der Regel von der Stadtbürgerschaft erst gar nicht verhandelt wurden. Richard Boljahn,<br />

Fraktionsvorsitzender der SPD, dazu <strong>in</strong> der Haushaltsdebatte 1958: »Sie werden<br />

sich gewundert haben, dass me<strong>in</strong>e politischen Freunde zu den Anträgen der<br />

US-Gruppe ke<strong>in</strong>e Stellung genommen haben. E<strong>in</strong>e Überschlagsrechnung von mir<br />

hat ergeben, dass die Anträge, die die US-Gruppe <strong>in</strong> der Stadtbürgerschaft gestellt<br />

hat, an Ausgaben e<strong>in</strong>e Summe von 16.212.500 DM ergeben.« Das, so Boljahn, unterstreiche<br />

den »unmöglichen S<strong>in</strong>n« der gestellten Anträge, die US könne nicht <strong>in</strong><br />

Anspruch nehmen, <strong>in</strong> der Öffentlichkeit noch ernst genommen zu werden. 140<br />

Bei aller Kont<strong>in</strong>uität der Thematiken und der primären Nutzung des Parlaments<br />

als öffentliches Agitationsforum vermied die US jedoch weitgehend die rhetorische<br />

Schärfe und offensichtliche Plumpheit der Argumentation der Jahre nach<br />

1951. Sie setzte damit die auf stärkere E<strong>in</strong>beziehung kommunaler Themen orientierte<br />

parlamentarische L<strong>in</strong>ie seit 1954 fort. Dass die parlamentarische Tätigkeit dabei<br />

durchaus e<strong>in</strong>en eigenständigen Stellenwert besaß und ernst genommen wurde,<br />

136 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 1.<br />

137 Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft (Stadtbürgerschaft), 26. März 1958, S. 24.<br />

138 Ebenda.<br />

139 Wilhelm Meyer-Buer <strong>in</strong> der Haushaltsdebatte 1957 (Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft<br />

(Stadtbürgerschaft) 28. März 1957, S. 18).<br />

140 Ebenda.


328<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

zeigten vor allem die schulpolitischen Beiträge von Maria Krüger, die sehr sachlich<br />

und fundiert waren. 141<br />

Dennoch hatte die US vor allem als legales Forum der verbotenen <strong>KPD</strong> Bedeutung,<br />

zumal die Abgeordneten natürlich ihren Status nutzen und auch außerhalb<br />

des Parlaments agieren, Veranstaltungen und Versammlungen <strong>org</strong>anisieren oder<br />

Flugblätter verteilen konnten. Dass der Öffentlichkeit bekannt war, dass diese Abgeordneten<br />

Kommunisten waren, war dabei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong>dernis, sondern<br />

eher noch förderlich. Hermann Gautier veranschaulichte dies auf e<strong>in</strong>er Parteivorstandssitzung<br />

anhand der Verteilung von Flugblättern vor Bremer Betrieben:<br />

»Wir machen das immer so, dass wir vier uns aufteilen: e<strong>in</strong>er geht zur AG Weser, e<strong>in</strong> anderer<br />

zum Hafen, der dritte zur Werft, der letzte zu Seebeck <strong>in</strong> Bremerhaven. Wenn wir dann sagen,<br />

dass sich die Bürgerschaft gegen die Atomrüstung aussprechen soll, dann kommen sie alle an<br />

und sagen: Endlich mal wieder die Kommunisten! Da gibt es natürlich auch e<strong>in</strong>ige, die mich<br />

persönlich kennen, die zu mir sagen: Lebste auch noch? Wie geht dir's denn?« 142<br />

Das war sicher e<strong>in</strong>e idealtypische Schilderung, gibt aber dennoch treffend die<br />

Atmosphäre <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und den Handlungsspielraum der <strong>in</strong> der Stadt als Kommunisten<br />

bekannten Abgeordneten wieder. Aus dieser Bedeutung der besonderen legalen<br />

Möglichkeiten ergab sich e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle der illegalen Partei<strong>org</strong>anisation,<br />

die aber andererseits auch von dem Abgeordnetenstatus der Mitglieder<br />

der US-Gruppe profitierte. Versammlungen mit Abgeordneten der Bürgerschaft<br />

konnten schwerlich als e<strong>in</strong> Treffen der verbotenen <strong>KPD</strong> ausgelegt werden. Auch<br />

dies nutzte die Partei. In der Weser-Post wurden gar regelmäßige »Bürostunden« -<br />

unter Angabe der Uhrzeiten - der vier Abgeordneten <strong>in</strong> der Privatwohnung von<br />

Maria Krüger angekündigt, <strong>in</strong> denen »Auskünfte für alle Interessenten <strong>in</strong> sozialen,<br />

kommunalen und politischen Fragen erteilt« werden sollten. 143 E<strong>in</strong> besseres legales<br />

Kontaktforum für <strong>KPD</strong>-Mitglieder war gar nicht denkbar.<br />

<strong>Die</strong> politische Wirkung der US <strong>in</strong> der Bürgerschaft blieb freilich ger<strong>in</strong>g. Den Akteuren<br />

selbst war dies bewusst. Hermann Gautiers E<strong>in</strong>schätzungen auf Parteivorstandstagungen<br />

waren zwar positiv, aber sehr verhalten. »Ich glaube«, so Gautier<br />

im Mai 1958, »dass die Herausgabe unserer Zeitung und damit also die Tatsache,<br />

dass wir eben da s<strong>in</strong>d [sic!] als ehemals bekannte Kommunisten, doch e<strong>in</strong>en gewissen<br />

E<strong>in</strong>fluss ausgeübt hat«. 144 Nüchterner und <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>schätzung der Effektivität<br />

der legalen Auftrittsmöglichkeiten wohl auch realistischer waren Kommentare anderer<br />

ZK-Mitglieder: »In <strong>Bremen</strong> haben wir noch 4 Genossen im Geme<strong>in</strong>deparlament.<br />

Hat unsere Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> ihr Gesicht besser gezeigt als anderswo? Ich<br />

glaube, das kann man nicht sagen«. 145<br />

141 Siehe z.B. Wir brauchen mehr Lehrer <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, Weser-Post, Nummer 7, Ende Juli 1957 [Privatarchiv<br />

Hermann Gautier].<br />

142 Stenographische Niederschrift der 8. Tagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands<br />

[Januar 1958], <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/251, S. 133.<br />

143 Siehe z.B. Weser-Post, Nummer 2, Ende Januar 1957 [Privatarchiv Hermann Gautier].<br />

144 Protokoll der 9. Tagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands, Mitte Mai 1958, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO DY IV 2/10.03/252.<br />

145 Stenographische Niederschrift der 7. Tagung des ZK der <strong>KPD</strong> am 28. und 29.9. 1957, <strong>in</strong>:SAPMODYIV<br />

2/10.03/250.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 329<br />

E<strong>in</strong> neues legales Forum: <strong>Die</strong> »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für<br />

Frieden und Verständigung«<br />

1959 endete die Legislaturperiode der Bremischen Bürgerschaft, und es war absehbar,<br />

dass die Abgeordneten der US alle<strong>in</strong>e ke<strong>in</strong>e Chance haben würden, wieder <strong>in</strong><br />

das Landes- und Stadtparlament e<strong>in</strong>zuziehen. Schon die Zulassung zur Wahl am<br />

11. Oktober 1959 war unwahrsche<strong>in</strong>lich. <strong>Die</strong> parlamentarische Präsenz war aber natürlich<br />

trotz ihrer politischen Bedeutungslosigkeit als legales Öffentlichkeitsforum<br />

für die Partei wichtig und daher erhaltenswert. Darüber h<strong>in</strong>aus bot der Bürgerschaftswahlkampf<br />

e<strong>in</strong>e weitere gute Gelegenheit, programmatische Inhalte der Partei<br />

publik zu machen. Möglich war dies nur mit Bündnispartnern, speziell aus der<br />

nichtkommunistischen Friedensbewegung. Auch um hier wieder präsent zu se<strong>in</strong>,<br />

bot sich der Versuch e<strong>in</strong>er Sammlungsbewegung anlässlich der Wahl an.<br />

<strong>Die</strong> Initiative zur Gründung e<strong>in</strong>es friedens- und damit bundespolitisch orientierten<br />

Wahlbündnisses zur Bürgerschaftswahl g<strong>in</strong>g nicht von den Bremer Abgeordneten<br />

der <strong>KPD</strong> aus, sondern von der Parteileitung <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong>. Das Politbüro<br />

beschloss am 26./27. Juni 1959, <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> (und für die ebenfalls bevorstehenden<br />

Landtagswahlen <strong>in</strong> Württemberg) »e<strong>in</strong>e Sammlung aller Gegner der CDU-Politik<br />

und der atomaren Aufrüstung zu erreichen, um durch geme<strong>in</strong>same Wahlabmachungen<br />

die Voraussetzungen zu schaffen, die Prozentklauseln zu überw<strong>in</strong>den und<br />

den Befürwortern e<strong>in</strong>er neuen demokratischen Politik den Weg <strong>in</strong> die Parlamente<br />

zu ermöglichen«. 146 Der Beschluss basierte auf e<strong>in</strong>er Vorlage, die detailliert die e<strong>in</strong>zuleitenden<br />

Maßnahmen sowie Programmatik und Wahltaktik der zu gründenden<br />

»Wählervere<strong>in</strong>igung« festlegte. 147 <strong>Die</strong> aufgelisteten programmatischen Forderungen<br />

behandelten primär friedens- und deutschlandpolitische Aspekte, ganz oben<br />

standen die »Durchsetzung e<strong>in</strong>er Politik der Entspannung und des Friedens <strong>in</strong> der<br />

Bundesrepublik« sowie »die E<strong>in</strong>stellung der atomaren Bewaffnung der Bundesrepublik«.<br />

148 Auch die Schritte zur Gründung e<strong>in</strong>es dafür e<strong>in</strong>tretenden Wahlbündnisses<br />

nannte die Vorlage. <strong>Die</strong> »Unabhängigen Sozialisten« sollten sich mit e<strong>in</strong>em Brief<br />

an verschiedene Organisationen, Betriebsräte und E<strong>in</strong>zelpersönlichkeiten wenden<br />

mit dem »Vorschlag auf Durchführung e<strong>in</strong>er Aussprache zwecks geme<strong>in</strong>samen<br />

Auftretens bei der kommenden Wahl gegen die Bonner Politik und ihre Träger <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> und Bremerhaven. [...] Nachdem die Zustimmungserklärungen bei der<br />

Gruppe der Unabhängigen Sozialisten vorliegen, soll von ihnen die E<strong>in</strong>berufung<br />

e<strong>in</strong>er solchen Aussprache erfolgen«. 149 <strong>Die</strong>se erste Versammlung sollte die »allgeme<strong>in</strong>en<br />

Grundsätze« behandeln sowie den Beschluss für »die Bildung e<strong>in</strong>er Wählervere<strong>in</strong>igung«<br />

fassen. E<strong>in</strong>e »zweite Zusammenkunft« sollte das Wahlprogramm<br />

beschließen und die Kandidaten aufstellen. 150<br />

146 Sitzung PB 26./27. Juni 1959, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/257.<br />

147 Vorlage: Vorbereitung der Bürgerschaftswahl <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> und der Geme<strong>in</strong>devertretung <strong>in</strong> Bremerhaven, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO DY IV 2/10.03/257.<br />

148 Ebenda.<br />

149 Ebenda.<br />

150 Ebenda.


330<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

ExaktnachdiesemPlanverliefdann<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>dieGründungder»Bremer<br />

Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für Frieden und Verständigung«.<br />

Wilhelm Meyer-Buer schrieb mit Datum vom 14. Juli 1959 - gut zwei Wochen nach<br />

dem Beschluss des Politbüros - den Brief an die verschiedenen Organisationen der<br />

Friedensbewegung und an mehrere E<strong>in</strong>zelpersonen. 151 Es gehe bei den Wahlen, so<br />

Meyer-Buer, vorrangig nicht um landes- oder kommunalpolitische Themen, da diese<br />

»aufs engste verbunden« seien mit der von atomarer Aufrüstung bestimmten<br />

Entwicklung <strong>in</strong> Westdeutschland und der gesamtdeutschen Situation. »Ob unsere<br />

spezifischen bremischen Belange ihre Befriedigung f<strong>in</strong>den, hängt <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie davon<br />

ab, dass es gel<strong>in</strong>gt, für die Zukunft e<strong>in</strong>e Atmosphäre des gesicherten Friedens<br />

zu schaffen.« 152 <strong>Die</strong> Bürgerschaftswahlen, so Meyer-Buer weiter, »könnten aufgrund<br />

aller äußeren und <strong>in</strong>neren Umstände zu e<strong>in</strong>em Bekenntnis der Bevölkerung<br />

des Landes <strong>Bremen</strong> für e<strong>in</strong>e Veränderung der Politik <strong>in</strong> der Bundesrepublik werden.<br />

<strong>Die</strong> notwendigste Voraussetzung dazu wäre, dass sich die konsequentesten<br />

Gegner der gegenwärtigen Bonner Politik zusammenschließen«. 153 <strong>Die</strong>se bräuchten<br />

<strong>in</strong> anderen Fragen nicht übere<strong>in</strong> zustimmen und könnten ihre volle Selbständigkeit<br />

wahren, notwendig sei jedoch vor den Bürgerschaftswahlen e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches Auftreten<br />

und die Koord<strong>in</strong>ierung der verschiedenen Bestrebungen. Weitere konkrete<br />

Schritte waren <strong>in</strong> dem Schreiben noch nicht genannt. Meyer-Buer schloss mit der<br />

Bemerkung, es liege ihm viel daran, »Ihre Gedanken zu dem angesprochenen Thema<br />

kennenzulernen. <strong>Die</strong> absichtlich unprogrammatische Darlegung e<strong>in</strong>es auch Sie<br />

<strong>in</strong>teressierenden Gegenstandes wird es Ihnen leichter machen, sich zu äußern und<br />

mir Ihre eigene Auffassung mitzuteilen«. 154<br />

Genau e<strong>in</strong>en Monat später, am 14. August, folgte - wie <strong>in</strong> der Vorlage des Politbüros<br />

geplant - das zweite Schreiben mit der E<strong>in</strong>ladung zu e<strong>in</strong>er vorbereitenden<br />

Versammlung. Absender war wiederum Wilhelm Meyer-Buer, gezeichnet hatten<br />

daneben auch der Tierarzt Dr. Erich Jacob, die Sozialrichter<strong>in</strong> Käthe Gläsemann<br />

sowie der Werftarbeiter Walter Oberle. 155 Man habe sich entschlossen, »die Bildung<br />

e<strong>in</strong>er Wählervere<strong>in</strong>igung anzustreben«, »um den Gegnern der Atompolitik und allen<br />

Anhängern der Verständigung e<strong>in</strong>en festen Platz <strong>in</strong> der Bürgerschaft zu sichern«.<br />

156<br />

Nach der vorbereitenden Versammlung und der Bildung e<strong>in</strong>es provisorischen<br />

Vorstands am 20. August 1959 fand am 27. August 1959 die ordentliche Gründungsversammlung<br />

der »Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für Frie-<br />

151 Brief: Wilhelm Meyer-Buer, 14. Juli 1959, <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier. Außerdem <strong>in</strong>: StaB 7,1076-<br />

1. Vgl. hierzu und dem folgenden auch Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S.<br />

199ff.<br />

152 Brief: Wilhelm Meyer-Buer, 14. Juli 1959, <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier.<br />

153 Ebenda.<br />

154 Ebenda.<br />

155 Brief: Wilhelm Meyer-Buer, 14. August 1959, <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier. Walter Oberle war<br />

Mitglied der <strong>KPD</strong>.<br />

156 Ebenda.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 331<br />

den und Verständigung« statt. 157 <strong>Die</strong> anwesenden 38 Gründungsmitglieder wählten<br />

den parteilosen Tierarzt Dr. Erich Jacob zum 1. Vorsitzenden und Wilhelm<br />

Meyer-Buer zu se<strong>in</strong>em Stellvertreter. Weiterh<strong>in</strong> wurde e<strong>in</strong> Statut 158 verabschiedet<br />

und e<strong>in</strong>e Kandidatenliste für die Bürgerschaftswahlen aufgestellt, der auch die vier<br />

Abgeordneten der US angehörten. In dem außerdem verabschiedeten, zehn Punkte<br />

umfassenden Programm zur Bürgerschaftswahl wurde <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die E<strong>in</strong>stellung<br />

der atomaren Aufrüstung der Bundesrepublik, die Beendigung des Kalten<br />

Krieges und die Beschränkung der Rüstungsausgaben gefordert. Daneben wurden<br />

aber auch soziale Maßnahmen wie Wohnungsbau, Bau von Schulen und Krankenhäusern<br />

und - als letzter Punkt - »Senkung der Steuern und Preise« verlangt. 159<br />

Von ihrer Gründung bis zur Wahl am 11. Oktober 1959 blieben der Wählervere<strong>in</strong>igung<br />

gerade e<strong>in</strong>mal sechs Wochen Zeit. Der kurze Wahlkampf wurde dennoch<br />

engagiert und mit verhältnismäßig großem materiellen Aufwand geführt. 160 Das<br />

Ergebnis der Wahl war für die Wählervere<strong>in</strong>igung und die sie tragende illegale<br />

<strong>KPD</strong> enttäuschend: Sie erzielte e<strong>in</strong>en Stimmenanteil von 2,6 Prozent, das entsprach<br />

10.153 Wählerstimmen, und kam nicht <strong>in</strong> die Bürgerschaft.<br />

Das Ergebnis zeigte, dass es der Wählervere<strong>in</strong>igung mit ihrer sozialistische Inhalte<br />

aussparenden Programmatik nur sehr begrenzt gelang, die rund 17.000 <strong>KPD</strong>-<br />

Wähler von 1955 für sich für sich zu gew<strong>in</strong>nen und zu mobilisieren. Deutlich wird<br />

dies vor allem <strong>in</strong> den klassischen Arbeiterbezirken <strong>Bremen</strong>s, die ehemals Hochburgen<br />

der <strong>KPD</strong> waren. In den Ortsteilen Osterfeuerberg, Gröpel<strong>in</strong>gen und Oslebshausen<br />

erzielte die Wählervere<strong>in</strong>igung zwischen 5,5 und 7,0 Prozent der Stimmen. 161<br />

<strong>Die</strong>s waren zwar im Vergleich zu den anderen Ortsteilen die höchsten Stimmenanteile,<br />

das Ergebnis der <strong>KPD</strong> bei den Wahlen von 1955 (zwischen 11,8 und 13,8 Prozent)<br />

konnte die Wählervere<strong>in</strong>igung damit jedoch nicht annähernd erreichen. 162 E<strong>in</strong><br />

Großteil der ehemaligen <strong>KPD</strong>-Stimmen dürfte der SPD zugute gekommen se<strong>in</strong>, die<br />

ihren Anteil <strong>in</strong> den genannten Ortsteilen im Vergleich zu 1955 beträchtlich steigern<br />

konnte. 163<br />

157 Protokoll der ordentlichen Gründungsversammlung der »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung,<br />

für Frieden und Verständigung« am 27.8.59, <strong>in</strong>: StaB 7,1076-1.<br />

158 Statut der »Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für Frieden und Verständigung«, <strong>in</strong>: Privatarchiv<br />

Hermann Gautier.<br />

159 Programm der Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für Frieden und Verständigung, abgedruckt <strong>in</strong>:<br />

Christoph Butterwegge et al. (Hrsg.), <strong>Bremen</strong> im Kalten Krieg, a.a.O., S. 218f.<br />

160 Siehe diverse Plakate, Flugblätter und Broschüren <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier; vgl. auch Christoph<br />

Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 201f.<br />

161 Materialien Statistisches Landesamt <strong>Bremen</strong> (Wahlamt).<br />

162 Auch wenn das Ergebnis immer noch durchaus als Indiz für den vergleichsweise langsamen Niedergang<br />

der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> gedeutet werden kann (vgl. Andreas Voigt, nach dem Verbot, a.a.O., S. 44<br />

und S. 134).<br />

163 In Osterfeuerberg von 59,3 auf 68,2 Prozent, <strong>in</strong> Gröpel<strong>in</strong>gen von 58,6 auf 68,8 Prozent und <strong>in</strong> Oslebshausen<br />

von 62,2 auf 70,8 Prozent (Materialien Statistisches Landesamt <strong>Bremen</strong>). Hermann Gautier<br />

vermutet ebenfalls, dass »ganz bewusste <strong>KPD</strong>-Wähler« 1959 SPD wählten, um zum e<strong>in</strong>en angesichts<br />

der vermuteten Erfolglosigkeit der Wählervere<strong>in</strong>igung ihrer Stimme mehr Gewicht gegen »die<br />

Schwarzen« zu verleihen, und weil ihnen zum anderen die Programmatik der Wählervere<strong>in</strong>igung zu<br />

sehr auf friedenspolitische Aspekte konzentriert war (Interview Hermann Gautier, 3).


332<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> sah den Wahlausgang dennoch als Erfolg. »Freies Volk«, das Organ<br />

des Zentralkomitees, wertete den klaren Wahlsieg der SPD (die mit 54,9 Prozent ihr<br />

bis dah<strong>in</strong> höchstes Ergebnis <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> erzielt hatte) als e<strong>in</strong>e Absage an die Bonner<br />

Regierungspolitik, was die Bremer Sozialdemokraten verpflichte, »die Herrschaft<br />

Adenauers <strong>in</strong> Bonn schonungslos anzugreifen«. 164 Ähnlich äußerte sich später auch<br />

die Wählervere<strong>in</strong>igung und wertete die »trotz Benachteiligung« erzielten rund<br />

10.000 Wählerstimmen als »positives Resultat«. 165<br />

<strong>Die</strong> Wählervere<strong>in</strong>igung sollte »e<strong>in</strong> überparteilicher Zusammenschluss von<br />

Männern und Frauen aus verschiedenen politischen und weltanschaulichen Richtungen«<br />

166 se<strong>in</strong>, blieb aber tatsächlich auf die <strong>KPD</strong> und ihr engstes Umfeld beschränkt.<br />

Und nicht e<strong>in</strong>mal das konnte genügend mobilisiert werden: <strong>Die</strong> Mitgliederzahlen<br />

blieben ger<strong>in</strong>g, 167 und für die Unterstützung des Wahlkampfes konnten<br />

auch nur wenige Kommunisten gewonnen werden. 168 Unter den Bed<strong>in</strong>gungen des<br />

Kalten Krieges war daher e<strong>in</strong> Erfolg der Wählervere<strong>in</strong>igung eigentlich von vornhere<strong>in</strong><br />

ausgeschlossen, auch wenn die nach nur kurzer Vorbereitungszeit erzielten<br />

10.000 Stimmen zum<strong>in</strong>dest als Achtungserfolg angesehen werden konnten. Politisches<br />

Gewicht auf parlamentarischer Ebene und <strong>in</strong>nerhalb der Friedensbewegung<br />

konnte die <strong>KPD</strong> wie mit den vorangegangenen Bündnisbestrebungen und der Bürgerschaftspräsenz<br />

der »Unabhängigen Sozialisten« nicht gew<strong>in</strong>nen.<br />

Ihre primäre Bedeutung lag denn auch vielmehr <strong>in</strong> der Möglichkeit für die<br />

<strong>KPD</strong>, bzw. für die vier Abgeordneten der US und andere Kommunisten, an den<br />

Wahlen teilzunehmen und im Wahlkampf offen auftreten zu können. Von daher ist<br />

die »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für Frieden und Verständigung«<br />

im wesentlichen als Öffentlichkeitsforum und lokale Ersatz<strong>org</strong>anisation<br />

und der verbotenen <strong>KPD</strong> zu charakterisieren. Als solche war sie offenbar gedacht,<br />

169 und als solche arbeitete sie auch <strong>in</strong> der Folgezeit weiter. Sie wurde <strong>in</strong> den<br />

1960er Jahren zu e<strong>in</strong>er legalen Plattform der verbotenen Partei <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. <strong>Die</strong> Wählervere<strong>in</strong>igung<br />

veranstaltete Versammlungen und Kundgebungen, brachte Erklärungen<br />

heraus und beschränkte sich dabei nicht auf rüstungspolitische Themen. 170<br />

Nicht-Kommunisten zogen sich offenbar aus der Organisation zurück. Vorsitzende<br />

wurden mit Walter Oberle und Wilhelm Meyer-Buer zwei <strong>KPD</strong>-Mitglieder. Im Zuge<br />

der allmählichen Verbesserung des politischen Klimas ab Mitte der 1960er Jahre<br />

traten auf den nun sehr häufig veranstalteten öffentlichen Versammlungen aus-<br />

164 Von <strong>Bremen</strong> müssen jetzt starke Impulse ausgehen, Freies Volk Nr. 42, 3. Oktober-Woche 1959 (zitiert nach<br />

Andreas Voigt, Nach dem Verbot, a.a.O., S. 43).<br />

165 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 203.<br />

166 Für e<strong>in</strong>e friedliche Zukunft, Wahlbroschüre der »Wählervere<strong>in</strong>igung« zur Bürgerschaftswahl 1959, <strong>in</strong>:<br />

StaB 7,1076-1.<br />

167 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 201.<br />

168 Interview Wilhelm Meyer-Buer, 1.<br />

169 Wilhelm Meyer-Buer spricht denn auch von dem »negativen Abschneiden unserer Partei 1959« und<br />

von den Bemühungen, »wieder anzuknüpfen an die Periode vor dem Verbot der Partei«. (Interview<br />

Wilhelm Meyer-Buer, 1).<br />

170 Siehe z.B. die Erklärung der »Wählervere<strong>in</strong>igung« zur B<strong>org</strong>ward-Krise 1961 <strong>in</strong> Neues Echo 9/1961<br />

(Beilage).


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 333<br />

schließlich bekannte <strong>KPD</strong>-Mitglieder als Redner auf (Wilhelm Meyer-Buer, Hermann<br />

Gautier, Ulrich Konetzka, Herbert Breidbach, Maria Krüger). 171 Ohneh<strong>in</strong><br />

wurde ab 1961 der bündnispolitische Aspekt der Wählervere<strong>in</strong>igung mit der Gründung<br />

der »Deutschen Friedensunion« (DFU) obsolet.<br />

Insgesamt markiert die Gründung der Wählervere<strong>in</strong>igung trotz ihrer politischen<br />

Wirkungslosigkeit e<strong>in</strong>en Wendepunkt <strong>in</strong> der illegalen Arbeit der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong>, der es bis zu diesem Zeitpunkt - trotz der Existenz der US, die ja ke<strong>in</strong>e politische<br />

Organisation im eigentlichen S<strong>in</strong>ne darstellte - im wesentlichen nicht gelungen<br />

war, sich breitere legale politische Betätigungsfelder zu schaffen, und somit auf<br />

die weitgehend wirkungslose illegale Tätigkeit beschränkt blieb. <strong>Die</strong>s begann sich<br />

mit Beg<strong>in</strong>n der 1960er Jahre langsam zu ändern.<br />

4. Betriebsgruppen und Gewerkschaftspolitik 1956-<strong>1968</strong><br />

Der politischen Arbeit <strong>in</strong> den Betrieben und Gewerkschaften maß die <strong>KPD</strong> auch <strong>in</strong><br />

der Illegalität e<strong>in</strong>e zentrale Rolle bei. In den Thesen des illegalen Parteitages von<br />

1957 hieß es:<br />

»Der wichtigste Kampfplatz für die Kommunisten s<strong>in</strong>d die Betriebe, vor allem die Großbetriebe;<br />

denn hier wird die Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischen Kapital und Arbeit am unmittelbarsten<br />

geführt. Darum muss man entschieden allen Tendenzen der Verlagerung der Parteiarbeit<br />

aus den Wohngebieten entgegentreten, da das die Gefahr der Isolierung der Partei von entscheidenden<br />

Arbeiterschichten bedeutet.« 172<br />

E<strong>in</strong> solcher Anspruch stand freilich im Gegensatz zu dem bereits vor dem Verbot<br />

massiven E<strong>in</strong>flussverlust der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Betrieben sowie dem meist schlechten<br />

Zustand der Betriebsgruppen und ihrem starken Mitgliederverlust. <strong>Die</strong> Formulierung<br />

<strong>in</strong> der Parteitagsthese deutete schon an, dass sich Kommunisten nach dem<br />

Verbot nicht an ihrem Arbeitsplatz, sondern - wenn überhaupt - <strong>in</strong> ihren Wohngebietsgruppen<br />

politisch engagierten, e<strong>in</strong>e Tendenz, die ja auch schon vor dem Verbot<br />

zu beobachten war und die jetzt unter den verschärften Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität<br />

die Betriebsgruppen auf den letzten »harten Kern« der Mitgliedschaft reduzierte.<br />

Der Verzicht auf politische Aktivität im Betrieb für die <strong>KPD</strong> war verständlich. E<strong>in</strong>e<br />

kommunistische Betätigung im Betrieb war für den E<strong>in</strong>zelnen wesentlich gefährlicher<br />

als die oft eher im kle<strong>in</strong>en, privaten Rahmen bleibende Arbeit <strong>in</strong> den Wohngebieten:<br />

Wer sich im Betrieb der illegalen Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> verdächtig machte,<br />

musste mit dem Verlust se<strong>in</strong>es Arbeitsplatzes rechnen. 173 Der Rückzug war nicht<br />

171 Siehe z.B. Berichte über diverse öffentliche Versammlungen der Wählervere<strong>in</strong>igung 1966 <strong>in</strong> Neues Echo,<br />

November und Dezember 1966.<br />

172 Thesen des Parteitags der <strong>KPD</strong> 1957, a.a.O., S. 226.<br />

173 Wilhelm Meyer-Buer zur Mitgliederentwicklung: »Der Kalte Krieg und se<strong>in</strong>e Kampagne wirkte sich<br />

besonders stark <strong>in</strong> den Betrieben aus, und viele Genossen fürchteten natürlich, durch exponiertes Auf-


334<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

auf die erste, vielleicht noch durch Unsicherheit geprägte Zeit nach dem Verbot beschränkt.<br />

1957 monierte die Tribüne der Demokratie: »Es gibt <strong>in</strong> unserem Land immer<br />

noch Betriebe, und nicht nur Kle<strong>in</strong>betriebe, <strong>in</strong> denen mehrere Genossen arbeiten,<br />

ohne Kontakt untere<strong>in</strong>ander zu haben. Wie kann das angehen? Manche Genossen<br />

s<strong>in</strong>d immer noch der Me<strong>in</strong>ung, dass ihre Arbeit <strong>in</strong> der Wohngruppe nützlicher<br />

ist.« 174<br />

In den folgenden Jahren änderte sich dieses Bild nicht. Während der gesamten<br />

IllegalitäthattenauchdiegrößtenBetriebsgruppen<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>nichtmehralszehn<br />

bis 15 Mitglieder. E<strong>in</strong>ige aus den vorliegenden Quellen ersichtliche Zahlen belegen<br />

dies. Demnach waren bei B<strong>org</strong>ward 1961 sieben <strong>KPD</strong>-Mitglieder erfasst, 175 die AG-<br />

»Weser« Betriebsgruppe hatte 1962 noch 14 Mitglieder, 176 und die Hafenbetriebsgruppe<br />

bezifferte ihre Mitgliederstärke auf zwölf 177. Auf der Klöckner-Hütte wurde<br />

erst 1962 e<strong>in</strong>e Betriebsgruppe mit fünf Mitgliedern gegründet. 178<br />

Zu der personellen Ausdünnung h<strong>in</strong>zu kamen <strong>in</strong> der ersten Zeit nach dem Verbot<br />

die für die gesamte Partei wirksamen Probleme bei der Organisationsumstellung<br />

und die mangelnde Unterstützung durch die illegalen und ortsfremden Leitungen.<br />

Noch e<strong>in</strong> Jahr nach dem Verbot empfahl die Tribüne der Demokratie den Leitungs<strong>org</strong>anen,<br />

der Betriebsarbeit mehr Aufmerksamkeit zu schenken: »[...] auch<br />

unsere Leitungen haben oftmals versäumt, die Genossen davon zu überzeugen,<br />

dass ihr Aufgabengebiet der Betrieb ist [....] Auch muss die Landesleitung besser<br />

die Arbeit <strong>in</strong> den Betrieben anleiten und mehr die Betriebsfragen <strong>in</strong> den Mittelpunkt<br />

rücken.« 179<br />

Trotz dieser Schwierigkeiten kamen die ersten öffentlichen Lebenszeichen der<br />

<strong>KPD</strong> nach dem Verbot aus den Betrieben. Bereits vier Wochen nach dem Verbot erschienen<br />

<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wieder die ersten Betriebszeitungen der <strong>KPD</strong>. Während der<br />

folgenden Jahre bis <strong>1968</strong> erschienen die meisten Betriebszeitungen selten und eher<br />

sporadisch. Ausnahme war »De Stauhoken« aus dem Bremer Hafen, wie e<strong>in</strong>e Aufstellung<br />

des SED-Arbeitsbüros von 1966 zeigt. 180<br />

treten <strong>in</strong> ihrem Betrieb ihre Arbeit zu verlieren, und s<strong>in</strong>d weggeblieben, e<strong>in</strong> ganz verständlicher V<strong>org</strong>ang.«<br />

(Interview Meyer-Buer, 1).<br />

174 Mehr Aufmerksamkeit für Betriebsfragen, Tribüne der Demokratie 17(24), 1. Hälfte August 1957.<br />

175 Information über die Aussprache des Politbüros des ZK der <strong>KPD</strong> mit den 1. Bezirkssekretären vom 13.9.1961, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO DY IV 2/10.03/55. Wilhelm Meyer-Buer schätzt die Zahl auf ca. 15 (Interview Meyer-Buer, 1).<br />

176 Aus der Beratung mit den 2. Sekretären (8. und 9.9.1962), <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/55.<br />

177 Bericht über e<strong>in</strong>e Aussprache mit Genossen vom Hafen <strong>Bremen</strong> am 5.10.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />

2/10.03./106.<br />

178 Auszüge aus e<strong>in</strong>em Brief der Leitung im Land vom 31.1.1962, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/105. Im Verlaufe<br />

der 1960er Jahre wuchs die Gruppe dann ungefähr auf das Niveau der anderen Großbetriebe. Herbert<br />

Breidbach schätzt, dass die Klöckner-Betriebsgruppe <strong>in</strong> etwa 17 bis 18 Mitglieder gehabt habe (Interview<br />

Herbert Breidbach, 1).<br />

179 Aus dem Leben der Partei, Tribüne der Demokratie 17(24), 1. Hälfte August 1957.<br />

180 Aufstellung der beim Arbeitsbüro e<strong>in</strong>gegangenen Betriebszeitungen der <strong>KPD</strong>, Stand April 1966, <strong>in</strong>: SAPMO IV<br />

2/10.03/134. Für das Jahr 1964 enthält die Liste ke<strong>in</strong>e Angaben. E<strong>in</strong>e andere Quelle gibt - ohne e<strong>in</strong>zelne<br />

Namensnennung - für dieses Jahr fünf verschiedene Betriebszeitungen mit <strong>in</strong>sgesamt 21 Ausgaben an,<br />

was <strong>in</strong> etwa dem Bild der übrigen Jahre entspricht (Anlage zur Sitzung vom 12.7.1967: Statistik Betriebszeitungen,<br />

Übersicht über die Entwicklung der Betriebszeitungen 1962-1966, <strong>in</strong>: SAPMO IV 2/10.03/66).


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 335<br />

Tabelle 8: Ersche<strong>in</strong>ungshäufigkeit von <strong>KPD</strong>-Betriebszeitungen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> 1959 bis 1965<br />

1959 1960 1961 1962 1963 1965<br />

De Stauhoken (Hafen) 7 4 6 16 12 12<br />

Der Knurrhahn (Fischereihafen<br />

Bremerhaven)<br />

6 - - 1 - -<br />

Werft-Echo (AG »Weser«) - 1 2 3 5 1<br />

Wir blenden auf (Seebeck-<br />

Werft, bis 1962 auch Vulkan-<br />

Werft)<br />

2 1 - 7 6 6<br />

Vulkanarbeiter (Vulkan-Werft) - - - 3 3 -<br />

Atlas-Echo (Atlas-Werke) - - 1 2 - -<br />

Bl<strong>in</strong>ker (Lloyd-Werke) - 3 3 - - -<br />

Sche<strong>in</strong>werfer (B<strong>org</strong>ward) - 2 - - - -<br />

Der Stahlwerker (Klöckner) - - - - - 1<br />

Bauarbeiter (Baubetriebe) - - - - 2 1<br />

<strong>Die</strong> Übersicht gibt die tatsächlichen Zahlen vermutlich nicht ganz genau wieder - es<br />

handelte sich um die beim SED-Arbeitsbüro <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gegangenen Zeitungen<br />

- wohl aber doch <strong>in</strong> der Tendenz. »De Stauhoken« war die e<strong>in</strong>zige <strong>in</strong> jedem Jahr regelmäßig<br />

ersche<strong>in</strong>ende Betriebszeitung der <strong>KPD</strong>, woraus sich schon e<strong>in</strong> Rückschluss<br />

auf die später noch zu behandelnde Stärke und Rolle der Partei im Hafen<br />

ziehen lässt. <strong>Die</strong> übrigen erschienen mehr oder weniger selten und weit weniger<br />

kont<strong>in</strong>uierlich. Zu den aufgelisteten kamen vermutlich vere<strong>in</strong>zelt ersche<strong>in</strong>ende<br />

Blätter aus kle<strong>in</strong>eren Betrieben. 181<br />

Unter den Bed<strong>in</strong>gungen der Illegalität war für Kommunisten <strong>in</strong> den Betrieben<br />

die Zusammenarbeit mit den übrigen Betriebs- und Interessensgruppen besonders<br />

wichtig. E<strong>in</strong> für die <strong>KPD</strong> selten positives Beispiel dafür war die Klöckner-Hütte, seit<br />

Mitte der 1950er Jahre e<strong>in</strong>er der größten Betriebe <strong>Bremen</strong>s. »Ob im Schmutzkatalog<br />

e<strong>in</strong> bestimmter Passus im S<strong>in</strong>ne der Arbeiter geregelt wird, da vertraten rechte und<br />

l<strong>in</strong>ke Sozialdemokraten sowie die Kommunisten die gleiche Auffassung«, beschreibt<br />

der Betriebsrat Bonno Schütter die Verhältnisse bei Klöckner. 182 Hier - wie<br />

auch schon im V<strong>org</strong>ängerwerk Norddeutsche Hütte - war mit Max Müller e<strong>in</strong><br />

Kommunist langjähriger Betriebsratsvorsitzender, unabhängig von parteipolitischen<br />

Mehrheitsverhältnissen und Ause<strong>in</strong>andersetzungen.<br />

181 Das Deutsche Industrie<strong>in</strong>stitut erwähnte für das Jahr 1960 zusätzlich zu den o.g. »Solidarität« (Textilbetriebe)<br />

und »E<strong>in</strong>e Zeitung für Automobil<strong>in</strong>dustrie«. <strong>Die</strong> SED- und <strong>KPD</strong>-Quellen nennen diese nicht<br />

(Deutsches Industrie<strong>in</strong>stitut [Hrsg.], Kommunistische Betriebs- und Ortszeitungen, [Berichte zu Gewerkschaftsfragen<br />

1/61], Köln 1961). E<strong>in</strong>e Aufstellung des SED-Arbeitsbüros von 1967 nennt zusätzlich<br />

noch »Wir bauen auf« (zwei Ausgaben) (Aufstellung der beim Arbeitsbüro e<strong>in</strong>gegangenen Betriebszeitungen<br />

der <strong>KPD</strong>, Januar-August 1967, <strong>in</strong>: SAPMO IV 2/10.03/134).<br />

182 Zitiert nach Arne Andersen und Uwe Kiupel, IG Metall <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 60. Erst <strong>1968</strong>/69 kam es zu<br />

größeren parteipolitischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen bei Klöckner (ebenda). Schütter selbst gehörte der<br />

Gruppe Arbeiterpolitik an.


336<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

Müllers E<strong>in</strong>fluss resultierte wie schon vor dem <strong>KPD</strong>-Verbot offenbar auf persönlicher<br />

Stärke und eben Kooperation. Klöckner sei damit, so Schütter, e<strong>in</strong>e Ausnahme<br />

von der sonstigen »ideologisch-politische(n) E<strong>in</strong>heit SPD/IG-Metall« gewesen,<br />

bei der das Parteibuch über den betrieblichen Aufstieg entschieden habe. Bei<br />

Klöckner habe sich »traditionell immer e<strong>in</strong>e gewisse L<strong>in</strong>ke« gehalten, »KP-Leute,<br />

die sich von der offiziellen L<strong>in</strong>ie ihrer Partei [...] wenig bee<strong>in</strong>flussen ließen. Genau<br />

genommen waren es e<strong>in</strong> Mann und e<strong>in</strong>e Frau, die sagten: ›Im Betrieb treten wir<br />

nicht als Kommunisten, sondern als Arbeiterfunktionäre auf, die versuchen, für die<br />

Kollegen was rauszuholen!‹«. 183 Dementsprechend existierte e<strong>in</strong>e <strong>KPD</strong>-<br />

Betriebsgruppe überhaupt erst seit 1962. 184 Über die Zahl der <strong>KPD</strong>-Mandate - die ja<br />

offenbar <strong>in</strong> diesem Fall nicht entscheidend waren - liegen kaum Angaben vor. Noch<br />

1961 vermerkte e<strong>in</strong>e Übersicht des Arbeitsbüros, bei Klöckner seien »erstmalig 2<br />

Genossen auf die Betriebsratsliste« gelangt. 1965 sprach allerd<strong>in</strong>gs Innensenator<br />

Hans Koschnick von »e<strong>in</strong>er gewissen Bedeutung im negativen S<strong>in</strong>ne« des Klöckner-<br />

Betriebsrats, da er »überwiegend mit KP-Anhängern« besetzt sei. 185<br />

Neben diesem Sonderfall konnte sich die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität nur im Hafen e<strong>in</strong>en<br />

großen E<strong>in</strong>fluss erhalten. Das häufige und regelmäßige Ersche<strong>in</strong>en der Betriebszeitung<br />

»De Stauhoken« deutet bereits auf e<strong>in</strong>e zum<strong>in</strong>dest stabile und e<strong>in</strong>flussreiche<br />

Position im Betrieb h<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe selbst war allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />

größer als die <strong>in</strong> anderen Bremer Großbetrieben: 1963 waren zwölf Parteimitglieder<br />

erfasst. 186<br />

<strong>Die</strong> Betriebszeitung, so e<strong>in</strong>ige Mitglieder der Gruppe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch <strong>in</strong> Ost-<br />

Berl<strong>in</strong>, »f<strong>in</strong>det im Betrieb meist Anklang und wird auch von den Arbeitern gelesen<br />

und weitergegeben. Der Mangel besteht dar<strong>in</strong>, dass die Mitarbeit an der Zeitung<br />

sehr schwach ist und der Inhalt der Zeitung oft von der Leitung alle<strong>in</strong> bestritten<br />

wird«. 187 Politisch war die Betriebsgruppe nicht aktiv. »Alle Diskussionen bei uns<br />

drehen sich ausschließlich um soziale und gewerkschaftliche Probleme im Hafen.<br />

Zur Diskussion über politische Fragen kommen wir nicht oder nur selten.« 188 Auch<br />

Schulungen gebe es nur selten und »die legalen Möglichkeiten, besonders die Schulung<br />

<strong>in</strong> der Gewerkschaft« würden »trotz guter Möglichkeiten für Diskussion und<br />

E<strong>in</strong>wirkung nicht genutzt«. 189 Der Verfasser des Berichts über das Gespräch mit der<br />

Betriebsgruppe vermerkte denn auch kritisch se<strong>in</strong>en »E<strong>in</strong>druck, dass sich die Genossen<br />

zu sehr illegal fühlen und nicht davon ausgehen, dass sie am sichersten<br />

183 Bonnos langer Marsch durch die »Hütte«. Bearbeitung e<strong>in</strong>es Interview-Textes vom 24. Februar 1970, <strong>in</strong>:<br />

Olaf D<strong>in</strong>né, Jochen Grünwaldt, Peter Kuckuk (Hrsg.), anno dunnemals - 68 <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>Bremen</strong> 1998, S.<br />

175-186, hier S. 175.<br />

184 Auszüge aus e<strong>in</strong>em Brief der Leitung im Land vom 31.1.1962, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/105.<br />

185 Polizei das letzte Mittel gegen illegales Wirken, Weser-Kurier, 24. September 1965.<br />

186 Bericht über e<strong>in</strong>e Aussprache mit den Genossen vom Hafen <strong>Bremen</strong> am 5.10.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />

2/10.03/106.<br />

187 Ebenda.<br />

188 Ebenda.<br />

189 Ebenda.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 337<br />

s<strong>in</strong>d, je mehr sie legal auftreten. E<strong>in</strong>e kollektive Arbeit <strong>in</strong> der Leitung gibt es kaum<br />

und dementsprechend erst recht nicht <strong>in</strong> der Betriebsgruppe«. 190<br />

Trotz dieser ›Mängel‹ der Betriebsgruppe konnte sich die <strong>KPD</strong> ihre im Hafen<br />

traditionell starke Stellung im Betriebsrat sichern. Dem 1960 gewählten 15-köpfigen<br />

Betriebsrat gehörten elf <strong>KPD</strong>-Mitglieder oder als Sympathisanten geltende Arbeiter<br />

an. <strong>Die</strong> Sozialdemokraten kamen auf lediglich drei Mandate. 191<br />

<strong>Die</strong> folgende Betriebsratswahl im Februar 1962 war begleitet von e<strong>in</strong>em massiven<br />

Wahlkampf der SPD, mit dem die starke <strong>KPD</strong>-Stellung gebrochen werden sollte.<br />

Initiator war das Bremer SPD-Betriebsgruppensekretariat unter der Leitung von<br />

Horst Stäcker. Man habe im Hafen, so Stäcker, »e<strong>in</strong>en erbitterten Kampf auszufechten«.<br />

Zwar sei der »E<strong>in</strong>fluss des KP-Stauhokens« durch die eigene Hafenarbeiterzeitung<br />

(»D<strong>in</strong> Maker«) zurückgedrängt worden, allerd<strong>in</strong>gs würden erst die Betriebsratswahlen<br />

»Aufschluss darüber geben, wie weit sich die sozialdemokratische<br />

Betriebsgruppe durchsetzen konnte. E<strong>in</strong>e weitere noch verbesserte Aufklärungsund<br />

Schulungsarbeit über die illegale KP-Arbeit wird auch <strong>in</strong> Zukunft unumgänglich<br />

se<strong>in</strong>.« 192 <strong>Die</strong> offensichtlich parteipolitisch und antikommunistisch motivierte<br />

Kampagne der SPD führte, so Stäcker später, zu »stürmischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

während des Wahlkampfes« 193 und war relativ erfolgreich. In dem neuen Betriebsrat<br />

hatte die SPD mit acht Mandaten die Mehrheit, vier Mandate g<strong>in</strong>gen an<br />

<strong>KPD</strong>-Mitglieder. 194 <strong>Die</strong> SPD zog im »D<strong>in</strong> Maker« e<strong>in</strong> triumphierendes Fazit:<br />

»<strong>Die</strong> Mehrheitsverhältnisse haben sich geändert, denn erstmals zog der alte kommunistische<br />

Trick nicht mehr, durch leere Versprechungen <strong>in</strong> den Betriebsversammlungen und mit Hilfe<br />

e<strong>in</strong>es verrosteten Stauhakens die Hafenarbeiter zu verdummen. Ihre demagogische Rechnung<br />

g<strong>in</strong>g nicht auf; die Kollegen ließen sich nicht übertölpeln. Das Ergebnis dieser Wahl zeigt<br />

deutlich, dass die bremischen Hafenarbeiter klar erkannt haben, dass die Freunde der Ulbricht-Mauer<br />

ke<strong>in</strong>e Vertreter von Freiheit, Demokratie und sozialem Fortschritt se<strong>in</strong> können.<br />

<strong>Die</strong> Maker haben mit ihrem Stimmzettel den Handlangern des unmenschlichen Zonen-<br />

Regimes die Quittung erteilt und statt dessen junge und bewährte Gewerkschafter gewählt,<br />

von denen sie überzeugt se<strong>in</strong> können, dass diese ihren Wählerauftrag konsequent und ohne<br />

jede Nebenabsicht vertreten.« 195<br />

<strong>Die</strong> drastische Wortwahl machte die Motive der SPD für den massiven E<strong>in</strong>satz<br />

im Hafen sehr deutlich. Neben dem offensichtlichen Antikommunismus - der e<strong>in</strong><br />

halbes Jahr nach dem Mauerbau <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> auch hervorragend als Wahlkampfmittel<br />

von der SPD e<strong>in</strong>gesetzt werden konnte und die <strong>KPD</strong> vermutlich viele Stimmen kostete<br />

- war dies die Angst vor e<strong>in</strong>em kommunistisch <strong>org</strong>anisierten Hafenstreik wie<br />

190 Ebenda.<br />

191 SPD warnt vor Ulbrichts Freunden, Weser-Kurier, 29. Feburar 1964.<br />

192 SPD Ortsvere<strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, Jahresbericht 1960/61, ausschnittweise zitiert <strong>in</strong> SAPMO IV 2/10.02/71.<br />

193 SPD warnt vor Ulbrichts Freunden, Weser-Kurier, 29. Februar 1964.<br />

194 <strong>Die</strong> SPD sprach von »sechs ›KP-Verdächtige(n)‹« (SPD warnt vor Ulbrichts Freunden, Weser-Kurier, 29.<br />

Februar 1964), die <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe gab die Zusammensetzung des Betriebsrats mit »4 <strong>KPD</strong>, 3<br />

Sympathisierende, 8 SPD« an (Bericht über e<strong>in</strong>e Aussprache mit den Genossen vom Hafen <strong>Bremen</strong> am<br />

5.10.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/106).<br />

195 D<strong>in</strong> Maker. <strong>Die</strong> Zeitung für die Arbeiter und Angestellten <strong>in</strong> den bremischen Häfen, Mai 1962, <strong>in</strong>:AdsD,SPD-<br />

LO <strong>Bremen</strong> (I), Mappe 37.


338<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

1955. Horst Stäcker formulierte dies anlässlich der nächsten Betriebsratswahl 1964<br />

explizit. <strong>Die</strong> Wahlen im Hafen hätten »e<strong>in</strong>e politische Bedeutung, und die SPD wolle<br />

auf jeden Fall verh<strong>in</strong>dern, dass sich wilde Streiks <strong>in</strong> den Häfen von <strong>Bremen</strong> wiederholen«.<br />

196 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe und erst recht die illegale Partei wären allerd<strong>in</strong>gs<br />

wohl kaum noch zur Organisation e<strong>in</strong>es großen Streiks <strong>in</strong> der Lage gewesen.<br />

Es g<strong>in</strong>g der SPD eher um die Beseitigung des kommunistischen E<strong>in</strong>flusses im<br />

Hafen, das »letzte Bollwerk der <strong>KPD</strong>«. 197<br />

So griff das Betriebssekretariat der SPD 1964 erneut <strong>in</strong> den Wahlkampf im Hafen<br />

e<strong>in</strong> und warnte vor den »Freunden Ulbrichts«. <strong>Die</strong> Mehrheitsverhältnisse im<br />

Betriebsrat hatten sich <strong>in</strong>zwischen wieder geändert. Für zwei ausgeschiedene sozialdemokratische<br />

Betriebsräte waren <strong>KPD</strong>-Mitglieder nachgerückt, was Horst Stäcker<br />

zum Anlass nahm, erneut »der nach Osten blickenden Gruppe den Kampf«<br />

anzusagen. 198<br />

Nach der Wahl schrieb Neues Echo 199, das SPD-Betriebsgruppensekretariat habe<br />

sich »<strong>in</strong> massiver und unqualifizierter Weise <strong>in</strong> die Wahlvorbereitungen e<strong>in</strong>gemischt<br />

und e<strong>in</strong>e Reihe von Kandidaten, bewährte Hafenarbeiterfunktionäre, Betriebsräte<br />

und Delegierte der ÖTV als ›kommunistisch unterwandert‹ zu diffamieren<br />

versucht.« 200 Das Ergebnis war ähnlich wie 1964: Mit neun Sitzen erlangte die<br />

SPD wiederum die Mehrheit im Betriebsrat, sechs Sitze g<strong>in</strong>gen an Kommunisten<br />

oder als <strong>KPD</strong>-Sympathisanten geltende Hafenarbeiter. 201 Auch bei dieser Betriebsratswahl<br />

hatte die <strong>KPD</strong> also ihre starke Stellung im Hafen behaupten können. Der<br />

SPD gelang es während der gesamten Illegalität nicht, das »letzte Bollwerk der<br />

<strong>KPD</strong>« zu beseitigen. 202<br />

Mit dieser starken Stellung war der Hafen neben Klöckner für die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Ausnahme. In den übrigen Bremer Großbetrieben hatte die Partei während der Illegalität<br />

wie auch schon e<strong>in</strong>ige Zeit vor dem Verbot ke<strong>in</strong>en wesentlichen E<strong>in</strong>fluss<br />

mehr. Bei B<strong>org</strong>ward hatte die <strong>KPD</strong> ihre damals noch relativ starke Position bereits<br />

1955 durch die Ause<strong>in</strong>andersetzungen der Betriebsgruppe mit der Parteileitung<br />

und die Austritte bzw. Ausschlüsse von He<strong>in</strong>emann, Kratsch und Elmers selbst zunichte<br />

gemacht. Bei der Betriebsratswahl 1957 kam vermutlich noch e<strong>in</strong> Kommunist<br />

<strong>in</strong> den Betriebsrat, 203 1959 und 1961 jeweils zwei. 204 <strong>Die</strong> B<strong>org</strong>ward-Werke g<strong>in</strong>gen<br />

196 SPD warnt vor Ulbrichts Freunden, Weser-Kurier, 29. Februar 1964.<br />

197 Ebenda.<br />

198 Ebenda.<br />

199 Neues Echo erschien erstmals Ende 1959 und war e<strong>in</strong>e legale Zeitung der Bremer <strong>KPD</strong> (siehe unten).<br />

200 Betriebsratswahl im Hafen, Neues Echo Nr. 11, 14. März 1964.<br />

201 Neues Echo zitierte Horst Stäcker, der von sechs »kommunistenfreundlichen« Betriebsräten sprach (Betriebsratswahl<br />

im Hafen, Neues Echo Nr. 11, 14. März 1964).<br />

202 Über die nachfolgenden Betriebsratswahlen ist nichts bekannt. Sicher ist nur, dass <strong>KPD</strong>-Mitglieder e<strong>in</strong>ige<br />

Sitze halten konnten.<br />

203 Vgl. Willi Elmers, Arbeitskämpfe bei B<strong>org</strong>ward, a.a.O., S. 51. Elmers nennt Alfred Goedeke, der 1955<br />

Leiter der <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe geworden war, bezeichnet ihn aber als »parteilosen Kandidaten«. Bei<br />

dieser Wahl wurde außerdem e<strong>in</strong> weiteres Mal deutlich, wie sehr die <strong>KPD</strong>-Stellung <strong>in</strong> den B<strong>org</strong>ward-<br />

Stammwerken auf dem persönlichen E<strong>in</strong>fluss des 1955 ausgetretenen Erw<strong>in</strong> He<strong>in</strong>emann beruht hatte:<br />

He<strong>in</strong>emann bekam die weitaus meisten Stimmen, an zweiter Stelle stand der 1952 aus der <strong>KPD</strong> ausgetretene<br />

Karl Grobe (ebenda).


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 339<br />

im Sommer 1961 <strong>in</strong> den Konkurs und stellten den Betrieb e<strong>in</strong>. 205 Während der etwa<br />

e<strong>in</strong> halbes Jahr zuvor e<strong>in</strong>setzenden, bundesweit bedeutsamen Krise des drittgrößten<br />

deutschen Automobilkonzerns und zumal nach der Bekanntgabe der Stilllegung<br />

verhielt sich die B<strong>org</strong>ward-Belegschaft völlig passiv. 206 Auch der <strong>KPD</strong> gelang<br />

- trotz e<strong>in</strong>es massiven E<strong>in</strong>satzes der Bezirksleitung und auch e<strong>in</strong>iger Unterstützung<br />

aus der DDR - 207 ke<strong>in</strong>e Aktivierung der sich sehr stark mit dem Betrieb identifizierenden<br />

und auf ihre gewählten Vertretungen (Betriebsrat und IG Metall) vertrauenden<br />

Belegschaft. »<strong>Die</strong> Kreisleitung der Partei«, berichtete der Erste Bezirkssekretär<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Aussprache mit dem <strong>KPD</strong>-Politbüro, »hat alles mögliche getan, um die<br />

Arbeiter zum Kampf zu mobilisieren. Aber es zeigte sich doch, dass der E<strong>in</strong>fluss<br />

der Kommunisten weit ger<strong>in</strong>ger ist als der E<strong>in</strong>fluss von Kaisen und des DGB. H<strong>in</strong>zu<br />

kommt, dass unsere Betriebsgruppe bei B<strong>org</strong>ward nur 7 Genossen umfasste, und<br />

die waren während der Entlassungen auf Urlaub <strong>in</strong> der DDR«. 208<br />

<strong>Die</strong> Bedeutungslosigkeit der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den Betrieben fand ihren Höhepunkt <strong>in</strong> der<br />

Betriebsgruppe der AG-»Weser«. Hier war die Partei bereits seit den Ereignissen<br />

um den Streik von 1953 völlig isoliert. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe war <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zustand der<br />

Resignation und Lethargie geraten, aus dem sie sich schon gar nicht während der<br />

Illegalität befreien konnte. 1962 waren auf der Werft noch 14 Mitglieder <strong>in</strong> der<br />

<strong>KPD</strong>-Betriebsgruppe erfasst. Alle Mitglieder waren über 50 Jahre alt, zwei über 60.<br />

Neuaufnahmen hatte es »seit vielen Jahren« ke<strong>in</strong>e gegeben. 209 <strong>Die</strong>starkeÜberalterung<br />

war bei weitem nicht das e<strong>in</strong>zige Problem der Betriebsgruppe. E<strong>in</strong> Bericht des<br />

Arbeitsbüros der SED von 1963 über e<strong>in</strong>e Aussprache mit Mitgliedern der Betriebsgruppe<br />

zeichnete e<strong>in</strong> düsteres Bild, das den Zustand der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> ihrer ehemaligen<br />

traditionsreichen Hochburg anschaulich schilderte und die verschiedenen Aspekte<br />

und Ursachen verdeutlichte:<br />

»<strong>Die</strong> Genossen schätzten selbst e<strong>in</strong>, dass es ke<strong>in</strong> Parteileben <strong>in</strong> der Betriebsgruppe gibt,<br />

ke<strong>in</strong>erlei Aktivität und ke<strong>in</strong>e Gewerkschaftsarbeit. Sie s<strong>in</strong>d mit diesem Zustand unzufrieden,<br />

möchten verändern, wissen aber nicht wie. Ke<strong>in</strong> Genosse will etwas tun (14 Genossen <strong>in</strong> der<br />

204 Übersicht über die bisherigen Ergebnisse der Betriebsrätewahlen - nach bis zum 2. Mai 1961 vorliegenden unvollständigen<br />

Informationen, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/181. <strong>Die</strong> Angaben <strong>in</strong> der Übersicht des SED-<br />

Arbeitsbüros waren sehr knapp: »Bei B<strong>org</strong>ward wurde der letzte BR mit 2 Gen. wieder gewählt.«<br />

205 Vgl. dazu ausführlich Wilhelm Eberwe<strong>in</strong> und Jochen Tholen, B<strong>org</strong>wards Fall, a.a.O., S. 129ff.<br />

206 Vgl. ebenda, S. 199ff.<br />

207 <strong>Die</strong> Unterstützung kam aus dem für <strong>Bremen</strong> zuständigen SED-Bezirk Schwer<strong>in</strong>: »Bei Ausbruch der<br />

B<strong>org</strong>ward-Krise im Frühjahr 1961 wurde durch die SED-Bezirksleitung <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit dem<br />

FDGB e<strong>in</strong>e Gruppe von Genossen zur Unterstützung der Bremer Freunde gesandt. <strong>Die</strong> Gruppe half<br />

den westdeutschen Freunden bei der Herausgabe von vier Flugblättern, die die Betrugs- und Verschleierungspolitik<br />

der B<strong>org</strong>ward-Gruppe und des Betriebsrates entlarvten« (Über die Situation und die<br />

Aufgaben im E<strong>in</strong>flussgebiet <strong>Bremen</strong>-Norddeutschland 1961, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.02/10). E<strong>in</strong> Mitglied<br />

der B<strong>org</strong>ward-Betriebsgruppe machte später auf e<strong>in</strong>er <strong>KPD</strong>-Konferenz gezielte E<strong>in</strong>schüchterungsversuche<br />

und Entlassungsmaßnahmen gegen Kommunisten von Seiten des Betriebsrates, der SPD, der<br />

»rechten Gewerkschaftsführer« und auch des Verfassungsschutzes für den fehlenden Widerstand der<br />

Betriebsgruppe und der Belegschaft verantwortlich (Propagandakonferenz der <strong>KPD</strong>, 18.-19. Februar 1962,<br />

<strong>in</strong>: SAPMO DY IV2/10.03/21).<br />

208 Informationen über die Aussprache des Politbüros des ZK der <strong>KPD</strong> mit den 1. Bezirkssekretären vom 13.9.1961,<br />

<strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/55.<br />

209 Aus der Beratung mit den 2. Sekretären (8. und 9.9. 1962), <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/55.


340<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

Betriebsgruppe bei ca. 70 Genossen früher, als die Partei die Mehrheit im Betriebsrat hatte).<br />

Heute ke<strong>in</strong> Betriebsrat mehr, noch etwa 3 - 4 Genossen als Vertrauensleute (bei etwa 80 Vertrauensleuten<br />

im gesamten Betrieb), die aber kaum auftreten.<br />

Genosse Hermann (Sekretär): 210<br />

›<strong>Die</strong> Genossen tun nichts mehr, weil sie als Vertrauensmänner abgelöst oder aus der Gewerkschaft<br />

ausgeschlossen s<strong>in</strong>d. Das können sie nicht verw<strong>in</strong>den.‹<br />

›Wir s<strong>in</strong>d als Kommunisten im Betrieb gebrandmarkt, weil wir vorher e<strong>in</strong>e radikale Politik<br />

gemacht haben. Es hat ke<strong>in</strong>en Zweck, etwas zu tun, wir kommen doch nicht voran. <strong>Die</strong> Mehrzahl<br />

der Genossen sagen, wir s<strong>in</strong>d müde und alt, was sollen wir denn machen?‹<br />

<strong>Die</strong> Hauptschwäche der Betriebsgruppe besteht <strong>in</strong> ihrer mangelnden Gewerkschaftsarbeit<br />

und <strong>in</strong> ihrer Ablehnung, mit den sozialdemokratischen Genossen zusammenzuarbeiten (starkes<br />

Sektierertum). Fast die gesamte Betriebsgruppe (e<strong>in</strong>schließlich der Leitung) ist aus der<br />

Gewerkschaft ausgeschlossen; haben ke<strong>in</strong>erlei Verb<strong>in</strong>dung mehr, tun aber von sich aus auch<br />

nichts, um wieder aufgenommen zu werden. Infolgedessen ist auch nicht bekannt, was <strong>in</strong> der<br />

Gewerkschaft los ist.<br />

E<strong>in</strong>e Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten gibt es gar nicht. ›Persönliche Aussprachen von<br />

Genossen zu Genossen gibt es ab und zu mal, aber sobald e<strong>in</strong> Dritter h<strong>in</strong>zukommt, ist es aus.<br />

Was sollen wir also machen? <strong>Die</strong> wollen ja nicht, also lassen wir sie auch. [...] Der ganze Betriebsrat<br />

(SPD) ist antikommunistisch, mit dem kann man nicht reden.‹<br />

Als aber mal doch der Betriebsratsvorsitzende (SPD) zu unserem Genossen kam (ehemaliger<br />

Betriebsratsvorsitzender) und wollte e<strong>in</strong>en Rat von ihm, bekam er zur Antwort: ›Jetzt auf<br />

e<strong>in</strong>mal kommst Du. Ich kann Dir auch nicht helfen, sieh doch zu, wie Du fertig wirst. Sonst<br />

braucht Ihr uns doch auch nicht!‹.<br />

Oder solche Me<strong>in</strong>ungen: ›Ich kann mit e<strong>in</strong>em Sozialdemokraten im Betrieb nicht über die<br />

Mauer diskutieren, da b<strong>in</strong> ich e<strong>in</strong> toter Mann. Ich spreche überhaupt nicht über die Mauer<br />

(sprich DDR), nur über betriebliche Fragen‹. ›Es hat ke<strong>in</strong>en Zweck, im Betrieb über die DDR<br />

zu reden, dann s<strong>in</strong>d wir von vornhere<strong>in</strong> unten durch.‹ ›Wir können doch nicht mit Leuten zusammengehen,<br />

die früher mal <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> waren, dort groß geworden s<strong>in</strong>d und - als es bei uns<br />

anders kam - zur SPD g<strong>in</strong>gen und von dort ihren Posten bekamen. Das s<strong>in</strong>d doch Demagogen<br />

und Verräter. Vielleicht sollten wir diese Leute später, wenn wir die Macht haben, gar wieder<br />

<strong>in</strong> unsere Partei aufnehmen?‹ ›Mit jedem Sozialdemokraten gehe ich zusammen, aber nicht<br />

mit solchen Leuten wie Ehlers, Wolters.‹<br />

Obwohl etwa 1200 Arbeiter des Betriebes schon <strong>in</strong> der DDR waren (davon sicher etliche schon<br />

mehrere Male), gibt es mit diesen Arbeitern ke<strong>in</strong>e Aussprachen oder überhaupt Verb<strong>in</strong>dung.<br />

Es wurde auch aus diesem Kreis ke<strong>in</strong>er neu <strong>in</strong> die Partei aufgenommen, obwohl 25 davon für<br />

die engere Auswahl <strong>in</strong> Aussicht genommen wurden. <strong>Die</strong> Betriebsgruppe ist stark überaltert.<br />

Es ist zwar der Wille da, etwas zu tun - besonders vom Genossen Hermann, Sekretär der Betriebsgruppe<br />

-, aber er ist alle<strong>in</strong> zu schwach dazu. ›Werft-Echo‹ ersche<strong>in</strong>t sehr sporadisch; es<br />

gibt ke<strong>in</strong>e Redaktionskommission im Betrieb. Bisher wurde sie <strong>in</strong> den meisten Fällen von der<br />

Kreisleitung gemacht.« 211<br />

<strong>Die</strong> meisten der geschilderten Probleme der Gruppe waren nicht e<strong>in</strong>mal der Illegalität<br />

geschuldet, sondern hatten ihre Ursachen <strong>in</strong> den Entwicklungen vor dem<br />

210 Geme<strong>in</strong>t ist der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Hermann Prüser.<br />

211 Zur Aussprache mit der Betriebsgruppe AG Weser, <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/106. Unterstreichungen<br />

im Orig<strong>in</strong>al.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 341<br />

Verbot: die Gewerkschaftsausschlüsse und die damit verbundene Isolation im Betrieb,<br />

der Antikommunismus, sowie e<strong>in</strong> tiefes Misstrauen gegen die SPD oder e<strong>in</strong>zelne<br />

ihrer Funktionäre. <strong>Die</strong> persönliche Enttäuschung über diesen ›Gang der Geschichte‹<br />

war deutlich spürbar und verband sich mit der starken Überalterung. <strong>Die</strong>s<br />

war die Generation der ›alten‹, noch <strong>in</strong> der Weimarer Republik sozialisierten<br />

Kommunisten, die <strong>in</strong> mancher H<strong>in</strong>sicht (z.B. SPD) noch <strong>in</strong> den alten Schemata<br />

dachten und trotz - oder gerade wegen - ihrer realen politischen Bedeutungslosigkeit<br />

an e<strong>in</strong>er Zukunftsperspektive der Machtergreifung festhielten (»Vielleicht sollten<br />

wir diese Leute später, wenn wir an der Macht s<strong>in</strong>d, gar wieder <strong>in</strong> unsere Partei<br />

aufnehmen?«).<br />

Pr<strong>in</strong>zipiell, wenn wohl auch nicht so zugespitzt, galten die Probleme der AG<br />

»Weser« für alle anderen Betriebsgruppen. <strong>Die</strong> Ursachen der Isolation waren schon<br />

lange vor dem Verbot wirksam gewesen und konnten unter den Bed<strong>in</strong>gungen der<br />

Illegalität nicht überwunden werden, schon alle<strong>in</strong> aus dem Grund, dass für die Betriebsgruppen<br />

kaum neue Mitglieder geworben werden konnten. 212 Auch für die<br />

Vertretung <strong>in</strong> den Gewerkschaften galt dies. Insofern blieb der <strong>KPD</strong> gar nichts anderes<br />

übrig, als die Betriebe und Gewerkschaften zunächst, trotz aller programmatischen<br />

Prioritätszuweisungen, als Plattform für die außerbetrieblichen Politikfelder,<br />

vor allem die Friedenspolitik, zu betrachten. Maximal noch die Mobilisierung<br />

und Politisierung der Belegschaften gab die <strong>KPD</strong> als Ziel von Betriebsratswahlen<br />

aus, wie e<strong>in</strong> resümierender Beschluss des Politbüros zu den Betriebsratswahlen von<br />

1961 zeigt:<br />

»<strong>Die</strong> Partei hatte sich [...] das Ziel gesetzt, die Betriebsrätewahlen maximal zu nutzen, um <strong>in</strong><br />

der Arbeiterklasse die wichtigsten Fragen des Kampfes um Frieden, Demokratie und soziale<br />

Sicherheit, die Bändigung des Militarismus und die Zurückdrängung der Macht der Monopole<br />

zu diskutieren [sic!]. [...] <strong>Die</strong> Betriebsratswahlen boten die Möglichkeit, zu betrieblichen und<br />

gewerkschaftlichen Aktionen gegen Atomrüstung und Notstandsgesetze zu kommen. [...] E<strong>in</strong>e<br />

solche politische Mobilisierung der Belegschaften und e<strong>in</strong>e Aktivierung des gewerkschaftlichen<br />

Kampfes ist nicht gelungen, obwohl objektiv die Möglichkeiten gegeben waren.« 213<br />

Von den <strong>KPD</strong>-Betriebsgruppen g<strong>in</strong>gen trotz dieser Ansprüche der Parteileitung<br />

letztendlich ke<strong>in</strong>e Impulse für Aktionen der Friedensbewegung aus. Das hatte se<strong>in</strong>e<br />

Ursachen nicht nur <strong>in</strong> der strukturellen und personellen Schwäche, sondern auch<br />

im Des<strong>in</strong>teresse der Betriebsgruppen selbst, die im Betrieb entweder gar nicht mehr<br />

(AG »Weser«) oder ausschließlich <strong>in</strong> Betriebsfragen (Hafen) auftraten. Genau diese<br />

betrieblichen Probleme aber wie auch allgeme<strong>in</strong>e soziale Fragen stellte die Partei<br />

weitgehend <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund. Das Engagement <strong>in</strong> der Friedensbewegung und<br />

die primäre Zielsetzung, vor allem <strong>in</strong> das nichtkommunistische und bürgerliche<br />

Lager h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuwirken, mussten letztlich bei den kommunistischen Betriebsfunktionären<br />

auch zu Befremden führen. <strong>Die</strong> beiden legalen Foren für Kommunisten <strong>in</strong><br />

212 »Das Kernproblem ist, wenn man zwölf Jahre verboten ist, dann kommt ja nicht das h<strong>in</strong>zu, was h<strong>in</strong>zu<br />

kommen muss. Insofern wird man allmählich schwächer, auch <strong>in</strong> den Betrieben.« (Interview Herbert<br />

Breidbach, 1).<br />

213 Beschluss des PB: E<strong>in</strong>schätzung und Schlussfolgerungen zu den Ergebnissen der Betriebsrätewahlen 1961, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO DY IV 2/10.03/181.


342<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

<strong>Bremen</strong>, die »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung gegen atomare Aufrüstung, für Frieden<br />

und Verständigung« und ab 1960 die Zeitung »Neues Echo - Zwischen Weser und<br />

Ems, Zeitschrift für Entspannung, Verständigung und Frieden« machten schon <strong>in</strong><br />

ihrem Namen den Schwerpunkt deutlich. Betriebliche und gewerkschaftliche Themen<br />

waren hier zunächst völlig unterrepräsentiert. Es gab für kommunistische<br />

Funktionäre <strong>in</strong> den Betrieben ke<strong>in</strong> legales Forum, das programmatisch Betriebs-,<br />

Gewerkschafts- und soziale Fragen wenigstens mit der Friedenspolitik gleichwertig<br />

<strong>in</strong> den Vordergrund stellte. Auch e<strong>in</strong>e personelle Repräsentanz wurde vermisst.<br />

Anlässlich der Bürgerschaftswahl 1963, <strong>in</strong> der die <strong>KPD</strong> die »Deutsche Friedensunion«<br />

(DFU) unterstützte, hätten »viele Genossen«, so der Bericht der Bremer Bezirksleitung,<br />

»die Frage gestellt, warum auf der Liste der DFU ke<strong>in</strong>e bekannten Betriebsund<br />

Gewerkschaftsfunktionäre kandidieren«. 214<br />

Auch die Gewerkschaftsarbeit zielte primär auf die Deutschland- und Friedenspolitik.<br />

Anlässlich der Diskussion des neuen DGB-Grundsatzprogramms nannte<br />

die Bezirksleitung 1963 für die Anleitung der Betriebsgruppen an erster Stelle die<br />

Schwerpunkte »Verzicht auf atomare Ausrüstung der Bundeswehr«, »Forderung<br />

nach Abrüstungs<strong>in</strong>itiativen seitens der Bundesrepublik«, »Verzicht auf Gewalt und<br />

Bekenntnis zum Pr<strong>in</strong>zip des Verhandelns, der Herstellung sachlicher Beziehungen<br />

zwischen den beiden deutschen Staaten«. Ziel war »die Entwicklung des Kampfes<br />

der Gewerkschaften gegen Imperialismus und Militarismus für Frieden, Demokratie<br />

und sozialen Fortschritt«. 215<br />

E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> den Gewerkschaften hatte sich die <strong>KPD</strong> mit diesen Schwerpunkten<br />

bis dah<strong>in</strong> nicht verschaffen können. Abgesehen davon, dass viele <strong>KPD</strong>-Mitglieder,<br />

vor allem <strong>in</strong> Folge der Ause<strong>in</strong>andersetzungen um These 37, immer noch aus den<br />

Gewerkschaften ausgeschlossen waren, machte auch der Antikommunismus e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>flussnahme schwer. Besonders nach dem Bau der Berl<strong>in</strong>er Mauer im August<br />

1961 wurde dies noch e<strong>in</strong>mal deutlich. »Da kochte die Volksseele«, so Willy Hundertmark<br />

über die Stimmung auf e<strong>in</strong>er Delegiertenversammlung der IG Metall. 216<br />

Der Erste Bezirkssekretär berichtete darüber beim Politbüro und beschrieb auch,<br />

wie schwer es für Kommunisten war, dieser Stimmung etwas entgegenzusetzen:<br />

»<strong>Die</strong> Massen haben der Hetze gegen die DDR im großen und ganzen zugestimmt, denn der<br />

Antikommunismus ist tief verwurzelt. In e<strong>in</strong>er Gewerkschaftsvertreterversammlung mit 360<br />

Teilnehmern s<strong>in</strong>d 4 Genossen aufgetreten und haben pr<strong>in</strong>zipiell unseren Standpunkt dargelegt,<br />

fanden damit aber ke<strong>in</strong>en Anklang. In dieser Vertreterversammlung waren 22 Genossen<br />

214 Bericht über e<strong>in</strong>e Aussprache mit der BL <strong>Bremen</strong> am 13.10.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/106.<br />

215 Abschrift/15.8.63: Perspektivplan bis Ende des Jahres (<strong>Bremen</strong>), <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/55. <strong>Die</strong>s entsprach<br />

auch den Schwerpunktsetzungen der kurz zuvor vom Parteitag verabschiedeten Programmatischen<br />

Erklärung der <strong>KPD</strong> (Programmatische Erklärung der Kommunistischen Partei Deutschlands, beschlossen<br />

vom Parteitag 1963, a.a.O.).<br />

216 Interview Willy Hundertmark, 2. Hundertmark sprach nach eigenen Angaben auch auf der Konferenz<br />

und war von e<strong>in</strong>em ebenfalls anwesenden Genossen davor gewarnt worden: »Du willst da rauf? <strong>Die</strong><br />

schlagen dich tot!« (ebenda).


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 343<br />

anwesend, bei e<strong>in</strong>er Abstimmung über e<strong>in</strong>e Hetzentschließung gegen die DDR haben aber<br />

nur 7 dagegen gestimmt, die anderen 15 haben nicht e<strong>in</strong>mal dafür den Mut aufgebracht.« 217<br />

Etwa ab 1963 begann sich jedoch das Klima offenbar auch <strong>in</strong> den Gewerkschaften<br />

langsam zu ändern. Das Verhältnis zu SPD und Gewerkschaften sei »nicht mehr<br />

so gereizt wie früher«, berichtete die Bezirksleitung im März 1963. »Jetzt gehen unsere<br />

Genossen auch wieder <strong>in</strong> das Gewerkschaftshaus und haben auch Gespräche<br />

mit Sekretären.« 218 E<strong>in</strong> halbes Jahr später bestätigte die Bezirksleitung noch e<strong>in</strong>mal<br />

den E<strong>in</strong>druck, »dass es <strong>in</strong> der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit der Partei e<strong>in</strong>e<br />

aufsteigende Tendenz gibt«:<br />

»<strong>Die</strong> Genossen der BL begründeten die Verbesserung der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit<br />

unter anderem damit, dass <strong>in</strong> den Gewerkschafts- und Vertreterversammlungen unseren Genossen<br />

gegenüber e<strong>in</strong>e größere Aufgeschlossenheit vorhanden ist. Unsere Genossen können<br />

heute - im Gegensatz zu früher - dort auftreten und werden auch angehört. Besonders <strong>in</strong> Fragen<br />

der Notstandsgesetze und bei sozialen Problemen f<strong>in</strong>den sie Zustimmung. Auch <strong>in</strong> der<br />

Frage des extremen, militanten Antikommunismus gibt es heute e<strong>in</strong>e für die Genossen günstigere<br />

Atmosphäre.« 219<br />

<strong>Die</strong> Konstatierung e<strong>in</strong>es günstigeren Klimas passte zu den Entwicklungen auf<br />

anderen Gebieten (z.B. der Frage des <strong>KPD</strong>-Verbots) <strong>in</strong>folge der sich allmählich<br />

wandelnden deutschlandpolitischen Prämissen (»Wandel durch Annäherung«).<br />

Bezeichnend war, dass es gerade nicht die bis dah<strong>in</strong> von der <strong>KPD</strong> auch für die Betriebs-<br />

und Gewerkschaftsarbeit <strong>in</strong> den Vordergrund gestellte Friedenspolitik war,<br />

mit der man allmählich auf Zustimmung <strong>in</strong> den Gewerkschaften hoffen konnte,<br />

sondern beispielsweise die Debatte um die Notstandsgesetzgebung, <strong>in</strong> der sich die<br />

Gewerkschaften spätestens seit dem DGB-Kongress 1962 <strong>in</strong>tensiv engagiert hatten.<br />

220<br />

Beide Aspekte - das günstigere Klima sowie die vermehrte E<strong>in</strong>beziehung sozialer<br />

und <strong>in</strong>nenpolitischer Themen - wurden für die <strong>KPD</strong> verstärkt wirksam mit dem<br />

E<strong>in</strong>setzen der ersten großen Rezession der Bundesrepublik und der Bildung der<br />

Großen Koalition 1966. Für die Bremer <strong>KPD</strong> fand dies erstmals öffentlich positive<br />

Resonanz anlässlich der Bürgerschaftswahl 1967, bei der auf der Liste der DFU<br />

zahlreiche Gewerkschafter und Kommunisten kandidierten. Offensichtlich unter<br />

starkem E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> hatte die DFU bei dieser Wahl erstmals nicht die Friedenspolitik,<br />

sondern soziale Forderungen <strong>in</strong> den Mittelpunkt ihrer Programmatik<br />

gestellt und erreichte damit das bundesweit beste Ergebnis ihrer Geschichte (4,2<br />

Prozent der Stimmen). Das Wahlergebnis wie auch die Kandidatenliste war dabei<br />

nicht nur Ausdruck e<strong>in</strong>es günstiger werdenden Klimas <strong>in</strong> den Gewerkschaften,<br />

sondern auch der (Bremer) Höhepunkt e<strong>in</strong>es allmählichen Wandels der illegalen<br />

Arbeit der <strong>KPD</strong> und ihrer Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den 1960er Jahren.<br />

217 Information über die Aussprache des Politbüros des ZK der <strong>KPD</strong> mit den 1. Bezirkssekretären vom 13.9.1961, <strong>in</strong>:<br />

SAMPO DY IV 2/10.03/55.<br />

218 Me<strong>in</strong>ungen von <strong>KPD</strong>-Genossen zur Aktionse<strong>in</strong>heit und SPD (10.5.63), <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/106.<br />

219 Bericht über e<strong>in</strong>e Aussprache mit der BL <strong>Bremen</strong> am 13.10.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/106.<br />

220 Vgl. Eberhard Schmidt, Ordnungsfaktor oder Gegenmacht. <strong>Die</strong> politische Rolle der Gewerkschaften,<br />

a.a.O., S. 64ff.


344<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

5. Der Wandel der illegalen Arbeit <strong>in</strong> den 1960er Jahren<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> den 1960er Jahren war vor allem gekennzeichnet<br />

durch die Zunahme legaler politischer Betätigungsfelder für Kommunisten. Der<br />

<strong>KPD</strong> war es <strong>in</strong> den ersten Jahren nach dem Verbot kaum gelungen, sich <strong>in</strong> der Friedensbewegung<br />

oder anderen Massen<strong>org</strong>anisationen zu verankern und auch sonst<br />

hatte sie nur wenig legale Wirkungsmöglichkeiten, blieb also weitgehend auf die<br />

großenteils uneffektive illegale Arbeit der Grunde<strong>in</strong>heiten beschränkt. <strong>Die</strong>s galt<br />

auch für <strong>Bremen</strong>, wenn auch mit E<strong>in</strong>schränkungen, berücksichtigt man die Abgeordneten<br />

im Stadtparlament, die aber letztendlich ohne breitere politische Wirkung<br />

blieben.<br />

<strong>Die</strong>se Mängel <strong>in</strong> der Parteiarbeit hatte die Partei selbst erkannt. In den Beschlüssen<br />

der Parteidelegiertenkonferenz vom Februar 1960 wurde konstatiert, dass es<br />

»noch e<strong>in</strong>e große Enge <strong>in</strong> der Entwicklung zu den Massen und den Massen<strong>org</strong>anisationen«<br />

gebe. 221 Es gelte,<br />

»das <strong>in</strong> der Partei noch stark vorhandene Zurückweichen vor der Massenarbeit zu überw<strong>in</strong>den.<br />

Alle Parteie<strong>in</strong>heiten, alle Mitglieder und Funktionäre der Partei müssen die Möglichkeiten<br />

des legalen Auftretens voll ausnutzen. [...] Es gibt für jeden Kommunisten vielseitige Möglichkeiten<br />

des legalen Auftretens.« 222<br />

Im Verlauf der 1960er Jahre wurden die Bed<strong>in</strong>gungen für das legale Auftreten<br />

von Kommunisten zunehmend günstiger, was von der <strong>KPD</strong> auch genutzt wurde.<br />

<strong>Die</strong> illegale Arbeit trat nun immer mehr <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund und beschränkte sich<br />

weitgehend auf die <strong>org</strong>anisatorischen Notwendigkeiten. E<strong>in</strong>e Voraussetzung dafür<br />

war, dass die Bezirksleitungen nun wieder von Ortsansässigen übernommen wurden,<br />

die sich <strong>in</strong> den örtlichen politischen Gegebenheiten auskannten. Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

wurde die Führung der Partei 1961/62 wieder von ehemaligen Mitgliedern<br />

der Landes- und Kreisleitung übernommen. »Dann hatte man begriffen«, so Herbert<br />

Breidbach, »dass die Führungsarbeit mit Fremden vor Ort sehr viel riskanter<br />

ist, als wenn es die dortigen Funktionäre s<strong>in</strong>d«. 223<br />

Schwerpunkt der politischen Arbeit von Kommunisten wurde die Tätigkeit <strong>in</strong><br />

legalen Organisationen und Bewegungen. In diesen konnten sie sich durch Anerkennung<br />

des Grundkonsens und unter Ausschluss sozialistischer und parteispezifischer<br />

Ziele sowie mit großen persönlichem Engagement - Kommunisten übernahmen<br />

e<strong>in</strong>en Großteil der sogenannten Kle<strong>in</strong>arbeit (Flugblätter verteilen etc.) -<br />

allmählich die Akzeptanz und Tolerierung durch die übrigen Mitglieder regelrecht<br />

erarbeiten. Damit wurde gleichzeitig, wie Ge<strong>org</strong> Fülberth schreibt, »<strong>in</strong> diesem Teil<br />

der außerparlamentarischen Opposition das Bewusstse<strong>in</strong> von der Möglichkeit<br />

kommunistischer Präsenz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nicht-kommunistischen, aber zugleich nichtantikommunistischen<br />

Bewegung« gefördert. 224<br />

221 Beschluss der Parteidelegiertenkonferenz der <strong>KPD</strong> 1960, a.a.O., S. 276.<br />

222 Ebenda, S. 276f.<br />

223 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />

224 Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 99.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 345<br />

Bereits vor der Umstellung der Organisationspr<strong>in</strong>zipien und unmittelbar nach<br />

der Gründung der »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung« vollzog die Bremer <strong>KPD</strong> mit der<br />

Etablierung e<strong>in</strong>er regelmäßig ersche<strong>in</strong>enden Zeitung e<strong>in</strong>en wichtigen Schritt <strong>in</strong><br />

Richtung legale Arbeit. Mitte Dezember 1959 erschien im Maria-Krüger-Verlag das<br />

erste Mal Neues Echo (Untertitel: »Zwischen Weser und Ems, Zeitschrift für Entspannung,<br />

Verständigung und Frieden«). Offizielle Herausgeber waren die ehemalige<br />

<strong>KPD</strong>-Bürgerschaftsabgeordnete Maria Krüger und Walter Oberle, faktisch<br />

handelte es sich um e<strong>in</strong>e Publikation der illegalen <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>.<br />

Neues Echo erschien zunächst e<strong>in</strong>mal, ab Mitte Mai 1960 zweimal monatlich und<br />

schließlich ab 1964 wöchentlich. <strong>Die</strong> Zeitung konnte dabei weitgehend ungeh<strong>in</strong>dert<br />

verbreitet werden. Lediglich anlässlich der ersten Ausgaben von 1960 wurden e<strong>in</strong>ige<br />

Exemplare wegen »Beleidigung und Verunglimpfung« beschlagnahmt. Das gegen<br />

die Herausgeber e<strong>in</strong>geleitete Ermittlungsverfahren wurde e<strong>in</strong>gestellt nachdem<br />

sich herausgestellt hatte, dass es sich bei von der Staatsanwaltschaft beanstandeten<br />

Passagen um Zitate von Chruschtschow handelte, die auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen bürgerlichen<br />

Tageszeitungen erschienen waren.<br />

Inhaltlich konzentrierte sich Neues Echo auf die Berichterstattung über und Werbung<br />

für alle oppositionellen Kräfte, an denen Kommunisten beteiligt waren, wie<br />

z.B. die Ende 1960 gegründete DFU, die Ostermarschbewegung und die Wählervere<strong>in</strong>igung,<br />

sowie die politischen Themen derselben, <strong>in</strong>sbesondere friedenspolitische<br />

Fragen. Daneben waren aber auch die Berichterstattung aus den Betrieben und<br />

Gewerkschaften sowie - zunächst noch zurückhaltend - über die DDR und die Sowjetunion<br />

thematische Schwerpunkte.<br />

<strong>Die</strong> bis Mitte der 1960er Jahre festzustellende Zurückhaltung h<strong>in</strong>sichtlich der<br />

Propagierung der Politik von DDR und Sowjetunion und die Konzentration auf<br />

konsensfähige, nicht ausschließlich parteipolitisch geprägte friedenspolitische<br />

Themen <strong>in</strong> Neues Echo wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternen Analyse des Politbüros 1964 scharf<br />

kritisiert. Für die Zeitung sei »charakteristisch, dass <strong>in</strong> der Grundfrage unserer Zeit,<br />

des Kampfes für die Erhaltung des Friedens, ke<strong>in</strong>e eigene, von den Lebens<strong>in</strong>teressen<br />

der Nation ausgehende politische Konzeption - entsprechend der Programmatischen<br />

Erklärung des Parteitages 1963 der <strong>KPD</strong> - sichtbar ist«. 225 Ab Mitte der 1960er<br />

Jahre wurde Neues Echo dann aber doch zusehends zu e<strong>in</strong>em Blatt, das sich offen<br />

zum Sozialismus, zur DDR und zur Sowjetunion bekannte. Gleichzeitig wurde nun<br />

verstärkt für die Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots geworben. Ende März 1969, nach der<br />

Gründung der DKP, erschien Neues Echo letztmalig und g<strong>in</strong>g auf <strong>in</strong> der neugegründeten<br />

Parteizeitung der DKP, Unsere Zeit (UZ).<br />

Natürlich stellte 1960 die Herausgabe e<strong>in</strong>er legalen Zeitung e<strong>in</strong>en enormen<br />

Fortschritt für die Arbeit der illegalen <strong>KPD</strong> dar, auch wenn sie nicht offen e<strong>in</strong>e<br />

»Parteizeitung« se<strong>in</strong> konnte. H<strong>in</strong>zu kam die Möglichkeit, unter dem Namen der legalen<br />

Zeitschrift Veranstaltungen durchzuführen: Ab 1964 fand e<strong>in</strong>mal pro Jahr das<br />

offiziell von Neues Echo veranstaltete Pressefest <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bekannten Lokal <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>-Nord<br />

statt. <strong>Die</strong> Pressefeste waren sehr gut besucht - das erste fand angeblich<br />

225 E<strong>in</strong>schätzung des »Neuen Echo«, <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/131.


346<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

1.300 Teilnehmer - 226 und stellten letztlich auch große »Vollversammlungen« der<br />

<strong>KPD</strong> dar, auf denen die gesamte Bremer Partei legal zusammenkommen konnte.<br />

<strong>Die</strong> Bedeutung von Neues Echo - wie auch anderer <strong>in</strong> dieser Zeit bundesweit von<br />

der <strong>KPD</strong> etablierter legaler Zeitschriften - 227 als »Möglichkeit zur Verbreitung fortschrittlicher<br />

Ideen« 228 g<strong>in</strong>g aber auch über den Kreis der Partei und deren Interesse<br />

h<strong>in</strong>aus: »Neues Echo wollte ja nicht nur die Arbeit der illegalen <strong>KPD</strong> an die Leute<br />

ranbr<strong>in</strong>gen, sondern e<strong>in</strong>fach werben für bestimmte politische Ziele«, so Rolf Stelljes,<br />

Redakteur bei Neues Echo, zur Zielsetzung der Zeitung. 229 Damit wurde sie letztendlich<br />

auch für andere oppositionelle Gruppen wichtig, denen <strong>in</strong> der bürgerlichen<br />

Presse ke<strong>in</strong> Raum gegeben wurde, und die über das Organ der <strong>KPD</strong> Öffentlichkeitsarbeit<br />

betreiben konnten.<br />

Außerparlamentarische Arbeit: Das Beispiel Ostermärsche<br />

Beispielhaft für die außerparlamentarischen Bewegungen, <strong>in</strong> denen Kommunisten<br />

mit tragender, aber nicht bestimmender Rolle mitarbeiteten und allmählich akzeptiert<br />

wurden, waren die Ostermärsche. <strong>Die</strong> Ostermarschbewegung entstand 1960<br />

parallel zu dem Versuch, mit der DFU die Opposition gegen die atomare Aufrüstung<br />

der Bundeswehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er parlamentarisch agierenden Partei zusammenzufassen.<br />

230 Nachdem sich die SPD 1958 aus der KdA-Bewegung zurückgezogen hatte,<br />

konnte diese zwar von anderen Kräften weitergeführt werden, die Friedensbewegung<br />

verschwand aber weitgehend aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. <strong>Die</strong> Neuformierung<br />

der Proteste geschah <strong>in</strong> Form der Ostermärsche, die <strong>in</strong> der Bundesrepublik<br />

das erste Mal im Frühjahr 1960, zunächst noch mit relativ ger<strong>in</strong>ger Beteiligung,<br />

stattfanden. Vorbild waren die seit 1958 <strong>in</strong> England <strong>org</strong>anisierten Ostermärsche.<br />

Es wurden örtliche »Ostermarschausschüsse« gebildet, später schuf sich die<br />

Bewegung mit der »Kampagne für Abrüstung« e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Organisationsform.<br />

Der erste Bremer Ostermarsch fand 1960 statt und hatte nur wenig Teilnehmer<br />

und Resonanz. In der Folgezeit jedoch entwickelten sich die Ostermärsche auch <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> immer mehr zu großen Massendemonstrationen, auf denen ab Mitte der<br />

1960er Jahre auch zunehmend die Notstandsgesetze und der Vietnam-Krieg thematisiert<br />

wurden. Es bildete sich e<strong>in</strong> Bremer Ostermarschausschuss, der sich nicht nur<br />

auf die Organisierung der Märsche beschränkte, sondern auch zu anderen Gelegenheiten<br />

Veranstaltungen und Demonstrationen durchführte.<br />

226 Großartiges Pressefest mit 1300 Teilnehmern, Neues Echo 39/1964, 25. September 1964.<br />

227 Vgl. Ge<strong>org</strong> Fülberth, <strong>KPD</strong> und DKP, a.a.O., S. 101f.<br />

228 Günter Judick, Josef Schleifste<strong>in</strong> und Kurt Ste<strong>in</strong>haus, E<strong>in</strong>leitung, a.a.O., S. 101.<br />

229 Interview Rolf Stelljes.<br />

230 Siehe hierzu und dem folgenden ausführlich Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O.,<br />

S. 208 ff. Außerdem: Christoph Butterwegge, Jochen Dressel, Volker Tegeler und Ulla Voigt (Hrsg.), 30<br />

Jahre Ostermarsch. E<strong>in</strong> Beitrag zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland und e<strong>in</strong> Stück<br />

Bremer Stadtgeschichte, <strong>Bremen</strong> 1990 (Broschüre).


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 347<br />

<strong>Die</strong> Ostermarschbewegung versuchte sich selbst zunächst sehr stark von kommunistischen<br />

E<strong>in</strong>flüssen abzugrenzen und ließ aus Angst vor e<strong>in</strong>er »Unterwanderung«<br />

ke<strong>in</strong>e Organisationen, sondern nur E<strong>in</strong>zelpersonen zur Teilnahme zu. Trotzdem<br />

wurden die Ostermärsche sofort als kommunistisch unterwandert diffamiert<br />

und angegriffen. <strong>Die</strong> SPD warnte ihre Mitglieder vor e<strong>in</strong>er Teilnahme an den Märschen<br />

und drohte mit Ordnungsverfahren. Dennoch beteiligten sich zunehmend<br />

auch Sozialdemokraten an den Ostermärschen und der »Kampagne für Abrüstung«.<br />

Sprecher des Bremer Ortsausschusses war mit Detlef Dahlke ebenfalls e<strong>in</strong><br />

SPD-Mitglied.<br />

Trotz der starken äußeren Diffamierungen und obwohl es <strong>in</strong> der Bewegung<br />

selbst starke antikommunistische Vorbehalte gab, nahmen Kommunisten von Anfang<br />

an an den Ostermärschen teil, waren an der Vorbereitung beteiligt und arbeiteten<br />

auch <strong>in</strong> der »Kampagne für Abrüstung« mit. So sei es ke<strong>in</strong> Zufall gewesen,<br />

schreibt Herbert Breidbach, der auch im Bremer Ostermarschausschuss mitarbeitete,<br />

»dass an der Spitze des ersten Ostermarsches im Norden der Bundesrepublik [...]<br />

die jungen Kommunisten Fritz Bolte und Erich Pape das Transparent Ostermarsch<br />

Bergen-Hohne/<strong>Bremen</strong> trugen und viele <strong>KPD</strong>-Mitglieder [...] aktiv teilnahmen.« 231<br />

Dabei sahen sich Kommunisten <strong>in</strong>nerhalb der Bewegung zunächst mit starken<br />

Vorbehalten und Ausgrenzungsversuchen konfrontiert, die es vor allem bei Sozialdemokraten<br />

und weniger bei den Christen gab. <strong>Die</strong>se Hemmungen wurden aber offensichtlich<br />

allmählich überwunden. Zur Grundl<strong>in</strong>ie der Ostermarschbewegung<br />

wurde, »wenn auch mit Hängen und Würgen«, 232 niemanden wegen se<strong>in</strong>er kommunistischen<br />

Ges<strong>in</strong>nung auszugrenzen, solange er sich zu den Zielen und<br />

Grundsätzen der Bewegung bekennt und sie nicht für parteipolitische Zwecke<br />

missbraucht. <strong>Die</strong>ser Grundsatz wurde von den Kommunisten befolgt. Ohneh<strong>in</strong> sei<br />

die Teilnahme am Ostermarsch für sie »ke<strong>in</strong>e Frage e<strong>in</strong>er Tarn<strong>org</strong>anisation« gewesen,<br />

me<strong>in</strong>t Herbert Breidbach, »das hätten wir so oder anders gemacht.« 233<br />

Auch deswegen gelang es der <strong>KPD</strong> als Partei<strong>org</strong>anisation kaum, die Ostermarschbewegung<br />

wirklich <strong>in</strong> ihrem S<strong>in</strong>ne zu bee<strong>in</strong>flussen oder <strong>in</strong> ihr als e<strong>in</strong> eigenständiger<br />

Faktor auch öffentlich präsent zu se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Berichte und E<strong>in</strong>schätzungen<br />

der <strong>KPD</strong> aus den Jahren 1961 bis 1969 zeigen, dass sich die Parteil<strong>in</strong>ie, nach der<br />

Kommunisten <strong>in</strong> der Bewegung arbeiten sollten, nicht durchsetzen ließ oder gar<br />

nichtbiszudenAdressaten<strong>in</strong>dene<strong>in</strong>zelnenAusschüssendurchdrang. 234 Bekannte<br />

Kommunisten traten kaum als Redner oder öffentliche Akteure <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Der<br />

E<strong>in</strong>fluss von Kommunisten <strong>in</strong> der Bewegung war e<strong>in</strong> mitarbeitender, ke<strong>in</strong> bestimmender.<br />

Kommunisten würden zwar, so e<strong>in</strong> Bericht aus <strong>Bremen</strong> noch 1967, »als aktive<br />

Kräfte für die Vorbereitung und Durchführung des Ostermarsches anerkannt,<br />

231 Herbert Breidbach, Das <strong>KPD</strong>-Verbot und die illegale Arbeit bis <strong>1968</strong>, a.a.O., S. 142.<br />

232 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />

233 Ebenda.<br />

234 Siehe die umfangreichen Berichte <strong>in</strong> SAPMO DY IV 2/10.03/201-206 [Ostermarschbewegung 1961-<br />

1969].


348<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

aber noch nicht gleichberechtigt«. 235 E<strong>in</strong>großesundimmerwiedervonihrbemängeltes<br />

Manko der Ostermarschbewegung war <strong>in</strong> den Augen der <strong>KPD</strong> auch die nur<br />

wenig vorhandene Beteiligung aus der Arbeiterschaft, den Gewerkschaften und der<br />

SPD. 236<br />

Politik auf parlamentarischer Ebene:<br />

Deutsche Friedensunion (DFU) und Wahlbeteiligungen<br />

Parallel zur Wiederbelebung der Friedensbewegung auf außerparlamentarischer<br />

Ebene durch die Ostermarschbewegung gründete sich am 17. September 1960 die<br />

»Deutsche Friedensunion« (DFU). <strong>Die</strong> DFU war gedacht als auf Partei-Ebene agierendes<br />

Sammelbecken der verschiedenen Friedens- und Oppositionsgruppen <strong>in</strong> der<br />

Bundesrepublik. Ausschlaggebend für die Gründung war, dass viele Mitglieder<br />

dieser Gruppen die SPD als nicht mehr wählbar ansahen, nachdem sich diese auf<br />

ihrem Godesberger Parteitag 1959 zur Marktwirtschaft und zur Landesverteidigung<br />

bekannt hatte, und nachdem der stellvertretende SPD-Vorsitzende Herbert<br />

Wehner <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bundestagsrede am 30. Juni 1960 den außenpolitischen Kurswechsel<br />

der Partei (Bekenntnis zur NATO und zur Westorientierung) markiert hatte. 237<br />

An der DFU und ihrer Gründung waren von Anfang an Kommunisten beteiligt.<br />

Für die <strong>KPD</strong> hatte dieses Interesse und Engagement mehrere Gründe. <strong>Die</strong> Partei<br />

stand ebenso wie die übrigen oppositionellen Gruppen vor dem Problem, dass ihre<br />

Vorstellungen <strong>in</strong> der SPD, zu deren Wahl die <strong>KPD</strong> noch 1957 aufgerufen hatte,<br />

nicht mehr vertreten waren. Weiterh<strong>in</strong> entsprach die DFU der Konzeption e<strong>in</strong>er<br />

»E<strong>in</strong>heitsfront« und Bündnispolitik, wie sie bereits auf dem illegalen Parteitag 1957<br />

formuliert worden war, bis dah<strong>in</strong> aber nie wirksam werden konnte. Daneben bot<br />

die DFU auch die Möglichkeit, legale politische und eventuell sogar parlamentarische<br />

Arbeit zu leisten. 238<br />

Zu den Unterzeichnern des Gründungsaufrufes der DFU gehörte mit Hermann<br />

Gautier auch e<strong>in</strong> bekannter Bremer Kommunist. 239 <strong>Die</strong> Gründung des Bremer Lan-<br />

235 SAPMO DY IV 2/10.03/65 (Bericht des Politbüros über die Vorbereitung des Ostermarsches 1967, ohne<br />

Überschrift und Datum).<br />

236 Siehe die umfangreichen Berichte <strong>in</strong> SAPMO DY IV 2/10.03/201-206 [Ostermarschbewegung 1961-<br />

1969]; für <strong>Bremen</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/65 (Bericht des Politbüros über die Vorbereitung des Ostermarsches<br />

1967, ohne Überschrift und Datum).<br />

237 Vgl. zur DFU ausführlich: Rolf Schönfeldt, <strong>Die</strong> Deutsche Friedensunion, <strong>in</strong>: Richard Stöss, Parteien-<br />

Handbuch. <strong>Die</strong> Parteien der Bundesrepublik Deutschland <strong>1945</strong> - 1980, Band 1, S. 848-876; Lorenz<br />

Knorr, Geschichte der Friedensbewegung <strong>in</strong> der Bundesrepublik, Köln 1983, S. 122ff.<br />

238 Vgl. Rolf Schönfeldt, <strong>Die</strong> Deutsche Friedensunion, a.a.O., S. 853f.<br />

239 Herman Gautier war allerd<strong>in</strong>gs - im Zusammenhang mit se<strong>in</strong>en Aktivitäten <strong>in</strong> der DFU - im Juli 1961<br />

unter dem Verdacht der illegalen Tätigkeit für die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> Köln festgenommen worden und kehrte erst<br />

im Mai 1962 aus der Untersuchungshaft zurück. Unter anderem hatten sich Wilhelm Kaisen und August<br />

Hagedorn für se<strong>in</strong>e Freilassung e<strong>in</strong>gesetzt. Erst im Januar 1966 begann der Prozess gegen Hermann<br />

Gautier vor dem Bundesgerichtshof. Im Juli 1966 verurteilte ihn das Gericht zu acht Monaten<br />

Gefängnis, die Strafe war mit der Untersuchungshaft abgegolten. Siehe dazu diverse Artikel im Weser-<br />

Kurier (8.7.1961, 11.1.1966, 12.1.1966, 13.1.1966, 14.1.1966, 18.1.1966, 20.7.1966, 22.7.1966, 23.7.1966), Der


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 349<br />

desverbandes, an der mit Walter Oberle (Mitherausgeber von Neues Echo) undRolf<br />

Stelljes (Geschäftsführer des Landesfriedenskomitees) ebenfalls Kommunisten beteiligt<br />

waren, erfolgte am 18. Februar 1961, 240 erster Landesvorsitzender wurde der<br />

Pfarrer Robert Hartke. 241 Auch die »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung« schloss sich als<br />

korporatives Mitglied der DFU an. 242<br />

<strong>Die</strong> DFU sollte bereits zur bevorstehenden Bundestagswahl am 17. September<br />

1961 antreten. Im Juni 1961 wurde die Bremer Landesliste der DFU bekannt gegeben,<br />

Spitzenkandidat wurde Robert Hartke. Auf der zwölfköpfigen Kandidatenliste<br />

waren außer Maria Krüger ke<strong>in</strong>e bekannten Kommunisten vertreten. 243<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte <strong>in</strong> ihrem Wahlprogramm vom April 1961 die Frage des konkreten<br />

Wahlverhaltens noch offengelassen, 244 entschloss sich aber dann doch zur Unterstützung<br />

der DFU, nachdem e<strong>in</strong>e Reihe von Kandidaturen kommunistischer<br />

E<strong>in</strong>zelbewerber gescheitert war. In <strong>Bremen</strong> kündigte im Mai 1961 Wilhelm Meyer-<br />

Buer se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelkandidatur für den Wahlkreis <strong>Bremen</strong>-West an. Auf e<strong>in</strong>er Wahlversammlung<br />

im Niederdeutschen Theater am 9. Juni 1961 bekannte sich Meyer-<br />

Buer offen dazu, Kommunist zu se<strong>in</strong> (was <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> aber sowieso jeder wusste),<br />

und forderte dazu auf, ihm als solchen bei den Bundestagswahlen die Stimme zu<br />

geben. Er kündigte weitere Veranstaltungen an, zu denen es jedoch nicht mehr<br />

kam. Am 13. Juni 1961 wurde die Wohnung Meyer-Buers durchsucht 245 und zahlreiches<br />

Material beschlagnahmt, angekündigte Versammlungen des Kandidaten<br />

wurden von der Polizei unterbunden. <strong>Die</strong> Staatsanwaltschaft leitete e<strong>in</strong> Ermittlungsverfahren<br />

e<strong>in</strong>, und klagte Meyer-Buer schließlich wegen Unterstützung der<br />

verbotenen <strong>KPD</strong> an. 246<br />

<strong>Die</strong> Unterstützung der DFU durch die <strong>KPD</strong> musste im Wahlkampf Folgen haben.<br />

Der Partei schlug »der eisige W<strong>in</strong>d des Kalten Krieges entgegen«. 247 Nach dem<br />

Bau der Berl<strong>in</strong>er Mauer am 13. August 1961 248 verschärfte sich der Antikommunismus<br />

<strong>in</strong> der Bundesrepublik und <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>. <strong>Die</strong> DFU sah sich dem Vorwurf der<br />

kommunistischen Unterwanderung ausgesetzt und musste sich teilweise wüste Beschimpfungen<br />

(»Handlanger des Terrors«) gefallen lassen, besonders von Seiten<br />

der SPD, für die die DFU e<strong>in</strong>e Konkurrent<strong>in</strong> darstellte. 249 Kundgebungen und andere<br />

Veranstaltungen wurden massiv gestört, der Wahlkampf der DFU immer<br />

wieder beh<strong>in</strong>dert. Auch <strong>in</strong>nerparteilich kam es zu Spannungen: Der Bremer Vorsit-<br />

Spiegel 31/1966 und Neues Echo (9/1961, 28/1965, 45/1965); außerdem umfangreiche Materialien <strong>in</strong><br />

Privatarchiv Hermann Gautier sowie Interview Hermann Gautier.<br />

240 Verzicht auf Atomrüstung gefordert, Weser-Kurier, 20. Februar 1961.<br />

241 Vgl. Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 204.<br />

242 Ebenda.<br />

243 Neues Echo Nr. 13/1961 und 19/1961.<br />

244 Bundestagswahlprogramm der <strong>KPD</strong> 1961, <strong>in</strong>: <strong>KPD</strong> <strong>1945</strong> -<strong>1968</strong>. Dokumente, a.a.O., Band 2, S. 287ff.<br />

245 Neues Deutschland, 15. Juli 1961.<br />

246 Siehe Kapitel 6.<br />

247 Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 205.<br />

248 In Neues Echo wurde der Bau der Mauer unter der Überschrift »Größte Agentenzentrale der Welt<br />

lahmgelegt« verteidigt (Neues Echo, Nr. 17/1961).<br />

249 Vgl. Christoph Butterwegge, Friedenspolitik <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, a.a.O., S. 205.


350<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

zende und Spitzenkandidat Robert Hartke erklärte se<strong>in</strong>en Rücktritt und warf der<br />

DFU vor, die Gefahr des Kommunismus unterschätzt zu haben. 250 Nach der Wahl<br />

traten weitere Mitglieder (u.a. der zweite Vorsitzende <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>) mit derselben Begründung<br />

aus der Partei aus. 251<br />

Unter diesen Umständen konnte es nicht verwundern, dass die DFU bei der<br />

Bundestagswahl am 17. September 1961 nicht mehr als 1,9 Prozent der Stimmen erhielt.<br />

In <strong>Bremen</strong> lag ihr Ergebnis mit 3,0 Prozent (12.639 Stimmen) über dem Bundesdurchschnitt.<br />

Neues Echo bezeichnet nach der Wahl das Ergebnis als »mehr als<br />

e<strong>in</strong> Achtungserfolg«, der trotz der massiven Beh<strong>in</strong>derungen der DFU im Wahlkampf<br />

erzielt worden sei. 252<br />

In den folgenden Jahren war die DFU im wesentlichen als Wahlpartei aktiv und<br />

bezog dabei zunehmend auch <strong>in</strong>nenpolitische Themen mit e<strong>in</strong>. Für die <strong>KPD</strong> bot die<br />

Friedensunion damit vor allem die Möglichkeit, sich aktiv an Bürgerschafts- und<br />

Bundestagswahlen zu beteiligen.<br />

Zur Bürgerschaftswahl 1963 bewarb sich die DFU mit e<strong>in</strong>er Kandidatenliste, auf<br />

der auch mehrere bekannte Bremer Kommunisten standen, u.a. Wilhelm Meyer-<br />

Buer, Hermann Gautier, Maria Krüger und Arthur Böpple. 253 <strong>Die</strong> »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung«<br />

erklärte, dass sie sich selbst nicht wieder an den Wahlen beteiligen,<br />

sondern die DFU unterstützen werde. 254 <strong>Die</strong> beiden Spitzenkandidaten der DFU<br />

(Erich Jacob und Wilhelm Meyer-Buer) waren denn auch identisch mit denen der<br />

Wählervere<strong>in</strong>igung von 1959. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> beteiligte sich <strong>in</strong>tensiv am Wahlkampf und<br />

gab als Ziel desselben sowie e<strong>in</strong>iger anderer Aktionen zum 6. August und 1. September<br />

die »Verstärkung des Kampfes aller demokratischen und Friedens<strong>org</strong>anisationen«<br />

vor. »Dem CDU-Kurs der ›Politik der Stärke‹ muss mit diesen Aktionen<br />

und dem Wahlkampf e<strong>in</strong>e neue entscheidende Niederlage bereitet werden«, hieß es<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Planungspapier der Bezirksleitung. 255<br />

Das Ergebnis der Wahlen vom 29. September 1963 war für die DFU wenig ermutigend<br />

und lag sogar noch niedriger als bei der Bundestagswahl 1961 unmittelbar<br />

nach dem Mauerbau. Sie erhielt 10.607 Stimmen (2,7 Prozent), was <strong>in</strong> etwa dem<br />

Ergebnis der Wählervere<strong>in</strong>igung von 1959 entsprach. Auch die Resultate der übrigen<br />

Parteien, <strong>in</strong>sbesondere der CDU, waren für die DFU nicht erfreulich. <strong>Die</strong> SPD<br />

erzielte wie 1959 wiederum die absolute Mehrheit, die CDU konnte gar ihren - allerd<strong>in</strong>gs<br />

sehr niedrigen - Stimmenanteil von 1959 (14,8 Prozent) nahezu verdoppeln<br />

(28,9 Prozent). Auch die FDP und die DP zogen wieder <strong>in</strong> die Bürgerschaft e<strong>in</strong>. <strong>Die</strong><br />

DFU flüchtete sich <strong>in</strong> Zweckoptimismus und sah »das wichtigste Ergebnis der Bürgerschaftswahlen<br />

<strong>in</strong> der Tatsache, dass sich die Mehrheit der Wähler gegen die Adenauer-Politik<br />

ausgesprochen hat«, so Landesgeschäftsführer <strong>Die</strong>tmar T<strong>in</strong>nei. 256<br />

250 Ebenda.<br />

251 Ebenda, S. 206.<br />

252 Nach der Wahl, Neues Echo 20/1961.<br />

253 Das s<strong>in</strong>d die Kandidaten der DFU, Neues Echo 15/1963.<br />

254 Im Bündnis mit der DFU, Neues Echo 13/1963.<br />

255 Perspektivplan bis Ende des Jahres (<strong>Bremen</strong>), <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/55.<br />

256 Handeln und verhandeln!, Neues Echo 20/1963. Siehe auch ebenda: <strong>Die</strong> Bürgerschaftswahl 1963.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 351<br />

<strong>Die</strong> <strong>in</strong>terne Wahlanalyse der <strong>KPD</strong>-Bezirksleitung war kritischer. »Ziel des<br />

Wahlkampfes war, der CDU e<strong>in</strong>e Niederlage zu bereiten und die 5-%-Klausel zu<br />

überspr<strong>in</strong>gen. Das Ziel wurde nicht erreicht.« 257 Ursache dafür sei die »Atmosphäre<br />

des Kalten Krieges« und der Antikommunismus, dem sich auch die eigenen Genossen<br />

nicht entschieden genug oder falsch entgegen gestellt hätten:<br />

»Offensiver Kampf gegen den Antikommunismus besteht ja nicht dar<strong>in</strong>, zur DDR etwas zu<br />

sagen, wenn der Gegner mit se<strong>in</strong>er Hetze kommt. Es ist e<strong>in</strong>e ständige Aufgabe, die konkretes<br />

Wissen über die Verhältnisse, über den Aufbau, über alle Fragen der DDR voraussetzt. Und<br />

gerade konkretes Wissen fehlt oft. Viele Genossen, die ehrlich die DDR verteidigen wollen,<br />

verfallen deshalb oft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schwarz-Weiß-Malerei, die andere Menschen nicht überzeugt.«<br />

258<br />

Ansonsten beurteilte die Bezirksleitung den E<strong>in</strong>satz der Parteimitglieder positiv.<br />

Träger des DFU-Wahlkampfes war demnach die <strong>KPD</strong>:<br />

»Es wurde erreicht, dass e<strong>in</strong> großer Teil der Partei sich aktiv am Wahlkampf beteiligte. Im wesentlichen<br />

wurden alle Arbeiten von den Kadern der Partei getragen. [...] Das betrifft Flugblattverteilung,<br />

Plakataktionen, Diskussionen, Schutz der Versammlungen, Organisierung der<br />

Mahnwachen und im Grunde genommen alle Aufgaben, die mit der Führung des Wahlkampfes<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehen.« 259<br />

Der Aufwand habe jedoch <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Verhältnis zum Wahlergebnis gestanden,<br />

gab die Bezirksleitung später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er »Aussprache« <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> zu, und kritisierte<br />

den großen Materialaufwand. Es seien besonders <strong>in</strong> der letzten Woche vor der<br />

Wahl »e<strong>in</strong>e Unmenge von Plakaten, Flugblättern und anderen Wahlmaterialien der<br />

DFU von den Genossen vertrieben« worden, politische Gespräche mit der Bevölkerung<br />

seien kaum noch möglich gewesen. »Wenn wir <strong>in</strong> der letzten Woche noch e<strong>in</strong><br />

Flugblatt oder Plakat mehr bekommen hätten, hätten unsere Genossen alles h<strong>in</strong>geworfen.«<br />

260<br />

<strong>Die</strong> Analyse der Bezirksleitung betrachtete aber auch die DFU h<strong>in</strong>sichtlich ihrer<br />

Programmatik und ihrer Rolle als ›Wahlpartei‹ eher kritisch.<br />

»Trotz der im allgeme<strong>in</strong>en richtigen politischen Ziele gab es <strong>in</strong> der Darlegung e<strong>in</strong>er konstruktiven<br />

Landespolitik erhebliche Schwächen. So wurde z.B. das Ziel, für die traditionellen Wirtschaftszweige<br />

<strong>Bremen</strong>s (Häfen und Werften) e<strong>in</strong> konstruktives Programm auszuarbeiten, nur<br />

ungenügend verwirklicht. Auch <strong>in</strong> der Darlegung der landes- und kommunalpolitischen Ziele<br />

der DFU gab es erhebliche Mängel. Aber gerade diese Fragen spielen im Landtagswahlkampf<br />

e<strong>in</strong>e große Rolle.« 261<br />

Es müsse <strong>in</strong> Zukunft »e<strong>in</strong>e ständige Orientierung auf die landes- und kommunalpolitischen<br />

Probleme« geben. <strong>Die</strong> Bezirksleitung forderte mehr Kont<strong>in</strong>uität <strong>in</strong><br />

der politischen Arbeit. <strong>Die</strong> DFU sei seit der letzten Bundestagswahl »praktisch nicht<br />

<strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung getreten«. E<strong>in</strong> Wahlkampf könne nicht gewonnen werden, wenn<br />

nur <strong>in</strong> den letzten vier Wochen »alle Anstrengungen unternommen werden«. 262<br />

257 Bericht und E<strong>in</strong>schätzung der Bremer Bürgerschaftswahlen 29.9.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.03/55.<br />

258 Ebenda.<br />

259 Ebenda.<br />

260 Bericht über e<strong>in</strong>e Aussprache mit der BL <strong>Bremen</strong> am 13.10.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/106.<br />

261 Bericht und E<strong>in</strong>schätzung der Bremer Bürgerschaftswahlen 29.9.1963, <strong>in</strong>: SAPMO DY 2/10.03/55.<br />

262 Ebenda.


352<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

E<strong>in</strong>e derartige Orientierung gab es auch <strong>in</strong> der Folgezeit nicht, die DFU blieb im<br />

wesentlichen e<strong>in</strong>e ›Wahlpartei‹. <strong>Die</strong> Bundestagswahlen 1965 brachten ihr ke<strong>in</strong> besseres<br />

Ergebnis als zuvor. Während die Partei auf Bundesebene sogar noch Stimmen<br />

verlor (sie erhielt nur 1,3 Prozent), konnte der Bremer Landesverband mit 2,7 Prozent<br />

immerh<strong>in</strong> <strong>in</strong> etwa se<strong>in</strong> Ergebnis von 1961 halten, wenn auch mit leichten<br />

Stimmenverlusten. Auf der Landesliste stand an zweiter Stelle das <strong>KPD</strong>-Mitglied<br />

He<strong>in</strong>z Röpke (Betriebsrat bei Klöckner), der auch als Direktkandidat der DFU im<br />

Wahlkreis <strong>Bremen</strong>-West auftrat. 263<br />

Schwerpunkt des Wahlkampfes der DFU <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> waren 1965 zum ersten Mal<br />

die geplanten Notstandsgesetze. Mit dem Motto »Notstandsgegner <strong>in</strong>s Parlament«<br />

sollten vor allem Gewerkschafter angesprochen werden, da sich der DGB zunehmend<br />

gegen die Notstandsgesetzgebung aussprach, die SPD aber eher für e<strong>in</strong>e Annahme<br />

votierte, und damit, so die Argumentation der DFU, für Notstandsgegner<br />

nicht wählbar sei. 264 <strong>Die</strong> verstärkte Orientierung auf <strong>in</strong>nenpolitische und gewerkschaftliche<br />

Themen hatte bei dieser Wahl noch ke<strong>in</strong>erlei Erfolge gebracht. E<strong>in</strong> gewisser<br />

E<strong>in</strong>fluss der <strong>KPD</strong> - mit dem Direktkandidaten He<strong>in</strong>z Röpke sowie etwa drei<br />

bis vier weiteren, eher unbekannten Kommunisten auf der Landesliste der DFU -<br />

war zwar festzustellen, g<strong>in</strong>g jedoch nicht über das bei den Wahlen zuvor gezeigte<br />

Maß h<strong>in</strong>aus und hatte außerdem nicht die erhoffte Wirkung <strong>in</strong> Gewerkschaftskreisen.<br />

<strong>Die</strong>s änderte sich mit der nächsten Bürgerschaftswahl im Oktober 1967, bei denen<br />

die DFU mit e<strong>in</strong>er stark auf Arbeiter<strong>in</strong>teressen und soziale Probleme ausgerichteten<br />

Programmatik auf 4,2 Prozent der Stimmen kam und damit das bundesweit<br />

höchste Wahlergebnis ihrer Geschichte erzielen konnte. <strong>Die</strong> Wahl war auch e<strong>in</strong> Erfolg<br />

für die illegale <strong>KPD</strong>, die den Großteil der Kandidaten stellte und entscheidend<br />

Programmatik und Wahlkonzept mitbestimmt hatte.<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> begann früh mit der Planung und Vorbereitung der Wahlen. Dabei<br />

war zunächst gar nicht sicher, ob die DFU überhaupt als eigenständige Partei bei<br />

den Bürgerschaftswahlen antreten sollte. E<strong>in</strong>e Vorlage für das Politbüro der <strong>KPD</strong> <strong>in</strong><br />

Ost-Berl<strong>in</strong> schlug im März 1967 vor, »e<strong>in</strong> Wahlbündnis aller demokratischen und<br />

friedliebenden Kräfte für die Bürgerschaftswahlen zu <strong>org</strong>anisieren. <strong>Die</strong>ses Bündnis<br />

der sozialistischen und demokratischen Kräfte soll e<strong>in</strong> antimonopolistisches und<br />

demokratisches Bündnis se<strong>in</strong>, das sich stark auf die Arbeiterklasse und ihre Gewerkschaften<br />

orientiert.« 265 Das Bündnis sollte u.a. gebildet werden von der »Bremer<br />

Wählervere<strong>in</strong>igung«, der DFU, dem »Arbeitskreis gegen die Notstandsgesetze«<br />

und der »Vere<strong>in</strong>igung unabhängiger Sozialisten« (VUS). <strong>Die</strong> Vorlage schlug<br />

auch gleich e<strong>in</strong>ige Namen wie »Demokratische L<strong>in</strong>ke«, »Demokratische Opposition«<br />

oder »Vere<strong>in</strong>igte L<strong>in</strong>ke« vor. 266<br />

263 Wählt Notstandsgegner <strong>in</strong> den Bundestag, Neues Echo 21/1965.<br />

264 Vgl. die Wahlkampfkampagne der DFU <strong>in</strong> Neues Echo Juli - September 1965.<br />

265 Vorlage für das Politbüro. Zu den Bürgerschaftswahlen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 1. Oktober 1967 [29. März 1967], S.8,<strong>in</strong>:<br />

SAPMO DY 2/10.03/65.<br />

266 Ebenda.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 353<br />

Das Politbüro lehnte jedoch die Bildung e<strong>in</strong>es solchen Wahlbündnisses ab. <strong>Die</strong><br />

Ablehnung basierte vor allem auf e<strong>in</strong>em Bericht von Hermann Gautier über die Situation<br />

der <strong>in</strong> der Vorlage genannten Organisationen und die »Ergebnisse erster<br />

Aussprachen«. <strong>Die</strong> diversen sozialistischen Splittergruppen wie die VUS hätten <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> »nur e<strong>in</strong>en verschw<strong>in</strong>dend kle<strong>in</strong>en Anhängerkreis und kaum Mitglieder«.<br />

Ihr E<strong>in</strong>fluss sei »gänzlich unbedeutend, so dass von daher ke<strong>in</strong>e nennenswerte Unterstützung<br />

für e<strong>in</strong> Wahlbündnis zu erwarten ist«. Es gebe auch ke<strong>in</strong>e Aussichten,<br />

»Sozialdemokraten bzw. sozialdemokratische oder bekannte parteilose Gewerkschaftsfunktionäre<br />

für e<strong>in</strong> Zusammengehen mit der kommunistischen Wählervere<strong>in</strong>igung<br />

und der DFU oder für e<strong>in</strong>e Kandidatur auf der Liste e<strong>in</strong>er fortschrittlichdemokratischen<br />

Wahlunion zu gew<strong>in</strong>nen«. Es bedeute daher, so das Politbüro,<br />

»ke<strong>in</strong>e Verbreiterung, sondern e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>engung, wenn die DFU nun e<strong>in</strong>e Gruppierung<br />

unterstützen soll, die <strong>in</strong> ihrer Breite kaum über die von den Kommunisten getragene<br />

Wählervere<strong>in</strong>igung h<strong>in</strong>ausgeht«. E<strong>in</strong> Politbüromitglied bemerkte außerdem,<br />

»dass die Parteigruppe <strong>in</strong> der Spitze der DFU nach Prüfung aller Umstände<br />

entschieden abrät, die DFU auf die Unterstützung e<strong>in</strong>er wesentlich engeren Gruppierung<br />

im Wahlkampf zu verpflichten; das würde auch die ohneh<strong>in</strong> schwierige<br />

Lage <strong>in</strong> der DFU noch mehr komplizieren«. Es gebe deshalb, so das Politbüro, »ke<strong>in</strong>e<br />

andere Möglichkeit, als alle Kräfte auf die Unterstützung der DFU zu konzentrieren«.<br />

267<br />

Das Politbüro übernahm aber die <strong>in</strong> der Vorlage genannten politischen Zielstellungen<br />

und beschloss »die Bildung e<strong>in</strong>er Wahlliste, die unter dem Namen der DFU<br />

kandidiert, auf der aber sowohl Vertreter der DFU, der Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung,<br />

des Arbeitskreises der Bremer Notstandsgegner und E<strong>in</strong>zelpersönlichkeiten - möglichst<br />

auch solche, die <strong>in</strong> der Arbeiterklasse und den Gewerkschaften Namen haben<br />

- kandidieren«. 268 Verabschiedet wurden außerdem die <strong>in</strong> der Vorlage genannten<br />

Grundzüge der Wahlprogrammatik und -ziele sowie e<strong>in</strong>e Reihe von der Bremer<br />

Bezirksleitung durchzuführenden Maßnahmen. <strong>Die</strong> »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung«<br />

sollte bereits im Mai 1967 »mit e<strong>in</strong>em besonders an die Arbeiter und Angestellten<br />

und ihre Gewerkschaften gerichteten Programm an die Öffentlichkeit treten« und<br />

außerdem mit der DFU und den anderen Organisationen Absprachen über das<br />

Bündnis und den Wahlkampf treffen. Spätestens im Juni sollte die DFU schließlich<br />

Wahlprogramm und Kandidatenliste veröffentlichen. 269<br />

<strong>Die</strong> Vorbereitung des Wahlkampfes begann noch im April 1967. Der Landesvorstand<br />

der DFU verbreitete nach e<strong>in</strong>er Vorstandssitzung am 21. April 1967 e<strong>in</strong>e<br />

Presserklärung, <strong>in</strong> der die Partei zur Zusammenarbeit »aller nicht von der Großen<br />

Koalition repräsentierten politischen Kräfte« aufrief. <strong>Die</strong> DFU werde sich bemühen,<br />

»das Auftreten der außerparlamentarischen Opposition zu koord<strong>in</strong>ieren«. 270<br />

267 Brief: Arbeitsbüro [Max Spangenberg] an Hermann Matern, 27.4.67, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/65.<br />

268 Beschluss der Vollsitzung des PB vom 30.- 31.3.1967, Zu den Bürgerschaftswahlen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> am 1. Oktober<br />

1967, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/199.<br />

269 Ebenda.<br />

270 Presseerklärung der DFU <strong>Bremen</strong> und Alle oppositionellen Kräfte zusammenführen!, Neues Echo 28. April<br />

1967, Nr. 17/18 1967.


354<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

Wie vom Politbüro v<strong>org</strong>esehen, trat die »Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung« bereits<br />

Anfang Mai 1967 an die Öffentlichkeit. Auf e<strong>in</strong>er Landesmitgliederversammlung<br />

am 4. Mai 1967 erklärte sie, dass sie auf der Liste der DFU kandidieren werde, »als<br />

entschiedene Vertreter<strong>in</strong> der Interessen der arbeitenden Bevölkerung« und »<strong>in</strong> enger<br />

Verbundenheit mit der demokratischen Opposition, der DFU und den Notstandsgegnern«.<br />

271 Verabschiedet wurde auch e<strong>in</strong> Wahlprogramm, das <strong>in</strong> weiten<br />

Teilen mit den im Beschluss des Politbüros genannten Grundzügen der Wahlprogrammatik<br />

identisch war. Schon der Titel »Im Mittelpunkt: Der arbeitende Mensch«<br />

verdeutlichte klar die Zielrichtung. Enthalten waren e<strong>in</strong> Sofortprogramm (u.a. Kürzung<br />

des Rüstungsetats, Sicherung der Arbeitsplätze, höhere Löhne und Renten,<br />

Mieterschutz, Senkung der Lohnsteuer) sowie e<strong>in</strong> »demokratisches Entwicklungsprogramm«,<br />

das die »gesellschaftliche Stellung der arbeitenden Menschen fördern<br />

und ihren sozialen Besitzstand mehren« sollte. 272 Damit hatte die Wählervere<strong>in</strong>igung<br />

erstmals nicht die Friedens- und Deutschlandpolitik <strong>in</strong> den Mittelpunkt ihrer<br />

Programmatik gestellt, sondern vor allem <strong>in</strong>nenpolitische, soziale und auch sozialistische<br />

Forderungen (»Begrenzung der wirtschaftlichen Macht der großen Konzerne<br />

durch Überführung der Konzernbetriebe <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>eigentum«) 273 propagiert.<br />

Mehr im Mittelpunkt als zuvor standen außerdem landespolitische Themen und<br />

Entwicklungsperspektiven. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> hatte damit auch die Konsequenzen aus den<br />

Erfahrungen der Bürgerschaftswahl von 1963 gezogen. Dass e<strong>in</strong>e solche Neuorientierung<br />

nötig und überhaupt möglich war, war auf die veränderten <strong>in</strong>nenpolitischen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen zurückzuführen. 1966/67 geriet die Bundesrepublik <strong>in</strong> die erste<br />

größere Rezession seit dem »Wirtschaftswunder«. H<strong>in</strong>zu kamen die Bildung der<br />

Großen Koalition 1966 und das Erstarken der außerparlamentarischen Opposition<br />

im Zuge der Studentenbewegung, die 1967 ihre ersten Höhepunkte hatte und durch<br />

die auch sozialistische Theorien und Forderungen wieder auf breiteres Interesse<br />

und größere Akzeptanz trafen. Gleichzeitig hatte sich das <strong>in</strong>nenpolitische Klima<br />

allmählich liberalisiert. <strong>Die</strong> Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots wurde <strong>in</strong> der Öffentlichkeit<br />

zunehmend diskutiert, so dass Kommunisten bzw. die <strong>KPD</strong> verstärkt öffentlich<br />

auftreten konnten.<br />

Das Wahlprogramm und die Kandidatenliste der DFU wurden auf e<strong>in</strong>em Landeswahlkongress<br />

am 9. Juni beschlossen. 274 Das Programm enthielt zwar noch allgeme<strong>in</strong>e<br />

Kritik an der Rüstung, die konkreten Forderungen bezogen sich jedoch<br />

fast ausschließlich auf <strong>in</strong>nen- und sozialpolitische Themen (Sicherung von Arbeitsplätzen,<br />

Ausbau sozialer Infrastruktur und des Bildungswesens, Ausbau der De-<br />

271 Forderungsprogramm für die Arbeiter, Neues Echo 12. Mai 1967, Nr. 19/1967.<br />

272 Im Mittelpunkt: Der arbeitende Mensch. Forderungsprogramm der Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung, Bürgerschaftswahl<br />

1967, <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier. <strong>Die</strong> <strong>in</strong>haltliche Neuorientierung kam auch <strong>in</strong> der Verkürzung<br />

des Namens der Wählervere<strong>in</strong>igung zum Ausdruck: »gegen atomare Aufrüstung, für Frieden<br />

und Verständigung« wurde schlicht entfernt.<br />

273 Im Mittelpunkt: Der arbeitende Mensch. Forderungsprogramm der Bremer Wählervere<strong>in</strong>igung, Bürgerschaftswahl<br />

1967, <strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier.<br />

274 Der demokratischen Opposition Gehör im Parlament verschaffen, Neues Echo 16. Juni 1967, Nr. 24/1967.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 355<br />

mokratie und Ablehnung der Notstandsgesetze). Erst an letzter Stelle stand die<br />

Forderung nach »Sicherheit durch e<strong>in</strong>e Politik des Friedens und der Abrüstung«. 275<br />

Zur Kandidatenliste erklärte die DFU, sie habe ihre Liste »unabhängigen Personen<br />

und verschiedenen oppositionellen Gruppierungen zur Verfügung gestellt. Da<br />

die Auswirkungen der gescheiterten Bonner Politik die Berufstätigen zuerst treffen<br />

und Arbeitsplätze sowie sozialer Besitzstand nicht mehr gesichert s<strong>in</strong>d, hat sie ihre<br />

Liste besonders Vertretern der Arbeiterschaft geöffnet.« 276 <strong>Die</strong> Vertreter der<br />

Arbeiterschaft waren hauptsächlich Kommunisten. Von den 25 Kandidaten der<br />

DFU für den Wahlbereich <strong>Bremen</strong> waren fast die Hälfte bekannte <strong>KPD</strong>-Mitglieder,<br />

als Spitzenkandidat trat Hermann Gautier an. 277<br />

Auch im Wahlkampf traten für die DFU <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die kommunistischen<br />

Kandidaten auf. <strong>Die</strong> Kle<strong>in</strong>arbeit <strong>in</strong> den Stadtteilen, so Herbert Breidbach, habe<br />

»vorwiegend auf den Schultern von Kommunisten« gelegen, »das war die eigentliche<br />

Basis - die DFU hatte ja nicht <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne Gruppen, Parteigruppen. Das war<br />

unsere Arbeit.« 278 Neu war bei dieser Wahl, dass die kommunistischen Kandidaten<br />

auch offen als Kommunisten auftraten. »Zum ersten Mal seit vielen Jahren«, so e<strong>in</strong>e<br />

spätere Wahlanalyse der <strong>KPD</strong>, seien »<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gezielten Aktion bekannte Kommunisten<br />

wieder vor den Betrieben aufgetreten«. 279 <strong>Die</strong> Stimmung <strong>in</strong> der Bevölkerung<br />

für die Politik der Partei sei durch die Bildung der Großen Koalition offensichtlich<br />

günstiger geworden. »Wo es Diskussionen gab, haben wir feststellen können, dass<br />

der primitive Antikommunismus ger<strong>in</strong>ger geworden ist«. 280<br />

Das Ergebnis der Bürgerschaftswahlen am 1. Oktober 1967 musste der DFU wie<br />

vor allem auch der <strong>in</strong>zwischen verstärkt nach Wiederzulassung strebenden <strong>KPD</strong> als<br />

Bestätigung ersche<strong>in</strong>en: 281 Sie erzielte 17.240 Stimmen (4,2 Prozent). Damit verfehlte<br />

sie zwar den E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die Bürgerschaft, konnte aber im Vergleich zu 1963 fast<br />

7000 Stimmen h<strong>in</strong>zugew<strong>in</strong>nen. Gleichzeitig war dies das mit Abstand beste Ergebnis,<br />

das die DFU auf Bundesebene jemals <strong>in</strong> Landtags- oder Bundestagswahlen erzielen<br />

konnte. 282<br />

Offenbar hatte die DFU mit ihrer auf Arbeitnehmer<strong>in</strong>teressen zugeschnittenen<br />

und im wesentlichen von der <strong>KPD</strong> formulierten Programmatik nun auch die Wäh-<br />

275 Es kann der Bremer nicht <strong>in</strong> Frieden leben, wenn es den Bonnern nicht gefällt. Programm für <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven,<br />

<strong>in</strong>: Privatarchiv Hermann Gautier. Der Name DFU tauchte auf dem Titel des Programms gar<br />

nicht auf. Auf der Innenseite heißt es lediglich »Programm der demokratischen Opposition (DFU) zur<br />

Bürgerschaftswahl«.<br />

276 Der demokratischen Opposition Gehör im Parlament verschaffen, Neues Echo 16. Juni 1967, Nr. 24/1967.<br />

277 Ebenda. Zwölf der 25 Kandidaten waren mit Sicherheit Mitglieder der <strong>KPD</strong>. Es ist aber davon auszugehen,<br />

dass dies auch auf e<strong>in</strong>ige andere, weniger bekannte zutraf.<br />

278 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />

279 Beschluss des Politbüros vom 6. Oktober 1967, Zur Wahle<strong>in</strong>schätzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />

2/10.03/199. Siehe auch z.B. Foto und Kurzartikel über Hermann Gautier bei e<strong>in</strong>er Flugblattverteilung<br />

vor der AG »Weser«, <strong>in</strong> Im Mittelpunkt: Der arbeitende Mensch, Neues Echo 14. Juli 1967, Nr. 28/1967.<br />

280 Beschluss des Politbüros vom 6. Oktober 1967, Zur Wahle<strong>in</strong>schätzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />

2/10.03/199.<br />

281 Siehe Erklärung der Deutschen Friedensunion, Landesverband <strong>Bremen</strong>, zum Ausgang der Bremer Bürgerschaftswahlen<br />

1967, Neues Echo 6. Oktober 1967, Nr. 40/1967.<br />

282 Vgl. Rolf Schönfeldt, <strong>Die</strong> Deutsche Friedensunion, a.a.O., S. 868.


356<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

ler <strong>in</strong> den Arbeiterbezirken ansprechen können. Ihre besten Ergebnisse erzielte sie<br />

<strong>in</strong> den Ortsteilen Osterfeuerberg (12,3 Prozent), Gröpel<strong>in</strong>gen (8,3 Prozent) und Oslebshausen<br />

(7,4 Prozent), allesamt ehemalige Hochburgen der <strong>KPD</strong>. Hier hatte auch<br />

die SPD - die <strong>in</strong>sgesamt über 30.000 Stimmen verlor und auf nur noch 46 Prozent<br />

kam - ihre stärksten Verluste zu verzeichnen.<br />

Relativiert wurde das für die DFU positive Ergebnis allerd<strong>in</strong>gs durch den<br />

Wahlerfolg der rechtsradikalen NPD, die mit 8,8 Prozent der Stimmen <strong>in</strong> die Bürgerschaft<br />

e<strong>in</strong>zog. 283 Auch <strong>in</strong> den meisten der genannten Ortsteile konnte die NPD<br />

e<strong>in</strong>en höheren Stimmenanteil erzielen als die DFU. 284<br />

<strong>Die</strong> Wahlanalyse des Politbüros der <strong>KPD</strong> stellte deshalb auch zunächst den Erfolg<br />

der NPD und die starken Stimmenverluste der SPD <strong>in</strong> den Vordergrund. Das<br />

Hauptergebnis der Wahlen sei »e<strong>in</strong>deutig e<strong>in</strong>e Rechtsentwicklung« und der E<strong>in</strong>zug<br />

der NPD <strong>in</strong> die Bürgerschaft e<strong>in</strong>e »alarmierende Entwicklung«. Man müsse das Ergebnis<br />

für die faschistische NPD »sehr ernst e<strong>in</strong>schätzen«. Das Politbüro vermutete,<br />

»dass die NPD offensichtlich der Hauptgew<strong>in</strong>ner des Stimmenverlustes von der<br />

SPD war. Das sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> Ausdruck dafür zu se<strong>in</strong>, dass viele mit der Politik der<br />

großen Koalition unzufriedene Wähler diesmal dieser neofaschistischen Partei ihre<br />

Stimme gegeben haben«. 285<br />

Das Wahlergebnis für die DFU bezeichnete das Politbüro als »bedeutungsvoll«<br />

und »beachtlichen Erfolg«. »Zum ersten Mal seit vielen Jahren haben wir e<strong>in</strong> Ergebnis<br />

erzielt, das nahe an die 5-Prozent-Klausel heranreicht [...]. Wenn man dabei<br />

berücksichtigt, dass wir mit 17.000 Stimmen fast das Ergebnis der letzten erfolgreichen<br />

Wahlen für die Partei im Jahre 1955 erreichten [...], dann unterstreicht das diesen<br />

Erfolg.«<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> führte den relativen Erfolg hauptsächlich auf die <strong>in</strong>haltliche Neuorientierung<br />

der DFU zurück, die bei den Wählern auf mehr Verständnis gestoßen sei.<br />

Auch die Zusammensetzung der Kandidatenliste habe deutlich gemacht,<br />

»dass wir uns auf die Arbeiter und auf die werktätigen Schichten konzentrieren [...]. Wichtig<br />

ist vor allem, dass e<strong>in</strong>e ganze Reihe Kommunisten auf diesen Listen standen, und dass <strong>in</strong> der<br />

Bevölkerung auch anerkannt wurde, dass die Kommunisten <strong>in</strong> der Vergangenheit die besten<br />

Interessenvertreter für die sozialen und demokratischen Interessen der Bevölkerung waren,<br />

und dass sich das Auftreten der Kommunisten auf den Listen der demokratischen Opposition<br />

positiv bemerkbar gemacht hat«. 286<br />

Das Ergebnis der Bremer Bürgerschaftswahlen, die <strong>in</strong>haltliche Neuorientierung<br />

und die vorangegangenen Überlegungen zur Gründung e<strong>in</strong>es neuen Wahlbündnissesmarkierten<strong>in</strong><strong>Bremen</strong>dieAbkehrder<strong>KPD</strong>vonderhauptsächlichaufdieFriedenspolitik<br />

orientierten DFU. Konkrete Überlegungen dazu waren <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> bereits<br />

vor der Wahl angestellt worden. E<strong>in</strong>e Vorlage des für die <strong>KPD</strong> zuständigen<br />

283 Bereits 1959 hatte die rechtsradikale DRP mit 3,8 Prozent mehr Stimmen erzielen können als die Bremer<br />

Wählervere<strong>in</strong>igung.<br />

284 Materialien Statistisches Landesamt (Wahlamt).<br />

285 Beschluss des Politbüros vom 6. Oktober 1967, Zur Wahle<strong>in</strong>schätzung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV<br />

2/10.03/199.<br />

286 Ebenda.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 357<br />

SED-Arbeitsbüros kam im September 1967 zu e<strong>in</strong>er skeptischen E<strong>in</strong>schätzung der<br />

DFU. <strong>Die</strong> Entwicklung der DFU seit ihrer Gründung habe gezeigt, dass das Konzept<br />

der Schaffung e<strong>in</strong>er breiten Sammlungsbewegung offensichtlich gescheitert<br />

sei:<br />

»<strong>Die</strong> DFU blieb e<strong>in</strong>e fast wirkungslose M<strong>in</strong>derheit, die nicht fähig wurde, <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>e Klasse<br />

oder Schicht, geschweige denn im ganzen Volk der Bundesrepublik nennenswerten E<strong>in</strong>fluss<br />

zu erreichen [...]. Aus der Absicht, primär e<strong>in</strong>e Bewegung und sekundär e<strong>in</strong>e Partei zu schaffen,<br />

damit auch über die parlamentarischen Wege die Opposition zu Wort kommt, ist nichts<br />

geworden. Im wesentlichen zeigte die DFU nur als Wahlpartei sichtbare Aktivität. Auch die<br />

Wiederbelebung nach leeren und langen Perioden der Stagnation und des fast völligen Erliegens<br />

des <strong>in</strong>ner<strong>org</strong>anisatorischen Lebens geschah fast nur <strong>in</strong> der Vorbereitung von Wahlen.«<br />

287<br />

<strong>Die</strong> Vorlage empfahl die Umwandlung der DFU »<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Partei, die versucht,<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die bürgerliche Intelligenz, auf die mittlere und kle<strong>in</strong>e Bourgeoisie und<br />

evtl. auf das städtische Kle<strong>in</strong>bürgertum zu bekommen«. <strong>Die</strong> Kräfte der <strong>KPD</strong> seien<br />

»bis auf solche, die fest <strong>in</strong> der DFU aufgegangen s<strong>in</strong>d, von ihr zu lösen [...]. <strong>Die</strong><br />

nicht <strong>in</strong> der Öffentlichkeit als Kommunisten bekannten Mitglieder der Partei sollten<br />

sich offiziell von der DFU trennen, um E<strong>in</strong>fluss auf die Gründung und Gestaltung<br />

der unabweichlich entstehenden Partei zu nehmen«. 288<br />

Max Spangenberg, Leiter des Arbeitsbüros der SED, bezeichnete die Vorschläge<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er späteren Bewertung der Vorlage als »der Überlegung wert«, empfahl aber<br />

mit e<strong>in</strong>er Entscheidung noch abzuwarten. 289 <strong>Die</strong> Entwicklung der folgenden Monate<br />

bis zur Neugründung der DKP im September <strong>1968</strong> allerd<strong>in</strong>gs zeichnete sich <strong>in</strong><br />

den Überlegungen des Arbeitsbüros zur DFU und zur künftigen Gestaltung von<br />

»demokratischen Sammlungsbewegungen« bereits ab. 290<br />

6. Aktivitäten gegen das Verbot und die Gründung der DKP<br />

Zu dem für die Partei als Organisation wichtigsten Arbeitsschwerpunkt der <strong>KPD</strong><br />

wurden <strong>in</strong> den 1960er Jahren die Aktivitäten gegen das Verbot, an deren Entwicklung<br />

ebenfalls die veränderten Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen der Partei deutlich wurden<br />

In <strong>Bremen</strong> gab es bis Mitte der 1960er Jahre nur sehr selten öffentliche Äußerungen<br />

von Kommunisten, die die Aufhebung des Verbots forderten. 291 Auch <strong>in</strong><br />

287 1. Entwurf: Vorschläge über Perspektive und Inhalt der Sammlungsbewegung [Arbeitsbüro, 27. September<br />

1967], <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/213.<br />

288 Ebenda.<br />

289 Bemerkungen zur Vorlage: Zu e<strong>in</strong>igen Problemen der DFU und der Sammlung der demokratischen Kräfte, <strong>in</strong>:<br />

SAPMO DY IV 2/10.03/213.<br />

290 <strong>Die</strong> <strong>in</strong> der Vorlage entworfenen Skizzierungen und Vorschläge für e<strong>in</strong>e demokratische Sammlungsbewegung<br />

fanden sich später <strong>in</strong> der »Aktion demokratischer Fortschritt« (ADF) wieder, mit der die neugegründete<br />

DKP 1969 zur Bundestagswahl antrat. Auch die DFU beteiligte sich an der ADF.<br />

291 So beispielsweise Wilhelm Meyer-Buer anlässlich se<strong>in</strong>er Bundestagskandidatur 1961.


358<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

Neues Echo fanden sich nur sehr vere<strong>in</strong>zelt und <strong>in</strong>direkt formuliert solche Forderungen<br />

nach Wiederzulassung der <strong>KPD</strong>.<br />

1964 begann auch die Bremer <strong>KPD</strong>, die Forderung nach Aufhebung des Verbots<br />

stärker <strong>in</strong> der Öffentlichkeit zu vertreten. <strong>Die</strong> politische Diskussion <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> eröffnete<br />

e<strong>in</strong> sozialdemokratischer Senator. Hans Koschnick, seit 1963 Innensenator,<br />

hatte auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz am 6. Februar 1964 den Bremer Verfassungsschutzbericht<br />

v<strong>org</strong>estellt und dabei e<strong>in</strong>e »geistige Ause<strong>in</strong>andersetzung« mit dem Kommunismus<br />

gefordert. »Purer Antikommunismus«, so Koschnick, reiche nicht aus<br />

um »Jugendliche ebenso wie Erwachsene über Taktik und Ziele der totalitären<br />

Machthaber jenseits des Eisernen Vorhangs aufzuklären«. 292 Daraufh<strong>in</strong> schrieb<br />

Hermann Gautier e<strong>in</strong>en Offenen Brief an Koschnick. Er entnehme den Äußerungen<br />

des Innensenators, so Gautier, dass dieser das Verbot der <strong>KPD</strong> nicht für richtig halte,<br />

»denn e<strong>in</strong>e wirkliche politische Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Kommunisten ist<br />

nur möglich, wenn die Legalität der <strong>KPD</strong> wiederhergestellt wird.« Das Verbot sei<br />

e<strong>in</strong> »Akt der starren Politik der Adenauer-Ära« gewesen und entspreche nicht mehr<br />

den politischen Bed<strong>in</strong>gungen, die von e<strong>in</strong>er zunehmenden Entspannung gekennzeichnet<br />

seien. Alle, die den Kalten Krieg beenden wollten, und dazu rechne er nun<br />

auch Koschnick, müssten daher »E<strong>in</strong>fluss darauf ausüben, dass auch h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der Wiederherstellung der Legalität der <strong>KPD</strong> bald Schritte unternommen werden«.<br />

293<br />

In der Folgezeit versuchte auch Neues Echo, die öffentliche Debatte zu <strong>in</strong>tensivieren<br />

und veröffentlichte verstärkt Artikel und Me<strong>in</strong>ungen gegen das Verbot der<br />

<strong>KPD</strong>. Im Februar 1965 war es dann wieder Hans Koschnick, der sich anlässlich der<br />

Beratungen zum Bremischen Pressegesetz <strong>in</strong> der Bürgerschaft für e<strong>in</strong>e Revision des<br />

politischen Strafrechts und für e<strong>in</strong>e Überprüfung des <strong>KPD</strong>-Verbots aussprach. 294<br />

Daraufh<strong>in</strong> wagte die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>en weiteren Schritt nach vorn: Am 2. April 1965 fand<br />

im Niederdeutschen Theater erstmals e<strong>in</strong>e öffentliche Diskussionsveranstaltung zur<br />

Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots statt, zu der die vier ehemaligen Bürgerschaftsabgeordneten<br />

e<strong>in</strong>geladen hatten. 295 <strong>Die</strong> Veranstaltung fand laut Neues Echo, das <strong>in</strong> großer<br />

Aufmachung berichtete, über 400 Teilnehmer. 296 Hermann Gautier erklärte auf<br />

der Veranstaltung, dass es den Kommunisten nicht um parteiegoistische Ziele gehe:<br />

»<strong>Die</strong> Frage der Wiederherstellung der Legalität der <strong>KPD</strong> ist zugleich e<strong>in</strong>e Frage des allgeme<strong>in</strong>en<br />

demokratischen Bewusstse<strong>in</strong>s. Wie viel und wie wenig Demokratie es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lande<br />

292 Illegale Kommunisten müde geworden, Weser-Kurier, 7. Februar 1964.<br />

293 Exemplar des Offenen Briefes <strong>in</strong> Privatarchiv Hermann Gautier. Außerdem abgedruckt <strong>in</strong> Neues Echo<br />

8/1964, 22. Februar 1964; ebenfalls <strong>in</strong>: Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung <strong>in</strong> Deutschland<br />

seit <strong>1945</strong>, bearbeitet und herausgegeben von Ossip K. Flechtheim, 9 Bände, Berl<strong>in</strong> 1962ff., hier: Band 5,<br />

S. 366. Von der übrigen Bremer Presse wurde der Offene Brief nicht erwähnt.<br />

294 <strong>Bremen</strong>s Innensenator Koschnick: <strong>KPD</strong>-Verbot überprüfen, Neues Echo 8/1965, 26. Februar 1965.<br />

295 Ankündigung <strong>in</strong> Neues Echo, Nr. 13/1965, 2. April 1965; Plakat »Das <strong>KPD</strong>-Verbot aufheben! <strong>in</strong> Privatarchiv<br />

Hermann Gautier.<br />

296 <strong>Bremen</strong>: 400 Bürger nahmen teil am Ausspracheabend über <strong>KPD</strong>-Verbot und Aussprache über <strong>KPD</strong>-Verbot,<br />

Neues Echo Nr. 14/1965, 9. April 1965.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 359<br />

gibt, zeigt sich daran, ob die Kommunisten am politischen Leben des Volkes gleichberechtigt<br />

teilnehmen oder ob sie verfolgt werden.« 297<br />

Neues Echo betonte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht, dass »sowohl die E<strong>in</strong>berufer der Veranstaltung<br />

[...], als auch die Diskussionsredner kommunistischer Ges<strong>in</strong>nung« sich<br />

»zum Grundgesetz der Bundesrepublik und zu den Regeln e<strong>in</strong>es wahrhaft sozialen<br />

und demokratischen Rechtsstaates« bekannt hätten. 298<br />

<strong>Die</strong> Veranstaltung sollte bis 1967 die e<strong>in</strong>zige dieser Art bleiben. <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> beschränkte<br />

sich <strong>in</strong> der Folgezeit zunächst auf Artikel <strong>in</strong> Neues Echo. Dabei wurde <strong>in</strong><br />

<strong>Bremen</strong> die Stimmung für e<strong>in</strong>e Wiederzulassung der <strong>KPD</strong> zunehmend günstiger.<br />

Innensenator Koschnick erneuerte auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz am 23. September 1965<br />

se<strong>in</strong>e Forderung nach e<strong>in</strong>er »geistigen Ause<strong>in</strong>andersetzung« mit den Kommunisten,<br />

299 selbst der Bremer CDU-Bundestagsabgeordnete Ernst Müller-Hermann<br />

sprach sich im August 1965 für die Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots aus, 300 und im<br />

Zuge der Anti-Notstandsbewegung wurde die Wiederzulassung der <strong>KPD</strong> auch <strong>in</strong><br />

der außerparlamentarischen Opposition und <strong>in</strong> der Friedensbewegung e<strong>in</strong> Thema.<br />

1966 <strong>in</strong>tensivierte Neues Echo die Diskussion für die Wiederzulassung der <strong>KPD</strong>,<br />

und nachdem sich im März 1967 der »Initiativausschuss zur Wiederzulassung der<br />

<strong>KPD</strong>« gebildet hatte - dessen Kommuniqué Neues Echo im Wortlaut abdruckte -301, wurde die Aufhebung des Verbots zu e<strong>in</strong>em zentralen Thema der Zeitung. Im August<br />

1967 konstatierte Hermann Gautier, dass es eigentlich schon gar nicht mehr<br />

»so sehr um das Für und Wider der Wiederzulassung der <strong>KPD</strong>« gehe, da deren<br />

Notwendigkeit <strong>in</strong>zwischen »überall und von allen« betont werde. Gautier sprach<br />

sich gegen die <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> die Diskussion gebrachte Neugründung e<strong>in</strong>er Kommunistischen<br />

Partei aus, da diese neue Partei sofort wieder »den Verbotsdrohungen<br />

der herrschenden Kreise <strong>in</strong> der Bundesrepublik« ausgesetzt wäre. 302 Öffentliche<br />

Auftritte von Kommunisten wurden nun immer häufiger, <strong>in</strong>sbesondere vor der<br />

Bürgerschaftswahlen 1967, bei der die DFU mit Hermann Gautier als Spitzenkandidaten<br />

und zahlreichen weiteren Kommunisten auf den Listenplätzen auftrat.<br />

Anfang <strong>1968</strong> g<strong>in</strong>g die <strong>KPD</strong> dann <strong>in</strong> die Offensive. Im Februar <strong>1968</strong> wurde der<br />

neue Programmentwurf veröffentlicht, bereits zuvor, im Januar <strong>1968</strong>, war für den<br />

21. Februar e<strong>in</strong>e Veranstaltung unter dem Titel »L<strong>in</strong>ks heißt die Parole! <strong>KPD</strong> zulassen!«<br />

angekündigt worden, zu der »die Kommunisten Herbert Breidbach, He<strong>in</strong>z<br />

Röpke, Hermann Siemer<strong>in</strong>g und Willi Esselborn« e<strong>in</strong>luden. 303 Für die Veranstaltung<br />

wurde massiv <strong>in</strong> der Öffentlichkeit geworben. So stellten sich beispielsweise<br />

Hermann Gautier und andere Kommunisten vor Bremer Großbetriebe und verteilten<br />

Flugblätter mit der Veranstaltungsankündigung. In der Bremer Innenstadt<br />

297 Aussprache über <strong>KPD</strong>-Verbot, Neues Echo Nr. 14/1965, 9. April 1965.<br />

298 Ebenda.<br />

299 Polizei das letzte Mittel gegen illegales Wirken, Weser-Kurier 24. September 1965.<br />

300 Müller-Hermanns »lichter Moment«, Neues Echo Nr. 34/1965, 27. August 1965.<br />

301 Der <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>e Chance geben!, Neues Echo Nr. 12/1967, 24. März 1967.<br />

302 »<strong>KPD</strong>-Verbot aufheben«, Neues Echo Nr. 33/1967, 18. August 1967.<br />

303 Neues Echo Nr. 2/<strong>1968</strong>, 12. Januar <strong>1968</strong>.


360<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

wurden vor e<strong>in</strong>em Informationsstand Flugblätter verteilt und versucht, mit Passanten<br />

über das <strong>KPD</strong>-Verbot zu diskutieren. 304<br />

<strong>Die</strong> angekündigte Diskussionsveranstaltung mit den beiden <strong>KPD</strong>-<br />

Führungsmitgliedern Grete Thiele und Franz Ahrens fand am 21. Februar <strong>1968</strong> <strong>in</strong><br />

der »Glocke« statt und fand, laut Neues Echo, über 600 Teilnehmer. 305 Hauptforderung<br />

auf der Veranstaltung war - neben der Wiederzulassung der <strong>KPD</strong> - »die freie<br />

und offene Diskussion des Programmentwurfs der <strong>KPD</strong>«, dessen Verteilung <strong>in</strong>zwischen<br />

<strong>in</strong> der gesamten Bundesrepublik strafrechtlich verfolgt wurde, 306 und aus<br />

dem auf der Veranstaltung nicht zitiert werden durfte. In der folgenden Diskussion<br />

zeigte sich, dass die <strong>KPD</strong> auch bei der l<strong>in</strong>ken Opposition immer noch auf Vorbehalte<br />

wegen ihrer Identifizierung mit der DDR stieß. Anwesende Mitglieder des SDS<br />

kritisierten DDR und Sowjetunion und bezweifelten, dass dort e<strong>in</strong> echter Sozialismus<br />

herrsche. Neues Echo warf den Kritikern daraufh<strong>in</strong> »Schizophrenie« und e<strong>in</strong>e<br />

Übernahme von Argumenten der Spr<strong>in</strong>ger-Presse vor. Franz Ahrens forderte die<br />

SDSler auf, »solidarisch zur <strong>KPD</strong> zu stehen, wie diese zu ihnen«. 307<br />

Am 1. Mai <strong>1968</strong> wurde die Gründung des »Arbeitskreises für die Aufhebung<br />

des <strong>KPD</strong>-Verbots« für das Land <strong>Bremen</strong> bekannt gegeben. 308 Der Arbeitskreis habe<br />

sich die Aufgabe gestellt, »die Forderung nach Wiederzulassung der <strong>KPD</strong> noch<br />

nachdrücklicher zu vertreten, als <strong>in</strong> den letzten Monaten bereits von vielen Kräften<br />

aus der gesamten Bundesrepublik geschehen«, hieß es <strong>in</strong> der Bekanntmachung. <strong>Die</strong><br />

erste Forderung sei »die freie Diskussion über den von der <strong>KPD</strong> v<strong>org</strong>elegten Programm-Entwurf«.<br />

Weiterh<strong>in</strong> solle der Arbeitskreis ȟber alle aktuellen politischen<br />

Probleme vom Standpunkt der Kommunisten aus die Bevölkerung, vor allem die<br />

Arbeiterschaft und die Jugend, <strong>in</strong> Wort und Schrift unterrichten«. <strong>Die</strong> unterzeichneten<br />

Mitglieder des Arbeitskreises - allesamt ehemalige Mitglieder der Landesleitung<br />

oder der Kreisleitung - 309 kündigten außerdem e<strong>in</strong>e weitere Veranstaltung zum<br />

304 Neues Echo Nr. 8/<strong>1968</strong>, 23. Februar <strong>1968</strong>. Exemplare der Flugblätter und Plakate <strong>in</strong> Privatarchiv Hermann<br />

Gautier. Für Bremerhaven wurde e<strong>in</strong>e ähnliche Veranstaltung, ebenfalls mit Hermann Gautier<br />

und Franz Ahrens, für den 29. März angekündigt. E<strong>in</strong>lader waren »die Bremerhavener Kommunisten<br />

Emil F<strong>in</strong>k und Günther Niehaus« (Flugblatt und Plakat <strong>in</strong> Privatarchiv Hermann Gautier).<br />

305 Das <strong>KPD</strong>-Verbot muss aufgehoben werden!, Neues Echo Nr. 9/<strong>1968</strong>, 1. März <strong>1968</strong>.<br />

306 Auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> wurde e<strong>in</strong> <strong>KPD</strong>-Mitglied deshalb verhaftet: Anfang April <strong>1968</strong> nahm die Polizei He<strong>in</strong>rich<br />

Reichel fest und beschlagnahmte 1.300 Exemplare des Programmentwurfs, die von dem alten KP-<br />

Funktionär mit dem Auto von Österreich nach <strong>Bremen</strong> gebracht worden waren (Bremer holte Programme<br />

der <strong>KPD</strong> aus Österreich, Weser-Kurier, 5. April <strong>1968</strong>). Siehe auch Offener Brief an den Senatspräsidenten<br />

Hans Koschnick, <strong>in</strong> dem die unterzeichneten neun Bremer Kommunisten gegen die Verhaftung protestieren<br />

(Neues Echo, Nr. 15/<strong>1968</strong>, 12. April <strong>1968</strong>).<br />

307 Das <strong>KPD</strong>-Verbot muss aufgehoben werden!, Neues Echo Nr. 9/<strong>1968</strong>, 1. März <strong>1968</strong>.<br />

308 »Arbeitskreis für die Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots«, Land <strong>Bremen</strong> gegründet, Neues Echo Nr. 17-18/<strong>1968</strong>, 1.<br />

Mai <strong>1968</strong>; Neun Kommunisten gründeten Arbeitskreis, Weser-Kurier 3. Mai <strong>1968</strong>.<br />

309 Unterzeichner waren: He<strong>in</strong>z Beermann, Herbert Breidbach, Willi Esselborn, Emil F<strong>in</strong>k, Hermann Gautier,<br />

Willi Gerns, Günter Niehaus, He<strong>in</strong>z Röpke und Hermann Siemer<strong>in</strong>g. Siehe auch Flugblatt zur angekündigten<br />

Diskussionsveranstaltung mit Vorstellung der Mitglieder des Arbeitskreises <strong>in</strong> Privatarchiv<br />

Hermann Gautier.


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 361<br />

Thema <strong>KPD</strong>-Verbot an, auf der die am 21. Februar <strong>in</strong> der »Glocke« begonnene Diskussion<br />

fortgesetzt werden sollte. 310<br />

<strong>Die</strong>ser »öffentliche Diskussionsabend« fand am 30. Mai <strong>1968</strong> im Niederdeutschen<br />

Theater statt. 311 Auf dem Podium saßen neben den drei Bremer Kommunisten<br />

Herbert Breidbach, Willi Gerns und He<strong>in</strong>z Röpke auch die <strong>KPD</strong>-Funktionäre<br />

Herbert Mies (der spätere Bundesvorsitzende der DKP) und Kurt Erlebach. <strong>Die</strong><br />

Veranstaltung trug den Titel »Kommunisten - Grundgesetz - Revolution«. <strong>Die</strong> Redner<br />

betonten vor allem das positive Verhältnis der <strong>KPD</strong> zur Verfassung. Willi Gerns<br />

sagte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag, die <strong>KPD</strong> entwickle ihre Politik auf dem Boden des Grundgesetzes.<br />

Er bezeichnete es als falsch, »heute die Errichtung e<strong>in</strong>er sozialistischen<br />

Gesellschaftsordnung als Tagesaufgabe zu stellen«, da die »subjektive Bewusstse<strong>in</strong>slage«<br />

der Mehrheit der Bevölkerung noch nicht so sei, dass sie bereit wäre, für<br />

den Sozialismus zu kämpfen. Deshalb, so betonte Gerns, strebe die <strong>KPD</strong> e<strong>in</strong>en<br />

friedlichen Weg zum Sozialismus an. 312<br />

Aus Anlass des zwölften Jahrestages des Verbots wurde am 17. August <strong>1968</strong> vor<br />

e<strong>in</strong>em Kaufhaus erneut e<strong>in</strong>e öffentliche Aktion für die Wiederzulassung der <strong>KPD</strong><br />

durchgeführt. 313 Vier Tage später marschierten Truppen des Warschauer Paktes <strong>in</strong><br />

dieCSSRe<strong>in</strong>,wasauchdie<strong>KPD</strong><strong>in</strong><strong>Bremen</strong>-diedieInvasionverteidigte- 314 plötzlich<br />

wieder <strong>in</strong> die öffentliche Kritik brachte. Auf e<strong>in</strong>er Kundgebung auf dem Domshof<br />

griff der Präsident des Senats Hans Koschnick (SPD) die Kommunisten <strong>in</strong><br />

scharfer Form an und sprach wieder von den »Freunden Ulbrichts <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>«.<br />

Auch <strong>in</strong>nerhalb der L<strong>in</strong>ken und der Friedensbewegung führte die Haltung der <strong>KPD</strong><br />

zu heftigen Kontroversen und drohte die Partei erneut zu isolieren. »<strong>Die</strong> antikommunistische<br />

Flutwelle nach dem 21.8. war für unsere Genossen, besonders <strong>in</strong> den<br />

Betrieben e<strong>in</strong>e große Belastung«, hieß es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternen Bericht der Bremer <strong>KPD</strong><br />

über die erste Woche nach dem E<strong>in</strong>marsch. 315 »Für e<strong>in</strong>ige Tage schien es, als ob alles<br />

gewonnene Vertrauen zerstört sei. Von den größten Reaktionären bis zu den<br />

APO-Leuten riefen alle die gleichen Losungen.« 316 <strong>Die</strong> Stimmung <strong>in</strong> der Partei<br />

selbst schätzte der Bericht so e<strong>in</strong>:<br />

»Soweit bis jetzt bei den erreichten Genossen feststellbar, haben fast alle die Schutzmaßnahmen<br />

der Warschauer Paktstaaten für richtig und notwendig gehalten. [...]. Es gibt auch Genossen,<br />

die vom massiven Antikommunismus bee<strong>in</strong>druckt s<strong>in</strong>d. ›War das nötig, das wirft und<br />

doch auf Jahre zurück‹ - ist das geläufigste Argument. Besonders bei unseren jungen Genos-<br />

310 »Arbeitskreis für die Aufhebung des <strong>KPD</strong>-Verbots«, Land <strong>Bremen</strong> gegründet, Neues Echo Nr. 17-18/<strong>1968</strong>, 1.<br />

Mai <strong>1968</strong>.<br />

311 Jugend will <strong>KPD</strong> kennenlernen, Neues Echo Nr. 23/<strong>1968</strong>, 7. Juni <strong>1968</strong>.<br />

312 Ebenda.<br />

313 Ohne <strong>KPD</strong> ke<strong>in</strong>e Demokratie, Neues Echo Nr. 34/<strong>1968</strong>, 23. August <strong>1968</strong>. Siehe auch Herbert Breidbach,<br />

Das <strong>KPD</strong>-Verbot und die illegale Arbeit bis <strong>1968</strong>, a.a.O., S. 144.<br />

314 Siehe die Stellungnahmen <strong>in</strong> Neues Echo Nr. 35/<strong>1968</strong>, 30. August <strong>1968</strong>.<br />

315 <strong>Die</strong> Partei im Bezirk <strong>Bremen</strong>-Weser-Ems und die Ereignisse <strong>in</strong> der CSSR, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/108.<br />

316 Ebenda.


362<br />

<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>)<br />

sen ist festzustellen, dass es für sie schwer ist, die Entscheidungen der Sowjetunion und der<br />

anderen sozialistischen Staaten zu verstehen.« 317<br />

<strong>Die</strong> erneut drohende Isolation <strong>in</strong>folge der Ereignisse <strong>in</strong> der CSSR trug auch bei<br />

den Bremer Kommunisten vermutlich e<strong>in</strong>iges zur Akzeptanz der nun folgenden<br />

Parte<strong>in</strong>eugründung bei. Nachdem am 26. September <strong>1968</strong> die Konstituierung der<br />

DKP bekannt gegeben worden war, bildete sich am 2. Oktober <strong>1968</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> e<strong>in</strong><br />

»Landesausschuss zur Neukonstituierung e<strong>in</strong>er kommunistischen Partei für das<br />

Land <strong>Bremen</strong>«. 318 <strong>Die</strong> 23 Mitglieder des Ausschusses waren größtenteils bekannte<br />

Kommunisten, die bereits vor dem Verbot zum Führungskreis der Bremer <strong>KPD</strong> gehörten.<br />

319 Der Landesausschuss wählte e<strong>in</strong>en »Arbeitsausschuss« dem Hermann<br />

Gautier als Vorsitzender sowie Herbert Breidbach, Willi Gerns, Ulrich Konetzka<br />

und Günter Niehaus angehörten. 320 In dem Gründungsaufruf hieß es:<br />

»Wir wollen den arbeitenden Menschen unseres Landes e<strong>in</strong>e politische Interessenvertretung<br />

geben, die ihre sozialen, wirtschaftlichen und demokratischen Forderungen entschieden vertritt.<br />

<strong>Die</strong> neukonstituierte Kommunistische Partei im Lande <strong>Bremen</strong> wird diese demokratischen<br />

Anliegen mit e<strong>in</strong>er weitgefassten gesellschaftspolitischen Zielstellung e<strong>in</strong>er sozialistischen<br />

Umgestaltung von Staat und Gesellschaft verb<strong>in</strong>den. [...] Der Landesausschuss fordert<br />

alle Kommunisten, Sozialisten und vor allem die Jugend321 des Landes <strong>Bremen</strong> auf, die neu-<br />

317 Ebenda. E<strong>in</strong> junger Bremer Kommunist betonte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eher persönlich gehaltenen Bericht se<strong>in</strong>e<br />

»Verwirrung« über die Entwicklung <strong>in</strong> der CSSR und verdeutlichte anschaulich die Schwierigkeiten<br />

nach dem 21. August <strong>1968</strong>: »Dass es allerd<strong>in</strong>gs zu solch e<strong>in</strong>em Schritt kommen musste, dass wir mit<br />

unseren Truppen e<strong>in</strong>marschieren mussten, war von vielen Genossen bei uns nicht e<strong>in</strong>geschätzt worden.<br />

Ich für me<strong>in</strong>en Teil habe nicht damit gerechnet, andere Genossen haben es <strong>in</strong> Erwägung gezogen<br />

und hier und dort auch schon e<strong>in</strong>mal diskutiert, aber e<strong>in</strong>fach verworfen, weil wir alle [...] fest mit e<strong>in</strong>er<br />

Festigung der Positionen der KPC und der marxistisch-len<strong>in</strong>istischen Kräfte gerechnet haben. Deshalb<br />

waren wir am Mittwoch, dem 21.8. alle überrascht und ich b<strong>in</strong> ehrlich, dass ich enttäuscht und wütend<br />

zugleich war, weil ich zuerst an unsere Positionen und gewonnenen Spielraum dachte. Nun musste ich<br />

zum ersten Mal als kommunistischer Funktionär <strong>in</strong> die Masse gehen und auch e<strong>in</strong>e unpopuläre Maßnahme<br />

vertreten. Ich habe mich sofort darauf e<strong>in</strong>gestellt und voll und ganz h<strong>in</strong>ter diese Maßnahmen<br />

gestellt, auch wenn ich noch nicht alle Fakten kannte. Vor allem habe ich mich nicht auf Provokationen<br />

- Anfe<strong>in</strong>dungen usw., besonders der Antikommunisten e<strong>in</strong>gelassen. Für mich war vor allem wichtig: 1.<br />

Me<strong>in</strong>e Position als Gewerkschaftsfunktionär halten [...] 2. Me<strong>in</strong>e Position als Betriebsrat. Andererseits<br />

musste ich diese Maßnahmen voll verteidigen und den Kollegen klar machen, wer der wahre Schuldige<br />

ist, nämlich die imperialistischen Kräfte. [...] Es war und wird <strong>in</strong> den nächsten Wochen sehr, sehr<br />

schwer werden, aber es nützt nichts, denn wir können uns ja nicht verstecken.« (Bericht über die Stimmung<br />

und Reaktion auf die Sicherungsmaßnahmen der 5 sozialistischen Staaten gegen die konterrevolutionären<br />

Kräfte <strong>in</strong> der CSSR, <strong>in</strong>: SAPMO DY IV 2/10.03/108).<br />

318 Landesausschuss für das Land <strong>Bremen</strong> gebildet und Kommunistische Partei neu konstituiert, Neues Echo Nr.<br />

40/<strong>1968</strong>, 4. Oktober <strong>1968</strong>; Um Bündnis mit L<strong>in</strong>ksgruppen bemüht, Weser-Kurier, 4. Oktober <strong>1968</strong>.<br />

319 U.a. gehörten dem Ausschuss an: Hermann Gautier, Arthur Böpple, Herbert Breidbach, Willi Esselborn,<br />

Willi Gerns, Willi Hundertmark, Ulrich Konetzka, Maria Krüger, Willi Meyer-Buer, He<strong>in</strong>z Röpke,<br />

Hermann Siemer<strong>in</strong>g (Landesausschuss für das Land <strong>Bremen</strong> gebildet, Neues Echo Nr. 40/<strong>1968</strong>, 4. Oktober<br />

<strong>1968</strong>). Herbert Breidbach: »Das waren alles alte. Sicher, drei oder vier neue waren dabei, aber es waren<br />

überwiegend die alten Kader.« (Interview Herbert Breidbach, 1).<br />

320 »Wir nehmen Stellung zu allen politischen Fragen«, Neues Echo Nr. 41, 11. Oktober <strong>1968</strong>. Mit Gautier, Konetzka<br />

und Breidbach waren die 1. und 2. Landessekretäre von 1951-1956 <strong>in</strong> dem Ausschuss vertreten.<br />

321 <strong>Die</strong> Jugend<strong>org</strong>anisation der DKP, die »Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend« (SDAJ), war <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

bereits Anfang Juli <strong>1968</strong> gegründet worden (Für Mitbestimmung auf allen Gebieten, Neues Echo Nr. 27, 5.<br />

Juli <strong>1968</strong>).


<strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Illegalität (1956-<strong>1968</strong>) 363<br />

konstituierte Kommunistische Partei zu unterstützen und Mitglied dieser Partei zu werden.«<br />

322<br />

Über die Neugründung e<strong>in</strong>er kommunistischen Partei gab es offenbar <strong>in</strong> der<br />

Bremer <strong>KPD</strong> ke<strong>in</strong>e größeren Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten:<br />

»Hier war die überwiegende E<strong>in</strong>stellung, e<strong>in</strong>gehen auf diese Möglichkeit, sie versuchen - ob<br />

sie gel<strong>in</strong>gen würde, war ja auch nicht so klar. Das ergibt sich auch aus dieser Mentalität der<br />

Bremer Organisation, dass wir eigentlich immer an e<strong>in</strong>er legalen, demokratischen Arbeit <strong>in</strong>teressiert<br />

waren. Von daher war für uns das Entscheidende, mit dieser Organisation legal <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung<br />

treten zu können. Davon haben wir uns versprochen, wir werden schnell Auftrieb<br />

bekommen, nicht zuletzt wegen der Situation von <strong>1968</strong>. [...] Wir hatten also damals ke<strong>in</strong>e<br />

Probleme, diesen Weg zu gehen.« 323<br />

Hermann Gautier forderte auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz am 3. Oktober <strong>1968</strong> zwar<br />

erneut die Aufhebung des Verbots, 324 faktisch aber war die Geschichte der <strong>KPD</strong><br />

auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> mit der Gründung der DKP beendet. 325<br />

322 Landesausschuss für das Land <strong>Bremen</strong> gebildet, Neues Echo Nr. 40/<strong>1968</strong>, 4. Oktober <strong>1968</strong>.<br />

323 Interview Herbert Breidbach, 1.<br />

324 »Wir nehmen Stellung zu allen politischen Fragen«, Neues Echo Nr. 41/<strong>1968</strong>, 11. Oktober <strong>1968</strong>.<br />

325 <strong>Die</strong> DKP sah sich <strong>in</strong> der Tradition der <strong>KPD</strong>, was <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> alle<strong>in</strong>e schon an der personellen Zusammensetzung<br />

des Landesausschusses deutlich wurde. Sie entwickelte aber <strong>in</strong> der Folgezeit durchaus ihre<br />

eigene Identität, was nicht zuletzt auch an der veränderten Mitgliederstruktur durch den starken<br />

Zulauf aus den Reihen der Studentenbewegung lag. Herbert Breidbach, bis 1983 DKP-<br />

Landesvorsitzender <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong>: »Der Aufschwung 68/69 war nicht zuletzt e<strong>in</strong> Aufschwung durch den<br />

Beitritt vieler aus der studentischen Bewegung. Wir haben e<strong>in</strong>e Reihe hervorragender Persönlichkeiten<br />

damals dazu bekommen. <strong>Die</strong> Partei<strong>org</strong>anisation wurde dann etwas, was sie vorher, solange ich sie<br />

kenne, überhaupt nie gewesen ist und gar nicht gewesen se<strong>in</strong> konnte: nämlich e<strong>in</strong>e Partei, die <strong>in</strong> ihrer<br />

Zusammensetzung immer stärker aus jungen Intellektuellen, Studenten, Lehrern bestand. Na gut, wir<br />

alten Genossen waren froh, dass sich so viele hoch<strong>in</strong>telligente junge Menschen der Partei zuwandten«.<br />

(Interview Herbert Breidbach, 1).


Schluss<br />

<strong>Die</strong> Untersuchung der Bremer <strong>KPD</strong> von <strong>1945</strong> bis <strong>1968</strong> hat gezeigt, dass die lokale<br />

Umsetzung der durch die globale Systemause<strong>in</strong>andersetzung geprägten Politik der<br />

<strong>KPD</strong> zahlreiche Brüche aufwies. Das Ausmaß der nachgewiesenen <strong>in</strong>nerparteilichen<br />

Diskussionen und Konflikte ist dabei durchaus überraschend. Primäre Ursache<br />

der Ause<strong>in</strong>andersetzungen war die vom Sekretariat schematisch umgesetzte<br />

Gesamtstrategie der <strong>KPD</strong>, die oftmals nicht den realen Bed<strong>in</strong>gungen vor Ort entsprach.<br />

Besonders deutlich wurde dies <strong>in</strong> den Betrieben. <strong>Die</strong> Instrumentalisierung<br />

der Betriebsgruppen für die »nationale Politik« der Partei ignorierte gänzlich die<br />

besonderen Verhältnisse <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Betrieben und <strong>in</strong> deren gewerkschaftlichen<br />

Organen. Damit nahm sich die <strong>KPD</strong> selbst die Möglichkeit, ihren durchaus<br />

noch vorhandenen E<strong>in</strong>fluss auch für außerbetriebliche Ziele nutzen zu können.<br />

Dementsprechend fanden die stärksten und längsten <strong>in</strong>nerparteilichen Konflikte<br />

auch auf dem Feld der Betriebs- und Gewerkschaftspolitik statt, wie die Beispiele<br />

der Betriebsgruppe bei B<strong>org</strong>ward und der Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die »These<br />

37« gezeigt haben.<br />

Auf e<strong>in</strong>igen Widerstand unter der Mitgliedschaft stieß auch die <strong>org</strong>anisatorische<br />

Umwandlung und Diszipl<strong>in</strong>ierung der <strong>KPD</strong> zwischen 1949 und 1952. <strong>Die</strong> Ausschlussverfahren<br />

gegen prom<strong>in</strong>ente und e<strong>in</strong>flussreiche Funktionäre konnten von<br />

der Parteileitung nur sehr mühsam, im Fall von Käthe Popall überhaupt nicht<br />

durchgesetzt werden. Auch hier s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Umsetzung des Anspruchs von der<br />

Schaffung e<strong>in</strong>er »Partei neuen Typus« zahlreiche Widersprüche zu verzeichnen.<br />

<strong>Die</strong> bis <strong>in</strong> das Sekretariat <strong>in</strong> der Partei festgestellten Diskussionen über die Ausschlüsse<br />

und ihre Begründungen zeigen, dass das <strong>in</strong> der antikommunistischen Öffentlichkeit<br />

gezeichnete Bild e<strong>in</strong>er monolithischen Kaderpartei der »Befehlsempfänger«<br />

mehr als verzerrt war und ke<strong>in</strong>eswegs den Realitäten entsprach.<br />

Trotz der <strong>in</strong>nerparteilichen Widersprüche und Differenzierungen kann freilich<br />

nicht von e<strong>in</strong>er wirklichen Opposition <strong>in</strong> der Bremer <strong>KPD</strong> gesprochen werden. <strong>Die</strong><br />

Unzufriedenheit <strong>in</strong> der Mitgliedschaft äußerte sich vor allem <strong>in</strong> massenhaften Austritten.<br />

<strong>Die</strong> verbliebenen Mitglieder zogen sich größtenteils <strong>in</strong> die Passivität zurück<br />

und resignierten. Grund hierfür war allerd<strong>in</strong>gs nicht nur die Unzufriedenheit mit<br />

dem Kurs der Partei, sondern vor allem die politische und gesellschaftliche Isolation<br />

der <strong>KPD</strong> sowie der massive Druck von außen. Beides ließ e<strong>in</strong> offenes<br />

kommunistisches Engagement als nutzlos ersche<strong>in</strong>en und machte es zunehmend<br />

auch gefährlich.


Schluss 365<br />

Bei den <strong>in</strong> der <strong>KPD</strong> verbliebenen Mitgliedern und bei den aktiven Funktionären<br />

kann von e<strong>in</strong>er generellen Akzeptanz der Parteipolitik ausgegangen werden. Selbst<br />

bei umstrittenen Themen wie der »These 37« entzündeten sich die Konflikte weniger<br />

an den eigentlichen Inhalten, als vielmehr an deren oft schematischer Umsetzung<br />

vor Ort. Aus heutiger Sicht mag diese <strong>in</strong>haltliche Akzeptanz der radikalisierten<br />

<strong>KPD</strong>-Politik und ihrer realitätsfremden revolutionären Phrasen nur schwer verständlich<br />

ersche<strong>in</strong>en. Sie s<strong>in</strong>d jedoch vor dem H<strong>in</strong>tergrund der politischen Entwicklungen<br />

und dem subjektiven Erfahrungshorizont der <strong>KPD</strong>-Mitgliedschaft durchaus<br />

nachvollziehbar. <strong>Die</strong> großen Hoffnungen der Arbeiterbewegung <strong>1945</strong> auf die Verwirklichung<br />

ihrer politischen Ziele waren <strong>in</strong> Westdeutschland schnell enttäuscht<br />

worden. <strong>Die</strong> Restauration der alten kapitalistischen Produktions- und Besitzverhältnisse<br />

begann früh, auch von e<strong>in</strong>er konsequenten Entnazifizierung konnte ke<strong>in</strong>e<br />

Rede se<strong>in</strong>. Für die SPD stellte sich diese Restauration nicht nur als Niederlage dar.<br />

Sie unterstützte die Gründung der Bundesrepublik 1949 und war <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die<br />

führende Regierungspartei. Als solche wurde sie <strong>in</strong> den 1950er Jahren zum Träger<br />

e<strong>in</strong>er »Etatisierung« der Arbeiterbewegung und ihrer Milieustrukturen. 1 <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong><br />

dagegen war von diesen Entwicklungen weitgehend ausgeschlossen und bekämpfte<br />

sie ebenso wie die gesellschaftlichen und politischen Restaurationsprozesse <strong>in</strong><br />

der Bundesrepublik. <strong>Die</strong> dabei erfahrene politische Ohnmacht sowie vor allem die<br />

immer deutlicher werdende juristische Verfolgung von Kommunisten machten viele<br />

der aus heutiger Sicht unrealistischen E<strong>in</strong>schätzungen der Parteileitung für die<br />

Mitglieder plausibel. Der an sich absurde Vergleich des »Adenauer-Regimes« mit<br />

Hitler hatte im Bewusstse<strong>in</strong> der Kommunisten e<strong>in</strong>e subjektive Grundlage angesichts<br />

des bereits sechs Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus gestellten<br />

Verbotsantrages gegen die <strong>KPD</strong> und angesichts der großen Zahl ehemaliger Nationalsozialisten<br />

<strong>in</strong> Justiz, Verwaltung und Regierung. Ähnliches gilt für die Erfahrungen<br />

<strong>in</strong> den Gewerkschaften und Betrieben. Auch die These von den »rechten<br />

Gewerkschaftsführern«, die angeblich im »<strong>Die</strong>nst imperialistischer Kriegsvorbereitungen«<br />

agierten, konnte plausibel ersche<strong>in</strong>en: Der DGB-Vorsitzende<br />

Christian Fette und se<strong>in</strong> Stellvertreter Hans vom Hoff hatten sich 1951/52 offen für<br />

die Remilitarisierung der Bundesrepublik ausgesprochen. Gleichzeitig wurden<br />

Kommunisten <strong>in</strong> den Betrieben und den gewerkschaftlichen Organen massiv ausgegrenzt<br />

und durch oftmals undemokratische und antikommunistisch motivierte<br />

Maßnahmen verdrängt. Das ließ den Vorwurf gegen die Gewerkschaften, sie würden<br />

»faschistische Methoden« anwenden, im Bewusstse<strong>in</strong> der von diesen Maßnahmen<br />

betroffenen <strong>KPD</strong>-Mitglieder zum<strong>in</strong>dest nicht als völlig abwegig ersche<strong>in</strong>en.<br />

Für die Akzeptanz der »Agenten«-Vorwürfe gegen - teils prom<strong>in</strong>ente - Funktionäre<br />

kann man ähnliches vermuten. <strong>Die</strong> Angst vor Agenten verschiedener westlicher<br />

Geheimdienste war natürlich nicht unbegründet, auch wenn sie von der Parteileitung<br />

<strong>in</strong> der aufgeheizten Atmosphäre des Kalten Krieges phasenweise geradezu<br />

paranoid übertrieben wurde.<br />

1 Peter Alheit, Hanna Haack, He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Renate Meyer-Braun, Gebrochene Modernisierung,<br />

a.a.O., Band 2, S. 1027.


366<br />

Schluss<br />

Gerade die Diskussionen über die Ausschlüsse 1951/52 belegen aber auch die<br />

Grenzen der nach außen und <strong>in</strong>nen gerichteten Propaganda und der radikalisierten<br />

Programmatik der <strong>KPD</strong>-Führung. Sie stieß an der Basis immer dort auf Widerstand,<br />

wo sie augensche<strong>in</strong>lich im Widerspruch zu den lokalen persönlichen Erfahrungen<br />

der Mitglieder stand. <strong>Die</strong> Agenten- und Opportunismusvorwürfe gegen Funktionäre<br />

wie Rudolf Rafoth, Käthe Popall oder Folkert Potrykus standen im krassen Gegensatz<br />

zu deren hohem persönlichen und politischen Ansehen <strong>in</strong> der Partei, das<br />

sie sich u.a. durch den Widerstand im Nationalsozialismus und jahrelange Zuchthausaufenthalte<br />

erworben hatten. <strong>Die</strong> subjektiven Erfahrungen der Mitglieder warenhieroftwirksamerundfürdasVerhaltenderBasisentscheidenderalsdiekonstruierten<br />

Anschuldigungen durch die Parteiführung. Erst recht galt dies für den<br />

Stadtstaat <strong>Bremen</strong>, <strong>in</strong> dem durch die regionale Begrenztheit e<strong>in</strong> höherer Grad an<br />

politischer und persönlicher Vernetzung herrschte als <strong>in</strong> Flächenstaaten.<br />

Aus dem Widerspruch zwischen lokalen Erfahrungen und abstrakter Ideologie<br />

lässt sich jedoch ke<strong>in</strong> pr<strong>in</strong>zipieller Gegensatz zwischen Basis und Parteileitung konstruieren.<br />

<strong>Die</strong> Parteil<strong>in</strong>ie und ihre lokale Rezeption »stellten verschiedene Pole<br />

kommunistischer Politik dar, bestimmten beide deren Wirkung und Ersche<strong>in</strong>ungsbild<br />

und begrenzten sich so gegenseitig«. 2<br />

Führten die lokalen Besonderheiten <strong>Bremen</strong>s und der dadurch geprägte subjektive<br />

Erfahrungshorizont der <strong>KPD</strong>-Mitglieder zu e<strong>in</strong>er speziellen lokalen Ausprägung<br />

kommunistischer Politik? Auf allgeme<strong>in</strong>er Ebene kann diese Frage sicher mit<br />

Ne<strong>in</strong> beantwortet werden. <strong>Die</strong> Partei war hier den gleichen Erosions- und Isolationsprozessen<br />

ausgesetzt wie anderswo. <strong>Die</strong> Mitgliederverluste waren genauso<br />

massiv wie <strong>in</strong> der gesamten Partei, die antikommunistischen Ausgrenzungen wie<br />

auch die Auswirkungen der eigenen Fehler genauso wirksam. <strong>Die</strong> Arbeit hat diese<br />

Prozesse detailliert geschildert und belegt. Dennoch muss dieses Bild des Niedergangs<br />

und der Isolation für die Bremer <strong>KPD</strong> differenziert betrachtet und relativiert<br />

werden. Es lässt sich e<strong>in</strong>e relative Konstanz der lokalen Stellung der Partei feststellen.<br />

Auf den ersten Blick erkennbar wird dies an den Wahlergebnissen <strong>in</strong> den<br />

1950er Jahren. Wenn die Partei noch 1955 mit über 18.000 Stimmen <strong>in</strong> die Bürgerschaft<br />

e<strong>in</strong>ziehen konnte, spricht dies deutlich für e<strong>in</strong>e relativ stabile Basis <strong>in</strong> der<br />

Wählerschaft. <strong>Die</strong>se Basis lag vor allem <strong>in</strong> den traditionellen Arbeiterstadtteilen im<br />

Westen (Gröpel<strong>in</strong>gen, Walle, Oslebshausen) und teilweise im Osten (Hastedt, Sebaldsbrück,<br />

Hemel<strong>in</strong>gen) der Stadt. Hier hatte die <strong>KPD</strong> bereits <strong>in</strong> der Weimarer Republik<br />

ihre soziale Basis. <strong>Die</strong> dort ausgeprägten sozialen und politischen Strukturen<br />

der Arbeiterbewegung und ihrer Milieus waren auch noch <strong>in</strong> den 1950er Jahren<br />

wirksam. 3 Klaus-Michael Mallmann hat Ursprung und Wirksamkeit dieser Milieu-<br />

2 Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten <strong>in</strong> der Weimarer Republik. Sozialgeschichte e<strong>in</strong>er revolutionären<br />

Bewegung, Darmstadt 1996, S. 389. Mallmanns Feststellung bezieht sich auf die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der<br />

Weimarer Republik, ist aber auch hier anwendbar.<br />

3 <strong>Die</strong> jüngsten Studien zum Werftarbeitermilieu der AG »Weser« belegen dies (Peter Alheit, Hanna<br />

Haack, He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Renate Meyer-Braun, Gebrochene Modernisierung, a.a.O.; He<strong>in</strong>z-<br />

Gerd Hofschen, Zwischen Demontage und »Wirtschaftswunder«, a.a.O.).


Schluss 367<br />

b<strong>in</strong>dungen für die <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Weimarer Republik deutlich herausgearbeitet, 4 und<br />

es ist zu vermuten, dass mit der Persistenz der Milieus speziell im Bremer Westen<br />

auch die Verankerung von Kommunisten <strong>in</strong> den Milieustrukturen während der<br />

1950er Jahre weiter bestand - trotz der gänzlich anderen politischen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

und trotz aller sonstigen Isolationsprozesse.<br />

Wirksam waren diese B<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> auch auf landespolitischer und parlamentarischer<br />

Ebene. <strong>Die</strong> zahlreichen persönlichen Verb<strong>in</strong>dungen und <strong>in</strong>formellen<br />

Kontakte zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten sowie ihre oftmals geme<strong>in</strong>same<br />

Herkunft aus den Milieustrukturen der Bremer Arbeiterbewegung waren<br />

zum<strong>in</strong>dest mitbestimmend für das politische Klima, punktuell wurden sie auch<br />

<strong>in</strong> politischen Entscheidungen wirksam. <strong>Die</strong>se »<strong>in</strong>formelle Ebene«, die für andere<br />

Länderparlamente <strong>in</strong> der Bundesrepublik nur vermutet werden kann, 5 war <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />

ganz offensichtlich. Sie existierte relativ unbeschadet durch die sonstigen Konfrontationen<br />

des Kalten Krieges während der gesamten 1950er Jahre fort und war<br />

auch noch nach dem Verbot 1956 wirksam. 6<br />

Insgesamt zeigt also die detaillierte Untersuchung der Bremer <strong>KPD</strong> <strong>in</strong> der Zeit<br />

von <strong>1945</strong> bis <strong>1968</strong> zwar die allgeme<strong>in</strong>en Tendenzen der Parteigeschichte auf, die allerd<strong>in</strong>gs<br />

widersprüchlicher waren als bisher vermutet, zugleich ergibt sich auch das<br />

Bild e<strong>in</strong>er teilweise besonderen Entwicklung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er traditionellen Hochburg der<br />

Arbeiterbewegung.<br />

4 Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten <strong>in</strong> der Weimarer Republik, a.a.O.<br />

5 Jens-Ulrich Klocks<strong>in</strong>, Kommunisten im Parlament, a.a.O., S. 441f.<br />

6 Belege hierfür s<strong>in</strong>d beispielsweise das Verbleiben der Kommunisten im Stadtparlament, der persönliche<br />

E<strong>in</strong>satz von Wilhelm Kaisen für den 1961 <strong>in</strong>haftierten Hermann Gautier oder die zahlreichen positiven<br />

Zeugenaussagen von Bürgerschaftsabgeordneten (<strong>in</strong>kl. des Parlamentspräsidenten) <strong>in</strong> dem Prozess<br />

gegen Wilhelm Meyer-Buer 1963.


Quellen- und Literaturverzeichnis<br />

1. Quellen<br />

Archive<br />

Stiftung Archiv der Parteien und Massen<strong>org</strong>anisationen der DDR im Bundesarchiv, Berl<strong>in</strong><br />

(SAPMO)<br />

Bestände <strong>KPD</strong> 1<br />

I 10/ Kommunistische Partei Deutschlands - Westzonen/BRD<br />

I 10/7 Flugblattsammlung<br />

I 10/19 Bezirk Weser-Ems <strong>1945</strong>-1948<br />

I 10/20 LO <strong>Bremen</strong><br />

I 11/ Kommunistische Partei Deutschlands Westzonen/BRD (S)<br />

I 11/3 Parteivorstand/Zentralkomitee<br />

I 11/4 Abteilungen des PV/ZK<br />

I 11/19 Bezirk Weser-Ems<br />

I 11/20 LO <strong>Bremen</strong><br />

Bestände SED<br />

DY IV 2/10.02 Westabteilung/Westkommission 1953-1962<br />

DY IV A2/10.02 Westabteilung/Westkommission 1963-1971<br />

DY IV 2/10.03 Arbeitsbüro 1948-1971<br />

NY 4036 Nachlass Wilhelm Pieck<br />

NY 4090 Nachlass Otto Grothewohl<br />

NY 4182 Nachlass Walter Ulbricht<br />

1 <strong>Die</strong> Teilbestände I 10/ und I 11/ wurden im Archiv des Parteivorstands der PDS e<strong>in</strong>gesehen. Vgl. die<br />

Erläuterungen <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>leitung.


Staatsarchiv <strong>Bremen</strong> (StaB)<br />

Quellen- und Literaturverzeichnis 369<br />

3-K.13.Nr.100 <strong>Die</strong> Kommunistische Partei <strong>1945</strong> -<br />

3-B.1. Nr.358 Aberkennung der kommunistischen Mandate <strong>in</strong> der Bremischen<br />

Bürgerschaft aufgrund des Verbots der <strong>KPD</strong><br />

3-B.1. Nr.94/35 Durchsuchungen des Parteihauses der Kommunistischen Partei <strong>in</strong><br />

der L<strong>in</strong>denhofstr. (Robert-Stamm-Haus) und Beschlagnahme von<br />

Schriftstücken der <strong>KPD</strong>-Abgeordneten anlässlich des Verbots der<br />

Partei<br />

3-B.1. Nr.94/3 Immunität<br />

4,89/ Ermittlungsakten Staatsanwaltschaft <strong>Bremen</strong> - Politische Sachen<br />

7,1076 Deutsche Friedensunion<br />

9,FP-00 Flugblattsammlung Politische Parteien und Gruppen<br />

9,S 0 Zeitungsausschnittsammlung<br />

16,1/2 Office of Military Gouvernment for <strong>Bremen</strong><br />

Privatarchive<br />

Herbert Breidbach<br />

Hermann Gautier<br />

Willy Hundertmark<br />

Wilhelm Meyer-Buer<br />

Archiv der PDS/SED Schwer<strong>in</strong> 2<br />

IV 2/10/1509 Westarbeit: E<strong>in</strong>satzberichte <strong>Bremen</strong> 1957-1959<br />

Archiv der sozialen Demokratie <strong>in</strong> der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn (AdsD)<br />

SPD - LO <strong>Bremen</strong> (I)<br />

SPD - LO <strong>Bremen</strong> (II)<br />

Statistisches Landesamt <strong>Bremen</strong> (Wahlamt)<br />

Bibliothek der Bremischen Bürgerschaft<br />

2 <strong>Die</strong> aufgeführten Materialien wurden bereits 1992 e<strong>in</strong>gesehen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das<br />

ehemalige SED-Archiv des Bezirkes Schwer<strong>in</strong> noch im Besitz der PDS. Es ist <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> die Bestände<br />

des Landesarchivs Mecklenburg-Vorpommern übergegangen.


370<br />

Sonstige Quellen<br />

Zeitungen3 Quellen- und Literaturverzeichnis<br />

Bremer Bürgerzeitung (e<strong>in</strong>zelne Ausgaben)<br />

Bremer Nachrichten (1949-<strong>1968</strong>)<br />

Freies Volk (e<strong>in</strong>zelne Ausgaben)<br />

Neues Deutschland (e<strong>in</strong>zelne Ausgaben)<br />

Neues Echo (1959-1969)<br />

Der Spiegel (e<strong>in</strong>zelne Ausgaben)<br />

Tribüne der Demokratie (1947-1956)<br />

Weser-Kurier (<strong>1945</strong>-<strong>1968</strong>)<br />

Interviews<br />

Herbert Breidbach (1) 16.10.1992<br />

(2) 29.07.1996<br />

Willi Elmers (†) 18.08.1992<br />

Hermann Gautier (1) 29.11.1995<br />

(2) 25.07.1996<br />

(3) 18.10.1996<br />

Ge<strong>org</strong> Gumpert 11.10.1995<br />

He<strong>in</strong>rich Hannover 09.02.1993<br />

Tilla Hundertmark 04.10.1995<br />

Willy Hundertmark (1) 19.08.1992<br />

(2) 18.06.1995 4<br />

Wilhelm Meyer-Buer (†) (1) 06.08.1992<br />

(2) 20.12.1995<br />

Rolf Stelljes 26.01.1993<br />

3 Aus Archivmaterialien stammende Kle<strong>in</strong>stveröffentlichungen wie Betriebs- und Stadtteilzeitungen oder<br />

Mitteilungsblätter s<strong>in</strong>d hier nicht aufgeführt und werden im Text mit Angabe der jeweiligen Archivsignatur<br />

zitiert.<br />

4 Mit Willy Hundertmark wurden für e<strong>in</strong> Buchprojekt zwischen Juni und September 1995 mehrere lebensgeschichtliche<br />

Interviews geführt, deren Aussagen zur <strong>KPD</strong> nach <strong>1945</strong> hier unter dem Datum des<br />

ersten dieser Gespräche (18.06.1995) zusammengefasst s<strong>in</strong>d. Vgl. Hendrik Bunke (Hrsg.), Willy Hundertmark<br />

- Er<strong>in</strong>nerungen an e<strong>in</strong> widerständiges Leben, <strong>Bremen</strong> 1997.


2. Primär- und Sekundärliteratur<br />

Quellen- und Literaturverzeichnis 371<br />

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von J. Perels, Frankfurt a.M./Köln 1975<br />

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Adamietz, Horst: <strong>Die</strong> fünfziger Jahre. Bremer Parlamentarier 1951-1959, <strong>Bremen</strong> 1978<br />

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Alheit, Peter, Hanna Haack, He<strong>in</strong>z-Gerd Hofschen und Renate Meyer-Braun: Gebrochene<br />

Modernisierung - Der langsame Wandel proletarischer Milieus. E<strong>in</strong>e empirische Vergleichsstudie<br />

ost- und westdeutscher Arbeitermilieus <strong>in</strong> den 1950er Jahren, unter Mitarbeit<br />

von Hendrik Bunke, Elke <strong>Die</strong>rßen, Jutta Friemann-Wille, Heidrun Herzberg, Kathr<strong>in</strong><br />

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des Sekretariats des Zentralkomitees der <strong>KPD</strong> Juli <strong>1945</strong> - Februar 1946, München/New<br />

Providence/London/Paris 1994


372<br />

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Weber, Hermann, und <strong>Die</strong>trich Staritz (Hrsg.): Kommunisten verfolgen Kommunisten: stal<strong>in</strong>istischer<br />

Terror und »Säuberungen« <strong>in</strong> den kommunistischen Parteien Europas seit den<br />

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Weber, Hermann, und Ulrich Mählert (Hrsg.): Terror. Stal<strong>in</strong>istische Parteisäuberungen 1936 -<br />

1953, Paderborn/München/Wien/Zürich 1998<br />

Wedemeier, Klaus (Hrsg.): Gewollt und durchgesetzt. <strong>Die</strong> SPD-Bürgerschaftsfraktion des<br />

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Weißbuch der Kommunistischen Partei Deutschlands über die mündliche Verhandlung im<br />

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Wettig, Gerhard: <strong>Die</strong> <strong>KPD</strong> als Instrument sowjetischer Deutschland-Politik, <strong>in</strong>: Deutschland<br />

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Wipperman, Wolfgang: Antikommunismus - Tugend oder Torheit?, <strong>in</strong>: Eckart Spoo und Ra<strong>in</strong>er<br />

Butenschön (Hrsg.), Der Mensch & der Plan. E<strong>in</strong>e Jahrhundertbilanz des Kommunismus,<br />

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Wittemann, Klaus Peter: Kommunistische Politik <strong>in</strong> Westdeutschland nach <strong>1945</strong>. Der Ansatz<br />

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und ihrer Entwicklung zwischen <strong>1945</strong> und 1952, Hannover 1977<br />

Wollenberg, Jörg: »Wir wollen mitbestimmen, was aus der Wirtschaft werden soll«. Zum<br />

Wiedergründungsprozess der Gewerkschaften nach <strong>1945</strong> am Beispiel <strong>Bremen</strong>s. In: Werden.<br />

Jahrbuch der Gewerkschaften 1985, Köln 1985<br />

Wollenberg, Jörg: <strong>Die</strong> AG »Weser« zwischen Sozialpartnerschaft und Klassenkampf, hrsg. von<br />

den Jungsozialisten <strong>in</strong> der SPD, Unterbezirksvorstand <strong>Bremen</strong>-West und Landesvorstand<br />

<strong>Bremen</strong>, Berl<strong>in</strong>-West und <strong>Bremen</strong> 1984.<br />

Wollenberg, Jörg, Lore Heer-Kle<strong>in</strong>ert, Mechthild Müser und <strong>Die</strong>ter Pfliegensdörfer: Von der<br />

Krise zum Faschismus. Bremer Arbeiterbewegung 1929-33, Frankfurt a.M. 1983<br />

Zum deutschen Neuanfang <strong>1945</strong> - 1949. Tatsachen - Probleme - Ergebnisse - Irrwege. <strong>Die</strong> Arbeiterbewegung<br />

und die Entstehung der beiden deutschen Staaten, Bonn 1993<br />

(=Schriftenreihe der Marx-Engels-Stiftung 19)<br />

Zuversicht und Beständigkeit. Wilhelm Kaisen. E<strong>in</strong>e Dokumentation, herausgegeben und e<strong>in</strong>geleitet<br />

von Hans Koschnick unter Mitarbeit von Wilhelm Lührs, Hartmut Müller, Re<strong>in</strong>hard<br />

Patemann, Eugen De Porre und Klaus Schwarz (Staatsarchiv <strong>Bremen</strong>), <strong>Bremen</strong> 1977

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