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Zum stadtfest: - Gießener Allgemeine

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AMpENLicht<br />

Das sagt einiges über ihren Bekanntheitsgrad<br />

aus…<br />

HG: Oder über die Geschichtslosigkeit<br />

einer Generation, für die das Dritte Reich<br />

sehr weit weg ist.<br />

Sie sind seit 1999 Professor für Angewandte<br />

Theaterwissenschaft an der Justus-<br />

Liebig-Universität. Wie sind Sie nach<br />

Gießen gekommen?<br />

HG: Das ging hin und her. Ich wurde vom<br />

damaligen Universitätspräsidenten Heinz<br />

Bauer angesprochen und begann mich für<br />

die Stelle zu interessieren. Gießen hatte ja<br />

schon in der Ära seines Gründers Andre<br />

Wirth eine Ausstrahlung in den experimentellen<br />

Theaterkreisen und einen guten Ruf.<br />

Und ich kannte das Institut über eine Gastprofessur,<br />

habe dann aber doch in der letzten<br />

Sekunde meine Be-<br />

werbung zurückgezogen,<br />

weil ich nicht wusste, ob<br />

das tatsächlich mit meiner<br />

künstlerischen Arbeit<br />

zusammengeht. Dann<br />

machten aber die Studenten, die mich über<br />

die Gastprofessur kannten, eine Unterschriftensammlung.<br />

Und plötzlich standen<br />

sie in Frankfurt mit ihren Unterschriften vor<br />

meiner Tür. Da wusste ich: Jetzt musst du es<br />

wohl machen. Ich tue ja immer, was man<br />

mir sagt (lacht). Und ich habe es nie bereut.<br />

Das muss ich dazusagen. Ich bin da sehr<br />

glücklich.<br />

Wie arbeiten Sie mit den Studierenden?<br />

HG: Ich forsche mit Ihnen zusammen. Ich<br />

zeige ihnen nicht, wie es geht. Denn wenn<br />

sie etwas Neues herauskriegen wollen –<br />

etwa, wie das Theater in der Zukunft aus-<br />

»Ich bin in Gießen<br />

sehr glücklich«<br />

»Europeras 1 & 2«<br />

16 streifzug 8/2012<br />

sehen könnte – dann muss man für alles offen<br />

sein. Bei diesem Forschen versuche ich,<br />

ihnen ein großes Vertrauen in die einzelnen<br />

Theaterkünste zu geben. Ein selbstständiges<br />

Vertrauen, das zum Bei-<br />

spiel das Licht oder den<br />

Raum oder die Musik<br />

nicht darauf reduziert, ein<br />

Drama zu illustrieren,<br />

sondern das sie tatsächlich<br />

als jeweils eigene Kunstform stark<br />

macht. Im letzten Semester habe ich zum<br />

Beispiel ein Projekt zu »Klanginszenierungen«<br />

gemacht, im Semester zur Arbeit mit<br />

Licht. Jetzt mache ich gerade eines über das<br />

Inszenieren von Texten. Da geht es immer<br />

genau darum, ein Element aus den Zusammenhängen<br />

zu isolieren, in denen es jahrhundertelang<br />

eingebunden war. Um herauszubekommen,<br />

ob<br />

man zum Beispiel nur<br />

mit Licht oder nur mit<br />

den Mitteln des Klangs<br />

eine ganze Aufführung<br />

gestalten kann. Ich versuche<br />

den Studierenden zu helfen, diese<br />

Elemente neu zu sehen und sie neu<br />

zusammenzusetzen.<br />

Sie machen das sehr erfolgreich. Im vergangenen<br />

Jahr haben Sie den Preis »Exzellenz<br />

in der Lehre« des Landes Hessen<br />

bekommen.<br />

HG: Worüber ich mich sehr gefreut habe.<br />

Im Oktober erhalten Sie in Oslo für Ihr<br />

Lebenswerk den renommierten Ibsen<br />

Award. Seit März sind Sie Ehrendoktor der<br />

Universität Birmingham. Was bedeuten<br />

Ihnen diese Auszeichnungen?<br />

»Licht, Raum und Musik<br />

sind eigene Kunstformen«<br />

Bei der Ruhrtriennale inszeniert<br />

Heiner Goebbels<br />

zur Eröffnung John Cages<br />

Monumentalwerk »Europeras<br />

1 & 2«. Die »Oper der<br />

Wandlungen« besteht aus<br />

64 Arien verschiedener<br />

Komponisten, die nach dem<br />

Zufallsprinzip neu montiert<br />

und teils gleichzeitig gesungen<br />

werden. Dazu gibt es<br />

32 Bühnenbilder, die im<br />

schnellen Takt wechseln.<br />

»Einer der genialsten und<br />

radikalsten Opernentwürfe<br />

in Europa«, nennt Goebbels<br />

das Stück. Sechs Aufführungen<br />

ab dem 17. August<br />

in der Jahrhunderthalle<br />

Bochum (alle ausverkauft).<br />

HG: Ach, wenn man in der Arbeit steckt,<br />

sind sie schnell wieder vergessen. Aber<br />

wenn ich zurückschaue, ist es natürlich<br />

auch eine schöne Bestätigung für den Weg,<br />

den ich gegangen bin.<br />

Als Theatermacher das<br />

Publikum nicht zu unterfordern,<br />

zum Beispiel.<br />

Oder auch: mir Zeit zu<br />

lassen, nicht jedes Jahr<br />

ein Stück zu machen, sondern vielleicht nur<br />

alle zwei, drei Jahre. Mein letztes Stück ist<br />

aus dem Jahre 2008. In der Lehre ist die<br />

Auszeichnung eine Bestätigung dafür, mit<br />

den Studierenden quasi auf Augenhöhe zu<br />

forschen und sie nicht darüber zu belehren,<br />

wie Theater auszusehen hat.<br />

Warum sind denn Ihre Musiktheaterstücke<br />

in Deutschland so selten zu sehen?<br />

HG: Es hat einen ganz einfachen institutionellen<br />

Grund. Die Theater in Deutschland<br />

müssen mit ihrem Ensemble ihr Repertoire<br />

bedienen. Ihnen fehlt das Geld für Gastspiele.<br />

Es kommen also nur Festivals infrage,<br />

und in dieser Größenordnung gibt<br />

es in Deutschland sehr wenige: Berlin, vielleicht<br />

München, jetzt die Ruhrtriennale.<br />

Außerdem fällt es mir sehr schwer, in<br />

Deutschland zu produzieren, weil ich eine<br />

andere Struktur brauche. Ich kann im<br />

Rhythmus eines Repertoire-Betriebs nicht<br />

meine Stücke erfinden. Dazu brauche ich<br />

eine Laborsituation.<br />

Noch mal zu Gießen: Welches besonders<br />

schöne Erlebnis verbinden Sie spontan mit<br />

der Stadt?<br />

HG: (längere Pause) Eine Performance. An<br />

dem kleinen Fluss in der Stadt. Jetzt fällt mir<br />

der Name nicht ein.<br />

Die Wieseck?<br />

HG: Genau! Es war im letzten Sommer,<br />

eine nächtliche Performance von den Studierenden<br />

meines Projekts »Lichtinszenierungen«<br />

– da schwammen plötzlich Formationen<br />

von Leuchtkörperchen. Die<br />

Sterne am Himmel schienen durch die<br />

Wieseck zu fließen. Sehr poetisch, sehr be-<br />

eindruckend.<br />

Ihr Lieblingsplatz in Gießen?<br />

HG: Die Probebühne. Oder besser: Die<br />

neue Probebühne, die bis Ende 2015 hinter<br />

dem Uni-Hauptgebäude entstehen soll.<br />

Ihre Visionen für die kommenden Jahre?<br />

HG: Habe ich nicht. Meine ganze Biografie<br />

ruht nicht auf Visionen, sondern auf Chancen,<br />

die mir plötzlich eröffnet wurden und<br />

die ich dann ergriffen habe. Stephan Sippel

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