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<strong>Leitfaden</strong><br />
für die fachkundige individuelle Begleitung<br />
Zweijährige berufliche Grundbildung mit Attest<br />
Juni / Juin 2004<br />
<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />
Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT
<strong>Leitfaden</strong> für die fachkundige individuelle Begleitung<br />
Zweijährige berufliche Grundbildung mit Attest<br />
Ein Projekt der <strong>SBBK</strong> im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />
Guide de l'encadrement individuel spécialisé<br />
Formation professionnelle initiale de deux ans avec attestation<br />
Un projet de la <strong>CSFP</strong> dans le cadre du 2ème arrêté sur les places d'apprentissage / OFFT<br />
Impressum<br />
Herausgeber/Editeur <strong>DBK</strong>, im Auftrag der <strong>SBBK</strong> /de la part de la <strong>CSFP</strong><br />
Bezugsquelle/Référence <strong>DBK</strong> Deutschschweizerische Berufsbildungsämter-Konferenz<br />
Gütschstrasse 6, 6000 Luzern 7<br />
Tel. 041 248 50 60, Fax 041 248 50 51<br />
www.dbk.ch verlag@dbk.ch<br />
Autoren/Auteurs Georges Kübler, Mittelschul- und Berufsbildungsamt, Zürich<br />
Andreas Grassi, Schweiz. Institut für Berufspädagogik, Zollikofen<br />
Beiträge von/<br />
Contributions de Matthias Buzzi, Thomas Diener, Peter Jung, Peter Ming, Silvia Pool<br />
Projektleitung/<br />
Direction du projet Peter Knutti, <strong>DBK</strong> Deutschschweizerische<br />
Berufsbildungsämter-Konferenz, Luzern<br />
Übersetzung/Traduction Christine Kübler<br />
Layout DK Design GmbH, Zürich<br />
Druck/Imprimerie von Ah Druck AG, Sarnen<br />
ISBN 3-905406-22-5<br />
Georges Kübler, Mittelschul- und Berufsbildungsamt, Zürich<br />
Jean-François Meylan, Président, Service de la formation<br />
professionnelle, Vaud<br />
Peter Ming, Berufs- und Weiterbildungs-Zentrum Obwalden, Giswil<br />
Copyright <strong>SBBK</strong>/<strong>CSFP</strong>, Bern/Berne, 2004
Einleitung<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Ausgangslage 5<br />
1.1 Ökonomisch-soziale Entwicklungen in der Berufsbildung 5<br />
1.2 Bildungsbenachteiligung 5<br />
1.3 Folgerungen für die berufliche Grundbildung 6<br />
1.4 Gesetzliche Grundlagen 7<br />
2 Zielgruppe: Personen mit Lernschwierigkeiten 8<br />
2.1 Lernschwierigkeiten als Lernhemmungen verstehen 8<br />
2.2 Äussere Ursachen für Lernhemmungen 9<br />
2.3 Lernerseitige Ursachen für Lernhemmungen 10<br />
2.4 Variablen des Lernvorgangs und Gefährdungen 11<br />
2.5 Folgerungen 12<br />
3 Herausforderungen für die Berufsbildung 14<br />
3.1 Optimierungen auf der Ebene des Bildungssystems 14<br />
3.2 Optimierungen auf der strukturellen Ebene 14<br />
3.3 Abbau von Lernhemmungen auf der pädagogischen Ebene 14<br />
4 Fachkundige individuelle Begleitung 15<br />
4.1 Konkretisierung des gesetzlichen Auftrags 15<br />
4.2 Einordnung im Umfeld bekannter Konzepte 15<br />
4.3 Anspruchsberechtigung und Zuständigkeiten 16<br />
4.4 Ausprägungen 18<br />
4.4.1 Schulische Begleitung 18<br />
4.4.2 Sozialpädagogische Begleitung 20<br />
4.4.3 Begleitung im betrieblichen Kontext 22
4.5 Wirkungskontrolle 25<br />
4.5.1 Prämissen der Wirkungserforschung 25<br />
4.5.2 Methoden und Verfahren der Wirkungskontrolle im Bereich Lernförderung 26<br />
4.6 Regelungsbedarf im Überblick 27<br />
5 Grundsätze und Konkretisierungen für die Umsetzung 29<br />
6 Ausgewählte Beispiele 34<br />
6.1 Coaching und Lernförderung in der Berufsfachschule (TBZ) 34<br />
6.1.1 Beschreibung 34<br />
6.1.2 Bezug zu den Grundsätzen 35<br />
6.1.3 Ausblick 36<br />
6.2 Integrale Förderung in der Lernwerkstatt 37<br />
6.2.1 Beschreibung 37<br />
6.2.2 Bezug zu den Grundsätzen 38<br />
6.3 Individuelles Coaching in der Berufsbildung (Verein Job) 40<br />
6.3.1 Beschreibung 40<br />
6.3.2 Bezug zu den Grundsätzen 42<br />
6.4 Ausbildungsverbund mit Coaching (Bildungsnetz Zug) 43<br />
6.4.1 Beschreibung 43<br />
6.4.2 Bezug zu den Grundsätzen 45<br />
6.5 Betreuung durch betriebliche Sozialberatung (Logistikpraktikerin/-praktiker) 47<br />
6.5.1 Beschreibung 47<br />
6.5.2 Bezug zu den Grundsätzen 48<br />
6.5.3 Ausblick 49<br />
6.6 Übersicht über 18 Projekte 50<br />
7 Ergebnisse aus dem Rahmenprojekt „Coaching in der Berufsbildung“ 51<br />
Literaturverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis
Einleitung<br />
Das Berufsbildungsgesetz vom 13. Dezember 2002 begründet mit der zweijährigen beruflichen<br />
Grundbildung mit Attestabschluss einen neuen Ausbildungstyp. Damit die Lernenden den<br />
standardisierten Abschluss erreichen, ist eine fachkundige individuelle Begleitung von Personen<br />
mit Lernschwierigkeiten vorgesehen.<br />
Dieser <strong>Leitfaden</strong> leuchtet aus, wie die bislang unbekannte Massnahme der fachkundigen individuellen<br />
Begleitung ausgestaltet werden kann und welches ihr Beitrag sein könnte, um den<br />
Lernenden in der Attestausbildung zum Erfolg zu verhelfen.<br />
Im <strong>Leitfaden</strong> sollen Erfahrungen aus den Pilotprojekten gebündelt und mittels Illustrationsbeispielen<br />
veranschaulicht werden.<br />
Der <strong>Leitfaden</strong> liefert den Kantonen und den Ausbildungsverantwortlichen die Grundlage für die<br />
Umsetzung. Das Ziel ist, eine national vergleichbare Praxis zu erreichen ohne in die Entscheidungshoheit<br />
der Kantone einzugreifen.<br />
Die vorliegende Dokumentation ist das Resultat vielfältiger Kooperationen. Fachleute der Bildungsentwicklung,<br />
der berufspädagogischen Praxis und Forschung, Projektverantwortliche und<br />
Vertreterinnen und Vertreter der Bildungsadministration haben in allen Phasen von der Konzipierung<br />
bis zur Schlussredaktion beigetragen. Die Grundsätze der fachkundigen individuellen Begleitung<br />
– das Kapitel 5 – sind in enger Zusammenarbeit mit Delegierten aller Kantone erarbeitet und<br />
in der Schlussveranstaltung am 12. März 2004 verabschiedet worden.<br />
Zu den einzelnen Kapiteln<br />
– Kapitel 1 zeigt einen kurzen Aufriss des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontextes, in<br />
dem die Berufsbildung für Leistungsschwächere steht.<br />
– Kapitel 2 beleuchtet einige zentrale Variablen von Lernschwierigkeiten und zeigt, dass<br />
pädagogische Wege aus der Versagerspirale führen.<br />
– In Kapitel 3 wird auf dem Hintergrund von drei Handlungsebenen die pädagogische als<br />
diejenige der fachkundigen individuellen Begleitung herausgeschält.<br />
– In Kapitel 4 werden die fachkundige individuelle Begleitung als solche und drei<br />
Ausprägungsformen beschrieben.<br />
– Das 5. Kapitel enthält die konsensual erarbeiteten Grundsätze und konkretisiert eine Reihe<br />
von darauf abgestimmten Umsetzungsvorschlägen.<br />
– Kapitel 6 enthält Illustrationsbeispiele, beschrieben von Projektverantwortlichen und eine<br />
Übersicht über 18 Projekte.<br />
– Kapitel 7 beinhaltet das Resümee der wissenschaftlichen Evaluation des Rahmenprojekts<br />
Coaching aus dem Kanton Zürich.
1 Ausgangslage<br />
1.1 Ökonomisch-soziale Entwicklungen in der Berufsbildung<br />
Ausgangslage<br />
Die Anforderungen an die berufliche Grundbildung sind in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren<br />
gestiegen. Die Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger am unteren Ende der schulischen<br />
Leistungsskala, die dem Risiko ausgesetzt ist, vom beruflichen Qualifikationssystem ausgeschlossen<br />
zu werden, wird grösser – und zwar systembedingt und nicht weil die Schule oder die Jugendlichen<br />
selber versagen. Die Nachfrage der Wirtschaft verschiebt sich stetig in Richtung höherer<br />
Qualifikationen zu Lasten der an- und ungelernten Arbeitskräfte (vgl. von Arx, Hollenstein,<br />
2003, 49). Diverse Beispiele zeigen, dass bei Umstrukturierungen von Ausbildungen dies häufig<br />
auf Kosten von intellektuell weniger anspruchsvollen geht (Swissmem-Berufe, KV-Reform,<br />
Verkauf). Dazu kommen im Zuge der langfristigen Verlagerung von der Produktions- zur Dienstleistungswirtschaft<br />
weitere Verluste von Arbeits- und Ausbildungsplätzen im industriellen und<br />
gewerblichen Sektor.<br />
Zusätzlich zu solch strukturellen kommen in Phasen mit flauer Wirtschaftslage noch konjunkturell<br />
bedingte Verluste von Ausbildungsplätzen, was dazu führt, dass sich Leistungsstärkere um handwerkliche<br />
Lehrstellen bewerben (Verdrängungseffekt). Abgebaute und wegrationalisierte Ausbildungsplätze<br />
bleiben für länger verschwunden.<br />
Neu gegründete Firmen sind aus folgenden Gründen eher zurückhaltend in der Lehrlingsausbildung:<br />
Fehlende Tradition, wenig ausgeprägtes Standesbewusstsein, geringe Kenntnisse des Berufsbildungssystems<br />
etc. Fazit all dieser Entwicklungen ist, dass die Leistungsschwächeren am stärksten<br />
betroffen sind, wenn Ausbildungsplätze vorübergehend oder dauerhaft verloren gehen. Wissen<br />
und Kompetenzen gelten als Schlüssel für die Zukunft, ungenügende Ausbildungen und fehlende<br />
Abschlüsse führen dagegen immer häufiger zu beruflichem Abstieg und sozialer Ausgrenzung.<br />
1.2 Bildungsbenachteiligung<br />
Die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen sind stark vom sozialen Status ihrer Familie, das<br />
heisst von der Schichtzugehörigkeit und der ethnischen Herkunft bestimmt.<br />
Dafür gibt es zahlreiche wissenschaftliche Belege, die Resultate verschiedener Untersuchungen 1<br />
führen uns immer wieder vor Augen, wie früh diese Chancenverteilung einsetzt und wie wenig<br />
unser Bildungssystem derartigen Zuweisungsprozessen aufgrund individueller Merkmale entgegenzusetzen<br />
hat. An dieser Stelle soll nicht die unfruchtbare Schuldzuweisung an die vorausgehende<br />
Schulstufe das Thema sein, sondern die Benachteiligungen, die im Schnittbereich von Bildungsund<br />
Beschäftigungssystem entstehen, eine Ressourcenverschwendung, die auch volkswirtschaftlich<br />
fragwürdig ist.<br />
Längst belegt ist, dass Schichtzugehörigkeit und Migrationshintergrund sich negativ auf die<br />
Bildungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen auswirken. In der Sekundarstufe I sind<br />
Ausländerkinder, speziell solche aus den einschlägig bekannten Ländern, klar übervertreten in den<br />
Typen mit tiefem Anforderungsprofil, in den Klassen mit Sonderunterricht sowie in Sonderschulen<br />
(vgl. EDK, 2000a, 17).<br />
1 BfS und EDK 2000; Kronig W. et al. 2000; Müller R. 2001<br />
<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />
Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />
Kapitel 1<br />
5
6<br />
Nach der obligatorischen Schulzeit verstärkt sich diese ungleiche Bildungsbeteilung noch. Bei<br />
gewissen Nationalitäten absolvieren mehr als zwei Drittel keine Ausbildung auf Niveau Sekundarstufe<br />
II (vgl. R. Müller 2001). Dagegen werden Brückenangebote von aussergewöhnlich vielen<br />
Jugendlichen mit Migrationshintergrund besucht, während sie in der Mittelschule untervertreten<br />
sind. Sie haben ausserdem mehr Mühe, eine Lehrstelle zu finden (vgl. Gattiker, 2003, 41). Der<br />
Schluss liegt nahe, dass unser Bildungswesen noch nicht ausreichend auf die Bedürfnisse einer<br />
heterogenen Gesellschaft ausgerichtet ist.<br />
Strukturwandel in der Wirtschaft, konjunkturelle Krisen und Änderungen der Unternehmensphilosophie<br />
beeinflussen sehr kurzfristig die Bereitschaft der Wirtschaft, Ausbildungsplätze zur<br />
Verfügung zu stellen. Produktivitäts- und Kostendruck, angespannte Arbeitsmärkte, Wandel und<br />
Auflösung traditioneller Berufsidentitäten verstärken diese Entwicklungen. Unter dem Strich führt<br />
all das zu einer Verschlechterung der Ausbildungschancen für Jugendliche mit ungünstigen individuellen<br />
Voraussetzungen. Dazu gehören etwa: tiefer Sozialstatus (bildungsferne Schicht, prekäre<br />
Familiensituation, ...), schulische Vorbildung, biologische Voraussetzungen (z. B. eine körperliche<br />
Behinderung), das Geschlecht, die ethnische oder nationale Herkunft.<br />
1.3 Folgerungen für die berufliche Grundbildung<br />
Berufliche Integration durch Erkennen und Ausschöpfen von Begabungsreserven ist ein wesentlicher<br />
Beitrag zu sozialer Stabilität und wirtschaftlicher Entwicklung unseres Landes. Auf der Ertragsseite<br />
stehen gesteigerte Produktivität, auf der Aufwandseite schlagen die Einsparungen für Prävention,<br />
für Auffang- und Resozialisierungsmassnahmen, evtl. auch für Therapie- und Verwahrungskosten<br />
zu Buche. Volkswirtschaftlich und sozialpolitisch ist es notwendig, die Ausbildungsmöglichkeiten<br />
zu verbessern für Personen mit den oben genannten ungünstigen Voraussetzungen, mit abgebrochener<br />
Ausbildung oder für Niedrigqualifizierte. Das Ziel muss heissen, bestmögliche Bildung<br />
für alle anzustreben, um die vorhandenen Begabungspotenziale im Interesse der Jugendlichen wie<br />
der Wirtschaft auszuschöpfen. Damit dies gelingt, brauchen wir eine Palette von unterschiedlichen<br />
Bildungsangeboten und ein leistungsfähiges System von Passerellen (vgl. EDK, 2000b, 134).<br />
Das Bildungsangebot muss so ausgerichtet sein, dass es den Interessen, den Fähigkeiten und den<br />
Lernstilen aller Jugendlichen entspricht (vgl. ebd., 141) und Durchlässigkeit in weiterführende<br />
Ausbildungsgänge garantiert. Mit der beruflichen Grundbildung mit Berufsattest wurde ein Ausbildungsgefäss<br />
geschaffen, das diesen Erfordernissen entspricht. Die fachkundige individuelle<br />
Begleitung ist der weitsichtige Zusatz des Gesetzgebers, damit das neue Ausbildungsmodell sein<br />
Ziel erreicht: Der Chancengleichheit ein Stück näher kommen.
1.4 Gesetzliche Grundlagen<br />
Bundesgesetz über die Berufsbildung (BBG) vom 13. Dezember 2002<br />
Art.18 Berücksichtigung individueller Bedürfnisse<br />
2. Der Bundesrat erlässt besondere Bestimmungen über die fachkundige individuelle Begleitung<br />
von Personen mit Lernschwierigkeiten in zweijährigen beruflichen Grundbildungen.<br />
3. Der Bund kann die fachkundige individuelle Begleitung fördern.<br />
Verordnung über die Berufsbildung (BBV) vom 19. November 2003<br />
Art. 10 Besondere Anforderungen an die zweijährige Grundbildung<br />
1. Die zweijährige Grundbildung vermittelt im Vergleich zu den drei- und vierjährigen<br />
Grundbildungen spezifische und einfachere berufliche Qualifikationen. Sie trägt den<br />
individuellen Voraussetzungen der Lernenden mit einem besonders differenzierten<br />
Lernangebot und angepasster Didaktik Rechnung.<br />
4. Ist der Bildungserfolg gefährdet, so entscheidet die kantonale Behörde nach Anhörung der<br />
lernenden Person und der Anbieter der Bildung über eine fachkundige individuelle<br />
Begleitung.<br />
5. Die fachkundige individuelle Begleitung umfasst nicht nur schulische, sondern sämtliche<br />
bildungsrelevanten Aspekte im Umfeld der lernenden Person.<br />
Art. 40 Berufsbildungsverantwortliche in der beruflichen Grundbildung<br />
1. Wer eine praktische oder schulische Lehrtätigkeit in der beruflichen Grundbildung ausübt,<br />
verfügt über eine Bildung, die den Mindestanforderungen nach den Art. 44–47 dieser<br />
Verordnung entspricht. ...<br />
4. Für die Bildung in bestimmten Berufen können über die Mindestanforderungen nach dieser<br />
Verordnung hinausgehende Anforderungen aufgestellt werden. Diese sind in den massgebenden<br />
Bildungsverordnungen festgelegt.<br />
Ausgangslage<br />
7
8<br />
2 Zielgruppe: Personen mit Lernschwierigkeiten<br />
Zielgruppe: Personen mit Lernschwierigkeiten<br />
Das ab 2004 gültige Berufsbildungsgesetz sieht für die zweijährige berufliche Grundbildung eine<br />
„fachkundige individuelle Begleitung von Personen mit Lernschwierigkeiten“ vor (BBG Art. 19,<br />
Abs. 2). Wir werden an diesem gesetzlich verankerten Begriff festhalten, möchten aber in diesem<br />
zweiten Kapitel aufzeigen, dass „Lernschwierigkeiten“ aus pädagogischer Sicht ein wenig ergiebiger<br />
Terminus ist, da er ein statisches Persönlichkeitsmerkmal bezeichnet.<br />
2.1 Lernschwierigkeiten als Lernhemmungen verstehen<br />
Der Begriff „Personen mit Lernschwierigkeiten“ legt nahe, dass Personen entweder Lernschwierigkeiten<br />
haben oder sie haben keine. Die Lernschwierigkeit wird dadurch zu einer Eigenschaft der Person.<br />
Mit dem Blick auf Entwicklungsoptionen könnte man dann die Fragen stellen:<br />
Hat jemand Lernschwierigkeiten als persönliche Eigenschaft – und ist das ein unabänderlicher<br />
Tatbestand? Oder kann man sich der Lernschwierigkeiten entledigen und heisst das, dass man<br />
diese ein für allemal überwunden hat? Oder ist es nur so, dass gewisse Menschen häufig den<br />
Zustand wechseln, das heisst Träger, Nichtträger, erneute Träger von Lernschwierigkeiten sind?<br />
In dieser zugegebenerweise leicht absurden Zuspitzung wird eines klar:<br />
Lernschwierigkeiten als personale Eigenschaft aufzufassen ist allenfalls ein geeigneter Ansatz, um<br />
wissenschaftliche Kategorien abzuleiten mit dem Ziel zu systematisieren, z.B. nach Ursachen,<br />
nach Schwere, nach Behandlungskonzepten usw. Er führt aber kaum zu Erkenntnissen, die dazu<br />
dienen, im Laufe einer befristeten Ausbildungszeit den Lernerfolg zu steigern.<br />
Auch in der Heilpädagogik hat ein lange, international geführte Diskussion rund um die Revision<br />
der Klassifikationen bei den Behinderungen zur Einsicht geführt, dass man Lernschwierigkeiten<br />
«nicht als stabile Eigenschaft der betroffenen Person sehen will, sondern als Umschreibung einer<br />
Situation, in welcher sich die Funktionsfähigkeit und Behinderung eines Menschen manifestiert» 2 .<br />
Analog dieser Entwicklung und mit der folgenden Begründung sprechen wir von Lernhemmungen<br />
statt von Lernschwierigkeiten.<br />
Die Ursachen von „Lernschwierigkeiten“ können grundsätzlich in den gestellten Anforderungen<br />
bzw. den erwarteten Leistungen liegen als auch in den noch zu wenig ausgebildeten Kompetenzen<br />
der Lernenden. Statt auf die lernende Person zu zielen, der als Symptomträger im Unterschied zu<br />
„Normalbegabten“ ein Makel anhaftet, soll der Prozess des (misslungenen) Lernens ins Zentrum<br />
gerückt werden. Diese pädagogisch fruchtbarere Betrachtungsweise richtet das Augenmerk auf<br />
die Folgen der fehlenden Übereinstimmung zwischen gesellschaftlichen Lern- und Leistungsansprüchen<br />
und individuellem Leistungsstand. Zwar ist nach dem Kognitionspsychologen Wygotsky<br />
Lernen in der „Zone der nächsten Entwicklung“ günstig für die intellektuelle Entwicklung. Das<br />
heisst Lernen an „Aufgabestellungen, die die Lernenden allein noch nicht bewältigen können,<br />
sondern auf Anleitung und Unterstützung von kompetenteren Erwachsenen oder Peers angewiesen<br />
sind“ 3 . Wenn das Mass der „Überforderung“ nicht sehr sorgfältig und die Balance zwischen<br />
selbstgesteuertem und angeleitetem Lernen nicht optimal gefunden werden, öffnet sich hier eine<br />
wahre Produktionsstätte von Lernhemmungen. Damit rückt die pädagogische Diagnostik und die<br />
daran anknüpfende Didaktik ins Blickfeld (vgl. unten „Ursachen im Unterricht“).<br />
2 Hollenweger J. 2003<br />
3 Scharnhorst U. 2003
Wir teilen die Ansicht von J. Hauschildt 4 , dass der Terminus „Lernhemmungen“ weit besser geeignet<br />
ist, pädagogische Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. „Lernhemmungen“ gehören zu jedem<br />
Lernprozess. Der Begriff macht vorerst deutlich, dass der Lernerfolg nicht ohne Hindernisse, d.h.<br />
ohne das Überwinden von „Lernwiderständen“, zu erreichen ist. Der Begriff drückt die Diskrepanz<br />
zwischen Lern- und Leistungsansprüchen, die an Lernende gestellt werden einerseits und<br />
der subjektiven Lernleistung der lernenden Person anderseits aus. Da die optimale Passung der<br />
Aufgabenschwierigkeit mit den individuellen Leistungsvoraussetzungen ein schwer zu erreichendes<br />
Ziel ist, müssen wir davon ausgehen, dass sehr viele Lernprozesse temporär, d.h. während einer<br />
gewissen Zeit erschwert sein können. So betrachtet sind „Lernhemmungen“ der Normalfall. Sie<br />
tauchen bei allen mehr oder weniger ausgeprägt auf und sind auch immer wieder überwindbar.<br />
Jeder kleine Erfolg nach Überwindung einer Lernhemmung ist Antrieb für die nächste.<br />
Das ist eine zentrale Gesetzmässigkeit von Lernen. Gestützt auf diese Erkenntnis kann die fachkundige<br />
individuelle Begleitung einen Beitrag leisten, indem sie dort ansetzt, wo Lernprozesse<br />
durch mannigfaltige Einflüsse „gehemmt“ sind. Wenn das Hemmnis erkannt und bearbeitet wird,<br />
wenn geeignete Instrumente und Verfahren zur Verfügung stehen, kann der ins Stocken geratene<br />
Lernprozess wieder zum „Fliessen“ gebracht werden, sind Lernfortschritte wieder möglich.<br />
2.2 Äussere Ursachen für Lernhemmungen<br />
Unter diesen Titel fallen<br />
a. systemisch gesellschaftliche Ursachen<br />
b. Ursachen im Unterricht<br />
•<br />
a. systemisch gesellschaftliche Ursachen<br />
Als Bedingungsfaktoren für Lernhemmungen seien hier beispielhaft dargestellt: steigende Anforderungen,<br />
Verschiebung der Referenzwerte und kulturell-sprachliche Einflüsse.<br />
Steigende Anforderungen<br />
Die Lernenden sehen sich immer komplexeren Anforderungen gegenüber, eine Entwicklung, die<br />
langjährige Ausbildnerinnen und Ausbildner in Betrieb und Schule nur zum Teil wahrnehmen.<br />
Daraus resultiert die oft gehörte Klage, die Lernenden würden immer „dümmer“, das heisst sie<br />
brächten von Jahr zu Jahr weniger Kompetenzen mit, um die Lern- und Leistungsanforderungen<br />
zu bewältigen. Im Unterschied zu solchen Pauschalurteilen sind die Gesetzmässigkeiten der sich<br />
verschärfenden Anforderungen bei Reformen und Systemwechseln belegbar (vgl. Kap 1).<br />
Verschiebung der Referenzwerte<br />
Auf die zunehmende Verknappung der Ausbildungsmöglichkeiten und den Verdrängungseffekt<br />
haben wir ebenfalls hingewiesen (Kap. 1). Wenn das Angebot an theorieentlasteten Ausbildungsmöglichkeiten<br />
kleiner wird bei gleich bleibender Nachfrage entsteht mehr Selektionsdruck.<br />
Die Betriebe können ihre Lehrlinge vermehrt auswählen. Eines der ersten Kriterien ist dabei das<br />
schulische Leistungsvermögen. Mit höheren Quoten von mittelmässigen bis guten Schulabgängern<br />
in „einfachen“ Berufen verschieben sich die Referenzwerte in den Klassen, das heisst die Mängel<br />
und „Schwierigkeiten“ der Schwächeren sind zwar nicht grösser geworden aber offenkundiger.<br />
4 Hauschildt J. 1998<br />
<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />
Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />
Kapitel 2<br />
9
10<br />
•<br />
Kulturell-sprachliche Einflüsse<br />
Eltern und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind oft wenig über Inhalt und Stellenwert der<br />
schweizerischen Berufsbildung informiert. Das Elternhaus nimmt die Bedeutung einer beruflichen<br />
Grundausbildung anders wahr als die einheimische Bevölkerung und kann den Jugendlichen deshalb<br />
oft nicht die nötige Unterstützung beim Berufsfindungsprozess geben. Unbeholfenheit,<br />
Hilflosigkeit, unrealistische „Beratungen“ bei der Lehrstellensuche und in der Berufsausbildung<br />
sind die Folgen. Hinzu kommt, dass Anbieter von Lehrstellen oft gewollt oder ungewollt diskriminierend<br />
auswählen aus der Befürchtung, Jugendliche mit nicht deutscher Muttersprache hätten<br />
automatisch mehr Lernprobleme.<br />
b. Ursachen im Unterricht<br />
Eine kritische Prüfung der schulischen Anforderungen der Berufsfachschule zeigt, dass Lehrplanrevisionen<br />
oft zur Ausdehnung der Stoffgebiete führen statt zu einer Straffung und Verwesentlichung<br />
des Lernangebots. Die Stofffülle verleitet zu unvollendeten Lernprozessen, d.h. die Zeit zum<br />
Üben, Festigen und Vertiefen des Lernstoffes fehlt. Oft geht dabei auch die Trennschärfe verloren<br />
zwischen Inhalten der Grundausbildung und weiterführenden Bildungsangeboten.<br />
Zudem beeinflussen reale oder vermeintliche Prüfungsanforderungen den Unterricht mehr als<br />
Lehrplan- und Curriculumvorgaben. Lehrpläne werden zunehmend nicht mehr als Richtschnur<br />
unterrichtlichen Handelns, sondern als ultimativ zu erfüllende Stoffkataloge aufgefasst und die<br />
Gefahr, dass Maximal- statt Minimalziele anvisiert werden, lauert in jeder Curriculumrevision. Die<br />
Fixierung auf Standardvorgaben verstellt den Blick auf individuelle Lernvoraussetzungen und<br />
differenzierte Lernwege. Die Orientierung an Maximalzielen begünstigt eine zu einseitige Ausrichtung<br />
des Unterrichts auf die erfolgreich Lernenden.<br />
Lernhemmungen sind nicht selten auch die Folge methodisch-didaktischer Mängel, von pädagogischen<br />
bzw. psychologischen Fehlleistungen oder von ungünstigen Lernsituationen wie räumliche,<br />
zeitliche Einflüsse, Störpotentiale etc. Statt hier ins Detail zu gehen begnügen wir uns damit, das<br />
oft zitierte aber noch keineswegs selbstverständliche Rezept gegen solch hausgemachte Lernhemmungen<br />
zu wiederholen: Für die Ausbildung von Bildungsbenachteiligten braucht es die<br />
pädagogisch-didaktisch bestqualifizierten Lehrpersonen. Die Schulen und Kantone müssten diese<br />
Forderung konsequent umsetzen mit entsprechenden Anforderungsprofilen, Anstellungsbedingungen<br />
und geeigneter Personalplanung. Spezifische, stufengerechte Weiterbildungen werden<br />
angeboten, zum Beispiel die Attest- und Zertifikatsausbildungen des SIBP.<br />
2.3 Lernerseitige Ursachen für Lernhemmungen<br />
Mangels einheitlicher wissenschaftlicher Definition der Begriffe Lernhemmungen und Lernschwierigkeiten<br />
bedienen wir uns der Unterteilung in allgemeine Lernschwäche (sogenannte slow<br />
learners) und in spezifische Lernschwierigkeiten (sogenannte learning disabilities).<br />
•<br />
a. allgemeine Lernschwäche<br />
Lernschwierigkeiten betreffen elementare Prozesse, die am mündlichen oder schriftlichen Verstehen
•<br />
oder Verwenden von Sprache beteiligt sind. Sie äussern sich in einer verminderten Fähigkeit<br />
zuzuhören, zu sprechen, zu lesen, zu schreiben und zu rechnen (zit. nach Borkowski & Day 1987).<br />
Dabei sind alle schulischen Lernprozesse betroffen, d.h. das Lernen ist generell verlangsamt oder<br />
eingeschränkt.<br />
b. spezifische Lernschwierigkeiten (sogenannte learning disabilities)<br />
Lernschwierigkeiten beeinträchtigen den Erwerb, die Organisation, die Speicherung und das Verständnis<br />
verbaler und non-verbaler Information; sie beeinträchtigen den Erwerb und Gebrauch<br />
der mündlichen Sprache, des Lesens, des Schreibens und der Mathematik. Sie können auch beteiligt<br />
sein bei Schwierigkeiten in der sozialen Wahrnehmung und Interaktion. Sie sind bedingt durch<br />
eine Schwäche oder Veränderung von Prozessen, die an der Wahrnehmung, dem Denken, dem<br />
Gedächtnis oder dem Lernen beteiligt sind. Dazu gehören sprachliche, phonologische, visuellräumliche<br />
Verarbeitung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, exekutive Funktionen. Dabei liegen zumindest<br />
durchschnittlich allgemeine intellektuelle Fähigkeiten vor (Learning Disabilities Association of<br />
Canada, 2002).<br />
Unabhängiges, selbst gesteuertes Lernen ist nur eingeschränkt möglich, da wichtige Faktoren das<br />
Gelingen des Lernprozesses beeinträchtigen. Neben den geringen Vorwissensbeständen können<br />
die Faktoren, die erfolgreiches Lernen ermöglichen, in drei grössere Gruppen eingeteilt werden:<br />
– motivational-emotionale Faktoren<br />
– metakognitive Faktoren<br />
– kognitive Faktoren.<br />
2.4 Variablen des Lernvorgangs und Gefährdungen<br />
Lernen ist ein komplexer und vielfältiger, aber auch vielfach gefährdeter Prozess. Wir beschränken<br />
uns im Folgenden auf kognitives Lernen, das heisst auf bewusste, zielorientierte Lernvorgänge<br />
und kümmern uns nicht darum, ob es auch andere Facetten von Lernen gibt und welche. Wenn<br />
in der knappen Darstellung der kognitiven Bedingungsfaktoren beim Lernen 5 immer auf die<br />
Gefahrenstellen hingewiesen wird, heisst das nicht, dass Bearbeitung der Lernhemmungen mit<br />
Bearbeitung von Defiziten gleichzusetzen ist. Ganz im Gegenteil, erfolgreiche Lernförderung<br />
unterstützt mindestens so stark die vorhandenen Ressourcen wie sie versucht, die Mängel zu<br />
beheben.<br />
Am Anfang des zielbezogenen Lernens steht ein Antrieb, die Motivation. „Motivation<br />
bezeichnet diejenigen psychischen Prozesse, die die Einleitung und Aufrechterhaltung zielbezogenen<br />
Handelns leisten“ (Ziegler, 1999). Teilt man zielbezogenes Handeln in die vier Phasen Abwägephase/<br />
Handlungsplanung/Handlungsausführung/Handlungsbewertung ein, so sind in jeder Phase<br />
motivational-emotionale Faktoren beteiligt, d.h. der Lernprozess ist in jeder der vier Phasen durch<br />
innere (z.B. subjektive Bewertung der Erfolgsaussicht) oder äussere Faktoren (Ablenkung, attraktivere<br />
Handlungsalternativen) gefährdet.<br />
5 Büchel F.P. 2002<br />
Zielgruppe<br />
11
12<br />
Lernen ist immer auch mit Emotionen (Freude, Begeisterung, Enttäuschung, Hilflosigkeit)<br />
verbunden und schliesslich müssen auch entwicklungspsychologische Aspekte berücksichtigt<br />
werden, d.h. die lernende Person kann sich ihrem Alter entsprechend verhalten oder kann eine<br />
altersunangemessene (z.B. retardierte) Entwicklung aufweisen.<br />
Unter den metakognitiven Faktoren verstehen wir diejenigen übergeordneten Wissensbestände<br />
und Kontrollprozesse, die unser Handeln steuern und koordinieren. Personen mit Lernhemmungen<br />
fallen durch metakognitive Defizite auf, d.h. es fehlt ihnen an Wissen über sich selbst und ihr<br />
Verhalten als Lerner, an Wissen über unterschiedliche Aufgabenschwierigkeit, Aufgabentypen<br />
und Strategien der Bearbeitung und an Wissen über Ziele und Intension einer Lernhandlung. Die<br />
exekutiven Funktionen (antizipieren, planen, überwachen und kontrollieren) des eigenen Lernprozesses<br />
sind deshalb oft mangelhaft oder nur zum Teil ausgebildet.<br />
Als kognitive Faktoren sind die Lern-, Denk- und Problemlösestrategien zu betrachten, die die<br />
Aufnahme, Verarbeitung und Steuerung von Information ermöglichen. Lernende mit Lernhemmungen<br />
verfügen meist über ein geringeres Strategierepertoire und setzen die verfügbaren Strategien<br />
weniger flexibel und weniger kontextgerecht ein als erfolgreiche Lernerinnen und Lerner.<br />
Zusätzlich und verschärfend kommt hinzu, dass genau diese Lernenden oft auch in den schulisch<br />
bedeutsamen Kernkompetenzen Mathematik, Sprachverständnis und Sprachverwendung einen<br />
Rückstand mitbringen.<br />
Schliesslich muss bei manifesten Lernhemmungen mit Defiziten bei grundlegenden mentalen<br />
Operationen und Funktionen (z.B. Vergleichen, Kategorisieren, u.ä.) gerechnet werden.<br />
2.5 Folgerungen<br />
Wenn Lernen als vielfältiges Verknüpfen neuer Inhalte mit dem bereits vorhandenen Vorwissen<br />
verstanden wird, so kommt dem Klären der Lernvoraussetzungen zu Beginn der Berufsausbildung<br />
zentrale Bedeutung zu. Lehrpersonen müssen sich über die Lernbedingungen und -voraussetzungen<br />
der Lernenden informieren, um den Lernprozess in der Berufsausbildung erfolgreich starten zu<br />
können. Diese Abklärung zu Beginn der Lehre soll Lernhemmungen möglichst verhindern und<br />
erfordert von Lehrpersonen solide Kenntnisse in pädagogischer Diagnostik.<br />
Wird Lernen als aktiver, kumulativer, konstruktiver und sozialer Prozess aufgefasst, ist das Gestalten<br />
der Lernangebote durch die Lehrperson eine weitere Bedingungsvariable für Lernhemmungen:<br />
Lernerinnen und Lerner verfügen über unterschiedliche Vorerfahrungen und unterschiedliches<br />
Vorwissen. Das Verknüpfen der dargebotenen Inhalte ist ein individuell gestalteter Prozess.<br />
Lernen geschieht in unterschiedlichen Tempi; der Frontalunterricht kann auf diese Tatsache nur<br />
bedingt Rücksicht nehmen. Langsamere Lernerinnen und Lerner verlieren deshalb oft schon zu<br />
Beginn eines Stoffgebietes den Anschluss, was Unsicherheit und Motivationsverlust zur Folge<br />
haben kann.<br />
Schulisches Lernen geschieht in einem sozialen Kontext. Gleichaltrige sind oft die günstigeren<br />
Vorbilder und besser geeignet die nötigen Hilfestellungen zum Überwinden von Lernhindernissen
zu geben als Erwachsene. Dem partnerschaftlichen und gruppalen Lernen muss deshalb genügend<br />
Raum gegeben werden.<br />
Das Berücksichtigen aller Variablen, die zu einer guten schulischen Leistung führen, ist eine sehr<br />
anspruchvolle Aufgabe, die ein hohes Mass an professionellem Handeln erfordert. Individualisierende<br />
Gestaltung des Unterrichts trägt dazu bei, Lernhemmungen zu minimieren, das heisst, dass die<br />
unterschiedlichen Lernvoraussetzungen berücksichtigt und unterschiedliche Lerntempi zugelassen<br />
werden.<br />
Noten und Klassendurchschnitte sind eine kollektive Bezugsnorm, die sich für leistungsschwächere<br />
Lernerinnen und Lerner ebenfalls lernhemmend auswirken kann. Vermehrte Anwendung<br />
der individuellen Bezugsnorm (Lernforschritte der Einzelnen sichtbar machen und betonen)<br />
beeinflusst die Lern- und Leistungsmotivation dieser Lernergruppe positiv.<br />
Gesamthaft gesehen werden die äussern Ursachen, d.h. die systemisch-gesellschaftlichen und<br />
die unterrichtlichen Kontextbedingungen, die Lernhemmungen mit verursachen, tendenziell<br />
unterbewertet. Gesellschaftlich ist es leichter und anerkannter, Lernhemmungen dem Individuum<br />
zuzuschreiben und es dafür verantwortlich zu machen.<br />
Jede lernende Person weist auch Stärken (Ressourcen) im Lernen auf, die ihr die Lebensbewältigung<br />
auf ihre Weise ermöglichen. Bei der Einschätzung der Lernfähigkeit einer Person sind also beide<br />
Seiten, die Defizite und die Stärken angemessen zu berücksichtigen. Um Veränderungsprozesse<br />
einzuleiten, empfiehlt sich eine ressourcenorientierte Vorgehensweise.<br />
Zielgruppe<br />
13
Kapitel 3<br />
14<br />
<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />
Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />
3 Herausforderungen für die Berufsbildung<br />
Herausforderungen für die Berufsbildung<br />
Wenn Lernschwierigkeiten nicht bloss eine Eigenschaft von Menschen sind, welche erfolgreiche<br />
Lerner von Bildungsbenachteiligten unterscheidet, wenn ein vielschichtiges Zusammenspiel von<br />
Ursachen, Zuschreibungen, Verstärkungen und systembedingten Gegebenheiten dazu führen,<br />
dass Lernerfolge sehr unterschiedlich ausfallen, gibt es folgerichtig auch verschiedene Ansatzpunkte<br />
für eine nachhaltige Verbesserung.<br />
3.1 Optimierungen auf der Ebene des Bildungssystems<br />
Lernschwierigkeiten, die ihre Ursache im sozialen Umfeld haben und in den Mechanismen, wie<br />
das Bildungssystem darauf reagiert, müssen auch auf dieser Ebene angegangen werden: durch<br />
Prävention, mittels Bildungsplanung und Bildungsreformen, durch Qualitätssicherung, Integrationsanreize<br />
usw.<br />
Die Ebene des Bildungssystems ist nicht Thema dieses <strong>Leitfaden</strong>s.<br />
3.2 Optimierungen auf der strukturellen Ebene<br />
Mit dem Modell der zweijährigen beruflichen Grundbildung und dem standardisierten Attestabschluss<br />
ändern sich die Anforderungen im Vergleich zur Anlehre. Das Publikum jedoch bleibt<br />
mehrheitlich das gleiche. Dieser Modellwechsel ist auch eine Chance, wenn dabei Vorkehrungen<br />
getroffen werden bei den Ausbildungsinhalten (Bildungsverordnungen, Rahmen- und Schullehrplänen),<br />
den Qualifikationsverfahren, der Planung und Qualifizierung der Ausbildenden<br />
(Aus-/Weiterbildung, Status und Anstellungsvoraussetzungen), den Rahmenbedingungen<br />
(Klassengrössen, Supervisionen usw.) und dem Vollzug.<br />
Die Ebene der formalen und strukturellen Vorgaben im Umfeld der zweijährigen beruflichen<br />
Grundbildung ist nicht Thema dieses <strong>Leitfaden</strong>s sondern des Handbuchs für Modellentwicklung 6 .<br />
3.3 Abbau von Lernhemmungen auf der pädagogischen Ebene<br />
Grossen Anteil bei der Bewältigung von Lernschwierigkeiten oder Lernhemmungen hat die Art<br />
und Weise, wie Lernprozesse angeregt und unterstützt werden. Das nächste Kapitel beleuchtet<br />
diese pädagogische Ebene mit ihrem methodisch-didaktischen Aspekt und vor allem dem neuen<br />
Aspekt der fachkundigen individuellen Lernbegleitung.<br />
6 Knutti P. et al. 2004
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
4 Fachkundige individuelle Begleitung<br />
Fachkundige individuelle Begleitung<br />
Das Berufsbildungsgesetz vom 13. Dezember 2002 führt mit der „fachkundigen individuellen<br />
Begleitung für Personen mit Lernschwierigkeiten“ eine neue Aufgabe innerhalb der schweizerischen<br />
Berufsbildung ein. Auch in der Fachliteratur ist dieser Terminus unseres Wissens unbekannt; wir<br />
haben kein Konzept unter dem Titel fachkundige individuelle Begleitung gefunden.<br />
Neue Aufgaben verlangen Klärungen und Regelungen, damit sie wahrgenommen werden können.<br />
Sind sie im Kern einmal erfasst, können sie in Bezug gesetzt werden zu bekannten Konzepten.<br />
Dann geht es um die Klärung, wer die Akteure (Nutzniesser und Anbieter) sind und schliesslich<br />
um die Darstellung möglicher Ausprägungsformen.<br />
4.1 Konkretisierung des gesetzlichen Auftrags<br />
Die drei im gesetzlichen Begriff fachkundige individuelle Begleitung explizit genannten Aspekte<br />
interpretieren wir so:<br />
Fachkundiger Aspekt<br />
Die Lernenden werden von Personen begleitet, die über geeignete Qualifikationen verfügen für<br />
die spezifischen Interventionsformen, die sie anwenden. Die bisher verlangten Grundqualifikationen<br />
von schulischen und betrieblichen Ausbildnerinnen und Ausbildnern genügen nicht!<br />
Individueller Aspekt<br />
Die Intervention orientiert sich an den Leistungsmöglichkeiten und Leistungsgrenzen des/der Einzelnen.<br />
Persönliche Entwicklungsziele sind in Einklang zu bringen mit externen Zielen und Vorgaben.<br />
Unterricht in Kleinklassen genügt nicht!<br />
Aspekt der Begleitung<br />
Die Begleitung der Lernenden ist kontinuierlich, systematisch und über eine zuvor bestimmte Periode<br />
angelegt; z.B. mit diesem Phasenverlauf:<br />
Situationsklärung – gemeinsame Interventionsplanung – Umsetzung – Auswertung mit allenfalls<br />
erneuter Planung. Einmalberatung und Kurzinterventionen reichen nicht!<br />
4.2 Einordnung im Umfeld bekannter Konzepte<br />
Aus der neueren Theorie und Praxis im deutschen Sprachraum kennen wir eine Reihe möglicher<br />
Konzeptionen, die sich für die fachkundige individuelle Begleitung von Berufslernenden mit Lernhemmungen<br />
anbieten. Aus praktischen Überlegungen schlagen wir vor, die fachkundige individuelle<br />
Begleitung im Wirkungsfeld der folgenden Konzepte anzusiedeln:<br />
Beratung bedeutet die zielgerichtete kooperative Suche nach Lösungen für ein benanntes und<br />
relativ eingegrenztes Problem (z.B. Berufsberatung). 7<br />
Fachberatung als „vertikale Beratung bedeutet das Auffüllen von (Wissens-)Defiziten“ 2 oder<br />
Verfahrenslücken (z.B. Steuerberatung) und bietet oft fertige Lösungen an. 8 15<br />
7 nach Pallasch W. und Simon R. 2003<br />
8 nach Strasser S. und Pool S. 2003<br />
<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />
Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />
Kapitel 4
16<br />
•<br />
•<br />
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•<br />
Coaching bedeutet eine personenorientierte, zielgerichtete Förderung von Menschen, bezogen<br />
auf ein konkretes Aufgaben- oder Arbeitsfeld; Coaching orientiert sich an den Ressourcen dieser<br />
Menschen und ist in der Regel kontraktorientiert. 7<br />
Lern-Training bedeutet den zielgerichteten Erwerb spezifischer Qualifikationen, die mit Hilfe<br />
bestimmter Methoden eingeübt und anschliessend durch Transfer in das Arbeitsfeld eingebracht<br />
werden. 7<br />
Training-on-the-Job richtet sich mehr auf die Sachaufgabe, auf die technischen Kenntnisse und<br />
die spezifischen Abläufe. 8<br />
Stütz- und Zusatzunterricht sind zeitlich befristete Lern- und Übungsangebote für ein diagnostiziertes,<br />
eingegrenztes Lernthema.<br />
Keines der oben skizzierten Konzepte kann als Synonym für die fachkundige individuelle Begleitung<br />
Vorrang vor den anderen beanspruchen oder gar den Begriff für sich allein besetzen. Je nach<br />
Art und Ausprägung der Lernhemmung verspricht ein Mix von Beratungskonzepten und Förderbemühungen<br />
die besten Erfolge im konkreten Fall (s. Kap. 2). Um die Beliebigkeit der<br />
Interventionsmöglichkeiten zu verhindern, werden im Kapitel 4.4 drei idealtypische Ausprägungsformen<br />
vorgestellt.<br />
Wichtig an dieser Stelle ist, das Verhältnis zwischen fachkundiger individueller Begleitung und<br />
Lernförderung zu klären. Mit Lernförderung bezeichnen wir das gesamte Arrangement, begonnen<br />
bei der Abklärung über die Beratung und Begleitung, die didaktische Unterstützung inklusive<br />
Übung bis zur Lernkontrolle. Lernförderung beinhaltet beides, den lernfördernden Unterricht<br />
(bzw. die lernfördernde Ausbildung im Betrieb) und die individuelle Begleitung. Das kann voll<br />
integriert (Lernwerkstatt Kanton OW/NW) 9 , teilintegriert (Kompetenzzentrum TBZ Zürich) 10 oder<br />
arbeitsteilig (Lernberatung Basel-Stadt) 11 konzipiert werden. Entscheidend ist das gute Zusammenspiel<br />
von Begleitung und Unterricht, um möglichst wirksam gehemmte Lernprozesse nachhaltig<br />
in Gang zu setzen.<br />
4.3 Anspruchsberechtigung und Zuständigkeiten<br />
Ein Zusatzangebot für einen begrenzten Personenkreis bedingt eine Klärung des anspruchsberechtigten<br />
Personenkreises. In unserem Fall gilt es zu bestimmen, welche Personen Lernschwierigkeiten<br />
haben oder gestützt auf die Ausführungen in Kap. 2, bei welchen Personen eine erfolgreiche<br />
Ausbildung mit Attestabschluss infolge Lernhemmungen gefährdet ist. Grundsätzlich gibt<br />
es drei Verfahren, um den Anspruch auf die Begleitung festzustellen:<br />
•<br />
a. Kriteriengeleitete Verfahren<br />
Um Lernschwierigkeiten eindeutig festzustellen bzw. um die Gefährdung des Abschlusserfolgs<br />
treffsicher vorauszusagen, braucht es klare Kriterien für das Feststellen von (genügend grossen)<br />
Lernschwierigkeiten. Der Status quo muss zuverlässig erfasst, die verlangten Kompetenzen<br />
9 SIBP Schriftenreihe 21/2003, S.<strong>58</strong><br />
10 SIBP Schriftenreihe 21/2003, S.87<br />
11 SIBP Schriftenreihe 21/2003, S.54
•<br />
müssen bekannt sein und ebenso Kombinationen von minimalen Kompetenzen, die zum Bestehen<br />
genügen. Schliesslich muss ein zuverlässiger Rückschluss vom Status quo zur Erfolgswahrscheinlichkeit<br />
möglich sein. Derartige Verfahren setzen valide, geeichte Erfassungsinstrumente voraus<br />
und eine fachlich ausgewiesene Instanz für die Zuweisung allenfalls auch für die Rekurse.<br />
b. Antragsverfahren<br />
Wenn bereits frühere Abklärungen Lernschwierigkeiten im weiteren Sinne festgestellt haben,<br />
allenfalls bereits Interventionen veranlasst und Begleitungsmassnahmen in Gang gesetzt wurden:<br />
Sofern die Weiterführung dieser Massnahmen im bisherigen Rahmen nicht mehr möglich ist (z.B.<br />
wegen neuer Zuständigkeiten), muss definiert werden, wer Antrag stellen kann, wer Überweisungen<br />
behandeln und genehmigen kann und wie das rechtliche Gehör zu regeln ist.<br />
Ein vereinfachtes Antragsverfahren ist angezeigt, wenn die Ausbildung ganz oder weitgehend<br />
innerhalb von Institutionen angesiedelt ist. Weil Begleitung dort in aller Regel ein integraler<br />
Bestandteil ist, müsste sie über die ganze Zeit sichergestellt sein, auch wenn die Lernenden eine<br />
bestimmte Zeit, z.B. das zweite Ausbildungsjahr, extern in einem Praktikumsbetrieb absolvieren.<br />
•<br />
c. Freier Zugang<br />
Wenn von allen Lernenden in der zweijährigen beruflichen Grundbildung generell angenommen<br />
wird, dass sie mehr oder weniger ausgeprägte Lernhemmungen haben, entfallen Abklärungen,<br />
Antragsstellung, Begutachtung und allenfalls Rekursverfahren. Die Begleitung kann sofort, d.h.<br />
schon in der wichtigen Anfangsphase der Ausbildung einsetzen und nötigenfalls über die ganzen<br />
zwei Jahre aufrechterhalten werden.<br />
Gegen jede dieser Varianten lassen sich gute Argumente anführen, jede hat Schwachstellen.<br />
Bei a. bestehen die Schwierigkeiten in der Diagnostik (mit welcher Methode, mit welchen Instrumenten<br />
erheben? Was ist die Bezugsnorm?); in der Unmöglichkeit, Scheitern zu prognostizieren<br />
(welche Voraussetzungen indizieren eine Massnahme? Was kann ohne Sondermassnahmen aufgeholt<br />
werden?); in den voraussichtlich stark differierenden Anforderungen je nach Beruf und<br />
eventuell beim Zeitpunkt (wenn der Misserfolg feststeht, ist es zu spät für eine Intervention).<br />
Variante b. erreicht nur den vergleichsweise kleinen Kreis von Lehrlingen, deren Problematik<br />
bereits erfasst und betreut wird. Sollen diese laufenden Massnahmen nicht einfach unbesehen<br />
übernommen, sprich subventioniert werden, muss eine fachkompetente Instanz aufgebaut und<br />
erhalten werden, die in der Lage ist, die Anträge nach einheitlichen Massstäben zu prüfen. Es<br />
braucht Kenntnisse über die unterschiedlichen Standards, die von anderen Abklärungsinstanzen<br />
angewendet werden, ein Controlling und allenfalls eine übergeordnete Rekursinstanz.<br />
Bei c. bestehen Befürchtungen hinsichtlich hoher Kosten und einer Stigmatisierung aller Personen.<br />
Wir plädieren zumindest für die Übergangsfrist von 5 Jahren für das Verfahren c. Wird der „freie<br />
Zugang“ auf fachkundige individuelle Begleitung nicht extensiv ausgelegt und mit einem Maximalanspruch<br />
für alle Lernenden verwechselt, sind die Kosten über alles gerechnet eher tiefer,<br />
Fachkundige Begleitung<br />
17
18<br />
•<br />
sicher nicht höher als bei den selektiven Verfahren nach a oder b; und dies bei einem markant<br />
grösseren Kreis von Nutzniessern. Bei diesem Verfahren entfallen der Aufbau und Unterhalt von<br />
Strukturen und von Entscheidungs- und Kontroll-Instanzen. Die dabei eingesparten Kosten können<br />
direkt in die eigentliche Förderung investiert werden. Die Begleitung und Förderung erfolgt<br />
ressourcenorientiert, weil sie nicht aufgrund einer Mängel- und Defizitliste zugestanden wird.<br />
Wenn es gelingt, aufgrund der Erfahrungen in der Übergangsfrist und dank verbesserter Instrumente<br />
die Schwierigkeit zufriedenstellend zu lösen, sind die Varianten a und b zu einem späteren<br />
Zeitpunkt denkbar.<br />
4.4 Ausprägungen<br />
Wir unterscheiden drei Ausprägungsformen von möglicher fachkundiger individueller Begleitung:<br />
Schulische Begleitung, sozialpädagogische Begleitung und Begleitung im betrieblichen Kontext.<br />
Man könnte sie bezeichnen als drei Pfade, die auf unterschiedlichem Gelände zum gleichen Ziel<br />
führen, nämlich die Ausbildungsziele zu erreichen. Je nach Ursache der Lernhemmung kommt der<br />
eine oder andere Pfad in Frage, auch Mischformen sind denkbar. In Ausnahmefällen müssen kurzfristig<br />
zwei Pfade parallel beschritten werden. Zu vermeiden ist, dass gleichzeitig und über längere<br />
Zeit hinweg auf verschiedenen Wegen Begleitungs- und Fördermassnahmen unkoordiniert<br />
nebeneinander laufen oder gar unbeabsichtigte Zielüberlagerungen und -konflikte auftreten.<br />
4.4.1 Schulische Begleitung<br />
Es wurde bereits erwähnt (Kap. 4.2) und sei nochmals betont: Lernfördernder Unterricht ist noch<br />
keine fachkundige Begleitung, aber eine Voraussetzung, damit diese ihre Wirkung entfalten kann.<br />
Bildhaft könnte man sagen, lernfördernder Unterricht ist der Boden im Schulraum, auf dem<br />
das Stück „theoretische Berufsausbildung“ mit der Assistenz von individueller Lernbegleitung<br />
inszeniert wird. Lernfördernder Unterricht heisst „Rückbesinnung auf pädagogische Einsichten<br />
und konsequentes Anwenden der pädagogischen Selbstverständlichkeiten.“ 12 Er wird binnendifferenziert<br />
angeboten und ist den individuellen Fähigkeiten und Leistungsniveaus angepasst. Anders<br />
als die fachkundige Begleitung richtet sich der Unterricht aber nach vorbestimmten Zielsetzungen,<br />
da er dem Lehr- und Stoffplan verpflichtet ist, und er bedeutet für die Lernenden eine unfreiwillige<br />
Unterstellung unter institutionelle Strukturen (hierarchisches Gefälle, einseitige Weisungen,<br />
Beurteilungen).<br />
Das heisst, die in der Berufsfachschule angesiedelte fachkundige Begleitung ist zwar auf „guten<br />
Unterricht“ als Ergänzung angewiesen, grenzt sich aber von diesem mindestens durch diese zwei<br />
Elemente ab: Sie ist freiwillig und basiert auf dialogisch vereinbarten Zielen. Wir empfehlen, die<br />
nachfolgend genannten Komponenten zu beachten, damit die fachkundige individuelle Begleitung<br />
die erwarteten Resultate erbringt.<br />
Zielgruppe und Indikationen<br />
Zielgruppe sind Lernende in der beruflichen Grundbildung, deren Aussicht auf Bestehen der<br />
Ausbildungsnormen aus sprachlichen oder allgemein schulisch-kognitiven Gründen fraglich ist.<br />
12 Knutti P. et al. 2003
•<br />
•<br />
•<br />
Angezeigt ist die Begleitung, wenn in der bisherigen Schullaufbahn klar unterdurchschnittliche<br />
Leistungen erzielt wurden, wenn schulische Lücken, mangelhafte Lernstrategien, motivationale<br />
Probleme oder soziale Auffälligkeiten sichtbar werden. Voraussetzung ist, dass die Lernenden<br />
dem Angebot zustimmen und aktiv am Prozess der eigenen Lernplanung teilnehmen. Werden bei<br />
weitgehend durchschnittlichen Schulleistungen spezifische Lücken und Defizite erkannt, z.B.<br />
Stofflücken, Defizite in der Sprachperformanz 13 aufgrund kurzer Aufenthaltsdauer in der Schweiz,<br />
muss die Begleitung durch ein geeignetes Trainings- und Stützprogramm ergänzt bzw. ersetzt<br />
werden.<br />
Abklärungen<br />
Mit Situationsabklärungen werden – nach Möglichkeit gemeinsam mit den Lernenden – die wichtigsten<br />
lernrelevanten Variablen erfasst. Dazu gehören Kenntnisse (seitens des/der Begleitenden)<br />
und Bewusstwerden (seitens des/der Lernenden) über<br />
– das familiäre, kulturelle, biographische und gesellschaftliche Bezugssystem<br />
– potenzielle oder manifeste Ursachen der Lernhemmungen<br />
– subjektive Erklärungsansätze für die Lernhemmungen<br />
– kurz- und mittelfristige Ziele, Visionen, Motivation.<br />
Unter Bezeichnungen wie Eintrittserhebungen, Eignungstest und ähnlichen werden häufig Statuserhebungen<br />
vorgenommen. Solche Abklärungen können unter Umständen eine umfassendere<br />
systemische Situationsabklärung ergänzen, sie bergen aber das Risiko, dass sie von früher bekannte<br />
Zuschreibungen bestätigen, Lernblockaden damit reaktivieren und die oben genannten lernrelevanten<br />
Kontextvariablen nicht beachten.<br />
Zielfindung und Zielvereinbarung<br />
Denkt man bei Planungsprozessen an etwas Anstrengendes, so zielt die Lernplanung – im Gegensatz<br />
etwa zur Ferienplanung – erst noch auf ein Objekt, das nicht nur reinen Lustgewinn verspricht.<br />
Daher ist der Zielfindung grosse Aufmerksamkeit zu schenken, damit echte Ziele zu Tage<br />
gefördert werden und keine stereotypen, die im Rollenverhalten begründet sind («ich will besser<br />
Deutsch können»). Wir setzen voraus, dass die Zielfindung gemeinsam mit dem oder der<br />
Lernenden erfolgt, sich an prinzipiell erreichbaren Zielen ausrichtet und den Weg zu diesen<br />
Zielen in realistische Schritte aufteilt. Die Zielvereinbarung als Ergebnis der Planung soll ein<br />
echter Konsens darstellen und periodisch überprüft werden.<br />
Methoden und Instrumente<br />
Aus dem methodischen Repertoire des Coaching kennen wir die personenzentrierte Gesprächsführung,<br />
die vom Lernbegleiter eine kongruente Haltung, Empathie und Wertschätzung für den<br />
Lernenden verlangt. 14 Es gibt in dieser Methode eine Reihe von Techniken und Instrumenten, um<br />
die zentralen Ziele der Lernenden zu erkennen. Gemeinsam werden diese dann in eine realistische<br />
Lernplanung überführt.<br />
13 Nodari (2002) weist mit Bezug auf Noam Chomsky darauf hin, dass der Begriff Sprachperformanz die Anwendung von Sprache<br />
bezeichnet im Gegensatz zu Sprachkompetenz, der auch Wissen über Sprache als kognitiv-abstraktes Systems beinhaltet.<br />
14 vgl. R. Bürki 2003 (a)<br />
Fachkundige Begleitung<br />
19
20<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Vernetzung<br />
In der Lern- und Trainingsphase, also dann, wenn es darum geht, die in der Abklärung und der<br />
Zielfindung geplanten Lernschritte zu realisieren, ist eine enge Kooperation zwischen Lernbegleiter/-in<br />
und Lehrperson gefordert, zum Beispiel beim Bereitstellen von Übungsmaterial und<br />
geeigneten Lernkontrollen und der Rückkoppelung der Teilziele in neue Planungsprozesse. Diese<br />
Kooperation entfällt, wenn die Lehrperson beide Rollen übernimmt: Beratung/Coaching und<br />
Lernbegleitung. Auch der Einbezug von zusätzlichen (externen) Stütz- und Fördermassnahmen in<br />
eine gesamtheitliche schulische Lernförderung ist mit der schulischen Lernbegleitung anzustreben.<br />
Ein Zusammenwirken der beiden Lernorte Betrieb und Berufsfachschule kann in vielen Fällen sinnvoll<br />
sein. Es ergeben sich automatisch Synergieeffekte, wenn die Lernplanung übergreifend<br />
erfolgt. Bewährt hat sich, dass betriebliche und schulische Lernbegleiter gemeinsam an einem<br />
fachlich geleiteten Erfahrungsaustausch teilnehmen (Teamcoaching, Supervision) oder eine<br />
unbegleitete Intervision aufziehen. 15<br />
Personelle Voraussetzungen<br />
Die Person, welcher die schulische Lernbegleitung übertragen wird, verfügt über solide Grundlagen<br />
der förderpädagogischen Diagnostik. Sie hat Kenntnisse über Modelle, Verfahren und Techniken der<br />
personenzentrierten Gesprächsführung. Sie kennt die schulischen Stoff- und Leistungsanforderungen<br />
der Ausbildungsstufe und ist bereit zur Teamarbeit und Weiterbildung (Teamcoaching, Supervision).<br />
Die verlangte Qualifikation entspricht den Vorgaben des SIBP:<br />
– Zertifikat Förderpädagogik (600 Lernstunden) oder<br />
– Attest mit spezifischer Ausrichtung (210 Lernstunden)<br />
bzw. einer gleichwertigen Qualifikation.<br />
Rahmenbedingungen<br />
Begleitung im Schulkontext muss nicht für jeden Fall begründet werden. Die Lernenden haben<br />
freien Zugang und somit grundsätzlich Anspruch darauf, sofern die Voraussetzungen gegeben<br />
sind (vgl. 4.3 und 5.2). Entsprechend ist die Finanzierung der Zusatzkosten pauschal zu regeln.<br />
Ein Pflichtenheft beinhaltet die Aufgaben der Begleiterin, des Begleiters. Der Anstellungsstatus ist<br />
geregelt aufgrund eines Anforderungsprofils, das die oben formulierten Voraussetzungen respektiert.<br />
Damit ein wirksamer, das heisst teilweise selbstgesteuerter Lernprozess auf der Grundlage<br />
individueller Zielvorgaben möglich ist, muss die Klassengrösse auf 6 bis 10 Lernende beschränkt<br />
werden. Diese Erfahrungswerte aus der Anlehre behalten ihre Gültigkeit, da es sich um die<br />
gleiche Population handelt, die künftig (höhere) Standards erreichen sollte.<br />
4.4.2 Sozialpädagogische Begleitung<br />
Nicht alle Jugendlichen meistern den Wechsel von der obligatorischen Schulzeit ins Erwachsenenund<br />
Erwerbsleben ohne Hilfe oder Unterstützung. Zusätzlich zum Hereinwachsen in neue Rollen<br />
als Mann oder Frau, verbunden mit Rechten und Pflichten, kommen häufig noch Veränderungen<br />
in der Wohnsituation, der Ablösungsprozess von zu Hause und die soziale Neuorientierung sowie<br />
kulturelle und sprachliche Faktoren bei Immigrierten hinzu.<br />
15 Schley W., Pool S. 2004
•<br />
•<br />
•<br />
Der Gesetzgeber sieht hier ausdrücklich einen Bedarf: „Die fachkundige individuelle Begleitung<br />
umfasst nicht nur schulische, sondern sämtliche bildungsrelevanten Aspekte im Umfeld der<br />
lernenden Person“ (Art. 10 BBV vom 19. November 2003, Abs. 5).<br />
Von sozialpädagogischer Begleitung in der Berufsbildung sprechen wir, wenn eine Person durch<br />
externe Fachkräfte über eine bestimmte Periode begleitet, beraten und unterstützt wird. Angezeigt<br />
ist eine solche Begleitung bei Problemen am Arbeitsplatz oder in der Berufsfachschule. Mit<br />
dem aus der sozialen Hilfe bekannten Casemanagement wird das ganze Lebensumfeld des Auszubildenden<br />
in die Situationsanalyse und Massnahmenplanung mit einbezogen. Die Lehrbetriebe<br />
und Berufsfachschulen werden in der für alle Beteiligten schwierigen Phase durch die Rollenklärung<br />
und Aufgabenteilung unterstützt und entlastet.<br />
Zielgruppe und Indikation<br />
Angezeigt ist diese Art der Begleitung immer dann, wenn Probleme und Konflikte am Arbeitsplatz<br />
und in der Berufsfachschule massgeblich beitragen zu Lernhemmungen, Leistungsabfall oder Prüfungsangst<br />
und bei Krisen im sozialen Bereich (Drogen, familiäre und biografische Krisen, etc.).<br />
Die Inanspruchnahme der sozialpädagogischen Begleitung steht allen Auszubildenden offen und<br />
ist grundsätzlich freiwillig. Manchmal kann es aber pädagogisch sinnvoll sein, wenn eine<br />
Lehrperson, eine Ausbildungsperson oder eine andere, nahe stehende Person aufgrund einer<br />
Problemwahrnehmung durch Überzeugungsarbeit und Nachdruck auf den oder die Jugendliche<br />
einwirkt.<br />
Formen und Verlauf der Begleitung<br />
Viele Ursachen können Auslöser für Schwierigkeiten im genannten Sinne sein. Diese gilt es in Einzelgesprächen<br />
zu eruieren und darauf aufbauend Ziele und geeignete Massnahmen gemeinsam mit<br />
den Jugendlichen zu bestimmen. Dementsprechend variiert die individuelle Beleitung stark bezüglich<br />
Verlauf, Dauer und Intensität und kann von einer unverbindlichen Beratung bis hin zu<br />
einer langfristigen Begleitung reichen. In einer Vereinbarung sind die Ziele, der Umfang des<br />
Angebotes, die Dauer und der Abschluss festzuhalten.<br />
Vernetzung<br />
Bei der Umsetzung der vereinbarten Entwicklungs- bzw. Statusziele spielt die Kooperation mit den<br />
massgeblich Beteiligten des jeweiligen Kontextes eine zentrale Rolle.<br />
Im Sinne des Casemanagements ist die Begleitperson fallverantwortlich und organisiert nach<br />
Bedarf spezialisierte Hilfsangebote, wie z.B. schulische Förderangebote oder psychologische Hilfe.<br />
Das Umfeld (Familie, Lehrbetrieb, Berufsfachschule) wird, wo nötig und gewünscht, gezielt unterstützt<br />
und entlastet. Bei Konflikten wird zwischen den Parteien vermittelt; das Angebot versteht<br />
sich aber nicht als Ombudsstelle. Interferenzen, die bei Mehrfachbetreuung auftreten können,<br />
sind frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.<br />
Fachkundige Begleitung<br />
21
22<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Personelle Voraussetzungen<br />
Auf dem Gebiet der sozialpädagogischen Begleitung ist Professionalität zwingend. Voraussetzung<br />
sind eine entsprechende Ausbildung auf Fachhochschul- oder Hochschulniveau und gute Kenntnisse<br />
der schweizerischen Berufsbildung bzw. die Bereitschaft, sich diese Kenntnisse anzueignen.<br />
Die Begleitpersonen sollten regional vernetzt sein und bewahren sich durch den fachlichen Austausch<br />
und gemeinsame Weiterbildungen Professionalität und Sachkenntnis auch über laufende<br />
Entwicklungen auf dem Gebiet der Berufsbildung.<br />
Organisatorischer Rahmen<br />
Die sozialpädagogische Begleitung ist örtlich nahe beim Ausbildungssystem anzusiedeln, z.B. als<br />
Anlaufs- und Beratungsstelle in der Berufsfachschule. Sie ist mit Vorteil funktionell von den institutionellen<br />
Kernaufgaben getrennt, unter Umständen auch extern organisiert. Sie wahrt ihre<br />
Unabhängigkeit gegenüber Schule und Ausbildungsbetrieb. Intensivere Formen der Begleitung<br />
sind individuell durch Kostenträger der sozialen Hilfe zu finanzieren.<br />
4.4.3 Begleitung im betrieblichen Kontext<br />
Bei Führungsfragen, sozialen Problemstellungen oder Lernschwierigkeiten gelangen betriebliche<br />
Ausbildungsverantwortliche schnell an Grenzen der Belastbarkeit oder der fachlichen Kompetenz<br />
(s. Tabelle S. 24). Angesichts des Potenzials von problemauslösenden Faktoren in der Adoleszenz<br />
(4.4.2) können die betriebliche Ausbildung belastet und darin tätige Personen überfordert<br />
werden. Der Bedarf seitens der Ausbildungsbetriebe nach einer „Unterstützung der Betriebe im<br />
Bereich des Coachings der Jugendlichen und eventuell auch im administrativen Bereich ist ausgewiesen“<br />
16 .<br />
Angebote und Indikationen<br />
Im Rahmen der Pilotprojekte haben sich zu dieser Ausprägungsform zwei Unterformen herausgebildet,<br />
in der Praxis sind häufig Mischformen anzutreffen:<br />
– Die Betriebe bieten selber ein Coaching bzw. eine Lern- und Lebensberatung an.<br />
Die Coaches sind betriebseigene Ausbildungs- oder Personalverantwortliche, welche die<br />
nötige Qualifikation erworben haben, oder externe, welche im Rahmen eines regionalen<br />
Netzwerks (Verband, Selbsthilfe-Initiative) den Lernenden zur Verfügung stehen. Bei<br />
grösseren Betrieben kann ein betriebseigener Sozialdienst diese Funktion übernehmen.<br />
– Eine externe, meistens sozialpädagogische Begleitung der Auszubildenden entlastet die<br />
Betriebe bei Schwierigkeiten, indem sie professionelle Beratung anbietet oder sich selber<br />
um die Problemlösung kümmert. Externen Unterstützungsangebote sind häufig vorhanden<br />
in Form von regionalen Fachstellen, Schulsozialdiensten und ähnlichen.<br />
Besteht Unterstützungsbedarf in Bezug auf Lernschwierigkeiten (Motivation, Lernanleitung und<br />
-kontrolle, Lernmethoden), bietet sich eine koordinierte Zusammenarbeit mit der Berufsfachschule<br />
an und allenfalls auch eine Weiterbildung in Förderpädagogik.<br />
16 Grigo J., Wettstein E. 2003
•<br />
•<br />
•<br />
Zielgruppen und Zuständigkeiten<br />
Unterstützt werden in erster Linie die betrieblichen Ausbildungsverantwortlichen. Im Bedarfsfall<br />
wird auch den Lernenden selber eine fachkundige individuelle Begleitung im Sinn der sozialpädagogischen<br />
Begleitung angeboten. Primär ist die fachkundige Unterstützung von Ausbildungsverantwortlichen<br />
der Betriebe Sache der Arbeitgeber und der Verbände. Ist der Ausbildungserfolg<br />
in Frage gestellt, müssen auch Betriebe berechtigt sein, die in BBG/BBV verankerte<br />
umfassende Begleitung anzufordern. Mustervereinbarungen und Regelungen betreffend Umfang<br />
dieses Angebotes und Abrechnungsmodalitäten sind von den Kantonen noch zu entwickeln. In<br />
Bezug auf die Professionalität gelten die Rahmenbedingungen und personellen Voraussetzungen,<br />
wie sie im Kapitel 4.4.2 beschrieben sind.<br />
Qualifikation der Ausbildnerinnen/Ausbildner<br />
Die Grundqualifikation der Ausbildungsverantwortlichen (Lehrmeisterkurs) als Voraussetzung ist<br />
sicherzustellen. Für die persönliche Aus- und Weiterbildung sind sowohl Verbandslösungen wie<br />
Teilnahme an staatlichen Weiterbildungsangeboten denkbar, zum Beispiel solche aus der Weiterbildung<br />
der Lehrpersonen. Wertvolle Qualifikationen können sich betriebliche Ausbildnerinnen<br />
und Ausbildner auch im fachlich geleiteten Erfahrungsaustausch erwerben (s. 4.4.1). Positive<br />
Erfahrungen wurden mit Supervisionsgruppen, angeleiteten Intervisionsgruppen und mit Teamcoaching<br />
gemacht. Bewährt haben sich solche rekurrenten Weiterbildungen vor allem im<br />
Anschluss an eine Ausbildungssequenz.<br />
Vernetzung, betriebliche Lernunterstützung<br />
Erstrebenswert ist eine optimale Vernetzung aller an der Ausbildung Beteiligten. Formen des<br />
Erfahrungsaustausches wie oben beschrieben können betriebsintern und -übergreifend innerhalb<br />
des Umfeldes (Branche, Betriebe, Verbände) sehr fruchtbar sein.<br />
Die Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Berufsfachschule erfolgt idealerweise ab Beginn der<br />
Ausbildungszeit. Synergieeffekte und übergreifende Aspekte sind zahlreich vorhanden. Betriebe<br />
können auf verschiedene Weise zum Lernfortschritt beitragen, z.B. durch<br />
– Unterstützung bei Hausaufgaben (Zeit, Arbeitsplatz zur Verfügung stellen, nachfragen,<br />
Nachhilfe), Aufgabenkontrolle, Übungsgelegenheiten (Stoff und Themen vorschlagen, Zeit<br />
zur Verfügung stellen), Übungsmöglichkeiten vor Prüfungen etc.<br />
– thematische und zeitliche Abstimmung der Lerninhalte in der betrieblichen Ausbildung mit<br />
überbetrieblicher und schulischer Ausbildung (synchron oder ergänzend)<br />
– Koordination von Standortbestimmungen mit den anderen Ausbildungspartnern.<br />
Bestehende Verbands- und Schulstrukturen bieten sich zudem an als Plattform für einen gegenseitigen<br />
Austausch: Besuchs- und Lehrmeisteranlässe in der Berufsfachschule, Verbandsanlässe,<br />
Austauschforen etc.<br />
Fachkundige Begleitung<br />
23
24<br />
Fachkundige Begleitung im Betrieb nach Problemstellung und Zuständigkeit<br />
Tabelle 1 (Kap. 4.4.3)<br />
Führungsfragen<br />
soziale Aspekte<br />
Lernschwierigkeiten, fachliche + schulische<br />
Anforderungen<br />
Was? lllustrationsbeispiele<br />
Lehrling ist unzuverlässig, schwierig<br />
Drogenkonsum (Verdacht, Symptome)<br />
Kulturelle Differenzen (Religion, Wertvorstellungen)<br />
Instabiles familiäres/soziales Umfeld<br />
Wie? Betriebsintern<br />
Betriebliche Anlaufstelle<br />
(Sozialdienste etc.)<br />
Betriebsübergreifende Stellen<br />
(Verbundslösungen)<br />
Weiterbildung<br />
(Coaching-Kompetenz)<br />
Was? lllustrationsbeispiele<br />
Schlechte Schulleistungen<br />
Ungenügende Sprachbeherrschung<br />
Fachtheoretische Mängel (Mathe, Zeichnen,..)<br />
Wie Betriebsintern<br />
Betriebsinterne Lern- und Übungsangebote<br />
Zeit und Raum für Aufgaben<br />
zur Verfügung stellen<br />
(Raum, Material, PC,...)<br />
Aufgaben- und Lernkontrolle<br />
Förderpädagogische Weiterbildung<br />
der Ausbildungsverantwortlichen<br />
Extern/kombiniert<br />
externe Beratungsstellen<br />
beiziehen<br />
Extern/kombiniert<br />
Absprachen mit der Berufsfachschule<br />
(Lernbedarf feststellen)<br />
Lernjournale, Aufgaben, Prüfungen<br />
kontrollieren<br />
Förderung durch Dritte<br />
(Sprachkurse,...)
4.5 Wirkungskontrolle<br />
Dass die fachkundige individuelle Begleitung eine wirkungsorientierte Massnahme ist, geht aus<br />
dem Wortlaut von BBV Art. 10, Abs. 4 hervor: „Ist der Bildungserfolg gefährdet, so entscheidet<br />
die kantonale Behörde nach Anhörung der lernenden Person und der Anbieter der Bildung über<br />
eine fachkundige individuelle Begleitung.“ Die Massnahme soll also Ausbildungserfolg bewirken,<br />
bzw. der Gefährdung entgegenwirken.<br />
Insofern als es sich um eine neue Massnahme in der beruflichen Grundbildung handelt, besteht<br />
natürlich ein Interesse daran, diese Wirkung zu erfassen. Wir skizzieren Vorschläge zu möglichen<br />
Verfahren und Methoden unter nachfolgend aufgeführten Prämissen.<br />
4.5.1 Prämissen der Wirkungserfassung<br />
Je akzentuierter und expliziter eine fachkundige individuelle Begleitung angeboten wird, desto<br />
berechtigter ist es, deren Wirkung zu kennen. Im Fall von Massnahmen, die wenig spezifisch ausgeprägt<br />
sind, mit geringem Innovationsgehalt im Vergleich zur bisherigen Praxis (und mit geringen<br />
zusätzlichen Ressourcen), können Wirkungen schlecht zugeschrieben werden.<br />
Die Einflussfaktoren auf den Lernerfolg sind sehr komplex und kausale Wirkungsforschung ist auf<br />
diesem Gebiet ein fast hoffnungsloses Unterfangen. Um das zu verdeutlichen: Keine Schule, keine<br />
Ausbildungsform muss sich über ihre Wirksamkeit legitimieren.<br />
Aussagen über Wirkungen bedingen, dass beobachtbare Indikatoren vorliegen (woran erkennt<br />
man z.B. dass Lernhemmungen abgenommen haben?), die man vor und nach der Massnahme<br />
erheben kann. So erkennt man, ob und in welchem Mass die gewünschte Wirkung erreicht wird.<br />
Indikatoren auf der individuellen Ebene können Kompetenzen oder Lernziele sein, auf der allgemeinen<br />
Ebene beispielsweise Erfolgsquoten. Solche Indikatoren müssen zu Beginn einer Evaluation<br />
zuverlässig erkannt sein.<br />
Empirisch stichhaltige Aussagen, etwa aufgrund von Vergleichsgruppen-Forschung, sind für<br />
die fachkundige individuelle Begleitung aus verschiedenen Gründen kaum möglich: wegen<br />
der Schwierigkeit, Vergleichsgruppen zu bilden (Heterogenität bezüglich Vorbildung, Berufsunterschiede<br />
etc.), der kleinen Anzahl Versuchspersonen und wegen ethischer Fragwürdigkeit<br />
(Verweigerung von Lernförderung zu Forschungszwecken).<br />
Das Verhältnis der eingesetzten Mittel für die Wirkungserfassung muss in einem vernünftigen<br />
Verhältnis zu den Mitteln stehen, die für die Massnahmen selber verfügbar sind.<br />
Grossflächige (d.h. aufwändige) Erhebungen sind in der frühen Entwicklungsphase mit geringem<br />
Konsolidierungsgrad wenig sinnvoll. Hier ist der Einsatz von prozessbegleitenden und -steuernden<br />
Verfahren vorzuziehen (Methoden der Aktionsforschung vor Methoden der empirischen Forschung).<br />
Fachkundige Begleitung<br />
25
26<br />
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4.5.2 Methoden und Verfahren der Wirkungskontrolle im Bereich Lernförderung<br />
Rechenschaftsberichte<br />
Periodische Berichte von Personen, die mit der fachkundigen individuellen Begleitung beauftragt<br />
sind, geben Auskunft über eine Reihe von Wirkungsdaten wie Art, Menge und Intensität der<br />
Interventionen, Aus- und Weiterbildungsbemühungen, Hinweise zum Netzwerk, Fallbeschreibungen,<br />
Reflexion und Entwicklungsvorschläge etc. Solche Berichte stehen in der Regel in Bezug zu<br />
den Pflichtenheften bzw. Aufgabenbeschreibungen.<br />
Mit der Verpflichtung zur Rechenschaft sollten neben diesen inhaltlichen auch folgende Aspekte<br />
geregelt werden: Adressierung (an wen, unter Information von wem?), die Art der Konsequenzen<br />
(blosse zur Kenntnisnahme mit Empfangsbestätigung, Besprechung im Rahmen von...,<br />
Grundlage für Benchmarking, ...) sowie Stellenwert und Methoden bezüglich Qualitätssicherung<br />
(Lohnwirksamkeit? Längsvergleiche? Quervergleiche?...).<br />
Benchmarking<br />
Im Falle von mehr oder weniger formalisierten Rechenschaftsberichten (feste Rubriken, voll- oder<br />
halbstandardisierten Items) ist die periodische Gegenüberstellung und der systematische Vergleich<br />
ein denkbares Verfahren, um unterschiedliche Vorgehensweisen in einem vergleichbaren Handlungsumfeld<br />
auf ihre Wirkung zu überprüfen. Ein Rückfluss der Befunde zu den Berichterstattern<br />
in einem klar definierten Rahmen (wer wertet aus? mit welchen Konsequenzen? Informationsfluss?)<br />
ist zu institutionalisieren.<br />
Teamcoaching<br />
Als Wirkungsinstrument, das auf die Professionalisierung der Fachpersonen und weniger auf Kontrolle<br />
abzielt, kommt die rekurrente Weiterbildung innerhalb eines Teams in Frage. Entweder<br />
geleitet als Supervision oder Teamcoaching oder selbstreflexiv als Intervisions- oder Balint-Gruppe<br />
wird die eigene Praxis reflektiert und dadurch die Handlungssicherheit und das Methodenrepertoire<br />
erhöht. Als „Kontrolle“ genügt die Berichterstattung über Frequenz und Dauer der Teilnahmen<br />
an solchen Anlässen.<br />
Feedback<br />
Mit dem Instrumentarium des Feedbacks (Fragebogen, Rating-Konferenz etc.) können die Eindrücke<br />
und Einschätzungen der direkt Beteiligten eingeholt und Veränderungen eingeleitet werden.<br />
Zur Optimierung der Wirkung ist diese Methode geeignet, hingegen verbietet das Selbstverständnis<br />
der Feedback-Methode, die Daten und die Erkenntnisse aus dem Feedback für Kontrollzwecke<br />
im hierarchischen Sinne zu verwenden.<br />
Befragungen<br />
Die Adressaten der fachkundigen Begleitung im engeren und im weiteren Sinne, aber auch andere<br />
Akteure in der beruflichen Ausbildung können mittels Befragungsinstrumenten (Fragebogen,<br />
Interviews) über ihre subjektive Einschätzung der Wirkung befragt werden. Als Adressaten sind<br />
die Lernenden, deren Ausbildnerinnen und Ausbildner, aber auch weitere Personen im sozialen<br />
und professionellen Umfeld gemeint. Es empfiehlt sich, die anerkannten Standards von Anfang an<br />
zu beachten und gegebenenfalls fachliche Evaluationsberatung beizuziehen.
•<br />
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Empirische Erhebungen<br />
Empirische Wirkungsanalysen in einem umfassenderen Sinne, welche die relevanten Variablen im<br />
gesamten Wirkungsgeschehen erforschen und zueinander in Bezug setzen, müssen streng wissenschaftlichen<br />
Kriterien genügen und erfordern entsprechende Ressourcen, einen vernünftigen<br />
Rahmen in Bezug auf Zeit, Reichweite (Tiefenstruktur) und Quantität (Anzahl N) der Daten.<br />
Solche Wirkungsanalysen kommen als nationale oder als Verbundsaufgabe in Frage, d.h. mit einer<br />
entsprechenden Fragestellung, seriöser Budgetierung, definierter Reichweite und professioneller<br />
Unterstützung.<br />
4.6 Regelungsbedarf im Überblick<br />
Der nachfolgende Überblick ist eine Zusammenfassung der anstehenden Entscheidungen, damit<br />
die fachkundige individuelle Begleitung die vom Gesetzgeber beabsichtigte Wirkung entfalten<br />
kann. Gemäss schweizerischem Recht und Praxis sind dafür die Kantone zuständig und es muss<br />
diesen überlassen werden, wie sie die Regelungen angehen. Im Hinblick auf Synergien und Chancengleichheit<br />
und angesichts der Kleinräumigkeit und Mobilität spricht alles für ein koordiniertes<br />
Vorgehen.<br />
Im Kapitel 5.2 schlagen wir deshalb eine Reihe von Umsetzungsempfehlungen vor, die den Kantonen<br />
eigenständige Lösungswege auf einer gemeinsamen Grundlage im Hinblick auf die Regelung<br />
der folgenden Aspekte erlauben.<br />
Ausprägungsformen: Die als fachkundige individuelle Begleitung anerkannten Formen müssen<br />
definiert sein, ebenso die Grenzen und die Verbindungen zwischen diesen.<br />
Anspruchsberechtigung: Es muss definiert werden, wer Anspruch auf fachkundige individuelle<br />
Begleitung hat, wie dieser Anspruch festgestellt wird, wann er beginnt und wann er endet.<br />
Kompetenzen und Aufgaben: Aufgabenbeschreibungen und Pflichtenhefte müssen Art,<br />
Umfang und Grenzen der dafür vorgesehenen Akteure festlegen. Es braucht Klärung und Transparenz<br />
bezüglich der Kompetenzen, der Rollen, vorgesehener Kooperationen sowie über allfällige<br />
Kompetenz- und Rollenabgrenzungen zwischen verschiedenen Akteuren, insbesondere dort, wo<br />
noch keine gesetzlichen Regelungen vorhanden sind.<br />
Qualifikation, Rekrutierung, Status: Die für jede Ausprägungsform vorausgesetzten Qualifikationen<br />
müssen festgelegt werden. Entsprechende Standards sind zu definieren, die Angebote zur<br />
Qualifizierung sind zu bezeichnen bzw. aufzubauen. Die Verbindlichkeit und die Validierungen<br />
von erworbenen Qualifikationen sind zu klären. Neue Anforderungen ziehen immer auch die<br />
Frage nach dem Anstellungsstatus nach sich.<br />
Qualitätssicherung: Es muss geregelt sein, wie die Qualität der fachkundigen individuellen<br />
Begleitung sichergestellt und mit welchen Mitteln sie kontrolliert wird. In der Einführungsphase<br />
können Evaluationen oder Benchmarking zur Qualitätssicherung eingeplant werden.<br />
Fachkundige Begleitung<br />
27
28<br />
•<br />
•<br />
Vernetzung, Kooperation: Ob als spezielles Angebot oder als Querschnittaufgabe verstanden,<br />
die Begleitung sollte möglichst gut in die Gesamtausbildungssituation integriert sein. Die Vernetzung<br />
aller an der Ausbildung Beteiligten ist unerlässlich. Aufeinander abgestimmte Lernplanung<br />
und -förderung sollte die Norm werden.<br />
Finanzierung: Die Anspruchsberechtigung, das Ausmass und die Finanzierung der Begleitung<br />
sind zu regeln, die Ansätze und Abrechnungsmodalitäten im Falle von externen Begleitungen<br />
müssen festgelegt werden.
Grundsätze zur fachkundigen<br />
individuellen Begleitung<br />
1 Zusätzliches Angebot zur reglementierten<br />
Ausbildung<br />
Mit der fachkundigen individuellen<br />
Begleitung bieten die Kantone den Lernenden<br />
der zweijährigen beruflichen<br />
Grundbildung ein zusätzliches, prinzipiell<br />
freiwilliges Angebot zur reglementierten<br />
schulischen bzw. fachlichen Ausbildung.<br />
Dieses neue Angebot hat als notwendige<br />
Voraussetzung einen lernfördernden Unterricht<br />
durch qualifizierte Lehrpersonen in der<br />
Berufsfachschule.<br />
2<br />
5 Grundsätze und Konkretisierungen für die Umsetzung<br />
Vernetzung der drei Lernorte<br />
Eine möglichst enge Koordination der<br />
fachkundigen individuellen Begleitung mit<br />
den drei Lernorten Betrieb, Berufsfachschule<br />
und Kurszentrum ist anzustreben.<br />
Grundsätze und Konkretisierungen<br />
Die Grundsätze für die Einführung der fachkundigen individuellen Begleitung sind das Kondensat<br />
der Ausführungen in diesem <strong>Leitfaden</strong>. Sie sind aus den Erfahrungen und Erkenntnissen diverser<br />
Pilotprojekte hervorgegangen, die sich zentral um die Ausgestaltung der fachkundigen individuellen<br />
Begleitung bemüht haben. 17 Die Grundsätze erlauben den ausführenden Kantonen, angepasste<br />
Lösungen auf einer gemeinsamen Grundlage zu entwickeln und sich dabei auf bestehende<br />
Ressourcen und bewährte Praxis zu stützen. Im Rahmen der Kantonstagung vom 12.12.2003 in<br />
Bern haben die anwesenden Fachpersonen die Grundsätze diskutiert. Die geäusserten Anregungen<br />
wurden in eine zweite Fassung integriert und nochmals zur Vernehmlassung den Kantonsvertretern<br />
zugestellt. Die vorliegenden Grundsätze sind das Resultat dieses Konsensbildungs-Prozesses.<br />
Parallel dazu enthalten die Konkretisierungen für die Umsetzung Vorschläge auf einer mittleren<br />
Abstraktionsstufe, abstrakt genug, um den unterschiedlichen kantons- bzw. regionsspezifischen<br />
Gegebenheiten Raum zu lassen und so konkret, dass Anhaltspunkte für die Umsetzung der fachkundigen<br />
individuellen Begleitung erkennbar sind.<br />
17 Schley W., Pool S. 2004<br />
Konkretisierungen für die Umsetzung<br />
Die Ausbildung von Lehrlingen in der zweijährigen beruflichen<br />
Grundbildung soll durch fachlich ausgewiesene Personen<br />
erfolgen. Besonders in den Berufsfachschulen sind dafür<br />
Lehrpersonen mit einschlägiger Ausbildung einzusetzen, mindestens<br />
auf dem Niveau des SIBP-Attests in Förderpädagogik<br />
(210 Lernstunden), vorzugsweise auf jenem der Zertifikatsstufe<br />
(600 Lernstunden).<br />
Zur Qualifikation der Begleitpersonen siehe unten.<br />
Der Kanton sorgt dafür, dass konzeptionell geklärt ist, welche<br />
pädagogischen Tätigkeiten der fachkundigen individuellen<br />
Begleitung zuzurechnen sind und welche der reglementierten<br />
Ausbildung der Berufslernenden.<br />
Der Kanton legt fest, an welchen Lernorten (Berufsfachschule,<br />
Betrieb, überbetrieblicher Kurs) die fachkundige individuelle<br />
Begleitung verankert werden soll.<br />
Wenn diese Aufgabe auf mehr als einen Lernort verteilt wird,<br />
müssen die Zuständigkeiten geklärt sein. Doppelspurigkeiten<br />
können vermieden werden durch klare Abläufe – z.B. indem<br />
eine Instanz mit der Triage-Aufgabe betraut wird –, durch<br />
definierte Schnittstellen und geregelte Verfahren bei übergreifenden<br />
Interventionen (Übergabe von „Fällen“, Bereiche der<br />
Zusammenarbeit). Vgl. dazu auch die Ausführungen zu<br />
Grundsatz 6.<br />
<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />
Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />
Kapitel 5<br />
29
30<br />
3<br />
4<br />
Ausprägungsformen<br />
Fachkundige individuelle Begleitung wird<br />
in einem definierten Rahmen (Setting)<br />
angeboten, in einer der folgenden Ausprägungsformen<br />
bzw. als Mischform:<br />
a) schulische fachkundige Begleitung<br />
b) sozialpädagogische fachkundige<br />
Begleitung<br />
c) Begleitung im betrieblichen Kontext.<br />
Qualifikation der Fachpersonen<br />
Fachkundige individuelle Begleitung wird<br />
Mit Vorteil wird die Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen<br />
für die Praxisausbildung, den Berufsschullehrpersonen<br />
und den Verantwortlichen für die fachkundige individuelle<br />
Begleitung gefördert. Dies kann z.B. geschehen durch:<br />
• formalisierte Abläufe (Standortbestimmungen, Lernvereinbarungen<br />
und andere Coaching-Instrumente)<br />
• formelle Auflagen (Pflichtenhefte, Berichterstattungen,<br />
u.a.m.)<br />
• Austausch im Rahmen von Aus- und Weiterbildung<br />
• Hospitationen.<br />
Die drei Ausprägungsformen werden in Kapitel 4.4 ausführlich<br />
dargestellt. Bei den drei Formen sollten die wichtigsten<br />
Komponenten konzeptionell geklärt werden:<br />
a) Schulische Begleitung<br />
Situationsabklärungen umfassen mehr als nur Leistungstests.<br />
Wenn Art und Ursachen der Lernhemmungen, das Lernumfeld<br />
und die Lernbereitschaft erkannt sind, kann gemeinsam mit<br />
dem/der Lernenden mit geeigneten Methoden und Instrumenten<br />
der Lernprozess gestaltet werden. Mit Vorteil<br />
geschieht dies koordiniert mit den andern Ausbildungspartnern.<br />
Unabdingbar ist, dass einige personelle, strukturelle und<br />
finanzielle Voraussetzungen erfüllt sind.<br />
b) Sozialpädagogische Begleitung<br />
Wenn bei Jugendlichen der Übergang ins Erwachsenen- und<br />
Erwerbsleben mit Krisen und Konflikten erschwert ist, sind sie<br />
und eventuell auch ihr Umfeld (z.B. Ausbildungsverantwortliche<br />
im Lehrbetrieb) auf professionelle Hilfe angewiesen. Hierzu<br />
sind ausgebildete Fachleute nötig, die zusätzlich gute Kenntnisse<br />
der Berufsbildung haben. Der Kanton ist besorgt, dass diese<br />
Aufgabe vernetzt und strukturell abgesichert wahrgenommen<br />
wird, das heisst, dass die Kompetenzen und Abläufe geregelt<br />
sind, die Finanzierung und das Controlling sichergestellt ist.<br />
c) Begleitung im betrieblichen Kontext<br />
Wenn Betriebe selber eine Begleitung bei Lern- und anderen<br />
Schwierigkeiten anbieten, soll diese nach Möglichkeit mit den<br />
Ausbildungspartnern koordiniert werden. Dort, wo der Kanton<br />
finanziell und/oder strukturell unterstützt, erstellt er Richtlinien<br />
zur Koordination. Der Kanton regelt auch die Begleitung im<br />
betrieblichen Kontext durch externe Fachpersonen, insbesondere<br />
die Verfahrenswege, die Zuständigkeiten und die Finanzierung.<br />
Je nach Ausprägungsform (vgl. Grundsatz 3) gilt es, die vor-
5<br />
von Personen angeboten, die für die jeweilige<br />
Ausprägungsform gemäss Grundsatz 3<br />
qualifiziert sind.<br />
Anspruchsberechtigung<br />
Der Kanton ist verantwortlich für ein<br />
pädagogisch sinnvolles Verfahren, um den<br />
Anspruch auf fachkundige individuelle<br />
Begleitung einwandfrei zu klären. Er achtet<br />
auf die rechtsgleiche Behandlung der<br />
Anspruchsberechtigung und das rechtliche<br />
Gehör.<br />
ausgesetzte Qualifikation der Begleiter/innen festzulegen.<br />
Der Kanton stützt sich dabei auf die Empfehlungen des SIBP,<br />
bzw. auf die in diesem <strong>Leitfaden</strong> aufgeführten Qualifikationen.<br />
Für eine schulische Begleitung sind spezifische Zusatzqualifikationen<br />
zu jener für die Unterrichtstätigkeit in Berufsfachschulen<br />
erforderlich, mindestens im Umfang von 210<br />
Lernstunden (Atteststufe SIBP) bzw. 600 Lernstunden<br />
(Zertifikatsstufe SIBP).<br />
Der Kanton entscheidet sich für die Übergangsfrist bis<br />
2009 für ein Verfahren, das es erlaubt, erstens den Anspruch<br />
auf fachkundige individuelle Begleitung einfach und mit<br />
möglichst geringem Aufwand zu klären und zweitens ein<br />
entsprechendes Angebot kontinuierlich einzuführen.<br />
Grundsätzlich gibt es drei Verfahren, um den Anspruch auf eine<br />
fachkundige individuelle Begleitung zu regeln. Die spezifischen<br />
Schwierigkeiten für jedes der Verfahren sind in Kapitel 4.3 erwähnt.<br />
a) Nach Leistungskriterien geleitete Zuweisung: Aufgrund<br />
erhobener Daten wird das Vorhandensein genügend<br />
grosser Lernschwierigkeiten festgestellt.<br />
b)Überweisungen: Aufgrund von Anträgen von Stellen,<br />
denen die Kompetenz dazu übertragen wird.<br />
c) Freier Zugang: Mit dem Ausbildungsvertrag einer zweijährigen<br />
beruflichen Grundbildung besteht grundsätzlich<br />
ein Anspruch.<br />
Beim Entscheid für eines der drei Verfahren sind folgende<br />
Aspekte massgebend:<br />
• Verfügbarkeit, Gütekriterien, Zuverlässigkeit und Validität<br />
von Instrumenten bzw. von Kriterien, die eingesetzt werden,<br />
um die Lernschwierigkeit festzustellen und die Misserfolgsprognose<br />
zu machen<br />
• quantitative Schätzungen (Anzahl Lehrlinge, Umfang der<br />
Abklärungen)<br />
• zeitliche Abfolge der Massnahmen (Erhebung, Begleitung,<br />
Förderung, Zweitbeurteilung,..)<br />
• Kompetenzen und Entscheidungswege<br />
• Rekursfähigkeit, Rekurswege und -instanzen<br />
• Budgetierung (wer? Schätzungsgrundlagen?), Kostenträger.<br />
Grundsätze und Konkretisierungen<br />
Unter diesem Aspekt ist der freie Zugang für Lehrlinge in der<br />
zweijährigen beruflichen Grundbildung den anderen Verfahren<br />
vorzuziehen. 31
32<br />
6 Zuständigkeit, Kompetenzen,<br />
Finanzierung<br />
Mit dem Entscheid für die umzusetzende(n)<br />
Ausprägungsform(en) regelt der<br />
Kanton auch die Kompetenzen, Verantwortlichkeiten<br />
und die Finanzierung der<br />
fachkundigen individuellen Begleitung.<br />
Während der Übergangszeit sind flexible,<br />
nicht einengende Regelungen zu befürworten,<br />
damit Handlungsspielraum innerhalb<br />
eines klar abgesteckten Rahmens<br />
ermöglicht wird.<br />
7<br />
Sozialer und pädagogischer Fokus<br />
Mit der fachkundigen individuellen Begleitung<br />
wird ein optimales Verhältnis von<br />
eingesetzten Mitteln und Lernerfolg be-<br />
Nach der Übergangsfrist, wenn die Anforderungen aller<br />
Berufsrichtungen an die Attestnorm bekannt sind, kann der<br />
Wechsel auf ein kriteriengeleitetes Verfahren geprüft werden.<br />
Aufgrund der getroffenen Wahl wird die Einführung in Etappen<br />
aufgeteilt, besonders die Qualifizierung der Begleitpersonen<br />
und die Reihenfolge der Nutzniessergruppen (z.B. nach Berufen,<br />
nach Schulen). In der Terminplanung sind auch Zwischenevaluationen<br />
und/oder Meilensteine vorzusehen und zu terminieren.<br />
Die Schulische Lernbegleitung wird von einer qualifizierte Person<br />
im Rahmen einer Anlaufstelle oder von einer qualifizierten<br />
Lehrperson wahrgenommen. Der Kanton bestimmt die für<br />
diese Aufgaben notwendige Qualifikation gemäss Grundsatz<br />
4. Es ist zu empfehlen, für die Aufgaben der fachkundigen<br />
individuellen Begleitung ein Pflichtenheft und ein Budget zu<br />
erstellen und darüber hinaus die Kompetenz für Kostengutsprachen<br />
zuhanden externer Fachpersonen zu regeln.<br />
Die sozialpädagogische Begleitung erfolgt auf Antrag. Der<br />
Kanton regelt die Zuständigkeiten, so dass eine klare Triage<br />
ohne Überschneidungen gewährleistet ist. Als beauftragte<br />
Zuweisungsinstanz kann entweder die zuständige schulische<br />
Begleitung oder die Lehraufsicht oder eine andere Stelle eingesetzt<br />
werden.<br />
Die betriebliche Begleitung erfolgt in erster Linie mit betriebseigenen<br />
Mitteln. Ist für den Ausbildungserfolg der Beizug<br />
externer Hilfe unverzichtbar, wird verfahren, wie im vorstehenden<br />
Abschnitt unter sozialpädagogischer Begleitung ausgeführt<br />
ist.<br />
Eine sinnvolle Berichterstattung gehört ins Pflichtenheft der<br />
Personen, welche mit der fachkundigen Begleitung beauftragt<br />
sind (vgl. unten).<br />
Jede der entscheidungsbeauftragten Instanzen verfügt über<br />
Finanzierungsrichtlinien, welche Aufschluss geben über<br />
Höhe/Berechnungsrundlage der Kosten, Budget, Abrechnungsverfahren<br />
und Kontrolle. Für Stellen mit Überweisungskompetenz<br />
müssen auch das Budget pro Ausprägungsform,<br />
Richtlinien für Kostengutsprachen und Rechnungskontrollen<br />
geregelt sein.<br />
Die direkteste Umsetzung einer lernwirksamen individuellen<br />
Begleitung führt über die spezifische Qualifikation der dafür<br />
zuständigen Personen gemäss Grundsatz 3 und über Leistungs-
wirkt, indem man sich auf pädagogische<br />
Erkenntnisse abstützt, d.h. auf die Selbststeuerung<br />
statt auf Defizitorientierung<br />
setzt.<br />
8 Optimierung der Mittel und<br />
Wirkungskontrolle<br />
Optimale fachkundige individuelle Begleitung<br />
ist nicht maximale Betreuung, d.h. in<br />
Bezug auf Umfang und Dauer: so viel und<br />
so lang wie für das Erreichen der Ausbildungsziele<br />
und der Bildungsmotivation<br />
nötig ist.<br />
Die Wirkung der ergriffenen Massnahmen<br />
wird regelmässig überprüft.<br />
vereinbarungen mit Personen, die für die jeweilige Ausprägungsform<br />
und Interventionsart qualifiziert sind. Mittel, die<br />
für Abklärungen, Antrags-, Entscheidungs- und Rekursverfahren<br />
eingesetzt werden, fehlen bei der praktischen Lernbegleitung.<br />
Solange keine geeigneten, hinreichend präzise Testverfahren<br />
bekannt sind, um Lernbedürfnisse im Hinblick auf ein<br />
Abschlussziel festzustellen und solange es keine Verfahren<br />
gibt, die nicht dem pädagogischen Fehler verfallen, einen<br />
Berg von Defiziten und Mängeln dem Lernenden in den Weg<br />
zu stellen, sollen solche Verfahren nur mit grosser Zurückhaltung<br />
und eingebettet in pädagogische, das heisst ressourcenorientierte<br />
Förderung eingesetzt werden.<br />
Instrumente und Verfahren, die der Ermittlung des Leistungsstands<br />
dienen (z.B. Einstufungstests), sollen nicht mit Mitteln,<br />
die für die fachkundige individuelle Begleitung vorgesehen<br />
sind, entwickelt und angewandt werden.<br />
Die Begleitung ist ein Angebot an die Lernenden. Sie ist in der<br />
Regel freiwillig und dauert nur so lange, bis aufgrund der<br />
Lernleistungen eine günstige Prognose für das Erreichen der<br />
Attestnorm gegeben werden kann.<br />
Wenn keine besonderen Gründe vorliegen, wird den Lernenden<br />
zunächst der Weg der schulischen fachkundigen Begleitung<br />
angeboten. Ergibt sich dabei ein besonderer Bedarf, der<br />
eine professionellere, intensivere Intervention verlangt, wird<br />
das durch den oder die schulische Lernbegleiter/in veranlasst.<br />
Ist für das Zustandekommen und die Aufrechterhaltung des<br />
Ausbildungsverhältnisses eine vorhergehende Begleitung Voraussetzung,<br />
wird deren Weiterführung als fachkundige individuelle<br />
Begleitung geprüft. Der Kanton bestimmt die für die<br />
Prüfung und Kostengutsprache zuständige Stelle.<br />
Die Wirkungskontrolle wird mit geeigneten Mitteln angestrebt.<br />
Dazu eignet sich z.B. eine jährlich Berichterstattung<br />
über Anzahl, Ausmass (Menge, Kosten) und soweit möglich<br />
über Wirkungen der Interventionen. Für aufwändigere Verfahren<br />
der Wirkungsanalyse nach sozialwissenschaftlichen<br />
Kriterien können interkantonale Studien sinnvoll sein.<br />
Grundsätze und Konkretisierungen<br />
33
34<br />
•<br />
•<br />
6 Ausgewählte Beispiele<br />
Ausgewählte Beispiele<br />
Auf den folgenden Seiten stellen sich Pilotprojekte vor, die auf unterschiedliche Art die fachkundige<br />
individuelle Begleitung umgesetzt haben. Zur besseren Vergleichbarkeit haben sich die<br />
Projektverantwortlichen bei der Beschreibung an die folgende Vorgabe gehalten: Im ersten Teil<br />
eine allgemeine Kurzbeschreibung und im zweiten eine kurze Darstellung der Praxis in Bezug auf<br />
die Grundsätze im Kapitel 5.<br />
6.1 Coaching und Lernförderung in der Berufsfachschule (TBZ) (Georges Kübler)<br />
6.1.1 Beschreibung<br />
Einordnung in die Typologie der Ausprägungsformen:<br />
Typ Schulische Lernbegleitung<br />
Design der fachkundigen Begleitung<br />
Alle Lernenden des Jahrgangs 2001-03, die mit einem Anlehrvertrag den Unterricht in der<br />
Technischen Berufsschule (TBZ) besuchten, wurden vom Pilotprojekt erfasst. Der obligatorische<br />
Unterricht wird ergänzt durch ein freiwilliges Coaching-Angebot, das parallel zum lehrplangesteuerten<br />
Unterricht stattfindet. Die Anlehrlinge werden in einem festgesetzten Rhythmus<br />
regelmässig gecoacht. Zwischen den ungefähr halbjährlichen Intervallen sind bei Bedarf weitere<br />
Beratungen für Einzelne oder kleine Gruppen möglich. Als Coach steht eine der beiden Lehrpersonen<br />
zur Verfügung.<br />
Ziele der Coaching-Gespräche sind Standortbestimmungen und das Finden persönlicher Ziele,<br />
bzw. die Revision ehemaliger Ziele, die mittels Vereinbarung festgehalten werden. Im Gespräch<br />
oder im Verlauf des Unterrichts werden Teilschritte, Massnahmen und Lerninhalte festgelegt. Die<br />
Lehrperson hat hier die Rolle des Coaches.<br />
Der Unterricht ist zweigeteilt, in einem Teil wird nach offiziellem Lehrplan Stoff bearbeitet. Im<br />
andern Teil findet selbstgesteuertes Lernen gemäss individuellen Zielvereinbarungen statt. Die<br />
Lehrperson sorgt für nötigen Lernbedingungen und bietet Hilfe bei Bedarf an.<br />
Ablaufmuster des Coachings<br />
Die Lehrlinge und Lehrmeister wurden vorgängig über das Coaching-Angebot informiert. Jedes<br />
einzelne Gespräch selbst ist angekündigt, zwischen Lehrling und Coach abgemacht und findet<br />
in einem speziellen Arrangement statt: In der Regel ausserhalb der Unterrichtszeit, prinzipiell<br />
freiwillig, in einem ruhigen Raum der Schule und mit genügend Zeit.<br />
Beim Erstgespräch wird für jeden Lehrling eine Stunde reserviert. Inhaltlich dient es in erster Linie<br />
dazu, die Wünsche und Ziele der Lehrlinge zu erkennen, vor dem Hintergrund der realen Gegebenheiten<br />
persönliche Optionen zu finden, um dann erste Ziele zu fixieren. Dass damit das für die
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•<br />
•<br />
selbstgesteuerten Lernsequenzen unabdingbare Klima des Vertrauens und der Selbstverantwortung<br />
geschaffen wird, ist ein beabsichtigter Nebeneffekt. Die Lehrlinge erkennen, dass ihre Lernbedürfnisse<br />
einerseits im Zentrum stehen und ernst genommen werden, anderseits auch Konsequenzen<br />
haben: Sie werden laufend daran erinnert und es kann auch so weit gehen, dass die<br />
Lernjournale regelmässig durch den Lehrbetrieb kontrolliert werden.<br />
Die weiteren Coaching-Sitzungen folgen im Prinzip diesem Muster. Im Einzelfall können sie aber<br />
durchaus kürzer ausfallen, gelegentlich finden auch ganz beiläufig am Rand des Unterrichtsgeschehens<br />
oder in Pausen kleine Coaching-Gespräche statt.<br />
Methode und Inhalte<br />
Aufgrund der spezifischen Ausbildung der Lehrpersonen-Coaches basieren die Beratungsgespräche<br />
weitgehend auf dem dort vermittelten Grow-Modell nach J. Whitmore 18 :<br />
G (Goal) : Die Ziele der Lehrlinge bilden den Anfang und Ausgangspunkt.<br />
R (Reality) : In welcher realen Situation steht der Lehrling?<br />
O (Options) : Was für Möglichkeiten, Vorschläge und Ideen bieten sich an?<br />
W (Will) : Was will der Lehrling konkret tun?<br />
Zu Beginn drehen sich die Gespräch, bedingt durch den Schulkontext, um Lern- und Ausbildungsfragen,<br />
häufig mischen sich aber bereits auf der Ziel-Ebene persönliche Aspekte ins Gespräch.<br />
Im Anfangsstadium ist es nicht immer ganz einfach für die Lehrpersonen-Coaches, einerseits die<br />
Breite der Themen zuzulassen, anderseits die Zielfindung auf das Kerngebiet, die Ausbildung, zu<br />
fokussieren.<br />
6.1.2 Bezug zu den Grundsätzen<br />
Begleitung in Bezug auf die Ausbildung in Schule und Betrieb<br />
Die enge Verzahnung von Berufsfachschule und Begleitung ist gegeben: Sowohl Ort wie auch<br />
eine Lehrperson ist identisch mit der Lernbegleitung. Die betrieblichen Ausbildungsverantwortlichen<br />
sind im Prinzip informiert über die vereinbarten Lernziele. Diese Zusammenarbeit könnte systematischer<br />
ausgebaut werden. Es gibt aber auch Grenzen, bedingt durch die Vertraulichkeit der<br />
Gespräche und der daraus folgenden Vereinbarungen.<br />
Konkrete Massnahmen zur Vernetzung der Lernorte<br />
Ein sogenannter «Laufbahnpass» wird in der Regel in der zweiten oder dritten Coaching-Sitzung<br />
erstellt und als Kommunikationsmittel zwischen Betrieb und Schule eingesetzt: Der Lehrmeister<br />
nimmt die Ziele zur Kenntnis, unterschreibt den Laufbahnpass und unterstützt den Lernenden in<br />
Bezug auf die dort genannten Qualifikationsziele.<br />
18 Bürki 2003 (b) nach Whitmore J. 1994<br />
<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />
Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />
Kapitel 6<br />
35
36<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Anforderungen an die Qualifikation der Fachpersonen<br />
Die als Coaches eingesetzten Lehrpersonen haben eine Weiterbildung im Umfang von 65 Lernstunden<br />
absolviert und nehmen regelmässig an Supervisionen teil, ca. 6 Sitzungen zu 3 Stunden<br />
im Jahr.<br />
Klientel: Auswahl, Zuweisung, Selektion<br />
Anspruch auf Coaching haben alle Anlehrlinge an der Technischen Berufsschule Zürich. Eine<br />
Selektion findet nicht statt, die Teilnahme ist freiwillig, wird aber in aller Regel von allen<br />
gewünscht. Sogenannte Standortbestimmungen zu Beginn der Ausbildungen im Bereich Mathematik<br />
und Sprache dienen einerseits der Klasseneinteilung und anderseits können sie beim Erstgespräch<br />
als Diskussionsgrundlage herangezogen werden.<br />
Kompetenzen, Kompetenzabgrenzungen (Ist und Soll)<br />
Die Coaches haben kein Pflichtenheft. Arbeitsgrundlage bildet eine Funktionsbeschreibung für<br />
Coaches sowie die in der Ausbildung und in den Supervisionen erworbene Qualifikation. Kompetenzen,<br />
insbesondere zur Überweisung an andere Instanzen haben die Coaches nicht. Bis jetzt<br />
war noch kein Bedarf dafür da, aber eine entsprechende Finanzkompetenz (Kostengutsprache)<br />
wäre wünschenswert.<br />
Ein Förderkonzept für die Schule ist in Vorbereitung. Dort werden allenfalls konkretere Angaben<br />
zu Qualifikation, Aufgaben und Kompetenzen aufgenommen.<br />
Mittel, Kosten, Zeitdauer<br />
Zur Zeit werden die besonderen Aufwendungen für die Lehrlingscoachings, die Supervisionen,<br />
spezielle PR- und Dokumentationsaufgaben (Berichte, Informationsveranstaltungen) aus Mitteln<br />
des Lehrstellenbeschlusses 2 (LSB2) und durch Projektstunden der Schule abgegolten. Der<br />
Aufwand entspricht ungefähr 1 bis 1,5 Jahreslektionen (ohne vorausgegangene, obligatorische<br />
Ausbildung).<br />
Das Coaching-Angebot an die Lehrlinge wird über die ganzen 2 Jahre aufrechterhalten. In der<br />
Regel wird es auch wahrgenommen, wobei die Intensität im zweiten Ausbildungsjahr eher<br />
abnimmt.<br />
Wirkungskontrolle? Wie? (Ist und Soll)<br />
Im Rahmen des quantitativen Projektziels «20-30 Prozent der Anlehrlinge bereiten sich auf eine<br />
weiterführende Qualifikation vor» werden die Übertritte regelmässig erhoben.<br />
6.1.3 Ausblick<br />
Wünschenswert wäre eine leicht höhere Intensität, das heisst mehr Begleitungskontakte, insbesondere<br />
im zweiten Ausbildungsjahr, um die Lehrlinge auf einen erfolgreichen Abschluss und eine
•<br />
•<br />
sinnvolle Weiterqualifikation (Eintritt in Lehre etc.) vorzubereiten. Dafür fehlte aber zum Teil der<br />
reale Lern- und Leistungsanreiz vor allem bei jenen, die keinen Übertritt in eine Lehre anvisieren<br />
– es gab „nur“ einen Anlehrausweis, es war keine Attestnorm zu erfüllen.<br />
Eine gut funktionierende Zusammenarbeit der Lehrpersonen ist entscheidend, damit die individuellen<br />
Lernziele und die Umsetzung in den Sequenzen des selbstgesteuerten Lernens optimal kommuniziert<br />
und koordiniert werden. Es hat sich gezeigt, dass die Kooperation besser ist bei Lehrpersonen-<br />
Teams, die (gemeinsam) die Coaching-Ausbildung absolviert haben und sich in der Supervision<br />
vertieft mit der Methode und der eigenen Praxis auseinandersetzen.<br />
Nach Verlassen der Technischen Berufsschule wird die weitere berufliche Laufbahn der Austretenden<br />
nicht weiterverfolgt. Wünschenswert wäre, die Begleitung nach Aus- und Übertritten eine<br />
gewisse Zeit lang fortzusetzen, damit die Lernenden in der neuen Umgebung Tritt fassen können.<br />
6.2 Integrale Förderung in der Lernwerkstatt (Peter Ming)<br />
6.2.1 Beschreibung<br />
Einordnung in die Typologie der Ausprägungsformen:<br />
Typ schulische Lernbegleitung<br />
Design der Lernwerkstatt<br />
Die Lernwerkstatt ist ein neues Lerngefäss innerhalb des obligatorischen Berufsschulunterrichtes<br />
in der Grundbildung mit Attest. Dazu werden je eine wöchentliche Lektion Allgemeinbildung und<br />
Fachunterricht zusammengelegt. In dieser Doppellektion erfolgt eine individuelle Förderung der<br />
Lernenden im Teamteaching durch die Lehrpersonen des fachlichen und des allgemeinbildenden<br />
Unterrichts. Die Lernenden, welche zu hundert Prozent eigenaktiv arbeiten, werden im Sinne<br />
eines Lerncoachings betreut. Das Hauptziel dieser Förderung ist, vom fremd- zum selbstbestimmten<br />
Lernen zu gelangen. Der Weg führt von der Selbstwahrnehmung (Selbstbezug zur eigenen<br />
Lernfähigkeit und -bereitschaft) über metakognitives Wissen (Wissen um den eigenen Lerntyp,<br />
Lern- und Arbeitstrategien) und metakognitive Steuerung und Kontrolle (Planen, Organisieren,<br />
Durchführen, Kontrolle und Reflexion). Das Lernen lernen erfolgt durch Tun, indem an Inhalten<br />
des Fachunterrichtes die Kulturtechniken Sprache und Mathematik geübt und gefestigt werden.<br />
Mit der Lernwerkstatt erfolgt ein Paradigmenwechsel in der Ausbildung lernschwächerer Jugendlicher.<br />
Stand bisher in der Anlehre oftmals das Element des Schonraums im Vordergrund, ist es neu das<br />
Element des „Förderns durch fordern“. Gezieltes und individuelles Fördern heisst nicht überfordern.<br />
Ziele und Instrumente<br />
Die Lernförderung verfolgt ein zweifaches Ziel: Die schulisch schwächeren Jugendlichen sollen<br />
dazu befähigt werden, die standardisierten Anforderungen der Attestbildung zu erfüllen und die<br />
stärkeren sollen auf einen Übertritt in eine Grundbildung mit Fähigkeitszeugnis vorbereitet werden.<br />
Ausgewählte Beispiele<br />
37
38<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Gefördert wird mit einem ressourcenorientierten Ansatz. Ein eigens geschaffenes Lernmittel<br />
(„Unterwegs zum Lernprofi“, Orell Füssli Verlag, Mai 2004) wurde während drei Jahren in verschiedenen<br />
Pilotklassen mit Lehrlingen der Atteststufe und in Stütz- und Förderkursen erprobt. Es<br />
enthält Instrumente wie Checklisten und Portfolios in Lern- und Arbeitstechnik, Sprache und<br />
Mathematik, Lernplanungs- und Kontrollinstrumente, welche für Strukturen und systematisches<br />
Einhalten des Lernweges sorgen. Weitere Instrumente für Sprache und Mathematik<br />
unterstützen die individuellen Bemühungen, Defizite anzugehen, Strategien zum Umgang mit<br />
Lernschwächen zu entwickeln und Ressourcen gezielt zu fördern.<br />
Mit dem Ansatz der Lernwerkstatt versuchen wir aufzuräumen mit dem Mythos, Jugendliche mit<br />
einer negativen Schulbiografie seien kaum noch zu motivieren und mit selbstbestimmtem Lernen<br />
und standardisierten Leistungszielen überfordert.<br />
Mit dem Ansatz der berufsfeldorientierten Allgemeinbildung in der Lernwerkstatt widerlegen wir<br />
auch die verbreitete Meinung, Defizite bei den Kulturtechniken Sprache und Mathematik könnten<br />
mit den beschränkten (zeitlichen) Ressourcen auf der Sekundarstufe II kaum noch aufgeholt werden.<br />
Rahmenbedingungen<br />
In den Pilotprojekten weisen die Lerngruppen eine Grösse von 7 – 14 Lernenden auf.<br />
Die wiederkehrenden Mehrkosten gegenüber herkömmlichem Anlehrunterricht resultieren aus<br />
dem Teamteaching, sie umfassen zwei Jahreslektionen pro Klasse.<br />
Dank Teamteaching können die Jugendlichen individuell betreut werden und sie haben die Möglichkeit,<br />
sich ihre Bezugsperson selber zu wählen. Erfahrungen haben gezeigt, dass Lernende<br />
zunehmend auch mit persönlichen Problemen des Alltags oder Berufes in der Lernwerkstatt Rat<br />
und Hilfe suchen, und die „Lernwerkstatt“ zu einer echten „Lebenswerkstatt“ wird.<br />
6.2.2 Bezug zu den Grundsätzen<br />
Begleitung in Bezug auf die Ausbildung in Schule und Betrieb<br />
Die fachkundige Begleitung in der Lernwerkstatt erfolgt durch die selben Lehrpersonen, welche<br />
auch für die reglementierte Ausbildung der Lernenden verantwortlich sind. Ausbildner und Auszubildende<br />
kennen sich dank der intensiven Lernbegleitung besser, wodurch Synergien auch für<br />
den regulären Unterricht entstehen.<br />
Durch die Lernförderung an Inhalten des Fachunterrichtes ist der Bezug zur beruflichen Praxis<br />
indirekt gewährleistet.<br />
Konkrete Massnahmen zur Vernetzung der Lernorte<br />
Die Lernwerkstatt selber zielt nicht unmittelbar auf die Vernetzung der Lernorte. Sie beabsichtigt<br />
aber eine mittelbare Wirkung auf das Lernen in überbetrieblichen Kursen (üK) und Betrieben zu
•<br />
•<br />
haben, indem sich Erfolge bei der gezielten Förderung der Lern- und Arbeitstechnik in der Lernwerkstatt<br />
auch auf die Ausbildung in den beiden andern Lernorten auswirken.<br />
Konkrete Massnahmen zur Vernetzung sind im gesamten Projekt, von dem die Lernwerkstatt ein<br />
Element darstellt, vorgesehen, z.B. reglementierte Kontakte zwischen Schule und Lehrbetrieb<br />
oder die gemeinsame Erteilung der üK durch Fachlehrperson und Kursleiter. An einem Lehrmeisterabend<br />
zu Beginn der Ausbildung werden zudem die betrieblichen Ausbildner über die fachkundige<br />
individuelle Lernförderung eingehend informiert.<br />
Anforderungen an die Qualifikation der Fachpersonen<br />
Die Fachpersonen sind ausgebildete Lehrpersonen der Sekundarstufe II, die ein zusätzliches Engagement<br />
in der Betreuung Jugendlicher mit Lernschwierigkeiten mitbringen.<br />
Das Teamteaching bedingt ein hohes Mass an Bereitschaft und Fähigkeit zur Teamarbeit. Auf der<br />
Ebene des Gesamtprojektes finden regelmässige Teamsitzungen und interne Weiterbildungsveranstaltungen<br />
statt. Die Mitarbeit an der Projektentwicklung werten wir als effiziente Form der<br />
Weiterbildung.<br />
Klientel: Auswahl, Zuweisung, Selektion<br />
In der Attestbildung sind die Absolventen der Lernwerkstatt Anlehrlinge, d.h. Schulabgänger der<br />
Werkklasse oder Realschule.<br />
In Stütz- und Förderkursen sind es Lehrlinge der Grundbildung mit Fähigkeitszeugnis, welche<br />
die geforderten Leistungen nicht erbringen, Lücken im Schulstoff aufweisen oder über eine<br />
mangelnde Lern- und Arbeitstechnik verfügen.<br />
•<br />
Kompetenzen, Kompetenzabgrenzungen<br />
Die unter 6.2.1 beschriebenen Instrumente der Lernwerkstatt erlauben in den meisten Fällen eine<br />
unkomplizierte und effiziente Diagnose des Leistungstandes und der Lernkompetenz. Das Teamteaching<br />
verhindert einseitig subjektive Einschätzungen und grobe Fehlinterpretationen, da<br />
Beobachtungen ausgetauscht und verglichen werden. Erfahrungen haben gezeigt, dass beim<br />
Lerncoaching die Übergänge fliessend sind zwischen Lernbegleitung, -beratung und -therapie.<br />
Das Coachingteam entscheidet jedoch zusammen mit dem Lernenden, wenn zusätzliche<br />
Massnahmen in Erwägung gezogen werden müssen in Richtung Lerntherapie, soziales oder<br />
betriebliches Coaching. Antrag auf den Beizug einer externen Institution oder Fachstelle erfolgt<br />
an das Amt für Berufsbildung, welches die Ausbildungspartner mit einbezieht.<br />
Ausgewählte Beispiele<br />
39
40<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Mittel, Kosten, Zeitdauer<br />
Die Lernwerkstatt als Teil eines umfassenden Pilotprojektes zur Erprobung des Referenzmodells<br />
wurde bisher durch den Kanton und den LSB2 finanziert. Auf der Basis eines Schultages mit 8<br />
Lektionen (und 2 zusätzlichen Lektionen wegen Doppelbelegung der Lehrpersonen durch Lernwerkstatt<br />
= 10 Lektionen) und 14 Lernenden pro Klasse ergeben sich für die schulische Ausbildung<br />
pro lernende Person und Jahr Kosten von Fr. 5'257.–. Das Angebot erstreckt sich in der<br />
Regel über zwei Jahre.<br />
Wirkungskontrolle<br />
Die unter 6.2.1 erwähnten Messinstrumente (Checklisten und Portfolios) ermöglichen, zu Beginn<br />
der Lernförderung den Ist-Zustand festzustellen, individuelle und konkrete Zielsetzungen aufzustellen<br />
und kontinuierliche Erfolgskontrollen im Sinne der Fremd- und Selbstevaluation vorzunehmen.<br />
Die Kompetenzenraster zeigen Lernerfolge und -defizite auf und ermöglichen eine genaue Positionierung<br />
innerhalb der Anforderungsniveaus der Berufe und Ausbildungstypen. Sie dienen somit<br />
der Abklärung möglicher Weiterbildung oder Durchlässigkeit zur erweiterten Grundbildung mit<br />
EFZ-Abschluss.<br />
6.3 Individuelles Coaching in der Berufsbildung (Verein Job) (Thomas Diener)<br />
6.3.1 Beschreibung<br />
Einordnung in die Typologie der Ausprägungsformen:<br />
Typ sozialpädagogische Begleitung.<br />
Design der fachkundigen Begleitung<br />
Das seit Sommer 2000 existierende Coachingangebot für Jugendliche in der Berufsbildung wurde<br />
anfangs durch den LSB2 finanziert und begleitet. Die Auszubildenden werden, unabhängig von<br />
ihrem Ausbildungsniveau, tatkräftig unterstützt, begleitet und betreut. Es soll ein Abbruch der<br />
Ausbildung aufgrund von schulischen, ausbildungsbezogenen oder sozialen Problemen verhindert<br />
und die berufliche wie auch private Situation stabilisiert werden. Indikatoren sind problematische<br />
Verhaltensmuster der Auszubildenden oder Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder in der Schule.<br />
Der Fokus der sozialpädagogischen Begleitung zielt auf die Klärung der persönlichen Situation,<br />
auf die Stärkung der Kompetenzen und das Entwickeln von alternativen Lösungsstrategien. Es ist<br />
für die Ratsuchenden kostenlos und wird in Intensität und Dauer ihren individuellen Bedürfnissen<br />
angepasst. Eine Vereinbarung regelt die Ziele, die Zusammenarbeit und Verantwortlichkeit zwischen<br />
allen Beteiligten. Auch Lehr- und Ausbildungspersonen werden bei Bedarf beraten. Die<br />
fachliche Kompetenz der Begleitpersonen wird gewährleistet durch eine anerkannte höhere Ausbildung<br />
im Sozialbereich.
•<br />
Ablaufmuster des Coachings<br />
Das Coaching kommt nur im Einverständnis der Auszubildenden zu Stande. Anlässlich einer<br />
ersten Sitzung werden zusammen mit dem Lehrmeister und dem Auszubildenden die Erwartungen<br />
und Ziele der Ausbildung für das nächste halbe Jahr festgehalten. Weiter wird anlässlich dieses<br />
Gesprächs vereinbart, wie häufig und in welcher Form zwischen den beteiligten Parteien Kontakte<br />
stattfinden (Einzelgespräche zwischen dem Coach und dem Jugendlichen/Auswertungssitzungen<br />
zwischen dem Lehrmeister, dem Jugendlichen und dem Coach/telefonischer Informationsaustausch<br />
zwischen dem Lehrmeister sowie den Berufsschullehrern). Im Regelfall finden Einzelgespräch<br />
alle zwei Wochen, Auswertungsgespräche mit dem Lehrmeister alle sechs Monate und<br />
Informationsaustausche zwischen dem Lehrmeister und/oder den Berufsschullehrern je nach<br />
Bedarf und mindestens alle zwei Monate statt. Die Einzelgespräche finden hauptsächlich in den<br />
Sitzungsräumen des Vereins Job statt und dauern je nach Bedarf zwischen einer halben und einer<br />
Stunde. Die Auswertungssitzungen und der Informationsaustausch dauern ungefähr eine Stunde<br />
und finden entweder im Lehrbetrieb, in der Berufsschule oder in den Räumlichkeiten des Vereins<br />
Job statt.<br />
In einem ersten Einzelgespräch zwischen dem Coach und dem Jugendlichen wird konkretisiert,<br />
welche Erwartungen und Ziele der Jugendliche in Bezug auf seine Ausbildung hat. Im Anschluss<br />
an dieses Erstgespräch initiiert der Coach die erste Sitzung mit dem Lehrbetrieb, an der gemeinsam<br />
mit dem Lehrmeister und eventuell den Berufsschullehrern die Erwartungen und Ziele des<br />
Jugendlichen mit den Ausbildungsanforderungen abgeglichen werden. Die gemeinsam erarbeiteten<br />
Ziele werden durch den Coach festgehalten und nachfolgend in den Einzelgesprächen mit dem<br />
Jugendlichen thematisiert. Gemeinsam mit dem Jugendlichen werden sodann die Instrumente<br />
erarbeitet, um die Ziele erreichen zu können. Dabei beinhaltet das Coaching die Klärung der<br />
persönlichen und sozialen Situation.<br />
•<br />
Methode und Inhalte<br />
Die Coaches des Vereins Job orientieren sich in der Zusammenarbeit mit dem Jugendlichen an einschlägigen<br />
Theorien der Sozialpsychologie und Sozialarbeit. Methoden und Konzepte, die ihr<br />
Handeln leiten, sind z.B. das Casemanagement, Empowerment, Themenzentrierte Interaktion, um<br />
nur einige zu nennen.<br />
Die Grundlage der Zusammenarbeit bilden die gemeinsam mit allen involvierten Parteien erarbeiteten<br />
Ziele für den Jugendlichen. Darauf aufbauend erstellen die Coaches mit dem Jugendlichen<br />
einen Förderplan, woran sich die Zusammenarbeit massgeblich orientiert. Die Coaches machen<br />
sich in den Einzelgesprächen oder Kontakten mit dem Familiensystem ein Bild des sozialen<br />
Umfelds des Jugendlichen, um relevante und die Ausbildung tangierende Themen erkennen und<br />
mit dem Jugendlichen bearbeiten zu können.<br />
Ausgewählte Beispiele<br />
41
42<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
6.3.2 Bezug zu den Grundsätzen<br />
Begleitung in Bezug auf die Ausbildung in Schule und Betrieb<br />
Die geeigneten Massnahmen werden im Rahmen der reglementierten Grundbildung geplant. Die<br />
vereinbarten Ziele können in direktem Zusammenhang mit Inhalten und Anforderungen der Ausbildung<br />
stehen, aber auch darüber hinaus gehen. Die sozialpädagogische Begleitung entbindet<br />
die Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen nicht von ihrer fachlichen Verantwortung, unterstützt<br />
und entlastet diese aber bei sozialen Fragestellungen.<br />
Konkrete Massnahmen zur Vernetzung der Lernorte<br />
Der Verein Job wirkt als externer, von den Institutionen der Berufsbildung unabhängiger Anbieter.<br />
Die Zusammenarbeit mit den Ausbildungsverantwortlichen und Lehrpersonen findet fallbezogen<br />
statt. Die Unterstützungsformen, Massnahmen, Ziele und der zeitliche Rahmen werden<br />
gemeinsam definiert und in einem Coachingvertrag festgehalten. Für das Erreichen der Ziele ist<br />
die Kooperation der massgeblich beteiligten Personen von zentraler Bedeutung. Erst eine gemeinsame,<br />
gut koordinierte Strategie führt zum Erfolg. Der Informationsaustausch und die Zielüberprüfung<br />
finden nach Bedarf statt und werden durch die Coaches geplant.<br />
Anforderungen an die Qualifikation der Fachpersonen<br />
Alle Mitarbeitenden verfügen über einen anerkannten Fach- oder Hochschulabschluss der Sozialarbeit.<br />
Diese Ausbildung erlaubt eine professionelle, theoriegeleitete Begleitung der Auszubildenden<br />
mit der nötigen Verbindlichkeit und angemessenen Distanz. Berufserfahrung in der Arbeit mit<br />
Jugendlichen und Kenntnisse über die schweizerische Berufsbildung werden erwartet.<br />
Klientel: Auswahl und Zuweisung<br />
Die Teilnahme ist grundsätzlich freiwillig, auch wenn uns Jugendliche zum Teil durch Institutionen<br />
der Jugendhilfe zugewiesen werden. Eine Selektion findet nicht statt. In einem Erstgespräch wird<br />
die Vorgeschichte erfasst und die Erwartungen aller Beteiligten überprüft. Die Inanspruchnahme<br />
der sozialpädagogischen Begleitung beinhaltet auch immer Pflichten und Eigenleistungen, welche<br />
im Coachingvertrag festgehalten werden. Eine weitere Grundvoraussetzung ist die gemeinsame<br />
Sichtweise der zu ergreifenden Massnahmen.<br />
Anspruchsberechtigung<br />
Anspruchsberechtigt sind alle Auszubildenden, in unserem Fall entgegen den Bestimmungen im<br />
neuen BBG auch Jugendliche der drei- und vierjährigen Grundbildung. Die Praxis hat gezeigt, dass<br />
die Indikation für eine sozialpädagogische Begleitung selten in Zusammenhang mit dem schulischen<br />
Niveau steht. Ebenfalls Anspruch auf Unterstützung haben Lehrabbrecher/innen mit dem<br />
Ziel der Fortsetzung der Ausbildung.
•<br />
•<br />
•<br />
Kompetenzen, Kompetenzabgrenzungen<br />
Die Aufgaben und Kompetenzen lassen sich aus dem Konzept ableiten. Übersteigt die zu ergreifende<br />
Massnahme die fachliche Kompetenz oder die zeitlichen Ressourcen der Begleitperson,<br />
können mit Einwilligung der Auszubildenden weitere Personen oder Stellen informiert oder die<br />
Zusammenarbeit mit ihnen angestrebt werden. Wenn eine anerkannte Fachstelle bereits für ein<br />
bestimmtes Problem zuständig ist, werden die Auszubildenden dorthin verwiesen. Ein gut ausgebautes<br />
Netzwerk erlaubt es den beratenden Personen, die Auszubildenden nicht nur in schulinterne<br />
Förderangebote, sondern auch in eines der vielen externen Angebote zu vermitteln. Für<br />
den Umgang mit Daten und Informationen gelten die allgemeinen Datenschutzrichtlinien und<br />
Diskretion (Schweigepflicht).<br />
Kosten, Zeitdauer<br />
Die Dauer einer Begleitung wird in Absprache mit allen am Coachingprozess beteiligten Personen<br />
individuell und nach Bedarf festgelegt. In der Regel dauert die Massnahme mind. ein halbes,<br />
maximal zwei Ausbildungsjahre. Bei 100 Stellenprozenten liegt die Betreuungskapazität bei max.<br />
25 Auszubildenden.<br />
Wirkungskontrolle<br />
Die vereinbarten Ziele, die im Coachingvertrag festgehalten sind, werden regelmässig mit allen<br />
Beteiligten überprüft und wenn nötig neu formuliert. Für die Qualitätssicherung werden alle<br />
Daten in unserem Computersystem erfasst. Die Arbeit der Coaches wird durch regelmässige<br />
Supervision, Fallbesprechung und Weiterbildungen reflektiert. Das Coachingangebot wird noch<br />
bis Frühling 2004 durch die Schule für Soziale Arbeit HASAZ evaluiert. Der Schlussbericht<br />
erscheint im April 2004 und ist in einer Kurzfassung auf http://www.vereinjob.ch abrufbar.<br />
6.4 Ausbildungsverbund mit Coaching (Bildungsnetz Zug) (Matthias Buzzi)<br />
6.4.1 Beschreibung<br />
Einordnung in die Typologie der Ausprägungsformen:<br />
Mischform: Coaching der Jugendlichen in schulischen und sozialen Anliegen. Auf Wunsch auch<br />
Coaching für die Betriebe.<br />
•<br />
Design der Struktur<br />
Ziel des 'Bildungsnetz Zug' ist, dass Jugendliche einen Berufsabschluss auf Stufe Grundausbildung<br />
mit Attest oder Fähigkeitszeugnis erreichen.<br />
Die Jugendlichen schliessen den Lehrvertrag mit dem Coach des Bildungsnetzes Zug ab. Dieser ist<br />
damit ihr Lehrmeister und erste Ansprechperson. Er erledigt auch sämtliche administrativen Arbeiten,<br />
die im Lehrlingswesen anfallen. Für die Fachausbildung werden entsprechende Betriebe mit<br />
Ausgewählte Beispiele<br />
43
44<br />
Ausbildungsbewilligungen gesucht. Ein Zusammenarbeitsvertrag regelt die rechtlichen, finanziellen<br />
und kooperativen Aspekte. Eine Bildungsnetz-Lehre unterscheidet sich in sechs Punkten von<br />
einer herkömmlichen Ausbildung:<br />
a. Der Lehrbetrieb hat keine administrativen Arbeiten für den Lehrling zu erfüllen (wie z.B.<br />
Versicherungsfragen, Unfallmeldungen, Lohnzahlungen, Arbeitsbewilligungen, Quellensteuerberechnungen<br />
u.a.m.). Diese Arbeiten werden vom Bildungsnetz erledigt.<br />
b. Ein Zusammenarbeitsvertrag regelt die rechtlichen Punkte, die finanzielle Seite, bestimmt<br />
die Fachziele für die kommenden sechs Monate und die Art sowie die Anzahl der Kontakte<br />
zwischen Betrieb und Coach. Der Zusammenarbeitsvertrag zwischen Betrieb und Coach kann<br />
auf 6 oder 12 Monate ausgestellt werden. Dabei besteht die Option auf Verlängerung.<br />
Unter Umständen absolviert ein Jugendlicher somit seine Praxisausbildung in einem bis drei<br />
Betrieben. Der Coach ist bei akuten Problemen auch Ansprechperson für die Lehrmeister.<br />
c. Die Jugendlichen profitieren von einem professionellen Coaching. Vor dem Start in die<br />
Berufsschule und die Praxis findet ein zweiwöchiges Einstiegsseminar statt. Mindestens<br />
alle 14 Tage kommen die Jugendlichen für einen halben Tag (4 Stunden) ins Coaching.<br />
Dieser Rhythmus kann bei Bedarf erhöht oder verkürzt werden (z.B. wöchentlich). Das<br />
Coaching findet in Kleingruppen statt (4–6 Personen). Ein individuelles, zielorientiertes<br />
Lernprogramm bestimmt das Vorgehen. Im Coaching haben die Jugendlichen die Möglichkeit,<br />
ihre Hausaufgaben begleitet zu erledigen. Im Gespräch (Gruppe oder Zweiergespräch)<br />
reflektieren sie ihren schulischen und beruflichen Alltag und tauschen Erfahrungen<br />
aus. Jeweils eine bestehende Schwierigkeit wird in Form eines Lösungs-Vorsatzes<br />
schriftlich festgehalten und im Coaching 14 Tage später überprüft. Arbeits- und Lerntechnik<br />
übt man in praktischen Arbeiten ein. Die Arbeit an und mit Texten bildet ein<br />
Schwergewicht. Rollenspiele schälen taugliche und/oder unbrauchbare Verhaltensweisen<br />
heraus, die allenfalls ins persönliche Verhaltensrepertoire eingebunden bzw. vermieden<br />
werden sollten.<br />
d. Jeder Jugendliche führt ein Coaching-Book. Diese Informationsbrücke zwischen Lehrmeister/in<br />
– Jugendlichen – Schule und Coach ist ein quantitativer und qualitativer Rückblick<br />
des Jugendlichen auf seinen Arbeitstag in schriftlicher Form. Jede Woche geben die Jugendlichen<br />
und der Lehrmeister alle 14 Tage auf einer Skala von 1 bis 12 Rückmeldungen auf<br />
drei Ebenen: das Verhalten, die Leistungen im Betrieb und die Grösse der Fortschritte.<br />
Der Betrieb hat hier auch Gelegenheit, persönliche Rückmeldungen in Form von Lob oder<br />
Tadel schriftlich anzubringen. Das erzeugt eine hohe Verbindlichkeit für allfällige Korrekturmassnahmen.<br />
e. Der Betrieb bestimmt eine Auswahl von Fachzielen aus dem Ausbildungsreglement oder<br />
dem Ausbildungsprogramm, die in den kommenden 6 Monaten vom Jugendlichen erreicht<br />
werden müssen. Nach dieser Zeit werden die Fachziele mittels einer praktischen Semesterprüfung<br />
im angestammten Betrieb überprüft und beurteilt. Nicht erfüllte Ziele erscheinen<br />
wieder für die kommenden 6 Monate; neue Fachziele kommen dazu.
•<br />
•<br />
f. Finanzielles: Es wird von einem Tagesansatz ausgegangen, der auf Grund des Monatslohnes<br />
vom Jugendlichen errechnet wird. Darin enthalten sind die Sozialleistungen und die Kosten<br />
für die Einführungskurse. Der Betrieb zahlt nur die Schul-, Einführungskurstage und die<br />
Tage, an denen der Jugendliche in der Firma arbeitet (effektives Zahlungsmodell). Coaching<br />
oder anderweitige Betreuungs- oder Absenzenzeiten sind für den Betrieb nicht kostenpflichtig.<br />
Monatlich erhalten die Betriebe eine entsprechende Rechnung zugestellt, die sie kontrollieren<br />
und zahlen. Das ist der einzige administrative Aufwand für sie.<br />
6.4.2 Bezug zu den Grundsätzen<br />
Begleitung in Bezug auf die Ausbildung in Schule und Betrieb<br />
Durch das Einstiegsseminar wird eine wichtige Vertrauensbasis zwischen Coach und Jugendlichen<br />
geschaffen. Eine offene und wertschätzende Haltung auf der Basis des aktiven Zuhörens und von<br />
Ich-Botschaften geben den Jugendlichen die Möglichkeit, berufliche wie persönliche Herausforderungen<br />
zu formulieren. Gemeinsam werden Lösungsansätze erarbeitet und in kleine Teilschritte/<br />
Zwischenziele gegliedert. Standortgespräche zeigen Fort- oder Rückschritte auf. Entsprechende<br />
Konsequenzen können eingeleitet werden. Schulische Fragen (fachlich, sozial) können innerhalb<br />
des 14-tägigen Coachings angegangen werden. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für Schwierigkeiten,<br />
die im beruflichen Kontext auf sozialer Ebene anfallen.<br />
Konkrete Massnahmen zur Vernetzung der Lernorte<br />
Das oben beschriebene Coaching-Book ist Informationsbrücke zwischen Jugendlichen, Betrieb,<br />
Coach und (seltener) auch für die Schule. Die schriftliche Form ergibt eine gute Verbindlichkeit<br />
für alle Beteiligten. Zusätzlich meldet sich der Coach regelmässig beim Betrieb (gemäss<br />
Zusammenarbeitsvertrag). Im Normalfall gibt es jeden Monat ein Telefongespräch zwischen<br />
Betrieb und Coach, das den Austausch und die Kommunikation mit dem Betrieb fördert.<br />
Die alle 6 Monate stattfindende Semesterprüfung ist ein intensives Zusammentreffen aller an der<br />
Ausbildung Beteiligten. Die Fachziele werden vor Ort überprüft. Der Lehrmeister entscheidet, ob<br />
die Ziele erfüllt oder nicht erfüllt wurden. Im Anschluss daran gibt das Ausfüllen des Ausbildungsberichtes<br />
eine gute und regelmässige Standortbestimmung; so dass alle Ausbildungspartner<br />
wieder auf dem gleichen Wissensstand sind. Die neuen Fachziele werden gleichzeitig kommuniziert<br />
und bestimmt.<br />
•<br />
Anforderungen an die Qualifikation der Fachpersonen<br />
Bei der Coaching-Arbeit ist Wertschätzung gegenüber Jugendlichen und Betrieben nötig und die<br />
Bereitschaft, offene Situationen auszuhalten und optimistisch nach Lösungen zu suchen – auch<br />
wenn dies schwierig erscheint. Weitere wichtige Eigenschaften für den Ausbildungsleiter sind eine<br />
ausgeprägte Kommunikationskultur, Verhandlungsgeschick und eine dienstleistungsorientierte<br />
Haltung gegenüber den Jugendlichen und den Betrieben. Pädagogisches, psychologisches sowie<br />
methodisch-didaktisches Geschick müssen als Instrumente eingesetzt werden können. Gute<br />
Kenntnisse der Arbeitswelt und ein gesundes Mass an Neugier, um sich in einzelne Berufsfelder<br />
Ausgewählte Beispiele<br />
45
46<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
hineinzuarbeiten, sind weitere Voraussetzungen. Unabdingbar ist der sichere Umgang mit den<br />
gängigen Informatikmitteln.<br />
Wünschenswert und sinnvoll ist, wenn die Fachperson zusätzlich zur pädagogisch-psychologischen<br />
Grundausbildung (vorzugsweise im heilpädagogischen Bereich) eine Coaching-Ausbildung<br />
absolvierte. Die Anforderungen sind sehr breit, sie erfordern einen entsprechend breiten Ausbildungsstand,<br />
der aber immer mit einem guten Mass an praktischer Erfahrung gekoppelt sein muss.<br />
Klientel: Auswahl, Zuweisung, Selektion<br />
Jugendliche, die auf dem Lehrstellenmarkt keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, bewerben<br />
sich bei uns schriftlich. Sie müssen eine positive Arbeitseinstellung und -haltung zeigen, praktisch<br />
begabt sein und einen schulischen Förderbedarf benötigen.<br />
Ein Abklärungsgespräch entscheidet über ein allfälliges Weiterkommen im Auswahlverfahren.<br />
Gemeinsam wird dann ein entsprechender Ausbildungsplatz gesucht. Eine Aufnahme ins<br />
Bildungsnetz Zug erfolgt erst, wenn ein Ausbildungsplatz gefunden wurde.<br />
Kompetenzen, Kompetenzabgrenzungen<br />
Der Coach ist Lehrmeister (Vertragspartner) und hat entsprechende Kompetenzen und Pflichten<br />
gegenüber dem Jugendlichen und dem Amt für Berufsbildung. Wesentlich ist, dass Vorgehensweisen<br />
und Entscheide, die den Jugendlichen betreffen, direkt und klar mit dem Betrieb rechtzeitig<br />
abgesprochen und geplant werden. Eine enge und kooperative Haltung gegenüber den<br />
Betrieben zahlt sich hier mehrfach aus.<br />
Mittel, Kosten, Zeitdauer<br />
Pro Jugendlicher belaufen sich die Ausgaben auf ca. 8'500.– CHF pro Jahr. Dies entspricht einer<br />
Vollkostenrechnung inklusive Infrastruktur (z. B. Schulzimmer, Büroeinrichtungen, Gerätschaften).<br />
Als privatrechtlicher Verein werden wir vom Kanton finanziell unterstützt.<br />
Das Coaching-Angebot an die Lehrlinge findet innerhalb der vertraglichen Schul- und Arbeitszeit<br />
statt und wird über die ganzen 2–4 Jahre (berufsabhängig) aufrechterhalten. Dies entspricht dem<br />
Grundrhythmus von 4 Stunden (nicht Lektionen) pro 14 Tage. In Einzelfällen auch wöchentlich.<br />
Zusätzlich sind es 2–2,5 Stunden Zeitaufwändungen pro Semesterprüfung (davon gibt es zwei pro<br />
Ausbildungsjahr). Nicht eingerechnet sind hier sämtliche administrativen Aufgaben für den<br />
Jugendlichen. Eine Übernahme des Jugendlichen durch den Betrieb ist grundsätzlich möglich,<br />
wurde aber noch nie praktiziert.<br />
Wirkungskontrolle<br />
Bis Juli 2003 wurden mit schriftlicher Befragung der Jugendlichen und der Betriebe alle 6 Monate<br />
unsere Dienstleistungen und Instrumente, mit denen wir arbeiten, evaluiert. Die Berufsschullehrpersonen<br />
wurden einmal im Jahr befragt.
•<br />
Ab August 2003 wird noch jedes Jahr einmal eine Evaluation bei allen oben genannten Beteiligten<br />
durchgeführt.<br />
Das Bestehen der Lehrabschlussprüfung oder des Augenscheines gilt als Messinstrument für den<br />
Erfolg der Institution. Im Rahmen des quantitativen Projektziels „60 Prozent der Jugendlichen erhalten<br />
den Fähigkeitsausweis oder den Attestausweis“ werden die Abschlüsse regelmässig erhoben.<br />
Nach Verlassen des Bildungsnetz Zug wird die weitere berufliche Laufbahn der Austretenden nicht<br />
weiterverfolgt.<br />
6.5 Betreuung durch betriebliche Sozialberatung (Logistikpraktikerin/Logistikpraktiker)<br />
(Peter Jung)<br />
6.5.1 Beschreibung<br />
Einordnung in die Typologie der Ausprägungsformen:<br />
Typ: Betriebliche Begleitung.<br />
Design/Wesensmerkmale<br />
Die betriebliche Begleitung basiert auf drei Säulen:<br />
1. Seminare für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in der betrieblichen Praxis (vormals Lehrmeister):<br />
Finden zu Beginn der Tätigkeit als Begleiterin/Begleiter statt, eintägige Seminare,<br />
gestaltet durch die betriebliche Sozialberatung von SBB und Post. Dienen der Sensibilisierung<br />
der Verantwortlichen in der beruflichen Praxis.<br />
2. Intervisionsgruppen für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in der betrieblichen Praxis:<br />
Selbstgesteuert, Treffen regelmässig oder nach Bedarf. Einbezug der Sozialberatungsstellen<br />
nach Bedarf.<br />
3. Individuelles Beratungsangebot für Lernende: Alle Lernenden aus den Bereichen Lager, Verkehr<br />
und Distribution können bei Bedarf kostenlos das Beratungsangebot der Sozialberatungsstellen<br />
der SBB und der Post in Anspruch nehmen.<br />
•<br />
Konkretisierung/Anschauungsbeispiel<br />
– Seminare für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in der betrieblichen Praxis: Rund 30<br />
Personen haben im Herbst 2003 an der 2. Durchführungsrunde dieser Seminare in Bern und<br />
Zürich teilgenommen. In einem intensiven Seminar wurden Erfahrungen ausgetauscht, Fallbeispiele<br />
besprochen, mögliche Schwierigkeiten beleuchtet. Alles in allem eine breit abgestützte<br />
Variante zur Sensibilisierung derjenigen Personen, die Tag für Tag mit den Lernenden<br />
zusammenarbeiten.<br />
Ausgewählte Beispiele<br />
47
48<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
– Intervisionsgruppen für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in der betrieblichen Praxis: In<br />
der Romandie trifft sich eine Gruppe von Berufsbildnerinnen und Berufsbildnern regelmässig<br />
zu einem Erfahrungsaustausch. Zu Beginn wurde die Gruppe von einer Fachperson der<br />
Sozialberatung Post angeleitet und unterstützt. Mittlerweile funktionieren die Treffen<br />
selbstständig. Die Teilnehmenden bringen selbst erlebte Situationen ein, besprechen diese<br />
und suchen nach Lösungsansätzen.<br />
– Individuelles Beratungsangebot für Lernende: Eine Lernende in Chur hat persönliche<br />
Probleme, die sich auch auf Schule und Lehrbetrieb auswirken. Der Berufsbildner in der<br />
betrieblichen Praxis spricht die Lernende auf diese Situation an. Gemeinsam entscheiden<br />
sie sich für eine Unterstützung durch die Sozialberatung der Post in Sargans. Diese Stelle<br />
unterstützt die Lernende bis zum Ausbildungsabschluss und koordiniert die verschiedenen<br />
Aktivitäten.<br />
6.5.2 Bezug zu den Grundsätzen<br />
Begleitung in Bezug auf die Ausbildung in Schule und Betrieb<br />
Die betriebliche Begleitung ergänzt das Angebot der Berufsfachschule. In einzelnen Fällen findet<br />
eine Koordination statt. Diese funktioniert aber nicht automatisch, sondern ist der Gesamtsicht<br />
einzelner Beteiligter zuzuschreiben. Sehr gut funktioniert der Ansatz, dass sowohl Lernende als<br />
auch Berufsbildnerinnen und Berufsbildner ins System einbezogen sind.<br />
Konkrete Massnahmen zur Vernetzung der Lernorte<br />
Bei einer individuellen Beratung einer Lernenden, eines Lernenden wird nach Absprache und Einverständnis<br />
der Lehrbetrieb in allfällige Massnahmen einbezogen. Die Vernetzung zur Berufsfachschule<br />
ist – wie bereits erwähnt – nicht sichergestellt, funktioniert aber in der Regel recht gut.<br />
Anforderungen an die Qualifikation der Fachpersonen<br />
Die Sozialberatungsstellen der SBB und der Post werden durch ausgebildete Fachpersonen geleitet.<br />
In der Regel verfügen diese auch über eine Zusatzausbildung in den Bereichen Beratung und<br />
Coaching.<br />
Klientel: Auswahl, Zuweisung, Selektion<br />
Das Angebot für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit.<br />
Grundsätzlich sind alle Beteiligten zu den Seminaren als auch zu den Intervisionsgruppen<br />
eingeladen.<br />
Alle Lernenden haben Anspruch auf kostenlose individuelle Begleitung durch die Sozialberatungsstellen.<br />
Eine Selektion findet nicht statt. Eine Zuweisung kann durch die Berufsbildnerin,<br />
den Berufsbildner erfolgen, wenn diese angezeigt erscheint.
•<br />
•<br />
•<br />
Kompetenzen, Kompetenzabgrenzungen<br />
Die Sozialberatungen von SBB und Post arbeiten in einem Auftragsverhältnis. Auftraggeberin ist<br />
die Projektleitung Logistikpraktikerin/Logistikpraktiker. Verantwortlich für die Planung der Seminare<br />
und der Intervisionsgruppen ist die Projektleitung. Deren Gestaltung und die individuelle<br />
Beratung liegt bei den Sozialberatungsstellen, im Rahmen ihres Auftrags.<br />
Mittel, Setting, Kosten, Zeitdauer<br />
Die betriebliche Begleitung mit den drei Säulen wird im Rahmen des Pilotprojektes durch Mittel<br />
aus dem LSB2 finanziert. Die Sozialberatungen SBB und Post operieren als Service Center und verrechnen<br />
ihre Kosten vollumfänglich dem Bezüger (= Projektleitung) weiter.<br />
Aus diesem Grund ist die betriebliche Begleitung nur noch bis Mitte 2004 sichergestellt (Abschluss<br />
LSB2). Ohne weiterführende finanzielle Unterstützung kann die betriebliche Begleitung künftig<br />
nicht mehr im bisherigen Rahmen durchgeführt werden, was aus Sicht der Projektleitung zu<br />
bedauern ist.<br />
Wirkungskontrolle<br />
Die Sozialberatungsstellen sind gegenüber der Projektleitung rechenschaftspflichtig. Erzielte<br />
Resultate und Auswertungen werden in anonymisierter Form dargestellt. Wünschenswert ist eine<br />
bessere Messbarkeit des Verhältnisses Massnahme – Wirkung. Diese gestaltet sich in der Praxis<br />
schwierig, da erzielte Erfolge in der Regel das Resultat komplexer Zusammenhänge sind<br />
(Engagement der Berufsbildner, Unterstützung durch Sozialberatung, Unterstützung durch<br />
Berufsfachschule, Eigeninitiative der Lernenden, Support durch das soziale Umfeld).<br />
6.5.3 Ausblick<br />
Die Seminare für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in der betrieblichen Praxis werden gut<br />
besucht und stossen auf gutes Echo. Die Intervisionsgruppen sind stark von der Initiative der<br />
beteiligten Personen abhängig. Einzelne Gruppen funktionieren autonom und treffen sich regelmässig;<br />
bei anderen Gruppen sind Auflösungstendenzen spürbar.<br />
Die individuelle Begleitung wird nur durch einzelne Lernende genutzt. Möglicherweise ist der<br />
Schritt zur Inanspruchnahme eines „fremden“ Angebots zu gross. Viele Lernende erfahren bereits<br />
im Betrieb und in der Berufsfachschule Unterstützung, die teils im Rahmen der ordentlichen<br />
Betreuung, teils als fachkundige individuelle Begleitung stattfindet.<br />
Die Projektpartner SVBL, login und Die Post überlegen sich, für die definitive Einführung der Ausbildung<br />
(Bildungsverordnung) das Angebot der Seminare für Berufsbildner und die Intervisionsgruppen<br />
weiterzuführen – allenfalls auch auf eigene Kosten, wenn keine finanzielle Unterstützung<br />
erfolgt. Entscheide sind noch keine gefällt.<br />
Ausgewählte Beispiele<br />
49
50<br />
Kanton<br />
6.6 Übersicht über 18 Projekte<br />
Von den Verantwortlichen von 18 Pilotprojekten liegt eine Kurzbeschreibung der fachkundigen<br />
individuellen Begleitung vor. Die nachfolgende tabellarische Übersicht fasst diese Beschreibungen<br />
zusammen. Die vollständigen Dokumente sind zu finden unter http://www.sbbk.ch<br />
Projekttitel I<br />
(unter diesen Titeln zu finden in<br />
(unter http://www.sbbk.ch)<br />
diesen Titeln zu finden in<br />
http://www.dbk.ch)<br />
Legende � trifft im Kern zu<br />
� Nebenschwerpunkt, trifft teilweise zu<br />
� Beiläufiger Effekt<br />
( ) Mischformen, schwer kategorisierbar<br />
Ausprägung II<br />
schulisch<br />
sozialpäd.<br />
betrieblich<br />
Zielgruppe III<br />
alle Lehrlinge<br />
LL, spez. Indik<br />
AusbildnerInnen<br />
Qualifikation IV Kosten V<br />
LehrP + Ausb.<br />
FHS / HS<br />
andere<br />
Franken pro<br />
LL/Jahr<br />
BE Kompetenzenprofil Holz � � � � 800.--<br />
BE Projekt Bäcker-Konditor � � � k. Ang.<br />
BE Verkauf, Berufsschule für Detailhandel k. Ang.<br />
BE Coaching Berufsfeld Hauswirtschaft � � � 350.--<br />
BL Lehr mit Kick � � � � 1900.--<br />
FR Formation des Mediateurs � � � � k. Ang.<br />
FR Ind. Begleitung (Praktische Lehre) � � 400.--<br />
OW Pilotprojekte Lernwerkstatt � � � � (�) 800.--<br />
SZ Berufspraktische Bildung Verkauf � � � � 1200.--<br />
VD Transition école-métier � � � 7000.--<br />
VS Coaching individuel (�) (�) (�) � 6000.--<br />
ZG Bildungsnetz Zug (�) (�) (�) � � 8500.--<br />
ZH Berufsattest Fahrzeugwart � � � � 800.--<br />
ZH BWS / Berufl. Grundbildung m. Attest � � � � � � 5000.--<br />
ZH Individ. Coaching in der Berufsbildung � � (�) � � 8000.--<br />
ZH Kompetenzzentrum TBZ � � � 700.--<br />
CH Logistikpraktiker � � � � 1000.--<br />
CH Milchpraktiker (�) � � (�) k. Ang.<br />
I<br />
Unter diesen Titeln finden Sie eine Kurzbeschreibung aller Projekte unter: http://www.sbbk.ch<br />
II<br />
gemäss Kapitel 4.4.1 – 4.4.3<br />
III<br />
„alle“ = alle Lernenden eines Segmentes werden erfasst; spez. Indikation = nur bei speziellen Situationen / Vorfällen<br />
IV<br />
LP + Ausbildun g = stufengemässe Qualifikation als Lehrperson + zusätzliche Ausbildung<br />
(FHS / HS = spezifische Ausbildung auf Fachhochschul- bzw. Hochschulniveau<br />
V<br />
i.d.R. Kostenschätzungen, gelegentlich umgeschlagen aufgrund von Angaben in Zeiteinheiten
•<br />
•<br />
•<br />
Ergebnisse des Rahmenprojektes<br />
7 Ergebnisse des Rahmenprojektes „Coaching in der Berufsbildung“ (Silvia Pool)<br />
Evaluationsauftrag<br />
Das Institut für Sonderpädagogik (Prof. W. Schley, lic. phil. Silvia Pool) wurde im Sommer 2001<br />
von der Bildungsdirektion des Kantons Zürich (MBA) beauftragt, das kantonale Projekt „Coaching<br />
in der Berufsbildung“ (LSB2-ZH-59) über die ganze Laufzeit 2001–2003 zu begleiten und zu<br />
evaluieren. Schwerpunkte der Untersuchung bilden drei Bereiche:<br />
1. Evaluation des Weiterbildungslehrgangs „Coaching“ (Pilotprojekt, 2001–2002)<br />
2. Beschreibung der verschiedenen, praktizierten Coachingmodelle entlang der Komponenten:<br />
Indikation, Form, Inhalt, Wirkung und Aufwand des jeweiligen Models<br />
3. Wirkungsanalyse der Coachingarbeit.<br />
Der Auftrag umfasste die Erarbeitung von Entscheidungsgrundlagen für die künftige Coachingpolitik<br />
und -finanzierung im Hinblick auf die Umsetzung des neuen Berufsbildungsgesetzes.<br />
Forschungszugang<br />
Die Erfahrungsgrundlage ergibt sich aus verschiedenartigen Zugängen zum Forschungsfeld, aus<br />
Tagungsbeiträgen und der Ergebnisspiegelung an Bilanzworkshops durch die Experten und<br />
Expertinnen aus dem Feld. Im Dialog mit den Personen im jeweiligen Forschungskontext wurden<br />
Sichtweisen und praktische Erfahrungen theoriegeleitet extrahiert, diskriminiert und kontextübergreifend<br />
in Beziehung gesetzt. Der Schlussbericht 19 bildet das Ergebnis eines Forschungsprozesses<br />
ab, der sich entlang der Leitfragen des Auftraggebers dem Forschungsgegenstand näherte und<br />
basierend auf Bezugstheorien die vor Ort geleistete Coachingpraxis untersuchte.<br />
Die Ergebnisse zu den Leitfragen der Evaluation wurden über das Einholen von Feedback aus verschiedenen<br />
Berufsbildungskontexten (Berufsfachschule, Berufswahlschule, Lehrbetrieb, professionelle<br />
Stütz- und Förderinitiativen) mehrperspektivisch und über die Projektzeit hinweg (Längsschnitt)<br />
abgesichert und erhärtet. Wir können demnach kurzfristige Effekte weitgehend ausschliessen<br />
und von einer soliden Ergebnisgrundlage ausgehen. Die Qualität der vorliegenden<br />
Argumentationsgrundlage für die zukünftige Coachingpolitik im Kanton Zürich ist folglich<br />
begründet im Feldzugang (Integration quantitativer und qualitativer Verfahren), am Längsschnittdesign<br />
der Untersuchung und dem Einbezug der relevanten Ausbildungsumgebung.<br />
Ergebnisse<br />
1. Coaching-Qualifikation<br />
Die befragten Lehrmeister und Lehrmeisterinnen, Berufsschullehrpersonen, Berufswahlschullehrpersonen<br />
und sozialpädagogisch tätige Coaches zeigen sich sowohl mit den Inhalten des<br />
Coaching-Lehrganges als auch mit der Organisation sowie der Methodik und Didaktik sehr<br />
19 Schley W., Pool S. 2004<br />
<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />
Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />
Kapitel 7<br />
51
52<br />
zufrieden. Die vermittelten Inhalte (Theorien, Modelle, Techniken, Methoden) sind in der Ausbildungspraxis<br />
einsetzbar und brauchbar. Dasselbe gilt für die Supervisionssitzungen, die als notwendig<br />
und unterstützend für die eigene Coachingpraxis beurteilt werden. Das kollegiale Team-<br />
Coaching hat die Professionalisierung der Teilnehmenden in den für das Coaching erforderlichen<br />
Teilkompetenzen sowie in der Klärung ihrer Coachingrolle massgeblich gefördert. Dies wurde von<br />
allen Teilnehmenden als massgebliche Unterstützung im persönlichen Lernprozess erlebt und wird<br />
als Form der Praxisbegleitung auch nach Abschluss der Ausbildung empfohlen.<br />
2. Coachingpraxis<br />
Die Kontextspezifität, d.h. die jeweils unterschiedlichen institutionellen und betrieblichen Rahmenbedingungen,<br />
prägen die Ausrichtung der Coachingpraxis:<br />
Berufsfachschule : Coaching ist eine Grundlage für die individuelle, fachspezifische und<br />
ressourcenorientierte Lernförderung.<br />
Berufswahlschule : Coaching ist ein Instrument zur Berufsintegration, zur Bewältigung<br />
von Laufbahnanforderungen sowie zur Krisenintervention.<br />
Lehrbetrieb : Coaching ist ein Führungsstil und -instrument in Krisensituationen<br />
und zur Personalentwicklung.<br />
Professionelles Coaching : Coaching ist eine handlungs-, aktions- und lösungsorientierte<br />
Beratungsform im Netzwerk der Berufsbildungspartner.<br />
3. Wirkungsanalyse<br />
Insgesamt schätzen die Coaches die Wirkungen ihrer Arbeit zufriedenstellend bis gut ein.<br />
Coaching entfaltet bei den Ausbildungsverantwortlichen seine stärksten Wirkungen im Bereich<br />
der Praxisunterstützung. Die Lehrpersonen und Lehrmeister/innen haben durch ihr Coaching-<br />
Know-how (Methoden und Techniken der Gesprächsführung, Arbeitsgestaltung und -begleitung)<br />
eine Methode an die Hand bekommen, die ein Reagieren auf An- und Herausforderungen der<br />
Berufsbildung ermöglicht. Bei den Lehrmeister/innen wirkt sich diese Tatsache positiv auf ihre<br />
Ausbildungsbereitschaft aus.<br />
Bei den jugendlichen Auszubildenden (Coachees) sind Wirkungen im Bereich der Erhöhung der<br />
Lern- und Leistungsmotivation sowie der Verbesserung der Lern- und Arbeitstechniken festzustellen.<br />
Durch die starke Handlungsorientierung des Ansatzes werden die Jugendlichen beim<br />
Lernen und Arbeiten im Betrieb und in der Schule massgeblich unterstützt.<br />
Insgesamt ist der Schluss zulässig, dass sich das Coachingkonzept für die individuelle Begleitung<br />
und Förderung der Jugendlichen sowohl in der Berufsfachschule, der Berufswahlschule als auch<br />
im Betrieb eignet und entsprechend der institutionellen und betrieblichen Rahmenbedingungen<br />
gezielt eingesetzt werden kann. Zusätzlich übernimmt Coaching eine Brückenfunktion zwischen<br />
den Ausbildungspartnern wenn es darum geht, gemeinsam und erfolgreich schwierige Ausbildungssituationen<br />
zu bewältigen.
Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Coachingkonzept flexibel und bei unterschiedlichen<br />
Bedürfnissen zum Einsatz gelangen kann und zwar mit dem Ergebnis eines dreifachen Gewinns:<br />
– Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung auf Seite der Auszubildenden<br />
– Praxisunterstützung und Professionalisierung auf Seite der Ausbildnerinnen und Ausbildner<br />
– Vernetzung der Ausbildungspartner/innen.<br />
•<br />
Schlussfolgerungen<br />
Die Coachinginitiativen im Kanton Zürich repräsentieren die Pilot- oder Pionierphase der Umsetzung<br />
eines neuen pädagogischen Handlungskonzeptes, das aufgrund der Einfachheit, Unmittelbarkeit<br />
und Umsetzbarkeit ein interessantes, hochwertiges und effizientes Mittel zur Bewältigung<br />
anstehender Entwicklungsaufgaben der Berufsbildung darstellt. Die vom Auftraggeber an uns<br />
herangetragenen Fragestellungen und formulierten Erwartungen konnten durch die Evaluationsergebnisse<br />
eindeutig und differenziert beantwortet werden. Das Datenmaterial wurde durch die<br />
Mehrstufigkeit des Vorgehens, durch die inhaltsanalytische Konsistenzprüfung der Interviews und<br />
die kommunikative Validierung der Daten qualitativ gesichert.<br />
Coaching ist damit ein geeigneter Weg, die jugendlichen Auszubildenden in ihrer Partizipation am<br />
Berufsleben zu unterstützen. Pädagogische Methoden haben selten einen so unmittelbaren<br />
Handlungsbezug und wirken dementsprechend motivierend auf die Akteure zurück. Über<br />
Coaching werden Lern- und Arbeitsstrategien erworben, die direkt in den Betriebsalltag transferiert<br />
und dort leistungswirksam werden können. Den hohen Unterstützungsgrad, den sowohl die<br />
Coaches wie auch ihre Berufsbildungspartner dem Coaching attestieren, schafft bei den Lehrmeister/<br />
-innen wie auch bei den Auszubildenden wichtige Voraussetzungen für das life-long Learning.<br />
Die Bezeichnung dieser Methode als „Coaching“ ist dabei nachgeordnet. Sie kann auch als Lernberatung<br />
oder individuelle Lernbegleitung benannt werden. Entscheidend sind die Handlungsform,<br />
die fachspezifische Kontextfokussierung und die dazu notwendige Haltung einer dialogorientierten<br />
Arbeitsweise mit transformationaler Kommunikation. Diese ist von der Überzeugung<br />
getragen, dass Zutrauen und Selbstvertrauen sich bedingen, dass sich Ambivalenzen im Handeln<br />
durch Potenzialerkennung und Zuschreibung auflösen lassen. Dies im Medium der natürlichen<br />
Kommunikation, die auch Bestätigung für die adoleszente Rollenentwicklung enthält.<br />
Ergebnisse<br />
53
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Literaturverzeichnis<br />
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Lernbegleitung – Lernberatung – Coaching. Zollikofen 2003(b)<br />
Grigo J., Wettstein E.: Entlastung der Lehrmeister. Berufsbildungsprojekte Wettstein, Zürich 2003<br />
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Bern 2000(a)<br />
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2000(b)<br />
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Visionen, theoretische Erklärungen und empirische Untersuchungen zur Wirkung integrierender<br />
und separierender Schulformen in den Grundschuljahren. Haupt, Bern, Stuttgart und Wien 2000<br />
Müller R.: Die ausländischen Jugendlichen auf der Sekundarstufe II: Probleme – Bildungsbeteiligung<br />
– Anspruchsniveaus – Massnahmen. In: SIBP-Schriftenreihe Nr. 12, Integration oder Re-Integration,<br />
Zollikofen 2001
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Nodari C.: Was heisst eigentlich Sprachkompetenz? In: SIBP-Schriftenreihe Nr. 18, Barriere<br />
Sprachkompetenz, Zollikofen 2002<br />
Pallasch W., Simon R.: Professionelles Coaching im Schulbereich. In: Journal für Schulentwicklung<br />
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Scharnhorst U.: Lernberatung – individuelle Unterstützung auf dem Weg zum selbstgesteuerten<br />
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SIBP (Hrsg.): Lernbegleitung – Lernberatung – Coaching. Schriftenreihe Nr. 21, Zollikofen 2003<br />
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Literaturverzeichnis