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<strong>Leitfaden</strong><br />

für die fachkundige individuelle Begleitung<br />

Zweijährige berufliche Grundbildung mit Attest<br />

Juni / Juin 2004<br />

<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />

Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT


<strong>Leitfaden</strong> für die fachkundige individuelle Begleitung<br />

Zweijährige berufliche Grundbildung mit Attest<br />

Ein Projekt der <strong>SBBK</strong> im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />

Guide de l'encadrement individuel spécialisé<br />

Formation professionnelle initiale de deux ans avec attestation<br />

Un projet de la <strong>CSFP</strong> dans le cadre du 2ème arrêté sur les places d'apprentissage / OFFT<br />

Impressum<br />

Herausgeber/Editeur <strong>DBK</strong>, im Auftrag der <strong>SBBK</strong> /de la part de la <strong>CSFP</strong><br />

Bezugsquelle/Référence <strong>DBK</strong> Deutschschweizerische Berufsbildungsämter-Konferenz<br />

Gütschstrasse 6, 6000 Luzern 7<br />

Tel. 041 248 50 60, Fax 041 248 50 51<br />

www.dbk.ch verlag@dbk.ch<br />

Autoren/Auteurs Georges Kübler, Mittelschul- und Berufsbildungsamt, Zürich<br />

Andreas Grassi, Schweiz. Institut für Berufspädagogik, Zollikofen<br />

Beiträge von/<br />

Contributions de Matthias Buzzi, Thomas Diener, Peter Jung, Peter Ming, Silvia Pool<br />

Projektleitung/<br />

Direction du projet Peter Knutti, <strong>DBK</strong> Deutschschweizerische<br />

Berufsbildungsämter-Konferenz, Luzern<br />

Übersetzung/Traduction Christine Kübler<br />

Layout DK Design GmbH, Zürich<br />

Druck/Imprimerie von Ah Druck AG, Sarnen<br />

ISBN 3-905406-22-5<br />

Georges Kübler, Mittelschul- und Berufsbildungsamt, Zürich<br />

Jean-François Meylan, Président, Service de la formation<br />

professionnelle, Vaud<br />

Peter Ming, Berufs- und Weiterbildungs-Zentrum Obwalden, Giswil<br />

Copyright <strong>SBBK</strong>/<strong>CSFP</strong>, Bern/Berne, 2004


Einleitung<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 Ausgangslage 5<br />

1.1 Ökonomisch-soziale Entwicklungen in der Berufsbildung 5<br />

1.2 Bildungsbenachteiligung 5<br />

1.3 Folgerungen für die berufliche Grundbildung 6<br />

1.4 Gesetzliche Grundlagen 7<br />

2 Zielgruppe: Personen mit Lernschwierigkeiten 8<br />

2.1 Lernschwierigkeiten als Lernhemmungen verstehen 8<br />

2.2 Äussere Ursachen für Lernhemmungen 9<br />

2.3 Lernerseitige Ursachen für Lernhemmungen 10<br />

2.4 Variablen des Lernvorgangs und Gefährdungen 11<br />

2.5 Folgerungen 12<br />

3 Herausforderungen für die Berufsbildung 14<br />

3.1 Optimierungen auf der Ebene des Bildungssystems 14<br />

3.2 Optimierungen auf der strukturellen Ebene 14<br />

3.3 Abbau von Lernhemmungen auf der pädagogischen Ebene 14<br />

4 Fachkundige individuelle Begleitung 15<br />

4.1 Konkretisierung des gesetzlichen Auftrags 15<br />

4.2 Einordnung im Umfeld bekannter Konzepte 15<br />

4.3 Anspruchsberechtigung und Zuständigkeiten 16<br />

4.4 Ausprägungen 18<br />

4.4.1 Schulische Begleitung 18<br />

4.4.2 Sozialpädagogische Begleitung 20<br />

4.4.3 Begleitung im betrieblichen Kontext 22


4.5 Wirkungskontrolle 25<br />

4.5.1 Prämissen der Wirkungserforschung 25<br />

4.5.2 Methoden und Verfahren der Wirkungskontrolle im Bereich Lernförderung 26<br />

4.6 Regelungsbedarf im Überblick 27<br />

5 Grundsätze und Konkretisierungen für die Umsetzung 29<br />

6 Ausgewählte Beispiele 34<br />

6.1 Coaching und Lernförderung in der Berufsfachschule (TBZ) 34<br />

6.1.1 Beschreibung 34<br />

6.1.2 Bezug zu den Grundsätzen 35<br />

6.1.3 Ausblick 36<br />

6.2 Integrale Förderung in der Lernwerkstatt 37<br />

6.2.1 Beschreibung 37<br />

6.2.2 Bezug zu den Grundsätzen 38<br />

6.3 Individuelles Coaching in der Berufsbildung (Verein Job) 40<br />

6.3.1 Beschreibung 40<br />

6.3.2 Bezug zu den Grundsätzen 42<br />

6.4 Ausbildungsverbund mit Coaching (Bildungsnetz Zug) 43<br />

6.4.1 Beschreibung 43<br />

6.4.2 Bezug zu den Grundsätzen 45<br />

6.5 Betreuung durch betriebliche Sozialberatung (Logistikpraktikerin/-praktiker) 47<br />

6.5.1 Beschreibung 47<br />

6.5.2 Bezug zu den Grundsätzen 48<br />

6.5.3 Ausblick 49<br />

6.6 Übersicht über 18 Projekte 50<br />

7 Ergebnisse aus dem Rahmenprojekt „Coaching in der Berufsbildung“ 51<br />

Literaturverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis


Einleitung<br />

Das Berufsbildungsgesetz vom 13. Dezember 2002 begründet mit der zweijährigen beruflichen<br />

Grundbildung mit Attestabschluss einen neuen Ausbildungstyp. Damit die Lernenden den<br />

standardisierten Abschluss erreichen, ist eine fachkundige individuelle Begleitung von Personen<br />

mit Lernschwierigkeiten vorgesehen.<br />

Dieser <strong>Leitfaden</strong> leuchtet aus, wie die bislang unbekannte Massnahme der fachkundigen individuellen<br />

Begleitung ausgestaltet werden kann und welches ihr Beitrag sein könnte, um den<br />

Lernenden in der Attestausbildung zum Erfolg zu verhelfen.<br />

Im <strong>Leitfaden</strong> sollen Erfahrungen aus den Pilotprojekten gebündelt und mittels Illustrationsbeispielen<br />

veranschaulicht werden.<br />

Der <strong>Leitfaden</strong> liefert den Kantonen und den Ausbildungsverantwortlichen die Grundlage für die<br />

Umsetzung. Das Ziel ist, eine national vergleichbare Praxis zu erreichen ohne in die Entscheidungshoheit<br />

der Kantone einzugreifen.<br />

Die vorliegende Dokumentation ist das Resultat vielfältiger Kooperationen. Fachleute der Bildungsentwicklung,<br />

der berufspädagogischen Praxis und Forschung, Projektverantwortliche und<br />

Vertreterinnen und Vertreter der Bildungsadministration haben in allen Phasen von der Konzipierung<br />

bis zur Schlussredaktion beigetragen. Die Grundsätze der fachkundigen individuellen Begleitung<br />

– das Kapitel 5 – sind in enger Zusammenarbeit mit Delegierten aller Kantone erarbeitet und<br />

in der Schlussveranstaltung am 12. März 2004 verabschiedet worden.<br />

Zu den einzelnen Kapiteln<br />

– Kapitel 1 zeigt einen kurzen Aufriss des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontextes, in<br />

dem die Berufsbildung für Leistungsschwächere steht.<br />

– Kapitel 2 beleuchtet einige zentrale Variablen von Lernschwierigkeiten und zeigt, dass<br />

pädagogische Wege aus der Versagerspirale führen.<br />

– In Kapitel 3 wird auf dem Hintergrund von drei Handlungsebenen die pädagogische als<br />

diejenige der fachkundigen individuellen Begleitung herausgeschält.<br />

– In Kapitel 4 werden die fachkundige individuelle Begleitung als solche und drei<br />

Ausprägungsformen beschrieben.<br />

– Das 5. Kapitel enthält die konsensual erarbeiteten Grundsätze und konkretisiert eine Reihe<br />

von darauf abgestimmten Umsetzungsvorschlägen.<br />

– Kapitel 6 enthält Illustrationsbeispiele, beschrieben von Projektverantwortlichen und eine<br />

Übersicht über 18 Projekte.<br />

– Kapitel 7 beinhaltet das Resümee der wissenschaftlichen Evaluation des Rahmenprojekts<br />

Coaching aus dem Kanton Zürich.


1 Ausgangslage<br />

1.1 Ökonomisch-soziale Entwicklungen in der Berufsbildung<br />

Ausgangslage<br />

Die Anforderungen an die berufliche Grundbildung sind in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren<br />

gestiegen. Die Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger am unteren Ende der schulischen<br />

Leistungsskala, die dem Risiko ausgesetzt ist, vom beruflichen Qualifikationssystem ausgeschlossen<br />

zu werden, wird grösser – und zwar systembedingt und nicht weil die Schule oder die Jugendlichen<br />

selber versagen. Die Nachfrage der Wirtschaft verschiebt sich stetig in Richtung höherer<br />

Qualifikationen zu Lasten der an- und ungelernten Arbeitskräfte (vgl. von Arx, Hollenstein,<br />

2003, 49). Diverse Beispiele zeigen, dass bei Umstrukturierungen von Ausbildungen dies häufig<br />

auf Kosten von intellektuell weniger anspruchsvollen geht (Swissmem-Berufe, KV-Reform,<br />

Verkauf). Dazu kommen im Zuge der langfristigen Verlagerung von der Produktions- zur Dienstleistungswirtschaft<br />

weitere Verluste von Arbeits- und Ausbildungsplätzen im industriellen und<br />

gewerblichen Sektor.<br />

Zusätzlich zu solch strukturellen kommen in Phasen mit flauer Wirtschaftslage noch konjunkturell<br />

bedingte Verluste von Ausbildungsplätzen, was dazu führt, dass sich Leistungsstärkere um handwerkliche<br />

Lehrstellen bewerben (Verdrängungseffekt). Abgebaute und wegrationalisierte Ausbildungsplätze<br />

bleiben für länger verschwunden.<br />

Neu gegründete Firmen sind aus folgenden Gründen eher zurückhaltend in der Lehrlingsausbildung:<br />

Fehlende Tradition, wenig ausgeprägtes Standesbewusstsein, geringe Kenntnisse des Berufsbildungssystems<br />

etc. Fazit all dieser Entwicklungen ist, dass die Leistungsschwächeren am stärksten<br />

betroffen sind, wenn Ausbildungsplätze vorübergehend oder dauerhaft verloren gehen. Wissen<br />

und Kompetenzen gelten als Schlüssel für die Zukunft, ungenügende Ausbildungen und fehlende<br />

Abschlüsse führen dagegen immer häufiger zu beruflichem Abstieg und sozialer Ausgrenzung.<br />

1.2 Bildungsbenachteiligung<br />

Die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen sind stark vom sozialen Status ihrer Familie, das<br />

heisst von der Schichtzugehörigkeit und der ethnischen Herkunft bestimmt.<br />

Dafür gibt es zahlreiche wissenschaftliche Belege, die Resultate verschiedener Untersuchungen 1<br />

führen uns immer wieder vor Augen, wie früh diese Chancenverteilung einsetzt und wie wenig<br />

unser Bildungssystem derartigen Zuweisungsprozessen aufgrund individueller Merkmale entgegenzusetzen<br />

hat. An dieser Stelle soll nicht die unfruchtbare Schuldzuweisung an die vorausgehende<br />

Schulstufe das Thema sein, sondern die Benachteiligungen, die im Schnittbereich von Bildungsund<br />

Beschäftigungssystem entstehen, eine Ressourcenverschwendung, die auch volkswirtschaftlich<br />

fragwürdig ist.<br />

Längst belegt ist, dass Schichtzugehörigkeit und Migrationshintergrund sich negativ auf die<br />

Bildungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen auswirken. In der Sekundarstufe I sind<br />

Ausländerkinder, speziell solche aus den einschlägig bekannten Ländern, klar übervertreten in den<br />

Typen mit tiefem Anforderungsprofil, in den Klassen mit Sonderunterricht sowie in Sonderschulen<br />

(vgl. EDK, 2000a, 17).<br />

1 BfS und EDK 2000; Kronig W. et al. 2000; Müller R. 2001<br />

<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />

Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />

Kapitel 1<br />

5


6<br />

Nach der obligatorischen Schulzeit verstärkt sich diese ungleiche Bildungsbeteilung noch. Bei<br />

gewissen Nationalitäten absolvieren mehr als zwei Drittel keine Ausbildung auf Niveau Sekundarstufe<br />

II (vgl. R. Müller 2001). Dagegen werden Brückenangebote von aussergewöhnlich vielen<br />

Jugendlichen mit Migrationshintergrund besucht, während sie in der Mittelschule untervertreten<br />

sind. Sie haben ausserdem mehr Mühe, eine Lehrstelle zu finden (vgl. Gattiker, 2003, 41). Der<br />

Schluss liegt nahe, dass unser Bildungswesen noch nicht ausreichend auf die Bedürfnisse einer<br />

heterogenen Gesellschaft ausgerichtet ist.<br />

Strukturwandel in der Wirtschaft, konjunkturelle Krisen und Änderungen der Unternehmensphilosophie<br />

beeinflussen sehr kurzfristig die Bereitschaft der Wirtschaft, Ausbildungsplätze zur<br />

Verfügung zu stellen. Produktivitäts- und Kostendruck, angespannte Arbeitsmärkte, Wandel und<br />

Auflösung traditioneller Berufsidentitäten verstärken diese Entwicklungen. Unter dem Strich führt<br />

all das zu einer Verschlechterung der Ausbildungschancen für Jugendliche mit ungünstigen individuellen<br />

Voraussetzungen. Dazu gehören etwa: tiefer Sozialstatus (bildungsferne Schicht, prekäre<br />

Familiensituation, ...), schulische Vorbildung, biologische Voraussetzungen (z. B. eine körperliche<br />

Behinderung), das Geschlecht, die ethnische oder nationale Herkunft.<br />

1.3 Folgerungen für die berufliche Grundbildung<br />

Berufliche Integration durch Erkennen und Ausschöpfen von Begabungsreserven ist ein wesentlicher<br />

Beitrag zu sozialer Stabilität und wirtschaftlicher Entwicklung unseres Landes. Auf der Ertragsseite<br />

stehen gesteigerte Produktivität, auf der Aufwandseite schlagen die Einsparungen für Prävention,<br />

für Auffang- und Resozialisierungsmassnahmen, evtl. auch für Therapie- und Verwahrungskosten<br />

zu Buche. Volkswirtschaftlich und sozialpolitisch ist es notwendig, die Ausbildungsmöglichkeiten<br />

zu verbessern für Personen mit den oben genannten ungünstigen Voraussetzungen, mit abgebrochener<br />

Ausbildung oder für Niedrigqualifizierte. Das Ziel muss heissen, bestmögliche Bildung<br />

für alle anzustreben, um die vorhandenen Begabungspotenziale im Interesse der Jugendlichen wie<br />

der Wirtschaft auszuschöpfen. Damit dies gelingt, brauchen wir eine Palette von unterschiedlichen<br />

Bildungsangeboten und ein leistungsfähiges System von Passerellen (vgl. EDK, 2000b, 134).<br />

Das Bildungsangebot muss so ausgerichtet sein, dass es den Interessen, den Fähigkeiten und den<br />

Lernstilen aller Jugendlichen entspricht (vgl. ebd., 141) und Durchlässigkeit in weiterführende<br />

Ausbildungsgänge garantiert. Mit der beruflichen Grundbildung mit Berufsattest wurde ein Ausbildungsgefäss<br />

geschaffen, das diesen Erfordernissen entspricht. Die fachkundige individuelle<br />

Begleitung ist der weitsichtige Zusatz des Gesetzgebers, damit das neue Ausbildungsmodell sein<br />

Ziel erreicht: Der Chancengleichheit ein Stück näher kommen.


1.4 Gesetzliche Grundlagen<br />

Bundesgesetz über die Berufsbildung (BBG) vom 13. Dezember 2002<br />

Art.18 Berücksichtigung individueller Bedürfnisse<br />

2. Der Bundesrat erlässt besondere Bestimmungen über die fachkundige individuelle Begleitung<br />

von Personen mit Lernschwierigkeiten in zweijährigen beruflichen Grundbildungen.<br />

3. Der Bund kann die fachkundige individuelle Begleitung fördern.<br />

Verordnung über die Berufsbildung (BBV) vom 19. November 2003<br />

Art. 10 Besondere Anforderungen an die zweijährige Grundbildung<br />

1. Die zweijährige Grundbildung vermittelt im Vergleich zu den drei- und vierjährigen<br />

Grundbildungen spezifische und einfachere berufliche Qualifikationen. Sie trägt den<br />

individuellen Voraussetzungen der Lernenden mit einem besonders differenzierten<br />

Lernangebot und angepasster Didaktik Rechnung.<br />

4. Ist der Bildungserfolg gefährdet, so entscheidet die kantonale Behörde nach Anhörung der<br />

lernenden Person und der Anbieter der Bildung über eine fachkundige individuelle<br />

Begleitung.<br />

5. Die fachkundige individuelle Begleitung umfasst nicht nur schulische, sondern sämtliche<br />

bildungsrelevanten Aspekte im Umfeld der lernenden Person.<br />

Art. 40 Berufsbildungsverantwortliche in der beruflichen Grundbildung<br />

1. Wer eine praktische oder schulische Lehrtätigkeit in der beruflichen Grundbildung ausübt,<br />

verfügt über eine Bildung, die den Mindestanforderungen nach den Art. 44–47 dieser<br />

Verordnung entspricht. ...<br />

4. Für die Bildung in bestimmten Berufen können über die Mindestanforderungen nach dieser<br />

Verordnung hinausgehende Anforderungen aufgestellt werden. Diese sind in den massgebenden<br />

Bildungsverordnungen festgelegt.<br />

Ausgangslage<br />

7


8<br />

2 Zielgruppe: Personen mit Lernschwierigkeiten<br />

Zielgruppe: Personen mit Lernschwierigkeiten<br />

Das ab 2004 gültige Berufsbildungsgesetz sieht für die zweijährige berufliche Grundbildung eine<br />

„fachkundige individuelle Begleitung von Personen mit Lernschwierigkeiten“ vor (BBG Art. 19,<br />

Abs. 2). Wir werden an diesem gesetzlich verankerten Begriff festhalten, möchten aber in diesem<br />

zweiten Kapitel aufzeigen, dass „Lernschwierigkeiten“ aus pädagogischer Sicht ein wenig ergiebiger<br />

Terminus ist, da er ein statisches Persönlichkeitsmerkmal bezeichnet.<br />

2.1 Lernschwierigkeiten als Lernhemmungen verstehen<br />

Der Begriff „Personen mit Lernschwierigkeiten“ legt nahe, dass Personen entweder Lernschwierigkeiten<br />

haben oder sie haben keine. Die Lernschwierigkeit wird dadurch zu einer Eigenschaft der Person.<br />

Mit dem Blick auf Entwicklungsoptionen könnte man dann die Fragen stellen:<br />

Hat jemand Lernschwierigkeiten als persönliche Eigenschaft – und ist das ein unabänderlicher<br />

Tatbestand? Oder kann man sich der Lernschwierigkeiten entledigen und heisst das, dass man<br />

diese ein für allemal überwunden hat? Oder ist es nur so, dass gewisse Menschen häufig den<br />

Zustand wechseln, das heisst Träger, Nichtträger, erneute Träger von Lernschwierigkeiten sind?<br />

In dieser zugegebenerweise leicht absurden Zuspitzung wird eines klar:<br />

Lernschwierigkeiten als personale Eigenschaft aufzufassen ist allenfalls ein geeigneter Ansatz, um<br />

wissenschaftliche Kategorien abzuleiten mit dem Ziel zu systematisieren, z.B. nach Ursachen,<br />

nach Schwere, nach Behandlungskonzepten usw. Er führt aber kaum zu Erkenntnissen, die dazu<br />

dienen, im Laufe einer befristeten Ausbildungszeit den Lernerfolg zu steigern.<br />

Auch in der Heilpädagogik hat ein lange, international geführte Diskussion rund um die Revision<br />

der Klassifikationen bei den Behinderungen zur Einsicht geführt, dass man Lernschwierigkeiten<br />

«nicht als stabile Eigenschaft der betroffenen Person sehen will, sondern als Umschreibung einer<br />

Situation, in welcher sich die Funktionsfähigkeit und Behinderung eines Menschen manifestiert» 2 .<br />

Analog dieser Entwicklung und mit der folgenden Begründung sprechen wir von Lernhemmungen<br />

statt von Lernschwierigkeiten.<br />

Die Ursachen von „Lernschwierigkeiten“ können grundsätzlich in den gestellten Anforderungen<br />

bzw. den erwarteten Leistungen liegen als auch in den noch zu wenig ausgebildeten Kompetenzen<br />

der Lernenden. Statt auf die lernende Person zu zielen, der als Symptomträger im Unterschied zu<br />

„Normalbegabten“ ein Makel anhaftet, soll der Prozess des (misslungenen) Lernens ins Zentrum<br />

gerückt werden. Diese pädagogisch fruchtbarere Betrachtungsweise richtet das Augenmerk auf<br />

die Folgen der fehlenden Übereinstimmung zwischen gesellschaftlichen Lern- und Leistungsansprüchen<br />

und individuellem Leistungsstand. Zwar ist nach dem Kognitionspsychologen Wygotsky<br />

Lernen in der „Zone der nächsten Entwicklung“ günstig für die intellektuelle Entwicklung. Das<br />

heisst Lernen an „Aufgabestellungen, die die Lernenden allein noch nicht bewältigen können,<br />

sondern auf Anleitung und Unterstützung von kompetenteren Erwachsenen oder Peers angewiesen<br />

sind“ 3 . Wenn das Mass der „Überforderung“ nicht sehr sorgfältig und die Balance zwischen<br />

selbstgesteuertem und angeleitetem Lernen nicht optimal gefunden werden, öffnet sich hier eine<br />

wahre Produktionsstätte von Lernhemmungen. Damit rückt die pädagogische Diagnostik und die<br />

daran anknüpfende Didaktik ins Blickfeld (vgl. unten „Ursachen im Unterricht“).<br />

2 Hollenweger J. 2003<br />

3 Scharnhorst U. 2003


Wir teilen die Ansicht von J. Hauschildt 4 , dass der Terminus „Lernhemmungen“ weit besser geeignet<br />

ist, pädagogische Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. „Lernhemmungen“ gehören zu jedem<br />

Lernprozess. Der Begriff macht vorerst deutlich, dass der Lernerfolg nicht ohne Hindernisse, d.h.<br />

ohne das Überwinden von „Lernwiderständen“, zu erreichen ist. Der Begriff drückt die Diskrepanz<br />

zwischen Lern- und Leistungsansprüchen, die an Lernende gestellt werden einerseits und<br />

der subjektiven Lernleistung der lernenden Person anderseits aus. Da die optimale Passung der<br />

Aufgabenschwierigkeit mit den individuellen Leistungsvoraussetzungen ein schwer zu erreichendes<br />

Ziel ist, müssen wir davon ausgehen, dass sehr viele Lernprozesse temporär, d.h. während einer<br />

gewissen Zeit erschwert sein können. So betrachtet sind „Lernhemmungen“ der Normalfall. Sie<br />

tauchen bei allen mehr oder weniger ausgeprägt auf und sind auch immer wieder überwindbar.<br />

Jeder kleine Erfolg nach Überwindung einer Lernhemmung ist Antrieb für die nächste.<br />

Das ist eine zentrale Gesetzmässigkeit von Lernen. Gestützt auf diese Erkenntnis kann die fachkundige<br />

individuelle Begleitung einen Beitrag leisten, indem sie dort ansetzt, wo Lernprozesse<br />

durch mannigfaltige Einflüsse „gehemmt“ sind. Wenn das Hemmnis erkannt und bearbeitet wird,<br />

wenn geeignete Instrumente und Verfahren zur Verfügung stehen, kann der ins Stocken geratene<br />

Lernprozess wieder zum „Fliessen“ gebracht werden, sind Lernfortschritte wieder möglich.<br />

2.2 Äussere Ursachen für Lernhemmungen<br />

Unter diesen Titel fallen<br />

a. systemisch gesellschaftliche Ursachen<br />

b. Ursachen im Unterricht<br />

•<br />

a. systemisch gesellschaftliche Ursachen<br />

Als Bedingungsfaktoren für Lernhemmungen seien hier beispielhaft dargestellt: steigende Anforderungen,<br />

Verschiebung der Referenzwerte und kulturell-sprachliche Einflüsse.<br />

Steigende Anforderungen<br />

Die Lernenden sehen sich immer komplexeren Anforderungen gegenüber, eine Entwicklung, die<br />

langjährige Ausbildnerinnen und Ausbildner in Betrieb und Schule nur zum Teil wahrnehmen.<br />

Daraus resultiert die oft gehörte Klage, die Lernenden würden immer „dümmer“, das heisst sie<br />

brächten von Jahr zu Jahr weniger Kompetenzen mit, um die Lern- und Leistungsanforderungen<br />

zu bewältigen. Im Unterschied zu solchen Pauschalurteilen sind die Gesetzmässigkeiten der sich<br />

verschärfenden Anforderungen bei Reformen und Systemwechseln belegbar (vgl. Kap 1).<br />

Verschiebung der Referenzwerte<br />

Auf die zunehmende Verknappung der Ausbildungsmöglichkeiten und den Verdrängungseffekt<br />

haben wir ebenfalls hingewiesen (Kap. 1). Wenn das Angebot an theorieentlasteten Ausbildungsmöglichkeiten<br />

kleiner wird bei gleich bleibender Nachfrage entsteht mehr Selektionsdruck.<br />

Die Betriebe können ihre Lehrlinge vermehrt auswählen. Eines der ersten Kriterien ist dabei das<br />

schulische Leistungsvermögen. Mit höheren Quoten von mittelmässigen bis guten Schulabgängern<br />

in „einfachen“ Berufen verschieben sich die Referenzwerte in den Klassen, das heisst die Mängel<br />

und „Schwierigkeiten“ der Schwächeren sind zwar nicht grösser geworden aber offenkundiger.<br />

4 Hauschildt J. 1998<br />

<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />

Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />

Kapitel 2<br />

9


10<br />

•<br />

Kulturell-sprachliche Einflüsse<br />

Eltern und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind oft wenig über Inhalt und Stellenwert der<br />

schweizerischen Berufsbildung informiert. Das Elternhaus nimmt die Bedeutung einer beruflichen<br />

Grundausbildung anders wahr als die einheimische Bevölkerung und kann den Jugendlichen deshalb<br />

oft nicht die nötige Unterstützung beim Berufsfindungsprozess geben. Unbeholfenheit,<br />

Hilflosigkeit, unrealistische „Beratungen“ bei der Lehrstellensuche und in der Berufsausbildung<br />

sind die Folgen. Hinzu kommt, dass Anbieter von Lehrstellen oft gewollt oder ungewollt diskriminierend<br />

auswählen aus der Befürchtung, Jugendliche mit nicht deutscher Muttersprache hätten<br />

automatisch mehr Lernprobleme.<br />

b. Ursachen im Unterricht<br />

Eine kritische Prüfung der schulischen Anforderungen der Berufsfachschule zeigt, dass Lehrplanrevisionen<br />

oft zur Ausdehnung der Stoffgebiete führen statt zu einer Straffung und Verwesentlichung<br />

des Lernangebots. Die Stofffülle verleitet zu unvollendeten Lernprozessen, d.h. die Zeit zum<br />

Üben, Festigen und Vertiefen des Lernstoffes fehlt. Oft geht dabei auch die Trennschärfe verloren<br />

zwischen Inhalten der Grundausbildung und weiterführenden Bildungsangeboten.<br />

Zudem beeinflussen reale oder vermeintliche Prüfungsanforderungen den Unterricht mehr als<br />

Lehrplan- und Curriculumvorgaben. Lehrpläne werden zunehmend nicht mehr als Richtschnur<br />

unterrichtlichen Handelns, sondern als ultimativ zu erfüllende Stoffkataloge aufgefasst und die<br />

Gefahr, dass Maximal- statt Minimalziele anvisiert werden, lauert in jeder Curriculumrevision. Die<br />

Fixierung auf Standardvorgaben verstellt den Blick auf individuelle Lernvoraussetzungen und<br />

differenzierte Lernwege. Die Orientierung an Maximalzielen begünstigt eine zu einseitige Ausrichtung<br />

des Unterrichts auf die erfolgreich Lernenden.<br />

Lernhemmungen sind nicht selten auch die Folge methodisch-didaktischer Mängel, von pädagogischen<br />

bzw. psychologischen Fehlleistungen oder von ungünstigen Lernsituationen wie räumliche,<br />

zeitliche Einflüsse, Störpotentiale etc. Statt hier ins Detail zu gehen begnügen wir uns damit, das<br />

oft zitierte aber noch keineswegs selbstverständliche Rezept gegen solch hausgemachte Lernhemmungen<br />

zu wiederholen: Für die Ausbildung von Bildungsbenachteiligten braucht es die<br />

pädagogisch-didaktisch bestqualifizierten Lehrpersonen. Die Schulen und Kantone müssten diese<br />

Forderung konsequent umsetzen mit entsprechenden Anforderungsprofilen, Anstellungsbedingungen<br />

und geeigneter Personalplanung. Spezifische, stufengerechte Weiterbildungen werden<br />

angeboten, zum Beispiel die Attest- und Zertifikatsausbildungen des SIBP.<br />

2.3 Lernerseitige Ursachen für Lernhemmungen<br />

Mangels einheitlicher wissenschaftlicher Definition der Begriffe Lernhemmungen und Lernschwierigkeiten<br />

bedienen wir uns der Unterteilung in allgemeine Lernschwäche (sogenannte slow<br />

learners) und in spezifische Lernschwierigkeiten (sogenannte learning disabilities).<br />

•<br />

a. allgemeine Lernschwäche<br />

Lernschwierigkeiten betreffen elementare Prozesse, die am mündlichen oder schriftlichen Verstehen


•<br />

oder Verwenden von Sprache beteiligt sind. Sie äussern sich in einer verminderten Fähigkeit<br />

zuzuhören, zu sprechen, zu lesen, zu schreiben und zu rechnen (zit. nach Borkowski & Day 1987).<br />

Dabei sind alle schulischen Lernprozesse betroffen, d.h. das Lernen ist generell verlangsamt oder<br />

eingeschränkt.<br />

b. spezifische Lernschwierigkeiten (sogenannte learning disabilities)<br />

Lernschwierigkeiten beeinträchtigen den Erwerb, die Organisation, die Speicherung und das Verständnis<br />

verbaler und non-verbaler Information; sie beeinträchtigen den Erwerb und Gebrauch<br />

der mündlichen Sprache, des Lesens, des Schreibens und der Mathematik. Sie können auch beteiligt<br />

sein bei Schwierigkeiten in der sozialen Wahrnehmung und Interaktion. Sie sind bedingt durch<br />

eine Schwäche oder Veränderung von Prozessen, die an der Wahrnehmung, dem Denken, dem<br />

Gedächtnis oder dem Lernen beteiligt sind. Dazu gehören sprachliche, phonologische, visuellräumliche<br />

Verarbeitung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, exekutive Funktionen. Dabei liegen zumindest<br />

durchschnittlich allgemeine intellektuelle Fähigkeiten vor (Learning Disabilities Association of<br />

Canada, 2002).<br />

Unabhängiges, selbst gesteuertes Lernen ist nur eingeschränkt möglich, da wichtige Faktoren das<br />

Gelingen des Lernprozesses beeinträchtigen. Neben den geringen Vorwissensbeständen können<br />

die Faktoren, die erfolgreiches Lernen ermöglichen, in drei grössere Gruppen eingeteilt werden:<br />

– motivational-emotionale Faktoren<br />

– metakognitive Faktoren<br />

– kognitive Faktoren.<br />

2.4 Variablen des Lernvorgangs und Gefährdungen<br />

Lernen ist ein komplexer und vielfältiger, aber auch vielfach gefährdeter Prozess. Wir beschränken<br />

uns im Folgenden auf kognitives Lernen, das heisst auf bewusste, zielorientierte Lernvorgänge<br />

und kümmern uns nicht darum, ob es auch andere Facetten von Lernen gibt und welche. Wenn<br />

in der knappen Darstellung der kognitiven Bedingungsfaktoren beim Lernen 5 immer auf die<br />

Gefahrenstellen hingewiesen wird, heisst das nicht, dass Bearbeitung der Lernhemmungen mit<br />

Bearbeitung von Defiziten gleichzusetzen ist. Ganz im Gegenteil, erfolgreiche Lernförderung<br />

unterstützt mindestens so stark die vorhandenen Ressourcen wie sie versucht, die Mängel zu<br />

beheben.<br />

Am Anfang des zielbezogenen Lernens steht ein Antrieb, die Motivation. „Motivation<br />

bezeichnet diejenigen psychischen Prozesse, die die Einleitung und Aufrechterhaltung zielbezogenen<br />

Handelns leisten“ (Ziegler, 1999). Teilt man zielbezogenes Handeln in die vier Phasen Abwägephase/<br />

Handlungsplanung/Handlungsausführung/Handlungsbewertung ein, so sind in jeder Phase<br />

motivational-emotionale Faktoren beteiligt, d.h. der Lernprozess ist in jeder der vier Phasen durch<br />

innere (z.B. subjektive Bewertung der Erfolgsaussicht) oder äussere Faktoren (Ablenkung, attraktivere<br />

Handlungsalternativen) gefährdet.<br />

5 Büchel F.P. 2002<br />

Zielgruppe<br />

11


12<br />

Lernen ist immer auch mit Emotionen (Freude, Begeisterung, Enttäuschung, Hilflosigkeit)<br />

verbunden und schliesslich müssen auch entwicklungspsychologische Aspekte berücksichtigt<br />

werden, d.h. die lernende Person kann sich ihrem Alter entsprechend verhalten oder kann eine<br />

altersunangemessene (z.B. retardierte) Entwicklung aufweisen.<br />

Unter den metakognitiven Faktoren verstehen wir diejenigen übergeordneten Wissensbestände<br />

und Kontrollprozesse, die unser Handeln steuern und koordinieren. Personen mit Lernhemmungen<br />

fallen durch metakognitive Defizite auf, d.h. es fehlt ihnen an Wissen über sich selbst und ihr<br />

Verhalten als Lerner, an Wissen über unterschiedliche Aufgabenschwierigkeit, Aufgabentypen<br />

und Strategien der Bearbeitung und an Wissen über Ziele und Intension einer Lernhandlung. Die<br />

exekutiven Funktionen (antizipieren, planen, überwachen und kontrollieren) des eigenen Lernprozesses<br />

sind deshalb oft mangelhaft oder nur zum Teil ausgebildet.<br />

Als kognitive Faktoren sind die Lern-, Denk- und Problemlösestrategien zu betrachten, die die<br />

Aufnahme, Verarbeitung und Steuerung von Information ermöglichen. Lernende mit Lernhemmungen<br />

verfügen meist über ein geringeres Strategierepertoire und setzen die verfügbaren Strategien<br />

weniger flexibel und weniger kontextgerecht ein als erfolgreiche Lernerinnen und Lerner.<br />

Zusätzlich und verschärfend kommt hinzu, dass genau diese Lernenden oft auch in den schulisch<br />

bedeutsamen Kernkompetenzen Mathematik, Sprachverständnis und Sprachverwendung einen<br />

Rückstand mitbringen.<br />

Schliesslich muss bei manifesten Lernhemmungen mit Defiziten bei grundlegenden mentalen<br />

Operationen und Funktionen (z.B. Vergleichen, Kategorisieren, u.ä.) gerechnet werden.<br />

2.5 Folgerungen<br />

Wenn Lernen als vielfältiges Verknüpfen neuer Inhalte mit dem bereits vorhandenen Vorwissen<br />

verstanden wird, so kommt dem Klären der Lernvoraussetzungen zu Beginn der Berufsausbildung<br />

zentrale Bedeutung zu. Lehrpersonen müssen sich über die Lernbedingungen und -voraussetzungen<br />

der Lernenden informieren, um den Lernprozess in der Berufsausbildung erfolgreich starten zu<br />

können. Diese Abklärung zu Beginn der Lehre soll Lernhemmungen möglichst verhindern und<br />

erfordert von Lehrpersonen solide Kenntnisse in pädagogischer Diagnostik.<br />

Wird Lernen als aktiver, kumulativer, konstruktiver und sozialer Prozess aufgefasst, ist das Gestalten<br />

der Lernangebote durch die Lehrperson eine weitere Bedingungsvariable für Lernhemmungen:<br />

Lernerinnen und Lerner verfügen über unterschiedliche Vorerfahrungen und unterschiedliches<br />

Vorwissen. Das Verknüpfen der dargebotenen Inhalte ist ein individuell gestalteter Prozess.<br />

Lernen geschieht in unterschiedlichen Tempi; der Frontalunterricht kann auf diese Tatsache nur<br />

bedingt Rücksicht nehmen. Langsamere Lernerinnen und Lerner verlieren deshalb oft schon zu<br />

Beginn eines Stoffgebietes den Anschluss, was Unsicherheit und Motivationsverlust zur Folge<br />

haben kann.<br />

Schulisches Lernen geschieht in einem sozialen Kontext. Gleichaltrige sind oft die günstigeren<br />

Vorbilder und besser geeignet die nötigen Hilfestellungen zum Überwinden von Lernhindernissen


zu geben als Erwachsene. Dem partnerschaftlichen und gruppalen Lernen muss deshalb genügend<br />

Raum gegeben werden.<br />

Das Berücksichtigen aller Variablen, die zu einer guten schulischen Leistung führen, ist eine sehr<br />

anspruchvolle Aufgabe, die ein hohes Mass an professionellem Handeln erfordert. Individualisierende<br />

Gestaltung des Unterrichts trägt dazu bei, Lernhemmungen zu minimieren, das heisst, dass die<br />

unterschiedlichen Lernvoraussetzungen berücksichtigt und unterschiedliche Lerntempi zugelassen<br />

werden.<br />

Noten und Klassendurchschnitte sind eine kollektive Bezugsnorm, die sich für leistungsschwächere<br />

Lernerinnen und Lerner ebenfalls lernhemmend auswirken kann. Vermehrte Anwendung<br />

der individuellen Bezugsnorm (Lernforschritte der Einzelnen sichtbar machen und betonen)<br />

beeinflusst die Lern- und Leistungsmotivation dieser Lernergruppe positiv.<br />

Gesamthaft gesehen werden die äussern Ursachen, d.h. die systemisch-gesellschaftlichen und<br />

die unterrichtlichen Kontextbedingungen, die Lernhemmungen mit verursachen, tendenziell<br />

unterbewertet. Gesellschaftlich ist es leichter und anerkannter, Lernhemmungen dem Individuum<br />

zuzuschreiben und es dafür verantwortlich zu machen.<br />

Jede lernende Person weist auch Stärken (Ressourcen) im Lernen auf, die ihr die Lebensbewältigung<br />

auf ihre Weise ermöglichen. Bei der Einschätzung der Lernfähigkeit einer Person sind also beide<br />

Seiten, die Defizite und die Stärken angemessen zu berücksichtigen. Um Veränderungsprozesse<br />

einzuleiten, empfiehlt sich eine ressourcenorientierte Vorgehensweise.<br />

Zielgruppe<br />

13


Kapitel 3<br />

14<br />

<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />

Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />

3 Herausforderungen für die Berufsbildung<br />

Herausforderungen für die Berufsbildung<br />

Wenn Lernschwierigkeiten nicht bloss eine Eigenschaft von Menschen sind, welche erfolgreiche<br />

Lerner von Bildungsbenachteiligten unterscheidet, wenn ein vielschichtiges Zusammenspiel von<br />

Ursachen, Zuschreibungen, Verstärkungen und systembedingten Gegebenheiten dazu führen,<br />

dass Lernerfolge sehr unterschiedlich ausfallen, gibt es folgerichtig auch verschiedene Ansatzpunkte<br />

für eine nachhaltige Verbesserung.<br />

3.1 Optimierungen auf der Ebene des Bildungssystems<br />

Lernschwierigkeiten, die ihre Ursache im sozialen Umfeld haben und in den Mechanismen, wie<br />

das Bildungssystem darauf reagiert, müssen auch auf dieser Ebene angegangen werden: durch<br />

Prävention, mittels Bildungsplanung und Bildungsreformen, durch Qualitätssicherung, Integrationsanreize<br />

usw.<br />

Die Ebene des Bildungssystems ist nicht Thema dieses <strong>Leitfaden</strong>s.<br />

3.2 Optimierungen auf der strukturellen Ebene<br />

Mit dem Modell der zweijährigen beruflichen Grundbildung und dem standardisierten Attestabschluss<br />

ändern sich die Anforderungen im Vergleich zur Anlehre. Das Publikum jedoch bleibt<br />

mehrheitlich das gleiche. Dieser Modellwechsel ist auch eine Chance, wenn dabei Vorkehrungen<br />

getroffen werden bei den Ausbildungsinhalten (Bildungsverordnungen, Rahmen- und Schullehrplänen),<br />

den Qualifikationsverfahren, der Planung und Qualifizierung der Ausbildenden<br />

(Aus-/Weiterbildung, Status und Anstellungsvoraussetzungen), den Rahmenbedingungen<br />

(Klassengrössen, Supervisionen usw.) und dem Vollzug.<br />

Die Ebene der formalen und strukturellen Vorgaben im Umfeld der zweijährigen beruflichen<br />

Grundbildung ist nicht Thema dieses <strong>Leitfaden</strong>s sondern des Handbuchs für Modellentwicklung 6 .<br />

3.3 Abbau von Lernhemmungen auf der pädagogischen Ebene<br />

Grossen Anteil bei der Bewältigung von Lernschwierigkeiten oder Lernhemmungen hat die Art<br />

und Weise, wie Lernprozesse angeregt und unterstützt werden. Das nächste Kapitel beleuchtet<br />

diese pädagogische Ebene mit ihrem methodisch-didaktischen Aspekt und vor allem dem neuen<br />

Aspekt der fachkundigen individuellen Lernbegleitung.<br />

6 Knutti P. et al. 2004


•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

4 Fachkundige individuelle Begleitung<br />

Fachkundige individuelle Begleitung<br />

Das Berufsbildungsgesetz vom 13. Dezember 2002 führt mit der „fachkundigen individuellen<br />

Begleitung für Personen mit Lernschwierigkeiten“ eine neue Aufgabe innerhalb der schweizerischen<br />

Berufsbildung ein. Auch in der Fachliteratur ist dieser Terminus unseres Wissens unbekannt; wir<br />

haben kein Konzept unter dem Titel fachkundige individuelle Begleitung gefunden.<br />

Neue Aufgaben verlangen Klärungen und Regelungen, damit sie wahrgenommen werden können.<br />

Sind sie im Kern einmal erfasst, können sie in Bezug gesetzt werden zu bekannten Konzepten.<br />

Dann geht es um die Klärung, wer die Akteure (Nutzniesser und Anbieter) sind und schliesslich<br />

um die Darstellung möglicher Ausprägungsformen.<br />

4.1 Konkretisierung des gesetzlichen Auftrags<br />

Die drei im gesetzlichen Begriff fachkundige individuelle Begleitung explizit genannten Aspekte<br />

interpretieren wir so:<br />

Fachkundiger Aspekt<br />

Die Lernenden werden von Personen begleitet, die über geeignete Qualifikationen verfügen für<br />

die spezifischen Interventionsformen, die sie anwenden. Die bisher verlangten Grundqualifikationen<br />

von schulischen und betrieblichen Ausbildnerinnen und Ausbildnern genügen nicht!<br />

Individueller Aspekt<br />

Die Intervention orientiert sich an den Leistungsmöglichkeiten und Leistungsgrenzen des/der Einzelnen.<br />

Persönliche Entwicklungsziele sind in Einklang zu bringen mit externen Zielen und Vorgaben.<br />

Unterricht in Kleinklassen genügt nicht!<br />

Aspekt der Begleitung<br />

Die Begleitung der Lernenden ist kontinuierlich, systematisch und über eine zuvor bestimmte Periode<br />

angelegt; z.B. mit diesem Phasenverlauf:<br />

Situationsklärung – gemeinsame Interventionsplanung – Umsetzung – Auswertung mit allenfalls<br />

erneuter Planung. Einmalberatung und Kurzinterventionen reichen nicht!<br />

4.2 Einordnung im Umfeld bekannter Konzepte<br />

Aus der neueren Theorie und Praxis im deutschen Sprachraum kennen wir eine Reihe möglicher<br />

Konzeptionen, die sich für die fachkundige individuelle Begleitung von Berufslernenden mit Lernhemmungen<br />

anbieten. Aus praktischen Überlegungen schlagen wir vor, die fachkundige individuelle<br />

Begleitung im Wirkungsfeld der folgenden Konzepte anzusiedeln:<br />

Beratung bedeutet die zielgerichtete kooperative Suche nach Lösungen für ein benanntes und<br />

relativ eingegrenztes Problem (z.B. Berufsberatung). 7<br />

Fachberatung als „vertikale Beratung bedeutet das Auffüllen von (Wissens-)Defiziten“ 2 oder<br />

Verfahrenslücken (z.B. Steuerberatung) und bietet oft fertige Lösungen an. 8 15<br />

7 nach Pallasch W. und Simon R. 2003<br />

8 nach Strasser S. und Pool S. 2003<br />

<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />

Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />

Kapitel 4


16<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

Coaching bedeutet eine personenorientierte, zielgerichtete Förderung von Menschen, bezogen<br />

auf ein konkretes Aufgaben- oder Arbeitsfeld; Coaching orientiert sich an den Ressourcen dieser<br />

Menschen und ist in der Regel kontraktorientiert. 7<br />

Lern-Training bedeutet den zielgerichteten Erwerb spezifischer Qualifikationen, die mit Hilfe<br />

bestimmter Methoden eingeübt und anschliessend durch Transfer in das Arbeitsfeld eingebracht<br />

werden. 7<br />

Training-on-the-Job richtet sich mehr auf die Sachaufgabe, auf die technischen Kenntnisse und<br />

die spezifischen Abläufe. 8<br />

Stütz- und Zusatzunterricht sind zeitlich befristete Lern- und Übungsangebote für ein diagnostiziertes,<br />

eingegrenztes Lernthema.<br />

Keines der oben skizzierten Konzepte kann als Synonym für die fachkundige individuelle Begleitung<br />

Vorrang vor den anderen beanspruchen oder gar den Begriff für sich allein besetzen. Je nach<br />

Art und Ausprägung der Lernhemmung verspricht ein Mix von Beratungskonzepten und Förderbemühungen<br />

die besten Erfolge im konkreten Fall (s. Kap. 2). Um die Beliebigkeit der<br />

Interventionsmöglichkeiten zu verhindern, werden im Kapitel 4.4 drei idealtypische Ausprägungsformen<br />

vorgestellt.<br />

Wichtig an dieser Stelle ist, das Verhältnis zwischen fachkundiger individueller Begleitung und<br />

Lernförderung zu klären. Mit Lernförderung bezeichnen wir das gesamte Arrangement, begonnen<br />

bei der Abklärung über die Beratung und Begleitung, die didaktische Unterstützung inklusive<br />

Übung bis zur Lernkontrolle. Lernförderung beinhaltet beides, den lernfördernden Unterricht<br />

(bzw. die lernfördernde Ausbildung im Betrieb) und die individuelle Begleitung. Das kann voll<br />

integriert (Lernwerkstatt Kanton OW/NW) 9 , teilintegriert (Kompetenzzentrum TBZ Zürich) 10 oder<br />

arbeitsteilig (Lernberatung Basel-Stadt) 11 konzipiert werden. Entscheidend ist das gute Zusammenspiel<br />

von Begleitung und Unterricht, um möglichst wirksam gehemmte Lernprozesse nachhaltig<br />

in Gang zu setzen.<br />

4.3 Anspruchsberechtigung und Zuständigkeiten<br />

Ein Zusatzangebot für einen begrenzten Personenkreis bedingt eine Klärung des anspruchsberechtigten<br />

Personenkreises. In unserem Fall gilt es zu bestimmen, welche Personen Lernschwierigkeiten<br />

haben oder gestützt auf die Ausführungen in Kap. 2, bei welchen Personen eine erfolgreiche<br />

Ausbildung mit Attestabschluss infolge Lernhemmungen gefährdet ist. Grundsätzlich gibt<br />

es drei Verfahren, um den Anspruch auf die Begleitung festzustellen:<br />

•<br />

a. Kriteriengeleitete Verfahren<br />

Um Lernschwierigkeiten eindeutig festzustellen bzw. um die Gefährdung des Abschlusserfolgs<br />

treffsicher vorauszusagen, braucht es klare Kriterien für das Feststellen von (genügend grossen)<br />

Lernschwierigkeiten. Der Status quo muss zuverlässig erfasst, die verlangten Kompetenzen<br />

9 SIBP Schriftenreihe 21/2003, S.<strong>58</strong><br />

10 SIBP Schriftenreihe 21/2003, S.87<br />

11 SIBP Schriftenreihe 21/2003, S.54


•<br />

müssen bekannt sein und ebenso Kombinationen von minimalen Kompetenzen, die zum Bestehen<br />

genügen. Schliesslich muss ein zuverlässiger Rückschluss vom Status quo zur Erfolgswahrscheinlichkeit<br />

möglich sein. Derartige Verfahren setzen valide, geeichte Erfassungsinstrumente voraus<br />

und eine fachlich ausgewiesene Instanz für die Zuweisung allenfalls auch für die Rekurse.<br />

b. Antragsverfahren<br />

Wenn bereits frühere Abklärungen Lernschwierigkeiten im weiteren Sinne festgestellt haben,<br />

allenfalls bereits Interventionen veranlasst und Begleitungsmassnahmen in Gang gesetzt wurden:<br />

Sofern die Weiterführung dieser Massnahmen im bisherigen Rahmen nicht mehr möglich ist (z.B.<br />

wegen neuer Zuständigkeiten), muss definiert werden, wer Antrag stellen kann, wer Überweisungen<br />

behandeln und genehmigen kann und wie das rechtliche Gehör zu regeln ist.<br />

Ein vereinfachtes Antragsverfahren ist angezeigt, wenn die Ausbildung ganz oder weitgehend<br />

innerhalb von Institutionen angesiedelt ist. Weil Begleitung dort in aller Regel ein integraler<br />

Bestandteil ist, müsste sie über die ganze Zeit sichergestellt sein, auch wenn die Lernenden eine<br />

bestimmte Zeit, z.B. das zweite Ausbildungsjahr, extern in einem Praktikumsbetrieb absolvieren.<br />

•<br />

c. Freier Zugang<br />

Wenn von allen Lernenden in der zweijährigen beruflichen Grundbildung generell angenommen<br />

wird, dass sie mehr oder weniger ausgeprägte Lernhemmungen haben, entfallen Abklärungen,<br />

Antragsstellung, Begutachtung und allenfalls Rekursverfahren. Die Begleitung kann sofort, d.h.<br />

schon in der wichtigen Anfangsphase der Ausbildung einsetzen und nötigenfalls über die ganzen<br />

zwei Jahre aufrechterhalten werden.<br />

Gegen jede dieser Varianten lassen sich gute Argumente anführen, jede hat Schwachstellen.<br />

Bei a. bestehen die Schwierigkeiten in der Diagnostik (mit welcher Methode, mit welchen Instrumenten<br />

erheben? Was ist die Bezugsnorm?); in der Unmöglichkeit, Scheitern zu prognostizieren<br />

(welche Voraussetzungen indizieren eine Massnahme? Was kann ohne Sondermassnahmen aufgeholt<br />

werden?); in den voraussichtlich stark differierenden Anforderungen je nach Beruf und<br />

eventuell beim Zeitpunkt (wenn der Misserfolg feststeht, ist es zu spät für eine Intervention).<br />

Variante b. erreicht nur den vergleichsweise kleinen Kreis von Lehrlingen, deren Problematik<br />

bereits erfasst und betreut wird. Sollen diese laufenden Massnahmen nicht einfach unbesehen<br />

übernommen, sprich subventioniert werden, muss eine fachkompetente Instanz aufgebaut und<br />

erhalten werden, die in der Lage ist, die Anträge nach einheitlichen Massstäben zu prüfen. Es<br />

braucht Kenntnisse über die unterschiedlichen Standards, die von anderen Abklärungsinstanzen<br />

angewendet werden, ein Controlling und allenfalls eine übergeordnete Rekursinstanz.<br />

Bei c. bestehen Befürchtungen hinsichtlich hoher Kosten und einer Stigmatisierung aller Personen.<br />

Wir plädieren zumindest für die Übergangsfrist von 5 Jahren für das Verfahren c. Wird der „freie<br />

Zugang“ auf fachkundige individuelle Begleitung nicht extensiv ausgelegt und mit einem Maximalanspruch<br />

für alle Lernenden verwechselt, sind die Kosten über alles gerechnet eher tiefer,<br />

Fachkundige Begleitung<br />

17


18<br />

•<br />

sicher nicht höher als bei den selektiven Verfahren nach a oder b; und dies bei einem markant<br />

grösseren Kreis von Nutzniessern. Bei diesem Verfahren entfallen der Aufbau und Unterhalt von<br />

Strukturen und von Entscheidungs- und Kontroll-Instanzen. Die dabei eingesparten Kosten können<br />

direkt in die eigentliche Förderung investiert werden. Die Begleitung und Förderung erfolgt<br />

ressourcenorientiert, weil sie nicht aufgrund einer Mängel- und Defizitliste zugestanden wird.<br />

Wenn es gelingt, aufgrund der Erfahrungen in der Übergangsfrist und dank verbesserter Instrumente<br />

die Schwierigkeit zufriedenstellend zu lösen, sind die Varianten a und b zu einem späteren<br />

Zeitpunkt denkbar.<br />

4.4 Ausprägungen<br />

Wir unterscheiden drei Ausprägungsformen von möglicher fachkundiger individueller Begleitung:<br />

Schulische Begleitung, sozialpädagogische Begleitung und Begleitung im betrieblichen Kontext.<br />

Man könnte sie bezeichnen als drei Pfade, die auf unterschiedlichem Gelände zum gleichen Ziel<br />

führen, nämlich die Ausbildungsziele zu erreichen. Je nach Ursache der Lernhemmung kommt der<br />

eine oder andere Pfad in Frage, auch Mischformen sind denkbar. In Ausnahmefällen müssen kurzfristig<br />

zwei Pfade parallel beschritten werden. Zu vermeiden ist, dass gleichzeitig und über längere<br />

Zeit hinweg auf verschiedenen Wegen Begleitungs- und Fördermassnahmen unkoordiniert<br />

nebeneinander laufen oder gar unbeabsichtigte Zielüberlagerungen und -konflikte auftreten.<br />

4.4.1 Schulische Begleitung<br />

Es wurde bereits erwähnt (Kap. 4.2) und sei nochmals betont: Lernfördernder Unterricht ist noch<br />

keine fachkundige Begleitung, aber eine Voraussetzung, damit diese ihre Wirkung entfalten kann.<br />

Bildhaft könnte man sagen, lernfördernder Unterricht ist der Boden im Schulraum, auf dem<br />

das Stück „theoretische Berufsausbildung“ mit der Assistenz von individueller Lernbegleitung<br />

inszeniert wird. Lernfördernder Unterricht heisst „Rückbesinnung auf pädagogische Einsichten<br />

und konsequentes Anwenden der pädagogischen Selbstverständlichkeiten.“ 12 Er wird binnendifferenziert<br />

angeboten und ist den individuellen Fähigkeiten und Leistungsniveaus angepasst. Anders<br />

als die fachkundige Begleitung richtet sich der Unterricht aber nach vorbestimmten Zielsetzungen,<br />

da er dem Lehr- und Stoffplan verpflichtet ist, und er bedeutet für die Lernenden eine unfreiwillige<br />

Unterstellung unter institutionelle Strukturen (hierarchisches Gefälle, einseitige Weisungen,<br />

Beurteilungen).<br />

Das heisst, die in der Berufsfachschule angesiedelte fachkundige Begleitung ist zwar auf „guten<br />

Unterricht“ als Ergänzung angewiesen, grenzt sich aber von diesem mindestens durch diese zwei<br />

Elemente ab: Sie ist freiwillig und basiert auf dialogisch vereinbarten Zielen. Wir empfehlen, die<br />

nachfolgend genannten Komponenten zu beachten, damit die fachkundige individuelle Begleitung<br />

die erwarteten Resultate erbringt.<br />

Zielgruppe und Indikationen<br />

Zielgruppe sind Lernende in der beruflichen Grundbildung, deren Aussicht auf Bestehen der<br />

Ausbildungsnormen aus sprachlichen oder allgemein schulisch-kognitiven Gründen fraglich ist.<br />

12 Knutti P. et al. 2003


•<br />

•<br />

•<br />

Angezeigt ist die Begleitung, wenn in der bisherigen Schullaufbahn klar unterdurchschnittliche<br />

Leistungen erzielt wurden, wenn schulische Lücken, mangelhafte Lernstrategien, motivationale<br />

Probleme oder soziale Auffälligkeiten sichtbar werden. Voraussetzung ist, dass die Lernenden<br />

dem Angebot zustimmen und aktiv am Prozess der eigenen Lernplanung teilnehmen. Werden bei<br />

weitgehend durchschnittlichen Schulleistungen spezifische Lücken und Defizite erkannt, z.B.<br />

Stofflücken, Defizite in der Sprachperformanz 13 aufgrund kurzer Aufenthaltsdauer in der Schweiz,<br />

muss die Begleitung durch ein geeignetes Trainings- und Stützprogramm ergänzt bzw. ersetzt<br />

werden.<br />

Abklärungen<br />

Mit Situationsabklärungen werden – nach Möglichkeit gemeinsam mit den Lernenden – die wichtigsten<br />

lernrelevanten Variablen erfasst. Dazu gehören Kenntnisse (seitens des/der Begleitenden)<br />

und Bewusstwerden (seitens des/der Lernenden) über<br />

– das familiäre, kulturelle, biographische und gesellschaftliche Bezugssystem<br />

– potenzielle oder manifeste Ursachen der Lernhemmungen<br />

– subjektive Erklärungsansätze für die Lernhemmungen<br />

– kurz- und mittelfristige Ziele, Visionen, Motivation.<br />

Unter Bezeichnungen wie Eintrittserhebungen, Eignungstest und ähnlichen werden häufig Statuserhebungen<br />

vorgenommen. Solche Abklärungen können unter Umständen eine umfassendere<br />

systemische Situationsabklärung ergänzen, sie bergen aber das Risiko, dass sie von früher bekannte<br />

Zuschreibungen bestätigen, Lernblockaden damit reaktivieren und die oben genannten lernrelevanten<br />

Kontextvariablen nicht beachten.<br />

Zielfindung und Zielvereinbarung<br />

Denkt man bei Planungsprozessen an etwas Anstrengendes, so zielt die Lernplanung – im Gegensatz<br />

etwa zur Ferienplanung – erst noch auf ein Objekt, das nicht nur reinen Lustgewinn verspricht.<br />

Daher ist der Zielfindung grosse Aufmerksamkeit zu schenken, damit echte Ziele zu Tage<br />

gefördert werden und keine stereotypen, die im Rollenverhalten begründet sind («ich will besser<br />

Deutsch können»). Wir setzen voraus, dass die Zielfindung gemeinsam mit dem oder der<br />

Lernenden erfolgt, sich an prinzipiell erreichbaren Zielen ausrichtet und den Weg zu diesen<br />

Zielen in realistische Schritte aufteilt. Die Zielvereinbarung als Ergebnis der Planung soll ein<br />

echter Konsens darstellen und periodisch überprüft werden.<br />

Methoden und Instrumente<br />

Aus dem methodischen Repertoire des Coaching kennen wir die personenzentrierte Gesprächsführung,<br />

die vom Lernbegleiter eine kongruente Haltung, Empathie und Wertschätzung für den<br />

Lernenden verlangt. 14 Es gibt in dieser Methode eine Reihe von Techniken und Instrumenten, um<br />

die zentralen Ziele der Lernenden zu erkennen. Gemeinsam werden diese dann in eine realistische<br />

Lernplanung überführt.<br />

13 Nodari (2002) weist mit Bezug auf Noam Chomsky darauf hin, dass der Begriff Sprachperformanz die Anwendung von Sprache<br />

bezeichnet im Gegensatz zu Sprachkompetenz, der auch Wissen über Sprache als kognitiv-abstraktes Systems beinhaltet.<br />

14 vgl. R. Bürki 2003 (a)<br />

Fachkundige Begleitung<br />

19


20<br />

•<br />

•<br />

•<br />

Vernetzung<br />

In der Lern- und Trainingsphase, also dann, wenn es darum geht, die in der Abklärung und der<br />

Zielfindung geplanten Lernschritte zu realisieren, ist eine enge Kooperation zwischen Lernbegleiter/-in<br />

und Lehrperson gefordert, zum Beispiel beim Bereitstellen von Übungsmaterial und<br />

geeigneten Lernkontrollen und der Rückkoppelung der Teilziele in neue Planungsprozesse. Diese<br />

Kooperation entfällt, wenn die Lehrperson beide Rollen übernimmt: Beratung/Coaching und<br />

Lernbegleitung. Auch der Einbezug von zusätzlichen (externen) Stütz- und Fördermassnahmen in<br />

eine gesamtheitliche schulische Lernförderung ist mit der schulischen Lernbegleitung anzustreben.<br />

Ein Zusammenwirken der beiden Lernorte Betrieb und Berufsfachschule kann in vielen Fällen sinnvoll<br />

sein. Es ergeben sich automatisch Synergieeffekte, wenn die Lernplanung übergreifend<br />

erfolgt. Bewährt hat sich, dass betriebliche und schulische Lernbegleiter gemeinsam an einem<br />

fachlich geleiteten Erfahrungsaustausch teilnehmen (Teamcoaching, Supervision) oder eine<br />

unbegleitete Intervision aufziehen. 15<br />

Personelle Voraussetzungen<br />

Die Person, welcher die schulische Lernbegleitung übertragen wird, verfügt über solide Grundlagen<br />

der förderpädagogischen Diagnostik. Sie hat Kenntnisse über Modelle, Verfahren und Techniken der<br />

personenzentrierten Gesprächsführung. Sie kennt die schulischen Stoff- und Leistungsanforderungen<br />

der Ausbildungsstufe und ist bereit zur Teamarbeit und Weiterbildung (Teamcoaching, Supervision).<br />

Die verlangte Qualifikation entspricht den Vorgaben des SIBP:<br />

– Zertifikat Förderpädagogik (600 Lernstunden) oder<br />

– Attest mit spezifischer Ausrichtung (210 Lernstunden)<br />

bzw. einer gleichwertigen Qualifikation.<br />

Rahmenbedingungen<br />

Begleitung im Schulkontext muss nicht für jeden Fall begründet werden. Die Lernenden haben<br />

freien Zugang und somit grundsätzlich Anspruch darauf, sofern die Voraussetzungen gegeben<br />

sind (vgl. 4.3 und 5.2). Entsprechend ist die Finanzierung der Zusatzkosten pauschal zu regeln.<br />

Ein Pflichtenheft beinhaltet die Aufgaben der Begleiterin, des Begleiters. Der Anstellungsstatus ist<br />

geregelt aufgrund eines Anforderungsprofils, das die oben formulierten Voraussetzungen respektiert.<br />

Damit ein wirksamer, das heisst teilweise selbstgesteuerter Lernprozess auf der Grundlage<br />

individueller Zielvorgaben möglich ist, muss die Klassengrösse auf 6 bis 10 Lernende beschränkt<br />

werden. Diese Erfahrungswerte aus der Anlehre behalten ihre Gültigkeit, da es sich um die<br />

gleiche Population handelt, die künftig (höhere) Standards erreichen sollte.<br />

4.4.2 Sozialpädagogische Begleitung<br />

Nicht alle Jugendlichen meistern den Wechsel von der obligatorischen Schulzeit ins Erwachsenenund<br />

Erwerbsleben ohne Hilfe oder Unterstützung. Zusätzlich zum Hereinwachsen in neue Rollen<br />

als Mann oder Frau, verbunden mit Rechten und Pflichten, kommen häufig noch Veränderungen<br />

in der Wohnsituation, der Ablösungsprozess von zu Hause und die soziale Neuorientierung sowie<br />

kulturelle und sprachliche Faktoren bei Immigrierten hinzu.<br />

15 Schley W., Pool S. 2004


•<br />

•<br />

•<br />

Der Gesetzgeber sieht hier ausdrücklich einen Bedarf: „Die fachkundige individuelle Begleitung<br />

umfasst nicht nur schulische, sondern sämtliche bildungsrelevanten Aspekte im Umfeld der<br />

lernenden Person“ (Art. 10 BBV vom 19. November 2003, Abs. 5).<br />

Von sozialpädagogischer Begleitung in der Berufsbildung sprechen wir, wenn eine Person durch<br />

externe Fachkräfte über eine bestimmte Periode begleitet, beraten und unterstützt wird. Angezeigt<br />

ist eine solche Begleitung bei Problemen am Arbeitsplatz oder in der Berufsfachschule. Mit<br />

dem aus der sozialen Hilfe bekannten Casemanagement wird das ganze Lebensumfeld des Auszubildenden<br />

in die Situationsanalyse und Massnahmenplanung mit einbezogen. Die Lehrbetriebe<br />

und Berufsfachschulen werden in der für alle Beteiligten schwierigen Phase durch die Rollenklärung<br />

und Aufgabenteilung unterstützt und entlastet.<br />

Zielgruppe und Indikation<br />

Angezeigt ist diese Art der Begleitung immer dann, wenn Probleme und Konflikte am Arbeitsplatz<br />

und in der Berufsfachschule massgeblich beitragen zu Lernhemmungen, Leistungsabfall oder Prüfungsangst<br />

und bei Krisen im sozialen Bereich (Drogen, familiäre und biografische Krisen, etc.).<br />

Die Inanspruchnahme der sozialpädagogischen Begleitung steht allen Auszubildenden offen und<br />

ist grundsätzlich freiwillig. Manchmal kann es aber pädagogisch sinnvoll sein, wenn eine<br />

Lehrperson, eine Ausbildungsperson oder eine andere, nahe stehende Person aufgrund einer<br />

Problemwahrnehmung durch Überzeugungsarbeit und Nachdruck auf den oder die Jugendliche<br />

einwirkt.<br />

Formen und Verlauf der Begleitung<br />

Viele Ursachen können Auslöser für Schwierigkeiten im genannten Sinne sein. Diese gilt es in Einzelgesprächen<br />

zu eruieren und darauf aufbauend Ziele und geeignete Massnahmen gemeinsam mit<br />

den Jugendlichen zu bestimmen. Dementsprechend variiert die individuelle Beleitung stark bezüglich<br />

Verlauf, Dauer und Intensität und kann von einer unverbindlichen Beratung bis hin zu<br />

einer langfristigen Begleitung reichen. In einer Vereinbarung sind die Ziele, der Umfang des<br />

Angebotes, die Dauer und der Abschluss festzuhalten.<br />

Vernetzung<br />

Bei der Umsetzung der vereinbarten Entwicklungs- bzw. Statusziele spielt die Kooperation mit den<br />

massgeblich Beteiligten des jeweiligen Kontextes eine zentrale Rolle.<br />

Im Sinne des Casemanagements ist die Begleitperson fallverantwortlich und organisiert nach<br />

Bedarf spezialisierte Hilfsangebote, wie z.B. schulische Förderangebote oder psychologische Hilfe.<br />

Das Umfeld (Familie, Lehrbetrieb, Berufsfachschule) wird, wo nötig und gewünscht, gezielt unterstützt<br />

und entlastet. Bei Konflikten wird zwischen den Parteien vermittelt; das Angebot versteht<br />

sich aber nicht als Ombudsstelle. Interferenzen, die bei Mehrfachbetreuung auftreten können,<br />

sind frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.<br />

Fachkundige Begleitung<br />

21


22<br />

•<br />

•<br />

•<br />

Personelle Voraussetzungen<br />

Auf dem Gebiet der sozialpädagogischen Begleitung ist Professionalität zwingend. Voraussetzung<br />

sind eine entsprechende Ausbildung auf Fachhochschul- oder Hochschulniveau und gute Kenntnisse<br />

der schweizerischen Berufsbildung bzw. die Bereitschaft, sich diese Kenntnisse anzueignen.<br />

Die Begleitpersonen sollten regional vernetzt sein und bewahren sich durch den fachlichen Austausch<br />

und gemeinsame Weiterbildungen Professionalität und Sachkenntnis auch über laufende<br />

Entwicklungen auf dem Gebiet der Berufsbildung.<br />

Organisatorischer Rahmen<br />

Die sozialpädagogische Begleitung ist örtlich nahe beim Ausbildungssystem anzusiedeln, z.B. als<br />

Anlaufs- und Beratungsstelle in der Berufsfachschule. Sie ist mit Vorteil funktionell von den institutionellen<br />

Kernaufgaben getrennt, unter Umständen auch extern organisiert. Sie wahrt ihre<br />

Unabhängigkeit gegenüber Schule und Ausbildungsbetrieb. Intensivere Formen der Begleitung<br />

sind individuell durch Kostenträger der sozialen Hilfe zu finanzieren.<br />

4.4.3 Begleitung im betrieblichen Kontext<br />

Bei Führungsfragen, sozialen Problemstellungen oder Lernschwierigkeiten gelangen betriebliche<br />

Ausbildungsverantwortliche schnell an Grenzen der Belastbarkeit oder der fachlichen Kompetenz<br />

(s. Tabelle S. 24). Angesichts des Potenzials von problemauslösenden Faktoren in der Adoleszenz<br />

(4.4.2) können die betriebliche Ausbildung belastet und darin tätige Personen überfordert<br />

werden. Der Bedarf seitens der Ausbildungsbetriebe nach einer „Unterstützung der Betriebe im<br />

Bereich des Coachings der Jugendlichen und eventuell auch im administrativen Bereich ist ausgewiesen“<br />

16 .<br />

Angebote und Indikationen<br />

Im Rahmen der Pilotprojekte haben sich zu dieser Ausprägungsform zwei Unterformen herausgebildet,<br />

in der Praxis sind häufig Mischformen anzutreffen:<br />

– Die Betriebe bieten selber ein Coaching bzw. eine Lern- und Lebensberatung an.<br />

Die Coaches sind betriebseigene Ausbildungs- oder Personalverantwortliche, welche die<br />

nötige Qualifikation erworben haben, oder externe, welche im Rahmen eines regionalen<br />

Netzwerks (Verband, Selbsthilfe-Initiative) den Lernenden zur Verfügung stehen. Bei<br />

grösseren Betrieben kann ein betriebseigener Sozialdienst diese Funktion übernehmen.<br />

– Eine externe, meistens sozialpädagogische Begleitung der Auszubildenden entlastet die<br />

Betriebe bei Schwierigkeiten, indem sie professionelle Beratung anbietet oder sich selber<br />

um die Problemlösung kümmert. Externen Unterstützungsangebote sind häufig vorhanden<br />

in Form von regionalen Fachstellen, Schulsozialdiensten und ähnlichen.<br />

Besteht Unterstützungsbedarf in Bezug auf Lernschwierigkeiten (Motivation, Lernanleitung und<br />

-kontrolle, Lernmethoden), bietet sich eine koordinierte Zusammenarbeit mit der Berufsfachschule<br />

an und allenfalls auch eine Weiterbildung in Förderpädagogik.<br />

16 Grigo J., Wettstein E. 2003


•<br />

•<br />

•<br />

Zielgruppen und Zuständigkeiten<br />

Unterstützt werden in erster Linie die betrieblichen Ausbildungsverantwortlichen. Im Bedarfsfall<br />

wird auch den Lernenden selber eine fachkundige individuelle Begleitung im Sinn der sozialpädagogischen<br />

Begleitung angeboten. Primär ist die fachkundige Unterstützung von Ausbildungsverantwortlichen<br />

der Betriebe Sache der Arbeitgeber und der Verbände. Ist der Ausbildungserfolg<br />

in Frage gestellt, müssen auch Betriebe berechtigt sein, die in BBG/BBV verankerte<br />

umfassende Begleitung anzufordern. Mustervereinbarungen und Regelungen betreffend Umfang<br />

dieses Angebotes und Abrechnungsmodalitäten sind von den Kantonen noch zu entwickeln. In<br />

Bezug auf die Professionalität gelten die Rahmenbedingungen und personellen Voraussetzungen,<br />

wie sie im Kapitel 4.4.2 beschrieben sind.<br />

Qualifikation der Ausbildnerinnen/Ausbildner<br />

Die Grundqualifikation der Ausbildungsverantwortlichen (Lehrmeisterkurs) als Voraussetzung ist<br />

sicherzustellen. Für die persönliche Aus- und Weiterbildung sind sowohl Verbandslösungen wie<br />

Teilnahme an staatlichen Weiterbildungsangeboten denkbar, zum Beispiel solche aus der Weiterbildung<br />

der Lehrpersonen. Wertvolle Qualifikationen können sich betriebliche Ausbildnerinnen<br />

und Ausbildner auch im fachlich geleiteten Erfahrungsaustausch erwerben (s. 4.4.1). Positive<br />

Erfahrungen wurden mit Supervisionsgruppen, angeleiteten Intervisionsgruppen und mit Teamcoaching<br />

gemacht. Bewährt haben sich solche rekurrenten Weiterbildungen vor allem im<br />

Anschluss an eine Ausbildungssequenz.<br />

Vernetzung, betriebliche Lernunterstützung<br />

Erstrebenswert ist eine optimale Vernetzung aller an der Ausbildung Beteiligten. Formen des<br />

Erfahrungsaustausches wie oben beschrieben können betriebsintern und -übergreifend innerhalb<br />

des Umfeldes (Branche, Betriebe, Verbände) sehr fruchtbar sein.<br />

Die Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Berufsfachschule erfolgt idealerweise ab Beginn der<br />

Ausbildungszeit. Synergieeffekte und übergreifende Aspekte sind zahlreich vorhanden. Betriebe<br />

können auf verschiedene Weise zum Lernfortschritt beitragen, z.B. durch<br />

– Unterstützung bei Hausaufgaben (Zeit, Arbeitsplatz zur Verfügung stellen, nachfragen,<br />

Nachhilfe), Aufgabenkontrolle, Übungsgelegenheiten (Stoff und Themen vorschlagen, Zeit<br />

zur Verfügung stellen), Übungsmöglichkeiten vor Prüfungen etc.<br />

– thematische und zeitliche Abstimmung der Lerninhalte in der betrieblichen Ausbildung mit<br />

überbetrieblicher und schulischer Ausbildung (synchron oder ergänzend)<br />

– Koordination von Standortbestimmungen mit den anderen Ausbildungspartnern.<br />

Bestehende Verbands- und Schulstrukturen bieten sich zudem an als Plattform für einen gegenseitigen<br />

Austausch: Besuchs- und Lehrmeisteranlässe in der Berufsfachschule, Verbandsanlässe,<br />

Austauschforen etc.<br />

Fachkundige Begleitung<br />

23


24<br />

Fachkundige Begleitung im Betrieb nach Problemstellung und Zuständigkeit<br />

Tabelle 1 (Kap. 4.4.3)<br />

Führungsfragen<br />

soziale Aspekte<br />

Lernschwierigkeiten, fachliche + schulische<br />

Anforderungen<br />

Was? lllustrationsbeispiele<br />

Lehrling ist unzuverlässig, schwierig<br />

Drogenkonsum (Verdacht, Symptome)<br />

Kulturelle Differenzen (Religion, Wertvorstellungen)<br />

Instabiles familiäres/soziales Umfeld<br />

Wie? Betriebsintern<br />

Betriebliche Anlaufstelle<br />

(Sozialdienste etc.)<br />

Betriebsübergreifende Stellen<br />

(Verbundslösungen)<br />

Weiterbildung<br />

(Coaching-Kompetenz)<br />

Was? lllustrationsbeispiele<br />

Schlechte Schulleistungen<br />

Ungenügende Sprachbeherrschung<br />

Fachtheoretische Mängel (Mathe, Zeichnen,..)<br />

Wie Betriebsintern<br />

Betriebsinterne Lern- und Übungsangebote<br />

Zeit und Raum für Aufgaben<br />

zur Verfügung stellen<br />

(Raum, Material, PC,...)<br />

Aufgaben- und Lernkontrolle<br />

Förderpädagogische Weiterbildung<br />

der Ausbildungsverantwortlichen<br />

Extern/kombiniert<br />

externe Beratungsstellen<br />

beiziehen<br />

Extern/kombiniert<br />

Absprachen mit der Berufsfachschule<br />

(Lernbedarf feststellen)<br />

Lernjournale, Aufgaben, Prüfungen<br />

kontrollieren<br />

Förderung durch Dritte<br />

(Sprachkurse,...)


4.5 Wirkungskontrolle<br />

Dass die fachkundige individuelle Begleitung eine wirkungsorientierte Massnahme ist, geht aus<br />

dem Wortlaut von BBV Art. 10, Abs. 4 hervor: „Ist der Bildungserfolg gefährdet, so entscheidet<br />

die kantonale Behörde nach Anhörung der lernenden Person und der Anbieter der Bildung über<br />

eine fachkundige individuelle Begleitung.“ Die Massnahme soll also Ausbildungserfolg bewirken,<br />

bzw. der Gefährdung entgegenwirken.<br />

Insofern als es sich um eine neue Massnahme in der beruflichen Grundbildung handelt, besteht<br />

natürlich ein Interesse daran, diese Wirkung zu erfassen. Wir skizzieren Vorschläge zu möglichen<br />

Verfahren und Methoden unter nachfolgend aufgeführten Prämissen.<br />

4.5.1 Prämissen der Wirkungserfassung<br />

Je akzentuierter und expliziter eine fachkundige individuelle Begleitung angeboten wird, desto<br />

berechtigter ist es, deren Wirkung zu kennen. Im Fall von Massnahmen, die wenig spezifisch ausgeprägt<br />

sind, mit geringem Innovationsgehalt im Vergleich zur bisherigen Praxis (und mit geringen<br />

zusätzlichen Ressourcen), können Wirkungen schlecht zugeschrieben werden.<br />

Die Einflussfaktoren auf den Lernerfolg sind sehr komplex und kausale Wirkungsforschung ist auf<br />

diesem Gebiet ein fast hoffnungsloses Unterfangen. Um das zu verdeutlichen: Keine Schule, keine<br />

Ausbildungsform muss sich über ihre Wirksamkeit legitimieren.<br />

Aussagen über Wirkungen bedingen, dass beobachtbare Indikatoren vorliegen (woran erkennt<br />

man z.B. dass Lernhemmungen abgenommen haben?), die man vor und nach der Massnahme<br />

erheben kann. So erkennt man, ob und in welchem Mass die gewünschte Wirkung erreicht wird.<br />

Indikatoren auf der individuellen Ebene können Kompetenzen oder Lernziele sein, auf der allgemeinen<br />

Ebene beispielsweise Erfolgsquoten. Solche Indikatoren müssen zu Beginn einer Evaluation<br />

zuverlässig erkannt sein.<br />

Empirisch stichhaltige Aussagen, etwa aufgrund von Vergleichsgruppen-Forschung, sind für<br />

die fachkundige individuelle Begleitung aus verschiedenen Gründen kaum möglich: wegen<br />

der Schwierigkeit, Vergleichsgruppen zu bilden (Heterogenität bezüglich Vorbildung, Berufsunterschiede<br />

etc.), der kleinen Anzahl Versuchspersonen und wegen ethischer Fragwürdigkeit<br />

(Verweigerung von Lernförderung zu Forschungszwecken).<br />

Das Verhältnis der eingesetzten Mittel für die Wirkungserfassung muss in einem vernünftigen<br />

Verhältnis zu den Mitteln stehen, die für die Massnahmen selber verfügbar sind.<br />

Grossflächige (d.h. aufwändige) Erhebungen sind in der frühen Entwicklungsphase mit geringem<br />

Konsolidierungsgrad wenig sinnvoll. Hier ist der Einsatz von prozessbegleitenden und -steuernden<br />

Verfahren vorzuziehen (Methoden der Aktionsforschung vor Methoden der empirischen Forschung).<br />

Fachkundige Begleitung<br />

25


26<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

4.5.2 Methoden und Verfahren der Wirkungskontrolle im Bereich Lernförderung<br />

Rechenschaftsberichte<br />

Periodische Berichte von Personen, die mit der fachkundigen individuellen Begleitung beauftragt<br />

sind, geben Auskunft über eine Reihe von Wirkungsdaten wie Art, Menge und Intensität der<br />

Interventionen, Aus- und Weiterbildungsbemühungen, Hinweise zum Netzwerk, Fallbeschreibungen,<br />

Reflexion und Entwicklungsvorschläge etc. Solche Berichte stehen in der Regel in Bezug zu<br />

den Pflichtenheften bzw. Aufgabenbeschreibungen.<br />

Mit der Verpflichtung zur Rechenschaft sollten neben diesen inhaltlichen auch folgende Aspekte<br />

geregelt werden: Adressierung (an wen, unter Information von wem?), die Art der Konsequenzen<br />

(blosse zur Kenntnisnahme mit Empfangsbestätigung, Besprechung im Rahmen von...,<br />

Grundlage für Benchmarking, ...) sowie Stellenwert und Methoden bezüglich Qualitätssicherung<br />

(Lohnwirksamkeit? Längsvergleiche? Quervergleiche?...).<br />

Benchmarking<br />

Im Falle von mehr oder weniger formalisierten Rechenschaftsberichten (feste Rubriken, voll- oder<br />

halbstandardisierten Items) ist die periodische Gegenüberstellung und der systematische Vergleich<br />

ein denkbares Verfahren, um unterschiedliche Vorgehensweisen in einem vergleichbaren Handlungsumfeld<br />

auf ihre Wirkung zu überprüfen. Ein Rückfluss der Befunde zu den Berichterstattern<br />

in einem klar definierten Rahmen (wer wertet aus? mit welchen Konsequenzen? Informationsfluss?)<br />

ist zu institutionalisieren.<br />

Teamcoaching<br />

Als Wirkungsinstrument, das auf die Professionalisierung der Fachpersonen und weniger auf Kontrolle<br />

abzielt, kommt die rekurrente Weiterbildung innerhalb eines Teams in Frage. Entweder<br />

geleitet als Supervision oder Teamcoaching oder selbstreflexiv als Intervisions- oder Balint-Gruppe<br />

wird die eigene Praxis reflektiert und dadurch die Handlungssicherheit und das Methodenrepertoire<br />

erhöht. Als „Kontrolle“ genügt die Berichterstattung über Frequenz und Dauer der Teilnahmen<br />

an solchen Anlässen.<br />

Feedback<br />

Mit dem Instrumentarium des Feedbacks (Fragebogen, Rating-Konferenz etc.) können die Eindrücke<br />

und Einschätzungen der direkt Beteiligten eingeholt und Veränderungen eingeleitet werden.<br />

Zur Optimierung der Wirkung ist diese Methode geeignet, hingegen verbietet das Selbstverständnis<br />

der Feedback-Methode, die Daten und die Erkenntnisse aus dem Feedback für Kontrollzwecke<br />

im hierarchischen Sinne zu verwenden.<br />

Befragungen<br />

Die Adressaten der fachkundigen Begleitung im engeren und im weiteren Sinne, aber auch andere<br />

Akteure in der beruflichen Ausbildung können mittels Befragungsinstrumenten (Fragebogen,<br />

Interviews) über ihre subjektive Einschätzung der Wirkung befragt werden. Als Adressaten sind<br />

die Lernenden, deren Ausbildnerinnen und Ausbildner, aber auch weitere Personen im sozialen<br />

und professionellen Umfeld gemeint. Es empfiehlt sich, die anerkannten Standards von Anfang an<br />

zu beachten und gegebenenfalls fachliche Evaluationsberatung beizuziehen.


•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

Empirische Erhebungen<br />

Empirische Wirkungsanalysen in einem umfassenderen Sinne, welche die relevanten Variablen im<br />

gesamten Wirkungsgeschehen erforschen und zueinander in Bezug setzen, müssen streng wissenschaftlichen<br />

Kriterien genügen und erfordern entsprechende Ressourcen, einen vernünftigen<br />

Rahmen in Bezug auf Zeit, Reichweite (Tiefenstruktur) und Quantität (Anzahl N) der Daten.<br />

Solche Wirkungsanalysen kommen als nationale oder als Verbundsaufgabe in Frage, d.h. mit einer<br />

entsprechenden Fragestellung, seriöser Budgetierung, definierter Reichweite und professioneller<br />

Unterstützung.<br />

4.6 Regelungsbedarf im Überblick<br />

Der nachfolgende Überblick ist eine Zusammenfassung der anstehenden Entscheidungen, damit<br />

die fachkundige individuelle Begleitung die vom Gesetzgeber beabsichtigte Wirkung entfalten<br />

kann. Gemäss schweizerischem Recht und Praxis sind dafür die Kantone zuständig und es muss<br />

diesen überlassen werden, wie sie die Regelungen angehen. Im Hinblick auf Synergien und Chancengleichheit<br />

und angesichts der Kleinräumigkeit und Mobilität spricht alles für ein koordiniertes<br />

Vorgehen.<br />

Im Kapitel 5.2 schlagen wir deshalb eine Reihe von Umsetzungsempfehlungen vor, die den Kantonen<br />

eigenständige Lösungswege auf einer gemeinsamen Grundlage im Hinblick auf die Regelung<br />

der folgenden Aspekte erlauben.<br />

Ausprägungsformen: Die als fachkundige individuelle Begleitung anerkannten Formen müssen<br />

definiert sein, ebenso die Grenzen und die Verbindungen zwischen diesen.<br />

Anspruchsberechtigung: Es muss definiert werden, wer Anspruch auf fachkundige individuelle<br />

Begleitung hat, wie dieser Anspruch festgestellt wird, wann er beginnt und wann er endet.<br />

Kompetenzen und Aufgaben: Aufgabenbeschreibungen und Pflichtenhefte müssen Art,<br />

Umfang und Grenzen der dafür vorgesehenen Akteure festlegen. Es braucht Klärung und Transparenz<br />

bezüglich der Kompetenzen, der Rollen, vorgesehener Kooperationen sowie über allfällige<br />

Kompetenz- und Rollenabgrenzungen zwischen verschiedenen Akteuren, insbesondere dort, wo<br />

noch keine gesetzlichen Regelungen vorhanden sind.<br />

Qualifikation, Rekrutierung, Status: Die für jede Ausprägungsform vorausgesetzten Qualifikationen<br />

müssen festgelegt werden. Entsprechende Standards sind zu definieren, die Angebote zur<br />

Qualifizierung sind zu bezeichnen bzw. aufzubauen. Die Verbindlichkeit und die Validierungen<br />

von erworbenen Qualifikationen sind zu klären. Neue Anforderungen ziehen immer auch die<br />

Frage nach dem Anstellungsstatus nach sich.<br />

Qualitätssicherung: Es muss geregelt sein, wie die Qualität der fachkundigen individuellen<br />

Begleitung sichergestellt und mit welchen Mitteln sie kontrolliert wird. In der Einführungsphase<br />

können Evaluationen oder Benchmarking zur Qualitätssicherung eingeplant werden.<br />

Fachkundige Begleitung<br />

27


28<br />

•<br />

•<br />

Vernetzung, Kooperation: Ob als spezielles Angebot oder als Querschnittaufgabe verstanden,<br />

die Begleitung sollte möglichst gut in die Gesamtausbildungssituation integriert sein. Die Vernetzung<br />

aller an der Ausbildung Beteiligten ist unerlässlich. Aufeinander abgestimmte Lernplanung<br />

und -förderung sollte die Norm werden.<br />

Finanzierung: Die Anspruchsberechtigung, das Ausmass und die Finanzierung der Begleitung<br />

sind zu regeln, die Ansätze und Abrechnungsmodalitäten im Falle von externen Begleitungen<br />

müssen festgelegt werden.


Grundsätze zur fachkundigen<br />

individuellen Begleitung<br />

1 Zusätzliches Angebot zur reglementierten<br />

Ausbildung<br />

Mit der fachkundigen individuellen<br />

Begleitung bieten die Kantone den Lernenden<br />

der zweijährigen beruflichen<br />

Grundbildung ein zusätzliches, prinzipiell<br />

freiwilliges Angebot zur reglementierten<br />

schulischen bzw. fachlichen Ausbildung.<br />

Dieses neue Angebot hat als notwendige<br />

Voraussetzung einen lernfördernden Unterricht<br />

durch qualifizierte Lehrpersonen in der<br />

Berufsfachschule.<br />

2<br />

5 Grundsätze und Konkretisierungen für die Umsetzung<br />

Vernetzung der drei Lernorte<br />

Eine möglichst enge Koordination der<br />

fachkundigen individuellen Begleitung mit<br />

den drei Lernorten Betrieb, Berufsfachschule<br />

und Kurszentrum ist anzustreben.<br />

Grundsätze und Konkretisierungen<br />

Die Grundsätze für die Einführung der fachkundigen individuellen Begleitung sind das Kondensat<br />

der Ausführungen in diesem <strong>Leitfaden</strong>. Sie sind aus den Erfahrungen und Erkenntnissen diverser<br />

Pilotprojekte hervorgegangen, die sich zentral um die Ausgestaltung der fachkundigen individuellen<br />

Begleitung bemüht haben. 17 Die Grundsätze erlauben den ausführenden Kantonen, angepasste<br />

Lösungen auf einer gemeinsamen Grundlage zu entwickeln und sich dabei auf bestehende<br />

Ressourcen und bewährte Praxis zu stützen. Im Rahmen der Kantonstagung vom 12.12.2003 in<br />

Bern haben die anwesenden Fachpersonen die Grundsätze diskutiert. Die geäusserten Anregungen<br />

wurden in eine zweite Fassung integriert und nochmals zur Vernehmlassung den Kantonsvertretern<br />

zugestellt. Die vorliegenden Grundsätze sind das Resultat dieses Konsensbildungs-Prozesses.<br />

Parallel dazu enthalten die Konkretisierungen für die Umsetzung Vorschläge auf einer mittleren<br />

Abstraktionsstufe, abstrakt genug, um den unterschiedlichen kantons- bzw. regionsspezifischen<br />

Gegebenheiten Raum zu lassen und so konkret, dass Anhaltspunkte für die Umsetzung der fachkundigen<br />

individuellen Begleitung erkennbar sind.<br />

17 Schley W., Pool S. 2004<br />

Konkretisierungen für die Umsetzung<br />

Die Ausbildung von Lehrlingen in der zweijährigen beruflichen<br />

Grundbildung soll durch fachlich ausgewiesene Personen<br />

erfolgen. Besonders in den Berufsfachschulen sind dafür<br />

Lehrpersonen mit einschlägiger Ausbildung einzusetzen, mindestens<br />

auf dem Niveau des SIBP-Attests in Förderpädagogik<br />

(210 Lernstunden), vorzugsweise auf jenem der Zertifikatsstufe<br />

(600 Lernstunden).<br />

Zur Qualifikation der Begleitpersonen siehe unten.<br />

Der Kanton sorgt dafür, dass konzeptionell geklärt ist, welche<br />

pädagogischen Tätigkeiten der fachkundigen individuellen<br />

Begleitung zuzurechnen sind und welche der reglementierten<br />

Ausbildung der Berufslernenden.<br />

Der Kanton legt fest, an welchen Lernorten (Berufsfachschule,<br />

Betrieb, überbetrieblicher Kurs) die fachkundige individuelle<br />

Begleitung verankert werden soll.<br />

Wenn diese Aufgabe auf mehr als einen Lernort verteilt wird,<br />

müssen die Zuständigkeiten geklärt sein. Doppelspurigkeiten<br />

können vermieden werden durch klare Abläufe – z.B. indem<br />

eine Instanz mit der Triage-Aufgabe betraut wird –, durch<br />

definierte Schnittstellen und geregelte Verfahren bei übergreifenden<br />

Interventionen (Übergabe von „Fällen“, Bereiche der<br />

Zusammenarbeit). Vgl. dazu auch die Ausführungen zu<br />

Grundsatz 6.<br />

<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />

Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />

Kapitel 5<br />

29


30<br />

3<br />

4<br />

Ausprägungsformen<br />

Fachkundige individuelle Begleitung wird<br />

in einem definierten Rahmen (Setting)<br />

angeboten, in einer der folgenden Ausprägungsformen<br />

bzw. als Mischform:<br />

a) schulische fachkundige Begleitung<br />

b) sozialpädagogische fachkundige<br />

Begleitung<br />

c) Begleitung im betrieblichen Kontext.<br />

Qualifikation der Fachpersonen<br />

Fachkundige individuelle Begleitung wird<br />

Mit Vorteil wird die Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen<br />

für die Praxisausbildung, den Berufsschullehrpersonen<br />

und den Verantwortlichen für die fachkundige individuelle<br />

Begleitung gefördert. Dies kann z.B. geschehen durch:<br />

• formalisierte Abläufe (Standortbestimmungen, Lernvereinbarungen<br />

und andere Coaching-Instrumente)<br />

• formelle Auflagen (Pflichtenhefte, Berichterstattungen,<br />

u.a.m.)<br />

• Austausch im Rahmen von Aus- und Weiterbildung<br />

• Hospitationen.<br />

Die drei Ausprägungsformen werden in Kapitel 4.4 ausführlich<br />

dargestellt. Bei den drei Formen sollten die wichtigsten<br />

Komponenten konzeptionell geklärt werden:<br />

a) Schulische Begleitung<br />

Situationsabklärungen umfassen mehr als nur Leistungstests.<br />

Wenn Art und Ursachen der Lernhemmungen, das Lernumfeld<br />

und die Lernbereitschaft erkannt sind, kann gemeinsam mit<br />

dem/der Lernenden mit geeigneten Methoden und Instrumenten<br />

der Lernprozess gestaltet werden. Mit Vorteil<br />

geschieht dies koordiniert mit den andern Ausbildungspartnern.<br />

Unabdingbar ist, dass einige personelle, strukturelle und<br />

finanzielle Voraussetzungen erfüllt sind.<br />

b) Sozialpädagogische Begleitung<br />

Wenn bei Jugendlichen der Übergang ins Erwachsenen- und<br />

Erwerbsleben mit Krisen und Konflikten erschwert ist, sind sie<br />

und eventuell auch ihr Umfeld (z.B. Ausbildungsverantwortliche<br />

im Lehrbetrieb) auf professionelle Hilfe angewiesen. Hierzu<br />

sind ausgebildete Fachleute nötig, die zusätzlich gute Kenntnisse<br />

der Berufsbildung haben. Der Kanton ist besorgt, dass diese<br />

Aufgabe vernetzt und strukturell abgesichert wahrgenommen<br />

wird, das heisst, dass die Kompetenzen und Abläufe geregelt<br />

sind, die Finanzierung und das Controlling sichergestellt ist.<br />

c) Begleitung im betrieblichen Kontext<br />

Wenn Betriebe selber eine Begleitung bei Lern- und anderen<br />

Schwierigkeiten anbieten, soll diese nach Möglichkeit mit den<br />

Ausbildungspartnern koordiniert werden. Dort, wo der Kanton<br />

finanziell und/oder strukturell unterstützt, erstellt er Richtlinien<br />

zur Koordination. Der Kanton regelt auch die Begleitung im<br />

betrieblichen Kontext durch externe Fachpersonen, insbesondere<br />

die Verfahrenswege, die Zuständigkeiten und die Finanzierung.<br />

Je nach Ausprägungsform (vgl. Grundsatz 3) gilt es, die vor-


5<br />

von Personen angeboten, die für die jeweilige<br />

Ausprägungsform gemäss Grundsatz 3<br />

qualifiziert sind.<br />

Anspruchsberechtigung<br />

Der Kanton ist verantwortlich für ein<br />

pädagogisch sinnvolles Verfahren, um den<br />

Anspruch auf fachkundige individuelle<br />

Begleitung einwandfrei zu klären. Er achtet<br />

auf die rechtsgleiche Behandlung der<br />

Anspruchsberechtigung und das rechtliche<br />

Gehör.<br />

ausgesetzte Qualifikation der Begleiter/innen festzulegen.<br />

Der Kanton stützt sich dabei auf die Empfehlungen des SIBP,<br />

bzw. auf die in diesem <strong>Leitfaden</strong> aufgeführten Qualifikationen.<br />

Für eine schulische Begleitung sind spezifische Zusatzqualifikationen<br />

zu jener für die Unterrichtstätigkeit in Berufsfachschulen<br />

erforderlich, mindestens im Umfang von 210<br />

Lernstunden (Atteststufe SIBP) bzw. 600 Lernstunden<br />

(Zertifikatsstufe SIBP).<br />

Der Kanton entscheidet sich für die Übergangsfrist bis<br />

2009 für ein Verfahren, das es erlaubt, erstens den Anspruch<br />

auf fachkundige individuelle Begleitung einfach und mit<br />

möglichst geringem Aufwand zu klären und zweitens ein<br />

entsprechendes Angebot kontinuierlich einzuführen.<br />

Grundsätzlich gibt es drei Verfahren, um den Anspruch auf eine<br />

fachkundige individuelle Begleitung zu regeln. Die spezifischen<br />

Schwierigkeiten für jedes der Verfahren sind in Kapitel 4.3 erwähnt.<br />

a) Nach Leistungskriterien geleitete Zuweisung: Aufgrund<br />

erhobener Daten wird das Vorhandensein genügend<br />

grosser Lernschwierigkeiten festgestellt.<br />

b)Überweisungen: Aufgrund von Anträgen von Stellen,<br />

denen die Kompetenz dazu übertragen wird.<br />

c) Freier Zugang: Mit dem Ausbildungsvertrag einer zweijährigen<br />

beruflichen Grundbildung besteht grundsätzlich<br />

ein Anspruch.<br />

Beim Entscheid für eines der drei Verfahren sind folgende<br />

Aspekte massgebend:<br />

• Verfügbarkeit, Gütekriterien, Zuverlässigkeit und Validität<br />

von Instrumenten bzw. von Kriterien, die eingesetzt werden,<br />

um die Lernschwierigkeit festzustellen und die Misserfolgsprognose<br />

zu machen<br />

• quantitative Schätzungen (Anzahl Lehrlinge, Umfang der<br />

Abklärungen)<br />

• zeitliche Abfolge der Massnahmen (Erhebung, Begleitung,<br />

Förderung, Zweitbeurteilung,..)<br />

• Kompetenzen und Entscheidungswege<br />

• Rekursfähigkeit, Rekurswege und -instanzen<br />

• Budgetierung (wer? Schätzungsgrundlagen?), Kostenträger.<br />

Grundsätze und Konkretisierungen<br />

Unter diesem Aspekt ist der freie Zugang für Lehrlinge in der<br />

zweijährigen beruflichen Grundbildung den anderen Verfahren<br />

vorzuziehen. 31


32<br />

6 Zuständigkeit, Kompetenzen,<br />

Finanzierung<br />

Mit dem Entscheid für die umzusetzende(n)<br />

Ausprägungsform(en) regelt der<br />

Kanton auch die Kompetenzen, Verantwortlichkeiten<br />

und die Finanzierung der<br />

fachkundigen individuellen Begleitung.<br />

Während der Übergangszeit sind flexible,<br />

nicht einengende Regelungen zu befürworten,<br />

damit Handlungsspielraum innerhalb<br />

eines klar abgesteckten Rahmens<br />

ermöglicht wird.<br />

7<br />

Sozialer und pädagogischer Fokus<br />

Mit der fachkundigen individuellen Begleitung<br />

wird ein optimales Verhältnis von<br />

eingesetzten Mitteln und Lernerfolg be-<br />

Nach der Übergangsfrist, wenn die Anforderungen aller<br />

Berufsrichtungen an die Attestnorm bekannt sind, kann der<br />

Wechsel auf ein kriteriengeleitetes Verfahren geprüft werden.<br />

Aufgrund der getroffenen Wahl wird die Einführung in Etappen<br />

aufgeteilt, besonders die Qualifizierung der Begleitpersonen<br />

und die Reihenfolge der Nutzniessergruppen (z.B. nach Berufen,<br />

nach Schulen). In der Terminplanung sind auch Zwischenevaluationen<br />

und/oder Meilensteine vorzusehen und zu terminieren.<br />

Die Schulische Lernbegleitung wird von einer qualifizierte Person<br />

im Rahmen einer Anlaufstelle oder von einer qualifizierten<br />

Lehrperson wahrgenommen. Der Kanton bestimmt die für<br />

diese Aufgaben notwendige Qualifikation gemäss Grundsatz<br />

4. Es ist zu empfehlen, für die Aufgaben der fachkundigen<br />

individuellen Begleitung ein Pflichtenheft und ein Budget zu<br />

erstellen und darüber hinaus die Kompetenz für Kostengutsprachen<br />

zuhanden externer Fachpersonen zu regeln.<br />

Die sozialpädagogische Begleitung erfolgt auf Antrag. Der<br />

Kanton regelt die Zuständigkeiten, so dass eine klare Triage<br />

ohne Überschneidungen gewährleistet ist. Als beauftragte<br />

Zuweisungsinstanz kann entweder die zuständige schulische<br />

Begleitung oder die Lehraufsicht oder eine andere Stelle eingesetzt<br />

werden.<br />

Die betriebliche Begleitung erfolgt in erster Linie mit betriebseigenen<br />

Mitteln. Ist für den Ausbildungserfolg der Beizug<br />

externer Hilfe unverzichtbar, wird verfahren, wie im vorstehenden<br />

Abschnitt unter sozialpädagogischer Begleitung ausgeführt<br />

ist.<br />

Eine sinnvolle Berichterstattung gehört ins Pflichtenheft der<br />

Personen, welche mit der fachkundigen Begleitung beauftragt<br />

sind (vgl. unten).<br />

Jede der entscheidungsbeauftragten Instanzen verfügt über<br />

Finanzierungsrichtlinien, welche Aufschluss geben über<br />

Höhe/Berechnungsrundlage der Kosten, Budget, Abrechnungsverfahren<br />

und Kontrolle. Für Stellen mit Überweisungskompetenz<br />

müssen auch das Budget pro Ausprägungsform,<br />

Richtlinien für Kostengutsprachen und Rechnungskontrollen<br />

geregelt sein.<br />

Die direkteste Umsetzung einer lernwirksamen individuellen<br />

Begleitung führt über die spezifische Qualifikation der dafür<br />

zuständigen Personen gemäss Grundsatz 3 und über Leistungs-


wirkt, indem man sich auf pädagogische<br />

Erkenntnisse abstützt, d.h. auf die Selbststeuerung<br />

statt auf Defizitorientierung<br />

setzt.<br />

8 Optimierung der Mittel und<br />

Wirkungskontrolle<br />

Optimale fachkundige individuelle Begleitung<br />

ist nicht maximale Betreuung, d.h. in<br />

Bezug auf Umfang und Dauer: so viel und<br />

so lang wie für das Erreichen der Ausbildungsziele<br />

und der Bildungsmotivation<br />

nötig ist.<br />

Die Wirkung der ergriffenen Massnahmen<br />

wird regelmässig überprüft.<br />

vereinbarungen mit Personen, die für die jeweilige Ausprägungsform<br />

und Interventionsart qualifiziert sind. Mittel, die<br />

für Abklärungen, Antrags-, Entscheidungs- und Rekursverfahren<br />

eingesetzt werden, fehlen bei der praktischen Lernbegleitung.<br />

Solange keine geeigneten, hinreichend präzise Testverfahren<br />

bekannt sind, um Lernbedürfnisse im Hinblick auf ein<br />

Abschlussziel festzustellen und solange es keine Verfahren<br />

gibt, die nicht dem pädagogischen Fehler verfallen, einen<br />

Berg von Defiziten und Mängeln dem Lernenden in den Weg<br />

zu stellen, sollen solche Verfahren nur mit grosser Zurückhaltung<br />

und eingebettet in pädagogische, das heisst ressourcenorientierte<br />

Förderung eingesetzt werden.<br />

Instrumente und Verfahren, die der Ermittlung des Leistungsstands<br />

dienen (z.B. Einstufungstests), sollen nicht mit Mitteln,<br />

die für die fachkundige individuelle Begleitung vorgesehen<br />

sind, entwickelt und angewandt werden.<br />

Die Begleitung ist ein Angebot an die Lernenden. Sie ist in der<br />

Regel freiwillig und dauert nur so lange, bis aufgrund der<br />

Lernleistungen eine günstige Prognose für das Erreichen der<br />

Attestnorm gegeben werden kann.<br />

Wenn keine besonderen Gründe vorliegen, wird den Lernenden<br />

zunächst der Weg der schulischen fachkundigen Begleitung<br />

angeboten. Ergibt sich dabei ein besonderer Bedarf, der<br />

eine professionellere, intensivere Intervention verlangt, wird<br />

das durch den oder die schulische Lernbegleiter/in veranlasst.<br />

Ist für das Zustandekommen und die Aufrechterhaltung des<br />

Ausbildungsverhältnisses eine vorhergehende Begleitung Voraussetzung,<br />

wird deren Weiterführung als fachkundige individuelle<br />

Begleitung geprüft. Der Kanton bestimmt die für die<br />

Prüfung und Kostengutsprache zuständige Stelle.<br />

Die Wirkungskontrolle wird mit geeigneten Mitteln angestrebt.<br />

Dazu eignet sich z.B. eine jährlich Berichterstattung<br />

über Anzahl, Ausmass (Menge, Kosten) und soweit möglich<br />

über Wirkungen der Interventionen. Für aufwändigere Verfahren<br />

der Wirkungsanalyse nach sozialwissenschaftlichen<br />

Kriterien können interkantonale Studien sinnvoll sein.<br />

Grundsätze und Konkretisierungen<br />

33


34<br />

•<br />

•<br />

6 Ausgewählte Beispiele<br />

Ausgewählte Beispiele<br />

Auf den folgenden Seiten stellen sich Pilotprojekte vor, die auf unterschiedliche Art die fachkundige<br />

individuelle Begleitung umgesetzt haben. Zur besseren Vergleichbarkeit haben sich die<br />

Projektverantwortlichen bei der Beschreibung an die folgende Vorgabe gehalten: Im ersten Teil<br />

eine allgemeine Kurzbeschreibung und im zweiten eine kurze Darstellung der Praxis in Bezug auf<br />

die Grundsätze im Kapitel 5.<br />

6.1 Coaching und Lernförderung in der Berufsfachschule (TBZ) (Georges Kübler)<br />

6.1.1 Beschreibung<br />

Einordnung in die Typologie der Ausprägungsformen:<br />

Typ Schulische Lernbegleitung<br />

Design der fachkundigen Begleitung<br />

Alle Lernenden des Jahrgangs 2001-03, die mit einem Anlehrvertrag den Unterricht in der<br />

Technischen Berufsschule (TBZ) besuchten, wurden vom Pilotprojekt erfasst. Der obligatorische<br />

Unterricht wird ergänzt durch ein freiwilliges Coaching-Angebot, das parallel zum lehrplangesteuerten<br />

Unterricht stattfindet. Die Anlehrlinge werden in einem festgesetzten Rhythmus<br />

regelmässig gecoacht. Zwischen den ungefähr halbjährlichen Intervallen sind bei Bedarf weitere<br />

Beratungen für Einzelne oder kleine Gruppen möglich. Als Coach steht eine der beiden Lehrpersonen<br />

zur Verfügung.<br />

Ziele der Coaching-Gespräche sind Standortbestimmungen und das Finden persönlicher Ziele,<br />

bzw. die Revision ehemaliger Ziele, die mittels Vereinbarung festgehalten werden. Im Gespräch<br />

oder im Verlauf des Unterrichts werden Teilschritte, Massnahmen und Lerninhalte festgelegt. Die<br />

Lehrperson hat hier die Rolle des Coaches.<br />

Der Unterricht ist zweigeteilt, in einem Teil wird nach offiziellem Lehrplan Stoff bearbeitet. Im<br />

andern Teil findet selbstgesteuertes Lernen gemäss individuellen Zielvereinbarungen statt. Die<br />

Lehrperson sorgt für nötigen Lernbedingungen und bietet Hilfe bei Bedarf an.<br />

Ablaufmuster des Coachings<br />

Die Lehrlinge und Lehrmeister wurden vorgängig über das Coaching-Angebot informiert. Jedes<br />

einzelne Gespräch selbst ist angekündigt, zwischen Lehrling und Coach abgemacht und findet<br />

in einem speziellen Arrangement statt: In der Regel ausserhalb der Unterrichtszeit, prinzipiell<br />

freiwillig, in einem ruhigen Raum der Schule und mit genügend Zeit.<br />

Beim Erstgespräch wird für jeden Lehrling eine Stunde reserviert. Inhaltlich dient es in erster Linie<br />

dazu, die Wünsche und Ziele der Lehrlinge zu erkennen, vor dem Hintergrund der realen Gegebenheiten<br />

persönliche Optionen zu finden, um dann erste Ziele zu fixieren. Dass damit das für die


•<br />

•<br />

•<br />

selbstgesteuerten Lernsequenzen unabdingbare Klima des Vertrauens und der Selbstverantwortung<br />

geschaffen wird, ist ein beabsichtigter Nebeneffekt. Die Lehrlinge erkennen, dass ihre Lernbedürfnisse<br />

einerseits im Zentrum stehen und ernst genommen werden, anderseits auch Konsequenzen<br />

haben: Sie werden laufend daran erinnert und es kann auch so weit gehen, dass die<br />

Lernjournale regelmässig durch den Lehrbetrieb kontrolliert werden.<br />

Die weiteren Coaching-Sitzungen folgen im Prinzip diesem Muster. Im Einzelfall können sie aber<br />

durchaus kürzer ausfallen, gelegentlich finden auch ganz beiläufig am Rand des Unterrichtsgeschehens<br />

oder in Pausen kleine Coaching-Gespräche statt.<br />

Methode und Inhalte<br />

Aufgrund der spezifischen Ausbildung der Lehrpersonen-Coaches basieren die Beratungsgespräche<br />

weitgehend auf dem dort vermittelten Grow-Modell nach J. Whitmore 18 :<br />

G (Goal) : Die Ziele der Lehrlinge bilden den Anfang und Ausgangspunkt.<br />

R (Reality) : In welcher realen Situation steht der Lehrling?<br />

O (Options) : Was für Möglichkeiten, Vorschläge und Ideen bieten sich an?<br />

W (Will) : Was will der Lehrling konkret tun?<br />

Zu Beginn drehen sich die Gespräch, bedingt durch den Schulkontext, um Lern- und Ausbildungsfragen,<br />

häufig mischen sich aber bereits auf der Ziel-Ebene persönliche Aspekte ins Gespräch.<br />

Im Anfangsstadium ist es nicht immer ganz einfach für die Lehrpersonen-Coaches, einerseits die<br />

Breite der Themen zuzulassen, anderseits die Zielfindung auf das Kerngebiet, die Ausbildung, zu<br />

fokussieren.<br />

6.1.2 Bezug zu den Grundsätzen<br />

Begleitung in Bezug auf die Ausbildung in Schule und Betrieb<br />

Die enge Verzahnung von Berufsfachschule und Begleitung ist gegeben: Sowohl Ort wie auch<br />

eine Lehrperson ist identisch mit der Lernbegleitung. Die betrieblichen Ausbildungsverantwortlichen<br />

sind im Prinzip informiert über die vereinbarten Lernziele. Diese Zusammenarbeit könnte systematischer<br />

ausgebaut werden. Es gibt aber auch Grenzen, bedingt durch die Vertraulichkeit der<br />

Gespräche und der daraus folgenden Vereinbarungen.<br />

Konkrete Massnahmen zur Vernetzung der Lernorte<br />

Ein sogenannter «Laufbahnpass» wird in der Regel in der zweiten oder dritten Coaching-Sitzung<br />

erstellt und als Kommunikationsmittel zwischen Betrieb und Schule eingesetzt: Der Lehrmeister<br />

nimmt die Ziele zur Kenntnis, unterschreibt den Laufbahnpass und unterstützt den Lernenden in<br />

Bezug auf die dort genannten Qualifikationsziele.<br />

18 Bürki 2003 (b) nach Whitmore J. 1994<br />

<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />

Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />

Kapitel 6<br />

35


36<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

Anforderungen an die Qualifikation der Fachpersonen<br />

Die als Coaches eingesetzten Lehrpersonen haben eine Weiterbildung im Umfang von 65 Lernstunden<br />

absolviert und nehmen regelmässig an Supervisionen teil, ca. 6 Sitzungen zu 3 Stunden<br />

im Jahr.<br />

Klientel: Auswahl, Zuweisung, Selektion<br />

Anspruch auf Coaching haben alle Anlehrlinge an der Technischen Berufsschule Zürich. Eine<br />

Selektion findet nicht statt, die Teilnahme ist freiwillig, wird aber in aller Regel von allen<br />

gewünscht. Sogenannte Standortbestimmungen zu Beginn der Ausbildungen im Bereich Mathematik<br />

und Sprache dienen einerseits der Klasseneinteilung und anderseits können sie beim Erstgespräch<br />

als Diskussionsgrundlage herangezogen werden.<br />

Kompetenzen, Kompetenzabgrenzungen (Ist und Soll)<br />

Die Coaches haben kein Pflichtenheft. Arbeitsgrundlage bildet eine Funktionsbeschreibung für<br />

Coaches sowie die in der Ausbildung und in den Supervisionen erworbene Qualifikation. Kompetenzen,<br />

insbesondere zur Überweisung an andere Instanzen haben die Coaches nicht. Bis jetzt<br />

war noch kein Bedarf dafür da, aber eine entsprechende Finanzkompetenz (Kostengutsprache)<br />

wäre wünschenswert.<br />

Ein Förderkonzept für die Schule ist in Vorbereitung. Dort werden allenfalls konkretere Angaben<br />

zu Qualifikation, Aufgaben und Kompetenzen aufgenommen.<br />

Mittel, Kosten, Zeitdauer<br />

Zur Zeit werden die besonderen Aufwendungen für die Lehrlingscoachings, die Supervisionen,<br />

spezielle PR- und Dokumentationsaufgaben (Berichte, Informationsveranstaltungen) aus Mitteln<br />

des Lehrstellenbeschlusses 2 (LSB2) und durch Projektstunden der Schule abgegolten. Der<br />

Aufwand entspricht ungefähr 1 bis 1,5 Jahreslektionen (ohne vorausgegangene, obligatorische<br />

Ausbildung).<br />

Das Coaching-Angebot an die Lehrlinge wird über die ganzen 2 Jahre aufrechterhalten. In der<br />

Regel wird es auch wahrgenommen, wobei die Intensität im zweiten Ausbildungsjahr eher<br />

abnimmt.<br />

Wirkungskontrolle? Wie? (Ist und Soll)<br />

Im Rahmen des quantitativen Projektziels «20-30 Prozent der Anlehrlinge bereiten sich auf eine<br />

weiterführende Qualifikation vor» werden die Übertritte regelmässig erhoben.<br />

6.1.3 Ausblick<br />

Wünschenswert wäre eine leicht höhere Intensität, das heisst mehr Begleitungskontakte, insbesondere<br />

im zweiten Ausbildungsjahr, um die Lehrlinge auf einen erfolgreichen Abschluss und eine


•<br />

•<br />

sinnvolle Weiterqualifikation (Eintritt in Lehre etc.) vorzubereiten. Dafür fehlte aber zum Teil der<br />

reale Lern- und Leistungsanreiz vor allem bei jenen, die keinen Übertritt in eine Lehre anvisieren<br />

– es gab „nur“ einen Anlehrausweis, es war keine Attestnorm zu erfüllen.<br />

Eine gut funktionierende Zusammenarbeit der Lehrpersonen ist entscheidend, damit die individuellen<br />

Lernziele und die Umsetzung in den Sequenzen des selbstgesteuerten Lernens optimal kommuniziert<br />

und koordiniert werden. Es hat sich gezeigt, dass die Kooperation besser ist bei Lehrpersonen-<br />

Teams, die (gemeinsam) die Coaching-Ausbildung absolviert haben und sich in der Supervision<br />

vertieft mit der Methode und der eigenen Praxis auseinandersetzen.<br />

Nach Verlassen der Technischen Berufsschule wird die weitere berufliche Laufbahn der Austretenden<br />

nicht weiterverfolgt. Wünschenswert wäre, die Begleitung nach Aus- und Übertritten eine<br />

gewisse Zeit lang fortzusetzen, damit die Lernenden in der neuen Umgebung Tritt fassen können.<br />

6.2 Integrale Förderung in der Lernwerkstatt (Peter Ming)<br />

6.2.1 Beschreibung<br />

Einordnung in die Typologie der Ausprägungsformen:<br />

Typ schulische Lernbegleitung<br />

Design der Lernwerkstatt<br />

Die Lernwerkstatt ist ein neues Lerngefäss innerhalb des obligatorischen Berufsschulunterrichtes<br />

in der Grundbildung mit Attest. Dazu werden je eine wöchentliche Lektion Allgemeinbildung und<br />

Fachunterricht zusammengelegt. In dieser Doppellektion erfolgt eine individuelle Förderung der<br />

Lernenden im Teamteaching durch die Lehrpersonen des fachlichen und des allgemeinbildenden<br />

Unterrichts. Die Lernenden, welche zu hundert Prozent eigenaktiv arbeiten, werden im Sinne<br />

eines Lerncoachings betreut. Das Hauptziel dieser Förderung ist, vom fremd- zum selbstbestimmten<br />

Lernen zu gelangen. Der Weg führt von der Selbstwahrnehmung (Selbstbezug zur eigenen<br />

Lernfähigkeit und -bereitschaft) über metakognitives Wissen (Wissen um den eigenen Lerntyp,<br />

Lern- und Arbeitstrategien) und metakognitive Steuerung und Kontrolle (Planen, Organisieren,<br />

Durchführen, Kontrolle und Reflexion). Das Lernen lernen erfolgt durch Tun, indem an Inhalten<br />

des Fachunterrichtes die Kulturtechniken Sprache und Mathematik geübt und gefestigt werden.<br />

Mit der Lernwerkstatt erfolgt ein Paradigmenwechsel in der Ausbildung lernschwächerer Jugendlicher.<br />

Stand bisher in der Anlehre oftmals das Element des Schonraums im Vordergrund, ist es neu das<br />

Element des „Förderns durch fordern“. Gezieltes und individuelles Fördern heisst nicht überfordern.<br />

Ziele und Instrumente<br />

Die Lernförderung verfolgt ein zweifaches Ziel: Die schulisch schwächeren Jugendlichen sollen<br />

dazu befähigt werden, die standardisierten Anforderungen der Attestbildung zu erfüllen und die<br />

stärkeren sollen auf einen Übertritt in eine Grundbildung mit Fähigkeitszeugnis vorbereitet werden.<br />

Ausgewählte Beispiele<br />

37


38<br />

•<br />

•<br />

•<br />

Gefördert wird mit einem ressourcenorientierten Ansatz. Ein eigens geschaffenes Lernmittel<br />

(„Unterwegs zum Lernprofi“, Orell Füssli Verlag, Mai 2004) wurde während drei Jahren in verschiedenen<br />

Pilotklassen mit Lehrlingen der Atteststufe und in Stütz- und Förderkursen erprobt. Es<br />

enthält Instrumente wie Checklisten und Portfolios in Lern- und Arbeitstechnik, Sprache und<br />

Mathematik, Lernplanungs- und Kontrollinstrumente, welche für Strukturen und systematisches<br />

Einhalten des Lernweges sorgen. Weitere Instrumente für Sprache und Mathematik<br />

unterstützen die individuellen Bemühungen, Defizite anzugehen, Strategien zum Umgang mit<br />

Lernschwächen zu entwickeln und Ressourcen gezielt zu fördern.<br />

Mit dem Ansatz der Lernwerkstatt versuchen wir aufzuräumen mit dem Mythos, Jugendliche mit<br />

einer negativen Schulbiografie seien kaum noch zu motivieren und mit selbstbestimmtem Lernen<br />

und standardisierten Leistungszielen überfordert.<br />

Mit dem Ansatz der berufsfeldorientierten Allgemeinbildung in der Lernwerkstatt widerlegen wir<br />

auch die verbreitete Meinung, Defizite bei den Kulturtechniken Sprache und Mathematik könnten<br />

mit den beschränkten (zeitlichen) Ressourcen auf der Sekundarstufe II kaum noch aufgeholt werden.<br />

Rahmenbedingungen<br />

In den Pilotprojekten weisen die Lerngruppen eine Grösse von 7 – 14 Lernenden auf.<br />

Die wiederkehrenden Mehrkosten gegenüber herkömmlichem Anlehrunterricht resultieren aus<br />

dem Teamteaching, sie umfassen zwei Jahreslektionen pro Klasse.<br />

Dank Teamteaching können die Jugendlichen individuell betreut werden und sie haben die Möglichkeit,<br />

sich ihre Bezugsperson selber zu wählen. Erfahrungen haben gezeigt, dass Lernende<br />

zunehmend auch mit persönlichen Problemen des Alltags oder Berufes in der Lernwerkstatt Rat<br />

und Hilfe suchen, und die „Lernwerkstatt“ zu einer echten „Lebenswerkstatt“ wird.<br />

6.2.2 Bezug zu den Grundsätzen<br />

Begleitung in Bezug auf die Ausbildung in Schule und Betrieb<br />

Die fachkundige Begleitung in der Lernwerkstatt erfolgt durch die selben Lehrpersonen, welche<br />

auch für die reglementierte Ausbildung der Lernenden verantwortlich sind. Ausbildner und Auszubildende<br />

kennen sich dank der intensiven Lernbegleitung besser, wodurch Synergien auch für<br />

den regulären Unterricht entstehen.<br />

Durch die Lernförderung an Inhalten des Fachunterrichtes ist der Bezug zur beruflichen Praxis<br />

indirekt gewährleistet.<br />

Konkrete Massnahmen zur Vernetzung der Lernorte<br />

Die Lernwerkstatt selber zielt nicht unmittelbar auf die Vernetzung der Lernorte. Sie beabsichtigt<br />

aber eine mittelbare Wirkung auf das Lernen in überbetrieblichen Kursen (üK) und Betrieben zu


•<br />

•<br />

haben, indem sich Erfolge bei der gezielten Förderung der Lern- und Arbeitstechnik in der Lernwerkstatt<br />

auch auf die Ausbildung in den beiden andern Lernorten auswirken.<br />

Konkrete Massnahmen zur Vernetzung sind im gesamten Projekt, von dem die Lernwerkstatt ein<br />

Element darstellt, vorgesehen, z.B. reglementierte Kontakte zwischen Schule und Lehrbetrieb<br />

oder die gemeinsame Erteilung der üK durch Fachlehrperson und Kursleiter. An einem Lehrmeisterabend<br />

zu Beginn der Ausbildung werden zudem die betrieblichen Ausbildner über die fachkundige<br />

individuelle Lernförderung eingehend informiert.<br />

Anforderungen an die Qualifikation der Fachpersonen<br />

Die Fachpersonen sind ausgebildete Lehrpersonen der Sekundarstufe II, die ein zusätzliches Engagement<br />

in der Betreuung Jugendlicher mit Lernschwierigkeiten mitbringen.<br />

Das Teamteaching bedingt ein hohes Mass an Bereitschaft und Fähigkeit zur Teamarbeit. Auf der<br />

Ebene des Gesamtprojektes finden regelmässige Teamsitzungen und interne Weiterbildungsveranstaltungen<br />

statt. Die Mitarbeit an der Projektentwicklung werten wir als effiziente Form der<br />

Weiterbildung.<br />

Klientel: Auswahl, Zuweisung, Selektion<br />

In der Attestbildung sind die Absolventen der Lernwerkstatt Anlehrlinge, d.h. Schulabgänger der<br />

Werkklasse oder Realschule.<br />

In Stütz- und Förderkursen sind es Lehrlinge der Grundbildung mit Fähigkeitszeugnis, welche<br />

die geforderten Leistungen nicht erbringen, Lücken im Schulstoff aufweisen oder über eine<br />

mangelnde Lern- und Arbeitstechnik verfügen.<br />

•<br />

Kompetenzen, Kompetenzabgrenzungen<br />

Die unter 6.2.1 beschriebenen Instrumente der Lernwerkstatt erlauben in den meisten Fällen eine<br />

unkomplizierte und effiziente Diagnose des Leistungstandes und der Lernkompetenz. Das Teamteaching<br />

verhindert einseitig subjektive Einschätzungen und grobe Fehlinterpretationen, da<br />

Beobachtungen ausgetauscht und verglichen werden. Erfahrungen haben gezeigt, dass beim<br />

Lerncoaching die Übergänge fliessend sind zwischen Lernbegleitung, -beratung und -therapie.<br />

Das Coachingteam entscheidet jedoch zusammen mit dem Lernenden, wenn zusätzliche<br />

Massnahmen in Erwägung gezogen werden müssen in Richtung Lerntherapie, soziales oder<br />

betriebliches Coaching. Antrag auf den Beizug einer externen Institution oder Fachstelle erfolgt<br />

an das Amt für Berufsbildung, welches die Ausbildungspartner mit einbezieht.<br />

Ausgewählte Beispiele<br />

39


40<br />

•<br />

•<br />

•<br />

Mittel, Kosten, Zeitdauer<br />

Die Lernwerkstatt als Teil eines umfassenden Pilotprojektes zur Erprobung des Referenzmodells<br />

wurde bisher durch den Kanton und den LSB2 finanziert. Auf der Basis eines Schultages mit 8<br />

Lektionen (und 2 zusätzlichen Lektionen wegen Doppelbelegung der Lehrpersonen durch Lernwerkstatt<br />

= 10 Lektionen) und 14 Lernenden pro Klasse ergeben sich für die schulische Ausbildung<br />

pro lernende Person und Jahr Kosten von Fr. 5'257.–. Das Angebot erstreckt sich in der<br />

Regel über zwei Jahre.<br />

Wirkungskontrolle<br />

Die unter 6.2.1 erwähnten Messinstrumente (Checklisten und Portfolios) ermöglichen, zu Beginn<br />

der Lernförderung den Ist-Zustand festzustellen, individuelle und konkrete Zielsetzungen aufzustellen<br />

und kontinuierliche Erfolgskontrollen im Sinne der Fremd- und Selbstevaluation vorzunehmen.<br />

Die Kompetenzenraster zeigen Lernerfolge und -defizite auf und ermöglichen eine genaue Positionierung<br />

innerhalb der Anforderungsniveaus der Berufe und Ausbildungstypen. Sie dienen somit<br />

der Abklärung möglicher Weiterbildung oder Durchlässigkeit zur erweiterten Grundbildung mit<br />

EFZ-Abschluss.<br />

6.3 Individuelles Coaching in der Berufsbildung (Verein Job) (Thomas Diener)<br />

6.3.1 Beschreibung<br />

Einordnung in die Typologie der Ausprägungsformen:<br />

Typ sozialpädagogische Begleitung.<br />

Design der fachkundigen Begleitung<br />

Das seit Sommer 2000 existierende Coachingangebot für Jugendliche in der Berufsbildung wurde<br />

anfangs durch den LSB2 finanziert und begleitet. Die Auszubildenden werden, unabhängig von<br />

ihrem Ausbildungsniveau, tatkräftig unterstützt, begleitet und betreut. Es soll ein Abbruch der<br />

Ausbildung aufgrund von schulischen, ausbildungsbezogenen oder sozialen Problemen verhindert<br />

und die berufliche wie auch private Situation stabilisiert werden. Indikatoren sind problematische<br />

Verhaltensmuster der Auszubildenden oder Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder in der Schule.<br />

Der Fokus der sozialpädagogischen Begleitung zielt auf die Klärung der persönlichen Situation,<br />

auf die Stärkung der Kompetenzen und das Entwickeln von alternativen Lösungsstrategien. Es ist<br />

für die Ratsuchenden kostenlos und wird in Intensität und Dauer ihren individuellen Bedürfnissen<br />

angepasst. Eine Vereinbarung regelt die Ziele, die Zusammenarbeit und Verantwortlichkeit zwischen<br />

allen Beteiligten. Auch Lehr- und Ausbildungspersonen werden bei Bedarf beraten. Die<br />

fachliche Kompetenz der Begleitpersonen wird gewährleistet durch eine anerkannte höhere Ausbildung<br />

im Sozialbereich.


•<br />

Ablaufmuster des Coachings<br />

Das Coaching kommt nur im Einverständnis der Auszubildenden zu Stande. Anlässlich einer<br />

ersten Sitzung werden zusammen mit dem Lehrmeister und dem Auszubildenden die Erwartungen<br />

und Ziele der Ausbildung für das nächste halbe Jahr festgehalten. Weiter wird anlässlich dieses<br />

Gesprächs vereinbart, wie häufig und in welcher Form zwischen den beteiligten Parteien Kontakte<br />

stattfinden (Einzelgespräche zwischen dem Coach und dem Jugendlichen/Auswertungssitzungen<br />

zwischen dem Lehrmeister, dem Jugendlichen und dem Coach/telefonischer Informationsaustausch<br />

zwischen dem Lehrmeister sowie den Berufsschullehrern). Im Regelfall finden Einzelgespräch<br />

alle zwei Wochen, Auswertungsgespräche mit dem Lehrmeister alle sechs Monate und<br />

Informationsaustausche zwischen dem Lehrmeister und/oder den Berufsschullehrern je nach<br />

Bedarf und mindestens alle zwei Monate statt. Die Einzelgespräche finden hauptsächlich in den<br />

Sitzungsräumen des Vereins Job statt und dauern je nach Bedarf zwischen einer halben und einer<br />

Stunde. Die Auswertungssitzungen und der Informationsaustausch dauern ungefähr eine Stunde<br />

und finden entweder im Lehrbetrieb, in der Berufsschule oder in den Räumlichkeiten des Vereins<br />

Job statt.<br />

In einem ersten Einzelgespräch zwischen dem Coach und dem Jugendlichen wird konkretisiert,<br />

welche Erwartungen und Ziele der Jugendliche in Bezug auf seine Ausbildung hat. Im Anschluss<br />

an dieses Erstgespräch initiiert der Coach die erste Sitzung mit dem Lehrbetrieb, an der gemeinsam<br />

mit dem Lehrmeister und eventuell den Berufsschullehrern die Erwartungen und Ziele des<br />

Jugendlichen mit den Ausbildungsanforderungen abgeglichen werden. Die gemeinsam erarbeiteten<br />

Ziele werden durch den Coach festgehalten und nachfolgend in den Einzelgesprächen mit dem<br />

Jugendlichen thematisiert. Gemeinsam mit dem Jugendlichen werden sodann die Instrumente<br />

erarbeitet, um die Ziele erreichen zu können. Dabei beinhaltet das Coaching die Klärung der<br />

persönlichen und sozialen Situation.<br />

•<br />

Methode und Inhalte<br />

Die Coaches des Vereins Job orientieren sich in der Zusammenarbeit mit dem Jugendlichen an einschlägigen<br />

Theorien der Sozialpsychologie und Sozialarbeit. Methoden und Konzepte, die ihr<br />

Handeln leiten, sind z.B. das Casemanagement, Empowerment, Themenzentrierte Interaktion, um<br />

nur einige zu nennen.<br />

Die Grundlage der Zusammenarbeit bilden die gemeinsam mit allen involvierten Parteien erarbeiteten<br />

Ziele für den Jugendlichen. Darauf aufbauend erstellen die Coaches mit dem Jugendlichen<br />

einen Förderplan, woran sich die Zusammenarbeit massgeblich orientiert. Die Coaches machen<br />

sich in den Einzelgesprächen oder Kontakten mit dem Familiensystem ein Bild des sozialen<br />

Umfelds des Jugendlichen, um relevante und die Ausbildung tangierende Themen erkennen und<br />

mit dem Jugendlichen bearbeiten zu können.<br />

Ausgewählte Beispiele<br />

41


42<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

6.3.2 Bezug zu den Grundsätzen<br />

Begleitung in Bezug auf die Ausbildung in Schule und Betrieb<br />

Die geeigneten Massnahmen werden im Rahmen der reglementierten Grundbildung geplant. Die<br />

vereinbarten Ziele können in direktem Zusammenhang mit Inhalten und Anforderungen der Ausbildung<br />

stehen, aber auch darüber hinaus gehen. Die sozialpädagogische Begleitung entbindet<br />

die Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen nicht von ihrer fachlichen Verantwortung, unterstützt<br />

und entlastet diese aber bei sozialen Fragestellungen.<br />

Konkrete Massnahmen zur Vernetzung der Lernorte<br />

Der Verein Job wirkt als externer, von den Institutionen der Berufsbildung unabhängiger Anbieter.<br />

Die Zusammenarbeit mit den Ausbildungsverantwortlichen und Lehrpersonen findet fallbezogen<br />

statt. Die Unterstützungsformen, Massnahmen, Ziele und der zeitliche Rahmen werden<br />

gemeinsam definiert und in einem Coachingvertrag festgehalten. Für das Erreichen der Ziele ist<br />

die Kooperation der massgeblich beteiligten Personen von zentraler Bedeutung. Erst eine gemeinsame,<br />

gut koordinierte Strategie führt zum Erfolg. Der Informationsaustausch und die Zielüberprüfung<br />

finden nach Bedarf statt und werden durch die Coaches geplant.<br />

Anforderungen an die Qualifikation der Fachpersonen<br />

Alle Mitarbeitenden verfügen über einen anerkannten Fach- oder Hochschulabschluss der Sozialarbeit.<br />

Diese Ausbildung erlaubt eine professionelle, theoriegeleitete Begleitung der Auszubildenden<br />

mit der nötigen Verbindlichkeit und angemessenen Distanz. Berufserfahrung in der Arbeit mit<br />

Jugendlichen und Kenntnisse über die schweizerische Berufsbildung werden erwartet.<br />

Klientel: Auswahl und Zuweisung<br />

Die Teilnahme ist grundsätzlich freiwillig, auch wenn uns Jugendliche zum Teil durch Institutionen<br />

der Jugendhilfe zugewiesen werden. Eine Selektion findet nicht statt. In einem Erstgespräch wird<br />

die Vorgeschichte erfasst und die Erwartungen aller Beteiligten überprüft. Die Inanspruchnahme<br />

der sozialpädagogischen Begleitung beinhaltet auch immer Pflichten und Eigenleistungen, welche<br />

im Coachingvertrag festgehalten werden. Eine weitere Grundvoraussetzung ist die gemeinsame<br />

Sichtweise der zu ergreifenden Massnahmen.<br />

Anspruchsberechtigung<br />

Anspruchsberechtigt sind alle Auszubildenden, in unserem Fall entgegen den Bestimmungen im<br />

neuen BBG auch Jugendliche der drei- und vierjährigen Grundbildung. Die Praxis hat gezeigt, dass<br />

die Indikation für eine sozialpädagogische Begleitung selten in Zusammenhang mit dem schulischen<br />

Niveau steht. Ebenfalls Anspruch auf Unterstützung haben Lehrabbrecher/innen mit dem<br />

Ziel der Fortsetzung der Ausbildung.


•<br />

•<br />

•<br />

Kompetenzen, Kompetenzabgrenzungen<br />

Die Aufgaben und Kompetenzen lassen sich aus dem Konzept ableiten. Übersteigt die zu ergreifende<br />

Massnahme die fachliche Kompetenz oder die zeitlichen Ressourcen der Begleitperson,<br />

können mit Einwilligung der Auszubildenden weitere Personen oder Stellen informiert oder die<br />

Zusammenarbeit mit ihnen angestrebt werden. Wenn eine anerkannte Fachstelle bereits für ein<br />

bestimmtes Problem zuständig ist, werden die Auszubildenden dorthin verwiesen. Ein gut ausgebautes<br />

Netzwerk erlaubt es den beratenden Personen, die Auszubildenden nicht nur in schulinterne<br />

Förderangebote, sondern auch in eines der vielen externen Angebote zu vermitteln. Für<br />

den Umgang mit Daten und Informationen gelten die allgemeinen Datenschutzrichtlinien und<br />

Diskretion (Schweigepflicht).<br />

Kosten, Zeitdauer<br />

Die Dauer einer Begleitung wird in Absprache mit allen am Coachingprozess beteiligten Personen<br />

individuell und nach Bedarf festgelegt. In der Regel dauert die Massnahme mind. ein halbes,<br />

maximal zwei Ausbildungsjahre. Bei 100 Stellenprozenten liegt die Betreuungskapazität bei max.<br />

25 Auszubildenden.<br />

Wirkungskontrolle<br />

Die vereinbarten Ziele, die im Coachingvertrag festgehalten sind, werden regelmässig mit allen<br />

Beteiligten überprüft und wenn nötig neu formuliert. Für die Qualitätssicherung werden alle<br />

Daten in unserem Computersystem erfasst. Die Arbeit der Coaches wird durch regelmässige<br />

Supervision, Fallbesprechung und Weiterbildungen reflektiert. Das Coachingangebot wird noch<br />

bis Frühling 2004 durch die Schule für Soziale Arbeit HASAZ evaluiert. Der Schlussbericht<br />

erscheint im April 2004 und ist in einer Kurzfassung auf http://www.vereinjob.ch abrufbar.<br />

6.4 Ausbildungsverbund mit Coaching (Bildungsnetz Zug) (Matthias Buzzi)<br />

6.4.1 Beschreibung<br />

Einordnung in die Typologie der Ausprägungsformen:<br />

Mischform: Coaching der Jugendlichen in schulischen und sozialen Anliegen. Auf Wunsch auch<br />

Coaching für die Betriebe.<br />

•<br />

Design der Struktur<br />

Ziel des 'Bildungsnetz Zug' ist, dass Jugendliche einen Berufsabschluss auf Stufe Grundausbildung<br />

mit Attest oder Fähigkeitszeugnis erreichen.<br />

Die Jugendlichen schliessen den Lehrvertrag mit dem Coach des Bildungsnetzes Zug ab. Dieser ist<br />

damit ihr Lehrmeister und erste Ansprechperson. Er erledigt auch sämtliche administrativen Arbeiten,<br />

die im Lehrlingswesen anfallen. Für die Fachausbildung werden entsprechende Betriebe mit<br />

Ausgewählte Beispiele<br />

43


44<br />

Ausbildungsbewilligungen gesucht. Ein Zusammenarbeitsvertrag regelt die rechtlichen, finanziellen<br />

und kooperativen Aspekte. Eine Bildungsnetz-Lehre unterscheidet sich in sechs Punkten von<br />

einer herkömmlichen Ausbildung:<br />

a. Der Lehrbetrieb hat keine administrativen Arbeiten für den Lehrling zu erfüllen (wie z.B.<br />

Versicherungsfragen, Unfallmeldungen, Lohnzahlungen, Arbeitsbewilligungen, Quellensteuerberechnungen<br />

u.a.m.). Diese Arbeiten werden vom Bildungsnetz erledigt.<br />

b. Ein Zusammenarbeitsvertrag regelt die rechtlichen Punkte, die finanzielle Seite, bestimmt<br />

die Fachziele für die kommenden sechs Monate und die Art sowie die Anzahl der Kontakte<br />

zwischen Betrieb und Coach. Der Zusammenarbeitsvertrag zwischen Betrieb und Coach kann<br />

auf 6 oder 12 Monate ausgestellt werden. Dabei besteht die Option auf Verlängerung.<br />

Unter Umständen absolviert ein Jugendlicher somit seine Praxisausbildung in einem bis drei<br />

Betrieben. Der Coach ist bei akuten Problemen auch Ansprechperson für die Lehrmeister.<br />

c. Die Jugendlichen profitieren von einem professionellen Coaching. Vor dem Start in die<br />

Berufsschule und die Praxis findet ein zweiwöchiges Einstiegsseminar statt. Mindestens<br />

alle 14 Tage kommen die Jugendlichen für einen halben Tag (4 Stunden) ins Coaching.<br />

Dieser Rhythmus kann bei Bedarf erhöht oder verkürzt werden (z.B. wöchentlich). Das<br />

Coaching findet in Kleingruppen statt (4–6 Personen). Ein individuelles, zielorientiertes<br />

Lernprogramm bestimmt das Vorgehen. Im Coaching haben die Jugendlichen die Möglichkeit,<br />

ihre Hausaufgaben begleitet zu erledigen. Im Gespräch (Gruppe oder Zweiergespräch)<br />

reflektieren sie ihren schulischen und beruflichen Alltag und tauschen Erfahrungen<br />

aus. Jeweils eine bestehende Schwierigkeit wird in Form eines Lösungs-Vorsatzes<br />

schriftlich festgehalten und im Coaching 14 Tage später überprüft. Arbeits- und Lerntechnik<br />

übt man in praktischen Arbeiten ein. Die Arbeit an und mit Texten bildet ein<br />

Schwergewicht. Rollenspiele schälen taugliche und/oder unbrauchbare Verhaltensweisen<br />

heraus, die allenfalls ins persönliche Verhaltensrepertoire eingebunden bzw. vermieden<br />

werden sollten.<br />

d. Jeder Jugendliche führt ein Coaching-Book. Diese Informationsbrücke zwischen Lehrmeister/in<br />

– Jugendlichen – Schule und Coach ist ein quantitativer und qualitativer Rückblick<br />

des Jugendlichen auf seinen Arbeitstag in schriftlicher Form. Jede Woche geben die Jugendlichen<br />

und der Lehrmeister alle 14 Tage auf einer Skala von 1 bis 12 Rückmeldungen auf<br />

drei Ebenen: das Verhalten, die Leistungen im Betrieb und die Grösse der Fortschritte.<br />

Der Betrieb hat hier auch Gelegenheit, persönliche Rückmeldungen in Form von Lob oder<br />

Tadel schriftlich anzubringen. Das erzeugt eine hohe Verbindlichkeit für allfällige Korrekturmassnahmen.<br />

e. Der Betrieb bestimmt eine Auswahl von Fachzielen aus dem Ausbildungsreglement oder<br />

dem Ausbildungsprogramm, die in den kommenden 6 Monaten vom Jugendlichen erreicht<br />

werden müssen. Nach dieser Zeit werden die Fachziele mittels einer praktischen Semesterprüfung<br />

im angestammten Betrieb überprüft und beurteilt. Nicht erfüllte Ziele erscheinen<br />

wieder für die kommenden 6 Monate; neue Fachziele kommen dazu.


•<br />

•<br />

f. Finanzielles: Es wird von einem Tagesansatz ausgegangen, der auf Grund des Monatslohnes<br />

vom Jugendlichen errechnet wird. Darin enthalten sind die Sozialleistungen und die Kosten<br />

für die Einführungskurse. Der Betrieb zahlt nur die Schul-, Einführungskurstage und die<br />

Tage, an denen der Jugendliche in der Firma arbeitet (effektives Zahlungsmodell). Coaching<br />

oder anderweitige Betreuungs- oder Absenzenzeiten sind für den Betrieb nicht kostenpflichtig.<br />

Monatlich erhalten die Betriebe eine entsprechende Rechnung zugestellt, die sie kontrollieren<br />

und zahlen. Das ist der einzige administrative Aufwand für sie.<br />

6.4.2 Bezug zu den Grundsätzen<br />

Begleitung in Bezug auf die Ausbildung in Schule und Betrieb<br />

Durch das Einstiegsseminar wird eine wichtige Vertrauensbasis zwischen Coach und Jugendlichen<br />

geschaffen. Eine offene und wertschätzende Haltung auf der Basis des aktiven Zuhörens und von<br />

Ich-Botschaften geben den Jugendlichen die Möglichkeit, berufliche wie persönliche Herausforderungen<br />

zu formulieren. Gemeinsam werden Lösungsansätze erarbeitet und in kleine Teilschritte/<br />

Zwischenziele gegliedert. Standortgespräche zeigen Fort- oder Rückschritte auf. Entsprechende<br />

Konsequenzen können eingeleitet werden. Schulische Fragen (fachlich, sozial) können innerhalb<br />

des 14-tägigen Coachings angegangen werden. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für Schwierigkeiten,<br />

die im beruflichen Kontext auf sozialer Ebene anfallen.<br />

Konkrete Massnahmen zur Vernetzung der Lernorte<br />

Das oben beschriebene Coaching-Book ist Informationsbrücke zwischen Jugendlichen, Betrieb,<br />

Coach und (seltener) auch für die Schule. Die schriftliche Form ergibt eine gute Verbindlichkeit<br />

für alle Beteiligten. Zusätzlich meldet sich der Coach regelmässig beim Betrieb (gemäss<br />

Zusammenarbeitsvertrag). Im Normalfall gibt es jeden Monat ein Telefongespräch zwischen<br />

Betrieb und Coach, das den Austausch und die Kommunikation mit dem Betrieb fördert.<br />

Die alle 6 Monate stattfindende Semesterprüfung ist ein intensives Zusammentreffen aller an der<br />

Ausbildung Beteiligten. Die Fachziele werden vor Ort überprüft. Der Lehrmeister entscheidet, ob<br />

die Ziele erfüllt oder nicht erfüllt wurden. Im Anschluss daran gibt das Ausfüllen des Ausbildungsberichtes<br />

eine gute und regelmässige Standortbestimmung; so dass alle Ausbildungspartner<br />

wieder auf dem gleichen Wissensstand sind. Die neuen Fachziele werden gleichzeitig kommuniziert<br />

und bestimmt.<br />

•<br />

Anforderungen an die Qualifikation der Fachpersonen<br />

Bei der Coaching-Arbeit ist Wertschätzung gegenüber Jugendlichen und Betrieben nötig und die<br />

Bereitschaft, offene Situationen auszuhalten und optimistisch nach Lösungen zu suchen – auch<br />

wenn dies schwierig erscheint. Weitere wichtige Eigenschaften für den Ausbildungsleiter sind eine<br />

ausgeprägte Kommunikationskultur, Verhandlungsgeschick und eine dienstleistungsorientierte<br />

Haltung gegenüber den Jugendlichen und den Betrieben. Pädagogisches, psychologisches sowie<br />

methodisch-didaktisches Geschick müssen als Instrumente eingesetzt werden können. Gute<br />

Kenntnisse der Arbeitswelt und ein gesundes Mass an Neugier, um sich in einzelne Berufsfelder<br />

Ausgewählte Beispiele<br />

45


46<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

hineinzuarbeiten, sind weitere Voraussetzungen. Unabdingbar ist der sichere Umgang mit den<br />

gängigen Informatikmitteln.<br />

Wünschenswert und sinnvoll ist, wenn die Fachperson zusätzlich zur pädagogisch-psychologischen<br />

Grundausbildung (vorzugsweise im heilpädagogischen Bereich) eine Coaching-Ausbildung<br />

absolvierte. Die Anforderungen sind sehr breit, sie erfordern einen entsprechend breiten Ausbildungsstand,<br />

der aber immer mit einem guten Mass an praktischer Erfahrung gekoppelt sein muss.<br />

Klientel: Auswahl, Zuweisung, Selektion<br />

Jugendliche, die auf dem Lehrstellenmarkt keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, bewerben<br />

sich bei uns schriftlich. Sie müssen eine positive Arbeitseinstellung und -haltung zeigen, praktisch<br />

begabt sein und einen schulischen Förderbedarf benötigen.<br />

Ein Abklärungsgespräch entscheidet über ein allfälliges Weiterkommen im Auswahlverfahren.<br />

Gemeinsam wird dann ein entsprechender Ausbildungsplatz gesucht. Eine Aufnahme ins<br />

Bildungsnetz Zug erfolgt erst, wenn ein Ausbildungsplatz gefunden wurde.<br />

Kompetenzen, Kompetenzabgrenzungen<br />

Der Coach ist Lehrmeister (Vertragspartner) und hat entsprechende Kompetenzen und Pflichten<br />

gegenüber dem Jugendlichen und dem Amt für Berufsbildung. Wesentlich ist, dass Vorgehensweisen<br />

und Entscheide, die den Jugendlichen betreffen, direkt und klar mit dem Betrieb rechtzeitig<br />

abgesprochen und geplant werden. Eine enge und kooperative Haltung gegenüber den<br />

Betrieben zahlt sich hier mehrfach aus.<br />

Mittel, Kosten, Zeitdauer<br />

Pro Jugendlicher belaufen sich die Ausgaben auf ca. 8'500.– CHF pro Jahr. Dies entspricht einer<br />

Vollkostenrechnung inklusive Infrastruktur (z. B. Schulzimmer, Büroeinrichtungen, Gerätschaften).<br />

Als privatrechtlicher Verein werden wir vom Kanton finanziell unterstützt.<br />

Das Coaching-Angebot an die Lehrlinge findet innerhalb der vertraglichen Schul- und Arbeitszeit<br />

statt und wird über die ganzen 2–4 Jahre (berufsabhängig) aufrechterhalten. Dies entspricht dem<br />

Grundrhythmus von 4 Stunden (nicht Lektionen) pro 14 Tage. In Einzelfällen auch wöchentlich.<br />

Zusätzlich sind es 2–2,5 Stunden Zeitaufwändungen pro Semesterprüfung (davon gibt es zwei pro<br />

Ausbildungsjahr). Nicht eingerechnet sind hier sämtliche administrativen Aufgaben für den<br />

Jugendlichen. Eine Übernahme des Jugendlichen durch den Betrieb ist grundsätzlich möglich,<br />

wurde aber noch nie praktiziert.<br />

Wirkungskontrolle<br />

Bis Juli 2003 wurden mit schriftlicher Befragung der Jugendlichen und der Betriebe alle 6 Monate<br />

unsere Dienstleistungen und Instrumente, mit denen wir arbeiten, evaluiert. Die Berufsschullehrpersonen<br />

wurden einmal im Jahr befragt.


•<br />

Ab August 2003 wird noch jedes Jahr einmal eine Evaluation bei allen oben genannten Beteiligten<br />

durchgeführt.<br />

Das Bestehen der Lehrabschlussprüfung oder des Augenscheines gilt als Messinstrument für den<br />

Erfolg der Institution. Im Rahmen des quantitativen Projektziels „60 Prozent der Jugendlichen erhalten<br />

den Fähigkeitsausweis oder den Attestausweis“ werden die Abschlüsse regelmässig erhoben.<br />

Nach Verlassen des Bildungsnetz Zug wird die weitere berufliche Laufbahn der Austretenden nicht<br />

weiterverfolgt.<br />

6.5 Betreuung durch betriebliche Sozialberatung (Logistikpraktikerin/Logistikpraktiker)<br />

(Peter Jung)<br />

6.5.1 Beschreibung<br />

Einordnung in die Typologie der Ausprägungsformen:<br />

Typ: Betriebliche Begleitung.<br />

Design/Wesensmerkmale<br />

Die betriebliche Begleitung basiert auf drei Säulen:<br />

1. Seminare für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in der betrieblichen Praxis (vormals Lehrmeister):<br />

Finden zu Beginn der Tätigkeit als Begleiterin/Begleiter statt, eintägige Seminare,<br />

gestaltet durch die betriebliche Sozialberatung von SBB und Post. Dienen der Sensibilisierung<br />

der Verantwortlichen in der beruflichen Praxis.<br />

2. Intervisionsgruppen für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in der betrieblichen Praxis:<br />

Selbstgesteuert, Treffen regelmässig oder nach Bedarf. Einbezug der Sozialberatungsstellen<br />

nach Bedarf.<br />

3. Individuelles Beratungsangebot für Lernende: Alle Lernenden aus den Bereichen Lager, Verkehr<br />

und Distribution können bei Bedarf kostenlos das Beratungsangebot der Sozialberatungsstellen<br />

der SBB und der Post in Anspruch nehmen.<br />

•<br />

Konkretisierung/Anschauungsbeispiel<br />

– Seminare für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in der betrieblichen Praxis: Rund 30<br />

Personen haben im Herbst 2003 an der 2. Durchführungsrunde dieser Seminare in Bern und<br />

Zürich teilgenommen. In einem intensiven Seminar wurden Erfahrungen ausgetauscht, Fallbeispiele<br />

besprochen, mögliche Schwierigkeiten beleuchtet. Alles in allem eine breit abgestützte<br />

Variante zur Sensibilisierung derjenigen Personen, die Tag für Tag mit den Lernenden<br />

zusammenarbeiten.<br />

Ausgewählte Beispiele<br />

47


48<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

– Intervisionsgruppen für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in der betrieblichen Praxis: In<br />

der Romandie trifft sich eine Gruppe von Berufsbildnerinnen und Berufsbildnern regelmässig<br />

zu einem Erfahrungsaustausch. Zu Beginn wurde die Gruppe von einer Fachperson der<br />

Sozialberatung Post angeleitet und unterstützt. Mittlerweile funktionieren die Treffen<br />

selbstständig. Die Teilnehmenden bringen selbst erlebte Situationen ein, besprechen diese<br />

und suchen nach Lösungsansätzen.<br />

– Individuelles Beratungsangebot für Lernende: Eine Lernende in Chur hat persönliche<br />

Probleme, die sich auch auf Schule und Lehrbetrieb auswirken. Der Berufsbildner in der<br />

betrieblichen Praxis spricht die Lernende auf diese Situation an. Gemeinsam entscheiden<br />

sie sich für eine Unterstützung durch die Sozialberatung der Post in Sargans. Diese Stelle<br />

unterstützt die Lernende bis zum Ausbildungsabschluss und koordiniert die verschiedenen<br />

Aktivitäten.<br />

6.5.2 Bezug zu den Grundsätzen<br />

Begleitung in Bezug auf die Ausbildung in Schule und Betrieb<br />

Die betriebliche Begleitung ergänzt das Angebot der Berufsfachschule. In einzelnen Fällen findet<br />

eine Koordination statt. Diese funktioniert aber nicht automatisch, sondern ist der Gesamtsicht<br />

einzelner Beteiligter zuzuschreiben. Sehr gut funktioniert der Ansatz, dass sowohl Lernende als<br />

auch Berufsbildnerinnen und Berufsbildner ins System einbezogen sind.<br />

Konkrete Massnahmen zur Vernetzung der Lernorte<br />

Bei einer individuellen Beratung einer Lernenden, eines Lernenden wird nach Absprache und Einverständnis<br />

der Lehrbetrieb in allfällige Massnahmen einbezogen. Die Vernetzung zur Berufsfachschule<br />

ist – wie bereits erwähnt – nicht sichergestellt, funktioniert aber in der Regel recht gut.<br />

Anforderungen an die Qualifikation der Fachpersonen<br />

Die Sozialberatungsstellen der SBB und der Post werden durch ausgebildete Fachpersonen geleitet.<br />

In der Regel verfügen diese auch über eine Zusatzausbildung in den Bereichen Beratung und<br />

Coaching.<br />

Klientel: Auswahl, Zuweisung, Selektion<br />

Das Angebot für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit.<br />

Grundsätzlich sind alle Beteiligten zu den Seminaren als auch zu den Intervisionsgruppen<br />

eingeladen.<br />

Alle Lernenden haben Anspruch auf kostenlose individuelle Begleitung durch die Sozialberatungsstellen.<br />

Eine Selektion findet nicht statt. Eine Zuweisung kann durch die Berufsbildnerin,<br />

den Berufsbildner erfolgen, wenn diese angezeigt erscheint.


•<br />

•<br />

•<br />

Kompetenzen, Kompetenzabgrenzungen<br />

Die Sozialberatungen von SBB und Post arbeiten in einem Auftragsverhältnis. Auftraggeberin ist<br />

die Projektleitung Logistikpraktikerin/Logistikpraktiker. Verantwortlich für die Planung der Seminare<br />

und der Intervisionsgruppen ist die Projektleitung. Deren Gestaltung und die individuelle<br />

Beratung liegt bei den Sozialberatungsstellen, im Rahmen ihres Auftrags.<br />

Mittel, Setting, Kosten, Zeitdauer<br />

Die betriebliche Begleitung mit den drei Säulen wird im Rahmen des Pilotprojektes durch Mittel<br />

aus dem LSB2 finanziert. Die Sozialberatungen SBB und Post operieren als Service Center und verrechnen<br />

ihre Kosten vollumfänglich dem Bezüger (= Projektleitung) weiter.<br />

Aus diesem Grund ist die betriebliche Begleitung nur noch bis Mitte 2004 sichergestellt (Abschluss<br />

LSB2). Ohne weiterführende finanzielle Unterstützung kann die betriebliche Begleitung künftig<br />

nicht mehr im bisherigen Rahmen durchgeführt werden, was aus Sicht der Projektleitung zu<br />

bedauern ist.<br />

Wirkungskontrolle<br />

Die Sozialberatungsstellen sind gegenüber der Projektleitung rechenschaftspflichtig. Erzielte<br />

Resultate und Auswertungen werden in anonymisierter Form dargestellt. Wünschenswert ist eine<br />

bessere Messbarkeit des Verhältnisses Massnahme – Wirkung. Diese gestaltet sich in der Praxis<br />

schwierig, da erzielte Erfolge in der Regel das Resultat komplexer Zusammenhänge sind<br />

(Engagement der Berufsbildner, Unterstützung durch Sozialberatung, Unterstützung durch<br />

Berufsfachschule, Eigeninitiative der Lernenden, Support durch das soziale Umfeld).<br />

6.5.3 Ausblick<br />

Die Seminare für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in der betrieblichen Praxis werden gut<br />

besucht und stossen auf gutes Echo. Die Intervisionsgruppen sind stark von der Initiative der<br />

beteiligten Personen abhängig. Einzelne Gruppen funktionieren autonom und treffen sich regelmässig;<br />

bei anderen Gruppen sind Auflösungstendenzen spürbar.<br />

Die individuelle Begleitung wird nur durch einzelne Lernende genutzt. Möglicherweise ist der<br />

Schritt zur Inanspruchnahme eines „fremden“ Angebots zu gross. Viele Lernende erfahren bereits<br />

im Betrieb und in der Berufsfachschule Unterstützung, die teils im Rahmen der ordentlichen<br />

Betreuung, teils als fachkundige individuelle Begleitung stattfindet.<br />

Die Projektpartner SVBL, login und Die Post überlegen sich, für die definitive Einführung der Ausbildung<br />

(Bildungsverordnung) das Angebot der Seminare für Berufsbildner und die Intervisionsgruppen<br />

weiterzuführen – allenfalls auch auf eigene Kosten, wenn keine finanzielle Unterstützung<br />

erfolgt. Entscheide sind noch keine gefällt.<br />

Ausgewählte Beispiele<br />

49


50<br />

Kanton<br />

6.6 Übersicht über 18 Projekte<br />

Von den Verantwortlichen von 18 Pilotprojekten liegt eine Kurzbeschreibung der fachkundigen<br />

individuellen Begleitung vor. Die nachfolgende tabellarische Übersicht fasst diese Beschreibungen<br />

zusammen. Die vollständigen Dokumente sind zu finden unter http://www.sbbk.ch<br />

Projekttitel I<br />

(unter diesen Titeln zu finden in<br />

(unter http://www.sbbk.ch)<br />

diesen Titeln zu finden in<br />

http://www.dbk.ch)<br />

Legende � trifft im Kern zu<br />

� Nebenschwerpunkt, trifft teilweise zu<br />

� Beiläufiger Effekt<br />

( ) Mischformen, schwer kategorisierbar<br />

Ausprägung II<br />

schulisch<br />

sozialpäd.<br />

betrieblich<br />

Zielgruppe III<br />

alle Lehrlinge<br />

LL, spez. Indik<br />

AusbildnerInnen<br />

Qualifikation IV Kosten V<br />

LehrP + Ausb.<br />

FHS / HS<br />

andere<br />

Franken pro<br />

LL/Jahr<br />

BE Kompetenzenprofil Holz � � � � 800.--<br />

BE Projekt Bäcker-Konditor � � � k. Ang.<br />

BE Verkauf, Berufsschule für Detailhandel k. Ang.<br />

BE Coaching Berufsfeld Hauswirtschaft � � � 350.--<br />

BL Lehr mit Kick � � � � 1900.--<br />

FR Formation des Mediateurs � � � � k. Ang.<br />

FR Ind. Begleitung (Praktische Lehre) � � 400.--<br />

OW Pilotprojekte Lernwerkstatt � � � � (�) 800.--<br />

SZ Berufspraktische Bildung Verkauf � � � � 1200.--<br />

VD Transition école-métier � � � 7000.--<br />

VS Coaching individuel (�) (�) (�) � 6000.--<br />

ZG Bildungsnetz Zug (�) (�) (�) � � 8500.--<br />

ZH Berufsattest Fahrzeugwart � � � � 800.--<br />

ZH BWS / Berufl. Grundbildung m. Attest � � � � � � 5000.--<br />

ZH Individ. Coaching in der Berufsbildung � � (�) � � 8000.--<br />

ZH Kompetenzzentrum TBZ � � � 700.--<br />

CH Logistikpraktiker � � � � 1000.--<br />

CH Milchpraktiker (�) � � (�) k. Ang.<br />

I<br />

Unter diesen Titeln finden Sie eine Kurzbeschreibung aller Projekte unter: http://www.sbbk.ch<br />

II<br />

gemäss Kapitel 4.4.1 – 4.4.3<br />

III<br />

„alle“ = alle Lernenden eines Segmentes werden erfasst; spez. Indikation = nur bei speziellen Situationen / Vorfällen<br />

IV<br />

LP + Ausbildun g = stufengemässe Qualifikation als Lehrperson + zusätzliche Ausbildung<br />

(FHS / HS = spezifische Ausbildung auf Fachhochschul- bzw. Hochschulniveau<br />

V<br />

i.d.R. Kostenschätzungen, gelegentlich umgeschlagen aufgrund von Angaben in Zeiteinheiten


•<br />

•<br />

•<br />

Ergebnisse des Rahmenprojektes<br />

7 Ergebnisse des Rahmenprojektes „Coaching in der Berufsbildung“ (Silvia Pool)<br />

Evaluationsauftrag<br />

Das Institut für Sonderpädagogik (Prof. W. Schley, lic. phil. Silvia Pool) wurde im Sommer 2001<br />

von der Bildungsdirektion des Kantons Zürich (MBA) beauftragt, das kantonale Projekt „Coaching<br />

in der Berufsbildung“ (LSB2-ZH-59) über die ganze Laufzeit 2001–2003 zu begleiten und zu<br />

evaluieren. Schwerpunkte der Untersuchung bilden drei Bereiche:<br />

1. Evaluation des Weiterbildungslehrgangs „Coaching“ (Pilotprojekt, 2001–2002)<br />

2. Beschreibung der verschiedenen, praktizierten Coachingmodelle entlang der Komponenten:<br />

Indikation, Form, Inhalt, Wirkung und Aufwand des jeweiligen Models<br />

3. Wirkungsanalyse der Coachingarbeit.<br />

Der Auftrag umfasste die Erarbeitung von Entscheidungsgrundlagen für die künftige Coachingpolitik<br />

und -finanzierung im Hinblick auf die Umsetzung des neuen Berufsbildungsgesetzes.<br />

Forschungszugang<br />

Die Erfahrungsgrundlage ergibt sich aus verschiedenartigen Zugängen zum Forschungsfeld, aus<br />

Tagungsbeiträgen und der Ergebnisspiegelung an Bilanzworkshops durch die Experten und<br />

Expertinnen aus dem Feld. Im Dialog mit den Personen im jeweiligen Forschungskontext wurden<br />

Sichtweisen und praktische Erfahrungen theoriegeleitet extrahiert, diskriminiert und kontextübergreifend<br />

in Beziehung gesetzt. Der Schlussbericht 19 bildet das Ergebnis eines Forschungsprozesses<br />

ab, der sich entlang der Leitfragen des Auftraggebers dem Forschungsgegenstand näherte und<br />

basierend auf Bezugstheorien die vor Ort geleistete Coachingpraxis untersuchte.<br />

Die Ergebnisse zu den Leitfragen der Evaluation wurden über das Einholen von Feedback aus verschiedenen<br />

Berufsbildungskontexten (Berufsfachschule, Berufswahlschule, Lehrbetrieb, professionelle<br />

Stütz- und Förderinitiativen) mehrperspektivisch und über die Projektzeit hinweg (Längsschnitt)<br />

abgesichert und erhärtet. Wir können demnach kurzfristige Effekte weitgehend ausschliessen<br />

und von einer soliden Ergebnisgrundlage ausgehen. Die Qualität der vorliegenden<br />

Argumentationsgrundlage für die zukünftige Coachingpolitik im Kanton Zürich ist folglich<br />

begründet im Feldzugang (Integration quantitativer und qualitativer Verfahren), am Längsschnittdesign<br />

der Untersuchung und dem Einbezug der relevanten Ausbildungsumgebung.<br />

Ergebnisse<br />

1. Coaching-Qualifikation<br />

Die befragten Lehrmeister und Lehrmeisterinnen, Berufsschullehrpersonen, Berufswahlschullehrpersonen<br />

und sozialpädagogisch tätige Coaches zeigen sich sowohl mit den Inhalten des<br />

Coaching-Lehrganges als auch mit der Organisation sowie der Methodik und Didaktik sehr<br />

19 Schley W., Pool S. 2004<br />

<strong>SBBK</strong> Berufliche Grundbildung mit Attest<br />

Ein Projekt im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses 2 / BBT<br />

Kapitel 7<br />

51


52<br />

zufrieden. Die vermittelten Inhalte (Theorien, Modelle, Techniken, Methoden) sind in der Ausbildungspraxis<br />

einsetzbar und brauchbar. Dasselbe gilt für die Supervisionssitzungen, die als notwendig<br />

und unterstützend für die eigene Coachingpraxis beurteilt werden. Das kollegiale Team-<br />

Coaching hat die Professionalisierung der Teilnehmenden in den für das Coaching erforderlichen<br />

Teilkompetenzen sowie in der Klärung ihrer Coachingrolle massgeblich gefördert. Dies wurde von<br />

allen Teilnehmenden als massgebliche Unterstützung im persönlichen Lernprozess erlebt und wird<br />

als Form der Praxisbegleitung auch nach Abschluss der Ausbildung empfohlen.<br />

2. Coachingpraxis<br />

Die Kontextspezifität, d.h. die jeweils unterschiedlichen institutionellen und betrieblichen Rahmenbedingungen,<br />

prägen die Ausrichtung der Coachingpraxis:<br />

Berufsfachschule : Coaching ist eine Grundlage für die individuelle, fachspezifische und<br />

ressourcenorientierte Lernförderung.<br />

Berufswahlschule : Coaching ist ein Instrument zur Berufsintegration, zur Bewältigung<br />

von Laufbahnanforderungen sowie zur Krisenintervention.<br />

Lehrbetrieb : Coaching ist ein Führungsstil und -instrument in Krisensituationen<br />

und zur Personalentwicklung.<br />

Professionelles Coaching : Coaching ist eine handlungs-, aktions- und lösungsorientierte<br />

Beratungsform im Netzwerk der Berufsbildungspartner.<br />

3. Wirkungsanalyse<br />

Insgesamt schätzen die Coaches die Wirkungen ihrer Arbeit zufriedenstellend bis gut ein.<br />

Coaching entfaltet bei den Ausbildungsverantwortlichen seine stärksten Wirkungen im Bereich<br />

der Praxisunterstützung. Die Lehrpersonen und Lehrmeister/innen haben durch ihr Coaching-<br />

Know-how (Methoden und Techniken der Gesprächsführung, Arbeitsgestaltung und -begleitung)<br />

eine Methode an die Hand bekommen, die ein Reagieren auf An- und Herausforderungen der<br />

Berufsbildung ermöglicht. Bei den Lehrmeister/innen wirkt sich diese Tatsache positiv auf ihre<br />

Ausbildungsbereitschaft aus.<br />

Bei den jugendlichen Auszubildenden (Coachees) sind Wirkungen im Bereich der Erhöhung der<br />

Lern- und Leistungsmotivation sowie der Verbesserung der Lern- und Arbeitstechniken festzustellen.<br />

Durch die starke Handlungsorientierung des Ansatzes werden die Jugendlichen beim<br />

Lernen und Arbeiten im Betrieb und in der Schule massgeblich unterstützt.<br />

Insgesamt ist der Schluss zulässig, dass sich das Coachingkonzept für die individuelle Begleitung<br />

und Förderung der Jugendlichen sowohl in der Berufsfachschule, der Berufswahlschule als auch<br />

im Betrieb eignet und entsprechend der institutionellen und betrieblichen Rahmenbedingungen<br />

gezielt eingesetzt werden kann. Zusätzlich übernimmt Coaching eine Brückenfunktion zwischen<br />

den Ausbildungspartnern wenn es darum geht, gemeinsam und erfolgreich schwierige Ausbildungssituationen<br />

zu bewältigen.


Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Coachingkonzept flexibel und bei unterschiedlichen<br />

Bedürfnissen zum Einsatz gelangen kann und zwar mit dem Ergebnis eines dreifachen Gewinns:<br />

– Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung auf Seite der Auszubildenden<br />

– Praxisunterstützung und Professionalisierung auf Seite der Ausbildnerinnen und Ausbildner<br />

– Vernetzung der Ausbildungspartner/innen.<br />

•<br />

Schlussfolgerungen<br />

Die Coachinginitiativen im Kanton Zürich repräsentieren die Pilot- oder Pionierphase der Umsetzung<br />

eines neuen pädagogischen Handlungskonzeptes, das aufgrund der Einfachheit, Unmittelbarkeit<br />

und Umsetzbarkeit ein interessantes, hochwertiges und effizientes Mittel zur Bewältigung<br />

anstehender Entwicklungsaufgaben der Berufsbildung darstellt. Die vom Auftraggeber an uns<br />

herangetragenen Fragestellungen und formulierten Erwartungen konnten durch die Evaluationsergebnisse<br />

eindeutig und differenziert beantwortet werden. Das Datenmaterial wurde durch die<br />

Mehrstufigkeit des Vorgehens, durch die inhaltsanalytische Konsistenzprüfung der Interviews und<br />

die kommunikative Validierung der Daten qualitativ gesichert.<br />

Coaching ist damit ein geeigneter Weg, die jugendlichen Auszubildenden in ihrer Partizipation am<br />

Berufsleben zu unterstützen. Pädagogische Methoden haben selten einen so unmittelbaren<br />

Handlungsbezug und wirken dementsprechend motivierend auf die Akteure zurück. Über<br />

Coaching werden Lern- und Arbeitsstrategien erworben, die direkt in den Betriebsalltag transferiert<br />

und dort leistungswirksam werden können. Den hohen Unterstützungsgrad, den sowohl die<br />

Coaches wie auch ihre Berufsbildungspartner dem Coaching attestieren, schafft bei den Lehrmeister/<br />

-innen wie auch bei den Auszubildenden wichtige Voraussetzungen für das life-long Learning.<br />

Die Bezeichnung dieser Methode als „Coaching“ ist dabei nachgeordnet. Sie kann auch als Lernberatung<br />

oder individuelle Lernbegleitung benannt werden. Entscheidend sind die Handlungsform,<br />

die fachspezifische Kontextfokussierung und die dazu notwendige Haltung einer dialogorientierten<br />

Arbeitsweise mit transformationaler Kommunikation. Diese ist von der Überzeugung<br />

getragen, dass Zutrauen und Selbstvertrauen sich bedingen, dass sich Ambivalenzen im Handeln<br />

durch Potenzialerkennung und Zuschreibung auflösen lassen. Dies im Medium der natürlichen<br />

Kommunikation, die auch Bestätigung für die adoleszente Rollenentwicklung enthält.<br />

Ergebnisse<br />

53


•<br />

•<br />

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•<br />

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Literaturverzeichnis<br />

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Bern 2000(a)<br />

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2000(b)<br />

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Müller R.: Die ausländischen Jugendlichen auf der Sekundarstufe II: Probleme – Bildungsbeteiligung<br />

– Anspruchsniveaus – Massnahmen. In: SIBP-Schriftenreihe Nr. 12, Integration oder Re-Integration,<br />

Zollikofen 2001


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Nodari C.: Was heisst eigentlich Sprachkompetenz? In: SIBP-Schriftenreihe Nr. 18, Barriere<br />

Sprachkompetenz, Zollikofen 2002<br />

Pallasch W., Simon R.: Professionelles Coaching im Schulbereich. In: Journal für Schulentwicklung<br />

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Scharnhorst U.: Lernberatung – individuelle Unterstützung auf dem Weg zum selbstgesteuerten<br />

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Literaturverzeichnis

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