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Handbuch zur EU Wasserpolitik im Zeichen der Wasser ... - EEB

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<strong>Handbuch</strong><br />

<strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Zeichen</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie<br />

European Environmental Bureau<br />

Hiltrud Breyer MdEP


VERANTWORTLICHE REDAKTION<br />

John Hontelez, <strong>EEB</strong><br />

AUTOREN<br />

Klaus Lanz, International Water Affairs<br />

Stefan Scheuer, <strong>EEB</strong><br />

HERAUSGEBER<br />

Europäisches Umweltbüro<br />

Das Europäische Umweltbüro ist <strong>der</strong> europäische Dachverband von <strong>zur</strong> Zeit 134 politisch<br />

unabhängigen europäischen Umweltverbänden.<br />

Bd. de Waterloo 34<br />

B-1000 Brüssel<br />

Tel: +32 2 2891090<br />

Fax: +32 2 2891099<br />

Email: info@eeb.org<br />

http://www.eeb.org<br />

Hiltrud Breyer MdEP<br />

Mitglied des Umweltauschusses des Europäischen Parlaments und <strong>der</strong> Fraktion <strong>der</strong> Grünen / Freie<br />

Europäische Allianz <strong>im</strong> Europäischen Parlament.<br />

BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN<br />

EP 8G265, Rue Wiertz<br />

B-1047 Brüssel<br />

Tel.: +32 2 28452 87<br />

Fax: +32 2 28492 87<br />

Email: hbreyer@europarl.eu.int<br />

http://www.hiltrud-breyer.de<br />

Bemerkung:<br />

Der Inhalt dieses <strong>Handbuch</strong> wurde in alleiniger Verantwortung vom European Environmental<br />

Bureau entwickelt. Die Druckkosten <strong>der</strong> deutschen Fassung wurden vom Europäischen<br />

Parlament übernommen, um eine größere Verteilung und Nutzung des <strong>Handbuch</strong>s zu<br />

ermöglichen.


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Vorwort<br />

"<strong>Wasser</strong> ist keine übliche Handelsware, son<strong>der</strong>n ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und<br />

entsprechend behandelt werden muss." Dies ist <strong>der</strong> erste Satz <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie, des<br />

neuen und umfassenden europäischen <strong>Wasser</strong>gesetzes.<br />

Wir haben uns für die deutsche Übersetzung und Veröffentlichung des englischen <strong>Handbuch</strong>s des<br />

Europäischen Umweltbüros „<strong>EEB</strong> Handbook on <strong>EU</strong> Water Policy un<strong>der</strong> the Water Framework<br />

Directive“ zusammengetan, um dem deutschen Publikum einen Zugang <strong>zur</strong> neuen Europäischen<br />

<strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> in die Hand zu geben.<br />

Die Grünen <strong>im</strong> Europäischen Parlament und das Europäische Umweltbüro setzen sich für einen<br />

starken Europäischen Gewässerschutz ein. Doch mit <strong>der</strong> Verabschiedung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong><br />

Rahmenrichtlinie WRRL ist nur ein erster „Rahmen“ aufgestellt worden und alles liegt nun an <strong>der</strong><br />

Kooperation <strong>der</strong> verschiedenen Akteure bei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Richtlinie in nationales Recht und<br />

Durchführung <strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>ten Gewässerschutzmassnahmen. Hiltrud Breyer ist Berichterstatterin des<br />

Umweltauschusses für die Liste prioritärer Stoffe unter <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie und wird sich in<br />

dieser Funktion für einen vorsorgenden Schutz unserer Gewässer vor chemischen Verschmutzungen<br />

einsetzen. Das Europäische Umweltbüro konzentriert mit seiner <strong>Wasser</strong>kampagne die<br />

Anstrengungen europäischer Umweltverbände bei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> WRRL und wird seine<br />

Mitglie<strong>der</strong> aktiv dabei unterstützen.<br />

Mit Besorgnis haben wir ein mangelndes Interesse <strong>der</strong> Öffentlichkeit für die <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie<br />

festgestellt. Doch ist es gerade das öffentliche Interesse als auch die öffentliche Beteiligung, welche<br />

eine unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg europäischer Umweltpolitik sind. Engere<br />

Kooperation zwischen den nationalen und <strong>EU</strong> Gesetzgebern und Akteuren ist dringend notwendig.<br />

Wir hoffen, dass dieses Buch den Gewässerschutz für ein breiteres Publikum interessant macht und<br />

gleichzeitig, mit seinen politischen Handlungsmöglichkeiten, Wege für eine vollständige und<br />

umfassende Umsetzung <strong>der</strong> WRRL und für eine nachhaltige, ausgewogene und gerechte<br />

<strong>Wasser</strong>nutzung aufzeigt.<br />

John Hontelez Hiltrud Breyer<br />

Secretary General, <strong>EEB</strong> Mitglied des Europäischen Parlaments


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Inhalt<br />

1. EINLEITUNG 1<br />

2. DER ZUSTAND DER GEWÄSSER IN DER <strong>EU</strong> UND DEN<br />

BEITRITTSSTAATEN: GROSSE AUFGABEN FÜR DIE ZUKUNFT 2<br />

3. DIE <strong>EU</strong>-WASSERPOLITIK SEIT 1970 BIS ZUR WRRL 5<br />

3.1. Allgemeine Einleitung 5<br />

3.2. Die Oberflächenwasser-Richtlinie (75/440/EWG), die Fischgewässer-Richtlinie (78/659/EWG) und<br />

die Muschelgewässer-Richtlinie (79/923/EWG) 6<br />

3.3. Die Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen (76/464/EWG) und ihre<br />

Tochterrichtlinien 7<br />

3.4. Die Grundwasser-Richtlinie (80/68/EWG) 8<br />

3.5. Umsetzungsprobleme <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> 8<br />

3.6. Aufhebung bestehen<strong>der</strong> Gesetzgebung durch die WRRL und die Umsetzung in den Beitrittslän<strong>der</strong>n 10<br />

4. ZIELE UND INSTRUMENTE DER WASSER-RAHMENRICHTLINIE MIT<br />

POLITISCHEN OPTIONEN FÜR DIE WEITERE NGO-ARBEIT 12<br />

4.1. Vorbemerkung 12<br />

4.2. Integrierte Bewirtschaftung von Flusseinzugsgebieten 14<br />

4.2.1. Einleitung und Überblick 14<br />

4.2.2. Die Rolle <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne 14<br />

4.2.3. Öffentliche Beteiligung und die Rolle <strong>der</strong> NGOs bei <strong>der</strong> Erstellung von Bewirtschaftungsplänen 17<br />

4.3. Ökologische Ziele für Oberflächengewässer 19<br />

4.3.1. Einleitung und Überblick 19<br />

4.3.2. Vertiefte Analyse: Fünf Schritte bis zu Gewässerzustandskarten in <strong>der</strong> <strong>EU</strong> 19<br />

4.3.3. Künstliche und erheblich verän<strong>der</strong>te Gewässer 24<br />

4.3.4. Ausnahmen und Fristverlängerungen für die ökologischen Ziele 27<br />

4.3.5. Politische Handlungsmöglichkeiten 27<br />

4.4. Die chemiepolitischen Regeln <strong>der</strong> WRRL 29<br />

4.4.1. Einleitung und Überblick 29<br />

4.4.2. Vertiefte Analyse <strong>der</strong> Best<strong>im</strong>mungen 30<br />

4.4.3. Ausnahmen und Fristverlängerungen für die chemikalienrechtlichen Regelungen <strong>der</strong> WRRL 35<br />

4.4.4. Politische Handlungsmöglichkeiten für NGOs 35


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

4.5. Grundwasserschutz 37<br />

4.5.1. Einleitung und Überblick 37<br />

4.5.2. Vertiefte Analyse 38<br />

4.5.3. Ausnahmen und Fristverlängerungen für den Grundwasserschutz 42<br />

4.5.4. Politische Handlungsmöglichkeiten 43<br />

4.6. <strong>Wasser</strong>preise unter <strong>der</strong> WRRL 44<br />

4.6.1. Einleitung und Überblick 44<br />

4.6.2. Vertiefte Analyse 45<br />

4.6.3. Ausnahmen von <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>gebührenpolitik und <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> Kostendeckung 46<br />

4.6.4. Politische Handlungsmöglichkeiten 46<br />

4.7. Fristen 48<br />

5. KERNPUNKTE UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN FÜR NGOS ZUR<br />

VERBESSERUNG DES GEWÄSSERSCHUTZES IM ZEICHEN DER WRRL 51<br />

5.1. Einleitung 51<br />

5.2. Auf <strong>der</strong> Ebene des Flusseinzugsgebiets bzw. <strong>der</strong> Flussgebietseinheiten 52<br />

5.2.1. Bei <strong>der</strong> Analyse des Einzugsgebiets 52<br />

5.2.2. Bei <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne 53<br />

5.3. Auf Ebene <strong>der</strong> Mitgliedstaaten 53<br />

5.4. Auf <strong>EU</strong>-Ebene 55<br />

6. ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT 57<br />

ANNEX I 61<br />

Verwendete Abkürzungen 61<br />

ANHANG II 62<br />

Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie 62<br />

LITERATUR 66<br />

KONTAKTE IN D<strong>EU</strong>TSCHLAND 67<br />

ÜBER DIE VERFASSER 68


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

1. Einleitung<br />

Seit seinem Beginn 1974 hat das Europäische Umweltbüro (European Environmental Bureau <strong>EEB</strong>)<br />

europäische <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> als eine seiner wichtigen Aufgaben angesehen. Vor vier Jahren wurde eine<br />

<strong>EEB</strong> <strong>Wasser</strong>kampagne ins Leben gerufen, um die Aktivitäten <strong>der</strong> europäischen Umweltverbände in<br />

diesem Bereich zu fokussieren und einen Beitrag <strong>zur</strong> Entwicklung <strong>der</strong> neuen <strong>EU</strong>-<strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> zu<br />

leisten.<br />

Die <strong>EEB</strong> <strong>Wasser</strong>kampagne half, eine Koalition von vielen Umweltverbänden und Experten ins Leben<br />

zu rufen. Ein Netzwerk engagierter und überzeugter Menschen gaben <strong>der</strong> Kampagne die nötige<br />

Kraft, um den Gesetzgebungsprozess so nahe wie vermutlich nie zuvor zu verfolgen. Die Koalition<br />

leistete ihren Beitrag schon während <strong>der</strong> Entwicklung des ersten Kommissionsvorschlags für eine<br />

<strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie und begleitete den Vorschlag auf seinem Weg durch die <strong>EU</strong>-Institutionen<br />

kritisch. Fortlaufend wurden konstruktive und qualifizierte Vorschläge und For<strong>der</strong>ungen sowie<br />

alternative Textvorschläge <strong>zur</strong> Verbesserung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie (WRRL) vorgelegt.<br />

Von Beginn des Gesetzgebungsprozesses an entwickelte sich die WRRL zu einem Kompromiss<br />

zahlreicher Partikularinteressen und anspruchsvoller Expertisen. Das Ergebnis ist eine Text, <strong>der</strong><br />

ungewöhnlich komplex und für ein größeres Publikum unverständlich ist. “Der Text spiegelt die<br />

geleistete harte Arbeit kaum wie<strong>der</strong>.“ 1<br />

Aufgrund <strong>der</strong> Komplexität und <strong>der</strong> Mehrdeutigkeiten des Richtlinientextes hält es das <strong>EEB</strong> für<br />

notwendig, die Richtlinie für ein größeres Publikum transparent und verständlich zu machen und<br />

Umweltverbänden in ganz Europa eine Hilfestellung für ihre zukünftige Arbeit mit <strong>der</strong> neuen<br />

europäischen <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> zu geben.<br />

Dieses <strong>Handbuch</strong> versucht diese wichtige Aufgabe zu übernehmen. Das Ziel des <strong>Handbuch</strong>s ist es<br />

einen Überblick über die existierende <strong>EU</strong>-<strong>Wasser</strong>gesetzgebung zu geben und die wichtigsten Punkte<br />

<strong>der</strong> neuen <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> <strong>im</strong> Detail zu analysieren und zu bewerten. Beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit<br />

wurde politischen Handlungsmöglichkeiten für zukünftige Aktivitäten gegeben, denn die WRRL ist<br />

nur ein Rahmen für den kommenden Gewässerschutz in <strong>der</strong> <strong>EU</strong> und den Beitrittslän<strong>der</strong>n, viele<br />

Entscheidungen bleiben nachfolgenden politischen und technischen Prozessen überlassen.<br />

Gleichwohl versucht das <strong>Handbuch</strong> nicht alle Aspekte <strong>der</strong> WRRL zu erfassen, son<strong>der</strong>n eine erste<br />

und doch detaillierte Übersicht über die Europäische <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> <strong>im</strong> <strong>Zeichen</strong> <strong>der</strong> WRRL zu geben.<br />

Eine Reihe von weiteren Handbüchern, Seminaren und Konferenzen sind notwendig, um die<br />

Europäische <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit verständlich und schließlich aus <strong>der</strong> WRRL ein<br />

Regelwerk mit erfolgreichen Umweltresultaten zu machen.<br />

1 Sheridan, P., Cameron McKenna Law Group, at the ICE The Water Framework Directive Conference, London, 7<br />

Nov 2000.<br />

1


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

2. Der Zustand <strong>der</strong> Gewässer in <strong>der</strong> <strong>EU</strong> und den<br />

Beitrittsstaaten: Grosse Aufgaben für die Zukunft<br />

<strong>Wasser</strong> ist wertvoll, ein unersetzliches, lebenserhaltendes Element nicht nur für die Menschen,<br />

son<strong>der</strong>n für alles pflanzliche und tierische Leben und sämtliche Ökosysteme. Zugleich sind<br />

unverän<strong>der</strong>te und unverschmutzte Gewässer und Feuchtgebiete eine <strong>der</strong> wichtigsten<br />

Voraussetzungen für den Schutz <strong>der</strong> Artenvielfalt.<br />

<strong>Wasser</strong> ist aber auch eine zentrale Ressource für die menschliche Gesellschaft. Sowohl Oberflächenals<br />

auch Grundwasser werden für vielfältige wirtschaftliche Aktivitäten benötigt, sei es für die<br />

Industrie, für die Landwirtschaft, für Schiffahrt, Bergbau o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Zwecke, und nicht zuletzt als<br />

Quelle allen Trinkwassers.<br />

Diese Nutzungen bleiben allerdings nicht ohne Einfluss auf die natürlichen Gewässer, denn sie leiden<br />

sowohl durch <strong>Wasser</strong>entnahme als auch durch Verschmutzung. <strong>Wasser</strong> Streß wird durch die<br />

Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>qualität und -menge verursacht. Oberflächengewässer werden außerdem<br />

durch die morphologischen Verän<strong>der</strong>ungen, die mit best<strong>im</strong>mten menschlichen Aktivitäten<br />

einhergehen, in Mitleidenschaft gezogen: Flüsse werden begradigt und verbreitert, um größere Schiffe<br />

aufnehmen zu können; jahreszeitlich überflutete Feuchtgebiete entlang <strong>der</strong> Flüsse werden drainiert,<br />

um Flächen für Industrie und Landwirtschaft zu gewinnen; Wehre und Staudämme stauen und leiten<br />

<strong>Wasser</strong> <strong>zur</strong> Stromgewinnung um; Deiche sollen menschliche Güter vor Überschwemmung schützen.<br />

Die Vielfalt <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>nutzungen beeinträchtigt den natürlichen <strong>Wasser</strong>kreislauf in Europa erheblich.<br />

Da die verschiedenen gewässerbelastenden Aktivitäten oft unkoordiniert bleiben, wird ihr<br />

Gesamteffekt kaum jemals umfassend ermittelt, so dass selbst exzessive Eingriffe in manche<br />

Gewässer unbemerkt blieben. Dadurch sind natürlich strömende Flüsse mit intakten<br />

Auenlandschaften in Europa eine absolute Seltenheit geworden, sowohl <strong>im</strong> Süden wie <strong>im</strong> Norden<br />

des Kontinents. Anadrome, d.h. <strong>im</strong> Lauf ihres Lebens zwischen Meer und Flüssen hin und her<br />

wan<strong>der</strong>nde Fischspezies, sind aus den europäischen Flüssen so gut wie verschwunden. Ein Viertel<br />

aller <strong>EU</strong>-Flüsse sind gar so verschmutzt, dass praktisch überhaupt keine Fische mehr dort überleben<br />

können.<br />

Während krasse Indizien <strong>der</strong> Flussverschmutzung wie Fischsterben o<strong>der</strong> Schaumteppiche in Europa<br />

heute zum Glück fast nicht mehr zu beklagen sind, beobachten Wissenschaftler subtilere, aber nicht<br />

weniger bedenkliche biologische Effekte. So greifen z. B. Spuren hormonverän<strong>der</strong>n<strong>der</strong> (endokriner)<br />

Chemikalien in das Hormonsystem von Fischen ein und machen sie unfruchtbar. Solche gefährlichen<br />

Stoffe könnten auch für die kontinuierlich <strong>zur</strong>ückgehenden Fischfänge in vielen europäischen Län<strong>der</strong>n<br />

verantwortlich sein, obwohl ein endgültiger Beweis für diesen Zusammenhang kaum zu führen sein<br />

wird. Nur ein vorbeugen<strong>der</strong> Politikansatz, <strong>der</strong> den Eintrag solcher potentiell gefährlichen Stoffe in die<br />

Umwelt vermeidet, kann dieses Problem auf Dauer lösen.<br />

Das Grundwasser in Europa befindet sich, das lässt sich trotz <strong>der</strong> Knappheit <strong>der</strong> öffentlich<br />

zugänglichen Qualitätsdaten sagen, in noch schlechterem Zustand als die Flüsse. Die Europäische<br />

Umweltagentur in Kopenhagen bezeichnet die Situation als alarmierend. Das Grundwasser unter 87<br />

Prozent des landwirtschaftlich genutzten Landes enthält mehr als 25 Milligramm pro Liter Nitrat.<br />

Unter einem Viertel <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Fläche wird gar <strong>der</strong> Trinkwassergrenzwert von 50<br />

Milligramm pro Liter überschritten. Die auf Kunstdünger und Gülle <strong>zur</strong>ückgehende<br />

Nitratverschmutzung ist in den Regionen mit Intensivlandwirtschaft <strong>im</strong> Nordwesten <strong>der</strong> <strong>EU</strong> am<br />

2


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

ausgeprägtesten. Hier ist auch die Schädigung des Grundwassers durch Pestizideinträge am größten.<br />

Allerdings werden auch in den südlichen <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten und in den Beitrittsstaaten stark<br />

steigende Nitrat- und Pestizidwerte verzeichnet.<br />

Mindestens zwei Drittel <strong>der</strong> Trinkwasserversorgung in <strong>der</strong> <strong>EU</strong> hängen von Grundwasser ab. Doch<br />

die unentbehrlichen unterirdischen Vorkommen sind nicht nur durch Chemikalien, son<strong>der</strong>n auch<br />

durch übermäßige Entnahmen gefährdet. 60 Prozent <strong>der</strong> europäischen Städte übernutzen bereits ihre<br />

Grundwasserressourcen 2 .<br />

Entlang <strong>der</strong> Mittelmeerküste und auf vielen Inseln ist Meerwasser in die leergepumpten Aquifere<br />

eingedrungen und hat sie als Trinkwasservorkommen unbrauchbar gemacht. Hauptgrund für die<br />

anhaltende Übernutzung ist weniger <strong>der</strong> Trinkwasserbedarf <strong>der</strong> Bevölkerung als <strong>der</strong><br />

<strong>Wasser</strong>verbrauch für Bewässerung und Tourismus. Der <strong>Wasser</strong>ausbeutungsindex (water exploitation<br />

index: Verhältnis von gesamter <strong>Wasser</strong>entnahme <strong>zur</strong> gesamten erneuerbaren Ressource) hat sich seit<br />

1980 in Südeuropa nicht verbessert, und die bewässerten Flächen wurden allein seit 1985 um 20<br />

Prozent ausgeweitet. 3 Dies führt <strong>zur</strong> ständigen Ausweitung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>entnahme aus <strong>der</strong> Natur und<br />

<strong>zur</strong> Fortschreibung nicht nachhaltiger <strong>Wasser</strong>strategien wie <strong>Wasser</strong>überleitungen (z. B.<br />

Fernwasserversorgung) und Staudammbau, was exemplarisch durch den Nationalen Hydrologischen<br />

Plan Spaniens aus dem Jahr 2000 4 belegt wird.<br />

Die Landwirtschaft ist überall in Europa ein Hauptfaktor be<strong>im</strong> Entstehen von <strong>Wasser</strong>stress. Daher ist<br />

es entscheidend, dass die Gemeinsame Agrarpolitik <strong>der</strong> <strong>EU</strong> diese Probleme nicht weiter verschärft,<br />

son<strong>der</strong>n insbeson<strong>der</strong>e be<strong>im</strong> Beitritt weiterer Staaten Umweltbelange angemessen berücksichtigt.<br />

Die Berichte <strong>der</strong> Europäischen Umweltagentur sind alarmierend. 5 Obwohl sich <strong>der</strong> Zustand einiger<br />

stark verschmutzter Flüsse und Seen deutlich verbessert hat, hat sich die Gesamtsituation <strong>der</strong> <strong>EU</strong>-<br />

Gewässer seit 1980 nicht wirklich entspannt. Gerade kleinere Gewässer und Grundwasser sind<br />

<strong>im</strong>mer noch von weiterer Verschlechterung bedroht.<br />

Eine zuverlässige Zustandsbeschreibung <strong>der</strong> europäischen Gewässer und Feuchtgebiete liegt bis<br />

heute nicht vor. In einigen Mitgliedstaaten fehlen Überwachungsprogramme ganz o<strong>der</strong> sie sind<br />

mangelhaft. Wenn solche Programme existieren, stehen die Ergebnisse häufig nicht <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

und <strong>der</strong> vergleichenden Forschung <strong>zur</strong> Verfügung. Insbeson<strong>der</strong>e für den ökologischen Zustand <strong>der</strong><br />

Gewässer fehlt ein verlässliches Bewertungssystem. Die WRRL wird erstmals ein solches<br />

Bewertungssystem hervorbringen, das vergleichbare Beschreibungen des ökologischen Zustands für<br />

alle Gewässer, gleich in welcher Region, ermöglichen sollte. Es mag auf einem wohlhabenden<br />

Kontinent wie Europa überraschen, dass die <strong>EU</strong> <strong>der</strong>zeit nicht einmal annähernd in <strong>der</strong> Lage ist, die<br />

wirkliche Schädigung und Verschmutzung ihrer Gewässer anzugeben.<br />

Allerdings wird ein <strong>EU</strong>-weites Bewertungs- und Berichtssystem allein sicher nicht ausreichen, die<br />

2 Stanners, D. und Bourdeau, P.: Europe's Environment - The Dobris Assessment, European Environment<br />

Agency, Copenhagen 1995<br />

3 EEA (2000): Environmental Signals 2000<br />

4 Water Policy – Large Dams and Transfer Systems in Spain, Memorandum to the European Union, Adelpa,<br />

Adena-WFF, CCOO, COAGRET, Ecologistas en Accion and Greenpeace, Brussels June 1999<br />

5 Europe's Environment: The Second Assessment, European Environment Agency, Copenhagen 1998 and<br />

Stanners, D. und Bourdeau, P.: Europe's Environment - The Dobris Assessment, European Environment Agency,<br />

Copenhagen 1995<br />

3


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

<strong>EU</strong>-Gewässer besser zu schützen. Im schlechteren Fall wird die WRRL nicht mehr bewirken als die<br />

Herstellung hübscher Gewässerzustandskarten, den dringend benötigten Gewässerschutz aber nicht<br />

hervorbringen. Die fortwährende und intensive Beteiligung von NGOs und Öffentlichkeit an <strong>der</strong><br />

Weiterentwicklung <strong>der</strong> WRRL sind deshalb nötig, um ihr Potential opt<strong>im</strong>al auszuschöpfen.<br />

4


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

3. Die <strong>EU</strong>-<strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> seit 1970 bis <strong>zur</strong> WRRL<br />

3.1. Allgemeine Einleitung<br />

Der Gewässerschutz war einer <strong>der</strong> ersten Sektoren <strong>der</strong> Europäischen Umweltpolitik und wird durch<br />

mehr als 25 wasserrelevante Richtlinien und Entscheidungen geprägt. Die erste Gesetzgebungswelle<br />

fand zwischen 1975 und 1980 statt und resultierte in einer Reihe von Richtlinien und Entscheidungen,<br />

die entwe<strong>der</strong> Umweltqualitätsnormen für spezifische <strong>Wasser</strong>kategorien – wie Oberflächengewässer,<br />

Fischgewässer, Muschelgewässer, Badegewässer und Trinkwasser – festlegen o<strong>der</strong><br />

Emissionsgrenzwerte für spezifische <strong>Wasser</strong>nutzungen aufstellen, wie zum Beispiel die Grundwasser-<br />

Richtlinie (80/68/EG) und die Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen<br />

(76/646/EWG). Diese Richtlinien basieren hauptsächlich auf dem ersten Umweltaktionsprogramm<br />

von 1973, das die Verwendung bei<strong>der</strong> Ansätze for<strong>der</strong>te. Jedoch führte dieser zweifache Ansatz in<br />

<strong>der</strong> Praxis zu einer sehr fragmentierten Gesetzgebung und zu Umsetzungsproblemen. Die Ergebnisse<br />

für die Umwelt fielen geringer als erwartet aus.<br />

Emissionsgrenzwerte können als regulierende Maßnahmen verstanden werden, die auf die Quelle <strong>der</strong><br />

potentiellen Umweltverschmutzung abzielen. Sie werden eingesetzt, um das Niveau <strong>der</strong> erlaubten<br />

Schadstoffemissionen in die Umwelt mit Hilfe allgemeiner o<strong>der</strong> abstrakter Grenzwerte<br />

einzuschränken. Dieser Ansatz wird von Konzepten wie „Stand <strong>der</strong> Technik“ o<strong>der</strong> <strong>der</strong> stark<br />

ökonomisch orientierten „besten verfügbaren Technik“ geprägt. 6<br />

Umweltqualitätsnormen beschreiben eine Obergrenze <strong>der</strong> Verschmutzung. Sie können als<br />

Vorschriften für den Zustand <strong>der</strong> Umwelt beschrieben werden. Allgemein beziehen sie sich auf einen<br />

best<strong>im</strong>mten Aspekt, meist ein Umweltmedium (Luft, <strong>Wasser</strong>, Boden) o<strong>der</strong> best<strong>im</strong>mte Ziele<br />

(Menschen, Ökosysteme). Die Umweltqualitätsnormen stellen ein dafür gewünschtes Qualitätsniveau<br />

dar. 7<br />

Die zweite Gesetzgebungswelle zwischen 1980 und 1991 war weniger umfassend. Neben <strong>der</strong><br />

Einführung neuer Instrumente, <strong>der</strong> Nitrat-Richtlinie und Kommunalabwasser-Richtlinie, wurden<br />

mehrere „Tochterrichtlinien“ <strong>zur</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor<br />

gefährlichen Stoffen angenommen.<br />

Aufgrund dieses Flickenteppichs von Gesetzen verlangten Europäisches Parlament und Rat seit<br />

langem eine neue und besser koordinierte <strong>Wasser</strong>gesetzgebung. Während <strong>der</strong> letzten zehn Jahre<br />

wurde eine grundlegende Revision <strong>der</strong> <strong>EU</strong>-<strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> vorbereitet, die letztendlich <strong>zur</strong> <strong>Wasser</strong>-<br />

Rahmenrichtlinie 2000/60/EG 8 führte. Diese neue Richtlinie wird nicht nur sechs alte Richtlinien und<br />

eine Entscheidung aufheben sowie eine Reihe von an<strong>der</strong>en <strong>Wasser</strong>gesetzen beeinflussen, son<strong>der</strong>n<br />

stellt auch die Basis für kommende Gesetzgebungsinitiativen dar.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e versucht die WRRL, die wi<strong>der</strong>sprüchlichen Ansätze von Umweltqualitätsnormen und<br />

6 <strong>EEB</strong> Industry Handbook: A critical evaluation of available European Legislation on Industry and the<br />

Environment, Dec 1998<br />

7 Ibid.<br />

8 OJ L 327/1, 22.12.2000, p.1-72<br />

5


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Emissionsgrenzwerten in Einklang zu bringen. Die essentiellen Richtlinien in diesem Zusammenhang,<br />

die von <strong>der</strong> WRRL aufgehoben werden, sind die Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor<br />

gefährlichen Stoffen und die Grundwasser-Richtlinie. Auch wenn die dort festgelegten<br />

Emissionsgrenzwerte <strong>im</strong> Prinzip in die WRRL aufgenommen werden, bestehen Zweifel, ob dies zu<br />

einem vergleichbaren Schutzniveau für die Gewässer führen wird. Die Umweltqualitätsnormen <strong>der</strong><br />

Oberflächenwasser-, Fischgewässer- und Muschelgewässer-Richtlinie können dagegen viel leichter<br />

in das Ziel <strong>der</strong> WRRL, bis 2015 einen „guten Zustand“ für alle Gewässer zu erreichen, integriert<br />

werden. Jedoch kann nach Aufhebung dieser Richtlinien durch die WRRL auch hier eine Senkung<br />

des Schutzniveaus resultieren.<br />

Die Trinkwasser- und Badegewässer-Richtlinie bleiben eigenständige Richtlinien, doch müssen die<br />

Mitgliedstaaten die Koordination des diesbezüglichen Gewässerschutzes <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> WRRL<br />

durchführen.<br />

Die Richtlinien <strong>der</strong> zweiten Gesetzgebungswelle werden nicht aufgehoben, einige werden jedoch<br />

überarbeitet. Ein Teil <strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen dieser Richtlinien muss über die Bewirtschaftungspläne <strong>der</strong><br />

WRRL koordiniert werden. Zusätzlich wird das Erreichen <strong>der</strong> Ziele für „geschützte Gebiete“ unter<br />

<strong>der</strong> Nitrat-Richtlinie und Kommunalabwasser-Richtlinie bis 2010 verlangt.<br />

Um die potentiellen Probleme <strong>der</strong> neuen konsolidierten <strong>EU</strong>-<strong>Wasser</strong>gesetzgebung zu beurteilen, ist<br />

ein Blick auf die Umsetzung und Durchführung bestehen<strong>der</strong> Gesetze hilfreich. Kaum eine Richtlinie <strong>im</strong><br />

<strong>Wasser</strong>bereich wurde in vorgeschriebener Form o<strong>der</strong> termingerecht und vollständig umgesetzt und<br />

ausgeführt, noch ihre Ziele erreicht. 9<br />

Es bleibt offen, ob die WRRL eine bessere Umsetzung und Durchführung des Gewässerschutzes<br />

ermöglichen wird als in <strong>der</strong> Vergangenheit.<br />

3.2. Die Oberflächenwasser-Richtlinie (75/440/EWG), die<br />

Fischgewässer-Richtlinie (78/659/EWG) und die<br />

Muschelgewässer-Richtlinie (79/923/EWG)<br />

Diese drei Richtlinien verlangen für best<strong>im</strong>mte Gewässer und <strong>Wasser</strong>nutzungen die Aufstellung von<br />

Umweltqualitätsnormen.<br />

Die Oberflächenwasser-Richtlinie von 1975 hat zum Ziel, für Trinkwasserzwecke relevante<br />

Gewässer wie Seen, Flüsse und Stauseen zu schützen. Mitgliedstaaten müssen diese Gewässer<br />

ausweisen und alle Maßnahmen ergreifen, um die Normen <strong>der</strong> Richtlinie zu erfüllen. Die meisten<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Richtlinie wurden in die Trinkwasser-Richtlinie von 1980 übernommen.<br />

Folgerichtig wird die Oberflächenwasser-Richtlinie durch die WRRL schon <strong>im</strong> Dezember 2007<br />

aufgehoben.<br />

Die Ziele <strong>der</strong> Fischgewässer-Richtlinie von 1978 sind <strong>der</strong> Schutz und die Verbesserung <strong>der</strong> Qualität<br />

von Süßgewässern, die best<strong>im</strong>mte Fischarten beherbergen. Analog hat die Muschelgewässer-<br />

Richtlinie von 1979 zum Ziel, die Qualität von Küsten- o<strong>der</strong> Brackgewässern zu schützen und zu<br />

verbessern, um <strong>zur</strong> Qualität <strong>der</strong> essbaren Schalentiere beizutragen. Um diese Ziele zu erreichen,<br />

müssen die Mitgliedstaaten die entsprechenden Gewässer ausweisen, ihre Qualität überwachen und<br />

9 C. Demmke, Towards effective environmental regulation: Innovative approaches in Implementing and Enforcing<br />

European Environmental Law and Policy, European Institute of Public Administration, Oct 2000, not yet published<br />

6


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Maßnahmen <strong>zur</strong> Erfüllung <strong>der</strong> Min<strong>im</strong>alstandards <strong>der</strong> Richtlinie ergreifen (sowohl Leitwerte als auch<br />

verbindliche Grenzwerte).<br />

Die Fischgewässer- und die Muschelgewässer-Richtlinie werden durch die WRRL <strong>im</strong> Dezember<br />

2013 aufgehoben. Die Erreichung des guten ökologischen und chemischen Zustands aller Gewässer<br />

unter <strong>der</strong> WRRL sollte natürlich auch die Qualitätsnormen dieser beiden Richtlinien beinhalten, um<br />

Fische und Schalentiere zu schützen. Allerdings verbietet die WRRL nicht ausdrücklich, dass die<br />

Standards nach <strong>der</strong> Aufhebung dieser Richtlinien abgesenkt werden.<br />

3.3. Die Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor<br />

gefährlichen Stoffen (76/464/EWG) und ihre<br />

Tochterrichtlinien<br />

Die Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen von 1976 ist eine wichtige<br />

Komponente <strong>der</strong> europäischen <strong>Wasser</strong>gesetzgebung. Sie sieht einen Rahmen für nachfolgende<br />

Vorschriften <strong>zur</strong> Regulierung <strong>der</strong> Ableitungen best<strong>im</strong>mter gefährlicher Stoffe in die Gewässer vor. Sie<br />

ist horizontal auf alle Gewässer in <strong>der</strong> <strong>EU</strong> anzuwenden und setzt mit ihren Emissionsgrenzwerten zum<br />

Teil den zweiten vom Umweltaktionsprogramm 1973 gefor<strong>der</strong>ten Ansatz um.<br />

Das Ziel <strong>der</strong> Richtlinie ist die Beseitigung <strong>der</strong> Verschmutzung durch gefährliche Stoffe in Anhang I<br />

(Schwarze Liste) und die Verringerung <strong>der</strong> Verschmutzung durch Stoffe in Anhang II (Graue Liste).<br />

Die Maßnahmen <strong>der</strong> Mitgliedstaaten <strong>zur</strong> Erreichung dieser Ziele sind Genehmigungen für Ableitungen<br />

<strong>der</strong> Stoffe des Anhangs I, die zudem nur für eine begrenzte Zeit gewährt werden können. Die Stoffe<br />

des Anhangs I werden auf <strong>der</strong> Grundlage ihrer toxischen, persistenten und bioakkumulierbaren<br />

Eigenschaften identifiziert.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> abweichenden Ansichten Großbritanniens verfolgt die Richtlinie parallel einen zweiten<br />

Ansatz, indem sie dafür sorgt (unter Artikel 6.1 und 6.2), dass <strong>der</strong> Rat für jeden Stoff auf <strong>der</strong><br />

Schwarzen Liste sowohl Umweltqualitätsnormen als auch Emissionsgrenzwerte aufstellt. Den<br />

Mitgliedstaaten ist es frei gestellt, welchen Ansatz sie verwenden. Bisher hat sich nur Großbritannien<br />

für Umweltqualitätsnormen entschieden.<br />

1982 hat die Kommission 129 Kandidatenstoffe identifiziert, 10 die als Stoffe des Anhangs I <strong>der</strong><br />

Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen in Frage kommen. Bis heute<br />

wurden jedoch für nur 18 <strong>der</strong> 129 Stoffe Umweltqualitätsnormen und Emissionsgrenzwerte anhand<br />

von Tochterrichtlinien aufgestellt (Richtlinie über Quecksilberableitungen 82/176/EWG, Richtlinie<br />

über Cadmiumableitungen 83/513/EWG, Quecksilberrichtlinie 84/156/EWG, Richtlinie über<br />

Ableitungen von Hexachlorcyclohexan 84/491/EWG und Richtlinie über die Ableitung best<strong>im</strong>mter<br />

gefährlicher Stoffe 86/280/EWG).<br />

Die WRRL hebt die Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen <strong>im</strong> Dezember<br />

2013 auf, mit Ausnahme des Artikels 6, <strong>der</strong> mit Inkrafttreten <strong>der</strong> WRRL aufgehoben wird. Die<br />

sofortige Aufhebung des Artikels 6 steht in Verbindung mit Artikel 16(1) <strong>der</strong> WRRL, gemäß dem<br />

das Europäische Parlament und <strong>der</strong> Rat best<strong>im</strong>mte Maßnahmen gegen die Verschmutzung <strong>der</strong><br />

Gewässer durch einzelne Stoffe o<strong>der</strong> Stoffgruppen ergreifen müssen.<br />

Die Aufhebung des Artikels 6 <strong>der</strong> Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen<br />

10 OJ C 176, 14.7.1982, p. 3<br />

7


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

bedeutet, dass die 129 Kandidatenstoffe von 1982 durch die Liste prioritärer Stoffe <strong>im</strong> Anhang X<br />

<strong>der</strong> WRRL ersetzt wird. Die Kommission hat bereits eine Liste von 32 prioritären Stoffen<br />

vorgeschlagen (Kom(2000)47).<br />

Eine <strong>der</strong> wichtigsten Fragen für den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor Einleitungen gefährlicher Stoffe ist, ob<br />

das Reg<strong>im</strong>e <strong>der</strong> WRRL genauso streng sein wird wie das <strong>der</strong> Richtlinie 76/464/EWG. Zumindest<br />

wird in <strong>der</strong> WRRL ausdrücklich erwähnt, dass die Umweltqualitätsnormen des ersten<br />

Bewirtschaftungsplans <strong>der</strong> WRRL (von Dezember 2009 bis Dezember 2015) nicht weniger streng<br />

sein dürfen als von <strong>der</strong> Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen vorgesehen.<br />

3.4. Die Grundwasser-Richtlinie (80/68/EWG)<br />

Im Prinzip wurden auch alle Schadstoffeinleitungen ins Grundwasser durch die Richtlinie über den<br />

Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen von 1976 reguliert. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten<br />

in Artikel 4 ausdrücklich, keine Einleitungen <strong>der</strong> Stoffe des Anhang I in das Grundwasser zuzulassen.<br />

Zugleich verwies dieser Artikel auch auf eine zukünftige Grundwasser-Richtlinie und verlor seine<br />

Anwendung mit dem Inkrafttreten dieser Richtlinie 1980.<br />

In gleicher Weise wie die Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen<br />

unterscheidet die Grundwasser-Richtlinie zwei Kategorien von Schadstoffen - eine „Schwarze“ und<br />

eine „Graue“ Liste. Die Mitgliedstaaten müssen verhin<strong>der</strong>n, dass Stoffe <strong>der</strong> „schwarzen“ Liste ins<br />

Grundwasser gelangen, die Einleitung von Stoffen <strong>der</strong> „grauen“ Liste ins Grundwasser muss reduziert<br />

werden. Um das Ziel <strong>der</strong> „Nulleinleitung“ für die Stoffe <strong>der</strong> „schwarzen“ Liste zu erreichen, müssen<br />

die zuständigen nationalen Behörden alle direkten Einleitungen verbieten sowie Maßnahmen<br />

ergreifen, um indirekte Einleitungen zu verhin<strong>der</strong>n. Alle Einleitungen von Stoffen <strong>der</strong> „grauen“ Liste<br />

müssen eine vorherige Prüfung und Genehmigung durchlaufen.<br />

Die Grundwasser-Richtlinie war allerdings nicht in <strong>der</strong> Lage, die langfristige und diffuse<br />

Grundwasserverschmutzung zu verhin<strong>der</strong>n. Fehlende Instrumente und eine un<strong>zur</strong>eichende Integration<br />

an<strong>der</strong>er Politikbereiche sind die Hauptgründe dafür. Dieser Misserfolg spricht jedoch nicht gegen die<br />

in <strong>der</strong> Richtlinie verankerte Nulleinleitungsanfor<strong>der</strong>ung. Sie entspricht dem Vorsorgeprinzip, wie es<br />

zumindest für durch ihre toxischen, persistenten und bioakkumulierenden Eigenschaften<br />

charakterisierte gefährliche Stoffe angewandt werden sollte.<br />

Die Grundwasser-Richtlinie wird <strong>im</strong> Dezember 2013 durch die WRRL aufgehoben. Anlass <strong>zur</strong><br />

Sorge ist, dass <strong>der</strong> vorsorgende Ansatz in <strong>der</strong> WRRL weniger klar und deutlich formuliert ist als in<br />

<strong>der</strong> bestehenden Grundwasser-Richtlinie.<br />

3.5. Umsetzungsprobleme <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Eines <strong>der</strong> größten Probleme für den künftigen Gewässerschutz ist nicht ein Mangel an Gesetzen,<br />

son<strong>der</strong>n die Tatsache, dass bisher keine Richtlinie vollständig von den Mitgliedstaaten umgesetzt und<br />

angewandt geworden ist. Neun Mitgliedstaaten wurden für die Nichteinhaltung <strong>der</strong><br />

<strong>Wasser</strong>gesetzgebung durch den europäischen Gerichtshof in 42 Fällen betreffend 17 Richtlinien<br />

verurteilt. 11 Außerdem ist eine Vielzahl weiterer Rechtsverletzungsverfahren in Luxemburg anhängig.<br />

11 Demmke, C., Towards effective environmental regulation: Innovative approaches in Implementing and<br />

Enforcing European Environmental Law and Policy, European Institute of Public Administration, Oct 2000, not yet<br />

published<br />

8


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Die Umsetzung muss als katastrophal bezeichnet werden, und von einem einheitlichen<br />

Gewässerschutzniveau ist die Gemeinschaft weit entfernt.<br />

Hinzu kommt, dass die Mitgliedstaaten während <strong>der</strong> ersten Welle <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>gesetzgebung nicht<br />

verpflichtet waren, detailliert über die Umsetzung und Anwendung <strong>der</strong> <strong>EU</strong>-<strong>Wasser</strong>-Gesetzgebung<br />

Bericht zu erstatten. Von vielen Rechtsverletzungen hat die <strong>EU</strong>-Kommission daher niemals erfahren,<br />

wodurch eine wahrscheinlich riesige Anzahl ungeahndet blieb.<br />

Seit Inkrafttreten <strong>der</strong> Richtlinie 91/692/EWG über die Standardisierung und Rationalisierung <strong>der</strong><br />

Berichte bezüglich <strong>der</strong> Umsetzung best<strong>im</strong>mter Richtlinien <strong>im</strong> Umweltbereich sind die Mitgliedstaaten<br />

verpflichtet, ausführlich über die Umsetzung von Umweltrichtlinien Bericht zu erstatten. Die Anzahl<br />

von Verfahren gegen Mitgliedstaaten, die die Kommission wegen Umsetzungsdefiziten vor den<br />

europäischen Gerichtshof brachte, ist dadurch in den letzten Jahren drastisch angestiegen.<br />

Auf <strong>der</strong> „Hitliste“ <strong>der</strong> Gesetze, <strong>der</strong>en Nichteinhaltung durch den europäischen Gerichtshof gerügt<br />

wurde, stehen die Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen (76/464/EWG)<br />

und die Grundwasser-Richtlinie (80/86/EWG) mit jeweils sechs Mitgliedstaaten, die ihren<br />

Verpflichtungen nicht nachgekommen sind.<br />

Im Fall <strong>der</strong> Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen haben die<br />

Mitgliedstaaten entwe<strong>der</strong> keine o<strong>der</strong> eine nicht ausreichend detaillierte Notifikation eines<br />

Richtlinienprogramms durchgeführt o<strong>der</strong> aber die Genehmigungspflichten ungenügend umgesetzt.<br />

Die Grundwasser-Richtlinie wurde von den meisten Mitgliedstaaten nicht adäquat in nationales Recht<br />

umgesetzt. 12 Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Einleitung best<strong>im</strong>mter Schadstoffe in<br />

das Grundwasser zu verhin<strong>der</strong>n. Mitgliedstaaten müssen daher eigentlich eine Liste relevanter Stoffe<br />

best<strong>im</strong>men. Nur Großbritannien stellt kürzlich eine Liste von 79 Substanzen auf, für die ein<br />

Einleitungsverbot als notwendig erachtet wird.<br />

Im Fall <strong>der</strong> Nitrat-Richtlinie (91/676/EWG) sind Vertragsverletzungsverfahren gegen 13 von 15<br />

Mitgliedstaaten eingeleitet worden. In vielen Fällen haben Mitgliedstaaten die Umsetzungsberichte<br />

nicht eingereicht. 13<br />

Zunehmend werden auf <strong>der</strong> europäischen Ebene Bemühungen <strong>zur</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong><br />

europäischen Umweltgesetzgebung unternommen. Zum Beispiel wurde das IMPEL-Netz für<br />

Umweltinspektion eingerichtet. IMPEL beschreibt Min<strong>im</strong>alkriterien für Inspektionen, die sich<br />

hauptsächlich auf Vorortbesuche konzentrieren, um die Einhaltung <strong>der</strong> Gesetze zu kontrollieren und<br />

<strong>im</strong> Gesetzgebungszyklus Anpassungsschritte zu för<strong>der</strong>n. „Lehren, die aus <strong>der</strong> Umsetzungspraxis<br />

gezogen werden, stellen eine Grundlage für den Entwurf neuer Gesetze und Richtlinien o<strong>der</strong> für die<br />

Verbesserung bestehen<strong>der</strong> Gesetze und Richtlinien dar.“ 14 Es ist aber nicht klar, ob die WRRL<br />

wirklich die Lehren aus <strong>der</strong> Vergangenheit gezogen hat.<br />

Deutlich ist, dass die Verwaltungen <strong>im</strong> Umweltsektor an einem Mangel personeller und finanzieller<br />

Ressourcen leiden. Dies wird weiterhin die Umsetzung und Durchführung des Umweltrechts<br />

12 Demmke, C., Towards effective environmental regulation: Innovative approaches in Implementing and<br />

Enforcing European Environmental Law and Policy, European Institute of Public Administration, Oct 2000, not yet<br />

published<br />

13 European Court of Auditors, Special Report No. 3/98, OJC 191/2 of 18.6.1998<br />

14 IMPEL Reference Book for Environmental Inspection, IMPEL Network, European Union Network for the<br />

Implementation and Enforcement of Environmental Law, June 1999<br />

9


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

beschränken. Hier sind rationelle, wirksame und realistische Lösungen gefragt. 15<br />

Der europäische Gewässerschutz ist durch die un<strong>zur</strong>eichende Umsetzung und Anwendung <strong>der</strong><br />

Gesetze stark gefährdet. Die Anzahl <strong>der</strong> Urteile und <strong>der</strong> noch unentschiedenen Verfahren ist groß<br />

und viele weitere Urteile sind zu erwarten. Eine wichtige Frage ist, ob <strong>der</strong> Druck auf die weitere<br />

Umsetzung <strong>der</strong> durch die WRRL aufzuhebenden Richtlinien aufrecht erhalten werden kann. Die<br />

Kommission scheint vorerst auf <strong>der</strong> vollständigen Umsetzung <strong>der</strong> Richtlinien <strong>der</strong> ersten<br />

Gesetzgebungswelle <strong>der</strong> 70er Jahre bestehen zu wollen. Dies ist hinsichtlich <strong>der</strong> Richtlinie über den<br />

Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen (76/464/EWG) und <strong>der</strong> Grundwasser-Richtlinie<br />

(80/86/EWG) beson<strong>der</strong>s wichtig, denn <strong>der</strong>en strenge und vorbeugende Vorgehensweise könnte<br />

unter <strong>der</strong> WRRL <strong>zur</strong> Debatte stehen.<br />

3.6. Aufhebung bestehen<strong>der</strong> Gesetzgebung durch die WRRL<br />

und die Umsetzung in den Beitrittslän<strong>der</strong>n<br />

Die Kandidatenlän<strong>der</strong> für einen Beitritt <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> müssen die gesamte Umweltgesetzgebung eigentlich<br />

bis zum Datum ihres Beitritts umgesetzt haben. Trotzdem verhandeln die Beitrittskandidaten mit <strong>der</strong><br />

<strong>EU</strong>-Kommission über Übergangsfristen. Im Fall von <strong>Wasser</strong> for<strong>der</strong>n die Beitrittskandidaten<br />

Übergangsfristen insbeson<strong>der</strong>e für all jene Richtlinien, die von <strong>der</strong> WRRL <strong>im</strong> Dezember 2013 16<br />

aufgehoben werden. Auch für an<strong>der</strong>e wasserrelevante Richtlinien werden Übergangszeiten diskutiert,<br />

so z. B. für die Kommunalabwasser-Richtlinie (91/271/EWG) und die Nitrat-Richtlinie<br />

(91/676/EWG), was mit Blick auf <strong>der</strong>en hohe Umsetzungskosten vernünftig sein mag. Diese<br />

Übergangsfristen gewähren den Beitrittskandidaten mehrere Jahre bis <strong>zur</strong> Einhaltung <strong>der</strong><br />

notwendigen Anfor<strong>der</strong>ungen.<br />

Unklarheit besteht bezüglich <strong>der</strong> Richtlinien, die in 7 bzw. 13 Jahren von <strong>der</strong> WRRL aufgehoben<br />

werden. Müssen sie <strong>im</strong> Detail umgesetzt und bis zu ihrer Aufhebung durchgeführt werden? O<strong>der</strong><br />

können sich die Beitrittskandidaten vor allem auf die Umsetzung <strong>der</strong> WRRL konzentrieren und damit<br />

alle Verpflichtungen und Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> aufzuhebenden europäischen <strong>Wasser</strong>gesetzgebung<br />

abdecken?<br />

Die Frage ist von einem formalen Standpunkt aus gesehen klar: Alle Richtlinien müssen vom<br />

Beitrittsdatum an umgesetzt sein, auch wenn sie 2007 und 2013 wi<strong>der</strong>rufen werden. Dies ist<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> großen Bedeutung <strong>der</strong> Grundwasser-Richtlinie und <strong>der</strong> Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong><br />

Gewässer vor gefährlichen Stoffen für den europäischen Gewässerschutz auch geboten.<br />

Berücksichtigt man den langen Zeitraum von 13 Jahren bis zu ihrer Aufhebung ist die fristgerechte<br />

Umsetzung und Durchführung äußerst wichtig und notwendig. Diese Richtlinien sind vergleichbar mit<br />

den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> WRRL, die deshalb auch einen integrativen Rahmen für die Umsetzung<br />

bei<strong>der</strong> Richtlinien setzt. Ausdrücklich garantiert die WRRL ein mindestens gleich hohes Schutzniveau<br />

wie die bestehende <strong>EU</strong>-Gesetzgebung (Artikel 4(9)). Die unter den ersten Bewirtschaftungsplänen<br />

aufgestellten Qualitätsnormen müssen mindestens so streng sein wie die von <strong>der</strong> Richtlinie über den<br />

Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen gefor<strong>der</strong>ten (Artikel 22(6)). Schon daraus folgt, dass<br />

15 Demmke, C., Towards effective environmental regulation: Innovative approaches in Implementing and<br />

Enforcing European Environmental Law and Policy, European Institute of Public Administration, Oct 2000, not yet<br />

published<br />

16 Gefährliche Stoffe 76/464/EWG; Fischgewässer 78/659/EWG, Muschelgewässer 79/923/EWG und Grundwasser<br />

80/86/EEC.<br />

10


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

die vollständige Umsetzung <strong>der</strong> bestehenden Richtlinien eine Voraussetzung für das Erreichen <strong>der</strong><br />

Ziele <strong>der</strong> WRRL ist.<br />

Das vorläufige Umsetzungshandbuch <strong>der</strong> Kommission schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass<br />

<strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong> bestehenden Richtlinien respektiert wird, aber eine übermäßig formale Umsetzung <strong>der</strong><br />

durch die WRRL aufzuhebenden Richtlinien nicht notwendig ist. 17 Diese Vorgehensweise kann in<br />

dieser Form nur für die Messmethoden-Richtlinie (79/869/EWG) und die Entscheidung über den<br />

Informationsaustausch (77/795/EWG), die <strong>im</strong> Dezember 2007 aufgehoben werden, akzeptiert<br />

werden.<br />

17 EC Commission, Handbook on the Implementation of EC Environmental legislation<br />

11


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

4. Ziele und Instrumente <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie<br />

mit politischen Optionen für die weitere NGO-Arbeit<br />

Mit diesem Kapitel ist kein vollständiger Überblick über die <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie (WRRL) 18<br />

beabsichtigt. Die Autoren arbeiten vielmehr die wesentlichen Aspekte <strong>der</strong> WRRL heraus und<br />

untersuchen den Richtlinientext auf Schwächen und Wi<strong>der</strong>sprüche. Daraus werden denkbare NGO-<br />

Initiativen abgeleitet, die <strong>zur</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> europäischen Gewässer beitragen<br />

können.<br />

4.1. Vorbemerkung<br />

Im September 2000 wurde die <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie nach fast einem Jahrzehnt politischer<br />

Vorarbeit durch das Europäische Parlament und den Rat verabschiedet. Dieser neue Rahmen für die<br />

<strong>Wasser</strong>gesetzgebung umfasst ein höchst komplexes Paket von Zielen, Maßnahmen und rechtlichen<br />

Verpflichtungen.<br />

Die beiden Hauptziele <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie sind <strong>der</strong> Schutz und die Verbesserung <strong>der</strong><br />

aquatischen Umwelt sowie die För<strong>der</strong>ung einer nachhaltigen, ausgewogenen und gerechten<br />

<strong>Wasser</strong>nutzung. Insbeson<strong>der</strong>e soll die Richtlinie <strong>zur</strong> Erreichung <strong>der</strong> Ziele internationaler Abkommen<br />

(z. B. OSPAR, BARCELONA, HELCOM) beitragen. Dies ist bedeutsam, da einige dieser Ziele<br />

strenger und ambitionierter sind als <strong>der</strong> Text <strong>der</strong> WRRL.<br />

Einige neue rechtliche Instrumente werden eingeführt, um alle europäischen Gewässer 19 zu schützen<br />

und zu verbessern: ein auf <strong>der</strong> Gewässerökologie beruhen<strong>der</strong>, ganzheitlicher Ansatz <strong>zur</strong> Beurteilung<br />

<strong>der</strong> Gewässergüte; Planung auf <strong>der</strong> Ebene von Flusseinzugsgebieten; eine vorsorgende Strategie <strong>zur</strong><br />

Beendigung <strong>der</strong> Verschmutzung mit gefährlichen Stoffen; öffentliche Information und Beteiligung an<br />

<strong>der</strong> Planung sowie <strong>der</strong> Einsatz wirtschaftlicher Instrumente.<br />

Trotz dieser bedeutenden Neuerungen <strong>im</strong> <strong>EU</strong>-<strong>Wasser</strong>recht wirft <strong>der</strong> Text <strong>der</strong> WRRL einige<br />

grundlegende Probleme auf. Um tatsächlich positive Verän<strong>der</strong>ungen für die Gewässer sicherzustellen,<br />

müssen diese Probleme umgehend ausgeräumt werden. Anlass <strong>zur</strong> Sorge geben insbeson<strong>der</strong>e die<br />

folgenden Defizite:<br />

• Komplizierte und weit gefasste Ausnahmebest<strong>im</strong>mungen zu den Umweltzielen <strong>der</strong> Richtlinie,<br />

insbeson<strong>der</strong>e bezüglich “stark verän<strong>der</strong>ter Gewässer” und neuer Eingriffe in ein Gewässer;<br />

• Umsetzungsprobleme aufgrund juristischer Unsicherheit, zum Beispiel bezüglich <strong>der</strong> Situation vor<br />

und nach dem vorgesehenen Wi<strong>der</strong>ruf <strong>der</strong> bestehenden <strong>EU</strong>-<strong>Wasser</strong>richtlinien;<br />

• Die Verlagerung zentraler Entscheidungen auf nachfolgende politische Prozesse, wie zum Beispiel<br />

die Kriterien für die Klassifizierung <strong>der</strong> Grundwassergüte o<strong>der</strong> die Umweltqualitätsnormen und<br />

Emissionsgrenzwerte für Oberflächengewässer.<br />

Die <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie folgt einem zweistufigen Ansatz und unterscheidet sich darin vom<br />

bisherigen <strong>EU</strong>-<strong>Wasser</strong>recht:<br />

18 OJ L L 327/1 22.12.2000,<br />

19 Die WRRL umfasst neu auch Übergangsgewässer und Küstengewässer, die in <strong>der</strong> bisherigen <strong>EU</strong>-<br />

Gesetzgebung vernachlässigt wurden.<br />

12


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

1. Koordination <strong>der</strong> Maßnahmen entwe<strong>der</strong> national o<strong>der</strong> auf <strong>EU</strong>-Ebene<br />

2. Die Definition <strong>der</strong> genauen Ziele und Maßnahmen wird nachfolgenden politischen Prozessen<br />

überlassen (durch Tochter-Richtlinien o<strong>der</strong> Expertenkomittees).<br />

Der Erfolg dieser Art <strong>der</strong> stufenweisen Gesetzgebung hängt entscheidend vom politischen Willen <strong>der</strong><br />

Beteiligten und <strong>der</strong>en vollem Einsatz ab, aber auch davon, ob alle interessierten Kreise (die breite<br />

Öffentlichkeit eingeschlossen) angemessen beteiligt und die Synergien <strong>der</strong> verschiedenen in <strong>der</strong><br />

WRRL nie<strong>der</strong>gelegten rechtlichen Instrumente genutzt werden können.<br />

Die zahlreichen noch ein<strong>zur</strong>ichtenden technischen und politischen Arbeitsgruppen werden eine<br />

entscheidende Rolle <strong>im</strong> weiteren von <strong>der</strong> WRRL angelegten Prozess spielen. Nur wenn diese<br />

Netzwerke eine integrative Kraft entfalten, wird die WRRL ein Erfolg werden. Dabei ist die<br />

Beteiligung auch von NGOs wichtig, um die Interessen <strong>der</strong> Öffentlichkeit und <strong>der</strong> Umwelt<br />

einzubeziehen. Die Erfahrung zeigt, dass die Interventionen von NGOs ein wichtiges Regulativ für die<br />

Umsetzung und den Vollzug von Umweltrecht sind, und dass diese Schritte nicht allein den Behörden<br />

überlassen werden können.<br />

Fraglich ist, ob die europäischen Umweltverbände die Kapazität haben, die Vielzahl <strong>der</strong><br />

Umsetzungsschritte und die oft sehr technischen Arbeitsgruppen kritisch zu begleiten und <strong>der</strong>en<br />

Ergebnisse positiv zu beeinflussen. Eine bessere finanzielle Ausstattung scheint angezeigt, um die<br />

NGO-Arbeit zu unterstützen, doch müssen die NGOs auch ihr Engagement konzentrieren und ihre<br />

Aktivitäten bündeln und fokussieren.<br />

Die nachfolgenden Kapitel sollen einen ersten Überblick über die zentralen Themen <strong>der</strong> WRRL<br />

geben. Diese Analyse soll es in erster Linie NGOs ermöglichen, auf nationaler, regionaler o<strong>der</strong><br />

lokaler Ebene wasserpolitische Prioritäten zu setzen.<br />

13


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

4.2. Integrierte Bewirtschaftung von Flusseinzugsgebieten<br />

4.2.1. Einleitung und Überblick<br />

Eines <strong>der</strong> wichtigsten Konzepte <strong>der</strong> WRRL ist die Verwaltung und Bewirtschaftung <strong>der</strong> Gewässer<br />

nach Flusseinzugsgebieten. Zu diesem Zweck sollen Flussgebietseinheiten definiert werden, die nicht<br />

nur die oberflächlichen <strong>Wasser</strong>läufe von <strong>der</strong> Quelle bis <strong>zur</strong> Mündung ins Meer und alle<br />

Landoberflächen, son<strong>der</strong>n auch das verbundene Grundwasser umfassen. Die Einzugsgebiete<br />

kleinerer Flüsse, die direkt ins Meer entwässern, können dabei zu einer Flussgebietseinheit<br />

zusammengefasst werden.<br />

Alle Entscheidungen über Nutzungen und Eingriffe in die Gewässer eines Flusseinzugsgebiets sollen<br />

prinzipiell integriert und koordiniert mit Hilfe sogenannter Bewirtschaftungspläne gefällt werden. Die<br />

gesamte Planung findet also auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Flussgebietseinheiten statt, angefangen mit <strong>der</strong><br />

Erfassung des Status quo <strong>der</strong> Gewässer über die Aufstellung <strong>der</strong> jeweiligen Ziele bis hin zu den<br />

Maßnahmenprogrammen <strong>zur</strong> Erreichung dieser Ziele. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, für jede<br />

Flussgebietseinheit eine zuständige Behörde zu benennen, die mit <strong>der</strong> Erstellung und Ausführung <strong>der</strong><br />

Pläne betraut ist.<br />

4.2.2. Die Rolle <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne<br />

Das zentrale Verwaltungsinstrument <strong>der</strong> WRRL sind die Bewirtschaftungspläne, die die<br />

Mitgliedstaaten für jede Flussgebietseinheit vorlegen müssen. Die ersten Bewirtschaftungspläne sind<br />

<strong>im</strong> Dezember 2009 fällig. Nach jeweils weiteren sechs Jahren sollen sie überarbeitet und aktualisiert<br />

werden (d.h. per Dezember 2015, 2021 etc.). Die Erstellung <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne ist für die<br />

NGOs ein äußerst wichtiger Prozess, da hierbei alle für die Erreichung <strong>der</strong> Umweltziele relevanten<br />

Schritte entschieden werden. Deshalb verpflichtet die WRRL die Mitgliedstaaten ausdrücklich,<br />

je<strong>der</strong>mann umfassende Informationen zugänglich zu machen und die Öffentlichkeit an allen durch die<br />

Bewirtschaftungspläne abgedeckten Entscheidungen aktiv zu beteiligen.<br />

Für internationale Flussgebietseinheiten – gleich ob sie vollständig innerhalb <strong>der</strong> Europäischen Union<br />

liegen o<strong>der</strong> sich darüber hinaus erstrecken – müssen sich die Mitgliedstaaten um die Erstellung eines<br />

einzigen internationalen Bewirtschaftungsplanes durch Koordination und Kooperation bemühen. Falls<br />

ein solcher gemeinsamer Bewirtschaftungsplan aus irgend welchen Gründen nicht erstellt werden<br />

kann, sind die Mitgliedstaaten trotzdem verpflichtet, für den in ihrem Territorium liegenden Teil <strong>der</strong><br />

Flussgebietseinheit einen nationalen Teil-Bewirtschaftungsplan vorzulegen.<br />

Die NGOs sollten darauf dringen, dass die Gesamt-Bewirtschaftungspläne für die (oft sehr großen)<br />

Flussgebietseinheiten durch detailliertere Teilpläne ergänzt werden, wie dies in <strong>der</strong> WRRL<br />

ausdrücklich vorgesehen ist. Solche Teilpläne sollten sich typischerweise auf das Einzugsgebiet eines<br />

Zuflusses beziehen (z. B. Main, Isar). Sie können aber auch best<strong>im</strong>mte <strong>Wasser</strong>nutzungen o<strong>der</strong> einen<br />

best<strong>im</strong>mten Gewässertyp in den Mittelpunkt stellen, d.h. sich prinzipiell mit allen Aspekten <strong>der</strong><br />

Gewässernutzung befassen. Solche Teilpläne sind bei sehr großen Flussgebietseinheiten (wie Donau<br />

o<strong>der</strong> Rhein) unerlässlich, um die nötigen Entscheidungen transparenter und damit das öffentliche<br />

Interesse und die Teilnahme <strong>der</strong> Bevölkerung zu vergrößern. Eigene Bewirtschaftungspläne für<br />

einzelne Gewässernutzungen (z. B. landwirtschaftliche Bewässerung) ermöglichen einen besseren<br />

Überblick über die Situation in einem Flusseinzugsgebiet.<br />

14


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

1. Der Inhalt <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne<br />

Die Mitgliedstaaten sind durch die WRRL gebunden, unter an<strong>der</strong>em folgende Elemente in die<br />

Bewirtschaftungspläne aufzunehmen:<br />

• Eine allgemeine Beschreibung <strong>der</strong> Flussgebietseinheit, d.h. Karten mit <strong>der</strong> genauen Lage und<br />

Begrenzung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>körper (Grund- und Oberflächengewässer), <strong>der</strong> Ökoregionen und <strong>der</strong><br />

Gewässertypen (nur für Oberflächengewässer) in <strong>der</strong> Flussgebietseinheit. Darüber hinaus sollen<br />

die Referenzbedingungen für die relevanten Gewässertypen angegeben werden.<br />

• Eine Zusammenfassung <strong>der</strong> bedeutenden Belastungen und anthropogenen Einwirkungen auf<br />

den Gewässerzustand, einschließlich einer Abschätzung von diffusen und Punktquellen <strong>der</strong><br />

Verschmutzung sowie eine Übersicht über die Landnutzung in <strong>der</strong> Flussgebietseinheit. Weiterhin<br />

sollen alle Beeinträchtigungen des mengenmäßigen Gewässerzustands abgeschätzt werden (z. B.<br />

durch <strong>Wasser</strong>entnahmen). Schließlich soll die Analyse auch alle an<strong>der</strong>en menschlichen<br />

Aktivitäten umfassen, die den Gewässerzustand beeinträchtigen. Hierbei ist die Beteiligung von<br />

NGOs wesentlich, um sicherzustellen, dass wirklich alle relevanten Beeinträchtigungen in <strong>der</strong><br />

Analyse erfasst werden. Auch was unter bedeutenden Belastungen eines Gewässers zu<br />

verstehen ist (und was nicht) kann durch NGOs dahingehend beeinflusst werden, dass alle<br />

<strong>Wasser</strong>nutzer und Verschmutzer angemessen berücksichtigt werden.<br />

• Geschützte Gebiete sollen benannt und in Karten dargestellt werden.<br />

• Eine Kartendarstellung <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>der</strong> Überwachungsprogramme für Oberflächengewässer<br />

(ökologischer und chemischer Zustand), Grundwasser (chemischer und mengenmäßiger<br />

Zustand) und geschützte Gebiete. Dazu gehören auch Karten des Überwachungsnetzes. Diese<br />

Karten mit Überwachungsergebnissen sind ein erster Hinweis auf den effektiven Zustand <strong>der</strong><br />

aquatischen Umwelt in <strong>der</strong> Flussgebietseinheit. Die NGOs sind gut beraten, diese Karten genau<br />

zu studieren, um mögliche Probleme und ihre Ursachen zu identifizieren. Außerdem können<br />

diese Karten dazu dienen, das öffentliche Interesse zu wecken und gegebenenfalls Druck auf die<br />

verantwortlichen Akteure auszuüben.<br />

• Eine Liste <strong>der</strong> Umweltziele, die nach Artikel 4 <strong>der</strong> WRRL für die Oberflächengewässer, das<br />

Grundwasser und die geschützten Gebiete in <strong>der</strong> Flussgebietseinheit festgesetzt werden sollen.<br />

In den Bewirtschaftungsplänen müssen die Behörden erstmals deklarieren (und ggf. verteidigen),<br />

welche Ausnahmen und Fristverlängerungen nach Artikel (4(4), 4(5), 4(6), und 4(7) sie für<br />

einzelne Gewässer in Anspruch nehmen wollen. Auch diesen Schritt können die NGOs stark<br />

beeinflussen. Da die Behörden detailliert darlegen müssen, aufgrund welcher Informationen sie<br />

ein Gewässer von <strong>der</strong> Erreichung <strong>der</strong> Richtlinienziele ausnehmen wollen, können NGOs diese<br />

Entscheidung <strong>im</strong> Detail nachvollziehen und gegebenenfalls anfechten.<br />

• Eine Zusammenfassung <strong>der</strong> ökonomischen Analyse <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>nutzung in <strong>der</strong> Flussgebietseinheit<br />

(nach Artikel 5 und Anhang III).<br />

2. Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne<br />

Für alle Gewässer, für die laut Zustandsanalyse die Umweltziele des Artikels 4 noch nicht erreicht<br />

sind, müssen die Mitgliedstaaten Maßnahmenprogramme gemäß Artikel 11 aufstellen. Außerdem<br />

müssen die Mitgliedstaaten (bzw. die für das Flussgebietseinheit zuständige Behörde) darlegen, wie<br />

diese Maßnahmenprogramme die Regeln <strong>der</strong> WRRL umsetzen und wie damit die Umweltziele des<br />

Artikels 4 erreicht werden sollen.<br />

15


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Folgende Informationen über die Maßnahmenprogramme müssen in den Bewirtschaftungsplänen<br />

mindestens enthalten sein:<br />

• Eine Zusammenfassung <strong>der</strong> <strong>zur</strong> Umsetzung von Gemeinschaftsrecht zum Schutz <strong>der</strong> Gewässer<br />

notwendigen Maßnahmen;<br />

• Einen Bericht über die praktischen Schritte und Maßnahmen <strong>zur</strong> Anwendung des Grundsatzes<br />

<strong>der</strong> Deckung <strong>der</strong> Kosten <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>nutzung gemäß Artikel 9;<br />

• Eine Zusammenfassung <strong>der</strong> Maßnahmen zum speziellen Schutz von Gewässern, die <strong>der</strong><br />

<strong>Wasser</strong>versorgung <strong>der</strong> Bevölkerung dienen (Artikel 7);<br />

• Eine Zusammenfassung <strong>der</strong> Kontrollen über die Entnahme o<strong>der</strong> Aufstauung von <strong>Wasser</strong><br />

(einschließlich <strong>der</strong> nach Artikel 11(3)(e) gewährten Ausnahmen);<br />

• Eine Zusammenfassung <strong>der</strong> Kontrollen für Einleitungen über Punktquellen und sonstige<br />

Tätigkeiten mit Auswirkungen auf den Zustand des Grundwassers gemäß Artikel 11(3)(g) und<br />

(i);<br />

• Angabe <strong>der</strong> Fälle, in denen direkte Einleitungen in das Grundwasser nach Artikel 11(3)(j)<br />

genehmigt worden sind;<br />

• Eine Zusammenfassung <strong>der</strong> Maßnahmen, die gemäß Artikel 16 <strong>im</strong> Hinblick auf prioritäre<br />

Stoffe ergriffen worden sind;<br />

• Eine Zusammenfassung <strong>der</strong> Maßnahmen <strong>zur</strong> Verhin<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Verringerung <strong>der</strong> Folgen<br />

unbeabsichtigter Verschmutzungen;<br />

• Eine Zusammenfassung <strong>der</strong> gemäß Artikel 11(5) ergriffenen Maßnahmen für Gewässer, bei<br />

denen die Erreichung <strong>der</strong> in Artikel 4 festgelegten Ziele fraglich ist;<br />

• Einzelheiten <strong>der</strong> Maßnahmen <strong>zur</strong> Vermeidung einer Zunahme <strong>der</strong> Verschmutzung <strong>der</strong><br />

Meeresgewässer gemäß Artikel 11(6).<br />

3. Nachfolgende Bewirtschaftungspläne<br />

Wenn auch noch in recht ferner Zukunft, sollen die nachfolgenden Bewirtschaftungspläne (2015,<br />

2021, und alle weiteren sechs Jahre) zusätzlich folgende Informationen enthalten:<br />

• Eine Zusammenfassung jeglicher Än<strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong> Aktualisierungen seit Veröffentlichung des<br />

vorangegangenen Bewirtschaftungsplans einschließlich <strong>der</strong> gemäß Artikel 4(4), 4(5), 4(6) und<br />

4(7) angewendeten Ausnahmen und Fristverlängerungen;<br />

• Eine Bewertung <strong>der</strong> Erreichung o<strong>der</strong> Nichterreichung <strong>der</strong> Umweltziele;<br />

• Eine Darstellung <strong>der</strong> Überwachungsergebnisse für den Zeitraum des vorangegangenen Plans in<br />

Kartenform;<br />

• Eine Erklärung, warum Umweltziele ggf. nicht erreicht wurden;<br />

• Eine Zusammenfassung und Erklärung für <strong>im</strong> letzten Bewirtschaftungsplan vorgesehene, aber<br />

nicht ergriffene Maßnahmen;<br />

• Eine Zusammenfassung zusätzlicher Maßnahmen, die für best<strong>im</strong>mte Gewässer ergriffen<br />

wurden, weil die Erreichung <strong>der</strong> Umweltziele fraglich ist.<br />

16


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

4.2.3. Öffentliche Beteiligung und die Rolle <strong>der</strong> NGOs bei <strong>der</strong><br />

Erstellung von Bewirtschaftungsplänen<br />

1. Mehr Information, mehr Möglichkeiten<br />

Aus <strong>der</strong> obigen Ausführung ist ersichtlich, dass die von <strong>der</strong> WRRL gefor<strong>der</strong>ten<br />

Bewirtschaftungspläne die Öffentlichkeit und insbeson<strong>der</strong>e NGOs mit mehr Informationen versorgen<br />

werden als jedes <strong>Wasser</strong>gesetz zuvor. Diese Informationen sollten tiefgehend geprüft und analysiert<br />

werden und können dazu dienen, die Erklärungen und Rechtfertigungen <strong>der</strong> zuständigen Behörde<br />

fallweise in Frage zu stellen und gegebenenfalls bessere Maßnahmen vorzuschlagen.<br />

Falls detailliertere Teilbewirtschaftungspläne zum Beispiel für das Einzugsgebiet eines Nebenflusses<br />

o<strong>der</strong> für best<strong>im</strong>mte <strong>Wasser</strong>nutzungen o<strong>der</strong> Gewässertypen erstellt werden, müssen die<br />

Mitgliedstaaten für die Veröffentlichung mindestens einer Zusammenfassung dieser Teilpläne<br />

sorgen.<br />

Die WRRL verpflichtet die Mitgliedstaaten insbeson<strong>der</strong>e ausdrücklich, Ansprechpartner und<br />

Verfahren für den Zugang zu Hintergrundinformationen zu nennen. Damit soll die aktive Beteiligung<br />

aller interessierten Kreise an <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Richtlinie und vor allem an <strong>der</strong> Erstellung,<br />

Überarbeitung und Aktualisierung <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne sichergestellt werden “damit die<br />

Öffentlichkeit einbezogen werden kann, ehe endgültige Entscheidungen über die nötigen Maßnahmen<br />

getroffen werden” (WRRL, Erwägungsgrund 46).<br />

2. Fristen für die Erstellung <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne<br />

Für die Erstellung <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne setzt die WRRL eindeutige Fristen:<br />

• Bis zum Dezember 2006 müssen Zeitplan und Arbeitsprogramm für die Erstellung <strong>der</strong><br />

Bewirtschaftungspläne 2009-2015 veröffentlicht werden (jeweils drei Jahre vor Beginn des<br />

betreffenden Zeitraums). Bis dahin müssen auch die erfor<strong>der</strong>lichen Anhörungen abgeschlossen<br />

sein.<br />

• Ein Jahr danach (<strong>im</strong> Dezember 2007) muss ein vorläufiger Überblick über die wesentlichen<br />

Bewirtschaftungsfragen in <strong>der</strong> Flussgebietseinheit öffentlich zugänglich gemacht werden.<br />

• Schließlich muss ein Jahr vor ihrem Inkrafttreten ein Entwurf <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne<br />

veröffentlicht werden, also <strong>im</strong> Dezember 2008.<br />

Für diese Zwischendokumente sollen die Mitgliedstaaten mindestens sechs Monate Zeit für<br />

schriftliche Kommentare einräumen, um aktive Beteiligung und ausreichende Konsultation<br />

sicherzustellen.<br />

3. Informationsrechte für die Öffentlichkeit<br />

Für NGOs dürfte ein Passus in Artikel 14 <strong>der</strong> WRRL höchste Bedeutung erlangen: “Auf Antrag wird<br />

auch Zugang zu Hintergrunddokumenten und -informationen gewährt, die bei <strong>der</strong> Erstellung des<br />

Bewirtschaftungsplanentwurfs herangezogen wurden.“ Insbeson<strong>der</strong>e sollen Einzelheiten über die<br />

Kontrollmaßnahmen für punktförmige Verschmutzungsquellen (Artikel 11(3)(i)) und für an<strong>der</strong>e<br />

Beeinträchtigungen des Gewässerzustands (Artikel 11(3)(j)) auf Antrag zugänglich gemacht werden.<br />

Rätselhaft bleibt, warum Einzelheiten über Maßnahmen gegen diffuse Verschmutzungsquellen davon<br />

ausgenommen bleiben (Artikel 11(3)(h)).<br />

17


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Artikel 14 sieht also auf Antrag den Zugang auch zu den eigentlichen Mess- und Überwachungsdaten<br />

vor. Diese Daten sollten es NGOs ermöglichen, sämtliche Entscheidungen über die Bewirtschaftung<br />

und den Schutz <strong>der</strong> Gewässer einer Flussgebietseinheit kritisch zu hinterfragen und zu bewerten.<br />

Durch Aufdeckung und Kritik strategischer Schwächen in den Bewirtschaftungsplänen haben NGOs<br />

die Gelegenheit, mit Unterstützung <strong>der</strong> Öffentlichkeit die Zukunft <strong>der</strong> europäischen Gewässer zum<br />

Besseren zu wenden.<br />

18


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

4.3. Ökologische Ziele für Oberflächengewässer<br />

4.3.1. Einleitung und Überblick<br />

Menschen nutzen <strong>Wasser</strong> in unterschiedlicher Weise, und <strong>Wasser</strong>nutzer werden üblicherweise in<br />

Haushalte, Industrie und Landwirtschaft eingeteilt. Dabei wird oft vergessen, dass die Umwelt und<br />

die Feuchtgebiete <strong>im</strong> beson<strong>der</strong>en von einer hinreichenden und rechtzeitigen Versorgung mit <strong>Wasser</strong><br />

ausreichen<strong>der</strong> Qualität abhängen. Ökosysteme sind wichtige Bestandteile des <strong>Wasser</strong>kreislaufs, und<br />

ihr Funktionieren ist eine unentbehrliche Voraussetzung für die Erneuerung und Reinigung <strong>der</strong><br />

<strong>Wasser</strong>ressourcen, von denen die Menschen abhängen. Trotz dieser grundsätzlichen Abhängigkeit<br />

vom natürlichen <strong>Wasser</strong>kreislauf betrachten einige <strong>Wasser</strong>nutzer die Umwelt als einen alternativen<br />

Nutzer, als Konkurrenz zu den menschlichen <strong>Wasser</strong>ansprüchen.<br />

Die WRRL versucht, die physische und biologische Integrität <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>systeme und damit die<br />

Grundlage <strong>der</strong> menschlichen <strong>Wasser</strong>nutzung zu schützen. Umweltschutz ist eines <strong>der</strong> Hauptziele <strong>der</strong><br />

Richtlinie. Die integrierte und ökologisch orientierte Bewertung des Zustandes von<br />

Oberflächengewässern und die entsprechenden Ziele sind die zentralen Instrumente dafür.<br />

Das umfassende Ziel des WRRL ist <strong>der</strong> „gute Zustand“, <strong>der</strong> für alle Gewässer bis 2015 erreicht<br />

werden muss. Für Oberflächengewässer ist <strong>der</strong> „gute Zustand“ definiert durch den „guten<br />

ökologischen“ und den „guten chemischen“ Zustand. Der „gute chemische“ Zustand wird separat in<br />

Kapitel 4.4 besprochen. Der ökologische Zustand wird von den biologischen,<br />

hydromorphologischen (o<strong>der</strong> Habitatzustand) und physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten<br />

best<strong>im</strong>mt. Referenz sind die biologischen Parameter ungestörter Gewässer. Dies sind Gewässer ohne<br />

o<strong>der</strong> mit nur geringfügigen menschlichen Einflüssen.<br />

Diese integrative Vorgehensweise, welche die gegenwärtigen rein chemisch orientierten<br />

<strong>Wasser</strong>qualitätsziele um Quantität, Lebensraumqualität und biologische Ziele erweitert, verbessert<br />

den Schutz unserer aquatischen Umwelt erheblich. Unter <strong>der</strong> WRRL müssen Gewässer in<br />

gesamthafter Art und Weise geschützt und saniert werden. Dies wird zum Beispiel die Bereitstellung<br />

ökologisch orientierter <strong>Wasser</strong>durchflüsse erfor<strong>der</strong>n, um die natürliche Artenvielfalt zu för<strong>der</strong>n.<br />

Verschmutzungsprobleme, die mit <strong>der</strong> traditionellen Messtechnik nicht erfasst werden können<br />

(wegen ihrer Komplexität o<strong>der</strong> wegen synergistischer Wirkungsverstärkung), können jetzt durch<br />

biologische Bewertungsverfahren, die sensitiv auf ökotoxische Schadstoffe reagieren, aufgedeckt<br />

werden. Sobald das biologische System in einem Gewässer negativ reagiert, müssen die Ursachen<br />

identifiziert und beseitigt werden, um den guten ökologischen Zustand zu erreichen.<br />

Allerdings muss vor <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> ökologischen Bewertung noch die genaue Definition des<br />

guten ökologischen Zustands geklärt werden. In den Anhängen II und V gibt die WRRL erste<br />

Arbeitsanweisungen und normative Definitionen, doch die genauen Kriterien, die den guten<br />

ökologischen Zustand charakterisieren, müssen erst noch entwickelt werden.<br />

4.3.2. Vertiefte Analyse: Fünf Schritte bis zu Gewässerzustandskarten<br />

in <strong>der</strong> <strong>EU</strong><br />

Um festzustellen, ob das umfassende Ziel <strong>der</strong> WRRL, die Erreichung des guten Zustands in allen<br />

Gewässern bis 2015, erreicht wurde, ist eine konsequente Einstufung aller europäischen<br />

Oberflächengewässer in Zustandsklassen notwendig. Nach Abschluss dieser Arbeit sollte eine Karte<br />

19


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

anzeigen, welche Gewässer einen guten o<strong>der</strong> sehr guten Zustand vorweisen und somit das WRRL-<br />

Ziel erfüllen, und welche einen mäßigen, unbefriedigenden o<strong>der</strong> sogar schlechten Zustand aufweisen.<br />

Um die Ergebnisse zwischen Mitgliedstaaten vergleichbar zu machen, müssen für die Einstufung<br />

gemeinsame Kriterien entwickelt und angewandt werden. Auch die jeweiligen Referenzsysteme<br />

müssen interkalibriert werden.<br />

4.3.2.1. Schritt 1: Zuweisung <strong>der</strong> Oberflächengewässer zu Ökotypen<br />

Es gibt Tausende von Oberflächenwasserkörpern in Europa innerhalb je<strong>der</strong><br />

Oberflächengewässerkategorie (Flüsse, Seen, Übergangs- und Küstengewässer), und ihre<br />

natürlichen Bedingungen sind sehr unterschiedlich. Um Vergleiche zu erleichtern, sollte je<strong>der</strong><br />

Oberflächenwasserkörper einem best<strong>im</strong>mten Typ von Oberflächengewässer zugewiesen werden.<br />

Die Methodik für diese Zuordnung wird in Anhang II <strong>der</strong> Richtlinie festgelegt.<br />

Die an<strong>der</strong>e offensichtliche Rolle dieser Typologie ist es, eine gemeinsame Sprache für die<br />

Verständigung innerhalb und zwischen Mitgliedstaaten zu entwickeln - damit wir ungefähr wissen,<br />

von welchem Habitat wir sprechen.<br />

Zwei verschiedene und optionale Vorgehensweisen können für jede Gewässerkategorie angewandt<br />

werden - System A und System B.<br />

System A:<br />

• 25 europäische Ökoregionen für Flüsse und Seen und sechs Ökoregionen für Übergangs- und<br />

Küstengewässer wurden identifiziert (siehe Karte <strong>im</strong> Anhang XI <strong>der</strong> WRRL).<br />

• Für jede Ökoregion wird eine weitere Unterscheidung durch geographische, physikalische und<br />

geologische Deskriptoren für Flüsse o<strong>der</strong> Seen und Salzgehalt und Tidenhub / mittlere Tiefe für<br />

Übergangs- o<strong>der</strong> Küstengewässer unternommen.<br />

Das Ergebnis solch einer Typologie für einen vorgegebenen Fluss könnte folgen<strong>der</strong>maßen aussehen:<br />

zentrales Hochland, mittlere Höhenlage (200-800m.), mittlere Einzugsgebietsgröße (100-1000 km²)<br />

und silikatische Geologie. O<strong>der</strong> für ein best<strong>im</strong>mtes Küstengewässer: Nordsee, mesohaline<br />

Bedingungen (0.5 to 1.8-%-Salzgehalt) und Flachwasser (


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

4.3.2.2. Schritt 2: Aufstellung von typspezifischen Referenzbedingungen<br />

Nachfolgend müssen für jeden <strong>der</strong> mehreren hun<strong>der</strong>t Typen von <strong>Wasser</strong>körpern typspezifische<br />

hydromorphologische und chemische Referenzbedingungen aufgestellt werden. Diese Bedingungen<br />

sollten den sehr guten ökologischen Zustand, wie in Anhang V definiert, abbilden. Dies ist ein<br />

Zustand ohne o<strong>der</strong> mit nur geringfügigen anthropogenen Einflüssen. Daraus werden die<br />

typspezifischen biologischen Referenzzustände abgeleitet. Die Qualitätskomponenten und<br />

zugehörigen Parameter, die für die Festlegung des ökologischen Zustands betrachtet werden müssen,<br />

sind <strong>der</strong> nachfolgenden Tabelle zu entnehmen.<br />

Biologische Qualitätskomponenten<br />

Flüsse und Seen Übergangsgewässer Küstengewässer<br />

Phytoplankton<br />

Makrophyten und<br />

Phytobenthos<br />

Benthische wirbellose Fauna<br />

Fischfauna<br />

Phytoplankton<br />

Großalgen<br />

Angiospermen<br />

Benthische wirbellose Fauna<br />

Fischfauna<br />

Hydromorphologische Qualitätskomponenten<br />

21<br />

Phytoplankton<br />

Großalgen<br />

Angiospermen<br />

Benthische wirbellose Fauna<br />

Flüsse Seen Übergangs- und Küstengewässer<br />

<strong>Wasser</strong>haushalt<br />

Durchgängigkeit des<br />

Flusses<br />

Morphologie<br />

<strong>Wasser</strong>haushalt<br />

Morphologie<br />

Physikalisch-chemische Qualitätskomponenten<br />

Allgemeine Bedingungen Nährstoffkonzentration<br />

Spezifische synthetische<br />

und nichtsynthetische<br />

Schadstoffe<br />

Tidenhub<br />

Morphologie<br />

Flüsse und Seen Übergangs- und Küstengewässer<br />

Salzgehalt<br />

ph-Wert<br />

Sauerstoffgehalt<br />

Säureneutralisierungsvermögen<br />

Temperatur<br />

Stoffe in Anhang X und Stoffe die in<br />

signifikanten Mengen eingeleitet<br />

werden<br />

Nährstoffkonzentration<br />

Temperatur<br />

Sauerstoffgehalt<br />

Sichttiefe<br />

Stoffe in Anhang X und Stoffe die<br />

in signifikanten Mengen eingeleitet<br />

werden<br />

Es ist wichtig, dass <strong>der</strong> hydromorphologische und <strong>der</strong> allgemeine physikalisch-chemische Zustand<br />

nur unterstützende Komponenten für die biologischen Komponenten des guten ökologischen<br />

Zustands sind.


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Bei den physikalisch-chemischen Parametern gelten für spezifische synthetische Schadstoffe<br />

Konzentrationen unter <strong>der</strong> Nachweisgrenze und für spezifische nicht-synthetische Schadstoffe die<br />

natürliche Hintergrundkonzentration als Referenzwerte für den sehr guten Zustand.<br />

„Spezifische“ Schadstoffe sind allerdings auf die in Anhang X <strong>der</strong> WRRL aufgelisteten prioritären<br />

Stoffe beschränkt (<strong>zur</strong> Zeit 32, siehe Kapitel 4.4.2.3), die in das entsprechende Gewässer eingeleitet<br />

werden, sowie auf an<strong>der</strong>e Schadstoffe, die in bedeutenden Mengen in den <strong>Wasser</strong>körper eingeleitet<br />

werden. Was aber sind bedeutende Mengen? Diese Formulierung lässt offensichtlich viel Spielraum<br />

für Interpretation und könnte zu einem Referenzsystem mit erheblichen, ungeregelten menschlichen<br />

Einwirkungen führen, welches trotzdem den „sehr guten Zustand“ beschreibt.<br />

Wie findet man für jeden Gewässertyp ein Gewässer, das keine o<strong>der</strong> nur geringfügige verän<strong>der</strong>te<br />

morphologische und physikalisch-chemischen Parameter aufweist? Für viele Gewässertypen<br />

existieren in Europa keine ungestörten Gewässer mehr, so dass eventuell Modelle benutzt werden<br />

müssen, um diese Zustände zu konstruieren und dann die biologischen Parameter daraus abzuleiten.<br />

In diesen Modellen können vorhersagende Methoden als auch historische Daten (z. B.<br />

Seesed<strong>im</strong>ente) angewandt werden. Wegen des Mangels an natürlichen Gewässern in <strong>der</strong> <strong>EU</strong> werden<br />

Modelle und Voraussagen wahrscheinlich <strong>zur</strong> Anwendung kommen. Dies gibt Anlass <strong>zur</strong> Sorge über<br />

die Zuverlässigkeit und Genauigkeit <strong>der</strong> Referenzbedingungen.<br />

Es muss ein sinnvolles Referenzsystem sichergestellt werden, das die bestmögliche Annäherung an<br />

die Parameter eines ungestörten biologischen Zustands wie<strong>der</strong>gibt. Daher sollten eingeleitete<br />

Schadstoffmengen <strong>im</strong>mer dann als „bedeutend“ bezeichnet werden, wenn sie eine Auswirkung auf<br />

die biologischen Parameter haben. Das Referenzsystem wird indirekt das Ziel <strong>der</strong> WRRL definieren.<br />

Entscheidend ist ein Referenzsystem, das die beste Annäherung an den anthropogen ungestörten<br />

Zustand eines Gewässers darstellt, um die verschiedenen nationalen Bewertungssysteme vergleichen<br />

und harmonisieren zu können. Zum Beispiel konnten die Ergebnisse <strong>der</strong> bisherigen<br />

Bewertungssysteme Großbritanniens und Frankreichs aufgrund fehlen<strong>der</strong> Referenzbedingungen nicht<br />

miteinan<strong>der</strong> verglichen werden. 20<br />

4.3.2.3. Schritt 3: Best<strong>im</strong>mung harmonisierter Klassengrenzen zwischen sehr gutem,<br />

gutem und mäßigem Zustand anhand eines Interkalibrierungsnetzwerks<br />

Anhang V <strong>der</strong> WRRL beinhaltet normative Definitionen <strong>der</strong> verschiedenen Qualitätsklassen. Die<br />

allgemeinen Definitionen sind:<br />

Sehr guter Zustand: Entspricht einem ungestörten Zustand ohne o<strong>der</strong> mit nur geringfügigen<br />

Anzeichen von Störungen.<br />

Guter Zustand: Geringe Störung und geringfügige Abweichungen vom ungestörten Zustand.<br />

Mäßiger Zustand: Mäßige Abweichung und Störung.<br />

Der nächste wesentliche Schritt ist die Definition <strong>der</strong> Grenzen zwischen sehr gutem und gutem<br />

Zustand und zwischen gutem und mäßigem Zustand (siehe Anhang V, 1.4.1, WRRL). Es ist klar,<br />

dass die verschiedenen nationalen Vorgehensweisen <strong>zur</strong> Bewertung <strong>der</strong> biologischen<br />

20 The harmonised monitoring and classification of ecological quality of surface waters in the <strong>EU</strong>, Final Report for<br />

the <strong>EU</strong> Commission DG XI, May 1996.<br />

22


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Gewässerqualität schwer vergleichbare Resultate hervorbringen werden. Dies würde letztendlich<br />

harmonisierte Umweltziele verhin<strong>der</strong>n.<br />

Deswegen müssen die Mitgliedstaaten die Ergebnisse ihrer Bewertungssysteme als ökologische<br />

Qualitätsquotienten ausdrücken. Überwachungsergebnisse liefern Messwerte für jede biologische<br />

Qualitätskomponente (z. B Fischfauna). Der Quotient dieser Messwerte und <strong>der</strong> entsprechenden<br />

Referenzwerte, die vom ungestörten Zustand abgeleitet wurden, ergeben die Qualitätsquotienten mit<br />

einem Ergebnis zwischen 0 und 1. Ökologische Qualitätsquotienten nahe bei Null zeigen einen<br />

schlechten Zustand und Verhältnisse nahe bei 1 einen sehr guten Zustand an.<br />

Die Mitgliedstaaten best<strong>im</strong>men zunächst ihre eigenen nationalen Klassengrenzen zwischen sehr gut,<br />

gut und mäßig. Darauf folgt eine von <strong>der</strong> Kommission eingeleitete Interkalibrierung, um die<br />

Konsistenz zu gewährleisten. Best<strong>im</strong>mte Gewässer innerhalb je<strong>der</strong> Gewässerkategorie werden von<br />

Experten bei einer gemeinsamen Inspektion ausgewählt. Entsprechende Referenzgewässer<br />

verschiedener Mitgliedstaaten werden verglichen und die jeweiligen nationalen<br />

Klassengrenzensysteme darauf angewandt. Diese eher komplexe und langwierige Prozedur<br />

(beschrieben in Anhang V., 1.4.1, WRRL) soll bis 2006 zu harmonisierten Klassengrenzen führen.<br />

Die Festlegung <strong>der</strong> Klassengrenzen zwischen mäßigen, unbefriedigendem und schlechten Zustand<br />

wird den Mitgliedstaaten überlassen.<br />

Was definiert die Klassengrenze zwischen sehr gutem und gutem Zustand? Liegt diese Grenze bei<br />

einem ökologischen Qualitätsquotienten mit einem Wert von 0,99 o<strong>der</strong> 0,70? Wo liegt die<br />

Klassengrenze zwischen gutem und mäßigem Zustand? (Dies ist die gesetzliche Untergrenze, denn<br />

Gewässer mit mäßigem Zustand verfehlen das Umweltziel <strong>der</strong> WRRL.)<br />

Mitgliedstaaten müssen von Anfang an zusammenarbeiten, um vergleichbare und harmonisierte<br />

Ergebnisse zu erreichen. Die Klassengrenze zwischen gutem und mäßigem Zustand muss ausreichend<br />

sein, denn sie best<strong>im</strong>mt letztlich über den „guten ökologischen“ Zustand das Niveau des Umweltziels<br />

<strong>der</strong> WRRL.<br />

4.3.2.4. Schritt 4: Überwachung und Einstufung des ökologischen Gewässerzustands<br />

Nachdem die Referenzzustände für jeden Gewässertyp auf nationaler Ebene festgelegt und die<br />

harmonisierten Klassengrenzen zwischen sehr gutem, gutem und mäßigem Zustand aufgestellt sind,<br />

müssen die Mitgliedstaaten ein entsprechendes Überwachungsnetz für den ökologischen Zustand,<br />

den chemischen Zustand und die Menge und Dynamik des Durchflusses (soweit für den<br />

ökologischen und chemischen Zustand relevant) aufstellen.<br />

Die Überwachung muss zumindest die für jede Qualitätskomponente kennzeichnenden Parameter<br />

umfassen (wie in Schritt 2 erläutert, siehe Kapitel 4.3.2.2). Dies heißt, dass aus je<strong>der</strong><br />

Qualitätskomponente (d.h. biologische, hydromorphologische, physikalisch-chemische Parameter)<br />

kennzeichnende Parameter ausgewählt werden können, die dann überwacht und mit dem<br />

dazugehörigen Referenzzustand verglichen werden. Durch Vergleich des ermittelten Parameterwerts<br />

mit dem Wert des Parameters bei sehr gutem (Referenz-) Zustand und den interkalibrierten<br />

Klassengrenzen kann jede Qualitätskomponente als sehr gut, gut, mäßig, unbefriedigend o<strong>der</strong><br />

schlecht klassifiziert werden.<br />

Es ist klar, dass man bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> kennzeichnenden Parameter sorgfältig sein muss, denn<br />

je<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Überwachung ausgeschlossene Parameter kann die Sensibilität des<br />

Bewertungssystems einschränken. Dies ist hinsichtlich <strong>der</strong> biologischen Parameter beson<strong>der</strong>s wichtig,<br />

23


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

da sie hinreichende und umfassende Indikatoren für die chemische Qualität darstellen sollten.<br />

Mitgliedstaaten müssen deswegen <strong>im</strong> Bewirtschaftungsplan den bei den Überwachungsprogrammen<br />

vorgesehenen Grad <strong>der</strong> Zuverlässigkeit und Genauigkeit angeben.<br />

Der umfassende ökologische Zustand eines <strong>Wasser</strong>körpers entspricht dem niedrigeren <strong>der</strong> beiden<br />

Werte für die biologische und die physikalisch-chemische Qualitätskomponente. Wenn die<br />

biologischen Ergebnisse mäßigen Zustand anzeigen, die physikalisch-chemischen Ergebnisse aber<br />

guten Zustand, ist <strong>der</strong> ökologische Zustand mäßig.<br />

Die ungeklärte Frage ist, wie die Klassifizierung <strong>der</strong> biologischen und physikalisch-chemischen<br />

Qualität genau zu erfolgen hat. Es ist unklar, wie die Aggregation <strong>der</strong> einzelnen biologischen und<br />

physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten durchgeführt wird. Ist <strong>der</strong> Zustand gut, wenn alle<br />

o<strong>der</strong> wenn ein gewisser Prozentsatz <strong>der</strong> Parameter je<strong>der</strong> Qualitätskomponente einen guten Zustand<br />

anzeigen? O<strong>der</strong> entscheidet <strong>der</strong> schlechteste Parameterwert über den Zustand? Und müssen alle<br />

Proben <strong>im</strong> Laufe eines Jahres einen guten Zustand anzeigen o<strong>der</strong> nur ein Teil davon?<br />

Daher sollten <strong>EU</strong>-weite Standards für die Aggregation <strong>der</strong> einzelnen Parameter <strong>der</strong> biologischen und<br />

physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten entwickelt werden, um die ökologischen<br />

Qualitätsverhältnisse zu ermitteln. Es muss sichergestellt werden, dass ein Fluss guten Zustands in<br />

Schweden eine vergleichbare Qualität aufweist wie ein Fluss guten Zustands an<strong>der</strong>swo in <strong>der</strong> <strong>EU</strong><br />

o<strong>der</strong> in den Beitrittslän<strong>der</strong>n.<br />

4.3.2.5. Schritt 5: Erstellen <strong>der</strong> Gewässerzustandskarten in <strong>der</strong> <strong>EU</strong><br />

Letztendlich werden die Überwachungsergebnisse des ökologischen Zustands in farbigen Karten<br />

zusammenfassend dargestellt.<br />

Einstufung des ökologischen Zustands Farbkennung<br />

sehr gut blau<br />

gut grün<br />

mäßig gelb<br />

unbefriedigend orange<br />

schlecht rot<br />

<strong>Wasser</strong>körper, welche die festgelegten Umweltqualitätsnormen hinsichtlich <strong>der</strong> spezifischen<br />

synthetischen und nicht-synthetischen Schadstoffe nicht einhalten, werden mit schwarzen Punkten<br />

gekennzeichnet.<br />

4.3.3. Künstliche und erheblich verän<strong>der</strong>te Gewässer<br />

Die Werte <strong>der</strong> hydromorphologischen Parameter („Habitatbedingungen“) dienen hauptsächlich dazu,<br />

den „sehr guten ökologischen Zustand“ zu charakterisieren. Darüber hinaus müssen die<br />

hydromorphologischen Qualitätskomponenten aber auch in allen an<strong>der</strong>en Gewässern das Erreichen<br />

einer für den “guten ökologischen Zustand” notwendigen biologischen Artenvielfalt unterstützen.<br />

Das bedeutet, um einen guten Zustand zu erreichen, müssen die hydromorphologischen<br />

Qualitätskomponenten, wie z. B. die Abflussdynamik, Substratbedingungen, Gewässerverlauf etc…,<br />

24


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

eine biologische Artenvielfalt zulassen, die nur “geringfügig” vom ungestörten Zustand abweicht.<br />

Größere Gewässerverbauungen wie Talsperren, Deiche, Reservoire etc… würden in vielen Fällen<br />

bedeuten, dass <strong>der</strong> hydromorphologische Zustand keinen guten biologischen Zustand zulässt, ohne<br />

dass größere Än<strong>der</strong>ungen vorgenommen o<strong>der</strong> die Verbauungen ganz beseitigt würden. Trotzdem<br />

können natürlich auch bei bestehenden Gewässerverbauungen ökologische Verbesserungen<br />

durchgeführt werden, um eine größere Artenvielfalt zu ermöglichen.<br />

Einer <strong>der</strong> Wege, wie die WRRL solche schwerwiegenden physischen Verän<strong>der</strong>ungen berücksichtigt,<br />

ist die Schaffung einer neuen Kategorie von Gewässern – die sogenannten künstlichen o<strong>der</strong><br />

erheblich verän<strong>der</strong>ten Gewässer – für die ein weniger strenges ökologisches Ziel aufgestellt wird,<br />

das gute ökologische Potential.<br />

Dieses eingeschränkte Umweltziel erlaubt es den Mitgliedstaaten, die menschlichen<br />

Beeinträchtigungen <strong>der</strong> Hydromorphologie beizubehalten, das Niveau für die zu erreichenden<br />

biologischen Qualitätskomponenten also abzusenken. Das Ziel, einen guten physikalisch-chemischen<br />

Zustands zu erreichen, bleibt hingegen unverän<strong>der</strong>t.<br />

Diese Ausnahmeregelung soll vor allem sicherstellen, dass Mitgliedstaaten nicht gegen die Ziele <strong>der</strong><br />

WRRL verstoßen, wenn die ökologische Sanierung eines Gewässers die Entfernung wichtiger<br />

Einrichtungen wie Hafenanlagen o<strong>der</strong> Hochwasserdeiche in Städten erfor<strong>der</strong>n würde, dies aber<br />

unerwünscht o<strong>der</strong> unverhältnismäßig aufwendig ist.<br />

Artikel 4.3 spezifiziert die Bedingungen für die Einstufung eines Gewässers als „künstlich o<strong>der</strong><br />

erheblich verän<strong>der</strong>t“:<br />

• wenn das Erreichen eines guten ökologischen Zustands signifikante negative Auswirkungen auf<br />

die Umwelt <strong>im</strong> weiteren Sinne o<strong>der</strong> einige spezielle Tätigkeiten (Schifffahrt,<br />

Trinkwasserversorgung, Hochwasserschutz und an<strong>der</strong>e ebenso wichtige nachhaltige<br />

Entwicklungstätigkeiten des Menschen) hätte.<br />

• und wenn die nutzbringenden Ziele, denen die künstlichen o<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Merkmale des<br />

<strong>Wasser</strong>körpers dienen, aus Gründen <strong>der</strong> technischen Durchführbarkeit o<strong>der</strong> aufgrund<br />

unverhältnismäßiger Kosten nicht in sinnvoller Weise durch an<strong>der</strong>e Mittel erreicht werden<br />

können, die eine wesentlich bessere Umweltoption darstellen.<br />

Diese Einstufung und <strong>der</strong>en Gründe müssen in den Bewirtschaftungsplänen für das Einzugsgebiet<br />

dargelegt werden.<br />

Die sehr weiten und vieldeutigen Bedingungen für die Einstufung von Gewässern als „künstlich o<strong>der</strong><br />

erheblich verän<strong>der</strong>t“ führen dazu, dass diese Ausnahme <strong>im</strong> Prinzip auf fast alle Gewässer in <strong>der</strong> <strong>EU</strong><br />

anwendbar wäre. Was sind “wichtige nachhaltige Entwicklungstätigkeiten des Menschen”, und wie<br />

ist eine “wesentlich bessere Umweltoption” definiert?<br />

Da die ökologischen Ziele für künstliche o<strong>der</strong> erheblich verän<strong>der</strong>te <strong>Wasser</strong>körper wesentlich<br />

niedriger sind als für <strong>Wasser</strong>körper, die unter das normale Ziel eines guten ökologischen Zustands<br />

fallen, ist die Einstufung von <strong>Wasser</strong>körpern als künstlich o<strong>der</strong> erheblich verän<strong>der</strong>t eine äußerst<br />

bedeutsame Entscheidung. Umweltverbände werden eine wichtige Rolle dabei spielen, dass diese<br />

Einstufung nur dann benutzt wird, wenn es auch wirklich unbedingt notwendig ist.<br />

Die Best<strong>im</strong>mung des Zustands von künstlichen und erheblich verän<strong>der</strong>ten Gewässern folgt den fünf<br />

Schritten, wie sie oben erläutert wurden.<br />

25


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

In Schritt 1 – Zuweisung <strong>der</strong> Oberflächengewässer zu Ökotypen –wird <strong>der</strong> künstliche o<strong>der</strong> erheblich<br />

verän<strong>der</strong>te <strong>Wasser</strong>körper <strong>der</strong> am nächsten vergleichbaren “natürlichen”<br />

Oberflächengewässerkategorie für die Typisierung zugeordnet. Dies würde heißen, dass z. B. ein<br />

Trinkwasserreservoir als See und ein Überleitungskanal als Fluss betrachtet wird.<br />

In Schritt 2 – Aufstellung von typspezifischen Referenzbedingungen – werden die<br />

Referenzbedingungen auf das höchste ökologische Potential abgesenkt. Dabei entsprechen die<br />

Zielwerte für die biologischen Qualitätskomponenten zwar so weit wie möglich den Werten für den<br />

nächsten vergleichbaren Oberflächengewässertyp (also einen See o<strong>der</strong> Fluss), allerdings unter<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> physikalischen Bedingungen, die sich aus den künstlichen o<strong>der</strong> erheblich<br />

verän<strong>der</strong>ten Eigenschaften des <strong>Wasser</strong>körpers ergeben. Die Hydromorphologie (bei höchstem<br />

ökologischem Potential) muss so beschaffen sein, dass die Beeinträchtigungen des<br />

Oberflächenwasserkörpers ausschließlich von den künstlichen o<strong>der</strong> erheblich verän<strong>der</strong>ten<br />

Eigenschaften des <strong>Wasser</strong>körpers herrühren. Voraussetzung dabei ist zudem, dass alle<br />

Gegenmaßnahmen getroffen worden sind, um die beste Annäherung an das ökologische Kontinuum<br />

sicherzustellen, insbeson<strong>der</strong>e hinsichtlich <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ungsbewegungen <strong>der</strong> Fauna und angemessener<br />

Laich- und Aufzuchtgründe.<br />

Mitgliedstaaten müssen alle erheblich verän<strong>der</strong>ten o<strong>der</strong> künstlichen Gewässer, die nicht das höchste<br />

ökologische Potential aufweisen, mindestens bis zum guten ökologischen Potential wie<strong>der</strong> herstellen.<br />

Das bedeutet, dass die Werte <strong>der</strong> biologischen Qualitätskomponenten nur geringfügig von den<br />

Werten für das höchste ökologische Potential abweichen dürfen.<br />

Schritt 3 und 4 sind ähnlich den oben erwähnten Schritten für natürliche Gewässer.<br />

Im Schritt 5 – Erstellen <strong>der</strong> Gewässerzustandskarten in <strong>der</strong> <strong>EU</strong> – werden folgende Farbkennungen<br />

verwendet:<br />

Einstufung des ökologischen<br />

Potentials<br />

Farbkennung<br />

gut und besser gleich große grüne und<br />

hellgraue Streifen<br />

mäßig gleich große gelbe und<br />

hellgraue Streifen<br />

Künstliche <strong>Wasser</strong>körper Erheblich verän<strong>der</strong>te<br />

<strong>Wasser</strong>körper<br />

unbefriedigend gleich große orangefarbene<br />

und hellgraue Streifen<br />

schlecht gleich große rote und<br />

hellgraue Streifen<br />

26<br />

gleich große grüne und<br />

dunkelgraue Streifen<br />

gleich große gelbe und<br />

dunkelgraue Streifen<br />

gleich große orangefarbene<br />

und dunkelgraue Streifen<br />

gleich große rote und<br />

dunkelgraue Streifen


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

4.3.4. Ausnahmen und Fristverlängerungen für die ökologischen Ziele<br />

4.3.4.1. Fristverlängerungen<br />

Artikel 4(4) erlaubt den Mitgliedstaaten, die Fristen für das Erreichen des guten ökologischen<br />

Zustands über Dezember 2015 hinaus um bis zu zwölf Jahre zu verlängern. Solch eine Regel ist<br />

gerechtfertigt, wenn ungünstige natürliche Umstände o<strong>der</strong> unüberwindliche technische<br />

Schwierigkeiten in Betracht zu ziehen sind. Problematischer ist jedoch eine Klausel, die<br />

Fristverlängerungen aufgrund von unverhältnismäßigen Kosten zulässt.<br />

Um solche Fristverlängerungen in Anspruch nehmen zu können, müssen die Gründe und die<br />

Rechtfertigung dafür <strong>im</strong> Bewirtschaftungsplan für die Einzugsgebiete dargelegt und erläutert werden,<br />

und dafür ist eine öffentliche Konsultation in allen Schritten erfor<strong>der</strong>lich. Deswegen sollte es möglich<br />

sein sicherzustellen, dass Verlängerungen wirklich nur unter außerordentlichen Umständen und mit<br />

einer angemessenen Begründung benutzt werden.<br />

4.3.4.2. Weniger strenge Ziele<br />

Artikel 4(5) kann potentiell noch größere Probleme verursachen. Mitgliedstaaten dürfen best<strong>im</strong>mte<br />

<strong>Wasser</strong>körper vom Ziel <strong>der</strong> Erreichung einen guten ökologischen Zustands ausnehmen, “wenn sie<br />

durch menschliche Tätigkeiten so beeinflusst sind…., dass das Erreichen dieser Ziele in <strong>der</strong> Praxis<br />

nicht möglich o<strong>der</strong> unverhältnismäßig teuer wäre”. Diese Klausel könnte potentiell dazu benutzt<br />

werden, stark verunreinigte Gewässer dauerhaft vom Anwendungsbereich <strong>der</strong> Richtlinie<br />

auszunehmen.<br />

Allerdings ist die Anwendung solcher Ausnahmen an zahlreiche Verfahrensschritte gebunden, die<br />

eine öffentliche Beteiligung erfor<strong>der</strong>n. Auch müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein. Eine starke<br />

öffentliche Beteiligung sollte dafür sorgen, dass diese Ausnahmen nur benutzt werden, wenn sie <strong>im</strong><br />

langfristigen öffentlichen Interesse liegen.<br />

4.3.5. Politische Handlungsmöglichkeiten<br />

Welches sind bezüglich <strong>der</strong> Erhaltung und Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> guten ökologischen Qualität <strong>der</strong><br />

Gewässer die wichtigsten Aspekte <strong>der</strong> WRRL? Wo können NGOs am besten Einfluss nehmen, um<br />

positive Verän<strong>der</strong>ungen zu bewirken?<br />

Auf Ebene <strong>der</strong> Flusseinzugsgebiete bzw. Flussgebietseinheiten<br />

• Beteiligung am Entstehungsprozess <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne, insbeson<strong>der</strong>e um<br />

Fristverlängerungen und Ausnahmeregelungen für die Erreichung des guten ökologischen<br />

Zustands zu min<strong>im</strong>ieren.<br />

• Sicherstellen, dass nur Gewässer o<strong>der</strong> Gewässerstrecken als „erheblich verän<strong>der</strong>t“ eingestuft<br />

werden, wenn bewiesen ist, dass dies gerechtfertigt ist und dass alle Gegenmaßnahmen getroffen<br />

worden sind, um die beste Annäherung an natürliche Habitatbedingungen zu erreichen.<br />

Auf Ebene <strong>der</strong> Mitgliedstaaten und <strong>der</strong> <strong>EU</strong><br />

• Sicherung vollständiger und korrekter Umsetzung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie in nationale<br />

Gesetzgebung.<br />

• Beteiligung am Prozess <strong>der</strong> Aufstellung typspezifischer Referenzzustände, die die beste<br />

27


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Annäherung an Situationen ohne o<strong>der</strong> mit nur sehr geringfügigen menschlichen Auswirkungen<br />

darstellen sollen. Die Referenzzustände best<strong>im</strong>men indirekt das Niveau des Umweltziels <strong>der</strong><br />

WRRL, des guten ökologischen Zustands.<br />

• Sicherstellen, dass die Bewertung des ökologischen Zustands streng ist und empfindlich auf<br />

Qualitätsän<strong>der</strong>ungen reagiert.<br />

• Beteiligung am Interkalibrierungsprozess, um sicherzustellen, dass geeignete „Referenzgewässer“<br />

ausgewählt werden und die Grenzen <strong>der</strong> Zustandsklassen ausreichend streng und harmonisiert<br />

sind. Umweltprobleme sollen verdeutlicht und nicht versteckt werden.<br />

• Die Mitgliedstaaten dazu drängen, von Anfang an zusammen zu arbeiten, um schließlich<br />

vergleichbare und harmonisierte Gewässerzustandskarten und ökologische Ziele aufzustellen.<br />

Harmonisierte <strong>EU</strong>-<strong>Wasser</strong>gesetzgebung bedeutet, dass ein Fluss guten Zustands in Schweden<br />

eine ähnliche Qualität aufweist wie ein Fluss guten Zustands in Italien o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>swo in <strong>der</strong> <strong>EU</strong><br />

o<strong>der</strong> in den Beitrittslän<strong>der</strong>n.<br />

28


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

4.4. Die chemiepolitischen Regeln <strong>der</strong> WRRL<br />

4.4.1. Einleitung und Überblick<br />

Bezüglich Gewässerverschmutzung verlangt die <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie einerseits Aktivitäten auf<br />

Ebene <strong>der</strong> Mitgliedstaaten, an<strong>der</strong>erseits schreibt sie für best<strong>im</strong>mte Chemikalien die Verabschiedung<br />

<strong>EU</strong>-weit einheitlicher Standards vor.<br />

A. Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Mitgliedstaaten:<br />

Umweltqualitätsnormen müssen von den Mitgliedstaaten für alle Schadstoffe festgelegt werden, die<br />

in bedeutenden Mengen in ein Oberflächengewässer eingeleitet werden (eine Auflistung <strong>der</strong><br />

wichtigsten Schadstoffe findet sich in Anhang VIII). Das Einhalten dieser Umweltqualitätsnormen bis<br />

Dezember 2015 ist Voraussetzung für das Erreichen des Richtlinienziels, den durch Anhang V<br />

definierten guten ökologischen Zustand.<br />

Für Oberflächengewässer mit „sehr gutem Zustand“ ergeben sich aus dem Verschlechterungsverbot<br />

des Artikels 4(1)(a)(i) für die Mitgliedstaaten folgende Verpflichtungen:<br />

• Für in bedeutenden Mengen eingetragene nicht-synthetische Schadstoffe die Vermeidung <strong>der</strong><br />

Überschreitung des mit ungestörten Bedingungen verbundenen Konzentrationsbereichs <strong>im</strong><br />

Gewässer;<br />

• Für in wesentlichen Mengen eingeleitete synthetische Schadstoffe die Vermeidung <strong>der</strong><br />

Überschreitung <strong>der</strong> Nachweisgrenze <strong>im</strong> Gewässer.<br />

B. Auf <strong>EU</strong>-Ebene:<br />

Die Europäische Union legt gemeinschaftsweit einheitliche Umweltqualitätsnormen fest, <strong>der</strong>en<br />

Einhaltung Voraussetzung für das Erreichen des Ziels “guter chemischer Zustand” ist. Für Gewässer<br />

mit “sehr gutem Zustand” gelten wie<strong>der</strong>um die <strong>im</strong> vorhergehenden Paragraph angeführten strengeren<br />

Normen.<br />

Die bereits bestehenden Gemeinschaftsnormen (festgelegt in den Tochterrichtlinien <strong>der</strong> Richtlinie über<br />

den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen 76/464/EWG) sind in Anhang IX aufgeführt. Die<br />

<strong>im</strong> ersten Bewirtschaftungsplan für Oberflächengewässer von den Mitgliedstaaten festzulegenden<br />

Umweltqualitätsnormen müssen mindestens so streng sein wie diese Gemeinschaftsnormen.<br />

Allerdings wird die <strong>EU</strong>-Kommission durch die WRRL verpflichtet, die Tochterrichtlinien <strong>der</strong><br />

Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen 76/464/EWG zu überarbeiten und<br />

revidierte Kontrollmaßnahmen vorzuschlagen. Dies kann dazu führen, dass bestehende<br />

Umweltqualitätsnormen wi<strong>der</strong>rufen werden, insbeson<strong>der</strong>e für Stoffe, die nicht in die Liste prioritärer<br />

Stoffe <strong>der</strong> WRRL (siehe unten) aufgenommen wurden.<br />

Die Liste prioritärer Stoffe <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie wird nach einem in Artikel 16 <strong>der</strong> WRRL<br />

festgelegten Verfahren aufgestellt. Aus dieser Liste wird die Untergruppe <strong>der</strong> „prioritären<br />

gefährlichen Stoffe“ ausgewählt. Die Liste prioritärer Stoffe wird alle vier Jahre überarbeitet. Sie<br />

ersetzt die Liste von 129 prioritären Stoffen <strong>der</strong> Kommissionsmitteilung vom 22. Juni 1982.<br />

Das Ziel <strong>der</strong> WRRL für prioritäre Stoffe ist die Einhaltung gemeinschaftsweit einheitlicher<br />

Umweltqualitätsnormen sowie Emissionsbegrenzungen, die nach dem in Artikel 16 beschriebenen<br />

Verfahren festgelegt werden. Für die sogenannten prioritären gefährlichen Stoffe soll die Einstellung<br />

29


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

von Einleitungen, Emissionen und Verluste in spätestens 20 Jahren erreicht werden. Von <strong>der</strong><br />

Erreichung dieser Ziele sieht die WRRL keine Ausnahmen vor.<br />

4.4.2. Vertiefte Analyse <strong>der</strong> Best<strong>im</strong>mungen<br />

4.4.2.1. Geltungsbereich <strong>der</strong> Richtlinie<br />

Welche Gewässer sind geschützt?<br />

1. Bezüglich Artikel 4(1)(a)(iv) (d.h. prioritäre Stoffe):<br />

� alle Oberflächengewässer (nicht nur <strong>Wasser</strong>körper) einschließlich Territorialgewässer.<br />

2. Bezüglich <strong>der</strong> Erreichung des guten chemischen Zustands für Oberflächengewässer (d.h.<br />

prioritäre Stoffe nach WRRL; durch Tochterrichtlinien <strong>der</strong> Richtlinie 76/464/EWG geregelte<br />

Stoffe; an<strong>der</strong>e Stoffe, für die es auf <strong>EU</strong>-Ebene gesetzte Normen gibt):<br />

� Alle Oberflächenwasserkörper einschließlich <strong>Wasser</strong>körper von Territorialgewässern.<br />

3. Bezüglich <strong>der</strong> Erreichung des guten ökologischen Zustands (d.h. prioritäre Stoffe, die in das<br />

Gewässer gelangen; alle an<strong>der</strong>en Schadstoffe, die in wesentlichen Mengen in das Gewässer<br />

gelangen):<br />

� Alle Oberflächenwasserkörper, aber nicht Territorialgewässer, die außerhalb <strong>der</strong><br />

Küstenwasserkörper liegen.<br />

Bemerkung: Für zahlreiche Gewässertypen gelten mehrere <strong>der</strong> oben angeführten<br />

Verpflichtungen. Bindend ist stets die strengste Norm.<br />

Der Begriff „Oberflächengewässer“ umfasst folgendes:<br />

• Alle Binnenoberflächengewässer (Flüsse, Seen, Stauseen, Kanäle);<br />

• Übergangsgewässer (z. B. Flussmündungen);<br />

• Küstengewässer (eine Seemeile seewärts von <strong>der</strong> für die Ermittlung <strong>der</strong> Territorialgewässer<br />

maßgeblichen Basislinie);<br />

• Territorialgewässer (allerdings nur bezüglich des guten chemischen Zustands und <strong>der</strong> für<br />

prioritäre Stoffe in Artikel 4(1)(a)(iv) festgelegten Ziele).<br />

Die oben beschriebenen Zustandsziele gelten nur für Oberflächenwasserkörper.<br />

Oberflächenwasserkörper sind „bedeutende Abschnitte“ von Oberflächengewässern. Best<strong>im</strong>mte<br />

kleinere Gewässer o<strong>der</strong> Teile von Gewässern könnten als nicht bedeutend klassifiziert werden (und<br />

damit als Nicht-Körper auch keinen Schutz genießen).<br />

4.4.2.2. Maßnahmen auf Ebene <strong>der</strong> Mitgliedstaaten<br />

Die Mitgliedstaaten müssen folgen<strong>der</strong>maßen gegen die Verschmutzung von Oberflächengewässern<br />

vorgehen:<br />

30


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

a) Ermittlung von Umweltbelastungen bis 2004, d.h. Ermitteln bei welchen Oberflächengewässern<br />

das Erhalten des sehr guten Zustands o<strong>der</strong> Erreichen eines guten Zustands durch<br />

Schadstoffeinträge gefährdet ist (d.h. Überschreiten von Umweltqualitätsnormen o<strong>der</strong> schädliche<br />

Auswirkungen auf die Tiere o<strong>der</strong> Pflanzen <strong>im</strong> Gewässer);<br />

b) Ermittlung <strong>der</strong> Schadstoffe, die für das Problem verantwortlich sind;<br />

c) Aufstellung von Umweltqualitätsnormen für alle Schadstoffe, die in bedeutenden Mengen in ein<br />

Gewässer emittiert werden (gemäß dem in Anhang V, 1.2.6 festgelegten Verfahren). Dabei<br />

müssen umfangreiche Informationen über die Toxizität des Schadstoffs und die Art des<br />

aquatischen Ökosystems berücksichtigt werden. Die so abgeleiteten Umweltqualitätsnormen<br />

werden sich daher voraussichtlich von Region zu Region und von Gewässer zu Gewässer<br />

unterscheiden. Wichtig ist aber, dass die Umweltqualitätsnormen einer wissenschaftlichen<br />

Evaluation als auch öffentlicher Beteiligung unterliegen.<br />

Eine wesentliche Schwachstelle <strong>der</strong> Richtlinie ist, dass die Umweltqualitätsnormen als max<strong>im</strong>ale<br />

jährliche Durchschnittskonzentrationen festgelegt werden können. Die WRRL enthält damit keine<br />

Verpflichtung, gegen vorübergehend sehr hohe Konzentrationen vorzugehen.<br />

d) Umsetzung von Maßnahmen <strong>zur</strong> Einhaltung <strong>der</strong> Umweltqualitätsnormen, mit dem Ziel, eine<br />

Verschlechterung <strong>der</strong> Zustandsklasse zu vermeiden und einen „guten ökologischen Zustand“ zu<br />

erreichen.<br />

4.4.2.3. Maßnahmen auf Ebene <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

Prioritäre Stoffe<br />

Für alle prioritären Stoffe auf <strong>der</strong> WRRL-Liste müssen gemeinschaftsweit einheitliche Maßnahmen<br />

ergriffen werden, und zwar in Form von Umweltqualitätsnormen und Emissionsbegrenzungen sowohl<br />

für Punkt- als auch für diffuse Verschmutzungsquellen (Artikel 16(6)). Der erste Schritt dieses<br />

Verfahrens ist eine von <strong>der</strong> Kommission vorgeschlagene Liste prioritärer Stoffe, die anschließend<br />

von Rat und Parlament beschlossen werden muss. Die Auswahl <strong>der</strong> prioritären Stoffe soll auf <strong>der</strong><br />

Grundlage des Risikos für bzw. durch die aquatische Umwelt erfolgen. Dieses Risiko soll auf <strong>der</strong><br />

Basis folgen<strong>der</strong> Erwägungen abgeschätzt werden (Artikel 16(2)):<br />

(a) in Form einer Risikobewertung <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, <strong>der</strong><br />

Richtlinie 91/414/EWG (Pestizid-Richtlinie) und <strong>der</strong> Richtlinie 98/8/EG (Biozid-Richtlinie) o<strong>der</strong><br />

(b) in Form einer vereinfachten risikobezogenen Bewertung gemäß den Verfahren <strong>der</strong> Verordnung<br />

(EWG) Nr. 793/93 mit ausschließlicher Prüfung <strong>der</strong> aquatischen Ökotoxizität und <strong>der</strong> über<br />

die aquatische Umwelt gegebenen Humantoxizität.<br />

Schneller als die beiden obigen langwierigen Verfahren ist das dritte vorgesehene Verfahren <strong>zur</strong><br />

Priorisierung von Stoffen, womit die fristgemäße Aufstellung <strong>der</strong> Prioritätenlisten möglich sein sollte<br />

(die erste überarbeitete Liste prioritärer Stoffe muss bis Dezember 2004 vorliegen):<br />

c) Priorisierung auf <strong>der</strong> Grundlage des Risikos für o<strong>der</strong> durch die aquatische Umwelt, wobei die<br />

Einstufung in Form einer vereinfachten, auf wissenschaftlichen Grundsätzen beruhenden<br />

risikobezogenen Bewertung erfolgt, bei <strong>der</strong> Hinweise auf die inhärente Gefährlichkeit des<br />

betreffenden Stoffes, Befunde aus <strong>der</strong> Überwachung über weitverbreitete Formen <strong>der</strong><br />

Verschmutzung und an<strong>der</strong>e nachgewiesene Faktoren, die auf eine weitverbreitete Verschmutzung<br />

schließen lassen (z. B. Umfang von Produktion und Verwendung, typische Arten <strong>der</strong><br />

31


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Verwendung) beson<strong>der</strong>s berücksichtigt werden.<br />

Die Liste prioritärer Stoffe muss alle vier Jahre von <strong>der</strong> Kommission überprüft und aktualisiert<br />

werden.<br />

Das bedeutet allerdings nicht automatisch, dass die Kommission verpflichtet wäre, alle vier Jahre<br />

neue prioritäre Stoffe vorzuschlagen. Die Kommission soll lediglich “gegebenenfalls” neue<br />

Vorschläge machen (Artikel 16(4)).<br />

Nach <strong>der</strong> Annahme <strong>der</strong> Liste prioritärer Stoffe durch Rat und Parlament (durch<br />

Mitentscheidungsverfahren gemäß Artikel 175 des <strong>EU</strong>-Vertrags) soll die Kommission Maßnahmen<br />

<strong>zur</strong> schrittweisen Verringerung von Einleitungen, Emissionen und Verlusten <strong>der</strong> betreffenden Stoffe<br />

vorschlagen. Für die prioritären gefährlichen Stoffe (siehe unten) soll die Kommission Maßnahmen<br />

<strong>zur</strong> Beendigung o<strong>der</strong> schrittweisen Einstellung von Einleitungen, Emissionen und Verlusten binnen 20<br />

Jahre vorlegen.<br />

Damit diese Maßnahmen schließlich Gesetz werden können, müssen sie von Rat und Parlament<br />

(wahrscheinlich als Tochterrichtlinien für jeden Stoff bzw. Stoffgruppe) in einem erneuten<br />

vollständigen Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden. Können sich Rat und Parlament bis<br />

Dezember 2006 nicht einigen, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, nationale Umweltqualitätsnormen<br />

und Emissionsbegrenzungen für alle durch prioritäre Stoffe beeinträchtigte Gewässer festzusetzen<br />

(Artikel 16(8)).<br />

Prioritäre gefährliche Stoffe<br />

Einheitliche <strong>EU</strong>-Standards werden insbeson<strong>der</strong>e für die sogenannten prioritären gefährlichen Stoffe<br />

aufgestellt, eine Untergruppe <strong>der</strong> prioritären Stoffe. Diese Stoffklasse wurde vom Europäischen<br />

Parlament gegen heftigen politischen Wi<strong>der</strong>stand durchgesetzt. Als absolutes Novum <strong>im</strong> <strong>EU</strong>-Recht<br />

ist für diese Stoffklasse die Beendigung aller Einträge nun gesetzlich vorgeschrieben. Für diese<br />

prioritären gefährlichen Stoffe, definiert wie die gefährlichen Stoffe des OSPAR-Abkommens zum<br />

Schutz des Nordostatlantiks, soll die Beendigung o<strong>der</strong> schrittweise Einstellung von Einleitungen,<br />

Emissionen und Verlusten spätestens binnen 20 Jahren erreicht werden.<br />

Die prioritären gefährlichen Stoffe werden von <strong>der</strong> Kommission auf <strong>der</strong> Liste prioritärer Stoffe<br />

gekennzeichnet (Artikel 16(3)). Dazu muss die Kommission feststellen, welche prioritären Stoffe die<br />

Kriterien <strong>der</strong> Bioakkumulierbarkeit, <strong>der</strong> Toxizität und <strong>der</strong> Persistenz erfüllen o<strong>der</strong> ähnlichen Anlass<br />

<strong>zur</strong> Besorgnis geben, wie z. B. endokrin wirksame Stoffe o<strong>der</strong> best<strong>im</strong>mte Metalle (Artikel 2(29)).<br />

Bei <strong>der</strong> Identifizierung <strong>der</strong> prioritären gefährlichen Stoffe soll die Kommission sowohl das relevante<br />

<strong>EU</strong>-Recht (z. B. Verordnung (EWG) Nr. 793/93, Richtlinien 91/414/EWG und 76/464/EWG) als<br />

auch internationale Abkommen (z. B. OSPAR, UN ECE POPs Konvention) berücksichtigen.<br />

Entscheidend für die Umsetzung des Vorsorgeprinzips ist, dass für die Identifizierung eines prioritären<br />

gefährlichen Stoffs keine umfassende Risikobewertung nach Verordnung (EWG) Nr. 793/93<br />

vorgeschrieben ist.<br />

In einem zweiten Schritt müssen Rat und Parlament „Begrenzungen <strong>zur</strong> Beendigung o<strong>der</strong><br />

schrittweisen Einstellung von Einleitungen, Emissionen und Verlusten“ <strong>der</strong> prioritären gefährlichen<br />

Stoffe beschließen. Der Zeitrahmen für diese Maßnahmen darf, gerechnet vom ihrem Beschluss, 20<br />

Jahre nicht übersteigen. Diese Begrenzungen müssen ebenfalls in Form von Tochterrichtlinien durch<br />

die Kommission vorgeschlagen und von Rat und Parlament beschlossen werden. Die erlassenen<br />

Maßnahmen können unter an<strong>der</strong>em Stoffverbote, Anwendungsbeschränkungen o<strong>der</strong> die Begrenzung<br />

<strong>der</strong> Stoffverwendung auf emissionslose, geschlossene Kreisläufe vorsehen.<br />

32


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Wenn sich Rat und Europäisches Parlament bis Dezember 2006 nicht auf die notwendigen<br />

Maßnahmen <strong>zur</strong> Beendigung <strong>der</strong> Einleitungen, Emissionen und Verlusten eines prioritären<br />

gefährlichen Stoffs einigen können (Artikel 16(8)), sind die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 4(1)(a)(iv)<br />

dennoch verpflichtet, die angemessenen Maßnahmen <strong>zur</strong> Beendigung seiner Einleitungen, Emissionen<br />

und Verluste „gemäß Artikel 16(1) und 16(8)“ zu ergreifen, jedoch ohne die Fristsetzung von 20<br />

Jahren. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass die Mitgliedstaaten die Frist von 20 Jahren für einen<br />

auf <strong>EU</strong>-Ebene als gefährlich identifizierten Stoff ignorieren werden können.<br />

Die erste Liste prioritärer Stoffe<br />

Im Februar 2000 hat die <strong>EU</strong>-Kommission einen Vorschlag für die erste Liste prioritärer Stoffe<br />

vorgelegt (COM (2000) 47 final/2 - 2000/0035 (COD)). Sie umfasst 32 Stoffe, die mittels einer<br />

vereinfachten risikobezogenen Bewertung, dem sogenannten COMMPS-Verfahren, ausgewählt<br />

wurden. Das COMMPS-Verfahren (combined monitoring-based and modelling-based priority<br />

setting) berücksichtigt unter an<strong>der</strong>em Stoffnachweise in den Gewässern und die biologischchemisch-physikalischen<br />

Eigenschaften <strong>der</strong> einzelnen Stoffe. Die Zahl 32 ist willkürlich gewählt und<br />

beruht auf <strong>der</strong> begrenzten verwaltungstechnischen Rechtssetzungskapazität <strong>der</strong> <strong>EU</strong>-Kommission. 32<br />

Stoffe gelten als eine handhabbare Liste, sind aber kein Hinweis darauf, dass es nur 32 bedenkliche<br />

Stoffe gibt. Die Liste soll alle 4 Jahre überprüft und um weitere Stoffe ergänzt werden.<br />

Das COMMPS-Verfahren hat allerdings einige erhebliche Schwächen, die vor seiner weiteren<br />

Anwendung behoben werden sollten. Zum Beispiel bleibt eine große Zahl von Stoffen, die von den<br />

nationalen Überwachungsprogrammen nicht erfasst werden, systematisch ausgeklammert. Dies gilt<br />

für:<br />

• ungefähr 60 Prozent aller in <strong>der</strong> <strong>EU</strong> angewendeten Pestizide;<br />

• alle Industriechemikalien, die von keinem europäischen Unternehmen in Mengen über 1000<br />

Tonnen pro Jahr hergestellt o<strong>der</strong> <strong>im</strong>portiert werden. Dies betrifft <strong>im</strong>merhin 8000 bis 10000 in <strong>der</strong><br />

<strong>EU</strong> verwendete Stoffe, für die die notwendigen Stoffdaten in <strong>der</strong> Datenbank IUCLID fehlten und<br />

die deshalb von COMMPS nicht erfasst werden konnten;<br />

• Industriechemikalien, die von weniger als vier Unternehmen in <strong>der</strong> <strong>EU</strong> in Mengen über 1.000<br />

Tonnen pro Jahr hergestellt o<strong>der</strong> <strong>im</strong>portiert werden (vertrauliche Marktdaten).<br />

Insgesamt deckte das COMMPS-Verfahren nur 95 Stoffe auf Basis von Messdaten und weitere<br />

123 Stoffe auf Basis von Modellierungsdaten ab.<br />

Unter den 32 prioritären Stoffe auf <strong>der</strong> ersten Liste sind drei unter <strong>der</strong> UN ECE POPs Konvention<br />

klassifiziert, 13 sind gefährliche Stoffe gemäß dem OSPAR Abkommen zum Schutz des<br />

Nordostatlantiks (d.h. sie sind hochtoxisch, persistent und bioakkumulierbar). Weitere 16 Stoffe<br />

wurden von OSPAR 1998 und 2000 als prioritär für Maßnahmen <strong>zur</strong> Beendigung ihrer Einleitungen,<br />

Emissionen und Verluste bis 2020 ausgewählt. Ohne Zweifel müssen all diese Substanzen als<br />

prioritäre gefährliche Stoffe angesehen und auf <strong>der</strong> WRRL-Liste prioritärer Substanzen als solche<br />

gekennzeichnet werden. Ohnehin hat sich die <strong>EU</strong> international verpflichtet, die Einleitungen,<br />

Emissionen und Verluste dieser Stoffe bis 2020 zu beenden.<br />

21 Stoffe <strong>der</strong> ersten WRRL-Liste prioritärer Stoffe sind in einer <strong>der</strong> oben angeführten Kategorien<br />

gefährlicher Stoffe enthalten, die meisten von ihnen befinden sich zusätzlich auf <strong>im</strong> <strong>EU</strong>-Recht<br />

geführten Listen gefährlicher Stoffe. Mindestens diese 21 Stoffe sollten daher auf <strong>der</strong> ersten WRRL-<br />

Liste als prioritäre gefährliche Stoffe gekennzeichnet werden. Der Berichterstatter des Europäischen<br />

Parlaments für die Prioritätenliste hat darauf hingewiesen, dass vordringlich 7 weitere durch OSPAR<br />

33


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

priorisierte Stoffe in die Prioritätenliste <strong>der</strong> WRRL aufgenommen werden sollten. Die erste WRRL-<br />

Liste würde dann 39 prioritäre Stoffe umfassen, von denen 28 als prioritäre gefährliche Stoffe zu<br />

behandeln wären.<br />

4.4.2.4. Weitere für das Chemikalienrecht wichtige Aspekte <strong>der</strong> WRRL<br />

Aufhebung bestehen<strong>der</strong> Gewässerschutznormen<br />

Die Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen (76/464/EWG) wird am 22.<br />

Dezember 2013 aufgehoben. Artikel 22(6) stellt zwar klar, dass die gemäß WRRL einzuführenden<br />

Umweltqualitätsnormen mindestens so streng sein müssen wie die <strong>der</strong>zeit durch Richtlinie<br />

76/464/EWG vorgeschriebenen. Das heißt aber noch nicht, dass die WRRL einen gleich guten<br />

Schutz <strong>der</strong> Gewässer garantiert, sobald Richtlinie 76/464/EWG aufgehoben ist.<br />

Die fünf Tochterrichtlinien von Richtlinie 76/464/EWG (aufgeführt in Anhang IX <strong>der</strong> WRRL) müssen<br />

durch die <strong>EU</strong>-Kommission überprüft werden. Für jene Stoffe, die auf die WRRL-Liste prioritärer<br />

Stoffe aufgenommen wurden, werden die bestehenden Umweltqualitätsnormen und<br />

Emissionsbegenzungen aktualisiert. Für alle jene durch die Tochterrichtlinien geregelten Stoffe, die<br />

nicht auf <strong>der</strong> Liste prioritärer Stoffe geführt werden, sollen die Normen überprüft und gegebenenfalls<br />

auch ganz aufgehoben werden (Artikel 16(10)).<br />

Der kombinierte Ansatz<br />

Im Allgemeinen schreibt die WRRL Umweltqualitätsnormen für Schadstoffe vor, d.h. eine best<strong>im</strong>mte<br />

Konzentration dieser Schadstoffe darf in den Gewässern nicht überschritten werden. Außerdem<br />

müssen weitergehende ökologische Zustandsziele durch die Anwendung von Emissionsbegrenzungen<br />

erreicht werden.<br />

Für best<strong>im</strong>mte Tätigkeiten und best<strong>im</strong>mte Schadstoffe schreibt Artikel 10 eine an<strong>der</strong>e Art des<br />

kombinierten Ansatzes fest. Hierbei müssen Emissionsbegrenzungen auf Grundlage <strong>der</strong> besten<br />

verfügbaren Technologien o<strong>der</strong> einschlägiger Emissionsgrenzwerte o<strong>der</strong>, bei diffusen Quellen, <strong>der</strong><br />

besten verfügbaren Umweltpraxis angewendet werden. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, um die<br />

Umweltqualitätsnormen zu erfüllen o<strong>der</strong> die Umweltziele zu erreichen, müssen entsprechend<br />

strengere Emissionsbegrenzungen aufgestellt werden. Diese “richtige” Anwendung des kombinierten<br />

Ansatzes stellt nicht nur sicher, dass die Umweltqualitätsnormen und Umweltziele erreicht werden,<br />

son<strong>der</strong>n gegebenenfalls die Einleitungen darüber hinaus reduziert werden. Die beste verfügbare<br />

Technologie und die beste verfügbare Umweltpraxis regen Verschmutzer dazu an, ihre Umweltbilanz<br />

zu überprüfen und zu verbessern.<br />

Der kombinierte Ansatz gilt nur für Stoffe und Tätigkeiten, die durch die Nitrat-Richtlinie, die IVU-<br />

Richtlinie, die Kommunalabwasser-Richtlinie, die zukünftigen Richtlinien für prioritäre Stoffe und die<br />

bestehenden Tochterrichtlinien <strong>der</strong> Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen<br />

(76/464/EWG) geregelt werden.<br />

Die auf <strong>EU</strong>-Ebene zu schaffenden Regeln für prioritäre Stoffe sollen sowohl Umweltqualitätsnormen<br />

als auch einheitliche Emissionsgrenzwerte umfassen. Allerdings heißt es dazu in Artikel 16(6)<br />

lediglich, dass die <strong>EU</strong>-Kommission „gemeinschaftsweite einheitliche Emissionsgrenzwerte<br />

berücksichtigen“ soll. Ob dies eine bindende Verpflichtung zu Emissionsgrenzwerten ist, bleibt<br />

abzuwarten.<br />

Können sich Rat und Europäisches Parlament binnen sechs Jahren nicht auf gemeinschaftsweite<br />

Maßnahmen für prioritäre Stoffe einigen, sind die Mitgliedstaaten gleichwohl nicht davon entbunden,<br />

34


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

entsprechende Maßnahmen zu treffen. Nach Artikel 16(8) müssen sie „für alle Oberflächengewässer,<br />

die von Einleitungen dieser Stoffe betroffen sind, u.a. unter Erwägung aller technischen Möglichkeiten<br />

zu ihrer Vermin<strong>der</strong>ung, Umweltqualitätsnormen und Begrenzungsmaßnahmen für die Hauptquellen<br />

dieser Einleitungen“ festlegen. Das könnte bedeuten, dass die Mitgliedstaaten die strengere Form des<br />

kombinierten Ansatzes anwenden müssen, indem sie zunächst die besten verfügbaren Technologien<br />

vorschreiben, und wo dies nicht ausreicht, strengere Maßnahmen ergreifen.<br />

4.4.3. Ausnahmen und Fristverlängerungen für die<br />

chemikalienrechtlichen Regelungen <strong>der</strong> WRRL<br />

4.4.3.1. Fristverlängerungen<br />

Artikel 4(4) ermöglicht es den Mitgliedstaaten, die Frist für die Erreichung des guten Zustands um bis<br />

zu 12 Jahre über 2015 hinaus auszudehnen. Eine solche Fristverlängerung ist sinnvoll, um ungünstigen<br />

natürlichen Gegebenheiten und unüberwindbaren technischen Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> rechtzeitigen<br />

Erreichung des guten Zustands Rechnung zu tragen. Problematisch ist, dass eine Fristverlängerung<br />

unter Umständen auch wegen unverhältnismäßig hoher Kosten angestrebt werden kann.<br />

Zum Glück müssen Gründe und Rechtfertigung für die Anwendung einer Fristverlängerung in den<br />

Bewirtschaftungsplan aufgenommen werden und unterliegen damit <strong>der</strong> öffentlichen Beteiligung. Es<br />

sollte daher gewährleistet sein, dass Firstverlängerungen nur dann <strong>zur</strong> Anwendung kommen, wenn<br />

klar nachgewiesen ist, dass das Erreichen des guten Zustands bis 2015 wirklich unmöglich ist.<br />

4.4.3.2. Weniger strenge Umweltziele<br />

Artikel 4(5) könnte potentiell noch größere Probleme verursachen. Er erlaubt den Mitgliedstaaten,<br />

für best<strong>im</strong>mte <strong>Wasser</strong>körper weniger strenge Umweltziele anzustreben, wenn sie „durch menschliche<br />

Tätigkeiten so beeinträchtigt sind o<strong>der</strong> ihre natürlichen Gegebenheiten so beschaffen sind, dass das<br />

Erreichen dieser Ziele in <strong>der</strong> Praxis nicht möglich o<strong>der</strong> unverhältnismäßig teuer wäre.“ Die Crux<br />

dieser Best<strong>im</strong>mung ist, dass sie möglicherweise nicht nur Tätigkeiten <strong>der</strong> Vergangenheit betrifft,<br />

son<strong>der</strong>n auch bestehende Tätigkeiten einschließt und damit zulässt.<br />

Im Prinzip könnte ein Mitgliedstaat unter Anwendung von Artikel 4(5) stark verschmutzte Bereiche<br />

eines Gewässers von vorne herein vom Ziel des guten Zustands ausschließen. Für die Erreichung des<br />

Ziels, die Verschmutzung durch prioritäre Stoffe schrittweise zu reduzieren und die Einleitungen,<br />

Emissionen und Verluste prioritärer gefährlicher Stoffe zu beenden o<strong>der</strong> schrittweise einzustellen,<br />

gewährt Artikel 4(5) allerdings keine Ausnahmen. Eine weitere wichtige Einschränkung <strong>der</strong><br />

Ausnahmen ist Artikel 4(8), <strong>der</strong> Auswirkungen <strong>der</strong> weniger strengen Umweltziele auf an<strong>der</strong>e<br />

Gewässer verbietet.<br />

Das Anstreben weniger strenger Umweltziele nach Artikel 4(5) erfor<strong>der</strong>t mehrere Verfahrensschritte,<br />

die eine öffentliche Beteiligung erfor<strong>der</strong>n. Zum zweiten sind daran zahlreiche Bedingungen geknüpft,<br />

so dass es schwierig für einen Mitgliedstaat sein sollte, diese Best<strong>im</strong>mung zu missbrauchen.<br />

4.4.4. Politische Handlungsmöglichkeiten für NGOs<br />

Welches sind bezüglich Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor Verschmutzung die wichtigsten Aspekte <strong>der</strong><br />

WRRL? Wo können NGOs am besten Einfluss nehmen, um positive Verän<strong>der</strong>ungen zu bewirken?<br />

Auf Ebene <strong>der</strong> Flusseinzugsgebiete bzw. Flussgebietseinheiten<br />

35


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

• Beteiligung am Prozess <strong>der</strong> Flussgebietsanalyse (Überprüfung <strong>der</strong> Auswirkungen menschlicher<br />

Tätigkeiten auf den Zustand <strong>der</strong> Oberflächengewässer und des Grundwassers, Identifikation <strong>der</strong><br />

betreffenden Schadstoffe und Verschmutzer);<br />

• Beteiligung bei <strong>der</strong> Festsetzung <strong>der</strong> Umweltqualitätsnormen für die Gewässer <strong>im</strong><br />

Flusseinzugsgebiet. Anhang V, 1.2.6 legt ein detailliertes Verfahren für die Ermittlung von<br />

Umweltqualitätsnormen für nicht-prioritäre Schadstoffe fest (also für Schadstoffe, die nicht auf<br />

<strong>der</strong> WRRL-Liste prioritärer Stoffe sind);<br />

• Versuchen, ehrgeizige ökologische Ziele für die Gewässer des Flusseinzugsgebiets zu sichern.<br />

Der Text <strong>der</strong> WRRL macht nicht ganz klar, ob die von den Behörden festzulegenden Ziele<br />

angefochten werden können o<strong>der</strong> nicht. Sicher ist aber, dass alle Ausnahmen und<br />

Fristverlängerungen volle öffentliche Beteiligung erfor<strong>der</strong>n;<br />

• Beteiligung am Entstehungsprozess <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne, insbeson<strong>der</strong>e um<br />

Fristverlängerungen und Ausnahmeregelungen zu min<strong>im</strong>ieren.<br />

Auf Ebene <strong>der</strong> Mitgliedstaaten<br />

• Sicherung vollständiger und korrekter Umsetzung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie in nationale<br />

Gesetzgebung;<br />

• Einschließlich Übernahme <strong>der</strong> strengst möglichen Best<strong>im</strong>mungen in nationales Recht, wo die<br />

WRRL Spielraum dafür lässt (etwa bei den Maßnahmenprogrammen).<br />

Auf <strong>EU</strong>-Ebene<br />

• Politischen Druck auf die <strong>EU</strong>-Kommission aufbauen, damit bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> prioritären<br />

Stoffe das Vorsorgeprinzip <strong>zur</strong> Anwendung kommt und nicht die bisher übliche zeitraubende und<br />

teure Risikoabschätzung.<br />

• Deshalb sollte die Kommission aufgefor<strong>der</strong>t werden, die vereinfachte risikobezogene Bewertung<br />

<strong>zur</strong> Grundlage <strong>der</strong> Auswahl prioritärer Stoffe zu machen und das COMMPS-Verfahren weiter<br />

zu verbessern.<br />

• Die <strong>EU</strong>-Kommission drängen, strenge Maßnahmen <strong>zur</strong> Begrenzung von prioritären Stoffen und<br />

für die Beendigung o<strong>der</strong> schrittweise Einstellung von Einleitungen, Emissionen und Verluste<br />

prioritärer gefährlicher Stoffe vorzuschlagen.<br />

• Mitgliedstaaten und Europäisches Parlament drängen, umgehend sowohl die Liste prioritärer<br />

Stoffe als auch die entsprechenden Maßnahmen zum Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor diesen Stoffen zu<br />

verabschieden.<br />

36


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

4.5. Grundwasserschutz<br />

4.5.1. Einleitung und Überblick<br />

Die Gemeinschaftsgesetzgebung zum Schutz <strong>der</strong> Grundwasserqualität begann mit <strong>der</strong> Richtlinie zum<br />

Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen(76/464/EWG) von 1976. 1980 wurde <strong>der</strong><br />

Grundwasserschutz <strong>der</strong> Richtlinie zum Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen durch die<br />

Grundwasser-Richtlinie (80/68/EWG) ersetzt, die bis heute das wichtigste europäische Regelwerk<br />

für den Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung durch best<strong>im</strong>mte gefährliche Stoffe ist.<br />

Die Nitrat-Richtlinie (91/676/EG) befasst sich mit dem weitverbreiteten Problem <strong>der</strong><br />

Nitratverschmutzung durch die Landwirtschaft. Sie verlangt von den Mitgliedstaaten, Maßnahmen<br />

<strong>zur</strong> Reduzierung <strong>der</strong> Umweltverschmutzung durch landwirtschaftliche Nitrate zu ergreifen, wenn die<br />

Konzentration von Nitrat <strong>im</strong> Grundwasser 50 Milligramm pro Liter (mg/l) überschreitet o<strong>der</strong> zu<br />

überschreiten droht, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden.<br />

Die Pestizid-Richtlinie (91/414/EWG), die Marktzulassungs-Richtlinie für Pestizide, stellt strenge<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen für den Schutz des Grundwassers auf. Bevor ein Pestizid innerhalb <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

verkauft o<strong>der</strong> angewendet werden darf, muss nachgewiesen sein, dass seine Konzentration <strong>im</strong><br />

Grundwasser bei regulärer Verwendung 0,1 Mikrogramm pro Liter 0.1 µg/l) nicht überschreiten<br />

wird.<br />

Die Abfalldeponie-Richtlinie (1999/31/EG) verlangt, Abfalldeponien so auszubauen, dass das<br />

Grundwasser vor Verunreinigung durch Deponie-Sickerwasser geschützt ist.<br />

Trotz dieser Richtlinien bleiben die Grundwasserressourcen ernsthaft gefährdet, und die<br />

mengenmäßige Ausbeutung wird überhaupt nicht angesprochen. Im Jahre 1995 bestätigte <strong>der</strong> Rat<br />

die “beson<strong>der</strong>e Bedeutung des Grundwassers als wesentlicher Bestandteil des <strong>Wasser</strong>kreislaufs und<br />

<strong>der</strong> Ökosysteme sowie als eine <strong>der</strong> wichtigsten Ressourcen <strong>der</strong> Trinkwasserversorgung” (2/3 alles<br />

Trinkwassers in <strong>der</strong> <strong>EU</strong> stammt aus Grundwasser). Im beson<strong>der</strong>en empfiehlt <strong>der</strong> Rat die Schaffung<br />

neuer “Maßnahmen zum vorsorgenden, flächendeckenden Grundwasserschutz, unter an<strong>der</strong>em <strong>im</strong><br />

Hinblick auf diffuse Quellen”. Der Rat vereinbarte, dass <strong>der</strong> Grundwasserschutz auf den folgenden<br />

Prinzipien basieren sollte:<br />

• Erhaltung <strong>der</strong> Qualität des unverschmutzten Grundwassers;<br />

• Vermeidung weiterer Verschmutzung;<br />

• Gegebenenfalls Regenerierung von verschmutztem Grundwasser.<br />

Die WRRL hat diese Überlegungen zum Teil übernommen, indem sie allgemeine mengenmäßige und<br />

qualitative Ziele für das Grundwasser aufstellt.<br />

Mitgliedstaaten sind unter <strong>der</strong> WRRL verpflichtet:<br />

• die Einleitung von Schadstoffen in das Grundwasser zu verhin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> zu begrenzen sowie eine<br />

Verschlechterung des Zustands aller Grundwasserkörper zu verhin<strong>der</strong>n;<br />

• alle Grundwasserkörper zu schützen, zu verbessern und zu sanieren und ein Gleichgewicht<br />

zwischen Grundwasserentnahme und –neubildung zu gewährleisten, mit dem Ziel, spätestens 15<br />

Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie einen guten Zustand des Grundwassers zu erreichen;<br />

• alle signifikanten und anhaltenden Trends einer Steigerung <strong>der</strong> Konzentration von Schadstoffen<br />

37


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

umzukehren und so die Verschmutzung des Grundwassers schrittweise zu reduzieren.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> gegensätzlichen Positionen des Europäischen Parlaments und des Rats <strong>im</strong> Bezug auf<br />

das Niveau des Grundwasserschutzes wurden allerdings sämtlich konkreten <strong>EU</strong>-weiten Maßnahmen<br />

aus dem Text <strong>der</strong> WRRL entfernt. Sie müssen nun neu entwickelt, von <strong>der</strong> Kommission <strong>im</strong><br />

Dezember 2002 nach Artikel 17 vorgeschlagen und dann von Rat und Parlament unter dem<br />

Mitentscheidungsverfahren angenommen werden. Dieser Prozess beinhaltet die Aufstellung von<br />

Kriterien für die Best<strong>im</strong>mung des “guten chemischen Zustands” von Grundwasser und von<br />

signifikanten und anhaltenden Trends einer Steigerung <strong>der</strong> Konzentration von Schadstoffen.<br />

Obwohl konkrete <strong>EU</strong>-weite Maßnahmen für den Grundwasserschutz damit in <strong>der</strong> WRRL also<br />

bisher fehlen, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die oben aufgezählten Ziele durch geeignete<br />

nationale Maßnahmenprogramme zu erreichen. Die Mitgliedstaaten müssen auch den Verpflichtungen<br />

<strong>der</strong> bestehenden Richtlinien zum Grundwasserschutz nachkommen. Dies beinhaltet auch die<br />

Umsetzung <strong>der</strong> Grundwasser-Richtlinie, bis sie von <strong>der</strong> WRRL <strong>im</strong> Dezember 2013 aufgehoben wird.<br />

4.5.2. Vertiefte Analyse<br />

4.5.2.1. Anwendungsbereich <strong>der</strong> Richtlinie<br />

Welche Grundwässer sind erfasst?<br />

Hinsichtlich <strong>der</strong> Verpflichtung, die Einleitung von Schadstoffen in das Grundwasser zu verhin<strong>der</strong>n<br />

o<strong>der</strong> zu begrenzen, bezieht sich die WRRL auf das Grundwasser <strong>im</strong> allgemeinen. Die Definition für<br />

Grundwasser in Artikel 2(2) umfasst praktisch ohne Ausnahme alle Grundwässer.<br />

Hinsichtlich des Nichtverschlechterungsgebots und den Schutz- und Sanierungsanfor<strong>der</strong>ungen<br />

allerdings bezieht sich die WRRL lediglich auf „Grundwasserkörper“. Die Definition für<br />

Grundwasserkörper in Artikel 2(11) und 2(12) ist viel enger als die für Grundwasser.<br />

Grundwasserkörper sind auf geologische Situationen beschränkt, die entwe<strong>der</strong> einen bedeutenden<br />

Grundwasserstrom o<strong>der</strong> die Entnahme von bedeutenden Mengen Grundwasser erlauben. Diese<br />

Einschränkung gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Sanierung auf solches Grundwasser zu<br />

beschränken, das für die Oberflächenökosysteme o<strong>der</strong> für die Nutzung von größter Bedeutung sind.<br />

Die Identifizierung und die Charakterisierung von Grundwasserkörpern muss in den<br />

Bewirtschaftungsplänen für das Einzugsgebiet angegeben werden, die <strong>der</strong> öffentlichen Beteiligung<br />

unterliegen.<br />

Die Ungenauigkeit <strong>der</strong> Definition von Grundwasserkörpern ist besorgniserregend. Im Prinzip kann<br />

sich ein Mitgliedstaat dafür entscheiden, gewisse Grundwasserleiter nicht als Grundwasserkörper<br />

einzustufen, indem er behauptet, dass solches Grundwasser keinen bedeutenden Grundwasserstrom<br />

aufweist o<strong>der</strong> keine Entnahme von bedeutenden <strong>Wasser</strong>mengen erlaubt. Solches Grundwasser wäre<br />

damit effektiv von den mengenmäßigen Zielen und den allgemeinen Sanierungs- und Schutzzielen <strong>der</strong><br />

WRRL ausgeschlossen.<br />

Es muss daher sichergestellt werden, dass es gute Gründe für die Nichteinstufung best<strong>im</strong>mter<br />

Aquifere als Grundwasserkörper gibt. Trotz dieser Bedenken ist zu berücksichtigen, dass die<br />

Verpflichtung, Grundwasserverschmutzung zu verhin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> zu begrenzen und alle signifikanten<br />

und anhaltenden Trends einer Steigerung <strong>der</strong> Konzentration von Schadstoffen umzukehren, nicht auf<br />

Grundwasserkörper begrenzt ist, son<strong>der</strong>n für alle Grundwasser gilt.<br />

38


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

4.5.2.2. Klassifizierung des Grundwasserzustands<br />

Für eine vertiefte Analyse <strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> WRRL hinsichtlich des Grundwasserschutzes ist es<br />

notwendig, einen genaueren Blick auf die Klassifizierung des Grundwasserzustands in Anhang V <strong>der</strong><br />

Richtlinie zu werfen.<br />

Nur zwei Grundwasserklassen – gut und schlecht - wurden aufgestellt. Wenn ein<br />

Grundwasserkörper den guten Zustand verfehlt, dann ist er <strong>im</strong> schlechten Zustand. Der gute Zustand<br />

berücksichtigt sowohl den mengenmäßigen als auch den chemischen Zustand des<br />

Grundwasserkörpers.<br />

Der gute mengenmäßige Zustand ist erreicht, wenn:<br />

• die verfügbare Grundwasserressource (definierte <strong>im</strong> Artikel 2(27) als die langfristige mittlere<br />

jährliche Neubildung des Grundwasserkörpers abzüglich des langfristigen jährlichen Abflusses,<br />

<strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lich ist, um den Oberflächenabfluss zu erhalten) nicht von <strong>der</strong> langfristigen mittleren<br />

jährlichen Entnahme überschritten wird (d. h. die Grundwasserressource wird nicht übernutzt).<br />

• Grundwasserspiegelän<strong>der</strong>ungen dürfen nicht zu einem Verfehlen <strong>der</strong> ökologischen Qualitätsziele<br />

für in Verbindung stehende Oberflächengewässer o<strong>der</strong> zu einer signifikanten Schädigung von<br />

Landökosystemen, die unmittelbar von dem Grundwasserkörper abhängen, führen.<br />

Der gute chemische Zustand ist erreicht, wenn:<br />

• die geltenden Qualitätsnormen <strong>der</strong> “relevanten” Rechtsvorschriften <strong>der</strong> Gemeinschaft nicht<br />

überschritten werden. Es ist aber nicht klar, welche Rechtsvorschriften <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

“relevant” sind. Die Nitrat-Richtlinie bezieht sich auf 50 mg/l Nitrat. Dies ist aber eher ein<br />

Grenzwert, um Handlungen <strong>zur</strong> Reduzierung <strong>der</strong> Umweltverschmutzung auszulösen, als eine<br />

umwelttechnische Qualitätsnorm. Die Konzentration von 0,1 µg/l für Pestizide <strong>im</strong> Grundwasser in<br />

<strong>der</strong> Pestizid-Richtlinie ist eher ein Marktzulassungstest als eine formale umwelttechnische<br />

Qualitätsnorm. (Allerdings kann <strong>der</strong> Hinweis auf an<strong>der</strong>e “relevante” Gemeinschaftsgesetzgebung<br />

bedeuten, dass die Werte in <strong>der</strong> Nitrat-Richtlinie und <strong>der</strong> Pestizid-Richtlinie, wie dargestellt, als<br />

umwelttechnische Qualitätsnorm behandelt werden bzw. umwelttechnische Qualitätsnormen<br />

unter Artikel 17 künftig entwickelt werden).<br />

• die Schadstoffkonzentrationen nicht <strong>der</strong>art hoch sind, dass die Umweltziele <strong>der</strong> WRRL für in<br />

Verbindung stehende Oberflächengewässer nicht erreicht werden o<strong>der</strong> die Landökosysteme, die<br />

unmittelbar von dem Grundwasserkörper abhängen, signifikant geschädigt werden.<br />

• es keine Anzeichen für Salz- o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Intrusionen gibt.<br />

Diese schwache Definition des guten chemischen Zustands muss unbedingt verbessert werden, wenn<br />

die Kommission bis Dezember 2002 unter Artikel 17 Kriterien für die Bewertung des guten<br />

chemischen Zustands von Grundwasser vorschlägt, über die dann das Europäische Parlament und<br />

<strong>der</strong> Rat beraten werden.<br />

39


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Bis dahin erlaubt die Richtliniendefinition für den guten chemischen Grundwasserzustand, dass eine<br />

große Bandbreite unterschiedlicher Grundwasserqualitäten als “gut” eingestuft wird. Unter an<strong>der</strong>em<br />

werden Sanierungsmaßnahmen nur für Grundwasserkörper verlangt, die sie so stark verschmutzt<br />

sind, dass sie einen “signifikanten” Schaden an Oberflächengewässern o<strong>der</strong> Landökosystemen<br />

verursachen.<br />

Wegen <strong>der</strong> hohen Kosten für die Sanierung stark verschmutzten Grundwassers werden die<br />

Mitgliedstaaten wahrscheinlich für die meisten Grundwässer in schlechtem Zustand<br />

Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen und ein niedrigeres Ziel anstreben.<br />

An allen Orten, an denen die Beeinflussung eines best<strong>im</strong>mten Oberflächengewässers durch die<br />

Qualität des Grundwassers als unbedeutend eingeschätzt wird, kann <strong>der</strong> dazugehörige<br />

Grundwasserkörper ohne Rücksicht auf die Konzentration von Schadstoffen als guter chemischer<br />

Zustand eingestuft werden. Die einzigen chemischen Qualitätsnormen, die <strong>der</strong>zeit eventuell für den<br />

guten Zustand gelten mögen, sind die für Pestizide und Nitrate.<br />

Die von <strong>der</strong> Kommission nach Artikel 17 vorzuschlagenden Bewertungskriterien für den “guten<br />

chemischen Zustand” müssen sicherstellen, dass mehr als nur Nitrate und Pestizide berücksichtigt<br />

werden. Nur dadurch wird verhin<strong>der</strong>t, dass hoch verschmutztes Grundwasser in Übereinst<strong>im</strong>mung<br />

mit <strong>der</strong> WRRL als “gut” klassifiziert werden kann.<br />

4.5.2.3. Verhin<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Begrenzung <strong>der</strong> Einleitung von Schadstoffen in das<br />

Grundwasser<br />

Nach Artikel 4(1)(b)(i) müssen die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen, um die Einleitung von<br />

Schadstoffen in das Grundwasser zu verhin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> zu beschränken. Die Ähnlichkeit dieser<br />

Formulierung <strong>zur</strong> Grundwasser-Richtlinie von 1980 sollte eigentlich bedeuten, dass die Einleitung<br />

gefährlicher Stoffe vom Typ <strong>der</strong> Liste 1 <strong>der</strong> Grundwasser-Richtlinie verhin<strong>der</strong>t werden muss<br />

und die Einleitung <strong>der</strong> gefährlichen Stoffe vom Typ <strong>der</strong> Liste II begrenzt werden muss, um die<br />

Verschmutzung des Grundwassers zu vermeiden. Allerdings wird diese Interpretation nicht<br />

ausdrücklich in <strong>der</strong> WRRL erwähnt und es bleibt einstweilen unklar, ob die Verhin<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> die<br />

Begrenzung von Schadstoffeinleitungen (und bezüglich welcher Schadstoffe) gültig ist, wenn die<br />

Grundwasser-Richtlinie <strong>im</strong> Dezember 2013 aufgehoben wird. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite haben die<br />

Mitgliedstaaten unter Artikel 4(9) ihre Absicht ausgedrückt, dass die Anwendung <strong>der</strong> neuen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen unter <strong>der</strong> WRRL zumindest das gleiche Schutzniveau wie die bestehende<br />

Gesetzgebung garantieren soll.<br />

Artikel 11(3)(j) spezifiziert, dass die Mitgliedstaaten als eine <strong>der</strong> Maßnahmen <strong>zur</strong> Erfüllung <strong>der</strong><br />

WRRL-Umweltziele Direkteinleitungen von Schadstoffen in das Grundwasser verbieten müssen.<br />

Allerdings können die Mitgliedstaaten Direkteinleitungen von diesem allgemeinen Einleitungsverbot<br />

ausnehmen, wenn sie von best<strong>im</strong>mten Aktivitäten ausgehen und vorausgesetzt, die Ziele für den<br />

betreffenden Grundwasserkörper werden nicht beeinträchtigt, und die Einleitungen sind genehmigt<br />

worden. Einige dieser ausgenommenen Aktivitäten betreffen potentiell sehr giftige Stoffe (z. B. die<br />

Wie<strong>der</strong>einleitung von Bergbauabwasser in Grundwasserleiter). Unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Tatsache,<br />

dass die entsprechenden Grundwässer erst mit einer Verzögerung von Jahrzehnten o<strong>der</strong> gar<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten wie<strong>der</strong> an die Oberfläche gelangen, verletzt diese Ausnahmeregelung das<br />

Vorsorgeprinzip für den Grundwasserschutz eklatant.<br />

40


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Die Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> WRRL für Schadstoffeinleitungen in das Grundwasser lassen offen, welche<br />

Einleitungen begrenzt und welche verhin<strong>der</strong>t werden müssen. Es ist auch nicht klar, zu welchem<br />

Zeitpunkt das Ziel <strong>der</strong> Verhin<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Begrenzung von Schadstoffeinleitungen in das<br />

Grundwasser in Kraft tritt (siehe auch nächster Abschnitt). Gilt das Ziel seit Inkrafttreten <strong>der</strong> WRRL,<br />

also seit Dezember 2000, wenn die Richtlinie <strong>im</strong> Dezember 2003 in nationales Recht umgesetzt ist<br />

o<strong>der</strong> wenn <strong>im</strong> Dezember 2004 die Flussgebietsanalysen durchgeführt wurden?<br />

Es muss sichergestellt werden, dass <strong>der</strong> auf die Grundwasser-Richtlinie (80/68/EWG)<br />

<strong>zur</strong>ückgehende, vorsorgende Ansatz zum Schutz vor Grundwasserverschmutzung in <strong>der</strong> WRRL<br />

aufrechterhalten wird und dass keine Schwächung bestehen<strong>der</strong> Schutzniveaus erlaubt wird.<br />

4.5.2.4. Nichtverschlechterung des Grundwasserzustands und Erreichung des “guten<br />

Zustands”<br />

Nach <strong>der</strong> Analyse in Kapitel 4.5.2.2 sind sowohl die Bedeutung des Nichtverschlechterungsgebots<br />

als auch <strong>der</strong> Verpflichtung, einen guten Zustand zu erreichen, bezüglich <strong>der</strong> chemischen<br />

Grundwasserqualität begrenzt.<br />

Das Nichtverschlechterungsgebot besagt nur, dass Grundwasserkörper <strong>im</strong> guten Zustand nicht zum<br />

schlechten Zustand verschlechtert werden dürfen. Eine Verschlechterung innerhalb <strong>der</strong> sehr<br />

großzügigen “guten” Zustandsklasse ist dabei weiterhin möglich. Damit dürfte die Verpflichtung,<br />

Schadstoffeinleitungen unter Artikel 4(1)(b)(i) zu verhin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> zu begrenzen, eine strengere<br />

Anfor<strong>der</strong>ung bezüglich einer Qualitätsverschlechterung darstellen als das<br />

Nichtverschlechterungsgebot, <strong>im</strong>mer vorausgesetzt, Artikel 4(1)(b)(i) wird wie oben beschrieben<br />

angewandt (siehe Abschnitt 4.5.2.3).<br />

Über die Begrenztheit des Nichtverschlechterungsgebots hinaus bleibt <strong>der</strong> Zeitpunkt des<br />

Inkrafttretens dieser Anfor<strong>der</strong>ung unklar. Da <strong>im</strong> WRRL-Text kein Termin angegeben wird, bedeutet<br />

dies in <strong>der</strong> europäischen Gesetzgebung normalerweise, dass die Verpflichtung zu dem Zeitpunkt in<br />

Kraft tritt, ab dem die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt ist, also ab Dezember 2003. Es kann<br />

aber auch argumentiert werden, die Anfor<strong>der</strong>ung trete erst ab dem Augenblick in Kraft, wenn die<br />

Überprüfung <strong>der</strong> Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten auf den Zustand <strong>der</strong> Gewässer bis<br />

Dezember 2004 abgeschlossen ist (Artikel 5 und Anhang II) und die <strong>Wasser</strong>körper identifiziert sind,<br />

für welche die Erfüllung <strong>der</strong> Ziele <strong>der</strong> Richtlinie fraglich ist. Schon aus Gründen des Vorsorgeprinzips<br />

sollte aber argumentiert werden, dass das Nichtverschlechterungsgebot für jegliche laufende Planung<br />

angewandt werden muss, die größere Auswirkungen auf den Zustand von <strong>Wasser</strong>körpern haben<br />

könnte.<br />

Wie schon oben angedeutet, sind auch <strong>der</strong> Schutz-, die Verbesserungs- und die<br />

Sanierungsanfor<strong>der</strong>ung unter Artikel 4(1)(b)(ii) beschränkt wirksame Ziele, vor allem aufgrund <strong>der</strong><br />

großen Bandbreite von Grundwasserqualitäten, die unter <strong>der</strong> Definition des guten Zustands toleriert<br />

werden. Die Sanierung zum guten Zustand muss bis Dezember 2015 abgeschlossen sein.<br />

Hinsichtlich des mengenmäßigen Managements von Grundwasserressourcen sind das<br />

Nichtverschlechterungsgebot als auch das Ziel des guten Zustands viel ehrgeiziger und klarer. Die<br />

Mitgliedstaaten müssen den mengenmäßigen guten Zustand des Grundwassers und ein Gleichgewicht<br />

zwischen Grundwasserentnahme und –neubildung erreichen, damit die langfristige mittlere jährliche<br />

Entnahme nicht die verfügbare Grundwasserressource (definiert als die langfristige mittlere jährliche<br />

Neubildung des Grundwasserkörpers abzüglich des langfristigen jährlichen Abflusses) überschreitet.<br />

41


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Der gute mengenmäßige Zustand verlangt <strong>im</strong> beson<strong>der</strong>en, dass Verän<strong>der</strong>ungen des<br />

Grundwasserspiegels nicht den Zustand von Oberflächengewässern beeinträchtigen dürfen o<strong>der</strong> zu<br />

einer signifikanten Schädigung von Landökosystemen führen, die in Verbindung mit dem<br />

Grundwasserkörper stehen.<br />

4.5.2.5. Trendumkehr<br />

Die Mitgliedstaaten müssen alle signifikanten und anhaltenden Trends einer Steigerung <strong>der</strong><br />

Konzentration von Schadstoffen umkehren und so die Verschmutzung des Grundwassers<br />

schrittweise reduzieren (Artikel 4(1)(b)(iii)). Was das genau bedeutet, wird <strong>im</strong> Richtlinientext nicht<br />

konkret definiert. Daher verlangt die WRRL unter Artikel 17, dass die Kommission bis 2002<br />

Kriterien vorschlägt, um signifikante und anhaltende Trends zu identifizieren und um den<br />

Ausgangspunkt für die Trendumkehr festzulegen.<br />

Wenn diese Kriterien auf <strong>EU</strong>-Ebene nicht bis 2005 vom Europäischen Parlament und Rat<br />

verabschiedet worden sind, müssen die Mitgliedstaaten ihre eigenen nationalen Kriterien aufstellen.<br />

In Abwesenheit von nationalen o<strong>der</strong> europaweiten Kriterien liegt <strong>der</strong> Ausgangspunkt für die<br />

Trendumkehr bei höchstens 75 % des Niveaus <strong>der</strong> Qualitätsnormen, die in den auf Grundwasser<br />

anwendbaren Rechtsvorschriften <strong>der</strong> Gemeinschaft festgelegt sind.<br />

Da die bestehende Gemeinschaftsgesetzgebung keine Qualitätsnormen für Grundwasser aufstellt,<br />

bleibt unklar, was mit dieser Anfor<strong>der</strong>ung konkret gemeint ist. Wahrscheinlich ist beabsichtigt, die<br />

Werte <strong>der</strong> Nitrat-Richtlinie (d. h. Mitgliedstaaten müssen eine Trendumkehr bei 37.5 mg/l Nitrat<br />

einleiten) und <strong>der</strong> Pestizid-Richtlinie (das bedeutet Trendumkehr bei 0.075 µg/l eines Pestizids)<br />

anzuwenden.<br />

4.5.3. Ausnahmen und Fristverlängerungen für den<br />

Grundwasserschutz<br />

4.5.3.1. Fristverlängerungen<br />

Artikel 4(4) gestattet es den Mitgliedstaaten, die Frist für das Erreichen des guten chemischen und<br />

mengenmäßigen Zustands von Grundwasser (bis Dezember 2015) um bis zu zwölf Jahre zu<br />

verlängern.<br />

Solch eine Regel ist gerechtfertigt, wenn ungünstige natürliche Umstände o<strong>der</strong> technische<br />

Schwierigkeiten die notwendigen Verbesserungen bis Dezember 2015 unmöglich machen. Allerdings<br />

gibt es auch eine problematischere Klausel, die Fristverlängerungen aufgrund von<br />

unverhältnismäßigen Kosten zulässt.<br />

Die Gründe und die Rechtfertigung, für solche Fristverlängerungen, müssen <strong>im</strong> Bewirtschaftungsplan<br />

dargelegt und erläutert werden, für den eine öffentliche Konsultation in allen Schritten erfor<strong>der</strong>lich ist.<br />

Deswegen sollte es möglich sein zu sichern, dass Verlängerungen nur unter außerordentlichen<br />

Umständen und mit <strong>der</strong> richtigen Rechtfertigung benutzt werden.<br />

4.5.3.2. Weniger strenge Ziele.<br />

Artikel 4(5) erlaubt den Mitgliedstaaten best<strong>im</strong>mte Grundwasserkörper von den Zielen ausschließen,<br />

“wenn sie durch menschliche Tätigkeiten so beeinflusst sind…., dass das Erreichen dieser Ziele in<br />

<strong>der</strong> Praxis nicht möglich o<strong>der</strong> unverhältnismäßig teuer wäre”. Die Schwäche dieser Bedingung ist,<br />

42


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

dass nicht nur vergangene menschliche Aktivitäten abgedeckt sind, son<strong>der</strong>n auch bestehende. Es ist<br />

wahrscheinlich, dass <strong>Wasser</strong>nutzer, zum Beispiel Industrien, die Anwendung dieser Ausnahme<br />

for<strong>der</strong>n werden, um mit weniger strengen Kontrollen ihrer Aktivitäten konfrontiert zu werden.<br />

Allerdings unterliegen zahlreiche Verfahrensschritte bei <strong>der</strong> Anwendung solcher Ausnahmen <strong>der</strong><br />

öffentlichen Beteiligung. Zudem müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein, damit solche Ausnahmen<br />

genehmigt werden können. Bei hinreichen<strong>der</strong> öffentlicher Beteiligung sollte es für einen Mitgliedstaat<br />

eher schwierig sein, diese Klausel zu missbrauchen.<br />

4.5.4. Politische Handlungsmöglichkeiten<br />

Welche sind die für den Grundwasserschutz wichtigsten Aspekte <strong>der</strong> WRRL? Wo können NGOs<br />

am besten Einfluss nehmen, um positive Verän<strong>der</strong>ungen zu bewirken?<br />

Auf Ebene <strong>der</strong> Flusseinzugsgebiete bzw. Flussgebietseinheiten<br />

• Beteiligung am Prozess <strong>der</strong> Flussgebietsanalyse (Identifizierung von Grundwasserkörpern,<br />

einschließlich <strong>der</strong> Landökosysteme und Feuchtgebiete, die vom Grundwasser abhängen;<br />

Grundwasserentnahmen; Überprüfung <strong>der</strong> Auswirkungen von Grundwasserverschmutzungen;<br />

Identifizierung <strong>der</strong> Schadstoffe und Verschmutzer).<br />

• Beteiligung am Entstehungsprozess <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne, insbeson<strong>der</strong>e um<br />

Fristverlängerungen und Ausnahmeregelungen für die Erreichung des guten Zustands zu<br />

min<strong>im</strong>ieren.<br />

Auf Ebene <strong>der</strong> Mitgliedstaaten<br />

• Sicherung vollständiger und korrekter Umsetzung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie in nationale<br />

Gesetzgebung, je schneller desto besser. Umsetzung strikterer Anfor<strong>der</strong>ungen, wo die Richtlinie<br />

Raum dafür lässt, wie z. B. in den Maßnahmenprogrammen.<br />

• Druck auf die Regierung ausüben, um das Nulleinleitungsgebot <strong>der</strong> Grundwasser-Richtlinie<br />

vollständig umzusetzen.<br />

• For<strong>der</strong>ung nach anspruchsvollen und strengen nationalen Kriterien für die Best<strong>im</strong>mung des<br />

chemischen Zustands von Grundwasser, zum Beispiel unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Grenzwerte<br />

<strong>der</strong> Trinkwasser-Richtlinie (98/83/EG).<br />

• For<strong>der</strong>ung nach anspruchsvollen und strengen nationalen Kriterien, um signifikante und<br />

anhaltende Trends einer Steigerung <strong>der</strong> Konzentration von Schadstoffen zu identifizieren. Dies<br />

könnte die For<strong>der</strong>ung beinhalten, vorsorgend zu handeln und die Trendumkehr einzuleiten,<br />

sobald ein Trend <strong>im</strong> Entstehen ist.<br />

Auf <strong>EU</strong>-Ebene<br />

• Die Kommission drängen, angemessene Kriterien vorzulegen, um den chemischen Zustand des<br />

Grundwassers zu beurteilen. Dies sollte insbeson<strong>der</strong>e bedeuten, für den chemischen Zustand<br />

mehr als nur zwei Zustandsklassen einzuführen, damit das Nichtverschlechterungsgebot besser<br />

greift, und strengere Qualitätsnormen zu verwenden (z. B. Werte <strong>der</strong> Trinkwasser-Richtlinie<br />

98/83/EG).<br />

• Die Kommission drängen, strenge Kriterien für die Identifizierung signifikanter und anhalten<strong>der</strong><br />

Trends einer Steigerung <strong>der</strong> Konzentration von Schadstoffen gemäß dem Vorsorgeprinzip zu<br />

entwickeln.<br />

• Abklären, wie unter <strong>der</strong> WRRL das Nulleinleitungsgebot für die Stoffe <strong>der</strong> Liste 1 <strong>der</strong><br />

Grundwasser-Richtlinie nach <strong>der</strong>en Aufhebung <strong>im</strong> Dezember 2013 beibehalten wird.<br />

43


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

4.6. <strong>Wasser</strong>preise unter <strong>der</strong> WRRL<br />

4.6.1. Einleitung und Überblick<br />

Die Verwendung wirtschaftlicher Instrumente hat eine wachsende Bedeutung für die Umweltpolitik<br />

erlangt. Eine <strong>der</strong> wichtigsten Prioritäten des fünften Umweltaktionsprogramms <strong>der</strong> <strong>EU</strong> ist die breitere<br />

Anwendung von umweltgerechten Instrumenten, und seit mehreren Jahren werden wirtschaftliche<br />

Instrumente in <strong>der</strong> europäischen Umweltpolitik gefor<strong>der</strong>t – zum Beispiel Energiesteuern o<strong>der</strong> das<br />

Prinzip <strong>der</strong> Kostendeckung.<br />

Auch die WRRL verpflichtet die Mitgliedstaaten, in <strong>der</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> das Prinzip <strong>der</strong><br />

Kostendeckung zu berücksichtigen. Dies beinhaltet insbeson<strong>der</strong>e die Erfassung und Einbeziehung<br />

von Umwelt- und Ressourcenkosten.<br />

Die Möglichkeiten, das heutige <strong>Wasser</strong>management in Richtung einer nachhaltigen <strong>Wasser</strong>nutzung zu<br />

verbessern, sind vielfältig. Eine robuste <strong>Wasser</strong>gebührenbest<strong>im</strong>mung könnte - insbeson<strong>der</strong>e für die<br />

stark angebotsorientierte <strong>Wasser</strong>versorgung <strong>im</strong> landwirtschaftlichen Sektor - zu einem stärker an <strong>der</strong><br />

Nachfrage ausgerichteten <strong>Wasser</strong>management und damit zu einer rationelleren <strong>Wasser</strong>verwendung<br />

führen. 21<br />

Die Best<strong>im</strong>mung des <strong>Wasser</strong>preises unter Berücksichtigung <strong>der</strong> vollen Kostendeckung, einschließlich<br />

<strong>der</strong> Umwelt- und Ressourcenkosten, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Doch „<strong>Wasser</strong> ist keine<br />

übliche Handelsware“ (Erwägungsgrund 1 <strong>der</strong> WRRL) und Marktmechanismen sind nicht einfach<br />

anwendbar. Die Ermittlung von Umwelt- und Ressourcenkosten auf rein wirtschaftlicher Basis bleibt<br />

ein komplexes Unterfangen. Wenn aber das Verursacherprinzip auf die <strong>Wasser</strong>nutzung angewendet<br />

werden soll, ist die Einbeziehung von Umwelt- und Ressourcenkosten eine entscheidende<br />

Voraussetzung. 22<br />

Bis <strong>zur</strong> Entwicklung allgemein akzeptierter Verfahren für die Kostendeckung sollten in erster Linie<br />

einfache und überschaubare Maßnahmen ergriffen werden, wie z. B. die Vermin<strong>der</strong>ung von<br />

Subventionen o<strong>der</strong> die Einführung (bzw. Beibehaltung) von Entgelten und Gebühren für<br />

<strong>Wasser</strong>entnahmen und Gewässerverschmutzung. Die Erträge solcher Gebühren o<strong>der</strong> Entgelte sollten<br />

vorzugsweise direkt und verursachergerecht in die Vermin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gewässerbelastung investiert<br />

werden („earmarking“).<br />

Ökologisch und ganzheitlich orientierte Ziele für den Zustand <strong>der</strong> Gewässer, Strategien gegen die<br />

<strong>Wasser</strong>verschmutzung durch gefährliche Stoffe, Einzugsgebietsbewirtschaftung und öffentliche<br />

Beteiligung – dies sind die Hauptwerkzeuge und Ziele, in <strong>der</strong>en Rahmen die <strong>Wasser</strong>gebührenpolitik<br />

gesehen werden sollte.<br />

Die Einführung des Kostendeckungsprinzips für <strong>Wasser</strong>dienstleistungen in <strong>der</strong> WRRL ist keine<br />

leichte Aufgabe gewesen. Während des Gesetzgebungsprozesses kam <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>stand gegen <strong>EU</strong>weite,<br />

verbindliche Verpflichtungen für die <strong>Wasser</strong>gebührenpolitik vor allem aus den Mitgliedstaaten<br />

mit dem größten Potential für wirtschaftliche Instrumente <strong>im</strong> Gewässerschutz. Die politischen Hürden<br />

für wirtschaftliche Instrumente in <strong>der</strong> europäischen <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> bleiben hoch. Auch für das<br />

21 Roth, E., Water Pricing in the <strong>EU</strong>: A review, <strong>EEB</strong> Brussels 2000<br />

22 Ibid<br />

44


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Kostendeckungsprinzip des Artikels 9 <strong>der</strong> WRRL gilt <strong>der</strong> typische zweistufige Ansatz, <strong>der</strong> die<br />

Entwicklung konkreter Empfehlungen und Ziele zukünftigen Richtlinien überlässt.<br />

Die Kommission ist stark an einer harmonisierten <strong>Wasser</strong>gebührenpolitik interessiert und legte bereits<br />

<strong>im</strong> Juli 2000 eine Mitteilung mit dem Ziel vor 23 , Empfehlungen für die Durchführung <strong>der</strong><br />

<strong>Wasser</strong>gebührenpolitik unter <strong>der</strong> WRRL aufzustellen.<br />

4.6.2. Vertiefte Analyse<br />

4.6.2.1. <strong>Wasser</strong>gebühren und Kostendeckung je Sektor<br />

Artikel 9 <strong>der</strong> WRRL verpflichtet die Mitgliedstaaten, “den Grundsatz <strong>der</strong> Deckung <strong>der</strong> Kosten <strong>der</strong><br />

<strong>Wasser</strong>dienstleistungen einschließlich umwelt- und ressourcenbezogener Kosten” zu berücksichtigen.<br />

Artikel 9 verlangt weiterhin von den Mitgliedstaaten bis 2010:<br />

• dass die <strong>Wasser</strong>gebührenpolitik angemessene Anreize für die Benutzer darstellt,<br />

<strong>Wasser</strong>ressourcen effizient zu nutzen, und somit zu den Umweltzielen <strong>der</strong> WRRL beiträgt;<br />

• dass die verschiedenen <strong>Wasser</strong>nutzungen unter Berücksichtigung des Verursacherprinzips einen<br />

angemessenen Beitrag <strong>zur</strong> Deckung <strong>der</strong> Kosten <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>dienstleistungen leisten.<br />

Die erste Anfor<strong>der</strong>ung ist sehr wichtig, denn sie macht klar, dass die <strong>Wasser</strong>gebührenpolitik<br />

innerhalb des Rahmens <strong>der</strong> Umweltziele <strong>der</strong> WRRL gesehen und eingesetzt werden muss.<br />

Die zweite Anfor<strong>der</strong>ung legt fest, dass <strong>Wasser</strong>nutzungen mindestens in die Sektoren Industrie,<br />

Haushalte und Landwirtschaft aufzuglie<strong>der</strong>n sind, was für die Wirksamkeit und Transparenz <strong>der</strong><br />

Gebührengestaltung von großer Bedeutung ist. Problematisch ist <strong>der</strong> Begriff “angemessener” Beitrag,<br />

<strong>der</strong> großen Interpretationsspielraum eröffnet. Darüber hinaus ist die Kostendeckung auf<br />

<strong>Wasser</strong>dienstleistungen beschränkt, die in Artikel 2(38) als „alle Dienstleistungen (Entnahmen,<br />

Aufstauung, Speicherung, Abwassersammlung und –behandlung) für Haushalte, öffentliche<br />

Einrichtungen o<strong>der</strong> wirtschaftliche Tätigkeiten…“ definiert sind. Dies ist eine deutliche Einschränkung<br />

gegenüber dem allgemeinen Begriff <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>nutzung.<br />

4.6.2.2. Wirtschaftliche Analyse<br />

Grundlage für die Anwendung des Kostendeckungs- und des Verursacherprinzips für<br />

<strong>Wasser</strong>dienstleistungen ist die wirtschaftliche Analyse für jede Flussgebietseinheit, die bis 2004<br />

abgeschlossen sein muss.<br />

Nach Anhang III <strong>der</strong> Richtlinie sollte die wirtschaftliche Analyse hinreichende Informationen für die<br />

Anwendung dieser Prinzipien enthalten. Dies umfasst auch die Abschätzung von Umweltkosten.<br />

Anhang III for<strong>der</strong>t weiterhin langfristige Voraussagen für das Angebot und die Nachfrage von<br />

<strong>Wasser</strong> in <strong>der</strong> Flussgebietseinheit, was angesichts <strong>der</strong> möglichen Dargebotsän<strong>der</strong>ungen durch die<br />

Kl<strong>im</strong>aän<strong>der</strong>ung sehr wichtig ist.<br />

Die wirtschaftliche Analyse und die <strong>zur</strong> Realisierung des Kostendeckungsprinzips für<br />

<strong>Wasser</strong>dienstleistungen geplanten Schritte müssen unter öffentlicher Beteiligung und Information in<br />

23 KOM 2000(477) Mitteilung <strong>der</strong> Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und<br />

Szialausschuss, Die Preisgestaltung als politisches Instrument <strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung eines nachhaltigen Umgangs mit<br />

<strong>Wasser</strong>ressourcen<br />

45


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

den Bewirtschaftungsplänen aufgeführt werden. Dies ermöglicht den Interessensgruppen und <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit Einfluss darauf zu nehmen, wie weit ihre Regierung in Richtung kostendecken<strong>der</strong><br />

<strong>Wasser</strong>preise und Internalisierung von externen (Umwelt-) Kosten zu gehen bereit ist.<br />

4.6.3. Ausnahmen von <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>gebührenpolitik und <strong>der</strong> Anwendung<br />

<strong>der</strong> Kostendeckung<br />

Aufgrund <strong>der</strong> obengenannten großen Wi<strong>der</strong>stände von Mitgliedstaaten mit geringem<br />

Kostendeckungsniveau für <strong>Wasser</strong>dienstleistungen (vor allem Spanien und Irland) sind in <strong>der</strong> WRRL<br />

weitgefasste Ausnahmen von <strong>der</strong> Kostendeckungsverpflichtung für <strong>Wasser</strong>dienstleistungen und von<br />

<strong>der</strong> Gebührenpolitik vorgesehen.<br />

Bei <strong>der</strong> Schaffung ihrer <strong>Wasser</strong>gebührenpolitik unter Artikel 9 können Mitgliedstaaten die sozialen,<br />

ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen <strong>der</strong> Kostendeckung sowie die geographischen und<br />

kl<strong>im</strong>atischen Gegebenheiten berücksichtigen. Dies ist in einigen Fällen sicher gerechtfertigt, doch<br />

erlaubt diese Ausnahme viel Spielraum.<br />

Darüber hinaus können Mitgliedstaaten best<strong>im</strong>mte <strong>Wasser</strong>nutzungen (z. B. die Bewässerung) von<br />

<strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>gebührenpolitik ausnehmen, falls dadurch die Erreichung <strong>der</strong> Umweltziele <strong>der</strong> WRRL<br />

nicht gefährdet wird.<br />

Mitgliedstaaten können best<strong>im</strong>mte <strong>Wasser</strong>nutzungen von den Zielen des Artikel 9 ausnehmen.<br />

Die Mitgliedstaaten müssen allerdings in den Bewirtschaftungsplänen erläutern, warum sie best<strong>im</strong>mte<br />

<strong>Wasser</strong>nutzungen von <strong>der</strong> Gebührenpolitik ausnehmen. Zusammen mit einer hinreichend detaillierten<br />

wirtschaftlichen Analyse <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>nutzungen <strong>im</strong> Einzugsgebiet sollten Regierungen soweit unter<br />

Druck gesetzt werden, dass sie nur dann subventionierte <strong>Wasser</strong>preise erlauben, wenn die<br />

Öffentlichkeit die Übernahme <strong>der</strong> anfallenden externen Kosten dieser <strong>Wasser</strong>nutzungen akzeptiert.<br />

4.6.4. Politische Handlungsmöglichkeiten<br />

Auf Ebene <strong>der</strong> Flusseinzugsgebiete bzw. Flussgebietseinheiten<br />

• Beteiligung am Prozess <strong>der</strong> Flussgebietsanalyse (wirtschaftliche Analyse, beson<strong>der</strong>s hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Umweltkosten von <strong>Wasser</strong>nutzungen, wichtig sind die landwirtschaftlichen Aktivitäten).<br />

• Beteiligung am Entstehungsprozess <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne, insbeson<strong>der</strong>e um die Ausnahmen<br />

für best<strong>im</strong>mte <strong>Wasser</strong>nutzungen von <strong>der</strong> Gebührenpolitik zu beschränken.<br />

Auf Ebene <strong>der</strong> Mitgliedstaaten<br />

• Sicherung <strong>der</strong> vollständigen und korrekten Umsetzung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie in nationale<br />

Gesetzgebung.<br />

• Einfor<strong>der</strong>ung konkreter Maßnahmen wie: Identifikation und Transparenz <strong>der</strong> Subventionen <strong>im</strong><br />

<strong>Wasser</strong>bereich, wobei vor allem “gegenläufige” Subventionen gestrichen und Win-Win-<br />

Situationen ausgeschöpft werden müssen; Steuern o<strong>der</strong> Gebühren für <strong>Wasser</strong>nutzung (Entnahme<br />

und Verschmutzung) als wichtiges Instrument für die Einbeziehung <strong>der</strong> Umweltkosten, sowie<br />

Earmarking <strong>der</strong> Steuern und Gebühren, um damit die Reduzierung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>verschmutzung<br />

und Ausbeutung finanziell direkt zu unterstützen.<br />

Auf <strong>EU</strong>-Ebene<br />

• Die Kommission und den Rat drängen, hinreichende Kriterien für die wirtschaftliche Analyse<br />

46


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

(einschließlich <strong>der</strong> Umweltkosten) vorzulegen.<br />

• Klare Empfehlungen einfor<strong>der</strong>n, wie die Kostendeckung bei <strong>Wasser</strong>dienstleistungen und<br />

<strong>Wasser</strong>gebühren für eine nachhaltige Ressourcennutzung in harmonisierter Weise realisiert<br />

werden sollen.<br />

47


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

4.7. Fristen<br />

Die <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie wurde am 22. Dezember 2000 <strong>im</strong> Amtsblatt <strong>der</strong> Europäischen<br />

Gemeinschaften als Richtlinie 2000/60/EG veröffentlicht (L 327/1). Damit ist <strong>der</strong> 22. Dezember<br />

2000 als Datum des Inkrafttretens <strong>der</strong> Richtlinie maßgeblicher Stichtag für alle nachstehend<br />

aufgeführten Fristen (z. B. bedeutet 2003 den 22. Dezember 2003).<br />

Artikel Aktivitäten auf Ebene <strong>der</strong> Mitgliedstaaten Frist<br />

4(1)(a)(i) Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verschlechterung des Zustands von<br />

Oberflächengewässern und Grundwasser<br />

24(1) Umsetzung <strong>der</strong> Richtlinie in nationales Recht 2003<br />

3(7) und<br />

24(1)<br />

Verabschiedung <strong>der</strong> nationalen Gesetze und Verordnungen (in<br />

Deutschland Bund und Län<strong>der</strong>) als auch aller<br />

Verwaltungsvorschriften, einschließlich <strong>der</strong> Benennung <strong>der</strong> für die<br />

Flusseinzugsgebiete zuständigen Behörden<br />

3(8) Übermittlung an die Kommission einer Liste <strong>der</strong> für die nationalen<br />

und internationalen Flusseinzugsgebiete zuständigen Behörden<br />

5(1) und (2) Analyse <strong>der</strong> Merkmale <strong>der</strong> Flusseinzugsgebiete, Überprüfung <strong>der</strong><br />

Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten auf den Zustand <strong>der</strong> Oberflächengewässer<br />

und des Grundwassers, wirtschaftliche Analyse<br />

<strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>nutzung<br />

Aktualisierung <strong>der</strong> Analysen spätestens 13 Jahre nach Inkrafttreten<br />

dieser Richtlinie (2013) und danach alle sechs Jahre<br />

6(1) Verzeichnis <strong>der</strong> Schutzgebiete (einschließlich <strong>der</strong><br />

Trinkwasserschutzgebiete gemäß Artikel 7 <strong>der</strong> WRRL)<br />

17(4)<br />

Nationale Kriterien für die Beurteilung eines guten chemischen<br />

Zustands des Grundwassers und für die Ermittlung signifikanter und<br />

anhalten<strong>der</strong> Trends <strong>zur</strong> Zunahme sowie für die Festlegung <strong>der</strong><br />

Ausgangspunkte für die Trendumkehr (falls bis dahin keine Kriterien<br />

auf <strong>EU</strong>-Ebene verabschiedet wurden)<br />

8(2) Überwachungsprogramme für den Zustand <strong>der</strong><br />

Oberflächengewässer, des Grundwassers und <strong>der</strong> Schutzgebiete<br />

anwendungsbereit<br />

16(8) Festsetzung von Umweltqualitätsnormen und<br />

Emissionsbegrenzungen für prioritäre Stoffe (falls bis dahin keine<br />

<strong>EU</strong>-weiten Maßnahmen erlassen sind)<br />

Entsprechende Maßnahmen <strong>der</strong> Mitgliedstaaten für Stoffe auf<br />

nachfolgenden Prioritätenlisten jeweils 5 Jahre nach Annahme <strong>der</strong><br />

Liste<br />

14(1) Zeitplan und Arbeitsprogramm für die Aufstellung <strong>der</strong><br />

Bewirtschaftungspläne (einschließlich einer Erläuterung <strong>der</strong><br />

betreffenden Anhörungsmaßnahmen)<br />

14(1) Veröffentlichung eines vorläufigen Überblicks über die für das<br />

Einzugsgebiet festgestellten wichtigen <strong>Wasser</strong>bewirtschaftungsfragen<br />

48<br />

2003 o<strong>der</strong> 2004?<br />

2003<br />

22. Juni 2004<br />

2004<br />

2004<br />

2005<br />

2006<br />

2006<br />

2006<br />

2007


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

14(1) Veröffentlichung von Entwürfen <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne für die<br />

Einzugsgebiete<br />

13(6) und<br />

(7)<br />

11(7) und<br />

(8)<br />

Veröffentlichung <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete<br />

Aktualisierung <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne 2015 und alle sechs<br />

Jahre danach (wobei die Anhörungsphase – wie oben für den ersten<br />

Plan ausgeführt – <strong>im</strong>mer jeweils drei Jahre vor <strong>der</strong><br />

Planveröffentlichung beginnt)<br />

Aufstellung <strong>der</strong> Maßnahmenprogramme<br />

Maßnahmenprogramme vollständig in die Praxis umgesetzt<br />

Überprüfung und nötigenfalls Aktualisierung <strong>der</strong><br />

Maßnahmenprogramme 2015 und alle sechs Jahre danach<br />

9(1) Angemessene Anreize in <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>gebührenpolitik <strong>zur</strong> effizienten<br />

Nutzung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>ressourcen und Deckung <strong>der</strong> Kosten für<br />

<strong>Wasser</strong>dienstleistungen<br />

10(2) Festsetzung von Umweltqualitätsnormen und<br />

Emissionsbegrenzungen (bzw. <strong>der</strong> besten verfügbaren<br />

Umweltpraxis) gemäß dem kombinierten Ansatz<br />

4(1)(a)(ii),<br />

4(1)(b)(ii)<br />

und 4(1)(c)<br />

Erreichen des guten Zustands für Oberflächengewässer und<br />

Grundwasser (ohne Verlängerung)<br />

Erreichen aller Normen und Ziele für Schutzgebiete<br />

4(4)(c) Erreichen des guten Zustands für Oberflächengewässer und<br />

Grundwasser bei max<strong>im</strong>aler Verlängerung (ohne Genehmigung <strong>der</strong><br />

Kommission)<br />

16(6) Beendigung <strong>der</strong> Ableitungen, Emissionen und Freisetzungen<br />

prioritärer gefährlicher Stoffe<br />

49<br />

2008<br />

2009<br />

2009<br />

2012<br />

1. Januar 2010<br />

2012<br />

2015<br />

2027<br />

Artikel Maßnahmen auf <strong>EU</strong>-Ebene Frist<br />

22(2) Aufhebung von Artikel 6 <strong>der</strong> Richtlinie 76/464/EWG 2000<br />

Spätestens 20<br />

Jahre nach<br />

Annahme <strong>der</strong><br />

jeweiligen <strong>EU</strong>weiten<br />

Maßnahmen<br />

16(2) Kommissionsvorschlag für eine erste Liste prioritärer Stoffe Februar 2000<br />

(siehe Kapitel<br />

4.4.2.3)<br />

16(4) Erste Überprüfung <strong>der</strong> Liste prioritärer Stoffe<br />

Anschließend alle weiteren vier Jahre<br />

2004


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

16(8) Kommissionsvorschlag für Maßnahmen betreffend prioritärer und<br />

prioritärer gefährlicher Stoffe<br />

17(1) Kommissionsvorschlag für Maßnahmen <strong>zur</strong> Verhin<strong>der</strong>ung und<br />

Begrenzung <strong>der</strong> Verschmutzung von Grundwasser<br />

22(1) Aufhebung <strong>der</strong> Richtlinien 75/440/EWG (Qualitätsanfor<strong>der</strong>ungen an<br />

Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung), 77/795/EWG<br />

(Gemeinsames Verfahren zum Informationsaustausch über die<br />

Qualität des Oberflächensüßwassers) und 79/869/EWG<br />

(Meßmethoden und Häufigkeit <strong>der</strong> Analysen des<br />

Oberflächenwassers für die Trinkwassergewinnung)<br />

50<br />

Spätestens 2<br />

Jahre nach<br />

Annahme <strong>der</strong><br />

Liste prioritärer<br />

Stoffe<br />

18(1) Kommissionsberichte über die Umsetzung <strong>der</strong> WRRL 2012, und alle<br />

sechs Jahre<br />

darauf<br />

22(2) Aufhebung <strong>der</strong> Richtlinien 78/659/EWG (Fischgewässer-Richtlinie),<br />

79/923/EWG (Muschelgewässer-Richtlinie), 80/68/EWG<br />

(Grundwasser-Richtlinie), 76/464/EWG (Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor<br />

gefährlichen Stoffen, wobei Artikel 6 von 76/464/EWG bereits per<br />

22.12.2000 aufgehoben wurde)<br />

2002<br />

2007<br />

2013<br />

19(2) Überprüfung <strong>der</strong> WRRL durch die <strong>EU</strong>-Kommission 2019


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

5. Kernpunkte und Handlungsmöglichkeiten für NGOs<br />

<strong>zur</strong> Verbesserung des Gewässerschutzes <strong>im</strong><br />

<strong>Zeichen</strong> <strong>der</strong> WRRL<br />

5.1. Einleitung<br />

Überall in <strong>der</strong> <strong>EU</strong> sind Umsetzung und Vollzug <strong>der</strong> Gesetze <strong>im</strong> Umweltbereich un<strong>zur</strong>eichend. Auch<br />

<strong>im</strong> Bereich <strong>Wasser</strong> ist die Wirksamkeit <strong>der</strong> Gesetzgebung durch halbherzige o<strong>der</strong> gar fehlende<br />

Umsetzung und unvollständige Anwendung stark eingeschränkt. Dafür sind vor allem drei Gründe<br />

verantwortlich:<br />

• Mangel an Personal und Finanzmitteln <strong>im</strong> Bereich Gewässerschutz;<br />

• zersplitterte und wi<strong>der</strong>sprüchliche Gesetze <strong>im</strong> <strong>Wasser</strong>bereich;<br />

• ein Mangel an Integration des Gewässerschutzes in an<strong>der</strong>e Politikbereiche <strong>der</strong> <strong>EU</strong>.<br />

Die neue <strong>EU</strong>-<strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie behebt vor allem die Zersplitterung und Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit<br />

<strong>im</strong> europäischen <strong>Wasser</strong>recht. Allerdings hängt die integrative Wirkung <strong>der</strong> WRRL noch stark von<br />

den nachfolgenden politischen und technischen Prozessen ab, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Ausarbeitung <strong>der</strong><br />

Tochterrichtlinien. Dabei wird <strong>der</strong> Vielfalt <strong>der</strong> Expertennetzwerke und Ausschüsse eine<br />

entscheidende Rolle zukommen. 24<br />

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die europäischen Umweltverbände die personelle<br />

und finanzielle Kapazität haben, die Vielfalt dieser teilweise sehr technischen Prozesse adäquat zu<br />

begleiten und zu kontrollieren. Hierfür sind sicherlich höhere Finanzmittel <strong>zur</strong> Unterstützung <strong>der</strong><br />

NGO-Arbeit nötig, zugleich aber auch eine verstärkte Konzentration und Prioritätensetzung seitens<br />

<strong>der</strong> Umweltverbände.<br />

Eine Gesundung <strong>der</strong> vielen übernutzten und verschmutzten Gewässer in Europa wird durch die<br />

WRRL nur dann geleistet werden können, wenn <strong>der</strong> politische Wille <strong>zur</strong> umfassenden Einbindung <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit und aller interessierten Kreise vorhanden ist und es den zuständigen Behörden<br />

ermöglicht wird, die Best<strong>im</strong>mungen <strong>der</strong> WRRL vollständig umzusetzen und anzuwenden.<br />

Das vorliegende <strong>Handbuch</strong> verdeutlicht die ungewöhnliche Bandbreite <strong>der</strong> WRRL. Es zeigt auch die<br />

Vielzahl <strong>der</strong> noch ausstehenden politischen Entscheidungen, von denen die Qualität <strong>der</strong> zukünftigen<br />

gemeinschaftsweiten Standards und damit die Verbesserung des Gewässerzustands in <strong>der</strong> <strong>EU</strong><br />

abhängen. Die relevanten Entscheidungen werden auf drei politischen Ebenen getroffen, den<br />

Flussgebietseinheiten (bzw. den Einzugsgebieten), den Mitgliedstaaten und <strong>der</strong> <strong>EU</strong>-Ebene.<br />

24 Solche Expertennetzwerke und Ausschüsse haben ihre Arbeit teilweise bereits aufgenommen, o<strong>der</strong> werden, wie<br />

bei <strong>der</strong> Interkalibrierung des ökologischen Zustands, von <strong>der</strong> Kommission eingesetzt. An<strong>der</strong>e sind eher informell<br />

(z. B. Kosten für <strong>Wasser</strong>dienstleistungen) o<strong>der</strong> befassen sich auf nationaler Ebene mit den Verfahren <strong>zur</strong><br />

Bewertung des ökologischen Zustands.<br />

51


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

5.2. Auf <strong>der</strong> Ebene des Flusseinzugsgebiets bzw. <strong>der</strong><br />

Flussgebietseinheiten<br />

Die für die Öffentlichkeitsbeteiligung entscheidenden Prozesse auf dieser politischen Ebene sind die<br />

bis Dezember 2004 durchzuführende umfassende Analyse <strong>der</strong> Flusseinzugsgebiete und die Erstellung<br />

<strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne bis 2009. 25<br />

Wie kann dabei eine angemessene Anhörung und Beteiligung <strong>der</strong> Öffentlichkeit gesichert werden?<br />

Voraussetzung für die Beteiligung und das Interesse <strong>der</strong> Öffentlichkeit ist Information. Deshalb<br />

müssen die für die Erstellung des Bewirtschaftungsplans verantwortlichen Behörden für vollständige<br />

Offenlegung aller Aspekte und Ziele <strong>der</strong> Pläne sorgen. Sie sollten dies schon aus eigenem Interesse<br />

tun, denn je größer die öffentliche Beteiligung, desto fundierter werden die Pläne ausfallen, und desto<br />

besser sind sie legit<strong>im</strong>iert und von <strong>der</strong> öffentlichen Meinung getragen. Lei<strong>der</strong> betrachten viele Beamte<br />

die Beteiligung <strong>der</strong> Öffentlichkeit <strong>im</strong>mer noch als eine lästige Pflicht o<strong>der</strong> gar als eine Behin<strong>der</strong>ung<br />

ihrer Tätigkeit.<br />

Vielfältige Möglichkeiten sind denkbar, um das öffentliche Interesse an den Bewirtschaftungsplänen<br />

zu stärken und die Zivilgesellschaft zu qualifizierten Beiträgen zu ermutigen. Erste Voraussetzung<br />

dafür ist natürlich die schriftliche Darlegung <strong>der</strong> Umwelt- und <strong>Wasser</strong>nutzungsprobleme <strong>im</strong><br />

Einzugsgebiet als auch <strong>der</strong> zu ihrer Bekämpfung vorgesehenen Maßnahmen. Darüber hinaus sind<br />

jedoch Einzugsgebietskonferenzen unter Beteiligung <strong>der</strong> interessierten Kreise als auch <strong>der</strong><br />

allgemeinen Öffentlichkeit nötig, um einen opt<strong>im</strong>alen Informationsfluss zwischen Bevölkerung und<br />

Behörden und umgekehrt zu sichern.<br />

Öffentliche Ausstellungen über das jeweilige Flusseinzugsgebiet mit seinen charakteristischen<br />

Eigenschaften und Problemen sowie über mögliche Strategien <strong>zur</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Gewässer<br />

könnten eine beson<strong>der</strong>s effektive Form <strong>der</strong> Öffentlichkeitsbeteiligung darstellen. NGOs könnten bei<br />

<strong>der</strong> Erarbeitung und Durchführung solcher Ausstellungen eine entscheidende Rolle als Mittler<br />

zwischen Behörden und Öffentlichkeit spielen. Solche Ausstellungen sollten möglichst einen direkten<br />

<strong>Wasser</strong>bezug haben o<strong>der</strong> noch besser direkt auf dem <strong>Wasser</strong>, etwa auf einem Binnenschiff,<br />

stattfinden. Damit ließe sich die natürliche Anziehungskraft des <strong>Wasser</strong>s unmittelbar in öffentliches<br />

Interesse für den Schutz dieses Naturelements umsetzen.<br />

5.2.1. Bei <strong>der</strong> Analyse des Einzugsgebiets<br />

• Analyse <strong>der</strong> Merkmale des Einzugsgebiets<br />

• Identifizierung von Grundwasserkörpern einschließlich Feuchtgebieten und sonstigen<br />

Ökosystemen, die von Grundwasser abhängig sind<br />

• Analyse <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>entnahmen<br />

• Überprüfung <strong>der</strong> Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten auf den Zustand <strong>der</strong> Oberflächengewässer<br />

und des Grundwassers, insbeson<strong>der</strong>e Identifizierung <strong>der</strong> betreffenden<br />

Schadstoffe und Verschmutzer<br />

25 Die Beteiligung <strong>der</strong> Öffentlichkeit bei <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne erfolgt in Stufen:<br />

Veröffentlichung von Zeitplan und Arbeitsprogramm für die Aufstellung <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne bis Dezember<br />

2006, Veröffentlichung eines vorläufigen Überblicks über die für das Einzugsgebiet wichtigen<br />

<strong>Wasser</strong>bewirtschaftungsfragen bis Dezember 2007, Veröffentlichung von Entwürfen <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne<br />

bis Dezember 2008.<br />

52


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

• wirtschaftliche Analyse <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>nutzung mit Schwerpunkt auf den Umwelt- und<br />

Ressourcenkosten für die Nutzung von <strong>Wasser</strong> (zentral hierbei ist die landwirtschaftliche<br />

Bewässerung).<br />

5.2.2. Bei <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne<br />

Prinzipiell sollen alle für ein Flusseinzugsgebiet wichtigen Aspekte <strong>der</strong> zukünftigen <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> <strong>im</strong><br />

jeweiligen Bewirtschaftungsplan dargelegt werden. Das übergeordnete Ziel für alle Gewässer ist<br />

dabei die Erreichung eines guten Zustands, wobei die WRRL zahlreiche Ausnahmen von diesem Ziel<br />

vorsieht. Die Entscheidung über die Anwendung dieser Ausnahmen fällt in den Flusseinzugsgebieten,<br />

und sie müssen von den Behörden in den Bewirtschaftungsplänen öffentlich begründet und<br />

gerechtfertigt werden. Starkes öffentliches Interesse und die Beteiligung von NGOs können daher<br />

dazu beitragen, dass die Behörden überzogene For<strong>der</strong>ungen nach Ausnahmen zum Beispiel von<br />

Verschmutzern ablehnen können.<br />

Unter dem Strich sichert die Beteiligung von NGOs an <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne,<br />

dass nicht allein die Interessen <strong>der</strong> Nutzer, son<strong>der</strong>n auch das öffentliche Interesse <strong>der</strong><br />

Zivilgesellschaft an intakten Gewässern berücksichtigt wird. Schließlich darf nicht vergessen werden,<br />

dass Flüsse, Seen, Grundwasser und auch Küstengewässer, über <strong>der</strong>en Zukunft die<br />

Bewirtschaftungspläne entscheiden, öffentliche Güter sind.<br />

Folgende in den Bewirtschaftungsplänen zu treffende Entscheidungen sollten beson<strong>der</strong>s stark<br />

beobachtet und beeinflusst werden:<br />

• Die Anwendung von Fristverlängerungen und Ausnahmen bzgl. des Erreichens des guten<br />

Zustands für Oberflächen- und Grundwasser;<br />

• Die Anwendung von Ausnahmen vom Prinzip kostendecken<strong>der</strong> Preise und <strong>der</strong> Einbeziehung von<br />

Ressourcenkosten;<br />

• Die Ausweisung von Gewässern als “stark verän<strong>der</strong>t”;<br />

• Die Festsetzung von Umweltqualitätsnormen für die Gewässer des Flusseinzugsgebiets.<br />

5.3. Auf Ebene <strong>der</strong> Mitgliedstaaten<br />

Die wichtigsten auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Mitgliedstaaten zu vollziehenden politischen Schritte sind die<br />

Umsetzung <strong>der</strong> WRRL in nationales Recht (bis Dezember 2003) und die Einführung eines nationalen<br />

gewässerökologischen Bewertungssystems. Die Umsetzung in nationales Recht erfor<strong>der</strong>t die<br />

Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Parlamente (in Deutschland Bund und Län<strong>der</strong>), so dass <strong>zur</strong> Beeinflussung dieses<br />

Schritts politischer Druck auf die Abgeordneten und die beteiligten Ministerien nötig ist. Die<br />

Einführung des gewässerökologischen Bewertungssystems obliegt den <strong>Wasser</strong>behörden, die<br />

wie<strong>der</strong>um von den Bundes- und Län<strong>der</strong>regierungen kontrolliert werden. Sicher wird es nicht einfach<br />

für Umweltverbände sein, den recht technischen Entwicklungsprozess des ökologischen<br />

Bewertungssystems zu beeinflussen. Trotzdem sollte wegen <strong>der</strong> überragenden Bedeutung dieses<br />

Systems jede Gelegenheit genutzt werden, dabei die höchstmöglichen Standards zu verankern.<br />

Die WRRL räumt den Mitgliedstaaten bei <strong>der</strong> Umsetzung in nationales Recht erheblichen Spielraum<br />

für anspruchsvollere, weitergehende Best<strong>im</strong>mungen ein. Die Regierungen sollten daher dazu<br />

aufgefor<strong>der</strong>t werden, über das von <strong>der</strong> WRRL vorgeschriebene absolute Min<strong>im</strong>um <strong>der</strong><br />

<strong>Wasser</strong>gesetzgebung hinauszugehen. Außerdem sollte darauf gedrängt werden, die Richtlinie ohne<br />

Verzögerung fristgerecht umzusetzen.<br />

Die Erreichung des guten Zustands<br />

53


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Die WRRL verpflichtet die Mitgliedstaaten, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um<br />

mindestens einen guten Zustand aller Gewässer zu erreichen. Nichts spricht dagegen, darüber<br />

hinaus gehende Maßnahmenprogramme aufzustellen. Schon aus diesem Grund sollten die<br />

Umweltverbände genauestens prüfen, welche rechtlichen Best<strong>im</strong>mungen für die<br />

Maßnahmenprogramme die Regierung in nationales Recht aufn<strong>im</strong>mt.<br />

Grundwasserschutz<br />

Die Umsetzung <strong>der</strong> Best<strong>im</strong>mungen zum Grundwasserschutz ist beson<strong>der</strong>s heikel, da die WRRL für<br />

Grundwasser keine klar definierten Standards festgelegt hat. Diese Standards sollen <strong>im</strong> Prinzip in <strong>der</strong><br />

unter Artikel 17 vorgesehenen Folgegesetzgebung verankert werden, bis zu <strong>der</strong>en Verabschiedung<br />

allerdings noch mehrere Jahre verstreichen können. Damit bleibt die bestehende Grundwasser-<br />

Richtlinie (80/68/EWG), die erst <strong>im</strong> Dezember 2013 aufgehoben werden soll, bezüglich<br />

Grundwasser Dreh- und Angelpunkt für die Umsetzung <strong>der</strong> WRRL in nationales Recht. Die NGOs<br />

sollten vor allem darauf achten, dass das Prinzip <strong>der</strong> Vermeidung <strong>der</strong> Grundwasserverschmutzungen,<br />

wie es die Grundwasser-Richtlinie vorsieht, vollständig in die nationale Gesetzgebung übernommen<br />

wird. Außerdem sollten strenge nationale Kriterien <strong>zur</strong> Bewertung des Grundwasserzustands<br />

eingeführt werden, z. B. durch Übernahme <strong>der</strong> Grenzwerte <strong>der</strong> <strong>EU</strong>-Trinkwasser-Richtlinie als<br />

Bedingung für den guten Zustand. Strenge nationale Kriterien sind auch für die Identifikation <strong>der</strong><br />

signifikanten und anhaltenden Trends steigen<strong>der</strong> Schadstoffkonzentrationen <strong>im</strong> Grundwasser<br />

wesentlich. Hier sollten sich die Umweltverbände für vorsorgende Vermeidungsmaßnahmen<br />

einsetzen, um Trends schon in ihrer Entwicklung zu verhin<strong>der</strong>n, und keine weiteren Verzögerungen<br />

akzeptieren.<br />

Kostendeckung <strong>im</strong> <strong>Wasser</strong>sektor<br />

Bei <strong>der</strong> Deckung <strong>der</strong> Kosten für <strong>Wasser</strong>dienstleistungen sollten die Umweltverbände konkretere<br />

Aktivitäten for<strong>der</strong>n als die Mindestvorschriften <strong>der</strong> WRRL. So sollten zum Beispiel alle Subventionen<br />

<strong>im</strong> <strong>Wasser</strong>sektor offengelegt werden, die sogenannten “gegenläufigen Subventionen” auslaufen und<br />

dabei sich ergebende Win-Win Situationen ausgeschöpft werden. Entgelte und Gebühren für<br />

<strong>Wasser</strong>entnahmen und Gewässerverschmutzung sollten als ein Beitrag zu den Umwelt- und<br />

Ressourcenkosten <strong>der</strong> Gewässernutzung beibehalten bzw. eingeführt werden. Die Erträge solcher<br />

Gebühren o<strong>der</strong> Entgelte sollten vorzugsweise direkt und verursachergerecht in die Vermin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Gewässerbelastung investiert werden.<br />

Typspezifische Referenzbedingungen<br />

Die Umweltverbände sollten auch versuchen, den Prozess <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> typspezifischen<br />

Referenzbedingungen zu beeinflussen. Das ist erstens wichtig, da typspezifische<br />

Referenzbedingungen, die einem vom Menschen unbeeinträchtigten Zustand möglichst nahe kommen,<br />

automatisch einem besseren Schutz von Gewässern mit „sehr gutem Zustand“ bedingen. Zweitens<br />

wird dadurch indirekt auch ein ambitionierteres Ziel für den guten ökologischen Zustand gesetzt.<br />

Welche Behörde ist zuständig?<br />

Die Entscheidung, welche Behörde für den Bewirtschaftungsplan einer Flussgebietseinheit<br />

verantwortlich ist, ist ebenfalls von großer Bedeutung. Die Mitgliedstaaten können entwe<strong>der</strong> eine<br />

eigene zuständige Behörde schaffen, o<strong>der</strong> die bestehenden Behörden zu Koordination und<br />

Kooperation bei <strong>der</strong> Erstellung des Bewirtschaftungsplans verpflichten. Die schwierigen Probleme <strong>im</strong><br />

Gewässerschutz (und die nicht selten lähmende Konkurrenz zwischen den verschiedenen für <strong>Wasser</strong><br />

zuständigen sektoralen Behörden) dürften erheblich besser in den Händen einer echten<br />

Flussgebietsbehörde mit umfassenden Kompetenzen aufgehoben sein. In Deutschland ist die<br />

Entscheidung gegen echte Flussgebietsbehörden, d.h. für eine Beschränkung auf die Kooperation <strong>der</strong><br />

54


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

bestehenden Behörden allerdings bereits beschlossene Sache.<br />

5.4. Auf <strong>EU</strong>-Ebene<br />

Ausarbeitung <strong>der</strong> spezifischen Umweltziele<br />

Das Verfahren <strong>zur</strong> Ausarbeitung <strong>der</strong> spezifischen WRRL-Umweltziele und <strong>der</strong> technischen<br />

Grundlagen dafür beruht auf internationalen Expertennetzwerken und wissenschaftlichen<br />

Ausschüssen. Die öffentliche Einflussnahme auf diesen Prozess wird voraussichtlich sehr begrenzt<br />

sein. Dennoch sollten sich die Umweltverbände unbedingt in dieses überaus wichtige Verfahren<br />

einarbeiten, und folgende Eckpunkte for<strong>der</strong>n:<br />

• Die Mitgliedstaaten sollten von Beginn an eng bei <strong>der</strong> Ausarbeitung <strong>der</strong> Umweltziele<br />

kooperieren, um international vergleichbare Umweltziele sicherzustellen (anstatt zunächst jeweils<br />

nationale Systeme zu entwickeln, die dann wie<strong>der</strong> harmonisiert werden müssen).<br />

• Das Verfahren <strong>zur</strong> Interkalibrierung <strong>der</strong> Referenzbedingungen muss sich auf geeignete<br />

Referenzgewässer beziehen. Außerdem müssen die Unter- und Obergrenzen <strong>der</strong><br />

Zustandsklassen präzise definiert und international harmonisiert werden, und zugleich ökologisch<br />

anspruchsvoll sein.<br />

• Alle Mitgliedstaaten müssen sich auf einheitliche Kriterien für die Festlegung des „guten<br />

ökologischen Zustands“ einigen. So sollte zum Beispiel für biologische o<strong>der</strong> physikalischchemische<br />

Qualitätskomponenten die jeweils schlechteste Komponente den Gesamtzustand<br />

festlegen, keinesfalls sollte <strong>der</strong> Durchschnitt aller Qualitätskomponenten Maßstab für den<br />

Zustand sein.<br />

• Die Mitgliedstaaten müssen sich bezüglich Schadstoffeinleitungen auf eine eindeutige und<br />

einheitliche Definition des Begriffs „bedeutende Mengen“ einigen. Nur bei Einleitungen<br />

bedeuten<strong>der</strong> Schadstoffmengen sind die Mitgliedstaaten zum Handeln verpflichtet, und es muss<br />

gewährleistet sein, dass bei vergleichbaren Einleitungen in allen Mitgliedstaaten gleich gehandelt<br />

wird. Nur eine gemeinschaftsweit einheitliche Definition schließt sicher aus, dass es bezüglich<br />

Schadstoffeinleitungen zu einem Wettbewerb niedrigster Gewässerschutzstandards zwischen den<br />

Mitgliedstaaten kommt („Level Playing Field“).<br />

Chemiepolitische Aspekte<br />

Die zukünftigen gemeinschaftsweiten <strong>EU</strong>-Aktivitäten bezüglich prioritären Stoffen müssen sämtlich<br />

ein vollständiges Gesetzgebungsverfahren für Richtlinien o<strong>der</strong> Entscheidungen durchlaufen. Deshalb<br />

wird sich <strong>der</strong> Schwerpunkt <strong>der</strong> NGO-Arbeit hauptsächlich auf die <strong>EU</strong>-Kommission, den Rat und<br />

das Europäische Parlament richten.<br />

Folgende wichtige Entscheidungen stehen an:<br />

• Verabschiedung <strong>der</strong> ersten Liste prioritärer Stoffe (Kommissionsvorschlag liegt seit Februar<br />

2000 vor);<br />

• Kommissionvorschläge für Maßnahmen bezüglich prioritärer Stoffe, spätestens zwei Jahre nach<br />

Verabschiedung <strong>der</strong> Liste prioritärer Stoffe;<br />

• Überprüfung und ggf. Ergänzung <strong>der</strong> ersten Liste prioritärer Stoffe spätestens <strong>im</strong> Dezember<br />

2004.<br />

Wichtige Handlungsmöglichkeiten für NGOs:<br />

• Politischen Druck auf die <strong>EU</strong>-Kommission aufbauen, damit bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> prioritären<br />

55


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Stoffe das Vorsorgeprinzip <strong>zur</strong> Anwendung kommt und nicht zeitraubende und teure<br />

Risikoabschätzungen.<br />

• Deshalb sollte die Kommission aufgefor<strong>der</strong>t werden, die vereinfachte risikobezogene Bewertung<br />

<strong>zur</strong> Grundlage <strong>der</strong> Auswahl prioritärer Stoffe zu machen und das COMMPS-Verfahren für seine<br />

weitere Anwendung zu verbessern.<br />

• Die <strong>EU</strong>-Kommission drängen, strenge Maßnahmen <strong>zur</strong> Begrenzung von prioritären Stoffen und<br />

für die Beendigung o<strong>der</strong> schrittweise Einstellung von Einleitungen, Emissionen und Verlusten<br />

prioritärer gefährlicher Stoffe vorzuschlagen.<br />

• Mitgliedstaaten und Europäisches Parlament drängen, umgehend sowohl die Liste prioritärer<br />

Stoffe als auch die entsprechenden Maßnahmen zum Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor diesen Stoffen zu<br />

verabschieden.<br />

Grundwasserschutz<br />

In Analogie zu den chemikalienrechtlichen Best<strong>im</strong>mungen werden auch die noch ausstehenden<br />

Best<strong>im</strong>mungen <strong>der</strong> WRRL für den Grundwasserschutz ein vollständiges Gesetzgebungsverfahren<br />

durchlaufen. Dies eröffnet die üblichen Einflussmöglichkeiten für NGOs.<br />

Folgende wichtige Entscheidung steht an:<br />

• Vorschlag <strong>der</strong> Kommission für Maßnahmen <strong>zur</strong> Vermeidung und Begrenzung des<br />

Grundwasserverschmutzung bis spätestens Dezember 2002.<br />

Wichtige Handlungsmöglichkeiten für NGOs:<br />

• Politischen Druck auf die Kommission ausüben, eine umfassende und anspruchsvolle Definition<br />

des guten Grundwasserzustands vorzulegen. Insbeson<strong>der</strong>e sollten mehr als zwei Zustandklassen<br />

für Grundwasser eingeführt werden, um ein wirksames Verschlechterungsverbot zu etablieren.<br />

Zweitens sind für einen angemessenen Grundwasserschutz strengere Standards nötig (z. B.<br />

Übernahme <strong>der</strong> Grenzwerte <strong>der</strong> Trinkwasser-Richtlinie).<br />

• Politischen Druck auf die Kommission ausüben, unmissverständliche Kriterien für die Feststellung<br />

signifikanter und anhalten<strong>der</strong> Schadstofftrends <strong>im</strong> Grundwasser zu entwickeln und dabei<br />

konsequent das Vorsorgeprinzip anzuwenden.<br />

• Die Kommission auffor<strong>der</strong>n klarzustellen, wie <strong>der</strong> Nullemissionsansatz für Stoffe auf Liste I <strong>der</strong><br />

bestehenden Grundwasser-Richtlinie (80/68/EWG) mittels <strong>der</strong> WRRL beibehalten werden kann,<br />

wenn die Grundwasser-Richtlinie <strong>im</strong> Dezember 2013 aufgehoben wird.<br />

Kostendeckung <strong>im</strong> <strong>Wasser</strong>sektor<br />

Derzeit erarbeiten internationale Expertennetzwerke Kriterien für die Sicherung <strong>der</strong> Kostendeckung<br />

<strong>im</strong> <strong>Wasser</strong>sektor. In diesem Prozess ist eine Beteiligung von NGOs <strong>zur</strong> Zeit so gut wie<br />

ausgeschlossen. Trotzdem sollten die Umweltverbände Rat und Kommission dazu drängen, die<br />

entsprechenden Kriterien, insbeson<strong>der</strong>e für die wirtschaftliche Analyse <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>nutzungen<br />

(einschließlich Umwelt- und Ressourcenkosten), baldmöglichst vorzulegen.<br />

56


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

6. Zusammenfassung und Fazit<br />

Es ist bedauerlich, dass die <strong>EU</strong>-<strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie hinter den Erwartungen <strong>der</strong> europäischen<br />

Umweltverbände und des Europäischen Parlaments an eine zukunftsorientierte <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

<strong>zur</strong>ückgeblieben ist. Lange Umsetzungsfristen, teilweise unbest<strong>im</strong>mte Vorschriften sowie offene<br />

Definitionen für die Gewässerschutzziele sind neben weitreichenden Ausnahmeregelungen und<br />

Fristverlängerungen die Hauptschwächen <strong>der</strong> Richtlinie.<br />

Trotz dieser unübersehbaren Schwachpunkte unterstützen die europäischen NGOs die WRRL. Ihr<br />

Text dürfte genügend Substanz haben, um insgesamt einen positiven Einfluss auf die<br />

<strong>Wasser</strong>bewirtschaftung in Europa auszuüben. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es allerdings unmöglich, den<br />

zukünftigen Einfluss <strong>der</strong> WRRL auf die <strong>Wasser</strong>ressourcen zuverlässig abzuschätzen, denn vieles<br />

hängt von noch ausstehenden juristischen und technischen Entscheidungen ab. Der wirkliche Wert<br />

<strong>der</strong> WRRL wird sich erst herauskristallisieren, wenn die vielen politischen Entscheidungen in den<br />

nächsten Jahren fallen. Die NGOs begrüßen vor allem die klaren und eindeutigen Fristen für die<br />

ausstehenden Schritte, und dass durch das Instrument <strong>der</strong> Bewirtschaftungspläne eine umfassende<br />

öffentliche Beteiligung an <strong>der</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> für alle Mitgliedstaaten <strong>der</strong> <strong>EU</strong> festgeschrieben wurde.<br />

Dieses <strong>Handbuch</strong> legt die Grundstruktur und die wichtigsten Aspekte <strong>der</strong> <strong>EU</strong>-<strong>Wasser</strong>-<br />

Rahmenrichtlinie dar. Es bietet keine Detailanalyse jedes Artikels, noch beabsichtigt es, die<br />

juristischen Tiefen <strong>der</strong> Richtlinie auszuloten. Der nach zähen Verhandlungen von Rat und Parlament<br />

als WRRL verabschiedete Text ist durch seine Entstehungsgeschichte von starken Lobby-Einflüssen<br />

und zahlreichen Kompromissformeln geprägt und daher in vielerlei Hinsicht problematisch. Einige<br />

seiner Best<strong>im</strong>mungen sind unklar, schlecht definiert o<strong>der</strong> gar wi<strong>der</strong>sprüchlich, und seine Interpretation<br />

wird noch zahlreiche Juristen beschäftigen. Es ist aber auch zu erwarten, dass alle Analyse nicht zu<br />

eindeutigen Ergebnissen führt und <strong>zur</strong> endgültigen Klärung best<strong>im</strong>mter Sachverhalte schließlich <strong>der</strong><br />

Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg angerufen werden muss.<br />

Die Kernpunkte<br />

Das übergeordnete Ziel <strong>der</strong> WRRL ist das Erreichen eines “guten Zustands” für alle Gewässer. Eine<br />

genaue und konsistente Definition des Begriffs „guter Zustand“ ist daher von zentraler Bedeutung, um<br />

sicherzustellen, dass für alle Gewässer, gleich in welchem Mitglied- o<strong>der</strong> Beitrittsstaat, identische<br />

Bewertungskriterien angewendet werden. Um vergleichbare Zustandsbewertungen zu gewährleisten<br />

und somit auch gleiche wirtschaftliche Bedingungen für potentielle <strong>Wasser</strong>nutzer und Verschmutzer<br />

zu schaffen („level playing field“), müssen noch zahlreiche technische und politische Hürden<br />

überwunden werden. Alle Mitgliedstaaten werden bei <strong>der</strong> Definition von Kriterien für den<br />

guten Zustand als auch bei <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> diesbezüglichen Verwaltungsverfahren von<br />

Beginn an eng zusammenarbeiten müssen. Prinzipiell sollte die Entwicklung dieser<br />

Kriterien nicht von wirtschaftlichen o<strong>der</strong> politischen Faktoren in den einzelnen<br />

Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden.<br />

Die Mitgliedstaaten sollten nur dann Ausnahmen von <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Richtlinienziele<br />

machen, wenn die Kosten für die Erreichung des Ziels den langfristigen Nutzen in<br />

unverhältnismäßiger Weise übersteigen. Die Definition des guten Zustands sollte<br />

anspruchsvoll und sinnvoll sein und bleiben. Deshalb muss eine regelmäßige Überprüfung<br />

<strong>der</strong> ökologischen Zustandskriterien erfolgen, damit anhand <strong>der</strong> neuesten<br />

wissenschaftlichen Erkenntnisse das Schutzniveau und die Sanierungsanreize opt<strong>im</strong>iert<br />

57


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

werden können. Bei allen Entscheidungen ist auf umfassende öffentliche Beteiligung zu<br />

achten.<br />

Die WRRL hat unter an<strong>der</strong>em Regeln für den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor chemischer Verschmutzung<br />

geschaffen, die für die <strong>EU</strong>-Gesetzgebung teilweise neue Konzepte verwirklichen. Neu ist zum<br />

Beispiel die Berücksichtigung chemischer Effekte auf die aquatische Umwelt, wenn auch nur bei<br />

„bedeutenden Mengen“ eines Schadstoffs, einem bisher undefinierten Begriff. Noch wichtiger ist das<br />

Konzept <strong>der</strong> „Beendigung o<strong>der</strong> schrittweisen Einstellung <strong>der</strong> Ableitungen, Emissionen und<br />

Freisetzungen prioritärer gefährlicher Stoffe“ innerhalb von 20 Jahren. Dieses Ziel wurde<br />

ausdrücklich in die <strong>Wasser</strong>gesetzgebung aufgenommen, nicht ins <strong>EU</strong>-Chemikalienrecht, um die akute<br />

Notwendigkeit zum Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor Chemikalien zu unterstreichen. Das <strong>EU</strong>-<br />

Chemikalienrecht hat sich bisher als sehr schwerfälliges und langsames Instrument erwiesen, das<br />

noch dazu unter starkem Einfluss industrieller Interessen steht. Das Europäische Parlament hat daher<br />

die Gelegenheit <strong>der</strong> WRRL ergriffen, um grundsätzliche Verbesserungen zum Schutz <strong>der</strong> Gewässer<br />

und <strong>der</strong> Umwelt vor gefährlichen Schadstoffen einzufor<strong>der</strong>n. Die WRRL kann indes nur ein erster<br />

Schritt sein <strong>zur</strong> Umsetzung des generellen Nulleinleitungsziels für gefährliche Stoffe durch das <strong>EU</strong>-<br />

Chemikalienrecht. Die Europäische Kommission, <strong>der</strong> Rat und das Parlament werden aufgefor<strong>der</strong>t,<br />

dieses Ziel für alle gefährlichen Stoffe rechtsverbindlich festzuschreiben. Die Best<strong>im</strong>mungen <strong>der</strong><br />

WRRL, insbeson<strong>der</strong>e die regelmäßige Überprüfung <strong>der</strong> Liste prioritärer Stoffe alle vier Jahre, sollten<br />

dazu genutzt werden, bis 2020 sämtliche gefährlichen Stoffe schrittweise zu erfassen.<br />

Es liegt nun an <strong>der</strong> <strong>EU</strong>-Kommission, diese neuen Konzepte umzusetzen, und an den Mitgliedstaaten,<br />

diese Politik zu unterstützen. Bereits <strong>im</strong> Februar 2000 hat die Kommission eine erste Liste prioritärer<br />

Stoffe vorgeschlagen, von denen etwa 20 als prioritäre gefährliche Stoffe einzustufen sind, <strong>der</strong>en<br />

Einleitungen in die Umwelt in spätestens 20 Jahren beendet sein müssen. Allerdings gibt es starken<br />

politischen Druck, dieses Ziel nicht umzusetzen. Alle an <strong>der</strong> Entscheidungsfindung beteiligten<br />

Akteure – Mitgliedstaaten, <strong>EU</strong>-Kommission, Europäisches Parlament als auch<br />

Industrieverbände – müssen sich klarmachen, dass sie <strong>zur</strong> Umsetzung <strong>der</strong> WRRL-<br />

Vorschriften bezüglich gefährlicher Stoffe verpflichtet sind. Das Ziel, die Einträge einer<br />

Handvoll beson<strong>der</strong>s problematischer Chemikalien innerhalb von 20 Jahren auf Null zu<br />

bringen, ist keinesfalls zu anspruchsvoll. Es ist vielmehr für einen wirksamen Schutz <strong>der</strong><br />

Gewässer und <strong>der</strong> Meere unverzichtbar.<br />

Es war eine große Enttäuschung für die Umweltverbände, dass kein Übereinkommen zwischen<br />

Parlament und Rat über den Grundwasserschutz erzielt werden konnte, obwohl die For<strong>der</strong>ungen des<br />

Parlaments sicher nicht als übertrieben bezeichnet werden können. Dadurch wurde die <strong>EU</strong>-<br />

Gesetzgebung zum Grundwasserschutz um Jahre <strong>zur</strong>ückgeworfen. Obwohl die Kommission binnen<br />

zwei Jahren entsprechende Gesetzestexte vorschlagen soll, sind angesichts <strong>der</strong> fundamentalen<br />

Meinungsunterschiede zwischen Rat und Parlament weitere Verzögerungen absehbar. Die wenigen<br />

Best<strong>im</strong>mungen zum Grundwasserschutz, die in <strong>der</strong> WRRL erhalten geblieben sind, können kaum<br />

bewertet werden, da ihr eigentlicher Kern, die Definitionen <strong>der</strong> Begriffe „guter Grundwasserzustand“<br />

und „Trendumkehr“, fehlt. Selbst wenn die strengsten denkbaren Definitionen angenommen würden,<br />

scheint es allerdings mit <strong>der</strong> WRRL schwierig, den noch vor wenigen Jahren von den Mitgliedstaaten<br />

selbst angemahnten Grundwasserschutz zu verwirklichen. Kommission, Rat und Parlament<br />

werden aufgefor<strong>der</strong>t, bei <strong>der</strong> Entwicklung einer fortschrittlichen und anspruchsvollen<br />

Grundwassergesetzgebung eng zusammen zu arbeiten. Insbeson<strong>der</strong>e muss ein neues<br />

Gleichgewicht zwischen den Interessen <strong>der</strong> Landwirtschaft und dem Schutz des<br />

Grundwassers geschaffen werden, das schließlich die Quelle für mehr als zwei Drittel allen<br />

58


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Trinkwassers in <strong>der</strong> <strong>EU</strong> ist.<br />

Einen <strong>der</strong> größten Erfolge <strong>der</strong> WRRL dürfte die <strong>EU</strong>-weite Bewirtschaftung <strong>der</strong> Gewässer nach<br />

Einzugsgebieten darstellen. Dieses für viele Mitgliedstaaten gänzlich neue Konzept dürfte zu einer<br />

wesentlich effizienteren und besser integrierten Bewirtschaftung des <strong>Wasser</strong>s als auch zu seinem<br />

besseren Schutz beitragen. Lei<strong>der</strong> beabsichtigen nicht alle Mitgliedstaaten, eigene<br />

Flussgebietsbehörden zu schaffen, und es ist nicht abzusehen, ob eine bloße Kooperation <strong>der</strong><br />

bestehenden Behörden den gleichen integrativen Effekt haben kann. Es liegt nun an <strong>der</strong> <strong>EU</strong>-<br />

Kommission zu prüfen, inwieweit die von den Mitgliedstaaten benannten Behörden die<br />

Kompetenz, die rechtliche Verfügungsgewalt und die finanziellen und personellen Mittel<br />

nachweisen können, um die Ziele <strong>der</strong> WRRL umzusetzen. Die Kommission sollte weiterhin<br />

darauf achten, dass sämtliche die Bewirtschaftung <strong>der</strong> Gewässer betreffenden Aktivitäten<br />

in die Bewirtschaftungspläne einbezogen werden. Die Ziele <strong>der</strong> WRRL gelten nämlich auch<br />

für die Gemeinschaftspolitik, wobei <strong>der</strong> Gemeinsamen Agrarpolitik, den Struktur- und<br />

Kohäsionsfonds und etwaigen künftigen Regeln für die europäischen <strong>Wasser</strong>versorger die<br />

größte Bedeutung zukommt. Die Mitgliedstaaten sollten ihrerseits bei <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong><br />

Bewirtschaftungspläne alle für die Gewässer relevanten Aktivitäten <strong>im</strong> Einzugsgebiet<br />

berücksichtigen, auch die Landnutzung. Entscheidend für ein transparentes<br />

<strong>Wasser</strong>management ist eine umfassende öffentliche Beteiligung an allen Schritten <strong>der</strong><br />

Bewirtschaftungspläne. Je größer die öffentliche Beteiligung, desto fundierter werden die<br />

Pläne ausfallen, und desto besser sind sie legit<strong>im</strong>iert und von <strong>der</strong> öffentlichen Meinung<br />

getragen.<br />

Erstmals in <strong>der</strong> <strong>EU</strong>-Umweltgesetzgebung sollen die Mitgliedstaaten den Grundsatz <strong>der</strong><br />

Kostendeckung berücksichtigen. Das Potential dieses Ansatzes, eine höhere Effizienz <strong>der</strong><br />

<strong>Wasser</strong>nutzung zu bewirken, von <strong>der</strong> Angebotssteuerung <strong>zur</strong> Nachfragesteuerung überzugehen und<br />

das Verursacherprinzip auf Verschmutzer anzuwenden, ist enorm. Allerdings wurden<br />

kostendeckende <strong>Wasser</strong>preise vor allem von jenen Mitgliedstaaten abgelehnt, in denen die<br />

Wirksamkeit dieses Instruments am größten wäre. Im Ergebnis stellt es die WRRL den<br />

Mitgliedstaaten frei, wie und für welche Nutzungssektoren sie kostendeckende <strong>Wasser</strong>preise<br />

vorschreiben. Die <strong>EU</strong>-Kommission und die Mitgliedstaaten müssen bis 2004 gemeinsam<br />

Kriterien für die wirtschaftliche Analyse <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>nutzungen erarbeiten, und dabei auch<br />

Umwelt- und Ressourcenkosten einbeziehen. Doch „<strong>Wasser</strong> ist keine übliche<br />

Handelsware“ (Erwägungsgrund 1 <strong>der</strong> WRRL) und Marktmechanismen sind nicht einfach<br />

anwendbar. Die Ermittlung von Umwelt- und Ressourcenkosten auf rein wirtschaftlicher<br />

Basis bleibt ein komplexes Unterfangen. Daher sollten in erster Linie einfache und<br />

überschaubare Maßnahmen ergriffen werden, wie z. B. die Vermin<strong>der</strong>ung von<br />

Subventionen o<strong>der</strong> die Einführung (bzw. Beibehaltung) von Entgelten und Gebühren für<br />

<strong>Wasser</strong>entnahmen und Gewässerverschmutzung. Die Erträge solcher Gebühren o<strong>der</strong><br />

Entgelte sollten vorzugsweise direkt und verursachergerecht in die Vermin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Gewässerbelastung investiert werden.<br />

Eine an<strong>der</strong>e Frage war, ob die <strong>EU</strong>-Beitrittskandidaten auch jene wasserbezogenen Richtlinien<br />

umzusetzen haben, die durch die WRRL 2007 bzw. 2013 aufgehoben werden, o<strong>der</strong> ob sie sich<br />

ausschließlich auf die Umsetzung <strong>der</strong> WRRL konzentrieren können, um allen ihren<br />

Beitrittsverpflichtungen <strong>im</strong> <strong>Wasser</strong>sektor nachzukommen. Die formellen Beitrittsbedingungen als<br />

auch die Analyse <strong>der</strong> WRRL lassen allerdings keinen Zweifel aufkommen, dass die<br />

Beitrittskandidaten auch die <strong>im</strong> Jahr 2013 aufzuhebenden Richtlinien, insbeson<strong>der</strong>e die<br />

59


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Richtlinie über den Schutz <strong>der</strong> Gewässer vor gefährlichen Stoffen (76/464/EWG) und die<br />

Grundwasser-Richtlinie (80/68/EWG) so bald wie möglich umsetzen müssen. Die WRRL<br />

bietet einen praktischen Rahmen, um diese Richtlinien umzusetzen. An<strong>der</strong>erseits ist die<br />

vollständige Umsetzung <strong>der</strong> bestehenden Richtlinien eine Voraussetzung, um die Ziele <strong>der</strong><br />

WRRL zu erfüllen.<br />

60


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Annex I<br />

Verwendete Abkürzungen<br />

COMMPS: (combined monitoring-based and modelling-based priority setting) Das sogenannte<br />

COMMPS-Verfahren wurde vom Fraunhofer-Institut für Umweltchemie und Ökotoxikologie<br />

erarbeitet. Es ist ein automatisiertes Verfahren, um Schadstoffe gemäß ihrem jeweiligen Risiko für die<br />

aquatische Umwelt einzustufen, und letztlich die Auswahl für die unter Artikel 16 <strong>der</strong> WRRL<br />

vorgesehene Liste prioritärer Schadstoffe zu treffen.<br />

OSPAR: Dieses Abkommen zum Schutz <strong>der</strong> Meeresumwelt des Nordostatlantiks entstand be<strong>im</strong><br />

Ministertreffen <strong>der</strong> Oslo- und Paris-Konventionen in Paris 1992. Es wurde inzwischen von allen<br />

Vertragsstaaten (Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Island, Irland, Nie<strong>der</strong>lande,<br />

Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden und Großbritannien) als auch von <strong>der</strong> Europäischen<br />

Kommission, Luxemburg und <strong>der</strong> Schweiz unterzeichnet und ratifiziert. Die OSPAR-Konvention ist<br />

am 25. März 1998 in Kraft getreten. Sie ersetzt die Oslo- und die Paris-Konvention, wobei alle<br />

Entscheidungen, Empfehlungen und an<strong>der</strong>en Übereinkünfte dieser Konventionen weiterhin gültig und<br />

anwendbar bleiben, es sei denn, sie würden durch neue OSPAR-Maßnahmen ersetzt.<br />

WRRL: <strong>EU</strong>-<strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie, genauer: Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen<br />

Parlaments und des Rates <strong>zur</strong> Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

<strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

61


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Anhang II<br />

Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie<br />

Die frühen Anfänge <strong>der</strong> Reform <strong>der</strong> <strong>EU</strong>-<strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> gehen <strong>zur</strong>ück auf ein Minister-Seminar in<br />

Frankfurt am Main <strong>im</strong> Jahre 1988, auf dem sich die Umweltminister für eine solche Reform<br />

eingesetzt haben. Die anschließende Diskussion um die Reform wurde stark von <strong>der</strong> Frage geprägt,<br />

ob die <strong>EU</strong>-<strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> überreguliert ist und ob das Subsidiaritäts-Prinzip, welches 1992 in den<br />

Maastrichter Vertrag eingeführt wurde, zu einer Umorganisation <strong>der</strong> regulativen Kompetenzen führen<br />

sollte.<br />

In diesem Licht und mit einer klaren Absicht <strong>zur</strong> Deregulierung hat <strong>der</strong> Ministerrat die Kommission<br />

1992 in Edinburgh aufgefor<strong>der</strong>t, die europäische <strong>Wasser</strong>gesetzgebung zu revidieren.<br />

Nachfolgend legte die Kommission <strong>im</strong> Jahre 1994 einen Vorschlag für eine Richtlinie über die<br />

ökologische Qualität von Oberflächengewässer vor. Die Kommission bezeichnet den Vorschlag nicht<br />

als eine Deregulierung, son<strong>der</strong>n als eine “Re-regulierung”. Dieser Vorschlag wurde <strong>im</strong> Jahre 1995<br />

vom Europäischen Parlament und vom Rat abgelehnt. Später, <strong>im</strong> Jahre 1996, verlangte das<br />

Europäische Parlament eine “<strong>Wasser</strong>-Rahmenrichtlinie”. Im Jahre 1997 legte die Kommission dann<br />

einen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates <strong>zur</strong> Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen<br />

<strong>der</strong> Gemeinschaft <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong> (KOM(97) 49 endg.) vor, kurz als <strong>Wasser</strong>-<br />

Rahmenrichtlinie bezeichnet, musste den Vorschlag aber noch zwe<strong>im</strong>al berichtigen (KOM(97) 614<br />

endg., KOM(98) 76 endg.). Diese Korrekturen waren vor allem auf die umfassenden und<br />

komplizierten Anhänge <strong>zur</strong>ückzuführen, die eine entscheidende Rolle für die Zielsetzung <strong>der</strong> Richtlinie<br />

spielen. Die wesentlichen Elemente des Kommissionsvorschlags von 1997 waren:<br />

• Schutz aller Gewässer in <strong>der</strong> <strong>EU</strong>;<br />

• Bewertung des ökologischen Zustands <strong>der</strong> Oberflächengewässer;<br />

• Vermeidung einer Verschlechterung des ökologischen Zustands und des Verschmutzungsgrades<br />

von Oberflächengewässern sowie Sanierung verschmutzter Oberflächengewässer mit dem Ziel,<br />

bis zum 31. Dezember 2010 einen guten Zustand des Oberflächenwassers in allen<br />

Oberflächengewässern zu erreichen;<br />

• Vermeidung einer Verschlechterung <strong>der</strong> Güte des Grundwassers, Sanierung verschmutzter<br />

Grundwasserkörper und Gewährleistung eines guten Gleichgewichts zwischen<br />

Grundwasserentnahme und -anreicherung mit dem Ziel, bis zum 31. Dezember 2010 einen guten<br />

Zustand des Grundwassers in allen Grundwasserkörpern zu erreichen;<br />

• <strong>Wasser</strong>bewirtschaftung und Gewässerschutz auf <strong>der</strong> Basis von Flussgebieten und Aufstellung<br />

von Bewirtschaftungsplänen für die Flussgebiete bis 2004;<br />

• Maßnahmenprogramme, um die Umweltziele zu erreichen;<br />

• Strategie <strong>der</strong> Kommission für die El<strong>im</strong>inierung <strong>der</strong> Umweltverschmutzung durch gefährliche<br />

Stoffe;<br />

• Beteiligung und Information <strong>der</strong> Öffentlichkeit über die Bewirtschaftungspläne für die<br />

Flussgebiete;<br />

• Wirtschaftliche Instrumente, anhand <strong>der</strong> Einführung kostendecken<strong>der</strong> Preise für die<br />

62


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

<strong>Wasser</strong>nutzung je Sektor bis 2010.<br />

Der folgende Gesetzgebungsprozess wurde von den sehr konträren Positionen des Europäischen<br />

Parlaments und des Rats bezüglich all dieser wesentlichen Elemente dominiert.<br />

Rat schwächt den Kommissionsvorschlag<br />

Die Mitgliedstaaten konnten sich schon am Ende <strong>der</strong> britischen Präsidentschaft 1998 auf einen<br />

Kompromiss einigen. Da aber das Europäische Parlament bis dahin seine erste Lesung <strong>der</strong> Richtlinie<br />

noch nicht abgeschlossen hatte, konnte <strong>der</strong> Ratskompromiss nicht formell als Gemeinsamer<br />

Standpunkt angenommen werden, son<strong>der</strong>n war eine reine politische Übereinkunft (Ratsdokument<br />

9710/98 vom 26. Juni 1998).<br />

Der starke Druck <strong>der</strong> britischen Regierung auf einen schnellen Abschluss <strong>der</strong> Verhandlungen wirkte<br />

sich nachteilig auf den Richtlinientext aus. Um einen Kompromiss zu erreichen, wurden weitreichende<br />

Konzessionen an die Mitgliedstaaten gemacht.<br />

Die politische Übereinkunft schwächte alle wesentlichen Elemente <strong>der</strong> Richtlinie. Die wichtigsten<br />

betroffenen Elemente waren:<br />

• <strong>der</strong> Schutz aller europäischen Gewässer wurde <strong>im</strong> Fall von Grundwasser stark eingeschränkt;<br />

• das umfassende Ziel, bis 2010 einen “guten Zustand” zu erreichen, wurde als eine bloße<br />

Absichtserklärung formuliert;<br />

• das Nichtverschlechterungsgebot wurde auf die Verschlechterung zwischen Zustandsklassen<br />

beschränkt und damit dramatisch abgeschwächt;<br />

• die Umweltziele wurden durch weitreichende Ausnahmeregelungen und Fristverlängerungen und<br />

das Konzept <strong>der</strong> “erheblich verän<strong>der</strong>ten Gewässer” (mit geringeren Umweltzielen) in Frage<br />

gestellt;<br />

• Weniger konsequente Anwendung <strong>der</strong> Flussgebietsplanung (kompetente Flussgebietsbehörden<br />

wurden auf die nationalen Grenzen beschränkt);<br />

• Einführung von neuen und weitreichenden Ausnahmeregelungen <strong>im</strong> Maßnahmenprogramm;<br />

• Kostendeckung <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>nutzung wurde auf <strong>Wasser</strong>dienstleistungen beschränkt und in eine<br />

reine Absichtserklärung ohne wirksame Anfor<strong>der</strong>ungen umgewandelt;<br />

• Fast alle Fristen wurden um mehrere Jahre verlängert.<br />

Ein großer Teil dieser Abschwächungen lässt sich direkt auf den Einfluss einzelner Mitgliedstaaten<br />

<strong>zur</strong>ückführen.<br />

So wurde das Nichtverschlechterungsgebot geän<strong>der</strong>t, um sich den bestehenden britischen<br />

<strong>Wasser</strong>gesetzen besser einzufügen. Das Nichtverschlechterungsgebot, welches <strong>im</strong><br />

Kommissionsvorschlag für die Gewässerqualität allgemein galt, wurde auf ein<br />

Nichtverschlechterungsgebot für Zustandsklassen <strong>der</strong> Gewässer reduziert. Eine Verschlechterung <strong>der</strong><br />

Qualität eines <strong>Wasser</strong>körper ist mit an<strong>der</strong>en Worten nur dann eine Verletzung <strong>der</strong> Richtlinie, wenn<br />

<strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>körper sich um eine ganze Zustandsklasse verschlechtert. Qualitätsverschlechterungen<br />

innerhalb einer Zustandsklasse sind dagegen erlaubt (beson<strong>der</strong>s bedeutend für den<br />

Grundwasserschutz, da dort nur zwei Zustandsklassen vorgesehen sind, siehe Kapitel 4.5.2.4).<br />

Die spanische Haltung machte die Erwähnung von Begriffen wie “effiziente <strong>Wasser</strong>nutzung” fast<br />

unmöglich und verhin<strong>der</strong>te zum Beispiel die Opt<strong>im</strong>ierung <strong>der</strong> verschwen<strong>der</strong>ischen<br />

63


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

landwirtschaftlichen Bewässerungspraxis durch die WRRL. Die Idee <strong>der</strong> verpflichtenden<br />

Kostendeckung für <strong>Wasser</strong>nutzungen wurde ebenfalls ein Opfer <strong>der</strong> spanischen Einwände und<br />

an<strong>der</strong>er südlicher Mitgliedstaaten.<br />

Die österreichische Regierung fand es inakzeptabel, dass die Richtlinie für alle Gewässer intakte<br />

Flussufer und ein Funktionieren <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>ökosysteme vorschreiben sollte. Um den Status quo <strong>der</strong><br />

österreichischen alpinen Flüsse mit ihren oft stark verbauten Flussufern zu bewahren, bestand die<br />

österreichische Delegation auf einem beson<strong>der</strong>en Status für “erheblich verän<strong>der</strong>te” Gewässer. Damit<br />

müssen kanalisierte, eingedämmte o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s verbaute Flüsse nur das bescheidenere “gute<br />

ökologische Potential” erreichen. Die Bedingungen für die Ausweisung von Gewässern als “erheblich<br />

verän<strong>der</strong>t” sind sehr weit gehalten, so dass fast jede bestehende physikalische Verän<strong>der</strong>ung<br />

gerechtfertigt ist (siehe Kapitel 4.3.3)<br />

Die deutschen Behörden beanstandeten die Errichtung von eigenständigen und unabhängigen<br />

Flussgebietsbehörden. Die Absicht des Kommissionsvorschlags war es, die Verwaltung aller<br />

Aspekte des Gewässerschutzes und <strong>der</strong> <strong>Wasser</strong>bewirtschaftung in einer administrativen Einheit für<br />

Flussgebiete (auch international) zu integrieren. So sollte dem Mangel begegnet werden, dass in<br />

vielen Mitgliedstaaten Gewässerschutz und <strong>Wasser</strong>bewirtschaftung in den Händen mehrerer<br />

Behörden liegen, die einen Mangel an Kooperation zeigen o<strong>der</strong> sogar miteinan<strong>der</strong> konkurrieren. Die<br />

deutsche Initiative war erfolgreich und Deutschland ist jetzt von <strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ung, unabhängige<br />

Flussgebietsbehörden einzuführen, befreit – und damit alle an<strong>der</strong>en <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten auch.<br />

Fast alle Regierungsdelegationen kämpften für Ausnahmeregelungen und Befreiungen vom Ziel <strong>der</strong><br />

WRRL, einen guten Zustand für alle Gewässer zu erreichen. Aus den von <strong>der</strong> Kommissionen<br />

vorgeschlagenen 10 Jahren <strong>zur</strong> Erreichung des guten Zustands wurden 16 Jahre, mit <strong>der</strong> Möglichkeit<br />

weitere 18 Jahre in Anspruch zu nehmen. Das hätte folglich bis zu 34 Jahre bis <strong>zur</strong> Erreichung des<br />

guten Zustands bedeuten können.<br />

Europäisches Parlament verbessert den Kommissionsvorschlag.<br />

Die politische Übereinkunft des Rates wurde erzielt, noch bevor das Europäische Parlament seine<br />

erste Lesung abgeschlossen hatte. Das europäische Parlament kritisierte heftig, dass <strong>der</strong> Rat die<br />

Meinung des Parlaments nicht berücksichtigte, wie es <strong>der</strong> <strong>EU</strong>-Vertrag verlangt. Das Parlament nahm<br />

in seiner ersten Lesung <strong>im</strong> Februar 1999 schließlich 122 Än<strong>der</strong>unganträge <strong>der</strong> Richtlinie an.<br />

Das Parlament kritisierte übermäßig lange Fristen, großzügige und unkontrollierbare<br />

Ausnahmeregelungen, den Mangel an Regeln für einen rationelleren Umgang mit <strong>Wasser</strong> in<br />

Haushalten, Industrie und Landwirtschaft und einen ungenügenden Schutz des Grundwassers als die<br />

Hauptschwächen <strong>der</strong> geplanten Richtlinie. Die Parlamentarier for<strong>der</strong>ten überdies die rechtlich<br />

verbindliche Übernahme <strong>der</strong> internationalen Verpflichtungen für den Schutz des Nord-Ost Atlantiks<br />

gegen gefährliche Stoffe (OSPAR) in die WRRL.<br />

Als <strong>der</strong> Gemeinsame Standpunkt des Rates fast alle Än<strong>der</strong>ungen des Parlaments ablehnte, war das<br />

Ergebnis <strong>der</strong> zweiten Lesung absehbar. Inzwischen war ein neues Parlament gewählt worden und die<br />

konservative Europäische Volkspartei (EVP) gewann die Mehrheit auf Kosten von Sozialisten und<br />

Grünen. Zugleich wurde <strong>der</strong> Amsterdamer Vertrag ratifiziert, <strong>der</strong> dem Parlament unter dem<br />

Mitentscheidungsverfahren, das auf den ganzen Umweltsektor anzuwenden ist, mehr Macht<br />

zuspricht. Das EP bestätigte <strong>im</strong> Februar 2000 in seiner Plenarsitzung die Mehrheit <strong>der</strong><br />

Än<strong>der</strong>ungsanträge aus <strong>der</strong> ersten Lesung und ging in manchen Aspekten noch darüber hinaus.<br />

Abgesehen von einem besseren Schutz gegen gefährliche Stoffe und einem vorbeugenden<br />

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<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Grundwasserschutz for<strong>der</strong>te das Parlament vehement die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> gesetzlich<br />

verbindlichen und durchsetzbaren Umweltziele. An<strong>der</strong>erseits wurde <strong>der</strong> nachfolgende<br />

Gesetzgebungsprozess durch die Tatsache erschwert, dass einige <strong>der</strong> EP-Än<strong>der</strong>ungsanträge<br />

aufgrund <strong>der</strong> Komplexität des Texts nicht völlig konsistent waren.<br />

Der Rat lehnte wie<strong>der</strong>um sämtliche Än<strong>der</strong>ungsanträge ab, und eine nachfolgende Vermittlung<br />

zwischen Rat und Parlament wurde notwendig, um die unterschiedlichen Standpunkte in Einklang zu<br />

bringen.<br />

Kompromiss des Vermittlungsausschusses<br />

Die anschließenden Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat, unterstützt<br />

von <strong>der</strong> Kommission, konzentrierten sich auf Artikel 1 und 4, in denen Zweck und Ziele <strong>der</strong><br />

Richtlinie festgelegt sind (Ausnahmeregelungen und rechtliche Verbindlichkeit waren Kernpunkte <strong>der</strong><br />

Verhandlungen). An<strong>der</strong>e Schlüsselthemen waren Artikel 11 (Maßnahmenprogramm), Artikel 16<br />

(Strategien gegen die Verschmutzung von Oberflächenwasser) und <strong>der</strong> neue Artikel 17, <strong>der</strong> eine<br />

Tochterrichtlinie <strong>zur</strong> Verhin<strong>der</strong>ung und Begrenzung <strong>der</strong> Grundwasserverschmutzung verlangt.<br />

Trotz des größeren Einflusses des Parlaments bleibt ein Mitentscheidungsverfahren allerdings ein sehr<br />

anspruchsvoller Prozess für die Abgeordneten. Als Generalisten und ohne fachliche Beratung durch<br />

Spezialisten finden sie sich einer Vielzahl von <strong>Wasser</strong>fachleuten aus den Mitgliedstaaten und <strong>der</strong><br />

Kommission gegenüber. Nach schwierigen und langwierigen Verhandlungen einigten sich das<br />

Parlament und <strong>der</strong> Rat schließlich an 28. Juni 2000 auf einen Kompromiss. Dieser ist infolge des<br />

schwierigen Verhandlungsprozesses und den vielen Lobbyeinflüssen ein Text, <strong>der</strong> in seiner<br />

Komplexität und Uneindeutigkeit viele Fragen offen lässt.<br />

65


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Literatur<br />

Stanners, D. und Bourdeau, P.: Europe's Environment - The Dobris Assessment, European<br />

Environment Agency, Copenhagen 1995<br />

The harmonised monitoring and classification of ecological quality of surface waters in the <strong>EU</strong>, Final<br />

Report for the <strong>EU</strong> Commission DG XI, May 1996.<br />

Europe's Environment: The Second Assessment, European Environment Agency, Copenhagen 1998<br />

<strong>EEB</strong> Industry Handbook: A critical evaluation of available European Legislation on Industry and the<br />

Environment, Dec 1998 (zu beziehen vom Europäischen Umweltbüro)<br />

European Court of Auditors, Special Report No. 3/98, OJC 191/2 of 18.6.1998<br />

Water Policy – Large Dams and Transfer Systems in Spain, Memorandum to the European Union,<br />

Adelpa, Adena-WFF, CCOO, COAGRET, Ecologistas en Accion and Greenpeace, Brussels June<br />

1999, (zu beziehen vom Europäischen Umweltbüro)<br />

IMPEL Reference Book for Environmental Inspection, IMPEL Network, European Union Network<br />

for the Implementation and Enforcement of Environmental Law, June 1999<br />

Hrsg. Breyer, H., Dossier <strong>Wasser</strong>rahmenrichtlinie: Hintergrundinformationen, For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Grünen, Positionen des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rats und Musteranfragen,<br />

Brüssel 1999, (zu beziehen von Hiltrud Breyer)<br />

EEA (2000): Environmental Signals 2000<br />

C. Demmke, Towards effective environmental regulation: Innovative approaches in Implementing<br />

and Enforcing European Environmental Law and Policy, European Institute of Public Administration,<br />

Oct 2000, not yet published<br />

EC Commission, Handbook on the Implementation of EC Environmental legislation<br />

Roth, E., Water Pricing in the <strong>EU</strong>: A review, European Environmental Bureau, Brussels 2000, (zu<br />

beziehen vom Europäischen Umweltbüro)<br />

KOM 2000(477) Mitteilung <strong>der</strong> Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den<br />

Wirtschafts- und Szialausschuss, Die Preisgestaltung als politisches Instrument <strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung eines<br />

nachhaltigen Umgangs mit <strong>Wasser</strong>ressourcen<br />

Lanz, K. and Scheuer, S., <strong>EEB</strong> Handbook on <strong>EU</strong> Water Policy un<strong>der</strong> the Water Framework<br />

Directive, European Environmental Bureau, Brussels 2001, (zu beziehen vom Europäischen<br />

Umweltbüro)<br />

66


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Kontakte in Deutschland<br />

ARBEITSKREIS WASSER<br />

Im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz<br />

BBU<br />

Nik Geiler<br />

Rennerstr. 10<br />

D-79106 Freiburg<br />

Email: nik@privat.toplink.de<br />

Freiburg<br />

BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN<br />

Materialversand<br />

Weidendamm 1<br />

D-15931 Groß-Kienitz<br />

Tel: 033708 - 30903<br />

Fax: 033708 - 30905<br />

<strong>Handbuch</strong> bitte hier anfor<strong>der</strong>n<br />

DNR D<strong>EU</strong>TSCHER NATURSCHUTZRING E.V<br />

Dachverband <strong>der</strong> deutschen Natur- und<br />

Umweltschutzverbände<br />

Am Michaelshof 8-10<br />

53177 Bonn<br />

Tel:0228 - 359005<br />

Fax: 0228 - 359096<br />

Email: dnr-bonn@t-online.de<br />

LÄNDERARBEITSGEMEINSCHAFT WASSER LAWA<br />

Geschäftsstelle (bis 31.12.2001)<br />

Umweltministerium Mecklenburg-Vorpommern<br />

LAWA-Geschäftsstelle<br />

Johannes-Stelling-Str. 21<br />

19053 Schwerin<br />

Telefon: 0385 – 5888350 bis 8354<br />

Telefax: 0385 – 5888355/6<br />

E-Mail: lawa@um.mv-regierung.de<br />

Ab 01.01.2002 Umweltministerium Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

67<br />

BUNDESMINISTERIUM FÜR UMWELT, NATURSCHUTZ<br />

UND REAKTORSICHERHEIT (BMU)<br />

Dienstsitz Bonn<br />

Heinrich-v.-Stephan-Str. 1, 53175 Bonn<br />

Telefon: 01888 – 05-0<br />

Telefax: 01888 – 05-3225<br />

Dienstsitz Berlin<br />

Alexan<strong>der</strong>platz 6, 10178 Berlin<br />

Telefon: 01888 - 05-0<br />

Telefax: 01888 - 05-4375<br />

Email: service@bmu.de<br />

BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN<br />

Bundesgeschäftsstelle<br />

Platz vor dem Neunen Tor 1<br />

D-10115 Berlin<br />

Tel: 030 - 28442-0<br />

Fax: 03 - 28442 210<br />

Email: info@gruene.de<br />

GRÜNE LIGA E.V. BERLIN<br />

Prenzlauer Allee 230<br />

D-10405 Berlin<br />

Tel: 030 - 44 33 91 44<br />

Fax: 030 - 44 33 91 33<br />

Email: wasser@grueneliga.de<br />

UMELTBUNDESAMT UBA<br />

Bismarckplatz 1<br />

14193 Berlin-Grunewald<br />

Telefon: (030) 89 03-21 13


<strong>Handbuch</strong> <strong>zur</strong> <strong>EU</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong><br />

Über die Verfasser<br />

Dr. Klaus Lanz<br />

International Water Affairs<br />

August-Bebel-Str. 34<br />

D-21029 Hamburg<br />

Germany<br />

Tel: +49 40 724 0085<br />

Fax: +49 40 724 5226<br />

E-mail: Klaus.Lanz@t-online.de<br />

<strong>Wasser</strong>chemiker mit langjähriger Erfahrung in Umweltwissenschaft und Grün<strong>der</strong> des unabhängigen<br />

Instituts International Water Affairs. Das Institut befasst sich in interdisziplinärer Weise mit Fragen<br />

<strong>der</strong> <strong><strong>Wasser</strong>politik</strong>, <strong>Wasser</strong>technik und <strong>Wasser</strong>kultur. Es konzentriert sich auf Themen, die von<br />

einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen schwierig abzudecken sind, und vereint in seiner Forschung<br />

politische Fragestellungen mit technischen, rechtlichen, kulturellen und naturwissenschaftlichen<br />

Aspekten. Derzeitige Arbeitsschwerpunkte sind u.a. europäisches <strong>Wasser</strong>recht, Umsetzung<br />

innovativer Technologien sowie die Liberalisierungs- und Privatisierungstendenzen <strong>im</strong> <strong>Wasser</strong>sektor.<br />

International Water Affairs kooperiert je nach Themenstellung mit Hochschulinstituten,<br />

Forschungseinrichtungen und Wissenschaftlern aus an<strong>der</strong>en Fachgebieten. Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Arbeit<br />

steht die Publikations- und Beratungstätigkeit, überwiegend für öffentliche Einrichtungen und NGOs<br />

(Nichtregierungsorganisationen).<br />

Stefan Scheuer<br />

European Environmental Bureau<br />

Bd. de Waterloo 34<br />

B-1000 Brüssel<br />

Belgien<br />

Tel: +32 2 2891304<br />

Fax: +32 2 2891090<br />

E-mail: water@eeb.org<br />

Koordinator <strong>der</strong> <strong>EEB</strong> <strong>Wasser</strong>kampagne und <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Biodiversity<br />

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