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Öffnungszeiten 25 / 2011 - Fachhochschule Lübeck

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36 <strong>Öffnungszeiten</strong> <strong>25</strong> / <strong>2011</strong><br />

den neuen Tauschwert des klassischen Designs, im Vergleich mit Kunstwerken, um ein kulturelles<br />

Äquivalent zu konstituieren.<br />

Ein zeitgenössisches Design, das diesen Effekt vorweg nehmen möchte, wird nach Otl Aicher<br />

zum Design bloßer »Aufgeputztheit«. Die Proportionen zwischen Nähe und Entfernung<br />

geraten aus dem Gleichgewicht.<br />

Geld, Anonymisierung und Entfremdung<br />

Geld regiert die Welt. Das Medium Geld zeigte für Simmel eine Reihe negativer Wirkungen.<br />

Irgendwann steht das Geld als abstrakter Maßstab des Erfolgs im Mittelpunkt und nicht<br />

mehr die Qualität persönlicher Entwicklung und Leistung. Simmel sah gravierende<br />

Konsequenzen voraus: Anonymität, Isolierung und Entfremdung. Anonymität bedeutet<br />

namenlose Verwandlung in eine Nummer. Isolierung bedeutet »Einsamkeit der Masse«<br />

(David Riesman, Die einsame Masse, 1950). Entfremdung bedeutet die Krankheit der<br />

Konsumgesellschaft: Der durch Kultur ermöglichte ehemals weite Interessenhorizont wird in<br />

der Nahdistanz des fetischisierten Symbolkonsums abgedeckt.<br />

Die Konsequenzen, die Simmel voraussagte, wären am Beispiel des Internets zu exemplifizieren<br />

– ohne dass sich Simmel etwa das Internet hätte vorstellen können. »Geld« ist der<br />

heutige gesellschaftliche Repräsentant von Quantität; Quantität ist Zahl; Zahl ist binäre<br />

Ziffer in digitalen Systemen. Informatische Systeme machen sich alles gleich, auch den<br />

Menschen. Seine Identität wird zur digitalen Adresse. »Soziale Netze« sind Schein. Wer 3000<br />

»Freunde« hat, ist allein. Allein gegenüber einer Flut von Information aus der »Ferne«, die<br />

zu völliger Desorientierung führt. Das Individuum, im globalen Netz agierend, versteht seine<br />

nächste Umgebung nicht mehr. Objektivierte Kulturformen wie Geld, Recht, Staat, Religion,<br />

Bildungsanspruch kommen dem Individuum als fremde Mächte vor. Und in der Tat war zu<br />

sehen, wie die Welt-Bankenkrise von 2008, fortgesetzt in der Welt-Staatsschuldenkrise <strong>2011</strong>,<br />

eine fundamentale Desorientierung schuf. Politiker haben die Deutungshoheit über die<br />

Weltvorgänge bis zur Lächerlichkeit ihrer Darstellungen verloren. Europas Regierungschefs<br />

brachen ihren Sommerurlaub ab – um nicht mehr zu bewirken als hätten sie weiterhin<br />

Urlaub gemacht. Eine Krisensitzung nach der anderen schuf immer mehr Krise. Das<br />

Epizentrum der Krise lag in der Börse, ein Ort virtueller Werte, jenseits von Realität. Oder<br />

doch nicht? »Doch im Zuge der Finanzkrise fingen viele Menschen an, das Vertrauen in<br />

dieses hoch entwickelte Geldsystem zu verlieren. Sie kauften Ackerflächen und horteten<br />

Gold in Tresoren. Unser Verhältnis zu Geld beruht auf dem kollektiven Glauben, dass es auch<br />

morgen noch etwas wert ist.« 23 Im August <strong>2011</strong> verbreitet das »Fernsehen«, dass Gold wieder<br />

den höchsten Äquivalenz-Wert innehat. Goldinvestition, eine Zeitlang altmodisch und<br />

spekulativ unkreativ, ist zur verzweifelten Suche nach der Realität geworden.<br />

Die Strukturform des Geldes nach Simmel lässt sich auch in anderen, untergeordneteren<br />

Symbolstrukturen wiederfinden, wie dem Markendesign, dem Modedesign, dem »aufgeputzten«<br />

Industriedesign (styling) und dem penetranten Kommunikationsdesign der<br />

Medien. Design, das die Gesellschaft von der Natur bzw. Realität entfernt, kann uns alsbald<br />

in völlig unverständliche Umwelten führen, die, wie Max Weber es ausdrückte, zu stahlharten<br />

Gehäusen werden. Design macht uns dann zu desorientierten Gefangenen von<br />

Zwangshandlungen, weil es anfangs harmlose Ästhetik propagiert, nachher aber an derselben<br />

Stelle strikte Verhaltensregeln etabliert (an der Börse als Spielregeln getarnt). Wenn Designer<br />

(von Simmel Künstler genannt) einem solchen Gesellschaftsdesign entgegenwirken möchten,<br />

hätten sie, außer dem Blick auf ihre Brieftasche, einen guten Grund, sich mit dem Geld als<br />

sozialem Design zu befassen.

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