Broschüre als PDF - Migrationsrat Berlin-Brandenburg eV
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Rassismus zu sprechen, wenn es um einzelne<br />
Täter_innen <strong>als</strong> Individuen geht. Anders sieht<br />
es aus, wenn gesellschaftlich verankerter Rassismus<br />
kritisiert werden soll, wenn die Verantwortung<br />
dafür, was in Zeitungen, in Büchern, in<br />
Interviews oder auf Internetseiten transportiert<br />
wird, zur Sprache gebracht wird. Auch über<br />
strukturellen Rassismus möchten die Zuständigen<br />
immer noch reden, ganz zu schweigen von<br />
Gesetzgebungen oder Hierarchien gegenüber<br />
verschiedenen Gruppen von Eingewanderten.<br />
Da gibt es viele Gesetze, bei denen man denken<br />
könnte, das seien Naziideen wie z.B. das<br />
Arbeitsförderungsgesetz, das Deutsche bevorzugt.<br />
M: Ich sehe aber nur wenige Veränderungen,<br />
was die rassistisch motivierte Gewalt angeht.<br />
Es gibt nach wie vor wenig Solidarität mit Menschen,<br />
die Opfer dieser Art Gewalt geworden<br />
sind. Sei es, dass man nur schwer vom rassistischen<br />
Hintergrund einer Gewalttat erfährt,<br />
oder dass rassistische Gewalttaten <strong>als</strong> Einzelfälle<br />
heruntergespielt werden, indem etwa dem<br />
Opfer gesagt wird, es sei zur f<strong>als</strong>chen Zeit am<br />
f<strong>als</strong>chen Ort gewesen. Das führt auf Seiten der<br />
Opfer zu Schuldgefühlen und Beschämung. Ich<br />
denke auch, dass heute etwa das Aussprechen<br />
des N-Wortes genauso salonfähig ist, wie es<br />
vor einigen Jahren war. Außerdem sehen wir<br />
immer, wie in juristischen Verfahren die An-<br />
wält_innen häufig darum kämpfen müssen,<br />
dass in einem Urteil die rassistische Motivation<br />
auftaucht. Es muss auch immer wieder versucht<br />
werden, dass in den Medien über Fälle so berichtet<br />
wird, wie sie passiert sind, dass nicht<br />
der rassistische Gehalt der Taten verschleiert<br />
oder verharmlost wird.<br />
Was motiviert euch, diese Arbeit zu machen?<br />
H: Es muss jenseits von Ermittlungsbehörden<br />
Einrichtungen geben, bei denen die Betroffenen<br />
von rassistischer, rechter und antisemitischer<br />
Gewalt und Bedrohung mit ihren Erlebnissen<br />
ernst genommen werden. Die Menschen,<br />
die beraten, müssen darüber informiert sein,<br />
unter welchen Bedingungen Menschen hier<br />
leben, dass sie jeden Tag um ihr Leben fürchten<br />
müssen und zwar nicht, weil sie vermeintlich<br />
in kriminelle Machenschaften verwickelt<br />
sind, sondern einfach nur, weil sie angeblich<br />
nicht hierher gehören und deshalb vertrieben<br />
werden sollen. Es ist wichtig zu thematisieren,<br />
welche Auswirkungen Rassismus hat, dass das<br />
Reden davon, wer etwa wegen zugeschriebener<br />
Herkunft oder Religion hier nicht hingehört<br />
oder angeblich dieser Gesellschaft zur Last<br />
fällt, Opfer produziert. Das ist neben der Beratung<br />
sehr wichtig. Die Erzählung über eine Seite<br />
dieser Gesellschaft, die häufig nicht erzählt<br />
werden kann. Ich bin sehr froh, dass Leute mir<br />
vertrauen und mir von ihren Erfahrungen in dieser<br />
Gesellschaft berichten.<br />
M: Mich motiviert jeder einzelne Mensch, der<br />
zur Beratung kommt, jedes einzelne Schicksal.<br />
Es ist wichtig, dass die Opfer bei uns die Möglichkeit<br />
haben, Gehör zu finden und Unterstützung<br />
dabei, sich zu wehren, um einigermaßen<br />
in ihren (für immer veränderten) Alltag zurückkehren<br />
zu können.<br />
Behindert euch die extremismusklausel?<br />
H: Es behindert uns insofern, da viel Energie<br />
aufgewendet werden muss, um solche Aktivitäten<br />
aus den Ministerien zu kommentieren und<br />
abzuwenden. Ob ich persönlich <strong>als</strong> Extremistin<br />
bezeichnet werde ist mir egal, aber in Bezug<br />
auf das Misstrauen, das den Projekten entgegengebracht<br />
wird, ist die Klausel ein schreckliches<br />
Desaster. Die Projekte, die die Klausel<br />
nicht unterschreiben, werden <strong>als</strong> extremistisch<br />
hingestellt. Die Menschen, die zu uns kommen,<br />
sind in der Regel nicht ausdrücklich politisch<br />
positioniert. Sie erwarten Empathie und Parteilichkeit<br />
für ihr Anliegen. Sie werden durch<br />
das Gerede von Extremismus verunsichert und<br />
im Zweifelsfall nehmen sie dann keine Beratungsangebote<br />
wahr. Insofern ist diese Art der<br />
Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung eine<br />
Katastrophe.<br />
Welche forderungen habt ihr bezüglich eurer<br />
Beratungsarbeit? Welche Perspektiven seht<br />
ihr?<br />
H: Unabhängige Beratungsstrukturen sind unabdingbar.<br />
Menschen müssen sicher sein können,<br />
dass die Beratungsstelle in der Lage ist,<br />
sie durch den ganzen Beratungsprozess zu begleiten.<br />
Das dauert oft Jahre. Die Finanzierung<br />
der Beratungsstellen darf daher nicht in jedem<br />
Jahr zur Disposition gestellt werden. Solche<br />
Diskussionen wecken kein Vertrauen in die<br />
Struktur. Die Beratenden sollten an ihrer Arbeit<br />
und nicht an ihrer Gesinnung gemessen werden.<br />
Eine langfristige Planung, Angebote zur<br />
Verfügung zu stellen, muss gewährleistet sein.<br />
Da wir immer häufiger auch Anfragen aus den<br />
westlichen Bundesländern bekommen, fordern<br />
wir, dass auch dort flächendeckend unabhängige<br />
Beratungsstellen eingerichtet werden. Der<br />
Bedarf ist deutlich zu merken. Nur die kontinuierliche<br />
Förderung von Beratungsstellen wie<br />
unserer ermöglicht eine langfristige und professionelle<br />
Unterstützung Opfer rassistischer,<br />
rechter und antisemitischer Gewalt.<br />
10 Jahre ReachOut | ReachOut in der Praxis<br />
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