Broschüre als PDF - Migrationsrat Berlin-Brandenburg eV
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die angegriffen, beleidigt und bedroht werden,<br />
die Chance biete, ihre Geschichte zu erzählen.<br />
Denn diese Menschen werden oft auch von<br />
staatlicher Seite diskriminiert und kriminalisiert<br />
oder es wird ihnen nicht geglaubt. Mir ist<br />
es deswegen ein besonderes Anliegen, dass<br />
wir alle Menschen, die zu uns kommen, ernst<br />
nehmen und dass sie sich auch ernst genommen<br />
fühlen.<br />
Würdest du sagen, Rassismus hat sich im laufe<br />
der letzten Jahre verändert?<br />
Ich glaube nicht, dass Rassismus sich verändert<br />
hat. Ich denke nur, dass sich das Bewusstsein<br />
der Menschen und der Gesellschaft über<br />
Rassismus verändert hat. Im Gegensatz zu<br />
den 1980er und 1990er Jahren wird Rassismus<br />
heute benannt und offen thematisiert und es<br />
sind im Laufe der Zeit viele Projekte und Initiativen<br />
entstanden, die antirassistische Arbeit<br />
leisten. Was mich ärgert, ist jedoch die zunehmende<br />
Tendenz, vor allem durch Politiker_innen,<br />
Rassismus <strong>als</strong> ein Problem der Neonazis<br />
zu verharmlosen. Es sind jedoch nicht nur die<br />
Neonazis Rassist_innen, sondern es ist die gesamtgesellschaftliche<br />
Struktur, die wir in den<br />
Blick nehmen müssen.<br />
Würdest du sagen, dass Rassismus heute gesellschaftsfähiger<br />
geworden ist?<br />
Nein, überhaupt nicht. Es ist komplett f<strong>als</strong>ch zu<br />
sagen, heute sei Rassismus in der Mitte der Ge-<br />
sellschaft angekommen. Rassismus war nie ein<br />
Randphänomen. Rassistische Theorien wurden<br />
von den Intellektuellen und Akademiker_innen<br />
aus der oberen Mittelschicht entwickelt. Um<br />
ihre Ideen zu verbreiten, brauchten sie natürlich<br />
die Unterstützung der breiten Bevölkerung.<br />
Rassismus ist aber in der Mitte der Gesellschaft<br />
entstanden und noch immer Teil davon.<br />
Antimuslimischer Rassismus ist zurzeit ein<br />
großes Thema. Du hast vorhin schon von den<br />
kopftuchdebatten in den 1990er Jahren gesprochen.<br />
Hat sich die situation verändert?<br />
Ich muss sagen, dass ich und auch Andere, mit<br />
denen ich zu diesem Thema gearbeitet habe,<br />
lange diese latente antimuslimische Grundhaltung<br />
nicht wahrgenommen bzw. thematisiert<br />
haben. Ich würde deshalb nicht sagen, dass es<br />
ein neues Phänomen ist, sondern dass es heute,<br />
zwei Generationen nachdem die Arbeitsmigrant_innen<br />
nach Deutschland gekommen sind,<br />
vor allem von ihren Kindern, die betroffen sind,<br />
thematisiert wird.<br />
Wie haben sich die linken strukturen und netzwerke,<br />
die gegen Rassismus aktiv sind, insgesamt<br />
seit den 1980er Jahren entwickelt? Welche<br />
Tendenzen siehst du?<br />
Früher ging es vor allem um die Situation von<br />
Migrant_innen und Flüchtlingen. Heute beschäftigen<br />
sich linke Gruppen und Organisationen<br />
viel mit der Neonaziszene und deren<br />
Symbolen usw. Das gab es früher nicht. Naja,<br />
und außerdem gibt es durch die europäische<br />
Sicherheitspolitik heute viel weniger Flüchtlinge<br />
in Deutschland. Flüchtlingsunterstützung<br />
ist heute eher Aufgabe der Flüchtlingsorganisationen,<br />
so dass das Engagement zu diesem<br />
Thema in der linken Szene abgenommen hat.<br />
Wie siehst du die entwicklung der Vernetzung?<br />
Ich glaube, dass es heute viel mehr Netzwerke<br />
gibt. In <strong>Berlin</strong> arbeiten die verschiedenen Gruppen<br />
und Organisationen eng zusammen und<br />
unterstützen sich. Außerdem ist es gelungen,<br />
verschiedene Themen bzw. Arbeitsfelder wie<br />
Homophobie oder Diskriminierung gegenüber<br />
behinderten Menschen zusammen zu führen.<br />
Das sehe ich <strong>als</strong> Erfolg.<br />
Wir von ReachOut haben zum Beispiel in verschiedenen<br />
Zusammenhängen und Foren den<br />
antimuslimischen Rassismus thematisiert, um<br />
auf die rassistischen Tendenzen in der Auseinandersetzung<br />
um das Kopftuch aufmerksam zu<br />
machen.<br />
kommt es manchmal zu Auseinandersetzungen<br />
zwischen staatlich finanzierten Projekten<br />
und solchen, die ausschließlich „ehrenamtlich“<br />
und unbezahlt aktiv sind?<br />
Diese Frage wurde mir schon oft gestellt. Ich<br />
persönlich habe noch nie ein Problem darin<br />
gesehen und auch noch nie Ablehnung von<br />
Anderen deshalb empfunden. Außerdem ist<br />
es ja auch so, dass die meisten Menschen,<br />
die heute in staatlich finanzierten Projekten<br />
arbeiten, früher auch selbstorganisiert und unbezahlt<br />
gearbeitet haben bzw. anders ihr Geld<br />
verdienen mussten. In Deutschland gibt es im<br />
Gegensatz zu den USA zum Beispiel viele staatlich<br />
finanzierte Projekte. Dort übernehmen fast<br />
ausschließlich Stiftungen die Unterstützung<br />
von Projekten und Kampagnen. Ich sehe das<br />
auch <strong>als</strong> Chance, mehr Zeit in politisches Engagement<br />
zu investieren.<br />
Denkst du, dass die Arbeit von ReachOut irgendwann<br />
überflüssig sein wird?<br />
Nein, ich glaube nicht, dass das zu meinen Lebzeiten<br />
passieren wird. Denn die weiße Vorherrschaft<br />
existiert global schon sehr lange und das<br />
wird sich so schnell nicht verändern. Deshalb<br />
glaube ich nicht, dass meine Arbeit überflüssig<br />
wird.<br />
Wie siehst du die Perspektiven für deine Arbeit<br />
in den kommenden Jahren?<br />
Ich denke, dass sich immer mehr Menschen<br />
mit Rassismus auseinander setzen und die<br />
verschiedenen Arten gesellschaftlicher Diskriminierung<br />
analysieren und dies auch in einen<br />
gesellschaftlichen Kontext bringen. Und das<br />
sind sehr positive Aussichten.<br />
und welche forderungen hast du bezüglich<br />
Rassismus an die Politik und im Hinblick auf<br />
deine Arbeit?<br />
Meine Forderung ist zum einen, dass rassistische<br />
Diskriminierungen gesetzlich verboten<br />
werden, und zum anderen, dass Rassismus<br />
zum Thema in den Lehrplänen und der Lehrer_<br />
innenausbildung gemacht wird. Außerdem sollte<br />
ein spezielles Curriculum für Staatsbedienstete<br />
wie zum Beispiel Polizist_innen erarbeitet<br />
werden. Vor allem jedoch muss rassistische<br />
Diskriminierung aufgedeckt und konsequent<br />
bestraft werden, unabhängig davon, wer die<br />
Täter_innen sind.<br />
Außerdem muss auch das Rechtssystem begreifen,<br />
in wie weit es in diesen rassistischen<br />
Kontext eingebunden ist. Wir brauchen Möglichkeiten,<br />
gegen institutionellen Rassismus<br />
insgesamt vorgehen zu können. Das sind meine<br />
Forderungen an die Politik. Die Beratung und<br />
Unterstützung der Opfer von Rassismus und die<br />
konkrete Arbeit ist nicht Aufgabe der Politik,<br />
das müssen wir schon selbst machen!<br />
10 Jahre ReachOut<br />
10 Jahre ReachOut | Rückblicke und Perspektiven auf Rassismus<br />
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