Broschüre als PDF - Migrationsrat Berlin-Brandenburg eV
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U: Die meisten Angriffe in den letzten Jahren<br />
wurden nicht von organisierten Rechten, sondern<br />
von Täter_innen verübt, die den Ermittlungsbehörden<br />
bis dahin noch nicht bekannt<br />
waren. Das häufigste Motiv ist Rassismus. In<br />
diesem Jahr hat eine leichte Veränderung stattgefunden,<br />
bei der vermehrt organisierte Rechte<br />
politische Gegner_innen angegriffen haben,<br />
vor allem im Bezirk Neukölln. Die Angriffe, die<br />
wir in diesem Jahr und im vergangenen Jahr<br />
bereits dokumentiert haben, geschahen gleich<br />
häufig in den Ost- und Westberliner Bezirken.<br />
Früher gab es immer mehr Angriffe im Osten der<br />
Stadt.<br />
M: Im Vergleich zum letzten Jahr finden mehr<br />
Angriffe im Wohnumfeld statt. So gibt es häufig<br />
rassistische Angriffe in der Nachbarschaft.<br />
Welche schwierigkeiten gibt es bei der Recherche?<br />
U: Aufgrund der Tatsache, dass über viele Jahre<br />
mehr Projekte im Osten der Stadt gefördert<br />
wurden und durch die Einführung der Register<br />
in den Ostberliner Bezirken, ist die Sensibilisierung<br />
dort viel größer und dadurch haben<br />
wir dort viel mehr mitbekommen. In den westlichen<br />
Stadtteilen fehlen diese Strukturen. Eine<br />
Schwachstelle im Rahmen der Recherchen sind<br />
außerdem Polizist_innen vor Ort, die nicht erkennen,<br />
dass es sich um einen rechten, rassistischen<br />
Angriff handelt.<br />
Welche forderungen habt ihr?<br />
M: Die feste und kontinuierliche Finanzierung<br />
von Projekten, nicht nur von ReachOut, sondern<br />
vor allem unserer Kooperationspartner_innen,<br />
denn nur mit ihnen ist unsere Arbeit möglich.<br />
U: Die Abschaffung der Extremismusklausel<br />
und ein Ende der Gleichsetzung von rechts und<br />
links. Die Bundesfamilienministerin Schröder<br />
gehört zu denjenigen, die die Extremismustheorie<br />
forciert und die Medien übernehmen diese<br />
Meinung häufig völlig unkritisch. Zum Beispiel<br />
werden 800 Angriffe durch Rechte gleichgesetzt<br />
mit linken Gewaltdelikten, zu denen jede<br />
Festnahme auf einer Demo gezählt wird. Leser_innen,<br />
die den Unterschied zwischen einer<br />
Körperverletzung und einem Gewaltdelikt nicht<br />
kennen, denken dann, die Linken seien viel<br />
schlimmer. Das bewusste Manipulieren von<br />
Statistiken muss aufhören. Eine Forderung an<br />
die Politik ist, den Verfassungsschutz abzuschaffen<br />
und alles aufzuklären, was unter Mitwirkung<br />
des Verfassungsschutzes geschehen<br />
ist.<br />
Was kann man gegen Alltagsrassismus tun?<br />
Wie soll die Gesellschaft auf die neuesten enthüllungen<br />
reagieren?<br />
M: Der gesellschaftliche Diskurs muss sich ändern<br />
und da spielen die Medien eine wichtige<br />
Rolle, <strong>als</strong>o die Frage, wie berichtet wird. Einige<br />
Begriffe, die eindeutig rassistisch sind, bleiben<br />
haften und setzten sich im Diskurs durch.<br />
Außerdem ist für Menschen, die täglich von<br />
Rassismus betroffen sind, die Sensibilisierung<br />
und die Solidarität von Anderen sehr wichtig.<br />
Nicht nur bei Journalist_innen, auch bei den<br />
Polizeibeamt_innen, die zu einem Tatort gerufen<br />
werden, muss noch ganz viel in diesem Bereich<br />
getan werden. Gerade in solchen Berufen<br />
bedarf es einer besonderen Sensibilisierung<br />
für den Umgang mit Menschen, die Opfer geworden<br />
sind. Häufig erleiden diese Menschen<br />
sogar eine Retraumatisierung, wenn sie sich,<br />
z.B. nach einem Angriff, eine rassistische Äußerung<br />
oder eine rassistisch motivierte Unterstellung<br />
oder Fragestellung gefallen lassen<br />
müssen. Eine starke Zivilgesellschaft, die sich<br />
gegen Rassismus und Rechtsextremismus klar<br />
positioniert und vielfältige Initiativen sind unheimlich<br />
wichtig, damit die Opfer wissen, dass<br />
es nicht nur dieses oder jenes Projekt gibt, sondern<br />
dass es auch andere Menschen gibt, die<br />
solidarisch mit ihnen sind. Auch eine sensible<br />
und kontinuierliche Berichterstattung in den<br />
Medien wäre sehr wichtig.<br />
U: Antirassismus müsste fester Bestandteil jeder<br />
Aus- und Weiterbildung sein, das gilt vor<br />
allem für Behördenmitarbeiter_innen und alle,<br />
die Kontakt zu Betroffenen haben.<br />
M: Es gibt aber auch Hoffnung. Es gibt Studierende,<br />
die sich etwa gegen Dozent_innen<br />
auflehnen, die das N-Wort sagen. Und es gibt<br />
Staatsanwält_innen, die den rassistischen<br />
Hintergrund eines Angriffs klar benennen. Leider<br />
sind diese Menschen immer noch die Ausnahme,<br />
aber sie machen Hoffnung. Durch die<br />
Morde, die gerade in der Öffentlichkeit stehen,<br />
wird Rassismus wieder diskutiert. Aber auch in<br />
dieser Debatte wird Rassismus auf die Anderen<br />
geschoben und <strong>als</strong> Phänomen dargestellt, das<br />
bei Terrorist_innen oder bei der NPD auftaucht.<br />
Gerade an den Morden bzw. an der Berichterstattung<br />
(mit z.B. dem Begriff „Dönermorde“)<br />
und an den Ermittlungen in diesen Fällen in den<br />
letzten Jahren kann man aber sehen, wie verankert<br />
Rassismus ist. Dass man den Hinweisen<br />
nicht nachgegangen ist, sondern die Schuld bei<br />
den Opfern gesucht hat, wird im Nachhinein nur<br />
<strong>als</strong> Ermittlungspanne bezeichnet und nicht <strong>als</strong><br />
Rassismus. Man kann sich aber vorstellen, wie<br />
unerträglich es für die Angehörigen gewesen<br />
sein muss, gleichzeitig den Verlust des Menschen<br />
und die vermeintliche Aufklärung durch<br />
die Unterstellung einer kriminellen Vergangenheit<br />
desselben zu verkraften. In diesen Fällen<br />
hat Rassismus den Blick von Presse und Polizei<br />
bestimmt. Das erleben unsere Klient_innen<br />
auch. Diese Vorgehensweise ist für uns normal.<br />
Unsere Klient_innen sind durch diese Ermittlungen<br />
nicht verunsicherter <strong>als</strong> vorher, weil einige<br />
diese Erfahrungen selbst gemacht haben,<br />
wenn auch auf einer anderen Skala. Sie waren<br />
dann diejenigen, die die Polizei angerufen und<br />
auf die Polizei gewartet haben. Häufig waren<br />
sie erkennbar verletzt. Und trotzdem wurden<br />
ihnen Handschellen angelegt und sie wurden<br />
gefragt, was sie gemacht hätten, „irgendwas<br />
muss ja gewesen sein“. Ich hoffe, dass durch<br />
die aktuelle Debatte die Sensibilisierung der<br />
Öffentlichkeit, der Berichterstatter_innen und<br />
der Beamt_innen vorangetrieben wird.<br />
10 Jahre ReachOut | ReachOut in der Praxis<br />
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