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Broschüre als PDF - Migrationsrat Berlin-Brandenburg eV

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„DIe VerhältnIsse<br />

krItIsIeren“<br />

Politik & Medien | Ein Gespräch mit Sabine Seyb<br />

Wagen wir einen Blick zurück. Wie hat sich der<br />

umgang von Politiker_innen und Behörden mit<br />

ReachOut seit der Gründung im Jahr 2001 gewandelt?<br />

Sicher haben wir unsere Arbeit im Laufe der<br />

Jahre professionalisiert. An den ursprünglichen<br />

konzeptionellen Überlegungen hat sich wenig<br />

geändert. Im Vergleich zur Anfangszeit wird<br />

ReachOut von politisch Verantwortlichen und<br />

Behördenvertreter_innen ernst genommen<br />

– auch wenn sie uns nicht immer mögen. Wir<br />

müssen uns nur noch sehr selten dafür rechtfertigen,<br />

dass die Betroffenengruppen, die wir<br />

unterstützen und beraten, einen Anspruch auf<br />

ein auf sie abgestimmtes Angebot haben, genau<br />

wie andere Opfergruppen auch. Unsere<br />

Analysen in Bezug auf die Angriffssituationen<br />

und Angriffszahlen finden bei Politiker_innen,<br />

aber auch bei Medienvertreter_innen und Wissenschaftler_innen<br />

deutlich mehr Gehör <strong>als</strong><br />

zu Beginn unserer Arbeit. Unsere Erkenntnisse<br />

weichen meistens von denen der Ermittlungsbehörden<br />

ab, weil wir etwa in unserer berlinweiten<br />

Chronik auch Angriffe aufnehmen,<br />

Sabine Seyb ist Mitarbeiterin von Reach-<br />

Out. Sebastian Friedrich von kritisch-<br />

lesen.de blickte mit ihr auf gegenwärtige<br />

und vergangene Probleme mit Politik<br />

und Medien und sprach mit ihr über die<br />

Forderungen von ReachOut.<br />

die nicht angezeigt wurden. Außerdem fehlt<br />

den Ermittlungsbehörden oft die Sensibilität,<br />

manchmal vielleicht der Wille, ein rechtes oder<br />

rassistisches Motiv bei einem Angriff zu erkennen.<br />

Unser Gegengewicht zu den offiziellen<br />

Deutungen wird mittlerweile geschätzt.<br />

Ein größerer Bekanntheitsgrad in der Stadt und<br />

die Anerkennung, die uns auch von offiziellen<br />

Stellen entgegengebracht wird, führen dazu,<br />

dass wir die Betroffenen mit unseren Angeboten<br />

schneller erreichen. Wir haben die Möglichkeit,<br />

Türen zu öffnen, die ihnen sonst verschlossen<br />

bleiben würden. Es geht uns ja letztendlich<br />

darum, die Reputation, die wir uns erarbeitet<br />

haben, zu nutzen, um gemeinsam mit den Betroffenen<br />

für die Durchsetzung ihrer Interessen<br />

einzutreten - notfalls auch zu streiten.<br />

Wurde in der Vergangenheit von staatlichen<br />

stellen Druck auf euch ausgeübt?<br />

Ja, solche Versuche hat es gegeben. Zu Beginn<br />

unserer Arbeit bekamen wir beispielsweise<br />

einen Anruf von einer Mitarbeiterin des Lan-<br />

deskriminalamtes. Sie kündigte einen Besuch<br />

in unserem Büro an, da wir in unserer Chronik<br />

auch Angriffe dokumentierten, die nicht zur<br />

Anzeige gebracht wurden. Sie wollte uns quasi<br />

zwingen, die Akten zu diesen Fällen herauszugeben<br />

und unsere Erkenntnisse den Behörden<br />

zur Verfügung zu stellen. Ich musste mich<br />

dam<strong>als</strong> über die Frau bei ihren Vorgesetzten<br />

beschweren. So etwas würde heute – hoffentlich<br />

– nicht mehr vorkommen. Den Behörden<br />

ist bewusst, dass wir Erkenntnisse haben, die<br />

sie nicht haben, aber gerne hätten. Mittlerweile<br />

wird uns nicht mehr mit Hausdurchsuchungen<br />

gedroht.<br />

Ebenfalls in der Anfangszeit hatte ich ein Gespräch<br />

mit einem Mitarbeiter des Bundesministeriums<br />

für Familie, Senioren, Frauen und<br />

Jugend. Er war für die Umsetzung des CIVITAS-<br />

Programmes, über das auch ReachOut gefördert<br />

wurde, zuständig. Er gab mir zu verstehen,<br />

dass es nicht miteinander zu vereinbaren<br />

sei, staatliche Politik zu kritisieren und sich<br />

gleichzeitig über staatliche Mittel finanzieren<br />

zu lassen. Er drohte damit, die Förderung von<br />

ReachOut einzustellen. Damit brachte er ein –<br />

gelinde gesagt – sehr zweifelhaftes Demokratieverständnis<br />

zum Ausdruck. Nun ja, uns gibt<br />

es immer noch, auch wenn wir uns nach wie<br />

vor nicht den Mund verbieten lassen, wenn es<br />

darum geht, unsere Kritik an staatlicher Politik<br />

und Institutionen klar und deutlich zu formulieren.<br />

Es ist unsere originäre Aufgabe, staatliche<br />

Politik und behördliches Handeln kritisch zu<br />

begleiten.<br />

Dennoch scheint sich ja nicht alles für Projekte<br />

wie ReachOut zu verbessern. Die extremismusklausel<br />

ist eine neue erfindung, die darauf<br />

abzielt, antirassistische und antifaschistische<br />

Initiativen unter Pauschalverdacht zu stellen.<br />

Projekte, die Bundesgelder erhalten wollen,<br />

müssen diese klausel unterschreiben und damit<br />

ihre Demokratieliebe bekunden und für die<br />

Verfassungstreue ihrer kooperationspartner_<br />

innen bürgen. fiel euch die Verweigerung der<br />

unterschrift schwer?<br />

Nein. Die Grenze des Zumutbaren war mit Einführung<br />

dieser sogenannten Demokratieerklärung<br />

erreicht. Allein schon der offizielle Name<br />

verhöhnt die Demokratie. Für uns <strong>als</strong> Mitarbeiter_innen<br />

eines mit öffentlichen Mitteln finanzierten<br />

Projektes stellte sich ja nicht zum ersten<br />

Mal die Frage, wie weit wir bereit sind, uns knebeln<br />

und misstrauen zu lassen, um die Arbeit<br />

zu retten. So sollten wir beispielsweise in der<br />

Vergangenheit im Rahmen der Bundesfinanzierung<br />

gezwungen werden, unsere Veröffentlichungen<br />

vor der Druckfreigabe dem Bundesministerium<br />

zur Kontrolle vorzulegen. Schon das<br />

kam einem Maulkorb gleich, mal abgesehen<br />

davon, dass sich so keine zeitnahe Öffentlichkeitsarbeit<br />

machen lässt.<br />

Da wir nun die Extremismusklausel nicht unterschrieben<br />

haben, werden wir folgerichtig nicht<br />

mehr über das Bundesprogramm finanziert.<br />

Aber wenn wir auf der Seite der Betroffenen<br />

stehen, müssen wir dazu beitragen, dass sich<br />

die Rahmenbedingungen verändern, die etwa<br />

Rassismus begünstigen. Wir müssen daher<br />

immer in der Lage sein, die gegenwärtigen Verhältnisse<br />

grundlegend zu kritisieren. Die Extremismusklausel<br />

schränkt die Fähigkeit der Kritik<br />

ein. Hinzu kommt, dass sie unsere Bündnisarbeit<br />

unmöglich macht. Die Extremismusklausel<br />

ernst genommen, führt zu einer Bespitzelung<br />

der Bündnis- und Kooperationspartner_innen,<br />

die wir selbstverständlich ablehnen. Zusammenarbeit<br />

braucht Vertrauen. Wir würden<br />

uns arbeitsunfähig machen. Außerdem ist es<br />

schlichtweg nicht unsere Aufgabe zu beurteilen,<br />

wer, wann, wie gegen das Grundgesetz verstößt.<br />

Das ist Aufgabe der Gerichte.<br />

Insgesamt zeugt die Extremismusklausel von<br />

einem erheblichen Mangel an Wertschätzung<br />

gegenüber der Arbeit von Projekten wie ReachOut.<br />

Warum wird den Projektmitarbeiter_innen<br />

nach zehnjähriger überaus erfolgreicher<br />

Arbeit plötzlich ein solches Misstrauen entgegen<br />

gebracht? Die Menschen, die in den Projekten<br />

arbeiten, nehmen es in Kauf, sich selbst zu<br />

gefährden, weil sie von Neonazis und anderen<br />

10 Jahre ReachOut | Mehr Fragen und Antworten<br />

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