Heft 11 - ASchuM-Arbeitsgemeinschaft Schulberatung in Mittelfranken

Warum dieses Heft das Thema „Krisen“ zum Inhalt hat
22.05.2012
Memmingen – Ein 14 Jahre alter Schüler hat in der Lindenschule in
Memmingen (Bayern) aus einer scharfen Waffe geschossen.
Die Schüler und ihre Lehrer schlossen sich im Klassenzimmer ein. Die
Mittelschule wurde geräumt. Der Schüler flüchtete, verschanzte sich später auf
einem Sportplatz – und schoss um sich!
Er wurde am Abend festgenommen.
Es gab keine Verletzten.
Gravierende Krisen machen weder vor der Schultür Halt noch betreffen sie
ausgesuchte Schulen oder Schularten. Sie brechen meist vollkommen unvermittelt,
„wie aus heiterem Himmel“ über die Schulfamilie herein und können dabei das
gesamte System Schule und die dort lehrenden und lernenden Menschen sowie
ihre Familien, Freunde, Nachbarn und Kollegen ins Chaos stürzen.
Selbst, wenn die Betroffenen äußerlich unversehrt bleiben, wie unlängst im „Fall
Memmingen“ (der für die Schüler und Lehrer der Lindenschule „glimpflich“
ausging), können sie dennoch psychisch enorm verunsichert, destabilisiert und
sogar traumatisiert sein. Nach einem Krisenereignis können Schülerinnen und
Schüler Lern-, und Leistungsstörungen und/oder Verhaltensveränderungen
entwickeln, die so vorher nicht wahrnehmbar waren und häufig nicht in
Zusammenhang mit einem Krisenereignis gesehen werden.
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 1
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Es kann wirklich JEDE Schule treffen. Krisen lassen sich nicht vermeiden. Schulen
können sich jedoch auf den Ernstfall vorbereiten, um so im Akutfall handlungs-
fähiger zu werden/bleiben und das entstehende Chaos sowie die physischen wie
psychischen Folgeschäden für die Betroffenen so gering wie möglich zu halten.
Gleichzeitig kann eine gelungene Krisenprävention der Schulfamilie das Gefühl
geben, einem möglichen Ernstfall nicht vollkommen hilflos ausgeliefert zu sein
und damit zur Erhöhung des Sicherheitsempfindens beitragen.
Die beiden Autoren 1 , Katharina Walden und Norbert Gockner, beide
Schulpsychologen im Förderschulbereich, sind seid zwei Jahren Mitglieder im
Krisen- Interventions- und Bewältigungsteam Bayerischer Schulpsychologinnen
und Schulpsychologen (kurz KIBBS) Mittelfrankens. Neben der Unterstützung von
Schulen in Krisenfällen ist die Fortbildung von Krisenteams, Schulleitungen,
Beratungsfachkräften und Kollegien aller Schularten eine zentrale Aufgabe von
KIBBS. Im folgenden Leitartikel wird aufgezeigt, was unter gravierenden Krisen
verstanden wird, welche Auswirkungen sie auf die Betroffenen haben, welche
Schritte eine Schule tun kann, um Krisen aktiv zu begegnen und welche
Unterstützungssysteme zur Verfügung stehen. Ein Augenmerk wird dabei auf die
Zusammensetzung des schulinternen Krisenteams (SKIT) und dessen mögliche
Aufgaben gelegt. Abschließend wird ein Überblick über hilfreiche Materialien
gegeben.
1 Zwecks der besseren Lesbarkeit wurde im Folgenden die männliche Form gewählt.
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Gravierende Krisen an Schulen bewältigen
1. KIBBS – Mittelfranken
Bis zum Tag des Amoklaufs am Erfurter Gutenberg – Gymnasium 2 gab es nur
vereinzelt Schulpsychologen, die über Krisen- Know-
How verfügten. Nach dieser Tragödie, wurde KIBBS,
eine Gruppe von Experten für Krisenmanagement und
Krisenprävention, systematisch vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht
und Kultus aufgebaut. Alle KIBBS-Mitglieder verfügen über vertiefte Kenntnisse
zur Krisenintervention. KIBBS setzt sich aus Schulpsychologen aller Schularten
zusammen und unterstützt schulartübergreifend alle Schulen. Das Team von
ursprünglich 15 Schulpsychologen, von denen viele zur Unterstützung in Erfurt
dabei waren, ist mittlerweile auf 40 Mitglieder angewachsen. Für jeden
Regierungsbezirk Bayerns existiert ein eigenes KIBBS -Team. Im mittelfränkischen
Team arbeiten z. Zt. sieben Kolleginnen und Kollegen zusammen. KIBBS
Mittelfranken wird dabei von ca. 40 weiteren Schulpsychologen, die Grund-
kenntnisse im Bereich Krisenintervention erworben haben, unterstützt. Im akuten
Krisenfall sollten, wenn möglich, immer die zuständigen Beratungsfachkräfte vor
Ort mit eingebunden werden.
2. Krisen im Umfeld Schule
Mit dem Begriff Krise ist eine vorübergehende Instabilität von Individuen oder
sozialen Systemen aufgrund von abrupt eintretenden (traumatischen) Ereignissen,
die Gefühle wie starke Angst, Hilflosigkeit, Verzweiflung, Schmerz oder Ohnmacht
hervorrufen, gemeint. Gravierende Krisenereignisse versetzen die betroffenen
Individuen oder Institutionen in der Regel in einen Zustand von Chaos und
2 Am 26.04.2002 erschoss der 19-jährige Robert Steinhäuser zwölf Lehrer, eine Sekretärin, zwei
Schüler und einen Polizisten und tötete sich danach selbst. Dieses war ein bis dahin erstmalig an
einer Schule in Deutschland verübter Amoklauf.
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Orientierungslosigkeit. Das Geschehene in einem ersten Impuls zu leugnen wie auch
das Eintreten von Handlungslähmung gehören zu normalen Reaktionen. Manchmal
wird durch ein derartiges Ereignis, das Sicherheitsempfinden der Menschen im
Lebensraum Schule langfristig zerstört 3 .
Zu schulischen Krisen zählen in erster Linie natürliche und gewaltsame Todesfälle
oder schwere Unfälle von Schülern, Lehrkräften und Mitarbeitern der Schule,
Bedrohungslagen wie schwere Gewaltandrohung gegen einzelne oder mehrere
Mitglieder der Schulfamilie, aber auch Gewalttaten wie Mobbing, Schlägereien,
Misshandlungen, sexuelle Übergriffe, Geiselnahme und Amok. Daneben können
eine Reihe weiterer Krisensituationen (s. Tabelle) auftreten.
Todesfälle
natürliche gewaltsame (Suizid, Mord)
schwere (auch technische) Unfälle
Explosion Brand
Auto-/Schulbusunfall …
schwere Krankheiten
chronische Krankheiten medizinischer Notfall
Bedrohungslagen
schwere Gewaltandrohung Bombendrohung
Naturkatastrophen Epidemien
Gewalttaten
Mobbing Schlägereien
Misshandlungen sexuelle Übergriffe
Geiselnahme Amok
Entführung Bombenanschlag
Vandalismus …
3 Wie auch in Erfurt geschehen, wo das Gutenberg-Gymnasium mehr als Jahre nicht mehr betreten
werden konnte.
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Auch wenn sich das Krisengeschehen nicht in der Schule oder unmittelbaren
Schulnachbarschaft abspielt, wirken gravierende Krisenereignisse, die einzelnen
Schulmitgliedern persönlich oder als Zeugen außerhalb der Schule widerfahren
sind, in den Schulalltag hinein. Unterschiede zwischen den verschiedenen
Krisenereignissen gibt es hinsichtlich der Zahl der Betroffenen, der Dauer der
Akutsituation und dem Ausmaß. Die potentiellen psychischen Auswirkungen für
die Betroffenen bleiben jedoch bei allen Krisenereignissen gleich.
Besonders erschwerend für das Management von Krisen im Umfeld Schule ist,
dass einer großen Anzahl von Betroffenen häufig nur eine geringe Anzahl an
Unterstützern gegenüber steht. Schulleitung als Hauptverantwortliche und
Lehrkräfte sind gleichzeitig Betroffene und Unterstützer. Sie sollen organisieren,
stabilisieren, schützen und planen, sind jedoch häufig selbst handlungsunfähig
und bedürfen der Stabilisierung. Kinder und Jugendliche verfügen aufgrund ihres
geringen Lebensalters meist noch über wenige Bewältigungserfahrungen und sind
dabei besonders auf Hilfe von Erwachsenen angewiesen. Zusätzlich steht ein
gravierendes schulisches Krisenereignis deutlich im Fokus öffentlichen Interesses.
Nicht nur die Angehörigen und Freunde der unmittelbar Betroffenen gilt es zu
unterstützen. Auch Nachbarn, Mitglieder anderer Schulfamilien, Schulaufsicht,
Gemeinde oder manchmal eine ganze Nation nehmen Anteil und verlangen
Informationen und Aufklärung, was häufig sehr zeitnah, ungefragt und unpassend,
kontinuierlich und umfassend durch die Medien erledigt wird.
Wie schon im Vorwort erwähnt, sind Krisen nicht zu verhindern, es kann wirklich
jede Schule treffen! Krisen können aber durch eine sorgfältige Vorbereitung auf
den Akutfall besser bewältigt und ihre negativen Auswirkungen minimiert werden.
Wichtig ist es daher, sich vor dem ersten Krisenereignis Gedanken über Ziele und
Aufgaben eines akuten Krisenmanagements zu machen.
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3. Psychologische Grundlagen
An dieser Stelle möchten wir einen Einblick in die psychotraumatologischen
Grundlagen geben, um zu zeigen, warum es so wichtig ist, rechtzeitig auf
Krisenereignisse zu reagieren und um Wissen über normale und pathologische
Reaktionen der Betroffenen zu vermitteln. Widerfährt einem Menschen ein
„Ereignis, das schwere körperliche Verletzung, tatsächlichen oder möglichen Tod
oder eine Bedrohung der physischen Integrität der eigenen Person oder anderer
Personen beinhaltet“ und eine „Reaktion mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder
Entsetzen (bei Kindern desorganisiertes oder agitiertes Verhalten 4 )“ 5 auslöst, so
erleidet er ein Trauma (gr.: Wunde, Verletzung), eine psychische und/oder
körperliche Verletzung.
Ein persönlich erlebtes Trauma kann für die Betroffenen unterschiedliche
medizinisch und psychologisch bedeutsame Folgen haben, klassifiziert in der ICD-
10 6 und dem amerikanischen Pendant, das DSM-IV (Diagnostic and Statistical
Manual of Mental Disorders). Die Diagnosen können nur vom Facharzt für (Kinder-
und Jugendlichen) -Psychiatrie gestellt werden:
Quelle: Rosner, Steil. 2009
4
Zustand der Unruhe mit erhöhter Anspannung und gesteigerter Psychomotorik
5
DSM-IV-TR (APA,2003)
6
ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems; dt.: Internationale statistische
Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) ist ein von der WHO erstelltes
Verschlüsselungsinstrument aller medizinisch jemals diagnostizierten Krankheitsbilder
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Im Folgenden werden die beiden für die Schule hauptsächlich relevanten
Traumafolgestörungen erläutert 7
Die Akute Belastungsreaktion (kurz ABR, ICD-10, F43.0):
Akute Belastungsreaktionen sind vorübergehende Reaktionen, die wenige Minuten
nach dem Erleben eines traumatischen Ereignisses eintreten können und in den
meisten Fällen innerhalb von zwei bis drei Tagen langsam abklingen. 90% aller
Betroffenen entwickeln eine ABR. Die ICD-10 beschreibt vier Bereiche, in denen
sich die Symptome manifestieren können:
Vegetative Ebene: Schwindel, Schwächeanfall, Herzklopfen, erhöhter
Blutdruck, Atemprobleme, Müdigkeit, Übelkeit und Erbrechen, Muskel- und
Nervenzuckungen oder auch Schlafstörungen
Emotionale Ebene:
− Angst, Panik, Unsicherheit, Beklemmung, Schuldgefühlen, Gefühlen
von Hilflosigkeit/Überwältigung
− Wutausbrüche, Verdrängung, erhöhte Erregbarkeit, aggressives
Verhalten
− depressive Verstimmungen, Gefühlsarmut
Kognitive Ebene:
− Allgemeine Verwirrung, verstärkte oder reduzierte Wahrnehmung
des Umfeldes, Schwierigkeiten bei der Identifikation von bekannten
Personen, Desorientierung bezüglich Zeit, Raum und Personen
− Misstrauen, Albträume
− Schwächen in der Konzentration, Aufmerksamkeit und im
Erinnerungsvermögen, überhöhte oder reduzierte
Reaktionsbereitschaft, Schwächen im abstrakt-logischen Denken
Verhaltensebene:
− Rückzug/Abkapselung, unsoziale Handlungen
− Hektik/Rast- und Ruhelosigkeit, unkontrollierte Bewegungen
− erhöhter Konsum von Alkohol, Drogen, Genussmitteln
− verändertes Essverhalten, Überempfindlichkeit
7 Auf die andauernde Persönlichkeitsveränderung soll hier nicht weiter eingegangen werden.
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Die Posttraumatische Belastungsstörung (kurz PTB, ICD-10, F43.1):
Auftreten folgender Kernsymptome innerhalb von vier Wochen bis sechs Monaten
nach einem traumatischen Ereignis 8 :
Intrusionen:
− immer wieder auftretende und nicht bewusst steuerbare Trauma
bezogene Vorstellungen, Träume und Gefühle
− Wiedererleben der Körperwahrnehmungen, die sich während des
Traumas abgespielt haben (physiologisches „Erinnern“).
Vermeidungsverhalten:
− Betroffene können sich nicht bewusst an Einzelheiten des
traumatischen Ereignisses erinnern (Amnesie)
− Vermeiden Trauma bezogener Gefühle (Mensch wirkt wie emotional
betäubt)
− Vermeiden von Trauma relevanten sozialen Kontakten
Übererregbarkeit:
− Konzentrationsstörungen
− Reizbarkeit, Wutausbrüche, Schreckreaktionen
− vermehrter Wachsamkeit
weitere spezielle Symptome:
− Depressiver Rückzug
− Flashbacks 9
− regressives Verhalten 10
− vegetative Beschwerden und Schmerzen
− Ängste, Phobien und Panikattacken
8 auch die verbale Mitteilung eines solchen Ereignisses scheint bei Kindern und Jugendlichen schon
auszureichen, um eine PTB auslösen zu können (z.B. die Nachricht eines Suizids eines Angehöri-
gen, Freundes, Lehrers oder einer Naturkatastrophe)
9 Nachhall- bzw. Wiedererinnerungen, die durch bestimmte Reize, sog. „Trigger“, (die während des
traumatischen Ereignisses unbewusst abgespeichert wurden) ausgelöst werden und während deren
das gesamte Ereignis (oder Teile davon) scheinbar real wiedererlebt werden.
10 Rückfall von entwicklungspsychologisch bereits abgeschlossenen Verhaltensweisen (wieder
Einnässen, Einkoten, Daumenlutschen etc.)
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Kinder und Jugendlichen reagieren auf ein traumatisches Ereignis mit einer
speziellen Symptomatik 11 :
Wiederholtes Nachspielen der traumatischen Situation
Unspezifische Albträume
Erregung, Anklammern, aggressives, regressives Verhalten bei Kon-
frontation mit Situationen oder Dingen, die an das Trauma erinnern
Bauch-, Kopfschmerzen, erhöhte Infektanfälligkeit
Angst vor Dunkelheit, Monstern, Alleinsein; Trennungsangst; übermäßige
Besorgnis, Familienmitgliedern oder Freunden können etwas zustoßen
Ein- und Durchschlafprobleme
Folgeerkrankungen (v.a. bei Jugendlichen): Alkohol- und Drogenmiss-
brauch, selbstverletzendes/suizidales Verhalten, Essstörungen
Beeinträchtigungen in Sozialkontakten, Familie, Schule
Eine PTB kann, wenn sie nicht erkannt wird, ein Leben lang anhalten. Die
Wahrscheinlichkeit, dass Menschen nach einem traumatischen Ereignis eine PTB
entwickeln ist von verschiedenen Faktoren abhängig: von Schweregrad und Art
der traumatischen Situation, biologischen und genetischen Faktoren,
Persönlichkeit des Betroffenen, belastenden Kindheitserlebnissen und der
sozialen Unterstützersysteme. Eine PTB kann in jedem Alter auftreten,
Mädchen/Frauen sind doppelt so gefährdet wie Jungen/Männer. Die PTB ist eine
der häufigsten psychischen Störungen! 12 Ca. 8-10% der Erwachsenen entwickeln
in Folge eines traumatischen Ereignisses eine PTB. Bei Kindern ist der Anteil
etwas geringer. Nach dem Amoklauf in Erfurt entwickelten 700 Schüler eine PTB,
100 waren noch ein Jahr danach auf psychologische Behandlung angewiesen.
2012 (10 Jahre nach dem Ereignis) befinden sich immer noch 6 Zeugen in
psychologischer Behandlung. 13
11
vgl. Rosner/Steil, 2009.
12
a.a.O.
13
Quelle: wikipedia, 2012
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Da die Absenz sozialer Unterstützersysteme ein wichtiger Risikofaktor bei der
Entstehung von PTB ist, können eine zeitnahe Krisenintervention sowie eine
langfristige Krisennachsorge einen wichtigen Beitrag zur Prävention von
Traumafolgestörungen wie die PTB leisten. Bei Kindern und Jugendlichen, die
plötzlich durch ein stark verändertes Verhalten auffallen, ist es immer sinnvoll an
die Möglichkeit zurückliegender traumatischer Ereignisse (inner- oder
außerschulischer Art) zu denken und gegebenenfalls die Abklärung durch
Fachkräfte (Schulpsychologen, Kinder- und Jugendpsychiater) in die Wege zu
leiten. Den Bedürfnissen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die sich im
Zustand einer Akuten Belastungsreaktion befinden und daher momentan nur
bedingt lern- und leistungsfähig sein können, ist in besondere Weise Rechnung zu
tragen. 14
4. Ziele und Aufgaben des Krisenmanagements
Das Auftreten einer Krise erzeugt in der Regel Chaos im System. Es treten
Verhaltensweisen auf, die für die Bewältigung der Krise hinderlich sind. So kann
es beispielsweise sein, dass der Schulleiter nicht in der Schule anwesend ist und
dessen Stellvertreter irritierende Anweisungen gibt. Ein Vorgesetzter will das
schreckliche Ereignis nicht als solches werten. Manche Kollegen bekommen
Vereinbarungen nicht mit, bestimmte Informationen werden u.U. zurückgehalten.
Gerüchte werden geschürt. Wenige Kollegen werden retraumatisiert. Nur
vereinzelt gibt es Kenntnisse über fundiertes Krisenmanagement. Zudem ist jedes
Krisenereignis immer wieder anders.
14 So ist es z.B. sinnvoll, die ersten Tage nach einem Krisenereignis angesetzte Leistungsnachweise
(Proben, Abfragen, Prüfungen usw.) zu verschieben
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Oberstes Ziel ist es nun diese Krise zu meistern. Dies geschieht anhand folgender
grundlegender Veränderungsprozesse:
Ordnung statt Chaos
Annahme statt Leugnung
Sicherheit statt Angst
Orientierung statt Orientierungslosigkeit
Handlung statt Lähmung
Grundsätzlich betrifft Krisenmanagement sowohl die gesamte Schule als System
als auch die dort lebenden einzelnen Individuen. Es muss daher das Ziel einer
gelungenen Krisenintervention sein, dass sowohl Schule als Institution als auch
ihre einzelnen Mitglieder in der Akutsituation stabilisiert und wieder handlungsfähig
gemacht werden, dass sie Orientierung zurück gewinnen, die Tatsache des
Krisenereignisses annehmen lernen und auch langfristig die abhanden
gekommene Ordnung sowie das Sicherheitsgefühl der Mitglieder der Schulfamilie
wieder hergestellt wird. Da Zeugen von Krisenereignissen unmittelbar traumatisiert
oder - aufgrund zurück liegender Erlebnisse - retraumatisiert werden können,
gehört Traumabewältigung ebenso zu den Aufgaben der Krisenintervention wie
Trauerarbeit, die unterstützen soll, eine durch das Ereignis veränderte Situation an
der Schule und/oder in der Klasse langfristig zu bewältigen. Insofern gehört auch
die Organisation der Nachbetreuung einzelner Betroffener oder ganzer Gruppen
(z.B. durch Klassengespräche, Elternabende, Dienstbesprechungen etc.) zu den
Aufgaben des Krisenmanagements. Die Krise und ihre Auswirkungen sind nicht
vorbei, wenn die Akutsituation beendet ist!
5. Zusammensetzung und Aufgaben schulischer
Krisenteams
Auch wenn KIBBS oder andere schulfremde bzw. schulinterne Berater zur
Krisenbewältigung hinzugezogen werden können, sollte jede Schule ein eigenes
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Krisenteam aufbauen. Das interne Krisenteam der Schule (SKIT) wird aus
verschiedenen Berufsgruppen vor Ort gebildet. Der Schulleiter gehört als
Hauptverantwortlicher ins Krisenteam. Ergänzt wird es durch engagierte Kollegen,
Religionspädagogen, Sicherheitsbeauftragten, Beratungslehrkraft,
Verwaltungsangestellte, Schulpsychologen und evtl. den Hausmeister. Damit ein
schulisches Krisenteam arbeitsfähig bleibt, ist es unerlässlich, sich in regel-
mäßigen Abständen zur Weiterentwicklung zu treffen. Wichtig ist auch, das
Krisenteam in das Kollegium einzubinden.
Das schulinterne Krisenteam wird je nach Krisenfall in der Akutsituation noch
durch andere Berufsgruppen zu einem erweiterten Krisenteam ergänzt werden
müssen, z.B. Schulaufsicht, Sachaufwandsträger, Sozialpädagoge, Polizei, KIBBS
usw.
Zu den Aufgaben des Krisenteams gehören die Vorsorge, die Fürsorge in der
Akutsituation sowie die Nachsorge. Vorsorge umfasst z.B. die Erstellung eines
Sicherheitskonzeptes, den kontinuierlichen Austausch mit Polizei und
Schulberatung oder eigene Fortbildungen und das Durchspielen von Szenarien.
Fürsorge in der Akutsituation meint die Organisation der stabilisierenden
Maßnahmen (Betreuung der Betroffenen, Kontakte zu Eltern/Unterstützern
herstellen/halten, Elternbriefe erstellen, den Kontakt zum Kollegium zu halten
sowie die Unterstützung der externen Kräfte). In der Phase der Nachsorge müssen
Ansprechpartner für besonders betroffene Personen benannt sowie evtl. Kontakte
zu externen Beratungsfachkräften hergestellt werden.
Neben dem schulischen Krisenteam kann in allen Phasen der Krisenbewältigung
das externe KIBBS -Team zur Unterstützung hingezogen werden.
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6. Kreise der Betroffenheit und Kreise
der Unterstützung
Quelle: Community stress prevention centre, Kiryat Shmonah, Israel 1999;
s. a. Engelbrecht & Storath 2002: Krisenmanagement in Schulen,
Reihe Forum Schulpsychologie, Landesverband Bayerischer
Schulpsychologen (LBSP), S. 25
3. Personen in der „Hördistanz“, in der
institutionellen bzw. regionalen
Nachbarschaft: Verwandte, engere
Bekannte, die ganze Schule, Schulleitung,
2. Personen in der näheren
Umgebung ohne unmittelbare
Traumaerfahrung: Familie, Freunde,
Schul- und Klassenkameraden,
andere Lehrkräfte, andere Klassen,
...
1. Personen in unmittelbarer Nähe zum
Trauma: direkt betroffene Schüler, Eltern,
Lehrkräfte, ...
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Die „Kreise der Betroffenheit“ wurden in Israel zur Krisenintervention entwickelt
und sind ein flexibles Instrument, um sicher zu stellen, dass alle Personen, die mittel-
oder unmittelbar betroffen sind, im Fokus bleiben und (bei Bedarf langfristig)
unterstützt werden können, wobei die Unterstützung auf viele Schultern verteilt
werden sollte.
In einem ersten Schritt werden alle von einem Krisenereignis betroffenen Personen
aufgeschrieben und entsprechend den Dimensionen (s.o.) in den Kreisen
positioniert.
In einem zweiten Schritt wird den betroffenen Personen durch die „Kreise der
Unterstützung“ jeweils mindestens ein möglicher Unterstützer zugewiesen. Im
Lehrerzimmer ausgehängt kann die Visualisierung der jeweiligen veränderten
Situation angepasst werden.
Hier ein mögliches Beispiel zur Anschauung (die orange farbigen Kärtchen
benennen die Betroffenen, die gelben die jeweiligen Unterstützer)
© KIBBS Mittelfranken
Schulamt
Freunde
Freunde
Eltern
Familien
Angehörige
Lehrer
Tobias
Mitschüler
Eltern
Busfahrer
Busunternehmen
Klassenlehrer Zeugen
Angehörige
Schulleitung
Schüler Kollegium
anderer Klassen
Eltern
Eltern
Businsassen
Notfallseelsorger
Schulpsychologe
Schüler mit
Unfallerfahrung
Lehrer
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7. Unterstützungsangebote durch KIBBS –
Mittelfranken
KIBBS arbeitet nach dem VFN - Modell:
Fürsorge rsorge in in der
der
Akut Akut sit sit uat uat ion
ion
Vorsorge orsorge
© KIBBS Mittelfranken
Nachsorge achsorge
Im Rahmen der Vorsorgephase (V) begleitet KIBBS Schulen durch Fortbildungen,
Unterstützung beim Aufbau von Krisenteams, Ausarbeitung von Notfallplänen,
Durchspielen von Szenarien usw. In der Akutsituation beinhaltet Fürsorge (F) z.B.
Coaching von Schulleitung und Kollegium, Materialien zur Verfügung zu stellen
oder Trauma bewältigende Gespräche mit Einzelnen oder Gruppen zu führen.
Lehrerkonferenzen und Elternabende zu begleiten, Vermittlung von Therapeuten
und Supervision sind mögliche Maßnahmen im Rahmen der Nachsorge (N).
Im Akutfall können sich Schulen an KIBBS über die zuständige Koordinatorin,
Frau Lehmann, wenden. Diese wird dann in einem Erstgespräch klären, welche
Unterstützung die Schule benötigt. Danach klärt sie mit dem Team wer, wann, wie
unterstützend tätig wird.
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Kontaktaufnahme KIBBS-Team über:
Dipl. Psych. Petra Lehmann (Koordinatorin für Mittelfranken)
Staatliche Schulberatungsstelle Mittelfranken
Glockenhofstr. 51
90478 Nürnberg
Fon: 0911 – 5867618 oder 5867610
Mail: lehmann@kibbs.de
8. Weitere konkrete Unterstützungsmöglichkeiten
Ob Schulen KIBBS zur Unterstützung anfordern, ob sie andere Unterstützer
einbinden oder die Krise selbst zu managen versuchen liegt letztendlich in ihrem
eigenen Ermessen. Bei Großschadenslagen wie Amokdrohungen, Geiselnahme,
Bombendrohungen- oder Anschläge werden immer automatisch die Polizei und
das Kultusministerium hinzugezogen, welches dann den Einsatzauftrag an KIBBS-
Mitglieder aus ganz Bayern gibt. In anderen Krisen entscheidet die Schulleitung,
welche Unterstützer sie schulintern oder in der Nachbarschaft zur Verfügung hat
und ob diese ausreichen. Es ist in jedem Fall empfehlenswert sich dem
Krisenmanagement in Schulverbünden zuzuwenden, um so im Ernstfall schnell
und mit ausreichenden Ressourcen handlungsfähig zu sein. Neben dem SKIT
(schulinternes Krisenteam) und KIBBS können weitere Unterstützer sein:
Im Akutfall:
− Nachbarschulen
− Schulpsychologen der Nachbarschulen
− Kontaktbeamter der Polizei
− Notfallseelsorger
Für die Nachsorge:
− Institutionen der Jugendhilfe (z.B. Jugendamt)
− Erziehungsberatungsstellen
− Kliniken für Kinder –und Jugendpsychiatrie (Ansbach, Erlangen,
Nürnberg)
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Literatur:
− Niedergelassene Fachärzte für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
− (Trauma-)Therapeuten
− Netzwerk Traumahilfe Mittelfranken
(http://www.krisendienst-mittelfranken.de/traumahilfe/index.html
APA ( American Psychiatric Association). 2003. Diagnostisches und
Statistisches Manual Psychischer Störungen-Textrevision- DSM-IV-TR. Dt.
Bearbeitung von Saß.H, Wittchen, H.-Z., Zaudig, M. & Houben, I. Göttingen:
Hogrefe
Englbrecht, A. & Storath, R. 2005. Erziehen: Handlungsrezepte für den
Schulalltag in der Sekundarstufe: In Krisen helfen. Themenband mit CD-
ROM
Lehmann, P. & Stradtner, Elka. 2010. Suizid, ein Thema für die Schule? in:
Prävention – Zeitschrift für Gesundheitsförderung. Ausgabe 2.
http://sabo.webmelone.net/product_info.php/info/p82_Ausgabe-2-2010.html
vom 13.07.2012
Lehmann, P. 2011. Krisenmanagement in der Schule in: Schulleiter-ABC.
107. Ergänzungslieferung. Lott, G. & Pirner, K. (Hrsg.). Mediengruppe
Oberfranken-Buch- und Fachverlage GmbH&Co. KG. Kulmbach.
Rosner, R. & Steil, R. 2009. Posttraumatische Belastungsstörung. Leitfaden
Kinder- und Jugendpsychotherapie. Göttingen: Hogrefe
http://de.wikipedia.org/wiki/Amoklauf_von_Erfurt vom 25.07.2012
World Health Organization, WHO. 1991. Internationale Klassifikation
psychischer Störungen. ICD-10. Bern. Huber Verlag
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Zum Thema Krisenbewältigung:
Hilfreiche Materialien
Rita Rosner, Regina Steil: Ratgeber Posttraumatische Belastungsstörung
„Der Ratgeber liefert verständliche Informationen zum Störungsbild der
Posttraumatischen Belastungsstörung in Kindheit und Jugend sowie zu dessen
Behandlung. Ausführlich werden mögliche Beschwerden und Störungen im
zeitlichen Verlauf nach einem traumatischen Ereignis beschrieben. Detailliert wird
dargestellt, wie Eltern, Erzieher der Lehrer einen von einer Traumatisierung
betroffenen jungen Menschen im alltäglichen Leben aber auch bei der Diagnostik
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und Behandlung begleiten können. Der Ratgeber zeigt zudem auf, welche
Verhaltensweisen unterstützend sind und welche die Erkrankung eher
aufrechterhalten können“.
Hogrefe Verlag Göttingen, 2009. ISBN 978-3-8017-1819-0 8,95 €
Lackner, R., Lueger- Schuster, B. & Pal-Handl, K.:
Wie Pippa wieder lachen lernte
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Die dreiteilige Reihe „Wie Pippa wieder lachen lernte“ gibt es als Bilderbuch,
Elternratgeber und Ratgeber für Fachkräfte (Therapeuten, Pädagogen). Das
Bilderbuch beschreibt die Geschichte des lebensfrohen Mädchens Pippa, dem ein
schreckliches (nicht näher benanntes) Ereignis widerfährt und das ab diesem
Augenblick wie ausgewechselt erscheint. Nach einer anfänglichen Phase
posttraumatischer Belastungsreaktionen lernt es seinen Helfer Leo-Rix kennen,
mit dem Pippa es allmählich schafft, sich aus der Schockstarre zu lösen und
wieder Lebensfreude und Lebensmut zu entwickeln. Das Buch ist als Grundlage
für die Arbeit mit betroffenen Kindern (ca. 6-10 Jahre) geeignet und bietet eine
gute Identifikationsmöglichkeit mit den Figuren Pippa und Leo. Begleitend
stehen der Eltern- und Fachkräfteratgeber zur Verfügung, die inhaltlich stark Bezug
nehmend auf das Bilderbuch neben der Vermittlung von Grundlagenwissen zu
Trauma, Traumafolgen und Interventionsmöglichkeiten, praktische Anregungen
und Möglichkeiten zur kindgerechter Unterstützung im Umgang mit traumatisierten
Kindern geben.
Springer Verlag, Wien NewYork, 2004
Bilderbuch: ISBN 3-211-224157-7, 19,41 €
Elternratgeber: ISBN 3-211-22416-5 24,95 € Alle drei Bände: 44,95 €
Fachkräfteratgeber: ISBN 3-211-22414-9 22,95 €
Englbrecht, A. & Hirschmann, N. & Richter, W. & Röthlein H. & Storath, R.:
Führung und Verantwortung bei schulischen Krisen
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Diese Krisenkartei ist in erster Linie für die Hand von Schulleiterungen gedacht,
kann aber ebenso bereichernd für Mitglieder von SKITs oder anderen
Beratungsfachkräften und Interessierten an Krisenmanagement im schulischen
Kontext genutzt werden. „Führung und Verantwortung bei schulischen Krisen“ ist
ein sehr hilfreicher Leitfaden, der sich anhand von 18 unterschiedlichen
Krisenszenarien sehr kleinschrittig und konkret mit Krisenereignissen aus den
Bereichen Unfall, Bedrohungslagen, Gewalttaten, Suizid und Krankheit/Tod
befasst. Der Leitfaden ist in die vier Bereiche Einleitung (Teil A), konkrete
Fragen/Anleitungen/Gesetzesbezüge zu den einzelnen Szenarien (Teil B),
Grundlagen- und Fachwissen und Checklisten (Teil C) sowie einen Anhang
(Teil D) mit Glossar, Verzeichnis zitierter Gesetzestexte, Literatur und links
gegliedert.
Druckcentrum Copyland, 2008. ISBN 978-3-9809316-1-8 94,50 € (zzgl. 4,50 €
Versand)
Weiterführende Literatur:
Bründel, H. 2004. Jugendsuizidalität und Salutogenese: Hilfe und
Unterstützung für suizidgefährdete Jugendliche. Kohlhammer
Robertz, F. J. & Wickenhäuser, R.P. 2010. Der Riss in der Tafel. Amoklauf
und schwere Gewalt in der Schule. Springer Verlag. Berlin Heidelberg.
Zum Thema Umgang mit Trauer:
Bilderbücher:
Dubois, Claude K. und Gilson, Patrick. Wenn ich nicht mehr bei dir bin,
bleibt dir unser Stern. 2005. Brunnen Verlag. Gießen, Basel.
− Einfühlsames Bilderbuch über einen Jungen (Tim), dessen Freundin
(Anna) mit Krebs im Krankenhaus im Sterben liegt. Freundschaft und
Abschiednehmen. Ab 6 Jahren.
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 21
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Eibert, J. Meine Schwester wohnt im Himmel. 2012. Stachelbart-Verlag.
Erlangen
− Julian Eibert, ein junger Mann, beschreibt in Tagebuchform wie er die
schwere Krebserkrankung seiner jüngeren Schwester, ihren Tod und
die Trauer um sie erlebte. Anschaulich und bewegend erzählt, mit vielen
Fotos dokumentiert. Ab 6 Jahren
Hermann, Inger und Sole-Vendrell, Carme. Du wirst immer bei mir sein.
1999. Bechtermünz Verlag. Düsseldorf.
− Peter verliert auf einer Fahrt in den Urlaub bei einem Autounfall seinen
Vater. Schilderung des Unfalls, Erwachen im Krankenhaus, Versuche
mit dem Verlust fertig zu werden. Peter spürt die Gegenwart von Vaters
Seele. Trauerphasen. Ab 6 Jahren.
Kaldhol, Marit. Abschied von Rune.1987. Ellermann Verlag. München.
− Saras bester Freund Rune ertrinkt im Winter beim Spielen auf dem See.
Das Buch schildert in konkreten, einfühlsamen Beschreibungen und mit
wunderschönen Aquarellbildern wie Sara Rune im Wasser findet, seine
Beerdigung und das langsame Abschiednehmen bis zum Besuch der
Grabstelle im Frühling. Ab 4 Jahren.
Schindler, Regine (Hrsg.). Pele und das neue Leben. 1995. Verlag Ernst
Kaufmann. Lahr.
− Peles Freund Tomo stirbt. Erste Begegnung mit der christlichen
Vorstellung vom Sterben und einem Sein nach dem Tod. 4-8 Jahre.
Treiber, Jutta und Blazejovsky, Maria. Die Blumen der Engel. 2001. Annette
Beltz Verlag. Wien. München.
− Sonja verliert ihre Schwester Mara durch einen Autounfall und durchlebt
mit ihren Eltern eine schwere Zeit. Trauerreaktionen. Bestattungsrituale
und Beerdigung. Erinnerungen an die verstorbene Schwester. Ab 6
Jahren.
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 22
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Varley, Susan. Leb wohl kleiner Dachs. 1984/1996. Annette Betz Verlag. Wien.
München.
− Tiere haben ihren Freund, den Dachs, verloren. Trauerverarbeitung
−
Romane:
durch gemeinsame Erinnerungen. Sterben als Übergang in ein anderes
Leben. Ab 6 Jahren.
Donelly, Elfie. Servus Opa, sagte ich leise. 1984. dtv junior. München.
− Der 10-jährige Michael erlebt das Sterben seines Opas.
Bewältigungsstrategien im Umgang mit Sterben und Tod. Ab 10 Jahren.
Härtling, Peter. Oma. 1975.1991. Beltz Verlag. Weinheim. Basel.
− Der fünfjährige Kalle verliert seine Eltern und wächst bei seiner Oma auf.
Sachbücher:
Umstellung auf das neue Leben und die andere Generation. Aus Sicht
von Kalle und Oma geschrieben. Mit Lehrerbegleitheft. Ab 10 Jahren.
Ennulat, Gertrud. Kinder trauern anders. 2003. Herde spectrum. Freiburg.
Basel. Wien.
− Anleitungen zur Begleitung trauernder Kinder anhand verschiedener
Todesanlässe bzw. –umstände.
Hinderer, Petra und Kroth, Martina. Kinder bei Tod und Trauer begleiten. 2005.
Ökotopia Verlag Münster.
− Konkrete Hilfestellungen in Trauersituationen für Kindergarten,
Grundschule und zuhause. Sehr praxisorientiert.
Kübler-Ross, Elisabeth. Kinder und Tod. 1983, 2006. Knaur Taschenbuch
Verlag. München.
− Autorin berichtet anhand von Briefen, Gesprächen, Erlebnissen von
ihren langjährigen Erfahrungen im Umgang mit sterbenden Kindern und
deren Eltern. Bedeutung des Todes, Stadien des Sterbens.
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 23
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VDS (Hrsg.). Kinder und Jugendliche mit begrenzter Lebenserwartung- welchen
Beitrag muss die Schule leisten können? 2004. VDS. Würzburg.
− Verschiedene Beiträge aus der Sonderpädagogik zu Erfahrungen mit
der Thematik Tod, Sterben, Trauer bei lebensbedrohlich erkrankten
Kindern und Jugendlichen.
Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.
(Hrsg.). Bäume wachsen in den Himmel. 2003. Lebenshilfe Verlag. Marburg.
− Sehr anschaulich) gestaltetes Buch (Fotogeschichten) für Menschen mit
geistiger Behinderung über das Thema Tod und Sterben anhand 3
Beispielen (Kind, Erwachsener, alter Mensch stirbt). Für den G- bzw.
Grundschulbereich geeignet.
Luchterhand, Charlene und Murphy, Nancy. Wenn Menschen mit geistiger
Behinderung trauern. 2001. Beltz Verlag. Weinheim. Basel.
− Beschreibung allgemeingültiger Abläufe des Trauerprozesses und
Besonderheiten bei Menschen mit geistiger Behinderung mit praktischen
Anregungen für die Begleitung der Trauernden. Bezieht sich auf
Erwachsene, bietet aber auch Unterstützungsstrategien, die auf die Arbeit
mit Kindern übertragen werden können.
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg. 2004. Vom
Umgang mit Trauer in der Schule, Handreichung für Lehrkräfte und
Erzieher/innen
Katharina Walden, Norbert Gockner
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 24
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Kinder mit Fetalen Alkohol
Spektrumstörungen (FASD)
Eine große Herausforderung
Viele FASD Kinder und Jugendliche zeigen ein stark forderndes Verhalten und
lassen uns immer wieder an unsere Grenzen stoßen.
Aufgrund der veränderten strukturellen Gegebenheiten im ZNS zeigen bewährte
pädagogische Maßnahmen scheinbar keine Wirkung.
Jedoch ist das Verhalten der FASD betroffenen Kinder/Jugendlichen neurologisch
bedingt und nicht „böswillig“ oder eine Folge von Erziehungsfehlern.
Zu einer erfolgreichen Bewältigung des Schulalltags und seinen Heraus-
forderungen können informierte Lehrer und Pädagogen viel beitragen.
Medizinische Grundlagen
FASD ist die häufigste, geistige Behinderung, die nicht genetisch bedingt
ist und die zu 100% vermeidbar ist.
Alkohol hat tetratogene, d.h. Fehlbildungen auslösende Wirkung auf den Fötus.
Die Plazenta einer Schwangeren arbeitet als Schutzschranke für den Embryo und
schützt so das werdende Leben vor schädigenden Stoffen. Aufgrund seiner wasser-
und fettlöslichen Eigenschaften ist Alkohol jedoch zu 100% plazentagängig, kann
also ungehindert die Plazentaschranke passieren.
Trinkt eine schwangere Frau Alkohol, hat das Ungeborene innerhalb kürzester Zeit
denselben Blutalkoholspiegel wie seine Mutter. Der kindlichen Leber fehlen noch
die zum Abbau von Alkohol notwendigen Enzyme. Dieser kann somit nur über den
Umweg der mütterlichen Leber abgebaut werden. Deshalb ist das Ungeborene bis
zu zehnmal länger dem schädigenden Einfluss des Alkohols ausgesetzt als seine
Mutter. Schon geringe Alkoholmengen können während der Schwangerschaft die
Organe des Fetus schädigen und so zu lebenslangen körperlichen, geistigen und
seelischen Beeinträchtgungen führen.
Dieses Krankheitsbild wird als Fetale Alkohol Spektrumstörung bezeichnet (engl.:
fetal alcohol spectrum disorder), kurz FASD.
Nach heutigen Erkentnissen gibt es keine unbedenkliche Schwellendosis.
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 25
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Die Organe des Ungeborenen entwickeln sich zeitversetzt, daher ist das
Schädigungsbild vielfältig.
Kritische Phasen der vorgeburtlichen Entwicklung des Menschen (Thews et al.,
Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Menschen, Stuttgart, 1991,
S. 48)
Das Gehirn entwickelt sich jedoch während der gesamten Schwangerschaft,
deshalb ist es auch während der gesamten Schwangerschaft gefährdet für
Schädigungen durch teratogene Substanzen.
Welche Schäden können durch Alkohol während der Schwangerschaft
verursacht werden?
Häufige Symptome sind:
• Kleinwüchsigkeit
• Untergewicht
• spezielle Gesichtsveränderungen
• Augenfehlbildungen
• Veränderungen des Skelettes
• Schädigungen von Organen (jedes Organ kann betroffen sein)
• fehlende Feinmotorik/Koordinationsstörungen
• geistige Behinderung/ oder Verzögerung
• Verhaltensauffälligkeiten, wie emotionale Instabilität, Hyperaktivität, aber auch
zusätzlich psychische Erkrankungen Depressionen etc.
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 26
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!

FASD kann nur durch eine Gesamtschau aller Symptome erfasst werden. Einzelne
Symptome können ebenso Teil eines anderen Krankheitsbildes sein.
Für den Umgang im pädagogischen Bereich sind besonders die Beeinträchti-
gungen im ZNS von Bedeutung. Alkohol schädigt beim Ungeborenen direkt die
Nervenzellen und verhindert im weiteren Verlauf der Schwangerschaft deren
Vernetzung.
Die Intelligenz liegt häufig im Grenzbereich zur Lernbehinderung, jedoch liegen
die IQ-Werte bei ca. 40% der Betroffenen im Normbereich.
Was bedeuten die Schädigungen für den Umgang mit FASD Kindern und
Jugendlichen?
Obwohl sich FASD in sehr unterschiedlichen Facetten zeigt, gibt es doch einige
Gemeinsamkeiten, die betroffene Kinder/Jugendlichen zeigen und pädagogische
Maßnahmen, die FASD Kindern, und Lehrern gleichermaßen im Schulalltag helfen
können. Trotz bester Förderung bedeutet FASD für die Betroffenen fast immer
lebenslang bleibende körperliche und psychische Störungen.
Lernschwierigkeiten
FASD Kinder haben Schwierigkeiten, gemachte Erfahrungen abzuspeichern.
Sie machen immer wieder das Gleiche falsch und können aus ihren Fehlern nur
schwer lernen.
Sie verstehen manchmal einfache, vor allem jedoch komplexe Zusammenhänge
nicht. Abstraktes Denken (z.B. in der Mathematik) fällt ihnen besonders schwer.
Ihre Defizite werden jedoch meist erst relativ spät erkannt, da in der Regel eine
hohe sprachliche Kompetenz besitzen, so dass sie sich auffallend gut ausdrücken
können.
Wiederholungen
FASD Kinder haben oft besondere Schwierigkeiten Gelerntes zu behalten und zu
einem anderen Zeitpunkt wieder abzurufen. Das Einmaleins heute gelernt, kann
evtl. morgen schon nicht mehr abrufbar sein und muss neu gelernt werden.
Es kann sein, dass ein FASD Kind immer wieder die gleichen Fragen stellt, da es
die Antwort schon nach kurzer Zeit wieder vergessen hat.
Meist bereitet es ihnen auch Schwierigkeiten, einmal Gelerntes auf andere
Situationen zu übertragen. Im Mathematikbuch gelöste Rechenaufgaben können
auf einem Arbeitsblatt zu einem unlösbaren Problem werden.
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 27
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Vielfach ist auch zu beobachten, dass die Kinder an einem Tag gefordertes
Wissen haben, welches am nächsten Tag wie weggeblasen erscheint (z.B.
Vokabeln, Rechtschreibregeln, Basteltechniken usw.)
Sozialverhalten
Die Frustrationstoleranz ist bei Kindern mit FASD oft sehr gering. Häufig können
sie ihre Emotionen nicht erkennen oder Gefühle klar äußern. Sie reagieren mit
Wutausbrüchen, Weinattacken o.ä.
Wünsche „müssen“ sofort in die Tat umgesetzt werden. Taschengeld wird, wenn
möglich, sofort ausgegeben.
Es fällt ihnen oft schwer, soziale Signale und Verhaltensweisen zu verstehen. Sie
können soziale Zusammenhänge meist nicht erkennen, sich schlecht in ihr
Gegenüber hineinversetzen und dessen Empfindungen oder Gefühle nicht
nachvollziehen.
Sie geraten dadurch oft in Konflikte mit Anderen oder werden zu Außenseitern.
Entsprechend sind sie nicht in der Lage, die Konsequenzen für ihr Handeln zu
tragen, da sie sich völlig unschuldig fühlen.
Regeln
Kinder mit FASD müssen immer wieder neu auf Regeln hingewiesen werden.
Besonders wichtig dabei ist, langsam zu sprechen, möglichst immer wieder die
gleichen Worte zu wählen und vor allem: Sehen sie ein gelungenes Einhalten der
Regeln nicht als selbstverständlich an.
Eine Regel, die bisher eingehalten wurde, kann unter Umständen morgen nicht
mehr abrufbar sein. Oder aber die Übertragung eines Verbotes war nicht möglich.
(Im Klassenzimmer nicht herumschreien zu dürfen heißt noch lange nicht, es im
Zeichensaal auch nicht zu dürfen).
Lassen sie Regeln mit den Worten des Kindes wiederholen.
Und denken Sie daran, das FASD Kind benötigt oft im wahrsten Sinn des Wortes
eine Person, die es an der Hand nimmt und ihm die Regeln „zeigt“
(...und das oft jeden Tag aufs Neue...)
Struktur im (Schul-)Alltag schaffen
Eine verlässliche Routine ist für FASD Kinder von besonderer Bedeutung. Es
verschafft ihnen Sicherheit und ermöglich ihnen zeitliche und räumliche
Orientierung. Hierfür sind visuelle Unterstützungen (z.B. Symbole für
Unterrichtseinheit) oder akustische Signale (z.B. Glocke) eine Hilfe.
Mit Struktur ist auch das Klassenzimmer gemeint. Vermeiden sie äußere Reize wie
Poster und andere Dekorationen. Verwenden sie ruhige Farben. FASD-Kindern hilft
es, penibel auf Ordnung zu achten. Alle Schulmaterialien haben ihren festen Platz-
immer! Und werden nach Gebrauch sofort auf ihren Platz zurückgeräumt.
Bewahren sie Materialien in geschlossenen Boxen auf.
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 28
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Offene Unterrichtsformen sind für FASD Kinder häufig nicht förderlich. Sie können
besser mit konkreten Vorgaben umgehen.
Das setzt sich auch im häuslichen Alltag fort, auch hier ist absolute Konsequenz
und Struktur notwendig. FASD Kinder brauchen viel Orientierung in allen
Lebensbereichen. Mit Ausnahmen können sie nur schwer umgehen.
Der Umgang mit und die Integration von von FASD betroffenen Kindern und
Jugendlichen in den Schulalltag ist sicher eine große Herausforderung für alle
Beteiligten.
Dies muss jedoch angesichts der beängstigenden Zukunftsaussichten der
Betroffenen, wie amerikanische Erhebungen zeigen, für uns von größter
Wichtigkeit sein.
Auswirkungen von FASD im Erwachsenenalter:
• 90% der Erwachsenen hatten psychische Probleme
- 61% in Form von ADHS
- 50% als Depression
• 60% Schulunterbrechung oder -Abbruch wegen Lern- und
Verhaltensstörungen
• 60% in Konflikt mit dem Gesetz geraten
• 50% mit Freiheitsentzug
- 23% psychische Störungen
- 15% Drogen- und/oder Alkoholentzug
- 35% Inhaftierung wegen Kriminalität
• 80% benötigen personelle Unterstützung in der Lebensführung
• 70% arbeitslos
Mit zunehmendem Wissen um die Problematik FASD und durch Würdigung des
sozialen und kognitiven „Anderssein“ können wir gemeinsam einen Schritt zur
Integration dieser Menschen tun.
FASD-Netzwerk Nordbayern
Das FASD-Netzwerk Nordbayern vereint Personen von Organisationen und
Institutionen aus Nordbayern, die sich in Lehre, Forschung, Diagnostik,
Therapie, Beratung, Betreuung und Verwaltung mit Menschen beschäftigen,
die an Fetalen Alkohol Spektrum Störungen (FASD) leiden.
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 29
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Ziele des FASD-Netzwerkes
- Schaffung eines größeren Bewusstsein für die Problematik FASD in der
Öffentlichkeit, besonders bei Jugendlichen, jungen Erwachsenen und
werdenden Müttern
- Initiierung von Präventions -und Aufklärungsprojekten in Schulen
- Bekanntmachung des Krankheitsbildes FASD und Integration in Lehrpläne
zur Aus- und Weiterbildung von Ärzten, Therapeuten, Hebammen, Heil- und
Pflegeberufen und zuständigen Behörden sowie in Kindergärten, Schulen,
sozialen Einrichtungen und weiteren Institutionen und Berufsgruppen
- Etablierung einer Diagnostik- und Beratungseinrichtung an der Kinder- und
Jugendklinik des Universitätsklinikums Erlangen
- Verbesserung der Diagnostik, Therapie und Betreuung für alle FASD-
Patienten
- Betratung betroffener Familien, Bündelung von Unterstützungsangeboten
und psychologischen Therapiemöglichkeiten
- Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Lehre
Weitere Informationen
FASD Netzwerk Nordbayern
Spardorfer Straße 82
91054 Erlangen
info@fasd-netz.de
www.fasd-netz.de
Dorothea Herbig, Gisela Bolbecher
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 30
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MsH-Autismus an der Beratungsstelle
Allersberger Str. 61 in Nürnberg
Seit dem Schuljahr 2011/12 ist Frau Christiane Mahle in der msH-Autismus
(mobile sonderpädagogische Hilfe - Autismus) an der Beratungsstelle für Kinder
mit besonderem Förderbedarf, Allersberger Str. 61 in Nürnberg angebunden. Sie
ist Physiotherapeutin und hat eine Zusatzausbildung zur Fachkraft für Autismus
absolviert. Ihr Einsatz in der msH-A umfasst sechs Wochenstunden (ansonsten ist
Frau Mahle am Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt im Bereich der
körperlichen und motorischen Entwicklung, Bertha-von-Suttner-Str. in Nürnberg
tätig).
Ihr Beratungsangebot in der MSH-Autismus richtet sich an Kindergärten
und SVEen in Nürnberg Stadt und im Nürnberger Land.
Bausteine der Beratung sind
- Einzelfallbesprechung verbunden mit Hospitation in der Gruppe
- Beobachtung im Kindergarten und ggf. Vermittlung der fachärztlichen
Diagnostik sowie anderen Diensten der MSH
- Unterstützung bei der Erstellung von Förderplänen
- Beratung bei der Strukturierung des Alltages
- Teilnahme an runden Tischen und/oder Hilfeplangesprächen
- Unterstützung bei der Suche nach therapeutischen Maßnahmen
Ein persönliches Anliegen und Ziel ihrer Beratungstätigkeit ist, sich mit
Erzieher/innen auf den Weg zu machen, die Welt eines Kindes mit Autismus-
Spektrum-Syndrom besser zu verstehen und das Kind auch in unserer Welt zu
begleiten.
Beratungsstelle für Kinder
mit besonderem Förderbedarf
Allersberger Str. 61 90461 Nürnberg
T. (0911) 46 80 77 F. (0911) 46 25 116
Christiane Mahle, msH - Autismus
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 31
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Termine im Herbst 2012
Donnerstag 27.09.2012 ganztägig, SFZ Neuendettelsau
Einführung für neue Mitarbeiterinnen in der MSH
Leitung: Dagmar Held, Petra Möhrlein-Dufner, Josefa Scheidig
Anmeldung bei Dr. Laschkowski (per Mail oder 0981 535311 als Fax)
Montag 01.10.2012, ganztägig, voraussichtlich SFZ Roth
Einführung für die neuen Mitarbeiter im MSD
Leitung: Monika Bentz, Norbert Gockner
Anmeldung bei Dr. Laschkowski
Mittwoch 10.10.2012 ganztägig, voraussichtlich Zentrum für Blinde und
Sehbehinderte Nürnberg, Briegerstr.
SVE-Tag: Kindswohl, Beraterteam psychiatrische Auffälligkeiten, Workshops
Anmeldung über FIBS
Donnerstag 15.11.2012 ganztägig, SFZ Erlangen, Stintzingstr. 24
Sonderschullehrkräfte an der SVE: Beratungsgespräche, Gutachten und
förderberichte, Workshops
Anmeldung über FIBS
Donnerstag 29.11.2012, ganztägig, wahrscheinlich SFZ Schwabach
Auffrischungstag Familienteam / Klasseteam
Dagmar Held, Anita Ott, Ludwig Färber, Martina Mai-Kappes
Fester Teilnehmerkreis, keine Anmeldung nötig, die Gruppe wird angeschrieben
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Neue Tests
ET 6-6
Entwicklungstest 6 Monate bis 6 Jahre
Autoren: Petermann,F., Stein,I., Macha,T.
Verlag: Pearson Assessment 3. Auflage 2008
Dauer: bis zu 50 Minuten je nach Alter des Kindes
Kosten: 1050 Euro
Verfahren zur Überprüfung einer normgerechten allgemeinen Entwicklung im Alter
von 6 Monaten bis zu 5;11 Jahren.
Erfassungsbereiche:
Körpermotorik
Handmotorik
Kognitive Entwicklung (Gedächtnis,Handlungsstrategien,
Kategorisieren)
Körperbewusstsein
Rezeptive Sprache
Expressive Sprache
Sozialentwicklung (Fragebogen für Eltern)
Emotionale Entwicklung (Fragebogen für Eltern)
Subtest Nachzeichnen (für den Vorschulbereich)
Die Ergebnisse werden in ein Entwicklungsprofil eingetragen, aus dem ersichtlich
ist, ob die Entwicklung in der Norm liegt. Material und Durchführung sind
standardisiert.
Ein Entwicklungstest ergibt anders als ein Intelligenztest nicht einen Wert,
sondern zeigt den Entwicklungsstand eines Kindes in verschiedenen Bereichen,
bezogen auf den gerade vorliegenden Altersdurchschnitt.
Der Test ist insgesamt sprachlastig und kann deshalb nur eingeschränkt bei
Kindern mit Sprachbehinderungen oder Migrationshintergrund eingesetzt werden.
Das Material ist kindgerecht und motivierend.
Annette Kristen (MSH der Lebenshilfe Herzogenaurach)
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 33
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Protokoll- und Auswertungsbogen
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Bogen mit den angebotenen Items
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Elternfragebogen
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 39
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Alternative Tests in der ähnlichen Altersgruppe
BUEVA
Basisdiagnostik für
umschriebene
Entwicklungsstörungen
im Vorschulalter
DESK 3-6
Dortmunder
Entwicklungsscreening
für den Kindergarten
Dr. Werner Laschkowski
☺
4-6
☺
☺☺
3-6
Verfahren zur frühzeitigen
Erfassung von
Entwicklungsstörungen im
Vorschulbereich in folgenden
Bereichen:
• Nonverbale Intelligenz
• Artikulation
• Expressive Sprache
• Rezeptive Sprache
• Visuomotorik
• Aufmerksamkeit
Überprüfung mit Teilen aus
anerkannten Tests (z. B. CMM,
PET, Frostig)
Theoretischer Hintergrund:
Umschriebene
Entwicklungsstörungen (UES) nach
ICD 10 (UES in Sprache und
Sprechen, UES der motorischen
Funktionen)
Screening in verschiedenen
Bereichen mit normierten
Verfahren
Verfahren zur frühzeitigen
Erfassung von
Entwicklungsgefährdungen
(„Grauzonenkinder“, keine
offensichtlich behinderten Kinder)
in folgenden Bereichen:
• Grobmotorik
• Feinmotorik
• Sprache und Kognition
• Soziale Entwicklung
Beobachtungsaufgaben und
Durchführungsaufgaben
(Zirkusspiel)
Esser
G.;
Wyschk
on A.:
Beltz
Verlag
Göttinge
n
Best:
0423301
280 €
Tröster
H.,
Flender
J.,
Reineke
D.:
Hogrefe
Verlag
Göttinge
n
Best Nr.
0111803
108 €
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 40
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Hogrefge, 2012, 1448 €
SON 6-40 ist eine Neu- bzw. Weiterentwicklung im Feld der Tests zur Messung der
nonverbalen Intelligenz.
Mit dem SON 5 ½ - 17 liegt uns ein gutes Verfahren vor, das das gesamte Schul-
alter umfasst (vorgestellt in gut beraten 9, 2011). Dieser bietet 7 Untertests an, die
in vier Gruppen verschiedenen Bereiche erfassen: Abstraktes Denken (Analogien,
Kategorien), konkretes Denken (Situationen, Bildgeschichten), räumliches
Vorstellungsvermögen ( Mosaike, Zeichenmuster) und Perzeption (Suchbilder).
Diese 4 Bereiche ergeben jedoch nicht wie bei HAWIK-IV Indexwerte.
SON 6-40 umfasst nur noch 4 Untertests:
1. Analogien
2. Mosaiktest
3. Kategorien
4. Zeichenmuster
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 41
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Mit komplexen statistischen Berechnungen wurden die vier Untertests mit den
höchsten Ladungen ausgewählt. Dadurch ist die Durchführungszeit moderat. Wie bei
den anderen SON wird jeweils ein neutrales Feedback gegeben, im Gegensatz zu
allen anderen Intelligenztests. Ein adaptiver Einstieg je nach Alter und Können ist
vorgesehen.
Auf der mitgelieferten CD sind die Auswertungsprogramme aller derzeit vor-
handenen SONs gesammelt. dies ist sehr wichtig, da die Auswertung bei SON
aufwendig ist. Insbesondere die latenten IQ-Werte sind kompliziert zu berechnen
und liegen mit dem Auswertungsprogramm automatisch vor.
Wir gehen davon aus, dass die vorhandenen SON-Tests weiterhin verwendet
werden. Der hohe Preis und der eingeschränkte Einsatz auch im Feld der
Sonderpädagogik hält davon ab, die SON flächendeckend zu verbreiten. SON
6- 40 ist eher gedacht für Einrichtungen, die auch Erwachsene betreuen.
Dr. Werner Laschkowski
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 42
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Hogrefe-Verlag, Göttingen, Bern, 2012, ISBN 978-3-8017-2412-2, 29,95 €
Aus der Reihe "Fallbuch" erschien nun auch neben den bereits bekannten
Ausgaben für HAWIK.IV (gut beraten Heft 5, 2009) und SON 2 ½ - 7 (Son 2 ½ - 7
in Heft 1 vorgestellt). Die Ausgabe für AID erscheint im September. 2009 erschien
IDS mit viel Vorschusslorbeeren versehen als eine neuartige breit angelegte
Testbatterie.
Ein gewisses "Geschmäckle" erzeugt die Tatsache, dass die Testautoren auch
Herausgeber des Fallbuches sind.
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 43
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Im schulischen Bereich wurde als großer Vorteil angesehen, differenziert die
allgemeine Intelligenz zu ermitteln und je nach Bedarf verschiedenen weitere
Entwicklungsbereiche wie Motorik, Mathematik, Sprache etc. Es hat sich aber
gezeigt, dass die Bereiche der allgemeine Entwicklung nur auf dem Niveau eines
Screenings erfasst werden. Will ich in der Diagnostik differenzierte Aussagen
machen, brauche ich ein spezielles Instrument. Die allgemeinen Feststellungen
kann ich auch aus Beobachtungen erzielen. Möglicherweise ist dies ein Grund,
warum sich IDS nicht in dem Maße wie erhofft durchgesetzt hat.
Im Fallbuch wird im ersten Teil der Test in Theorie und Praxis vorgestellt. Dies ist
verwunderlich, da ich bei einem Fallbuch davon ausgehe, dass die Grundlagen
bekannt sind.
Die dann folgenden Fallbeispiele umfassen breit die in der (sonder)pädagogischen
Diagnostik auftretenden Anfragen:
• Einschulung
• Lese- und Rechtschreibstörung
• Spezifische Sprachentwicklungsstörungen
• Geistige Behinderung
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 44
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• Lernbehinderung
• Hochbegabung
• Aggressive Verhaltensauffälligkeit
• Störung des Sozialverhaltens
sowie mehrere klinische Fragestellungen.
Der Aufbau eines Fallbeispiels erfolgt immer nach einem festen Schema:
Theoretische Einführung, Informationen zum Einsatz des IDS , zwei konkrete
Fälle, Würdigung und Interpetation.
Einige Feststellungen zu ausgewählten Fällen:
1. Einschulung: Hier ist von Vorteil der direkte Vergleich von kognitiven und
weiteren Fähigkeiten, die für den Schulerfolg auch von Bedeutung sind, wie
Leistungsmotivation. Als Nachteil erwies sich IDS der geringe Anteil von Sprache
am gesamten Test. Der Einsatz bei Kindern mit Migrationshintergrund ist
problematisch.
2. Lese- und Rechtschreibstörung: Hiezu ist IDS allein bei der Bestimmung
eines IQs wichtig, da die unsägliche Diskrepanztheorie immer noch vorherrscht.
Zur weiteren Diagnostik kann IDS nur Hinweise geben, das sich LRS in vielfältigen
Ausprägungen zeigt.
3. Spezifische Sprachentwicklungsstörung: "IDS ermöglicht nur eine grobe
Einschätzung der sprachlichen Fähigkeiten" (Seite 85).
4. Geistige Behinderung: Die Aufgaben und das Material sind meist motivierend.
Die zahlenmäßige Erfassung einer geistigen Behinderung ist nur bis zum Wert um
60 möglich. Werte darunter spiegeln oft wegen der geringen Zahl an Items einen
Bodeneffekt. In solchen Fällen differenziert KABC deutlicher. Im Fallbuch ist eine
Tabelle abgedruckt, die Rohsummenwerte in Testalteräquivalente umwandelt.
Dies ist zur Kommunikation eines Testergebnisses häufig nützlich (z. B. "…zeigt
das Kind in dem Bereich-…. die Leistungen eines 6 Jährigen…").
4. Lernbehinderung: In der Schweiz gibt es trotz aller Inklusion für lernbehinderte
Kinder und Jugendliche Sonderklassen. Deshalb ist die Diagnostik hierfür wichtig.
Von Vorteil ist, dass die gesamte Entwicklung im Überblick dargestellt werden
kann. Es fehlen Aussagen zum Rechtschreiben und Lesen, was für den
schulischen Erfolg bedeutsam ist. Sprachstörungen und Migrationshintergrund
wirken sich insgesamt auf viele Bereiche aus, so dass die Differenzierung
schwierig ist.
5. Aggressive Verhaltensauffälligkeit: Der Untertest Sozial-Emotionale
Kompetenz ist hierbei sehr wertvoll. Die 4 Untertests können differenziert die
Kompetenzen im Erkennen und Regulieren von Emotionen, Verstehen von
sozialen Situationen und sozial kompetent Handeln erfassen.
Insgesamt wird eine Fülle von Fällen aus der schulischen Praxis angeboten. Der
Einsatz von IDS wird ehrlich relativiert und auch die Schwächen angegeben. Es
geschieht also keine Lobhudelei des IDS, wie ich befürchtete.
Dr. Werner Laschkowski
Regierung von Mittelfranken – Förderschulbereich – Heft 11/Sept. 2012 45
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Buchbesprechungen
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2012, 19,95 €
"Missliebige Fakten aber
lassen sich nicht durch eine
Fatwa aus der Welt schaffen.
Wer sich ihrer entledigen
will, hätte sie zu widerlegen."
(Seite 13)
Nachdem vor einem Jahr das umstrittene Buch von Sarrazin vorgestellt wurde und
auf seine Aussagen hinsichtlich der Sonderpädagogik geprüft wurde, soll nun st,
dann sind pädagogische Bemühungen, insbesondere sonderpädagogischer Art,
wenig erfolgversprechend. Gerade weil die "Verhaltensgenetik" (so der heute
aktuelle Name für diesen Wissenschaftszweig, Seite 9) in der Zeit des
Nationalsozialismus so in Verruf kam, ist das Thema belastend. Generell ist jeder
biologische Ansatz verdächtig, behavioristische Ansätze sind jedoch beliebt.
Dieter Zimmer, Wissenschaftsredakteur in der "ZEIT" und später Leiter des
Feuilleton, hat vor vielen Jahren in der "ZEIT" die These der Erblichkeit von
Intelligenz in mehreren Artikeln sehr sachlich aber eindeutig beschrieben. Nun
folgt nach vielen Jahren unter Einbeziehung von neueren Forschungsergebnissen
eine Beschreibung des aktuellen Forschungsstandes in einem "semipopulären"
Buch, also ein wissenschaftlich gehaltenes Buch, das auch ohne viel Statistik und
Fremdwörtern gelesen werden kann (Seite 12), als Verlag ist es hier Rowohlt und
eben nicht Hogrefe.
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Ausführlich wird die Geschichte der neueren Intelligenzforschung beschrieben,
die 1969 mit einem Skandal begann. Arthur Jensen postulierte die hohe Erblichkeit
von Intelligenz von über 80%. Skandalös war der zweite Teil der Botschaft:
Farbige Menschen haben im Durchschnitt einen IQ, der um 15 Punkte niedriger
liegt als bei Weißen. Gleichzeitig kam auf, dass der berühmte Zwillingsforscher
Burt (die Zwillingsforschung war eine Methode des Nachweises von hoher
Vererbung von Intelligenz) bei seinen Veröffentlichungen ungenau arbeitet oder
gar betrog. Das war natürlich Wasser auf die Mühlen der Behavioristen. Die zweite
Erregung kam mit der Veröffentlichung des Buches "The Bell Curve" 1994 auf, als
ein Zusammenhang von niedriger Intelligenz und sozialen Folgen beschrieben
wurde, also Armut, Schulversagen, Arbeitslosigkeit, Kriminalität und auch höhere
Geburtenrate.
Die Theorie der Intelligenz wurde über viele Jahre durch Gardners Theorie der
"multiplen Intelligenzen" verwischt. Dies ist bis heute unbewiesen und spekulativ.
Die Aufteilung in immer differenziertere Intelligenzen wird absurd. Gerade finden
die olympischen Spiele statt und bei den Schwimmern würde niemand sagen, die
besten haben besonders hohe "Schwimmintelligenz". Wenn ich von mir ausgehe,
liegt meine Kraulintelligenz sehr niedrig, die Brustschwimmintelligenz deutlich
höher! Würde Gardner seine Intelligenzen als Kompetenzen bezeichnen, so wäre
dies zu akzeptieren. Intelligenz im engeren Sinne, also ein g-Faktor existiert
tatsächlich.
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Unentschlossen in diesem Zusammenhang ein Kapitel, das einer Auswahl von
Ländern verschieden hohe Durchschnitts-IQs zuweist. Südostasien liegt am
höchsten (Hongkong 107 - 108), Deutschland praktisch im Mittelwert (99 - 102).
Südosteuropa, Südamerika und vor allem Afrika liegen deutlich niedriger. Diese
IQ-Werte korrespondieren sehr stark mit den Ergebnissen in PISA, also rein
schulische Ergebnisse. Sind die Unterschiede also genetisch bedingt oder durch
die Umwelt. Wahrscheinlich beides. Zimmer liefert dazu keine Erklärung.
Vermutungen gibt es natürlich dazu eine Menge. Allein die kulturellen Differenzen
sind bedeutend. Die Messung der Intelligenz erfolgt durch stark kulturell lastige
Tests, auch wenn dies geleugnet wird. Den wir an den CFT (1 oder 20), der vor-
gibt kulturfrei zu sein, aber bei allen Untertests Bilder und Symbole aus dem
Umfeld unserer Schule und Vorschule darbietet.
Was bedeutet dies also für die Sonderpädagogik? Eigentlich nichts was wir
nicht schon wüssten und nichts was wir bereits praktizieren.
Kein Sonderpädagoge erwartet, obwohl mit hohem Optimismus versehen, dass
sich alle Abweichungen oder gar Behinderungen ausgleichen lassen. Wir sehen
im IQ nicht einen festen Wert, sondern ein Potenzial. Unter günstigen Umständen,
also auch durch Förderung, kann dieses große Steigerungen ermöglichen. "Auch
geringe Verbesserungen können erhebliche Unterschiede im Schul- und
Bildungserfolg zur Folge haben" (Seite 251). "Das Eingeständnis, dass
Intelligenzunterschiede von den Genen mitbedingt sind, braucht niemanden
schwerzufallen, denn auch in der Pädagogik und Politik hätte es kaum praktische
Folgen. Man kann sich kein anderes Ziel setzen als das, welches man sich implizit
schon immer gesetzt hat: Individuelle Potenziale möglichst vollständig
auszuschöpfen. Aber Eltern, Lehrer und die Verantwortlichen der Bildungs-
verwaltung müssten nicht mehr befürchten, sie hätten trotz aller Bemühungen
versagt, wenn sie nicht jedem Kind zum Abitur verhelfen" (Seite 252).
Die von den meisten Forschern anerkannte Formel der Vererbung der Intelligenz
von 75%, bedeutet keineswegs, dass bei einem IQ von 100 davon 75 Punkte
durch Vererbung und 25 Punkte durch die Umwelt erfolgen. Es bedeutet vielmehr,
dass es um Unterschiede geht (Varianzen) und dies bezogen auf Gruppen und
Durchschnittswerte. Es geht also nicht um einen Einzelfall. Das entschärft die
Aussagen gewaltig! Wir können also weiterhin (sonder)pädagogisch optimistisch
sein.
Dr. Werner Laschkowski
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Stuttgart 2012, ISBN 978-3 -17-020011-1
26,80 €
Das aktuelle Buch ist von den beiden Herausgebern her interessant, nämlich
praktizierte Inklusion. Prof. Heimlich vertritt in München den Förderschwerpunkt
Lernbehindertenpädagogik, Prof. Kahlert das Fach Grundschulpädagogik.
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Beide Fachbereiche vertreten Schularten, die zur Inklusion geradezu
herausgefordert werden. In den 5 Artikeln des Buches wird der aktuelle Stand
der Inklusion in Schule und Unterricht dargestellt.
Im ersten Artikel von Heimlich erfolgt eine grundsätzliche Klärung, begrifflich,
historisch, bildungspolitisch und praktisch. Heimlich macht deutlich, dass
Integration und Inklusion sich grundlegend unterscheiden. Inklusion ist eben nicht
ein bisschen mehr an Integration, sondern qualitativ anders. Deshalb sind derzeit
alle Ansätze von Inklusion eher Visionen oder Prozesse einer Entwicklung.
Der nächste Artikel beschreibt in Kurzform die Geschichte der Sonderpädagogik
unter dem besonderen Aspekt der Inklusioin. In der Rückschau ist interessant,
dass erst mit einer Separierung und Sonderbeschulung die Erziehung und Bildung
von behinderten Kindern und Jugendlichen ermöglicht wurde. Auf die im
internationalen Kontext besonderen Stellung der Hilfsschule bzw. der Schule für
Lernbehinderte wird besonders hingewiesen. Erst nach einem flächendeckenden
Ausbau des Sonderschulwesens entstand die Gegenbewegung der Integration
und heute der Inklusion. Intensiv wird gewarnt, "….die bestehenden institutionellen
Strukturen sonderpädagogischer Bildungsangebote zugunsten einer immer
weniger qualitativ abgesicherten schulischen Integration bzw. Inklusion vorschnell
aufzugeben." (Seite 75) Dies entspricht wahrscheinlich der Einstellung der
Mehrheit der Sonderpädagogen.
Nun folgt ein Artikel, der die sonderpädagogischen Organisationsformen auf
dem Weg zur Inklusion beschreibt . Prof. Heimlich sieht hierbei einen Prozess bzw.
einen Weg, der an bestimmte organisatorische Gegebenheiten gebunden ist. Der
Weg von der Exklusion zur Inklusion braucht viele Schritte von der Förderschule
zur inklusiven Schule.
Nun folgt ein Artikel, der auf grundsätzlicher Art den Weg zu einem inklusiven
Bildungssystem beschreibt. Ziel ist es, über inklusive Praktiken inklusive
Strukturen zu schaffen. Daraus entwickelt sich langfristig eine Kultur der Inklusion.
Dieser Weg ist allein mit bildungspolitischen Veränderungen nicht zu erreichen,
sondern es bedarf sozialer Veränderungen. Dies ist jedoch die übernächste
Zukunft!
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Nun folgt ein eher praktischer Artikel: Aspekte eines inklusiven Unterrichts:
Die Frage wird hier diskutiert, was eine "sonderpädagogische Förderung" darstellt.
Das uns allen bekannte Prozessmodell der sonderpädagogischen Förderung ,
ausgehend von einer Förderdiagnose über Interventionen zur Evaluation hat
weiterhin Gültigkeit.
Die Orientierung an den für das Lernen relevanten Entwicklungsbereichen steht
bei allen Fördermaßnahmen im Mittelpunkt. Das folgende Bild erinnert stark an
den neuen Rahmenlehrplan für den Förderschwerpunkt Lernen.
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Erfolgreich ist ein inklusiver Unterricht dann, wenn eine intensive fachliche und
entwicklungsorientierte Reflexion unter Berücksichtigung der individuellen Gruppe
stattgefunden hat. Dies bedarf sehr vieler Kooperation und Beratung.
Im letzten Beitrag geht es um die Frage: Brauchen wir andere Lehrkräfte für die
Aufgabe der Inklusion? Wir stellen in der Schulpraxis fest, dass
Sonderschullehrkräfte grundsätzlich nicht für inklusive Tätigkeiten ausgebildet sind.
Das Bild einer Lehrkraft vor einer Klasse mit Schülern eines bestimmten
Förderschwerpunktes ist vorherrschend. Alle inklusiven Tätigkeiten müssen in
kleinen Schritten im MSD, bei Einzelintegration und in Kooperationsklassen
schrittweise erlernt werden.
Studenten verschiedener Lehrämter an den Universitäten München und Passau
wurden zu ihren Motiven befragt. Lehrkräfte für das Lehramt Förderschulen (FS).
Bei den Sonderschullehrern überwiegen die Idealisten, also hohe Orientierung an
die Adressaten "Förderschüler" mit großer Freude an Kontakt mit Kindern und
Jugendlichen bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Rahmenbedingungen. Bei
dieser Gruppe müssen wir später sorgen, dass sie sich nicht überfordern durch
den hohen Anspruch. Eine pragmatische Einstellung schützt davor.
Doch was später den Erfolg als integrativ arbeitende Lehrkraft ausmacht, ist auch
nicht erkennbar. Wir müssen es wahrscheinlich weiterhin so machen, dass wir
freiwillige Lehrkräfte in den inklusiven Bereichen einsetzen, die durch ihre hohe
Motivation und dem Engagement positive Erfahrungen sammeln und somit lang-
fristig erfolgreich sind.
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Dr. Werner Laschkowski
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