hört auf zu lernen - fangt an zu denken - JungdemokratInnen/Junge ...
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schülerInnenreader der jungdemokratInnen/junge linke nrw<br />
<strong>hört</strong> <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong>
2 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
inhalt<br />
4 °geschichte der schule<br />
11 °geschichte der sv<br />
17 °<strong>an</strong>tipädagogik-das ende der<br />
erziehungsideologie?<br />
19 °der geheime lehrpl<strong>an</strong><br />
22 °frauen und schule<br />
25 °sport ist böse-aber warum bloss<br />
32 °ein bericht, der die schule verändert<br />
36 °die demokratischen strukturen der schule von<br />
heute-offen für die gesellschaft von morgen?<br />
40 °von der reform <strong>zu</strong>r deform<br />
43 °wir brauchen keine zeugnisse<br />
46 °religionsunterricht abschaffen<br />
47 °der verbotene blick über den tellerr<strong>an</strong>d<br />
49 °gymnasium ist asozial<br />
54 °die <strong>zu</strong>kunft besetzen<br />
58 °fight for your right<br />
impressum<br />
herausgeberin: <strong>JungdemokratInnen</strong>/<strong>Junge</strong><br />
Linke NRW,<br />
Herner Str. 79, 44791 Bochum<br />
tel: 0234-57967849<br />
email: info@jungdemokratinnen.de<br />
internet: www.jungdemokratinnen.de<br />
redaktion: Sarah Dellm<strong>an</strong>n, Dörte Gutschow,<br />
Tine Locke, Carola Pohlen (V.i.S.d.P)<br />
<strong>auf</strong>lage: 200<br />
druck: eigendruck
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 3<br />
Liebe<br />
SchülerInnen<br />
und sonstige<br />
Lesende!<br />
Ihr haltet gerade die neueste Version des<br />
SchülerInnenreaders der <strong>JungdemokratInnen</strong>/<strong>Junge</strong><br />
Linke NRW in den Händen. Wir<br />
haben hier Texte <strong>zu</strong>sammengestellt, die<br />
eine grundlegende theoretische Kritik <strong>an</strong><br />
Schule üben, aber auch Aktionstipps und<br />
Informationen über Entwicklungen in der<br />
Bildungspolitik.<br />
Um Schule, Bildungspolitik und was damit<br />
<strong>zu</strong>sammenhängt vollständig, perfekt und<br />
rhetorisch gew<strong>an</strong>d kritisieren <strong>zu</strong> können,<br />
braucht es zwar sicherlich mehr als nur so<br />
ein paar Texte, als Einstieg <strong>zu</strong>r Kritik <strong>an</strong><br />
Schule sind sie aber g<strong>an</strong>z gut verwendbar.<br />
Und Kritik <strong>zu</strong> üben wird immer notwendiger<br />
in Zeiten, in denen die meisten<br />
SchülerInnen Noten <strong>zu</strong>mindest unvermeidlich<br />
finden und sich Lernen gar nicht mehr<br />
<strong>an</strong>ders als in der bestehenden Schule vorstellen<br />
können. Ihr habt sicherlich auch<br />
selber schon mal festgestellt, dass eure<br />
MitschülerInnen alles g<strong>an</strong>z in Ordnung oder<br />
<strong>zu</strong>mindest so „normal“ f<strong>an</strong>den, dass sie es<br />
nicht mehr hinterfragen wollten.<br />
Was der/die Einzelne <strong>lernen</strong> will ist in der<br />
Schule nicht so wichtig, es kommt vielmehr<br />
dar<strong>auf</strong> <strong>an</strong>, das <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong>, „was sein muss“,<br />
dabei möglichst gute Noten <strong>zu</strong> bekommen,<br />
um d<strong>an</strong>ach vielleicht das <strong>lernen</strong> <strong>zu</strong> dürfen,<br />
was interess<strong>an</strong>ter ist. Und diesen Schwachsinn<br />
aus<strong>zu</strong>halten ohne dabei <strong>zu</strong> vergessen,<br />
dass es nicht immer so<br />
sein muss, wie es jetzt ist<br />
und dass es auch <strong>an</strong>ders<br />
gehen könnte, ist gar nicht<br />
immer so einfach.<br />
Um es ein bisschen leichter<br />
<strong>zu</strong> machen, gibt es jetzt<br />
diesen Reader. Es sind<br />
zwar nicht alle Texte g<strong>an</strong>z<br />
aktuell, aber einige alte<br />
f<strong>an</strong>den wir noch gut genug.<br />
Außerdem erhebt er keinen<br />
Anspruch <strong>auf</strong> Vollständigkeit.<br />
Wir haben uns zwar<br />
Mühe gegeben, möglichst<br />
viele Bereiche ab<strong>zu</strong>decken,<br />
wir sind aber trotzdem<br />
offen für Kritik und Verbesserungsvorschläge.<br />
Jetzt bleibt mir nur noch,<br />
euch viel Spaß beim Lesen<br />
<strong>zu</strong> wünschen. Vielleicht<br />
verringert es ja eure Verzweiflung<br />
über den täglichen<br />
Unsinn ein wenig,<br />
wenn ihr wisst, dass ihr mit<br />
euren Ideen nicht g<strong>an</strong>z<br />
alleine seid.<br />
Tut euch <strong>zu</strong>sammen und<br />
bringt die versteinerten<br />
Verhältnisse <strong>zu</strong> t<strong>an</strong>zen!<br />
Carola Pohlen
4 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Geschichte der<br />
Schule<br />
<strong>an</strong><strong>zu</strong>sprechen, <strong>zu</strong> erfassen und <strong>zu</strong> mobi-<br />
1. Geschichte der Schule<br />
1.1. Das 18. Jahrhundert<br />
Das Kontinentaleuropa des ausgehenden<br />
18. Jahrhundert war vom<br />
Überg<strong>an</strong>g der alten Ständegesellschaft<br />
<strong>zu</strong>m modernen Staat<br />
absolutistischer Prägung bestimmt.<br />
Dies bedeutet einen grundsätzlichen<br />
systematischen Umbruch. Die öffentliche<br />
Gewalt, die bisher zwischen<br />
den verschiedenen Ständen <strong>auf</strong>geteilt<br />
war, konzentriert sich in der<br />
Person des jeweiligen L<strong>an</strong>desherren,<br />
die politischen Herrschaftsstände<br />
werden entpolitisiert und <strong>auf</strong> ihre<br />
sozialen und wirtschaftlichen Funktionen<br />
beschränkt. Es entsteht ein<br />
<strong>auf</strong>wendiger Beamtenapparat, der<br />
die politischen Entscheidungen der<br />
neuen zentralen Gewalt durchsetzt.<br />
Diese Entwicklung war unter <strong>an</strong>derem<br />
notwendig geworden, weil<br />
sich eine neue Wirtschaftsordnung<br />
etablierte. In den vorherigen<br />
Jahrhunderten produzierten<br />
die Menschen in erster<br />
Linie für den Eigenbedarf. Dies<br />
änderte sich in den M<strong>an</strong>ufakturen<br />
des Merk<strong>an</strong>tilismus, mit<br />
ihrer arbeitsteiligen Produktionsweise.<br />
Diese produzierten<br />
vorr<strong>an</strong>gig für den H<strong>an</strong>del. So<br />
wurden größere wirtschaftliche<br />
Ressourcen freigesetzt, <strong>auf</strong> die<br />
der Staat <strong>zu</strong>rückgreifen konnte.<br />
Das schuf aber auch neue Probleme:<br />
Die alten Regulationsmech<strong>an</strong>ismen<br />
wurden weitgehend<br />
zerschlagen. Der Staat<br />
war somit gezwungen, in bisher<br />
nicht gek<strong>an</strong>ntem Ausmaß<br />
die einzelnen Untert<strong>an</strong>en direkt<br />
lisieren, für den öffentlichen Nutzen <strong>zu</strong><br />
aktivieren. Diese Tendenz bezeichnet<br />
m<strong>an</strong> als Sozialdisziplinierung. Es wurden<br />
neue Sozialisationsinst<strong>an</strong>zen notwendig,<br />
um die Bevölkerung <strong>auf</strong> die neuen Aufgabenfelder<br />
vor<strong>zu</strong>bereiten.<br />
Der Staat beg<strong>an</strong>n daher, die Schule in<br />
seinen Dienst <strong>zu</strong> stellen, das Bildungswesen<br />
wurde verstaatlicht.<br />
Dieser Schlag richtete sich sowohl gegen<br />
die Autonomie der Bildungseinrichtungen,<br />
als auch gegen die politische Autonomie<br />
ihrer Träger (Städte und Kirche).<br />
Viel wichtiger war aber, daß die Schule<br />
folgende Funktionen für den Staat übernahm:<br />
- die Ausbildung der loyalen Beamten dieses<br />
modernen Staates;<br />
- die Ertüchtigung des Stadtbürgers für<br />
Gewerbe und H<strong>an</strong>del;<br />
- die Sozialdisziplinierung der ländlichen<br />
Sozialschichten für Gutsherrschaft und
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 5<br />
Militärdienst.<br />
Die Schule wird in den Dienst des neu<br />
entst<strong>an</strong>denen Staates gestellt, um die<br />
Gesellschaft für staatliche Interessen<br />
nutzbar <strong>zu</strong> machen. Dementsprechend<br />
sahen die Konzepte der neuen Schule<br />
aus. Karl Abraham von Zedlitz, Vorsitzender<br />
des preußischen<br />
Oberschulkollegiums, definierte die Funktion<br />
der neuen Schule folgendermaßen:<br />
"ein System von Bildungseinrichtungen,<br />
in dem jedem Bürger seinen gesellschaftlichen<br />
Aufgaben entsprechend ein bestimmtes<br />
Maß von Bildung <strong>zu</strong>geteilt werden<br />
sollte".<br />
Die von ihm entworfene Schule war eine<br />
dreigliedrige, unterteilt in Bauern, Bürger-<br />
und Gelehrtenschule.<br />
All dies ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert:<br />
1) Die Schule dient den staatlichen<br />
Verwertungsinteressen<br />
2) Die ständische Gesellschaft ist noch<br />
nicht abschließend überwunden. Die<br />
neue Schule gar<strong>an</strong>tiert, daß auch im<br />
"neuen" Staat die gesellschaftliche<br />
Position des einzelnen weitgehend von<br />
seinem Geburtsst<strong>an</strong>d abhängig ist. Die<br />
einzelnen Berufsstände erreichten ihre<br />
arbeitsteilige Entfaltung erst im staatlich<br />
org<strong>an</strong>isierten Be<strong>zu</strong>g. Somit diente<br />
die Schule auch da<strong>zu</strong>, bestehende<br />
gesellschaftlich Hierarchien weiter <strong>zu</strong><br />
stützen.<br />
1.2. Die L<strong>an</strong>dschulen<br />
Das L<strong>an</strong>d war geprägt von der Gutsherrschaft<br />
des Adels im Gegensatz <strong>zu</strong> den<br />
Städten, die bereits weitgehend durch die<br />
absolutistische Bürokratie kontrolliert<br />
wurden.<br />
Die nahe<strong>zu</strong> despotische Rechtsposition<br />
des Adels wurde l<strong>an</strong>ge nicht <strong>an</strong>getastet,<br />
im Gegenteil: Sie wurde <strong>zu</strong>nächst gestärkt,<br />
quasi als Gegenleistung für den<br />
Verzicht des Adels <strong>auf</strong> Mitwirkung in der<br />
L<strong>an</strong>desregierung.<br />
Die L<strong>an</strong>dschule war daher für den L<strong>an</strong>desherren<br />
äußerst interess<strong>an</strong>t, sie war<br />
die einzige Zugriffsmöglichkeit <strong>auf</strong><br />
das Leben der jugendlichen L<strong>an</strong>dbevölkerung.<br />
Ziele der L<strong>an</strong>dschule waren:<br />
1) Verbesserung der Verwertbarkeit<br />
der Bauern, durch die Vermittlung<br />
elementarer Kulturtechniken (Lesen,<br />
Schreiben, Rechnen).<br />
2) Die Her<strong>an</strong>bildung sich treu unterordnender<br />
Staatsbürger, durch das<br />
jahrel<strong>an</strong>ge Gewöhnen <strong>an</strong> Ordnungselemente<br />
wie Pünktlichkeit, Stillsitzen,<br />
etc. und das Einüben wertebildender<br />
und h<strong>an</strong>dlungsleitender<br />
Texte, die "Tugenden" vermitteln<br />
sollten, wie Ehrlichkeit, Fleiß, Bescheidenheit,<br />
Unterordnung.<br />
Jedoch gingen<br />
im späten 18.<br />
Jahrhundert<br />
trotz Schulpflicht<br />
nur etwa<br />
50% der Kinder<br />
tatsächlich <strong>zu</strong>r<br />
Schule. Die<br />
volksbildenden<br />
Leistungen des<br />
spätabsolutistischenStaates<br />
sollten daher<br />
nicht überschätzt<br />
werden. Zu sehr klafften<br />
Anspruch und Wirklichkeit ausein<strong>an</strong>der.<br />
Dies lag vor allem dar<strong>an</strong>, daß<br />
der Staat nicht in der Lage war, die<br />
ökonomischen Probleme seiner Zeit<br />
<strong>zu</strong> lösen, da Bevölkerungswachstum<br />
und vorindustrielles Wirtschaftswachstum<br />
noch <strong>zu</strong> sehr ausein<strong>an</strong>derscherten.<br />
Dennoch ist es wichtig, diese Zeit <strong>zu</strong><br />
betrachten. In ihr wurde die staatliche<br />
Schule <strong>an</strong>gelegt und es kam in<br />
der folgenden Schulentwicklung <strong>zu</strong><br />
keinem gravierenden Bruch. Schule<br />
ist vielmehr in dieser Kontinuität <strong>zu</strong><br />
sehen.
6 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
1.3. Das erste Drittel des 19. Jahrhunderts<br />
Das 19. Jahrhundert brachte die endgültige<br />
Absage <strong>an</strong> die Ständegesellschaft<br />
und in einer Art Modernisierung<br />
von oben die Vorausset<strong>zu</strong>ngen<br />
für eine liberalkapitalistische Klassengesellschaft.<br />
Träger dieser Veränderung<br />
war vor allem die Bürokratie.<br />
Ziele dieser Veränderung waren eine<br />
florierende Wirtschaft und eine vom<br />
Patriotismus getragene und daher wieder<br />
siegreiche Armee.<br />
Der Wille <strong>zu</strong>r Veränderung m<strong>an</strong>ifestierte<br />
sich <strong>zu</strong>nächst in den preußischen<br />
Reformgesetzen von 1807. Diese umfaßten<br />
konkret:<br />
1) die Agrarreformen ("Bauernbefreiung"),<br />
die <strong>zu</strong>r Neuordnung der<br />
Eigentumsverhältnisse <strong>auf</strong> dem L<strong>an</strong>d<br />
im privatkapitalistischen Sinne führten,<br />
sowie <strong>zu</strong>r Mobilität von Arbeitskräften.<br />
2) die Einführung der Gewerbefreiheit,<br />
die gleichfalls <strong>zu</strong>r Mobilität von Kapital<br />
und Arbeit führte und die Marktkräfte<br />
<strong>zu</strong>m Regulativ wirtschaftlicher Tätigkeit<br />
machte.<br />
3) die Städteordnung, die dem <strong>zu</strong> erwartenden<br />
gestärktem Wirtschaftsbürgertum<br />
<strong>auf</strong> der kommunalen Ebene<br />
die politische Selbsttätigkeit einräumte.<br />
Diese Reformen waren abstrakt <strong>auf</strong> die<br />
freie Entfaltung aller Individuen ausgerichtet.<br />
Wenn m<strong>an</strong> jedoch beachtet,<br />
daß die alten Sicherungssysteme einfach<br />
nur wegfielen und nicht durch<br />
neue ersetzt wurden, und daß dieses<br />
<strong>zu</strong> großen sozialen Problemen führt<br />
(Bevölkerungsexplosion, Über<strong>an</strong>gebot<br />
<strong>an</strong> Arbeitskräften, Verarmung, Kinderarbeit<br />
usw.), so zeigt sich, daß sie konkret<br />
lediglich <strong>auf</strong> die Interessen bürgerlicher<br />
Privatproduzenten <strong>zu</strong>geschnitten<br />
sind.<br />
1.4. Das bildungspolitische<br />
Reformprogramm des Neuhum<strong>an</strong>ismus<br />
Die Reformer des Neuhum<strong>an</strong>ismus erhoben<br />
die Forderung, allen Mitgliedern<br />
der Gesellschaft eine allgemeine Bildung<br />
<strong>zu</strong> gar<strong>an</strong>tieren. Betrachtet m<strong>an</strong><br />
jedoch die soziale Realität, so mußte<br />
dieser Anspruch von vornherein unerfüllbar<br />
bleiben, <strong>zu</strong>mal die überwiegende<br />
Mehrheit der Reformer die sozialen<br />
Ungleichheiten als gerade<strong>zu</strong> schicksalhaft<br />
betrachteten und dieses nicht als<br />
staatlich <strong>zu</strong> bearbeitendes Problemfeld<br />
erk<strong>an</strong>nten.<br />
In der Tat war die Entwicklung gegenteilig.<br />
Die Reformer setzten eine stärkere<br />
staatsfunktionale Verkoppelung<br />
der Bildung durch, der erzielte Abschluß<br />
war ausschlaggebend dafür, ob<br />
m<strong>an</strong> bestimmte Positionen innerhalb<br />
des Staatswesens einnehmen konnte<br />
oder nicht. Gleichzeitig war es so, daß<br />
sich das Niveau der höheren Schulen<br />
stark weiterentwickelte, wohingegen<br />
das Niveau der L<strong>an</strong>dschulen oft noch<br />
hinter den sowieso schon niedrig <strong>an</strong>gelegten<br />
Anforderungen <strong>zu</strong>rückst<strong>an</strong>d.<br />
Nachdem m<strong>an</strong> gerade mit dem Abbau<br />
geburtsständischer Privilegien begonnen<br />
hatte, übernahm der Bildungssektor<br />
immer stärker die Funktion, neu<br />
entst<strong>an</strong>dene gesellschaftliche Hierarchien<br />
ab<strong>zu</strong>sichern.<br />
1.5. Anpassung des Schulwesens<br />
<strong>an</strong> die Interessen der Privatindustrie<br />
Das höhere Schulwesen des 19. Jahrhunderts<br />
war <strong>zu</strong>nächst ausschließlich<br />
<strong>an</strong> den Bedürfnissen der gehobenen<br />
Bürokratie orientiert. Dies führte <strong>zu</strong><br />
Konflikten mit der erstarkenden Industrie,<br />
die Probleme hatte, ihre benötigten<br />
Führungskräfte <strong>zu</strong> rekrutieren,<br />
da sie dabei nicht <strong>auf</strong> ein etabliertes<br />
Vorbildungssystem Be<strong>zu</strong>g nehmen<br />
konnte. Die Ausein<strong>an</strong>derset<strong>zu</strong>ngen<br />
wurden vor allen Dingen um die Anerkennung<br />
der Gleichwertigkeit des Realschulwesens<br />
und der Technischen<br />
Hochschulen geführt. Die Bürokratie<br />
und die adeligen Großgrundbesitzer<br />
sperrten sich jedoch gegen eine solche<br />
Anerkennung, da sie durch eine<br />
Verbreiterung des höheren Bildungs-
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 7<br />
wesen gesellschaftsverändernde Konsequenzen,<br />
vor allem Statuseinbußen,<br />
befürchteten.<br />
In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts<br />
mußte die Bürokratie jedoch<br />
erkennen, daß sie die durch tiefgreifende<br />
sozialökonomische, politische<br />
und kulturelle Veränderung gespeiste<br />
Exp<strong>an</strong>sion des höheren Bildungswesens<br />
nicht mehr <strong>auf</strong>halten konnte. Hin<strong>zu</strong><br />
kam, daß das Wirtschaftsbürgertum<br />
schon längst den Frontwechsel vollzogen<br />
hatte und mit dem Adel <strong>zu</strong> einer<br />
neuen herrschenden Klasse verschmolzen<br />
war, die einen neuen gemeinsamen<br />
Feind ausmachte, nämlich die von<br />
unten nachrückende Masse.<br />
1.6. Modernisierung und Herrschaft:<br />
Integrationsstrategien im<br />
Klassenkampf<br />
Die Bildungspolitik zwischen dem ausgehendem<br />
19. Jahrhundert und dem<br />
ersten Weltkrieg stellt einen ständigen<br />
Spagat des Wirtschaftsbürgertums dar.<br />
Zum einen waren Modernisierungen im<br />
Interesse der Industrie notwendig,<br />
<strong>zu</strong>m <strong>an</strong>deren durften sie jedoch nicht<br />
so weit gehen, daß sie den neu gewonnen<br />
Herrschafts<strong>an</strong>spruch über die<br />
Massen in Frage stellten. Die Bildungspolitik<br />
der Wilhelminisch-<br />
Bismarckschen Zeit steht direkt im<br />
Zusammenh<strong>an</strong>g der Klassenausein<strong>an</strong>derset<strong>zu</strong>ng.<br />
Konsequenterweise richtet sich die<br />
Aufmerksamkeit der damaligen Zeit<br />
verstärkt <strong>auf</strong> die Volksschule. Die einklassige<br />
Elementarschule in der ein<br />
Lehrer alle Schüler gleichzeitig unterrichtete,<br />
wurde <strong>zu</strong>mindest in der Stadt<br />
nach und nach durch mehrklassige<br />
Schulen verdrängt. Die Schüler wurden<br />
so frühzeitig <strong>an</strong> die innerbetriebliche<br />
Hierarchisierung gewöhnt. Der<br />
Leistungsged<strong>an</strong>ke wurde durch die<br />
Möglichkeit des "Sitzenbleibens" weiter<br />
verstärkt. Die Verkleinerung der<br />
Lerngruppen führte <strong>zu</strong> einer besseren<br />
Vergleichbarkeit der Leistungen, <strong>zu</strong><br />
einer Verstärkung des<br />
Konkurrenzprinzips.<br />
Die Einführung eines<br />
Stundenpl<strong>an</strong>es und die<br />
damit verbundene Bürokratisierung<br />
der<br />
Lernzeiten bereitete<br />
das Individuum <strong>auf</strong><br />
eine rigide fremdbestimmteArbeitspl<strong>an</strong>ung<br />
vor.<br />
Es ging darum, den<br />
<strong>zu</strong>künftigen Arbeiter<br />
als g<strong>an</strong>ze Person <strong>zu</strong><br />
erfassen und ihn optimal<br />
in die betriebliche<br />
und gesellschaftliche<br />
Org<strong>an</strong>isation <strong>zu</strong> integrieren.<br />
Die Loyalität<br />
der Lehrer wurde durch eine intensivere<br />
Lehrerausbildung und eine höhere<br />
Besoldung sichergestellt. Gleichzeitig<br />
wurden die sogen<strong>an</strong>nten Mittel- und<br />
Fachschulen eingeführt, die für untergeordnete<br />
Bürotätigkeiten qualifizieren<br />
sollten. Politisch erhielt diese Maßnahme<br />
dadurch Bedeutung, dass durch die<br />
Gewährung eingeschränkter Aufstiegsmöglichkeiten<br />
und der Etablierung eines<br />
neuen kleinbürgerlichen St<strong>an</strong>des<br />
von Angestellten das Proletariat gespalten<br />
werden sollte.
8 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
1.7. Die Weimarer Republik<br />
Wie in vielen gesellschaftlichen<br />
Bereichen, gab es auch im<br />
Schulsystem keinen grundlegenden<br />
Bruch mit der Wilhelminischen<br />
Zeit. Von den bestehenden<br />
reformpädagogischen<br />
Ansätzen f<strong>an</strong>d nichts Wesentliches<br />
Ein<strong>zu</strong>g in die Schule. Der<br />
politische Streit entzündete<br />
sich vor allem <strong>an</strong> drei Punkten:<br />
Der Frage des Religionsunterrichtes,<br />
der Frage der<br />
Einheitsschule und der Ausrichtung<br />
des Unterrichtsfaches<br />
"staatsbürgerliche Gesinnung".<br />
Die Positionen in der Frage des<br />
Religionsunterrichtes waren im wesentlichen<br />
drei: die Bekenntnisschule,<br />
die christliche Simult<strong>an</strong>schule (d.h.<br />
beide Bekenntnisse <strong>an</strong> einer Schule)<br />
und die weltliche Schule (ohne kirchlichen<br />
Religionsunterricht). Schlußendlich<br />
setzte sich die Simult<strong>an</strong>schule als<br />
Regelschule durch, die Teilnahme am<br />
Religionsunterricht hing vom Elternwillen<br />
ab. Die bereits bestehenden Bekenntnisschulen<br />
wurden jedoch nicht<br />
<strong>an</strong>getastet.<br />
In der Frage der Einheitsschule (die<br />
übrigens nicht nur von linken Kräften,<br />
sondern als "nationale Einheitsschule"<br />
auch von rechts gefordert wurde), kam<br />
es <strong>zu</strong> einem bek<strong>an</strong>nten Kompromiß:<br />
In den ersten vier Jahren wurden alle<br />
Schüler in einer gemeinsamen Grundschule<br />
unterrichtet.<br />
Die staatsbürgerliche Gesinnung war<br />
"im Geiste deutschen Volkstums und<br />
der Völkerverständigung <strong>zu</strong> erstreben."<br />
Zumindest ersteres hat funktioniert.<br />
Insgesamt ergab sich so folgende<br />
Struktur: christliche Simult<strong>an</strong>schule,<br />
vierjährige gemeinsame Grundschule,<br />
d<strong>an</strong>ach Aufgliederung in drei getrennte<br />
Schulzweige. Alles in allem bek<strong>an</strong>nt.<br />
1.8. Der Nationalsozialismus<br />
Ziel des Nationalsozialismus war laut Hitler:<br />
"Die Erziehung des Deutschen <strong>zu</strong>m<br />
f<strong>an</strong>atischen Nationalismus."<br />
Um dieses Ziel <strong>zu</strong> erreichen, wurden folgende<br />
Maßnahmen ergriffen:<br />
- Umschulung der Lehrerschaft,<br />
- Neuordnung der Ausbildung <strong>zu</strong>künftiger<br />
Lehrer<br />
- Gleichschaltung der Fachpresse, Stärkung<br />
des NS-Lehrerbundes<br />
- Erlaß neuer Lehrpläne und Richtlinien<br />
für die Schulen, in denen die Gesinnungsfächer<br />
(Geschichte, Deutsch, Erdkunde,<br />
Biologie) entsprechend ausgerichtet wurden.<br />
- Säuberung und Kontrolle der Schulbüchereien<br />
- Abschaffung des Privatschulwesens<br />
Eine Änderung der Schulstruktur war<br />
bezeichnenderweise nicht notwendig. Die<br />
Schulische Erziehung wurde ergänzt<br />
durch die außerschulische Erziehung in<br />
Lagern. So gab es für die Absolventen<br />
der Volksschule das sogen<strong>an</strong>nte "L<strong>an</strong>djahr",<br />
für die Absolventen der höheren<br />
Schulen "nationalpolitische Lehrgänge",<br />
die unter Leitung der Hitler Jugend durchgeführt<br />
wurden. Neben diesen Einrichtungen<br />
gab es noch die "Adolf-Hitler-<br />
Schulen" die in der Tradition der preußischen<br />
Kadetten<strong>an</strong>stalten st<strong>an</strong>den. Von ihnen<br />
gab es aber nur 50, so dass sie nie<br />
wirklich Bedeutung erl<strong>an</strong>gten.
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 9<br />
1.9. Die Bundesrepublik Deutschl<strong>an</strong>d<br />
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges<br />
setzten die Alliierten neue Maßstäbe<br />
für die Bildungspolitik. Ziel war<br />
die endgültige Entfernung nationalsozialistischer<br />
und militaristischer Ideologien<br />
und die Etablierung demokratischer<br />
Ideen. Die Umset<strong>zu</strong>ng dieses<br />
Grundsatzes fiel in den unterschiedlichen<br />
Besat<strong>zu</strong>ngszonen freilich unterschiedlich<br />
aus. Während die Amerik<strong>an</strong>er<br />
eine recht grundsätzliche Kritik am<br />
bisherigen deutschen Schulsystem<br />
übten und ein Schulsystem forderten,<br />
das allen Menschen, nicht nur den herrschenden<br />
Schichten, in gleicher Weise<br />
Bildungsch<strong>an</strong>cen gewährte, wurde in<br />
der britischen Zone <strong>an</strong> Konzepte der<br />
20er Jahre <strong>an</strong>geknüpft: eine gemeinsame<br />
4-jährige Grundschule, <strong>an</strong> die<br />
sich drei Schultypen mit unterschiedlicher<br />
inhaltlicher Ausrichtung <strong>an</strong>schlossen.<br />
Die Stellung des Gymnasiums<br />
blieb durch die bildungspolitischen<br />
Diskussionen in den Westzonen un<strong>an</strong>getastet,<br />
gleichwohl es eine gesellschaftliche<br />
Bewegung hin <strong>zu</strong>r Einheitsschule<br />
gab, die sich aber <strong>auf</strong>grund des<br />
<strong>zu</strong>nehmenden Erstarkens der konservativen<br />
Kräfte im Nachkriegsdeutschl<strong>an</strong>d<br />
nicht durchsetzen konnte. Hin<strong>zu</strong><br />
kam der <strong>zu</strong>nehmende Ost/West-Konflikt<br />
und die damit verbundene <strong>an</strong>tikommunistische<br />
Propag<strong>an</strong>da in den<br />
Westzonen, was die Entwicklung einer<br />
Einheitsschule im Westen<br />
verunmöglichte. Bereits <strong>zu</strong> Beginn der<br />
50er Jahre war das dreigliedrige Schulsystem<br />
in der BRD wieder un<strong>an</strong>gefochten.<br />
Reformen der Westalliierten wurden<br />
endgültig <strong>zu</strong>rückgenommen und<br />
die Entnazifizierung der Lehrer/<br />
innenschaft gestoppt.<br />
Erst als 1964 die "Bildungskatastrophe"<br />
ausgerufen wird, kommt<br />
wieder Bewegung in die bildungspolitische<br />
Diskussion, was da<strong>zu</strong> führt, dass<br />
dieKultusministerkonferenz (KMK)<br />
Schulversuche als Alternative <strong>zu</strong>m bestehenden<br />
Bildungssystem <strong>zu</strong>läßt. Mit<br />
der Schüler/innenbewegung Mitte der<br />
60er Jahre entst<strong>an</strong>den neue Anstöße<br />
für Form und Inhalt der Schule. Vereinzelte<br />
Änderungen im Bildungsziel<br />
und in den Unterrichtsformen wurden<br />
vollzogen. Dies war mit eine Ursache<br />
für die Paralysierung der Schüler/<br />
innenbewegung. In den 70ern wurden<br />
zahlreiche Schulversuche unternommen<br />
und auch die Debatte um die Gesamtschule<br />
erhielt einen neuen Aufwind.<br />
In einigen Bundesländern wurde<br />
sie im L<strong>auf</strong>e der Zeit <strong>zu</strong>r Regelschule<br />
erkoren. Sie hatte den Vorteil, die<br />
Durchlässigkeit im dreigliedrigen<br />
Schulsystem <strong>zu</strong> erhöhen. Die Gesamtschule<br />
war <strong>zu</strong>nächst einmal ein Fortschritt<br />
im existierenden Bildungssystem,<br />
gleichwohl sie dem Prinzip<br />
Leistung unter Zw<strong>an</strong>g nichts entgegen<strong>zu</strong>setzen<br />
vermochte.<br />
Die wirtschaftliche Realität der 70er<br />
Jahre hatte jedoch erneut die pädagogische<br />
Debatte überrollt und scheinbaren<br />
"Sachzwängen" unterworfen. So<br />
stellte der Bundesbildungsminister von<br />
Dohn<strong>an</strong>y 1974 fest, dass Jugendliche<br />
in funktionsgerechter Weise <strong>auf</strong> die<br />
Ausbildungsgänge verteilt werden<br />
müssen. Nun wurde die Bildungspolitik<br />
weiter <strong>an</strong> die Bedürfnisse der Wirtschaft<br />
<strong>an</strong>gepaßt. Mit dem <strong>an</strong>brechenden<br />
Computerzeitalter wurden Facharbeiter<br />
nicht mehr<br />
in der bisherigen<br />
Anzahl benötigt,<br />
statt dessen<br />
war<br />
eine hochqualifizierte<br />
Elite gefragt.<br />
1987 wurde die in den 70er Jahren beschlossene<br />
liberalere Abiturvereinbarung<br />
geändert. Die Wahlfreiheit<br />
der Abiturfächer wurde eingeschränkt<br />
und ein bundesweites<br />
Zentralabitur <strong>an</strong>gedacht (s.u.). Begründet<br />
wurde diese Maßnahme mit<br />
der Exp<strong>an</strong>sion des Gymnasiums, was
10 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
<strong>an</strong>geblich einer Schwächung der Bedeutung<br />
des Abiturs entsprach. Die<br />
Abiturvereinbarung der KMK läßt sich<br />
in den seit Mitte der 80er Jahre <strong>an</strong>dauernden<br />
Prozeß der neokonservativen<br />
Wende einordnen. Diese beinhaltete<br />
verstärkte Ausleseverfahren, die Betonung<br />
berufs- und leistungsorientierter<br />
Bildung sowie die Rückbesinnung <strong>auf</strong><br />
"traditionelle" Werte.<br />
1.10. Die DDR<br />
Sofort nach Beendigung des Krieges<br />
und damit verbunden dem Zusammenbruch<br />
nationalsozialistischer Machtstrukturen,<br />
beg<strong>an</strong>n in der Sowjetischen<br />
Besat<strong>zu</strong>ngszone (SBZ) der Aufbau eines<br />
neuen Schulsystems.<br />
Auf der Konferenz der Bildungsausschüsse<br />
von KPD und SPD wurde<br />
ein "Aufruf <strong>zu</strong>r demokratischen Schulreform"<br />
verfaßt. Das Zentralkomitee<br />
der KPD und der Zentralausschuß der<br />
SPD verabschiedeten am 18.10.1945<br />
diesen Aufruf. Grundsätzliche Forderungen<br />
waren die Abschaffung des<br />
Bildungsprivilegs und die Trennung von<br />
Kirche und Schule.<br />
Eine grundlegende Erneuerung des<br />
Schulwesens hin <strong>zu</strong> einer "neuen und<br />
demokratischen Schule" konnte nur mit<br />
der Entfernung der NS-Lehrerschaft aus<br />
dem Schulbetrieb einhergehen. Um den<br />
daraus entstehenden Lehrkräftem<strong>an</strong>gel<br />
<strong>zu</strong> kompensieren, wurde die Neulehrerbewegung<br />
ins Leben gerufen.<br />
Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft<br />
wurden nach einer kurzen,<br />
jedoch äußerst intensiven Ausbildung<br />
<strong>an</strong> den LehrerInnenberuf her<strong>an</strong>geführt.<br />
Diese Ausbildung st<strong>an</strong>d unter der direkten<br />
Aufsicht der sowjetischen<br />
Bildungsoffiziere, die hauptsächlich <strong>zu</strong>r<br />
sozialistischen Ideologievermittlung<br />
eingesetzt wurden.<br />
Von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> gab es eine Einheitsschule,<br />
die 1950 in die zehnjährige<br />
Polytechnische Oberschule (POS) mündete.<br />
Um die Verbindung zwischen Bildung<br />
und Arbeit deutlich <strong>zu</strong> machen, wur-<br />
den die Fächer "Produktive Arbeit" (in<br />
Fabriken <strong>an</strong>gegliederten Werkstätten)<br />
und "Einführung in die sozialistische<br />
Produktion" (ESP) in den Lehrpl<strong>an</strong> <strong>auf</strong>genommen.<br />
Neben der Ideologievermittlung in den<br />
einzelnen Fächern (Deutsch, Geschichte,<br />
Geographie) gab es ab der<br />
achten Klasse den Staatsbürgerkundeunterricht.<br />
Die Org<strong>an</strong>isation der<br />
SchülerInnen f<strong>an</strong>d einzig und allein<br />
durch die Pionierorg<strong>an</strong>isationen (<strong>Junge</strong>-<br />
und Thälm<strong>an</strong>npioniere) und die<br />
FDJ statt. Eine<br />
SchülerInnenvertretung, wie sie in der<br />
BRD existiert, gab es nicht.<br />
Felix Stumpf
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 11<br />
Geschichte<br />
der SV<br />
1. Entwicklung der<br />
SMV von 1950 bis<br />
1966<br />
Schon unmittelbar<br />
nach dem zweiten Weltkrieg entst<strong>an</strong>den<br />
in vielen Schulen<br />
SchülerInnengruppen, die sich aktiv<br />
am Aufbau der Schulen und <strong>an</strong> der<br />
Wiederherrichtung der Unterrichtsräume<br />
beteiligten. LehrerInnen und<br />
SchülerInnen f<strong>an</strong>den sich in der gleichen<br />
Notlage und so mußten sich alle,<br />
um den Unterricht überhaupt <strong>zu</strong> ermöglichen,<br />
<strong>an</strong> einer neuen Gestaltung<br />
des Schullebens beteiligen. So entwikkelten<br />
sich sehr schnell erste Formen<br />
der SchülerInnenmitverwaltung.<br />
Doch nicht nur die Notwendigkeit der<br />
Mithilfe der SchülerInnen beim Wieder<strong>auf</strong>bau,<br />
sondern auch Initiativen der<br />
Besat<strong>zu</strong>ngsmächte in den westlichen<br />
Besat<strong>zu</strong>ngszonen führten <strong>zu</strong> der raschen<br />
(Wieder-)Einführung der SMV.<br />
Im Rahmen der „Reeducation“ sollten<br />
die SchülerInnen Demokratie im eigenen<br />
Lebensbereich erfahren und den<br />
Umg<strong>an</strong>g mit demokratischen Spielregeln<br />
er<strong>lernen</strong>. Bei diesen institutionalisierten<br />
SchülerInnengruppen lag der<br />
Schwerpunkt <strong>auf</strong> der Mitgestaltung des<br />
Schullebens und der Erfüllung eines<br />
Aufgabenkataloges, einklagbare Rechte<br />
innerhalb der Schulgemeinde gar<strong>an</strong>tierten<br />
sie den SchülerInnen nicht. Innerhalb<br />
bestimmter Bereiche sollten<br />
die SchülerInnen Mitver<strong>an</strong>twortung<br />
übernehmen, z.B. in Bereichen wie<br />
„Klassenraum, Schulhaus, -hof und -<br />
garten“, „Sorge für den Mitschüler“,<br />
„Schulfeste, Aufführungen, Spiele“,<br />
„Sportver<strong>an</strong>staltungen“, „politische<br />
Gedenkstunden“ (im Geiste des Antikommunismus),<br />
„W<strong>an</strong>derung und<br />
Studienfahrt“, „Fahrraddienst“ und<br />
„Schülerlotsendienst“.<br />
Die SMV war ein pädagogisches Instru-<br />
ment der Nachkriegszeit, mit dem der<br />
neue Ged<strong>an</strong>ke „Gehorsam durch Einsicht“<br />
statt durch gewaltsame Autorität<br />
in den Schulen <strong>zu</strong>m Ausdruck kommen<br />
sollte. Die Aufforderung, eine SMV<br />
<strong>zu</strong> bilden, richtete sich nicht <strong>an</strong> die<br />
SchülerInnen, sondern war lediglich ein<br />
Appell <strong>an</strong> die SchulleiterInnen und<br />
LehrerInnen, sich, statt autoritäre<br />
Methoden <strong>zu</strong> gebrauchen, der neuen<br />
Gesinnung <strong>an</strong><strong>zu</strong>schließen und eine<br />
SMV ein<strong>zu</strong>richten.<br />
Die SMV war also in der H<strong>an</strong>d der<br />
LehrerInnen, es lag in deren Ermessen,<br />
ob und wie sie das pädagogische<br />
Instrument SMV <strong>an</strong>wendeten oder<br />
nicht.<br />
Diese Konzentration der SMV <strong>auf</strong> die<br />
Funktion als pädagogisches Instrument<br />
und die daraus resultierende Beschränkung<br />
ihrer Aufgaben <strong>auf</strong> die Mitwirkung<br />
<strong>an</strong> der Gestaltung des Schullebens und<br />
die Hilfe bei der Ausführung von Verwaltungs<strong>auf</strong>gaben<br />
erklärt sich auch<br />
durch die herrschende pädagogische<br />
Beurteilung der Schulgemeinschaft in<br />
der damaligen Zeit: Aus der direkt nach<br />
dem Krieg notwendigen Kooperation<br />
zwischen LehrerInnen und<br />
SchülerInnen erwuchs der Ged<strong>an</strong>ke<br />
einer „harmonischen<br />
Schulgemeinschaft“, „in der alle <strong>an</strong><br />
einem Str<strong>an</strong>g ziehen“, Interessengegensätze<br />
zwischen LehrerInnen und<br />
SchülerInnen also gar nicht existieren<br />
können. Die SMV als Mittel <strong>zu</strong>m Er<strong>lernen</strong><br />
des Umg<strong>an</strong>gs mit formaldemokratischen<br />
Strukturen („...die<br />
praktische Seit der politischen Bildung...“)<br />
und <strong>zu</strong>r ver<strong>an</strong>twortlichen<br />
Mitverwaltung des Schullebens unter<br />
Aufsicht des Erziehenden wäre nach<br />
damaliger Sicht ihrem Auftrag nicht<br />
nachgekommen, wenn sie sich als<br />
SchülerInnengewerkschaft verst<strong>an</strong>den<br />
hätte, da sie d<strong>an</strong>n dem Erziehenden<br />
als pädagogisches Instrument entglitten<br />
wäre. („Es wäre nicht richtig, sie<br />
(die SMV) als eine Art gewerkschaftliche<br />
Vertretung der SchülerInnenschaft<br />
<strong>an</strong><strong>zu</strong>sehen, die deren Rechte gegen-
12 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
über der LehrerInnenschaft durchkämpfen<br />
solle.“)<br />
Aus dieser Sichtweise heraus musste<br />
auch die Konsequenz erwachsen, dass<br />
jede Form der überregionalen SMV<br />
nicht erwünscht war: Denn <strong>auf</strong> überregionaler<br />
Ebene gab es keinen direkten<br />
Be<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong> einer Schulgemeinschaft,<br />
um die sich die SchülerInnen hätten<br />
bemühen können. So hätten in kürzester<br />
Zeit gemeinsame politische St<strong>an</strong>dpunkte<br />
und Ziele entstehen können,<br />
so dass eine Ausein<strong>an</strong>derset<strong>zu</strong>ng um<br />
den Ausbau der SchülerInnenrechte<br />
zwischen SchülerInnen und Schulverwaltung,<br />
also eine Zersplitterung der<br />
harmonischen Schulgemeinschaft,<br />
nicht mehr <strong>zu</strong> vermeiden gewesen<br />
wäre. Überregionale Zusammenschlüsse<br />
hätten sich außerdem all<strong>zu</strong> schnell<br />
der pädagogisch wachenden H<strong>an</strong>d der<br />
LehrerInnen entziehen können und<br />
damit die Grenzen der SMV als pädagogisches<br />
Mittel gesprengt.<br />
Mit Ende der gemeinsamen<br />
Wieder<strong>auf</strong>bauphase s<strong>an</strong>k das Interesse<br />
der SchülerInnenschaft <strong>an</strong> der Mitwirkung<br />
in der SMV immer mehr. Die<br />
dringlichen Aufgaben der Nachkriegszeit<br />
hatten sich in beliebige Hilfs- und<br />
Ordnungsdienste verw<strong>an</strong>delt, und den<br />
SchülerInnen wurde bewusst, dass diese<br />
Situation allein <strong>zu</strong>r Verlängerung<br />
des Arms der LehrerInnenschaft diente.<br />
Es entst<strong>an</strong>d die Forderung nach einer<br />
rechtlich umrissenen Grundlage, die<br />
die SMV als Vertretung der<br />
SchülerInnen ver<strong>an</strong>kern und von der<br />
Willkür der LehrerInnen und der<br />
SchulleiterInnen unabhängig machen<br />
sollte. Eine SMV, die nur Hilfsdienste<br />
übernimmt, <strong>an</strong>sonsten aber keine<br />
Rechte besitzt, wurde von den<br />
SchülerInnen nicht ernst genommen;<br />
„...das heutige Schattenkabinett ist ein<br />
Spott <strong>auf</strong> die Demokratie - denn <strong>auf</strong><br />
demokratischem Wege ist es ja gewählt<br />
- und ich wage sogar, die H<strong>an</strong>dhabung<br />
unserer heutigen SMV als einen<br />
Verstoß gegen die Verfassung un-<br />
seres L<strong>an</strong>des <strong>zu</strong> bezeichnen, die eine<br />
Erziehung im Geiste der Demokratie<br />
gar<strong>an</strong>tiert und der wir <strong>auf</strong>grund unserer<br />
Wahlvergnügen wohl eher entfremdet<br />
als gewonnen werden...“<br />
2. Entwicklung der SMV von<br />
1967 - 1972 in der Zeit der<br />
SchülerInnenproteste in der<br />
BRD<br />
Mit einer Flut von Aktionen, Flugblättern<br />
und Aufrufen, die die Schulen, vor<br />
allem die Gymnasien, überschwemmten,<br />
regten sich 1967 die ersten<br />
SchülerInnenproteste.<br />
Die SchülerInnen kritisierten die „autoritäre<br />
Struktur der Schule“ in einer<br />
nur „formaldemokratischen Gesellschaft“<br />
und die „rechtlose, unterdrückte“<br />
Stellung, die die SchülerInnen in<br />
dieser Gesellschaft einnehmen. Mit ihrer<br />
Massenbewegung erreichten die<br />
SchülerInnen erstmals eine breite öffentliche<br />
Diskussion um das, was sie<br />
<strong>an</strong> der Schule, der Erziehung und auch<br />
<strong>an</strong> der Gesellschaft kritisierten.<br />
„SMV und Schülerzeitungen sind heute<br />
die „demokratischen Feigenblätter“<br />
einer undemokratischen Gesellschaft.<br />
Sie sind bis heute Instrumente <strong>zu</strong>r
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 13<br />
Verschleierung der autoritären Struktur<br />
der Schule geblieben.“<br />
Obwohl sich die<br />
SchülerInnenbewegung in unterschiedliche<br />
Flügel teilte, wurde dies in<br />
der Öffentlichkeit kaum bemerkt und<br />
so war die Schlagkraft der<br />
SchülerInnenbewegung enorm. Während<br />
der liberale Flügel (bestehend aus<br />
„Liberaler Schülerbund“ und „Katholische<br />
Studierende Jugend“) der<br />
SchülerInnenbewegung nur systemimm<strong>an</strong>ent<br />
Reformen <strong>zu</strong>r Demokratisierung<br />
der inneren Struktur der Schule<br />
forderte, wollte der radikale Teil<br />
(„Aktionszentrum Unabhängiger und<br />
Sozialistischer Schüler“ und „Unabhängige<br />
Schülervertretung“) eine Veränderung<br />
des gesamten Systems. Reformen<br />
lehnte er als „sinnlos“ ab. Da jedoch<br />
der radikale Flügel Reformen aus<br />
pragmatischen Gründen akzeptierte,<br />
und der gemäßigte Teil der<br />
SchülerInnenbewegung die gleichen<br />
provok<strong>an</strong>ten Mittel wie der radikale<br />
Teile benutzte, um veraltete Strukturen<br />
<strong>auf</strong><strong>zu</strong>brechen, wurde dieser Unterschied<br />
in der Öffentlichkeit kaum deutlich.<br />
Die SMVen schlossen sich den Forderungen<br />
der politischen<br />
SchülerInnengruppen <strong>an</strong> und forderten<br />
nun mit ihnen gemeinsam die Anerkennung<br />
als legitime Vertretung der<br />
Interessen der SchülerInnen, sowie die<br />
Abschaffung autoritärer Strukturen in<br />
der Schule und weitgehende innerschulische<br />
Mitbestimmung bei Entscheidungen,<br />
die einzelne<br />
Schüler-<br />
Innen<br />
oder das<br />
Schulleben<br />
betreffen<br />
und einengesetzlic<br />
h e n<br />
Rahmen für die SMV. Auch l<strong>an</strong>desweite<br />
SMVen wurden gefordert, um die<br />
Mitsprache der SchülerInnen auch <strong>auf</strong><br />
L<strong>an</strong>desebene <strong>zu</strong> sichern.<br />
Einzelne SMVen lösten sich hingegen<br />
g<strong>an</strong>z <strong>auf</strong>, um ihrer eigenen Nichtigkeit<br />
als „demokratische Feigenblätter“ Ausdruck<br />
<strong>zu</strong> verleihen. Sie folgten damit<br />
einer vom AUSS im Juni 1967 <strong>auf</strong>gestellten<br />
These: „Die Abschaffung der<br />
Institution SMV würde die gegenwärtige<br />
Schulwirklichkeit nicht verändern,<br />
aber entlarven.“<br />
Auch die herrschende pädagogische<br />
Sichtweise der SMV veränderte sich in<br />
diesen Jahren. Die Möglichkeit der<br />
Vermittlung eines demokratischen<br />
Bewusstseins mit Hilfe einer formaldemokratischen<br />
Institution, deren Arbeit<br />
durch eineN NichtgewählteN (den/<br />
die SchulleiterIn) bestimmt wird, wurde<br />
bezweifelt, beziehungsweise als<br />
gescheitert betrachtet. Auch die „harmonische<br />
Schulgemeinde“ als Grundlage<br />
der Erziehung blieb nicht länger<br />
un<strong>an</strong>getastet, sondern wurde als Verschleierung<br />
eines Konfliktes betrachtet.<br />
Eine Partnerschaft unter Gleichberechtigten<br />
sei nie vorh<strong>an</strong>den gewesen,<br />
Partnerschaft bedeute lediglich<br />
die Übernahme der Normen der Pädagogen<br />
und die Einsicht in die Notwendigkeit<br />
einer Autorität. Auch Urteilsund<br />
Kritikfähigkeit könnten durch die<br />
Förderung von konformem Mitmachen<br />
nicht erl<strong>an</strong>gt werden. So unterschieden<br />
sich die Forderungen eines westfälischen<br />
Arbeitskreises der<br />
VerbindungslehrerInnen des AUSS:<br />
„Die Schülermitver<strong>an</strong>twortung muß<br />
von der bisherigen Scheinver<strong>an</strong>twortung<br />
<strong>zu</strong>r Schülermitbestimmung<br />
entwickelt werden.“<br />
Neben der Mitbestimmung der SMV bei<br />
der Gestaltung des Unterrichts, der<br />
Notengebung etc. fordert der Arbeitskreis<br />
weiter: „Primäre Funktion (der<br />
SMV) muß...die Interessenvertretung<br />
der Schüler sein. (Sie) ergibt sich aus<br />
dem Demokratisierungsprozess der<br />
Gesellschaft.“
14 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Um der Radikalisierung der<br />
SchülerInnenschaft entgegen<strong>zu</strong>wirken,<br />
waren die Kultusministerien gezwungen,<br />
<strong>zu</strong>mindest teilweise Zugeständnisse<br />
<strong>zu</strong> machen. Vor allem die Selbst<strong>auf</strong>lösung<br />
von SMVen und die starken<br />
Aktivitäten der politischen<br />
SchülerInnengruppen bewegten<br />
schließlich die Kultusministerkonferenz<br />
(KMK) 1968, neue Richtlinien für die<br />
SMV-Erlasse der Länder fest<strong>zu</strong>legen.<br />
Denn eine SMV, die durch Erlasse in<br />
geregelte Bahnen gelenkt und damit<br />
kontrollierbar wird, ist wesentlich bequemer<br />
und überschaubarer als von<br />
der Schule völlig unabhängige<br />
SchülerInnengruppen. Zudem sollte<br />
sie als Kompromiss für die<br />
SchülerInnen wieder akzeptabel werden.<br />
Die KMK gesteht am 3.10. 1968<br />
der SMV zwar die Vertretung der Interessen<br />
der SchülerInnenschaft <strong>zu</strong>,<br />
hält aber <strong>auf</strong> der <strong>an</strong>deren Seite am<br />
Partnerschaftsged<strong>an</strong>ken weiterhin fest.<br />
Dieser KMK-Beschluß selbst zeigte lediglich<br />
den politischen Willen der<br />
KultusministerInnen <strong>an</strong>, eine rechtliche<br />
Verbesserung brachte er unmittelbar<br />
jedoch nicht.<br />
Als Verwirklichung des KMK-Beschlusses,<br />
der nur als Empfehlung <strong>an</strong> die<br />
Länder gerichtet war, folgten nach und<br />
nach in allen Ländern neue Erlasse für<br />
die SMV, die erstmals paritätische<br />
Schlichtungsausschüsse enthielten und<br />
der SMV neue Rechte einräumten.<br />
Wenngleich diese Neuerungen nicht<br />
das brachten, was die SchülerInnen<br />
gefordert hatten, so waren sie doch für<br />
die damalige Zeit ein Fortschritt. Die<br />
Intention der Kultusministerien war es,<br />
„der SMV eine neue Funktion <strong>zu</strong> geben,<br />
um sie für Schüler wieder akzeptabel<br />
<strong>zu</strong> machen und so den Schülergruppen<br />
das Wasser ab<strong>zu</strong>graben.“<br />
3. Entwicklung der SMV von<br />
1972 - heute (Bsp.: Rheinl<strong>an</strong>d-<br />
Pfalz)<br />
Mit den Reformen der späten Sechzi-<br />
ger beziehungsweise Anf<strong>an</strong>g der Siebziger<br />
Jahre verfehlte m<strong>an</strong> sein Ziel<br />
nicht: Die heftigen SchülerInnenproteste<br />
verloren sich nach und nach,<br />
die SMV hingegen beg<strong>an</strong>n <strong>an</strong> Stelle der<br />
politischen SchülerInnengruppen als<br />
politische Führungsspitze die Arbeit <strong>zu</strong><br />
übernehmen. So wurden die Protestaktionen<br />
zwar <strong>zu</strong>nächst nicht geringer,<br />
doch immer mehr wurde deutlich, dass<br />
politisches Interesse bei einer breiten<br />
Masse von SchülerInnen meist nur in<br />
größeren Städten und nur punktuell<br />
und meist bei persönlicher Betroffenheit<br />
hervorgerufen werden konnte.<br />
Mit den SchülerInnenprotesten ging<br />
auch den PädagogInnen der Glaube <strong>an</strong><br />
die harmonische Schulgemeinschaft<br />
verloren. Sie forderten für die<br />
SchülerInnen eine rechtlich umrissene<br />
SMV, die ihnen das ihnen <strong>zu</strong>stehende<br />
Machtinstrument <strong>zu</strong>r Verteidigung<br />
ihrer Interessen geben solle. Konflikte<br />
mit den Machtverhältnissen in der<br />
Schule sollten nicht verdrängt, sondern<br />
offengelegt und ausgetragen werden,<br />
um die SchülerInnen den Umg<strong>an</strong>g mit<br />
„Macht und Kontrolle der Macht“ als<br />
„normales Instrumentarium der Demokratie“<br />
<strong>zu</strong> lehren.<br />
Dieses immer noch pädagogische Verständnis<br />
von SMV konnte sich bis heute<br />
weitgehend erhalten und war somit<br />
Basis aller dar<strong>auf</strong> folgenden Entwicklungen<br />
der SMV, sofern sie nicht von<br />
den SchülerInnen selbst ausging. Die<br />
SMV war und ist heute immer noch<br />
pädagogisches Instrument, das heißt<br />
weitgehend ohne Mitbestimmungsmöglichkeiten,<br />
liegt jedoch durch einen<br />
gesicherten rechtlichen Rahmen<br />
mehr in den Händen der SchülerInnen<br />
als <strong>zu</strong>vor. Diese Auffassung von SMV<br />
kam <strong>zu</strong>m Beispiel in der Schulordnung<br />
vom 11. Mai 1978 deutlich <strong>zu</strong>m Ausdruck:<br />
„Mit dem Erziehungs<strong>auf</strong>trag der<br />
Schule ist die Aufgabe verbunden, die<br />
Schüler <strong>zu</strong>r Mitver<strong>an</strong>twortung <strong>zu</strong> befähigen.<br />
Dies geschieht durch den Unterricht,<br />
die sonstigen schulischen Ver<strong>an</strong>staltungen<br />
und durch die Schüler-
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 15<br />
vertretung.“ Durch die Verabschiedung<br />
der herrschenden pädagogischen Meinung<br />
von dem Ged<strong>an</strong>ken der „harmonischen<br />
Schulgemeinschaft“, konnte<br />
der SMV das Recht <strong>auf</strong> Interessenvertretung<br />
der SchülerInnen gegenüber<br />
der Schulverwaltung <strong>zu</strong>gest<strong>an</strong>den werden,<br />
das jedoch bei den Gesetzen <strong>zu</strong>r<br />
SMV nicht unbedingt im Vordergrund<br />
st<strong>an</strong>d.<br />
Während das pädagogische Verständnis<br />
von SMV <strong>auf</strong> dem oben beschriebenen<br />
St<strong>an</strong>d stehenblieb und auch<br />
kaum Gegenst<strong>an</strong>d von Ausein<strong>an</strong>derset<strong>zu</strong>ngen<br />
war, rückten die Strukturen<br />
der SMV in Debatten um die Demokratisierung<br />
der Schulen in den Vordergrund.<br />
Die Verrechtlichung der SMV<br />
führte <strong>zu</strong> einer Erweiterung der Rechte<br />
der SchülerInnen und einer gesicherten,<br />
da einklagbaren Grundlage für<br />
die Arbeit der SMV.<br />
Wie in den meisten <strong>an</strong>deren Bundesländern<br />
gab es auch in Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz<br />
nach den SchülerInnenprotesten erstmals<br />
eine rechtliche Absicherung der<br />
Strukturen der SchülerInnenvertretung<br />
mittels eines Gesetzes. Erstmals<br />
gab es l<strong>an</strong>desweite, von offizieller<br />
Seite <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nte Strukturen (den<br />
L<strong>an</strong>desschülerInnenbeirat), der auch<br />
mit geringen fin<strong>an</strong>ziellen Mitteln unterstützt<br />
wurde. Die rechtliche Position<br />
der SchülerInnen <strong>auf</strong> L<strong>an</strong>desebene<br />
wurde erstmals als solche abgesichert.<br />
Die Struktur des LSB nahm jedoch einer<br />
1973 in Kusel privatrechtlich gegründetenL<strong>an</strong>desschülerInnenvertretung<br />
den Wind aus den Segeln<br />
und führte <strong>zu</strong> deren Aushöhlung. Die<br />
von den SchülerInnen selbst gegründete<br />
LSV wurde vom Kultusminister<br />
nicht <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt, der Besuch ihrer Tagungen<br />
durch Androhung von Repression<br />
für SMVler erschwert. Mit Beginn<br />
dieser Jahre vermischte sich die Diskussion<br />
des (Selbst-)Verständnisses<br />
von SchülerInnenvertretung immer<br />
mehr mit der Diskussion um die Strukturen,<br />
in denen SchülerInnenvertretung<br />
org<strong>an</strong>isiert ist, da diese<br />
Ausdruck des Verständnisses von SMV<br />
sind. So war <strong>zu</strong>m Beispiel die Entwicklung<br />
des L<strong>an</strong>desschülerInnenbeirates<br />
der Gymnasien und Gesamtschulen in<br />
Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz <strong>zu</strong>r L<strong>an</strong>desschüler-<br />
Innenvertretung der Gymnasien und<br />
Gesamtschulen kennzeichnend für das<br />
Bestreben der SchülerInnen nach einer<br />
demokratischen SchülerInnenvertretung.<br />
Aus den unterschiedlichen<br />
Auffassungen von SMV entwickelten<br />
sich unterschiedliche Modelle (z.B. die<br />
1973 nicht <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nte, selbst gegründete<br />
LSV der SchülerInnen gegen den<br />
LSB des Ministeriums), die schließlich<br />
in der Ausein<strong>an</strong>derset<strong>zu</strong>ng mit dem Ministerium<br />
waren.<br />
4. Geschichte der<br />
BundesschülerInnenvertretung:<br />
Bundesweit gab es <strong>zu</strong>nächst (1968<br />
<strong>zu</strong>m ersten Mal) eine jährliche Tagung<br />
der L<strong>an</strong>desschulsprecher;<br />
1973<br />
schlossen sie<br />
sich <strong>zu</strong> einer<br />
„Konferenz<br />
der L<strong>an</strong>desschülervertretungen<br />
der Länder<br />
der Bundesrepublik
16 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Deutschl<strong>an</strong>d“ <strong>zu</strong>sammen, die mit<br />
Beschluss vom September 1975 die<br />
Bildung einer BundesschülerInnenvertretung<br />
als <strong>zu</strong>r Zeit nicht gewollt<br />
ablehnte. Im Mai 1977 schloss sich die<br />
KdLSV mit der LSV Westberlins <strong>zu</strong>sammen;<br />
die Gründung einer BSV wurde<br />
diskutiert. 1979 beschloss die KdLSV,<br />
die Gründung einer BSV <strong>an</strong><strong>zu</strong>streben.<br />
In dieser Entschließung kommt unter<br />
<strong>an</strong>derem das Selbstverständnis der<br />
SchülerInnenvertretungen Ende der<br />
Siebziger Jahre <strong>zu</strong>m Ausdruck: „Zahlreiche<br />
Rechte konnten in den letzten<br />
Jahren durch die demokratische<br />
SchülerInnenvertretung erkämpft und<br />
verteidigt werden. Die<br />
SchülerInnenvertretungen wurden ihrer<br />
Aufgabe mehr und mehr gerecht,<br />
die vielfältigen Interessen der<br />
SchülerInnen <strong>zu</strong> vertreten.“ Im Dezember<br />
1983 f<strong>an</strong>d der erste bundesweite<br />
SchülerInnenkongress in Köln<br />
statt, der den Antrag <strong>auf</strong> Gründung<br />
einer BSV <strong>an</strong>nahm. Auf der ersten<br />
Bundesdelegiertenkonferenz im März<br />
1984 wurde der erste Bundesvorst<strong>an</strong>d<br />
der BSV gewählt und eine<br />
Grundsatzerklärung beschlossen,<br />
in der sich die<br />
BSV <strong>zu</strong>r „Interessenvertretung<br />
aller SchülerInnen von<br />
allgemeinbildenden und<br />
berufsbildenden Schulen im<br />
Bundesgebiet und in Westberlin“<br />
erklärte. Seitdem<br />
f<strong>an</strong>den jährlich eine BDK<br />
und ein BSK/seit der Wiedervereinigung<br />
ein Gesamtdeutscher<br />
SchülerInnenkongreß<br />
(GSK) statt.<br />
Mit einer bundesweiten<br />
Kampagne gegen die sogen<strong>an</strong>nte<br />
„Abideform“ (Neugestaltung<br />
der Oberstufe)<br />
gel<strong>an</strong>g es der BSV sowohl<br />
in der Öffentlichkeit, als<br />
auch in der<br />
SchülerInnenschaft für die<br />
Probleme der Schule <strong>zu</strong> sensibilisieren.<br />
Mit der Begründung, dass Bildungspolitik<br />
in die Kulturhoheit der Länder falle,<br />
wurde die BSV bisher nicht als<br />
BundesschülerInnenvertretung <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt.<br />
Seit der Wiedervereinigung gibt<br />
es jedoch Verh<strong>an</strong>dlungen des Bundesvorst<strong>an</strong>des<br />
mit den Kultusministern<br />
und dem Bundesbildungsminister, die<br />
eine Anerkennung und damit fin<strong>an</strong>zielle<br />
Unterstüt<strong>zu</strong>ng der BSV wenigstens<br />
noch erhoffen lassen.<br />
Der/die AutorIn ist unbek<strong>an</strong>nt; den<br />
Text f<strong>an</strong>den wir trotzdem gut.
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 17<br />
Antipädagogik<br />
- das Ende der<br />
Erziehungsideologie?<br />
1.1. Pädagogik aus Sicht der<br />
Antipädagogik<br />
AntipädagogInnen kritisieren alle<br />
Formen und Arten von Erziehung. Sie<br />
<strong>an</strong>alysieren, dass hinter jeder Art von<br />
Erziehung eine offene oder versteckte<br />
Absicht, ein Menschenbild, dem es<br />
gerecht <strong>zu</strong> werden gilt, und<br />
Programme und Vorstellungen<br />
darüber, wie sich Menschen <strong>zu</strong><br />
verhalten haben, steht. „Die Pädagogik<br />
ist gleichsam immer un<strong>zu</strong>frieden mit<br />
dem Menschen, so wie er jeweils ist.<br />
Sie will ihn verändern, indem sie ihn<br />
<strong>zu</strong>m Lernen bzw. Da<strong>zu</strong><strong>lernen</strong><br />
zwingt.“(1)<br />
So ergibt sich aus Sicht der<br />
Antipädagogik, daß Erziehung immer<br />
ein Gewaltverhältnis im Sinn von<br />
psychischer Gewalt von Menschen über<br />
Menschen impliziert, i.d.R. von<br />
Erwachsenen über Kinder und<br />
Jugendliche. Erziehung bleibt damit<br />
immer <strong>zu</strong>gleich auch<br />
Herrschaftsausübung.<br />
Erziehung als Ver<strong>an</strong>staltung<br />
der Erwachsenen begründet<br />
sich allgemein in der<br />
Annahme, Kinder und<br />
Jugendliche seien „von Natur<br />
aus“ unmündig und hilflos<br />
und erst die richtige Methode,<br />
das richtige Programm führe<br />
<strong>zu</strong>r Mündigkeit und<br />
Selbständigkeit der <strong>zu</strong><br />
Erziehenden. „Wir Pädagogen<br />
betrachten den Menschen als<br />
ein Wesen, das erst durch<br />
Lernen wirklich <strong>zu</strong>m<br />
Menschen wird.“(2)<br />
AntipädagogInnen halten<br />
dem entgegen, dass diese<br />
vorgebliche Mündigkeit<br />
tatsächlich vor allem<br />
Anpassung und<br />
Unterwerfung unter bestehende<br />
Herrschaftsverhältnisse bewirkt.<br />
Während die/der Erziehende dem Kind<br />
Ordnung „beibringen“ will, lernt es<br />
tatsächlich, sich unter die<br />
Vorstellungen und Erwartungen der/<br />
des Erziehenden unter<strong>zu</strong>ordnen.<br />
AntipädagogInnen bemühen sich, den<br />
Widerspruch zwischen aktiven und<br />
passiven Begrifflichkeiten in den<br />
Begründungs<strong>zu</strong>sammenhängen <strong>zu</strong>r<br />
Rechtfertigung der Erziehung<br />
<strong>auf</strong><strong>zu</strong>decken: Der Widerspruch etwa,<br />
dass nur der- bzw. diejenige etwas<br />
lernt, den/die m<strong>an</strong> da<strong>zu</strong> zwingt. Lernen<br />
gesehen als ein subjektiver, innerer,<br />
individueller Vorg<strong>an</strong>g läßt sich nicht<br />
durch noch so intensive äußere<br />
Zw<strong>an</strong>gsprogrammme produzieren. Im<br />
üblichen Verständnis k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong><br />
Individuen nicht <strong>zu</strong> Subjekten<br />
„machen“, sondern höchstens <strong>zu</strong><br />
Objekten fremdbestimmter<br />
Erziehungsideologie. Subjekte jedoch
18 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
müssen von sich aus sein. Dieser Widerspruch<br />
durchzieht die Gesamtheit aller bisherigen<br />
Formen pädagogischen Denkens. Aus dieser<br />
Sicht ist alle Pädagogik kinderfeindlich.<br />
1.2. „Spiel ohne Ende“ und die<br />
Abschaffung der Pädagogik<br />
Die allgemein vorherrschende Auffassung von<br />
Pädagogik läßt aus Sicht der Antipädagogik<br />
eine Unzahl von Problemen entstehen:<br />
Generationskonflikte, weitgehende<br />
Unmündigkeit, „autoritärer Charakter“,<br />
m<strong>an</strong>gelndes Selbstwertgefühl.<br />
Zuvorderst aber auch das „Spiel ohne Ende“:<br />
Der Druck, der durch die Erziehung ausgeübt<br />
wird, erzeugt Gegendruck, der Druck wird<br />
verstärkt usw. Auf die gleiche Art erzeugt<br />
Fremdbestimmung Unmündigkeit, diese<br />
rechtfertigt wiederum Fremdbestimmung,<br />
und immer so weiter. Diese Mech<strong>an</strong>ismen<br />
stehen dem Glück und der freien Entfaltung<br />
der Persönlichkeiten im Weg; Erziehung wird<br />
<strong>zu</strong>m „Erziehungskrieg“. „Spiele ohne Ende ...<br />
sind genau das, was der Ausdruck besagt:<br />
sie sind in dem Sinne endlos, als sie keine<br />
Vorkehrungen für ihr Aufhören enthalten.<br />
Aufhören, wie erwachen aus dem Traum, ist<br />
nicht Teil dieses Spiels selbst; Aufhören ist<br />
meta <strong>zu</strong>m Spiel, es hat einen höheren<br />
Abstraktionsgrad.“(3) Die Lösung aus Sicht<br />
der <strong>an</strong>tipädagogischen Bewegung k<strong>an</strong>n nur<br />
die Abschaffung der Erziehung sein. Sie<br />
vertrauen <strong>auf</strong> die „Natur des Kindes“ ,<br />
plädieren für die Überwindung aller<br />
pädagogischen Einstellungen und halten die<br />
„Un<strong>an</strong>tastbarkeit der Würde des Kindes“<br />
hoch.<br />
2. Zur Kritik der Antipädagogik<br />
Der entscheidende Kritikpunkt<br />
em<strong>an</strong>zipatorischer Politik <strong>an</strong> den<br />
<strong>an</strong>tipädagogischen Versuchen muß die Kluft<br />
zwischen Anspruch und Wirklichkeit sein. Ist<br />
es tatsächlich möglich, dass jem<strong>an</strong>d <strong>zu</strong> einem<br />
völlig autonomen und selbständigen<br />
Menschen wird, dass er also tatsächlich frei<br />
von allen erzieherischen Einflüssen groß wird?<br />
Selbst „nach der Revolution“ und schon gar<br />
nicht in der bestehenden Gesellschaft läßt sich<br />
eine völlige direkte oder indirekte Vermittlung<br />
von Wert- und Normvorstellungen aus-<br />
schließen. Der/die Erziehende<br />
wird sich schwerlich völlig von<br />
seinen eigenen Werten und<br />
Prinzipien im Umg<strong>an</strong>g mit<br />
Kindern losmachen können.<br />
Wenn also AntipädagogInnen<br />
eindrucksvoll die Abschaffung<br />
der Erziehung propagieren,<br />
kommt leicht der Verdacht der<br />
Verlogenheit <strong>auf</strong>. Weitgehend<br />
sinnvoller und<br />
em<strong>an</strong>zipatorischer als die<br />
Verschleierung von<br />
erzieherischen Einflüssen<br />
erscheint daher das Bemühen<br />
um Tr<strong>an</strong>sparenz der eigenen<br />
Wert- und Normvorstellungen,<br />
das Offenlegen erzieherischer<br />
Rollen und Machtverhältnisse.<br />
Nur so läßt sich wirkungsvoll<br />
versteckte Indoktrination und<br />
falsche Illusion vermeiden.<br />
Damit <strong>zu</strong>sammenhängend<br />
vernachlässigen AntipädagogInnen<br />
auch <strong>zu</strong> sehr die Frage<br />
nach gesamt-gesellschaftlichen<br />
Zusammenhängen. Etwa die<br />
institutionellen Bedingungen<br />
von Schule („geheimer<br />
Lehrpl<strong>an</strong>“, „funktionale<br />
Erziehung“) bleiben wenig<br />
beachtet.<br />
<strong>JungdemokratInnen</strong>/ <strong>Junge</strong><br />
Linke stehen in der Tradition der<br />
<strong>an</strong>tiautoritären Schüler-<br />
Innenbewegung der 70er Jahre<br />
und teilen die Kritik der<br />
AntipädagogInnen <strong>an</strong><br />
gesellschaftliche Machtgefälle<br />
stützender Pädagogik und ihren<br />
institutionellen, repressiven<br />
Rahmenbedingungen.<br />
Alex<strong>an</strong>der Koensler<br />
Anmerkungen:<br />
1Hartmut Lüdtke<br />
2ebd.<br />
3Watzlawick
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 19<br />
Der geheime<br />
Lehrpl<strong>an</strong><br />
Eigentlich ist der geheime Lehrpl<strong>an</strong><br />
eine ziemlich öffentliche Angelegenheit.<br />
Aber er ist nirgendwo festgelegt<br />
und steht in keinem Lehrpl<strong>an</strong>, sondern<br />
ist struktureller Best<strong>an</strong>dteil von Schule.<br />
Als Wichtigstes <strong>lernen</strong> SchülerInnen,<br />
die fremde Verfügungsgewalt über ihre<br />
Lebenszeit durch <strong>an</strong>dere <strong>zu</strong> akzeptieren:<br />
Was sie tun und lassen, ist nicht<br />
ihre Entscheidung, sondern die <strong>an</strong>derer.<br />
Das fängt beim Zw<strong>an</strong>g, pünktlich<br />
<strong>zu</strong> sein, <strong>an</strong> und äußert sich in solchen<br />
Absurditäten, dass SchülerInnen, die<br />
kr<strong>an</strong>k waren, sich entschuldigen müssen<br />
- also den Beweis <strong>an</strong>treten müssen,<br />
dass sie tatsächlich nicht da sein<br />
konnten. Dahinter steckt eben nicht<br />
nur berechtigtes Mißtrauen der Insti-<br />
tution gegen die SchülerInnen, die sich<br />
über ihre Attraktivität für ihre<br />
InsassInnen augenscheinlich keinerlei<br />
Illusionen macht. Sondern auch die<br />
Botschaft: "Deine Zeit ge<strong>hört</strong> nicht<br />
Dir". Ohne dies wäre das Umschalten<br />
der Aufmerksamkeit zwischen verschiedenen<br />
Themen im 45-Minuten-<br />
Takt gar nicht machbar - <strong>zu</strong>mal die<br />
Themen von <strong>an</strong>deren vorgegeben und<br />
festgelegt werden. Zusätzlich <strong>lernen</strong><br />
SchülerInnen das Leben und Arbeiten<br />
in Zw<strong>an</strong>gskollektiven, mit denen sie<br />
sich identifizieren sollen (Klassengemeinschaft<br />
heißt sowas d<strong>an</strong>n). Das<br />
heißt, sie bekommen g<strong>an</strong>z beiläufig<br />
vermittelt, dass sie sich die Umstände,<br />
unter denen sie leben und arbeiten,<br />
nicht aussuchen können, sondern<br />
sie als natürlich/gottgegeben ("Geht ja<br />
nicht <strong>an</strong>ders") <strong>zu</strong> akzeptieren haben.<br />
Gleichzeitig <strong>lernen</strong> SchülerInnen, entfremdet<br />
<strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> und <strong>zu</strong> arbeiten. Das<br />
heißt, Dinge <strong>zu</strong> tun, von denen sie nicht<br />
wissen, wo<strong>zu</strong> sie gut sein sollen. Sie<br />
<strong>lernen</strong>, eine Aufgabe <strong>zu</strong> erfüllen, ohne<br />
l<strong>an</strong>ge nach dem Wieso und Warum <strong>zu</strong><br />
fragen oder sich eigenständige Ged<strong>an</strong>ken<br />
<strong>zu</strong> machen. Dies führt d<strong>an</strong>n <strong>zu</strong>r<br />
"gelernten Hilflosigkeit", <strong>zu</strong> jener Form<br />
von Passivität, die Schule herbeiführt,<br />
um sie d<strong>an</strong>n per Zw<strong>an</strong>g <strong>zu</strong> überwinden.<br />
Eigene Interessen, Lieblingsthemen,<br />
sp<strong>an</strong>nende Diskussionen müssen<br />
links liegengelassen werden - und später<br />
heißt es d<strong>an</strong>n, m<strong>an</strong> müsse die Kinder<br />
<strong>zu</strong>m Lernen zwingen, weil sie ja<br />
sonst nichts <strong>lernen</strong> wollten und niemals<br />
schreiben lernten.<br />
Lernen verstehen SchülerInnen unter<br />
diesem Zw<strong>an</strong>g d<strong>an</strong>n als "Leistung", das<br />
heißt als Arbeit pro Zeit. Gute<br />
SchülerInnen <strong>lernen</strong> möglichst viel in<br />
möglichst wenig Zeit. Der Inhalt ist<br />
dabei entgegen dem Gerede von der<br />
"Allgemeinbildung" herzlich egal - die
20 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Dass SchülerInnen dieses Funktionieren nach den<br />
Vorgaben erst <strong>lernen</strong> mußten und müssen, zeigt<br />
der folgende Text. Es ist ein Zeitpl<strong>an</strong>-Vorschlag<br />
vom Beginn des letzten Jahrhunderts für eine<br />
Schulstunde. Dass er gemacht wurde, zeigt, wie<br />
nötig die Disziplinierung war und wie sie vor<strong>an</strong>getrieben<br />
wurde:<br />
„8.45 Eintritt des Monitors, 8.52 Ruf des Monitors,<br />
8.56 Eintritt der Schüler und Gebet, 9 Uhr Einrükken<br />
in die Bänke, 9.04 erste Schiefertafel, 9.08<br />
Ende des Diktats, 9.12 zweite Schiefertafel...“<br />
Heute wirkt all das etwas lockerer - aber die Kinder<br />
bringen schon von <strong>zu</strong> Hause, aus dem Kindergarten<br />
usw. mehr Zeitdisziplin mit.<br />
Zitiert nach: Michel Foucault: Überwachen und<br />
Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Fr<strong>an</strong>kfurt<br />
am Main 1976<br />
Gleichgültigkeit gegenüber dem Inhalt,<br />
die mit vorgesetztem Lernstoff und unter<br />
Zw<strong>an</strong>g stattfindendem Lernen produziert<br />
wird, wird d<strong>an</strong>n auch noch verstärkt,<br />
wenn Inhalte als<br />
Disziplinierungsinstrumente benutzt<br />
werden (Haus<strong>auf</strong>gaben als Strafe etc.,<br />
Tests).<br />
Die Kontrolle und Bewertung der eigenen<br />
Arbeit durch <strong>an</strong>dere wird so selbstverständlich.<br />
In der Schule treten Kinder<br />
in der Regel <strong>zu</strong>m ersten Mal Autoritäten<br />
gegenüber, <strong>zu</strong> denen sie kein<br />
emotionales Verhältnis haben (dass<br />
GrundschülerInnen ein solches d<strong>an</strong>n<br />
schaffen, macht die Bewertung durch<br />
diese Autoritäten noch einmal besonders<br />
übel für sie).<br />
Aber auch die Verlagerung der Kontrolle<br />
nach Innen - also sie gleich selber<br />
über sich selbst aus<strong>zu</strong>üben - im Interesse<br />
des besseren Überlebens im System<br />
Schule - ge<strong>hört</strong> <strong>zu</strong> den unbestreitbaren<br />
Lernerfolgen. So wird Herrschaft<br />
über sich selbst, Unterdrückung eigener<br />
Bedürfnisse und Bewirtschaftung<br />
der eigenen Zeit hergestellt, wie sie für<br />
das Überleben und Funktionieren im<br />
Kapitalismus nötig sind. Die Schule ist<br />
<strong>zu</strong>gleich der erste Kontakt des Nachwuchses<br />
mit dem Staat. Daß dies in<br />
Form eines Zw<strong>an</strong>gsverhältnisses geschieht,<br />
ist dabei sehr bezeichnend.<br />
Auch das Welt- und Menschenbild<br />
wird durch die<br />
Schule geprägt. Die Verinnerlichung<br />
der Selektion<br />
("es gibt Gute und weniger<br />
Gute") und des<br />
Zw<strong>an</strong>gs ("ohne Druck<br />
läuft nichts")sind durchaus<br />
konsequente Verarbeitung<br />
schulischer Realität.<br />
Dass es Gute und<br />
Schlechte gibt, schreibt<br />
die Schule locker fest:<br />
Wer bei einer Arbeit/<br />
Klausur etwas nicht gewußt<br />
hat, kriegt eine<br />
Sechs und nicht etwa den<br />
fraglichen Sachverhalt<br />
noch einmal erklärt. Ausgleichen k<strong>an</strong>n<br />
sie/er diese "Schlappe", die <strong>auf</strong> das<br />
Selbstwertgefühl durchschlägt, höchstens<br />
beim nächsten Mal.<br />
Den SchülerInnen wird in der Schule<br />
so konsequent die Lust <strong>zu</strong>m Lernen<br />
ausgetrieben, dass sie in<br />
der Regel bei Wegfall der<br />
sie überwachenden Autorität<br />
den Freiraum für etwas<br />
<strong>an</strong>deres nutzen. Daraus<br />
schließen sie: Der<br />
Mensch muß <strong>zu</strong>m Guten<br />
gezwungen werden; mit<br />
Spaß können Lernen und<br />
Arbeiten gleich gar nichts<br />
<strong>zu</strong> tun haben. Der Mensch<br />
ist dem Mensch ein Faulpelz.<br />
Das ist die Rechtfertigung<br />
für jede Sorte<br />
Zw<strong>an</strong>g und Gewalt als<br />
Vorausset<strong>zu</strong>ng menschlicher<br />
Kultur. Dabei <strong>lernen</strong><br />
die SchülerInnen aber<br />
auch, dass es neben dieser<br />
öffentlichen Sphäre,<br />
die erst die Schule und<br />
später der Betrieb ist,<br />
auch eine private Sphäre<br />
gibt, wo das Individuum<br />
sein Selbst und seine Freiheit<br />
ausleben k<strong>an</strong>n. Ich<br />
leb mein Leben g<strong>an</strong>z
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 21<br />
spont<strong>an</strong>, ich k<strong>an</strong>n... Diese Trennung<br />
von öffentlicher und privater Sphäre<br />
ge<strong>hört</strong> auch <strong>zu</strong> den Sozialisationserfolgen<br />
der Schule.<br />
In der Grundschule stehen Disziplin,<br />
Ordnung, Pünktlichkeit und Einschränkung<br />
der eigenen Spont<strong>an</strong>eität <strong>auf</strong><br />
dem geheimen Lehrpl<strong>an</strong>. Meistens<br />
macht das Lernen den Kindern noch<br />
Spaß, und seit die rigiden<br />
Disziplinierungsrituale abgeschafft<br />
worden sind, scheint die Grundschule<br />
aushaltbar. Vor allem nähern sich die<br />
GrundschullehrerInnen meistens mit<br />
onkel- und t<strong>an</strong>tenhafter Betulichkeit<br />
den Kindern und tun mehr, als nur<br />
Sachzwänge exekutieren.<br />
In der Mittelstufe werden Selektion und<br />
Konkurrenz wichtig. Um diese aus<strong>zu</strong>halten,<br />
müssen SchülerInnen ihre Unlust<br />
selber überwinden, d.h. <strong>zu</strong> sich<br />
selbst und den eigenen Bedürfnissen<br />
ein im schlimmsten Sinne "sachliches"<br />
Verhältnis einnehmen. In der Mittel-<br />
stufe verlieren - natürlich hängt<br />
das auch mit der schwierigen<br />
Lebensphase Pubertät <strong>zu</strong>sammen,<br />
deren Komplikationen<br />
LehrerInnen nur als Störfaktor<br />
<strong>an</strong>sehen - SchülerInnen auch<br />
das letzte Quentchen Lust am<br />
Lernen; hier treten die unterschiedlichen<br />
"Begabungen",<br />
sich den schulischen Zwängen<br />
<strong>an</strong><strong>zu</strong>passen und sie <strong>zu</strong> verinnerlichen,<br />
in Form guter und<br />
schlechter Noten weiter ausein<strong>an</strong>der.<br />
In der Oberstufe des Gymnasiums<br />
genießen die<br />
SchülerInnen demgegenüber<br />
eine hierarchisierte, bürokratisierte<br />
Freiheit relativer Wahl<br />
der Lerngruppe unter den Bedingungen<br />
von Anonymität und<br />
der Themen. Allerdings ist das<br />
Lernen als Individuum unter<br />
den Bedingungen von Anonymität und<br />
Vereinzelung ein hartes Geschäft -<br />
wer's durchsteht, ist <strong>auf</strong> die Uni gut<br />
vorbereitet. OberstufenschülerInnen<br />
haben es noch mehr als SchülerInnen<br />
<strong>an</strong>derer Schulstufen bzw. -arten dr<strong>auf</strong>,<br />
Wissen unter dem Aspekt des Tauschwerts<br />
<strong>zu</strong> betrachten (wie viele Punkte<br />
bringt mir der Kurs?). Im besten Fall<br />
wird der Gebrauchswert in Augenschein<br />
genommen (was k<strong>an</strong>n ich damit<br />
<strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen?). Die Vorstellung, etwas<br />
<strong>zu</strong> <strong>lernen</strong>, ohne direkt den Nutzen davon<br />
bestimmen <strong>zu</strong> können, ist durch<br />
die schulische Praxis grundlegend versaut<br />
worden.<br />
Fr<strong>an</strong>k-Oliver Sobich/Michael Schulte
22 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Frauen in<br />
Schule<br />
60% der AbiturientInnen in der BRD<br />
sind Frauen. Schülerinnen bleiben<br />
seltener sitzen und haben oftmals<br />
bessere Noten. Es scheint fast so,<br />
als wäre Schule ein Bereich, in der<br />
die Benachteiligung von Frauen<br />
überwunden wurde. Doch mehrere<br />
Untersuchungen zeigen, dass die Bedingungen<br />
<strong>an</strong> Schulen für Schülerinnen<br />
immer noch die schlechteren<br />
sind:<br />
Koedukation<br />
Unter Koedukation versteht mensch<br />
das gemeinsame Unterrichten von<br />
Mädchen und <strong>Junge</strong>n, das seit 1965<br />
in der BRD <strong>zu</strong>r Regel wurde.<br />
Auf der einen Seite war die<br />
Durchset<strong>zu</strong>ng der<br />
koedukativen Schule als Regelschule<br />
der erste Schritt <strong>zu</strong>r<br />
Auflösung der traditionell<br />
geschlechterspezifischen Bildung,<br />
<strong>auf</strong> der <strong>an</strong>deren Seite<br />
brachte sie auch Probleme mit<br />
sich. Dies ist auch nicht verwunderlich,<br />
da, wie so oft,<br />
nicht em<strong>an</strong>zipatorische Überlegungen<br />
im Vordergrund<br />
st<strong>an</strong>den, sondern vielmehr fin<strong>an</strong>zpolitische<br />
Aspekte den<br />
Ausschlag gaben. Abgesehen<br />
davon existieren Schulen nicht<br />
im luftleeren Raum, sondern<br />
reflektieren und reproduzieren<br />
die herrschenden Verhältnisse,<br />
damit auch die<br />
Geschlechterverhältnisse.<br />
Ungleichbeh<strong>an</strong>dlung<br />
Mädchen werden im Unterricht<br />
weniger gefördert<br />
und beachtet als ihre Mitschüler.<br />
Durch Dale Spender<br />
1985 in ihrer Studie<br />
belegt und seit dem konst<strong>an</strong>t bewiesen,<br />
ist dass egal ob Lehrerin oder Lehrer,<br />
2/3 der Aufmerksamkeit den <strong>Junge</strong>n <strong>zu</strong>kommen,<br />
selbst wenn mehr Mädchen in<br />
der Klasse sind. <strong>Junge</strong>n unterbrechen<br />
Mädchen viel öfter als umgekehrt. Auch<br />
wird dazwischenrufen bei <strong>Junge</strong>n weniger<br />
scharf kritisiert als bei Mädchen. So<br />
werden Mädchen <strong>zu</strong>m Stillsein und <strong>Junge</strong>n<br />
<strong>zu</strong>m Lautsein erzogen. M<strong>an</strong>chmal<br />
werden die Schülerinnen einer Klasse<br />
auch zwischen „die lauten <strong>Junge</strong>n“ gesetzt,<br />
um für Ruhe <strong>zu</strong> sorgen.<br />
Wenn eine Schülerin gut in Physik ist,<br />
wird dies <strong>zu</strong>meist <strong>auf</strong> ihren Fleiß, beim<br />
Schüler <strong>auf</strong> seine Begabung <strong>zu</strong>rückgeführt.<br />
Dies hat wiederum <strong>zu</strong>r Folge, dass<br />
<strong>Junge</strong>n ihren naturwissenschaftlichen<br />
Fähigkeiten trauen,<br />
selbstbewusst sind und im Unterricht<br />
dominieren. Bei Mädchen zeigt sich<br />
das genaue Gegenteil: Sie trauen<br />
sich noch weniger und zweifeln <strong>an</strong><br />
ihren Fähigkeiten.<br />
Frauenbild im Unterricht - Beispiel<br />
Schulbücher<br />
Obwohl heute allgemein akzeptiert<br />
ist, dass Frauen nicht nur Mütter sein<br />
müssen, finden sich in Schulbüchern<br />
Rollenklischees: Wer hat in Mathe<br />
nicht Text<strong>auf</strong>gaben wie: Herr Maier<br />
will ein Auto k<strong>auf</strong>en, wie viele Raten<br />
muss er von seinem Gehalt zahlen?<br />
Frau Müller k<strong>auf</strong>t das Obst <strong>auf</strong> dem<br />
Markt. Reicht da<strong>zu</strong> das Haushaltsgeld?<br />
Oder in English: Mr. Pearson is<br />
driving the taxi while Mrs Pearson is<br />
cle<strong>an</strong>ing the car. Frauen in mittleren<br />
oder höheren Positionen kommen so<br />
gut wie gar nicht vor.<br />
Eine weitere Diskriminierung erfahren<br />
lesbische Schülerinnen (und<br />
schwule Schüler) durch die meisten<br />
Bio-Bücher: Immer noch wird Homo-
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 23<br />
sexualität als widernatürlich, kr<strong>an</strong>khaft<br />
und/oder „Phase“ dargestellt, die irgendw<strong>an</strong>n<br />
vorbeigeht. Nicht selten<br />
wird das Thema Homosexualität auch<br />
gänzlich überg<strong>an</strong>gen. Und lesbische<br />
Frauen werden in Text<strong>auf</strong>gaben oder<br />
in Lesebüchern auch verschwiegen<br />
Frauen kommen nicht vor -<br />
Unterrichtsinhalte<br />
Ebenfalls durch Spender belegt wurde<br />
die Erfahrung, dass mädchenzentrierter<br />
Unterricht von den <strong>Junge</strong>n<br />
der Klasse so gestört wird, dass er<br />
unmöglich gemacht ist. Klar, dass sich<br />
die LehrerInnen den Stress von mehr<br />
Unruhe, Störungen und Kritik erspa-<br />
ren wollen.<br />
So ist es nicht verwunderlich, dass<br />
Themen wie z.B. Geschichte der Frauenbewegung<br />
oder auch Frauenliteratur<br />
nicht vorkommen. Unterrichtsstunden,<br />
die das Thema „Geschlechterverhältnis“<br />
<strong>zu</strong>m Inhalt haben,<br />
verl<strong>auf</strong>en (<strong>zu</strong>mindest in der<br />
Mittelstufe) meist chaotisch<br />
und werden durch störende<br />
<strong>Junge</strong>n unmöglich gemacht.<br />
Schülerinnen, die dies kritisieren<br />
sind d<strong>an</strong>n die „Em<strong>an</strong>zen“<br />
und werden - teils auch von<br />
den Mitschülerinnen - verachtet.<br />
Immer noch müssen Schülerinnen<br />
sich mit Formulierungen<br />
wie „Alle Schüler sollen die<br />
Folie abzeichnen“ oder „Die<br />
Schüler dieser Schule“ mitgemeint<br />
fühlen. Auch in Schulbüchern<br />
wird mensch die<br />
geschlechtsneutrale Sprache<br />
nicht finden. Schreibt einE<br />
SchülerIn in Klassenarbeiten<br />
und Klausuren konsequent das<br />
„Große I“ (LehrerInnen statt<br />
Lehrer usw.), liegt es im Ermessen<br />
des Lehrers / der Lehrerin,<br />
dies <strong>zu</strong> akzeptieren oder<br />
als Rechtschreibfehler <strong>an</strong><strong>zu</strong>streichen<br />
und die Klausur<br />
schlechter <strong>zu</strong> zensieren.<br />
Sexualisierte Gewalt<br />
Schulen sind kein Raum, der<br />
frei von Sexismus ist. Fast jede<br />
Schülerin macht im L<strong>auf</strong>e ihrer<br />
Schull<strong>auf</strong>bahn Erfahrungen<br />
mit sexueller Gewalt in Schule<br />
- sei es durch Sprüche und Anmache<br />
oder gar durch Übergriffe. Oftmals<br />
werden Schülerinnen wegen ihres Körpers<br />
<strong>an</strong>gemacht und in einigen Fällen<br />
sogar belästigt. Durch die Macht des<br />
Lehrers bei der Notenvergabe trauen<br />
sich viele Schülerinnen nicht, etwas <strong>zu</strong><br />
unternehmen. Selbst wenn eine<br />
Dienst<strong>auf</strong>sichtsbeschwerde (bei dem<br />
Schulamt) oder gar ein Straf<strong>an</strong>trag<br />
(vor Gericht) gestellt wurde, haben sie
24 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
kein Recht dar<strong>auf</strong>, für die Dauer des Verfahrens<br />
<strong>an</strong> einem <strong>an</strong>deren Kurs teil<strong>zu</strong>nehmen.<br />
Aber auch Mitschüler sind nicht immer nett<br />
und lassen ekelhafte Sprüche ab. Auch wenn<br />
Schüler keine Noten geben, ist es nicht immer<br />
leicht, sich <strong>zu</strong> beschweren, da mensch<br />
ab d<strong>an</strong>n von den <strong>Junge</strong>n der Klasse gehasst<br />
wird und es sich - <strong>zu</strong>mindest mit dem männlichen<br />
Teil der Klasse - <strong>auf</strong> Dauer verscherzt<br />
hat. Dennoch ist es hier einfacher, etwas <strong>zu</strong><br />
unternehmen: Klassenkonferenzen können<br />
m<strong>an</strong>chmal helfen.<br />
Situation von Lehrerinnen<br />
Nicht nur Schülerinnen, auch Lehrerinnen<br />
sind in Schule strukturell benachteiligt. So<br />
sind meist Frauen Angestellte (d.h. nicht<br />
verbeamtet) und haben deswegen ein geringeres<br />
Einkommen und keinen Kündigungsschutz<br />
- obwohl sie dieselbe Stundenzahl<br />
arbeiten. Nur 14% der Lehrerinnen <strong>an</strong><br />
Gymnasien sind mit Schulleitungsfunktionen<br />
be<strong>auf</strong>tragt; selbst <strong>an</strong> Grundschulen, wo fast<br />
ausschließlich Frauen arbeiten, sind <strong>an</strong> 50%<br />
der Schulen die Lehrer auch die Schulleiter.<br />
Forderungen:<br />
Um die Situation von Frauen in Schule <strong>zu</strong><br />
verbessern, gibt es mehrere Ansätze. Obwohl<br />
Mädchen und Frauen in Schule benachteiligt<br />
werden, soll <strong>an</strong> dem Grundprinzip der<br />
Koedukation festgehalten werden. Nicht desto<br />
trotz fordern wir die teilweise Aufhebung<br />
der Koedukation in einigen Fächern (Sportunterricht,<br />
sol<strong>an</strong>ge er noch nicht g<strong>an</strong>z abgeschafft<br />
ist) für bestimmte Klassen. Einige<br />
Schulen haben auch Mathe- und Physik-Kurse<br />
getrennt. Dies k<strong>an</strong>n <strong>zu</strong>m einen da<strong>zu</strong> führen,<br />
dass Mädchen die Ch<strong>an</strong>ce bekommen,<br />
ohne Kommentare der Mitschüler à la „das<br />
ist nichts für Mädchen“ sich den Stoff <strong>an</strong><strong>zu</strong>eignen,<br />
<strong>zu</strong>m <strong>an</strong>deren aber auch da<strong>zu</strong>, dass<br />
über die „Mädchen-Kurse“ abwertend gelästert<br />
wird oder aber Lehrer, die meinen, dass<br />
Physik und Mathe nichts für Mädchen seien,<br />
Mädchen-Kurse <strong>auf</strong> einem niedrigeren Niveau<br />
unterrichten. Eine Gesamtschule in<br />
Bergisch-Gladbach hat sehr gute Erfahrungen<br />
mit „Binnen-Trennung“ gemacht: In<br />
Chemie saßen Schülerinnen und Schüler<br />
zwar im selben Raum, aber <strong>an</strong> jeweils Jun-<br />
gen- bzw. Mädchentischen. So<br />
wird verhindert, dass nur die <strong>Junge</strong>n<br />
die Experimente durchführen,<br />
während die Mädchen ständig<br />
Protokolle schreiben und<br />
Experimentiergeräte spülen. Dabei<br />
nehmen Schülerinnen und<br />
Schüler gar<strong>an</strong>tiert den selben<br />
Stoff durch.<br />
Des weiteren fordern wir verpflichtende<br />
Fortbildungen für alle<br />
LehrerInnen <strong>zu</strong>m Thema<br />
Geschlechterverhältnis und Koedukation<br />
sowie die verbindliche<br />
Ver<strong>an</strong>kerung dieser Themen in<br />
die Ausbildung der<br />
ReferendarInnen. Dem Thema<br />
Geschlechterverhältnis soll ein<br />
größeres Gewicht im Lehrpl<strong>an</strong><br />
eingeräumt werden.<br />
Sarah Dellm<strong>an</strong>n
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 25<br />
Sport ist<br />
böse<br />
-aber warum bloß<br />
Eine Szene aus einer x-beliebigen<br />
Turnhalle irgendwo<br />
in der BRD:<br />
Die meisten SchülerInnen<br />
freuen sich: heute keine<br />
Leichtathletik, wo Zeit- und<br />
Längenmessungen scheinbar objektiv die<br />
eigene Unfähigkeit beweisen. Heute auch<br />
kein Zw<strong>an</strong>g, die Angst davor unterdrükken<br />
<strong>zu</strong> müssen, in komischen Stellungen<br />
über Kästen <strong>zu</strong> hüpfen. Der Sportlehrer<br />
läßt spielen, und da besteht auch keine<br />
Gefahr, wegen Schlappheit körperlich gezüchtigt<br />
<strong>zu</strong> werden - durch Strafübungen.<br />
Gespielt wird "Völkerball". Ein "Volk" versucht<br />
das <strong>an</strong>dere durch Abschießen <strong>zu</strong><br />
besiegen bzw. aus<strong>zu</strong>rotten. Doch mit der<br />
Pausenklingel endet für viele noch nicht<br />
die Sportstunde, z.B. für die Schülerinnen,<br />
die befürchten müssen, daß ihr<br />
Sportlehrer mal wieder in die Mädchenduschen<br />
reinkommt, natürlich nur, um die<br />
vergessene Uhr ab<strong>zu</strong>geben.<br />
Sportunterricht - l<strong>an</strong>ge nicht so harmlos,<br />
wie viele <strong>denken</strong>. Wir wollen sowohl<br />
geschichtliche Hintergründe als auch gesellschaftliche<br />
Bedeutungen von Sport<br />
und Sport in der Schule näher beleuchten.<br />
Sport ist Krieg und Krieg ist Fortset<strong>zu</strong>ng<br />
des Sports mit <strong>an</strong>deren Mitteln?!<br />
Krieg k<strong>an</strong>n, wenn wir einen Blick in die<br />
Geschichte werfen, in vielen Fällen als<br />
Fortset<strong>zu</strong>ng des Sports mit <strong>an</strong>deren Mitteln<br />
beschrieben werden. "Es gibt schon<br />
genug reale Ursachen für Ärger, wir brauchen<br />
nicht noch mehr davon, indem wir<br />
junge Männer ermutigen, sich unter dem<br />
Gebrüll des rasenden Publikums gegenseitig<br />
vors Schienenbein <strong>zu</strong> treten." meinte<br />
George Orwell <strong>zu</strong>m Thema. In einigen<br />
Sportarten, darunter Fußball, Rugby,<br />
Hockey und Boxen, wird die<br />
Gewalt <strong>zu</strong>m zentralen und legitimen<br />
Best<strong>an</strong>dteil in Form einer<br />
spielerischen Schlacht oder<br />
eines Scheingefechts zwischen<br />
zwei Spielern oder Gruppen.<br />
Physische Gewalt ist hier sozial<br />
akzeptiert, ritualisiert und<br />
kommt mehr oder weniger<br />
kontrolliert <strong>zu</strong>m Ausdruck.<br />
Generell gibt es <strong>zu</strong> <strong>denken</strong>,<br />
dass die Sportsprache durchsetzt ist<br />
von Militarismen wie "Angriff" und<br />
"Verteidigung", "Schuß" oder wenn<br />
JournalistInnen von "Schlachtfeld",<br />
"Kampfgetümmel", "Trommelfeuer",<br />
von einer "Bombench<strong>an</strong>ce" oder gar<br />
vom "Bomber der Nation" reden<br />
oder schreiben.<br />
Gerade Wettkampfsport und Krieg<br />
weisen einige grundsätzliche Parallelen<br />
und teilweise sogar gemeinsamen<br />
Ursprung <strong>auf</strong>. Sie besitzen<br />
größtenteils dieselben Codes, kennen<br />
nur Sieg oder Niederlage, lehren<br />
Führen und Gehorchen, diszipliniertes<br />
Erfüllen taktischer Aufgaben<br />
und weisen jedem (jeder?) seinen<br />
natürlichen Platz <strong>zu</strong>. Sport ist weit<br />
mehr als körperliche<br />
Wehrertüchtigung (so<br />
sah der Olympia-Erfinder<br />
Coubertin in der<br />
Einführung des Sportunterrichts<br />
in Engl<strong>an</strong>d<br />
1840 den Grund für<br />
militärischen und<br />
kolonialistischen Erfolg),<br />
entsprechendes<br />
Denken und Taktiken<br />
werden verbreitet.<br />
Auch der allbek<strong>an</strong>nte<br />
"Turnvater Jahn"<br />
meinte 1816 beispielsweise<br />
"Jeder<br />
Turner soll <strong>zu</strong>m Wehrm<strong>an</strong>n reifen...".<br />
Noch heute heißen (in nationalsozialistischer<br />
Tradition) Bezirke des<br />
Deutschen Turner Bundes "Gaue", es
26 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
gibt G<strong>auf</strong>achwarte, Gaumeisterschaften<br />
etc., <strong>zu</strong>dem wird sich<br />
noch positiv <strong>auf</strong> Jahn bezogen.<br />
Sport und Demokratie - und gar noch<br />
radikale Vorstellungen von Demokratie<br />
- passen einfach nicht <strong>zu</strong>sammen:<br />
Im Sport läßt sich nicht diskutieren<br />
oder Kompromisse aush<strong>an</strong>deln, sondern<br />
er kennt nur Unterwerfung, willkürlich<br />
gesetzte Regeln sind<br />
unhinterfragbar.<br />
Sport und Nationalsozialismus<br />
Besonders deutlich wurde der Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
von Sport und Militarismus/<br />
Nationalismus während der NS-Zeit.<br />
Da<strong>zu</strong> ein Zitat aus "Deutsche<br />
Turnzeitung 1933, Nr. 23, S. 429f:<br />
"Hochverehrter Herr Reichsk<strong>an</strong>zler!<br />
Mein Führer! [...] Mit ungeheuerem<br />
Jubel ist von der<br />
gesamten DeutschenTurnerschaft<br />
der Sieg<br />
der deutschen<br />
Freiheitsbewegung<br />
und<br />
die Ergreifung<br />
durch Sie, mein<br />
Führer, begrüßt<br />
worden. Die<br />
Deutsche Turnerschaft<br />
hat<br />
sich sofort der<br />
nationalen Regierung<br />
<strong>zu</strong>r Verfügung<br />
gestellt.<br />
[...] Alle jungen<br />
Turner sollen sich zwischen dem 18.<br />
und 21. Lebensjahr einem<br />
Pflichtturnjahr unterziehen und werden<br />
als Turnerwehr <strong>zu</strong>sammengefaßt. Die<br />
Deutsche Turnerschaft hat ihr g<strong>an</strong>zes<br />
Turnen heute unter das Ziel der Wehrhaftigkeit<br />
gestellt. [...] Das alles, hoch<strong>zu</strong>verehrender<br />
Herr Reichsk<strong>an</strong>zler,<br />
mein Führer, gibt mir den Mut, Ihnen<br />
<strong>an</strong><strong>zu</strong>bieten, daß die Deutsche Turnerschaft<br />
sich unter Ihrer Führung Seite<br />
<strong>an</strong> Seite neben SA und Stahlhelm stellt,<br />
und daß sie unter Ihrer Führung Schul-<br />
ter <strong>an</strong> Schulter mit SA und Stahlhelm<br />
den Vormarsch ins Dritte Reich <strong>an</strong>tritt..."<br />
In "Mein Kampf" stellt Adolf Hitler den<br />
Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen Sport und<br />
Nation wie folgt her: "M<strong>an</strong> gebe der<br />
deutschen Nation 6 Millionen sportlich<br />
tadellos trainierte Körper, alle von f<strong>an</strong>atischer<br />
Vaterl<strong>an</strong>dsliebe durchglüht<br />
und <strong>zu</strong> höchstem Angriffsgeist erzogen,<br />
und ein nationaler Staat wird aus<br />
ihnen, wenn notwendig, in nicht einmal<br />
2 Jahren eine Armee geschaffen<br />
haben."<br />
Kein Wunder, daß nach der Kapitulation<br />
in der "Direktive Nr. 23" der Alliierte<br />
Kontrollrat die folgende Verfügung<br />
<strong>zu</strong>r Beschränkung und Entmilitarisierung<br />
des deutschen Sportwesens er-<br />
ließ: "Der Kontrollrat verfügt wie folgt:<br />
1. Allen vor der Kapitulation in<br />
Deutschl<strong>an</strong>d bestehenden sportlichen,<br />
militärischen oder paramilitärischen<br />
athletischen Org<strong>an</strong>isationen (Klubs,<br />
Vereinen, Anstalten und <strong>an</strong>deren Org<strong>an</strong>isationen)<br />
wird jede Betätigung<br />
untersagt, und sie sind bis <strong>zu</strong>m<br />
1.1.1946 spätestens <strong>auf</strong><strong>zu</strong>lösen. [...]<br />
Ausgefertigt in Berlin, den 17. Dezember<br />
1945" (Rösch: Politik und Sport in<br />
Geschichte und Gegenwart, S. 124)
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 27<br />
Wenn selbst "Linke" den deutschen<br />
Fußball-Sieg feiern - oder<br />
warum Sport und Nationalismus<br />
so eng <strong>zu</strong>sammenhängen<br />
Selbst unter Linken ist es nicht rufschädigend,<br />
bei der WM selbstverständlich<br />
"für Deutschl<strong>an</strong>d" <strong>zu</strong> sein und<br />
nach einem Sieg mit "Gleichgesinnten"<br />
gröhlend durch die Stadt <strong>zu</strong> ziehen.<br />
Einige, die d<strong>an</strong>n aus Prinzip nicht "für<br />
Deutschl<strong>an</strong>d" sind, feiern d<strong>an</strong>n lieber<br />
g<strong>an</strong>z "internationalistisch" die olympischen<br />
Erfolge Kameruns. Aber wo ist<br />
da der Unterschied (abgesehen natürlich<br />
von Deutschl<strong>an</strong>ds besonderer Geschichte)?<br />
Haben rechte Fußballf<strong>an</strong>s<br />
den Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen solchen<br />
Kriegsersatzh<strong>an</strong>dlungen und Nationalismus<br />
da nicht schon besser verst<strong>an</strong>den?<br />
Mit der ideologischen Funktion von<br />
Sport für Kriegführen hängt auch die<br />
Bedeutung für die Nation <strong>zu</strong>sammen:<br />
Beim Sport wird gelernt, sich bedingungslos<br />
mit abstrakten Konstrukten<br />
<strong>zu</strong> identifizieren (etwa mit Vereinen),<br />
die Nation wird erst im Sport "real"<br />
und dient dem dahinterstehenden<br />
Staat der nationalen Repräsentation.<br />
Im täglichen Medaillenspiegel etwa<br />
scheint die Überlegenheit bestimmter<br />
Nationen und "Völker" sichtbar <strong>zu</strong><br />
werden. Gerade "junge Staaten" bedienen<br />
sich der Nationalm<strong>an</strong>nschaften,<br />
um durch dieses Symbol die nationale<br />
Einheit vor<strong>zu</strong>stellen und mit Fahnen<br />
und Hymnen dafür <strong>zu</strong> werben. Auch<br />
in Krisenzeiten können sportliche Erfolge<br />
stiftend für die nationale Einheit<br />
sein. Bis 1964 gab es etwa eine gesamtdeutsche<br />
Olympiam<strong>an</strong>nschaft.<br />
Nicht umsonst wurde der Verb<strong>an</strong>dssport<br />
vom Kaiserreich über die Weimarer<br />
Republik und das Dritte Reich<br />
bis in unsere Zeit aus dem jeweiligen<br />
Innenministerium gefördert. (Arnd<br />
Krüger: Sport und Gesellschaft, S.<br />
30ff.)<br />
Eine kleinere Einheit als die Nation,<br />
aber für viele F<strong>an</strong>s nicht unbedeutender<br />
("ich bin Schalker") ist der Verein.<br />
Da wird mit Symbolen (Fahne, Hymne,<br />
Schlachtrufe, Schals, Socken,...)<br />
für ein <strong>an</strong> sich absurdes Konstrukt geworben<br />
und so bildet sich ein Kollektiv.<br />
Und auch "Linke" sind da keine Ausnahme:<br />
die fettige Bratwurst, die<br />
schlechten Anfeuerungsrufe und das<br />
stupide Rahmenprogramm werden<br />
nicht nur hingenommen, sondern <strong>zu</strong>m<br />
Kult erklärt. Lokalpatriotismus, Härteideal,<br />
Männerbündelei und<br />
Expertentum werden zelebriert.<br />
Sport<br />
und RassismusIdentitätenbildung<br />
erfolgt im<br />
Sport wie<br />
<strong>an</strong>derswo<br />
ü b e r<br />
Ausgren<strong>zu</strong>ng.AlltäglicherRassismus<br />
wird<br />
eingeübt.<br />
Biologist-ische Menschenbilder erhalten<br />
im Sport scheinbare Bestätigung:<br />
"Gute Gene" seien zentral, "Schwarze<br />
können schneller<br />
rennen". Im Sport werden Idealkörper<br />
präsentiert, <strong>an</strong>dere Körper werden als<br />
kr<strong>an</strong>khafte Abweichung von der so<br />
konstruierten Normalität <strong>auf</strong>gefaßt und<br />
z.T. sogar ausgeschlossen. Es entstehen<br />
"Behinderte". Der Wert der Menschen<br />
im Sport wird d<strong>an</strong>ach bemessen,<br />
wieviel Leistung sie bringen können,<br />
wer nach engen Kriterien wenig<br />
leistet, ist (fast) nichts wert. Daß der<br />
Körper als Kapital wie eine Maschine<br />
gepflegt wird ist d<strong>an</strong>n auch selbstverständlich.<br />
... und Kapitalismus<br />
"Vom Tellerwäscher <strong>zu</strong>m Millionär", ein<br />
Traum, der wichtige Legitimationsgrundlage<br />
des Kapitalismus ist, wird<br />
wenigstens im Sport m<strong>an</strong>chmal wahr.
28 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Entsprechende Geschichten, die im<br />
Leistungssport immer seltener werden,<br />
werden massiv <strong>auf</strong>gebauscht. Eine so<br />
nicht existierende soziale Durchlässigkeit<br />
der Gesellschaft wird vorgetäuscht.<br />
"Leistung lohnt sich" und "wer<br />
tüchtig ist, hat Erfolg" wird im Sport<br />
immerwährend inszeniert. "Survival of<br />
the fittest", das Überleben des Tüchtigsten<br />
wird präsentiert, Sport fördert<br />
sozialdarwinistische Gesellschaftskonzepte.<br />
Dass die <strong>an</strong>geblich Schwächeren,<br />
wie im Kapitalismus, untergehen<br />
oder krass weniger vom Kuchen<br />
abkriegen, erscheint im Sport sinnvoll.<br />
Sport macht Hoffnung <strong>auf</strong> ein besseres<br />
Leben, da <strong>an</strong>dere Fortschrittsutopien<br />
als gescheitert gelten. Sport<br />
räumt <strong>auf</strong> mit der Zukunfts<strong>an</strong>gst vor<br />
Ökokatastrophe und sozialem Niederg<strong>an</strong>g,<br />
das "höher, schneller, weiter"<br />
scheint unendlich fortsetzbar. Sport<br />
verleitet <strong>zu</strong>r Flucht aus der sozialen<br />
Wirklichkeit und <strong>an</strong>dere Probleme (gewinnt<br />
Schalke?) treten in den Vordergrund.<br />
Im Sport gibt's nur Männer oder<br />
Frauen<br />
Frauenturnen<br />
wurde Ende des<br />
19. Jahrhunderts<br />
gefördert und in<br />
den "Töchterschulen"eingeführt,<br />
weil es förderlich<br />
für die<br />
weibliche Erwerbstätigkeit<br />
war, die bürgerliche Frauenbewegung<br />
forderte jedoch schon l<strong>an</strong>ge<br />
sportliche Betätigung für Frauen mit<br />
dem Hinweis <strong>auf</strong> die physische Vernachlässigung<br />
des weiblichen Geschlechts.<br />
Dabei k<strong>an</strong>n frau auch heute<br />
diskutieren, ob Frauen-Catchen <strong>zu</strong>r<br />
Gleichberechtigung beiträgt oder eh<br />
völliger Blödsinn ist.<br />
Interesse erweckt Sport auch heute<br />
noch vornehmlich bei Männern, deren<br />
dominierendes Gesprächsthema er<br />
häufig ist. Auswirkungen hat das auch<br />
<strong>auf</strong> das Leben von Frauen, denn Männer<br />
belassen es leider nicht beim reinen<br />
Interesse am Sport. Welche Frau<br />
hält sich Samstag nachmittag schon<br />
gerne in Stadionnähe oder im<br />
Stadtexpress zwischen Dortmund und<br />
Köln <strong>auf</strong>?<br />
Darüber hinaus exerziert Sport die perfekte<br />
Geschlechtertrennung. Menschen<br />
müssen sich eindeutig in Männer und<br />
Frauen einteilen lassen, <strong>an</strong>sonsten<br />
wird's schwierig mit dem Wettkampfsport.<br />
Bei "außergewöhnlich kräftigen"<br />
Frauen werden Geschlechtstests<br />
durchgeführt. Erst reichte die Begutachtung<br />
der sekundären Geschlechtsmerkmale<br />
aus. Zu Zeiten von DDR und<br />
UdSSR, als es hieß, Männer würden<br />
einfach als Frauen starten, wurde d<strong>an</strong>n<br />
der Bahrkörperchen-Test eingeführt<br />
(Bluttest). Da konnte es schon mal<br />
passieren, daß eine Frau plötzlich mit<br />
der Tatsache konfrontiert wurde, dieses<br />
genetische Merkmal nicht <strong>zu</strong> besitzen<br />
und <strong>auf</strong> einmal keine Frau mehr<br />
sein <strong>zu</strong> dürfen.<br />
"Fit for Fun"<br />
In der Gesellschaft<br />
werden<br />
Frauen immer<br />
noch häufig <strong>auf</strong><br />
ihren Körper reduziert<br />
(z.B. sexistische<br />
Werbung).<br />
Frauen - und in<br />
<strong>zu</strong>nehmendem<br />
Maße auch Männer<br />
- haben sich<br />
b e -<br />
stimmtenKörpernormen<br />
<strong>zu</strong> unterwerfen. Für Mädchen und<br />
Frauen gelten immer noch Rollenstereotype<br />
(Anmut, Zartheit, Schönheit),<br />
sowohl für ihr Äußeres als auch<br />
für Bewegungsabläufe im Sport, wo<br />
ihre Tätigkeitsbereiche immer noch<br />
recht eng umsteckt sind.<br />
Männer wie Frauen versuchen, sich in
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 29<br />
einer bestimmten Weise schön, gesund<br />
und leistungsfähig <strong>zu</strong> erhalten. Sie<br />
gehen ins Fitnesscenter um die Ecke,<br />
essen rechtsdrehenden Joghurt und<br />
pflegen sich in einer bestimmten Art<br />
und Weise. Der Einfluß gesellschaftlicher<br />
Institutionen wird deutlich durch<br />
die Forderung, die Gesundheit nicht <strong>zu</strong><br />
gefährden (bzw. die Kr<strong>an</strong>kenkassen in<br />
Anspruch <strong>zu</strong> nehmen), "jedoch nicht<br />
mehr in Form repressiver Kontrolle,<br />
sondern als stimulierende Kontrolle<br />
[...]: Entkleide Dich...aber sei schl<strong>an</strong>k,<br />
schön, gebräunt!" (Michel Foucault, in:<br />
Mikrophysik der Macht, Berlin 1976, S.<br />
107.). Dementsprechend wird bezogen<br />
<strong>auf</strong> das Schönheitsideal von Frauen<br />
nach der rundlichen, üppigen Frau in<br />
der Nachkriegszeit sowie dem schmalen<br />
"Twiggy-Typ" heute der "sportliche<br />
Typ" bevor<strong>zu</strong>gt. Vom weiblichen Körper<br />
wird verl<strong>an</strong>gt, "daß er Fleisch sei,<br />
jedoch mit Maß; er soll schl<strong>an</strong>k sein,<br />
nicht von Fett beschwert; muskulös,<br />
geschmeidig, kräftig, [...] m<strong>an</strong> möchte<br />
ihn nicht bleich wie eine Treibhauspfl<strong>an</strong>ze,<br />
sondern von der Sonne berührt<br />
[...) (Simone de Beauvoir: Das<br />
<strong>an</strong>dere Geschlecht).<br />
Blättert<br />
mensch in Kontakt<strong>an</strong>zeigen,<br />
so<br />
sind alle "sportlich"<br />
und suchen<br />
e i n e N<br />
"schl<strong>an</strong>keN"<br />
PartnerIn, kulturelle<br />
oder politische<br />
Interessen<br />
r<strong>an</strong>gieren nur<br />
g<strong>an</strong>z hinten. Der Begriff der Sportlichkeit<br />
hat sich gew<strong>an</strong>delt: er bedeutet<br />
nicht mehr Verbissenheit oder Askese,<br />
sondern "attraktiv", "lässig" und<br />
"unkompliziert". Eben: "Fit for Fun".<br />
Ähnlich verhält es sich mit neuen<br />
Modesportarten (dabei sind wir uns<br />
nicht g<strong>an</strong>z sicher, ob <strong>zu</strong>r-U-Bahn-Rennen<br />
oder Inline-Skaten schon Sport ist,<br />
aber Freeclimbing und Snowboarden<br />
schon), die in erster Linie der Freizeit-<br />
betätigung dienen. Klar ist, dass die<br />
kriegerischen Elemente hier wegfallen,<br />
dafür aber im spätkapitalistischen<br />
(wahlweise postmodernen) Sport nicht<br />
die kollektive, sondern die individuelle<br />
Identitätsbildung zählt, d.h. ein schöner<br />
Körper wichtiger ist als das<br />
"M<strong>an</strong>nschaftsgefühl".<br />
Leibesübungen, Körperertüchtigung,<br />
Leibeserziehung<br />
Grundlegend für eine Kritik am Sportunterricht<br />
ist selbstverständlich die<br />
allgemeine Sportkritik, die wir oben<br />
skizziert haben. Zwei Ziele dominierten<br />
die Geschichte des Schulsports:<br />
<strong>zu</strong>m einen die Vermittlung von Basisqualifikationen<br />
für den Arbeitsprozeß<br />
und <strong>zu</strong>m <strong>an</strong>deren die Bedeutung für<br />
das Militär. Leibesübungen bzw. Gymnastik<br />
gibt es seit 1806 offiziell <strong>an</strong><br />
Schulen, "als Erziehungsmittel". Während<br />
der preußischen Turnsperre<br />
(1820-42, Turnen galt für die Monarchien<br />
als staatsgefährdend und wurde<br />
unter Strafe gestellt, wegen seiner nationalen<br />
"bürgerlichen" Ausrichtung)<br />
war Schulsport verboten. Wiedereingeführt<br />
wurde<br />
der Schulsport<br />
1842 von König<br />
Friedrich Wilhelm<br />
IV., nachdem in<br />
einem Gutachten<br />
<strong>auf</strong>grund der<br />
schlechten<br />
Musterungsergebnisse<br />
für<br />
das preußische<br />
Heer und besonders<br />
für die Jugend in den Schulen das<br />
Turnen eindringlich empfohlen wurde<br />
(Rösch, S. 26). Selbst Karl Marx forderte<br />
eine "allseitige Erziehung", in der<br />
Leibesübungen <strong>an</strong> zweiter Stelle st<strong>an</strong>den<br />
(Wildt, S. 63). Die Schullehrpläne<br />
vor dem 1. Weltkrieg weisen vermehrt<br />
"Ordnungsübungen (militärische Formen)"<br />
<strong>auf</strong>, ebenso die Lehrpläne in der<br />
nationalsozialistischen Ära (Sportunterricht<br />
wurde <strong>zu</strong>m Hauptfach) und
30 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
in m<strong>an</strong>chen Staaten sind auch heute<br />
noch paramilitärische Übungen <strong>an</strong> der<br />
Tagesordnung. Aber auch heute ist der<br />
Sportunterricht nicht g<strong>an</strong>z "ohne".<br />
Schulsport heute<br />
Die einen lieben ihn, da sie sich endlich<br />
austoben dürfen, für <strong>an</strong>dere ist<br />
"Sport" ein Fach wie jedes <strong>an</strong>dere<br />
(schließlich gibt's Noten), wiederum<br />
<strong>an</strong>dere versuchen sich sooft es geht<br />
"<strong>zu</strong> drücken" und empfinden den<br />
Sportunterricht als die reinste Schik<strong>an</strong>e.<br />
Wie die historischen Wurzeln von<br />
(Schul-)Sport zeigen, ist dieser stark<br />
ideologisch <strong>auf</strong>geladen.<br />
Wir sehen den Schulsport als ein besonders<br />
krasses Beispiel für Bewertung<br />
und Vermessung in der Schule, es zählt<br />
die körperliche Funktionsfähigkeit, bezogen<br />
<strong>auf</strong> Normkörper. Und dafür gibt<br />
es d<strong>an</strong>n Noten, Leistungs- und<br />
Konkurrenz<strong>denken</strong> werden hier in<br />
Reinform eingeübt. Einen direkten Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
zwischen Schulsport und<br />
Leistungssport stellt der Bundeswettbewerb<br />
"Jugend trainiert für Olympia"<br />
dar. Eingeführt wurde er 1969 von<br />
'Stern'-Redakteur Henri N<strong>an</strong>nen, quasi<br />
als Antwort <strong>auf</strong> das "Medaillendesaster"<br />
der deutschen<br />
OlympiateilnehmerInnen 1968 in Mexiko.<br />
Talentsichtung und Olympiavorbereitung<br />
waren die erklärten Ziele.<br />
Während "Jugend trainiert für Olympia"<br />
nur einige SchülerInnen betrifft,<br />
müssen <strong>zu</strong> den "Bundesjungendspielen"<br />
alle <strong>an</strong>treten und um Sekunden,<br />
Meter und Zentimeter kämpfen.<br />
Zudem gibt es eine bundeseinheitliche<br />
Bewertung (x Sekunden ist eine vier<br />
minus) von z.B. Leichtathletik im Unterricht,<br />
wo <strong>an</strong>sonsten Bildung<br />
L<strong>an</strong>dessache ist.<br />
Auch treten geschlechtsspezifische<br />
Rollenklischees verstärkt<br />
hervor: Für <strong>Junge</strong>n ist<br />
Erfolg im Sportunterricht für<br />
ihren sozialen R<strong>an</strong>g und soziales<br />
Prestige in der Clique<br />
und Gesellschaft besonders<br />
wichtig. Es gilt die körperliche<br />
Überlegenheit des eigenen<br />
Geschlechts immer wieder<br />
<strong>zu</strong> beweisen. Welcher<br />
<strong>Junge</strong> k<strong>an</strong>n sich dem sozialen<br />
Zw<strong>an</strong>g <strong>zu</strong>r Teilnahme am<br />
Pausenfußball etc. entziehen?<br />
Die Mädchen stehen d<strong>an</strong>n am<br />
R<strong>an</strong>d und feuern die <strong>Junge</strong>n<br />
<strong>an</strong> oder spielen F<strong>an</strong>gen. Für<br />
Mädchen gilt im Sportunterricht:<br />
sie müssen nicht hervorstechen,<br />
»sind halt schwächer«, und<br />
werden von vornherein <strong>an</strong>ders bewertet.<br />
Doch Mädchen haben im Rahmen<br />
des Sportunterrichts noch g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>dere<br />
Probleme: Es gibt kaum eine Schule,<br />
<strong>an</strong> der nicht der ein oder <strong>an</strong>dere<br />
Sportlehrer in die Mädchenkabinen<br />
geht, <strong>auf</strong>dringliche Hilfestellungen<br />
macht, direkt sexistische Bemerkungen<br />
von sich gibt, Mädchen und junge<br />
Frauen <strong>an</strong>starrt. Auch von Seiten der<br />
Mitschüler müssen sich Mädchen und<br />
junge Frauen im Sportunterricht oft<br />
<strong>an</strong>starren lassen oder werden durch<br />
sexistische Bemerkungen verunsichert.<br />
Nicht <strong>zu</strong> unterschätzen (sowohl bei<br />
Mädchen als auch bei <strong>Junge</strong>n) ist der<br />
Körperkult, der betrieben wird. Dicke
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 31<br />
haben's schwer <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt <strong>zu</strong><br />
werden und werden oft <strong>zu</strong>m<br />
Gespött der g<strong>an</strong>zen Klasse. Und<br />
wenn m<strong>an</strong>n nicht die nötigen<br />
Muskeln hat und die Mädchen<br />
nicht die neuesten Leggins tragen,<br />
haben sie auch verloren.<br />
Außerdem ist der Sportunterricht<br />
wohl das einzige<br />
Fach, in dem körperliche Züchtigung<br />
alltäglich ist, zwar gibt's<br />
keine Stockschläge, doch Strafen<br />
des Lehrkörpers à la "wenn<br />
Ihr jetzt nicht ruhig seid, l<strong>auf</strong>t<br />
Ihr 10 Runden" kennt wohl<br />
jedeR <strong>zu</strong> genüge.<br />
Sportkritik und<br />
Schulsportkritik - ein Arbeitspapier<br />
der Bochumer JD/JL<br />
im Dezember 1996<br />
Mögliche Forderungen:<br />
Die Probleme, die wir hier <strong>an</strong>gerissen<br />
haben können die paar untenstehenden<br />
Forderungen keinesfalls lösen,<br />
dennoch könnten sie g<strong>an</strong>z sinnvoll<br />
sein.<br />
* Abschaffung des Sportunterrichts<br />
* allermindestens keine<br />
Notengebung im Sportunterricht<br />
* Freiwilligkeit und kritische<br />
Hinterfragung von Sport und Sportunterricht<br />
* Mädchengruppen (d.h. Aufhebung<br />
der Koedukation im Sportunterricht,<br />
die allerdings in den<br />
Lehrplänen extra erwünscht ist),<br />
<strong>zu</strong>mindest während der Pubertät<br />
* Angebot von Selbstverteidigungskursen<br />
für Mädchen und junge<br />
Frauen <strong>an</strong> den Schulen<br />
Zum Weiterlesen:<br />
Beiersdorfer, D. u.a.: Fußball und Rassismus. Göttingen 1993.<br />
Bernett, Hajo: Der Sport im Kreuzfeuer der Kritik. Kritische Texte aus<br />
100 Jahren deutscher Sportgeschichte.Schorndorf 1982.<br />
Krüger, Arnd: Sport und Gesellschaft. H<strong>an</strong>nover 1980.<br />
Pfister Gertrud: Geschlechtsspezifische Sozialisation und Koedukation im<br />
Sport. Berlin 1983.<br />
Rösch, Heinz-Egon: Politik und Sport in Geschichte und Gegenwart. Freiburg/Würzburg<br />
1980.<br />
Schulke, H<strong>an</strong>s-Jürgen: Kritische Stichwörter <strong>zu</strong>m<br />
Sport. München 1983.<br />
Tschap-Bock, Angelika:<br />
Frauensport und Gesellschaft.<br />
Ahrensburg bei<br />
Hamburg 1983.<br />
Wildt, Kl. C.: Daten <strong>zu</strong>r<br />
Sportgeschichte,<br />
Schorndorf 1972 (Zeittafeln<br />
<strong>zu</strong> Schulsport, B<strong>an</strong>d<br />
2).
32 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Ein Bericht, der die<br />
Schule verändert<br />
Die Schule verändern wird er mit Sicherheit,<br />
der Bericht "Zukunft der Bildung - Schule der<br />
Zukunft" der gleichnamigen Kommission. Dafür<br />
steht der Name des NRW-Ministerpräsidenten<br />
Joh<strong>an</strong>nes Rau und die Zusammenset<strong>zu</strong>ng<br />
der Kommission aus hochr<strong>an</strong>gigen Wirtschaftsleuten<br />
und renommierten WissenschaftlerInnen,<br />
aber auch schlicht die durch die St<strong>an</strong>dortdebatte<br />
bedingte Notwendigkeit von Veränderungen.<br />
Rau hatte die Kommission 1992 <strong>zu</strong>sammengerufen,<br />
weil er sich Sorgen um sein Schulsystem<br />
machte. "Mit Recht", sagt Ihr? - "Mit Recht",<br />
sagen einhellig auch Wissenschaft, Wirtschaft<br />
und sogar - mit taktisch kalkulierten Einschränkungen<br />
- alle großen Parteien! Ist das, was von<br />
den Deutschbänkern bis <strong>zu</strong> grünen Fundis alle<br />
so toll finden, wirklich für alle gut?<br />
Schule - seit Preußen nur halbherzig reformiert<br />
Das Schulsystem,<br />
wie es heute einE<br />
jedeR von uns kennt,<br />
hat seine Wurzeln im<br />
alten Preußen. Kinder<br />
- <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gs nur<br />
<strong>Junge</strong>n - wurden<br />
durch die allgemeine<br />
Schulpflicht vor <strong>zu</strong><br />
früher Verkrüppelung<br />
in den Bergwerken<br />
und <strong>an</strong>deren Betrieben<br />
bewahrt, <strong>an</strong><br />
paramilitärische Disziplin<br />
gewöhnt und<br />
erhielten nebenbei<br />
noch ein paar Kenntnisse<br />
und Fähigkeiten vermittelt, die für den<br />
sinnvollen Einsatz <strong>zu</strong>nächst im Militär, später<br />
auch in der Industrie, von Bedeutung waren.<br />
Die ersten Volksschulen erfüllten ihre Aufgabe<br />
recht gut: Heraus kamen - im "Idealfall" - gefügige,<br />
körperlich fitte Untert<strong>an</strong>en, durch elementare<br />
Bildung universell weiter verwendbar,<br />
wenig <strong>auf</strong>geklärt und ziemlich religiös, dadurch<br />
friedlich und bereit <strong>zu</strong> akzeptieren, was ihnen<br />
vorgesetzt wurde.<br />
Die Anforderungen <strong>an</strong><br />
SchulabgängerInnen änderten<br />
sich - trotz kurzfristig<br />
wechselnder Tendenzen - nur<br />
sehr l<strong>an</strong>gsam. Eine bürgerliche<br />
Revolution und ein Weltkrieg<br />
gingen verloren,<br />
Scheidem<strong>an</strong>n - immerhin Sozialdemokrat<br />
- rief die Weimarer<br />
Republik aus und mußte<br />
gleich wieder uneinsichtige<br />
KommunistInnen niederschießen<br />
lassen, Untert<strong>an</strong>engeist<br />
war also immer noch<br />
gefragt und wurde erfolgreich<br />
vermittelt. Ein paar<br />
SozialdemokratInnen zogen<br />
als Lehrpersonal in die Schulen<br />
ein, natürlich gab es ei-<br />
nen l<strong>an</strong>gsamen,<br />
kleinschrittigen W<strong>an</strong>del, aber<br />
große Veränderungen? - Keine.<br />
Die Nazis f<strong>an</strong>den daher auch<br />
ein Schulsystem vor, daß sich<br />
gut für ihre Zwecke nutzen<br />
ließ und das auch nach dem<br />
zweiten Weltkrieg bis in die<br />
sechziger Jahre kaum verän-
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 33<br />
dert wurde. Erst mit der kulturrevolutionären<br />
Bewegung der<br />
68erInnen wurden wieder verstärkt<br />
Neuerungen in die Schulen getragen.<br />
Diese Neuerungen best<strong>an</strong>den vor allem<br />
in einem zivileren Umg<strong>an</strong>gston<br />
(wobei zivil hier wirklich als "weniger<br />
militärisch" <strong>zu</strong><br />
verstehen ist),<br />
und der Umset<strong>zu</strong>ng<br />
einiger der<br />
elementarsten<br />
und l<strong>an</strong>ge gesichertenErkenntnisse<br />
der<br />
L e r n -<br />
psychologie.<br />
Auch wurde vor<br />
allem in den sozialdemokratisch<br />
regierten<br />
Bundesländern<br />
in Ansätzen damit<br />
begonnen,<br />
neben dem direktabfragbarenFaktenwissen<br />
("Was ist 2+3?"; "Wie wurde<br />
Ludwig der XIV. gen<strong>an</strong>nt?"; etc.) <strong>zu</strong><br />
vermitteln, wie m<strong>an</strong> sich Wissen <strong>an</strong>eignen<br />
k<strong>an</strong>n und wie m<strong>an</strong> sich einen<br />
Überblick über Sachverhalte verschafft.<br />
Trotzdem ist die Schule von<br />
heute in der Regel immer noch eine,<br />
in der die SchülerInnen in neun bis<br />
dreizehn (m<strong>an</strong>chmal auch mehr) Jahren<br />
vor allem vermittelt bekommen,<br />
einigermaßen regelmäßig und pünktlich<br />
<strong>zu</strong> erscheinen und ohne ernsthaft<br />
den Sinn <strong>zu</strong> hinterfragen das <strong>zu</strong> tun,<br />
was einE LehrerIn ihnen sagt. Irgendw<strong>an</strong>n<br />
steigen sie ins Berufsleben ein,<br />
erscheinen einigermaßen regelmäßig<br />
und pünktlich und tun ohne ernsthaft<br />
den Sinn <strong>zu</strong> hinterfragen das, was einE<br />
ChefIn ihnen sagt. Früher war das gut<br />
für die Firmen. Heute jedoch hat die<br />
moderne Arbeitspsychologie dieses<br />
Verhältnis, das ein gewisser Karl Marx<br />
vor eineinhalb Jahrhunderten als "entfremdete<br />
Arbeit" kritisierte, als Pro-<br />
blem erk<strong>an</strong>nt. Viel mehr Profit lasse<br />
sich erzielen, wenn der einzelne Mitarbeiter<br />
sich als wichtigen Teil des Betriebes<br />
fühle, die Bedeutung seiner<br />
Tätigkeit für den Produktionsabl<strong>auf</strong><br />
erkenne und sich innovativ und kritisch<br />
mit Verbesserungsmöglichkeiten des<br />
Produktionsabl<strong>auf</strong>es ausein<strong>an</strong>dersetze.<br />
Dieser Mitarbeiter arbeite nämlich<br />
motivierter und daher effektiver und<br />
helfe gleichzeitig auch noch, Einsparungsmöglichkeiten<br />
in der Produktion<br />
<strong>auf</strong><strong>zu</strong>decken, die die Ingenieurin im<br />
praxisfernen Pl<strong>an</strong>ungsbüro mitunter<br />
kaum finden könne.<br />
Die Wirtschaft will Schulreformen,<br />
die Linke dreißig Jahre gefordert<br />
haben. Wen wundert's?<br />
Auch einfache ArbeiterInnen und Angestellte<br />
müssen heute mit<strong>denken</strong>: Sie<br />
sollen die Produktivität durch "kritischen<br />
Dialog" verbessern helfen, im<br />
Team arbeiten, weil das effektiver ist,<br />
alle paar Jahre mit grundlegend neuen<br />
Technologien <strong>zu</strong>recht kommen, flexibel<br />
sein was Arbeitsort und -zeit <strong>an</strong>geht.<br />
Das aber lernten sie bisher kaum<br />
in der Schule. So wird verständlich,<br />
warum jetzt, fast dreißig Jahre nach<br />
den 68erInnen, plötzlich auch Hilmar<br />
Kopper von der Deutschen B<strong>an</strong>k AG,<br />
Professor Doktor Doktor Peter Meyer-<br />
Dohm von der "Volkswagenstiftung"<br />
und Gisa Schultze-Wolters für IBM<br />
Deutschl<strong>an</strong>d als Co-AutorInnen des<br />
Bildungskommissionsberichts Forderungen<br />
nach grundlegenden Reformen<br />
des schulischen Lernens unterstützen,<br />
hin <strong>zu</strong>r Vermittlung von Kritik- und<br />
Teamfähigkeit und Flexibilität. Mit Tränen<br />
der Rührung in den Augen gibt eine<br />
einst kämpferische Grüne Stadtverordnete<br />
<strong>zu</strong>: "Der Bildungskommissionsbericht<br />
sagt genau das, was wir immer<br />
schon wollten."<br />
Ein Umst<strong>an</strong>d kommt dem Kapitalistenpack<br />
mit seinen Forderungen besonders<br />
<strong>zu</strong>r Hilfe: Die Leere in den öffentlichen<br />
Kassen. Bei gewöhnlicher staatlicher<br />
Fin<strong>an</strong>zierung könnte sich aus den
34 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Ideen des Berichtes unter Umständen<br />
durchaus die eine oder <strong>an</strong>dere tatsächliche<br />
Verbesserung <strong>an</strong> den Schulen<br />
ergeben. Vielleicht (?) würden<br />
SchülerInnen sich von vornherein kritischer<br />
mit der Frage beschäftigen, was<br />
denn überhaupt von dem Wirtschaftssystem<br />
<strong>zu</strong> halten ist, in dem sie leben<br />
und für das sie arbeiten sollen. Da die<br />
Kassen aber leer sind, ziehen die Bänker<br />
und Bonzen noch einen Joker:<br />
"Sponsoring" heißt er eigentlich,<br />
schämt sich aber seines Namens und<br />
kommt deshalb unter vielen Pseudonymen<br />
daher. Orts<strong>an</strong>sässige oder auch<br />
überregionale Wirtschaftsunternehmen<br />
fördern die sächliche oder sogar<br />
personelle Ausstattung der Schulen.<br />
Dass das Politikbuch der Bertelsm<strong>an</strong>nstiftung<br />
natürlich beim Bertelsm<strong>an</strong>n-<br />
Verlag erscheint und dass es frei sein<br />
wird von ernsthafter Systemkritik,<br />
steht außer Frage. Wenn die Chemielehrerin<br />
ihr Gehalt am Ende des Monats<br />
gar <strong>zu</strong>r Hälfte von der Hüls AG<br />
überwiesen bekommt, läßt sich ihre<br />
Bereitschaft, die Verwendung von PVC<br />
<strong>zu</strong> kritisieren, selbst d<strong>an</strong>n noch <strong>an</strong> einer<br />
H<strong>an</strong>d ausrechnen, wenn diese <strong>auf</strong>grund<br />
chemiebedingter Mutationen<br />
nur noch dreieinhalb<br />
Finger hat.<br />
Es scheint, die Schule werde<br />
<strong>an</strong>genehmer.<br />
Die Schule nach den Vorstellungen<br />
der Bildungskommission<br />
wird trotzdem<br />
<strong>an</strong>genehmer. Dafür stehen<br />
nicht <strong>zu</strong>letzt Namen wie<br />
Klaus Hurrelm<strong>an</strong>n und Maria<br />
Wasna, niedlich sozialdemokratischeWissenschaftlerInnen,<br />
die einem naiven<br />
Spieltrieb folgend domestizierte<br />
Versionen ihrer Träume<br />
in den Bericht einbrachten.<br />
Von Einzelfällen abgesehen<br />
wohl kaum <strong>zu</strong>m Ärger<br />
der Wirtschaftsbosse. Für die<br />
InsassInnen der Schule der<br />
Zukunft soll ja möglichst viel<br />
nachvollzieh- und einsehbar<br />
sein. Zum Beispiel, wenn<br />
gesiebt wird: "Elitebildung<br />
muß ja sein", und wenn in<br />
der Gruppendiskussion die<br />
entscheidenden Noten oder<br />
Zug<strong>an</strong>gsberechtigung ausgeh<strong>an</strong>delt<br />
werden, d<strong>an</strong>n<br />
sieht das furchtbar selbstbestimmt<br />
aus, während in Wirklichkeit die Konkurrenz<br />
verschärft fortgesetzt wird.<br />
Der Schein trügt.<br />
Darin liegt ein Geheimnis moderner kapitalistischer<br />
Arbeitspsychologie: Zunächst<br />
sieht der Arbeitsprozeß selbstbestimmter,<br />
freiwilliger, einfach <strong>an</strong>genehmer<br />
aus. Bei genauem Hinsehen<br />
jedoch stellt sich d<strong>an</strong>n heraus, daß der<br />
alte Zw<strong>an</strong>g, z.B. Befehlen <strong>zu</strong> gehorchen<br />
oder pünktlich <strong>zu</strong> sein, neuen<br />
Zwängen gewichen ist: Die/der einzel-
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 35<br />
ne hat im Vergleich mit den <strong>an</strong>deren Mitgliedern<br />
der Gruppe ausreichend effektiv<br />
<strong>zu</strong> arbeiten und die Gruppe muss sich mit<br />
<strong>an</strong>deren Gruppen messen lassen. Wenn<br />
eine Arbeiterin kr<strong>an</strong>k ist, kommt der größte<br />
Druck nun unmittelbar von ihren<br />
KollegInnen, die fürchten müssen, das<br />
Gruppensoll <strong>zu</strong> verfehlen. Die so von<br />
Teamarbeit Beflügelten haben immerhin<br />
noch das Glück, überhaupt ausgebeutet<br />
<strong>zu</strong> werden. Den Arbeitslosen in der Bundesrepublik,<br />
in Europa aber vor allem in<br />
der sogen<strong>an</strong>nten dritten Welt geht es da<br />
noch wesentlich schlechter. Zumindest die<br />
bundesdeutschen <strong>zu</strong>künftigen Arbeitslosen<br />
müssen dar<strong>auf</strong> auch in der Schule vorbereitet<br />
werden. Durch diese neuen Dimensionen<br />
der Konkurrenz wird das Erl<strong>an</strong>gen<br />
eines solidarischen Wir-Gefühls<br />
der ArbeiterInnen natürlich noch schwieriger,<br />
als es ohnehin schon ist.<br />
Schule bereitet bestens <strong>auf</strong> die<br />
Gesellschaft vor - bald wieder!<br />
Die Untert<strong>an</strong>enschule der Verg<strong>an</strong>genheit<br />
bereitete <strong>auf</strong> das Leben als<br />
BefehlsempfängerIn vor. Sie erfüllte<br />
diese Aufgabe, aber die<br />
BefehlsempfängerInnen erwirtschaften<br />
hier<strong>zu</strong>l<strong>an</strong>de nicht mehr den<br />
größten Profit. Die selbständige<br />
Teamworkerin, die nachvollziehen<br />
will, warum ihr H<strong>an</strong>deln der Firma<br />
dient und die freudig mit ihrem<br />
Team konkurriert, die es erträgt,<br />
drei Monate arbeitslos <strong>zu</strong> sein und<br />
<strong>an</strong>schließend einen Job mit 40%<br />
weniger Lohn akzeptiert, ist die<br />
Mehrwertquelle der Zukunft. Wenn<br />
die Schule auch weiterhin der Wirtschaft<br />
dienen will, d<strong>an</strong>n ist eine<br />
Schulreform, wie sie die Denkschrift<br />
der Bildungskommission entwirft,<br />
dringend geboten.<br />
Uns SchülerInnen jedoch sollte klar<br />
sein, daß der Zweck der bevorstehenden<br />
Schulreform ein wirtschaftlicher<br />
ist, der uns insgesamt ein<br />
Stück weiter weg führt von einem<br />
<strong>zu</strong>gleich solidarischen und individualistischen<br />
Leben.<br />
Christoph Hassel
36 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Referat für die Ver<strong>an</strong>staltung „Schule herausgefordert<br />
durch die Gesellschaft von morgen“ der<br />
Ev<strong>an</strong>gelischen Akademie Mülheim <strong>an</strong> der Ruhr<br />
Die demokratischen Strukturen<br />
der Schule von heute - offen für<br />
die Gesellschaft von morgen ???<br />
Als ich den Titel las, unter welchem ich ein Referat<br />
<strong>auf</strong> dieser Ver<strong>an</strong>staltung halten soll, habe<br />
ich mich etwas gewundert, denn er klingt so, als<br />
wäre er von jem<strong>an</strong>dem erarbeitet worden, der/<br />
die die Strukturen der Schule von heute auch<br />
wirklich für demokratisch hält. Dies k<strong>an</strong>n ich allerdings<br />
nicht teilen. Denn nicht nur die wirklich<br />
demokratietechnischen Strukturen, grundsätzlich<br />
muss auch die Konzeption der Schule <strong>an</strong> sich, in<br />
Funktion und Gestaltung, als undemokratisch bezeichnet<br />
werden. Außerdem wirft das die Frage<br />
<strong>auf</strong>, wie die Gesellschaft von<br />
morgen überhaupt aussehen<br />
und ob sie demokratische Strukturen<br />
benötigen wird. Ich will jedoch<br />
bei der Schule bleiben.<br />
Die Schule k<strong>an</strong>n nie unabhängig<br />
von der sie umgebenden Gesellschaft<br />
gesehen werden. An<br />
sie werden gesellschaftliche und<br />
wirtschaftliche Ansprüche gestellt,<br />
die <strong>zu</strong>m Teil direkt, über<br />
klare Forderungen und Bestimmungen<br />
in die Schule und deren<br />
Arbeitsweise einfließen, <strong>zu</strong>m<br />
Teil auch indirekt, über alles,<br />
was gesellschaftliche Relev<strong>an</strong>z hat, in die Vorstellungen<br />
von LehrerInnen und Schulleitungen, auch<br />
Eltern und SchülerInnen Ein<strong>zu</strong>g halten.<br />
Unter einer demokratischen Schule stelle ich mir<br />
allerdings eine vor, in der die Betroffenen, die<br />
Schülerinnen und Schüler, ihr Schulleben selbstbestimmt<br />
<strong>an</strong>gehen können. Eine Schule, die sich<br />
selbst und damit die Gesellschaft von innen heraus<br />
verändern k<strong>an</strong>n, die also eine Bildung vermittelt,<br />
die wesentlich <strong>zu</strong>r Em<strong>an</strong>zipation des Menschen<br />
aus dem Unwissen, aus Herrschafts- und<br />
Abhängigkeitsverhältnissen beiträgt.<br />
Verständlicherweise aber muss die Schule in einem<br />
solchen wie dem unsrigen System die Schü-<br />
lerinnen und Schüler dar<strong>auf</strong><br />
vorbereiten, fremdbestimmt<br />
<strong>zu</strong> arbeiten, aber<br />
doch immer so selbständig,<br />
wie die gerade bevor<strong>zu</strong>gte<br />
Betriebswirtschaftsweise es<br />
erfordert. Auch muss sie<br />
unterscheiden zwischen<br />
guten und schlechten<br />
SchülerInnen, zwischen<br />
brauchbar und nicht<br />
brauchbar, klug oder<br />
dumm, h<strong>an</strong>dwerklich oder<br />
intellektuell begabt...<br />
Und das habe ich nicht<br />
einfach so <strong>zu</strong>sammentheoretisiert,<br />
das ist täglich<br />
im Schulleben spürbar.<br />
Nicht <strong>zu</strong>fällig rutscht noch<br />
so m<strong>an</strong>chem/m<strong>an</strong>cher<br />
LehrerIn im Unterricht die<br />
Redewendung übers Trennen<br />
des Weizen von der<br />
Spreu heraus. Dies erfordert<br />
Noten und Konkurrenz
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 37<br />
unter SchülerInnen, harte<br />
Disziplinierungsmaßnahmen, Trennung<br />
von guten und schlechten<br />
SchülerInnen durch Hauptschule und<br />
Gymnasium. Das Gemeine dar<strong>an</strong> ist,<br />
dass es mir stets als meine Privat<strong>an</strong>gelegenheit<br />
erscheint, gute Noten und<br />
gute Abschlüsse <strong>zu</strong> erreichen, obwohl<br />
es massiv gesellschaftlich beeinflusst<br />
ist und ebenso gesellschaftliche Auswirkungen<br />
hat.<br />
Schülerinnen und Schüler leiden unter<br />
Leistungsdruck und Schul<strong>an</strong>gst und<br />
die vielbeschworene Ellenbogengesellschaft<br />
ist mitsamt alltäglicher<br />
Rücksichtslosigkeit unter Jugendlichen<br />
und Kindern oft besonders gut <strong>zu</strong> beobachten.<br />
Dies alles nenne ich undemokratisch,<br />
weil es nicht <strong>an</strong> den Interessen und<br />
Wünschen der Schülerinnen und Schüler<br />
ausgerichtet ist, sondern seinerseits<br />
diese <strong>auf</strong> das Gegebene ausrichtet. Es<br />
wird gelernt, was <strong>auf</strong> den Tisch kommt,<br />
auch wenn ich kein Interesse dar<strong>an</strong><br />
habe.<br />
Dadurch lerne ich auch, entgegen<br />
meiner Interessen <strong>an</strong>deren <strong>zu</strong> gehorchen<br />
und von ihnen bewertet <strong>zu</strong> werden.<br />
Und zwar in einer Form, die wiederum<br />
Auswirkungen dar<strong>auf</strong> hat, wie<br />
<strong>an</strong>dere mich bewerten und wem ich<br />
später gehorchen muß. Denn die Noten<br />
meiner LehrerInnen sind später<br />
Entscheidungskriterien bei der Wahl<br />
meines Berufes oder der weiteren Ausbildung.<br />
Nun also die Frage, ob unsere Schule<br />
offen ist für die Gesellschaft von<br />
morgen.<br />
All die Interessen,<br />
die bei der Gestaltung<br />
des Schulwesens<br />
eine Rolle<br />
spielen, verändern<br />
sich natürlich und<br />
fordern dementsprechend<br />
eine Veränderung<br />
der Schule.<br />
Insgesamt ist es<br />
dieser auch mög-<br />
lich, dar<strong>auf</strong> <strong>zu</strong> reagieren, wenn auch<br />
meist etwas schwerfällig. In vielen<br />
Bundesländern, insbesondere hier in<br />
Nordrhein-Westfalen, gab es um die<br />
Schul-autonomie viele Diskussionen.<br />
Vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>gen ist<br />
ihnen natürlich<br />
eine wirtschaftliche,<br />
eine insbesonderebetriebswirtschaftlicheVeränderung:<br />
Von jap<strong>an</strong>ischen<br />
M<strong>an</strong>agements entwickelt<br />
und inzwischen weltweit im<br />
Vormarsch ist die Le<strong>an</strong> Production. Sie<br />
löst die Epoche des Fordismus ab. Hierarchien<br />
werden abgeflacht um Entscheidungen<br />
schneller und<br />
un<strong>auf</strong>wendiger herbei<strong>zu</strong>führen. Kompetenzen<br />
werden nach unten verlagert,<br />
Akkordarbeit kommt nicht mehr vor.<br />
Die Angestellten arbeiten in kleinen<br />
Teams, ihr Lohn oder Gehalt hängt von<br />
der Leistungsfähigkeit ihres Teams ab.<br />
Dies erfordert soziale Kompetenzen,<br />
Ver<strong>an</strong>twortungsbewusstsein, Teamfähigkeit<br />
und für die Vorgesetzten eine<br />
besondere, in letzter Zeit sehr hochgejubelte<br />
und in unzähligen Workshops<br />
vermittelte Führungskompetenz inklusive<br />
Einfühlungsvermögen, Kontaktfreudigkeit<br />
und so weiter.<br />
Das sieht alles sehr nach einer Demokratisierung<br />
des Betriebswesens<br />
aus, doch ist es lediglich eine<br />
Verschl<strong>an</strong>kung der Produktion, wie der<br />
Name Le<strong>an</strong> Production schon sagt.<br />
Auch diese Teams werden nicht eingesetzt,<br />
weil die M<strong>an</strong>agerInnen besonders<br />
menschenfreundlich wären und<br />
das Arbeiten in Be<strong>zu</strong>gsgruppen bestimmt<br />
netter ist. Gerade die Teamarbeit<br />
setzt die MitarbeiterInnen erheblich<br />
unter Druck, weil die Kontrolle unterein<strong>an</strong>der<br />
wesentlich effektiver ist als<br />
früher die Kontrolle vieler<br />
MitarbeiterInnen durch wenige Vorgesetzte.<br />
Wenn mein Lohn davon abhängt,<br />
wie gut jedes einzelne Teammitglied<br />
mitarbeitet, d<strong>an</strong>n sorge ich
38 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
auch dafür, dass niem<strong>an</strong>d kr<strong>an</strong>kfeiert,<br />
dass alle vernünftig arbeiten und so<br />
weiter. Die Solidarität unter<br />
ArbeiterInnen einer Firma ist damit<br />
verschwunden. M<strong>an</strong><br />
k<strong>an</strong>n sich nicht mehr<br />
gemeinsam gegen die<br />
Chefs <strong>zu</strong>r Wehr setzen,<br />
sondern muss<br />
sich unterein<strong>an</strong>der<br />
kontrollieren. Das<br />
Problem dabei ist freilich<br />
nicht die Teamarbeit<br />
<strong>an</strong> sich, sondern<br />
die fremdbestimmte<br />
Arbeit und der Mech<strong>an</strong>ismus,<br />
dass ich für<br />
bessere Arbeit besseres Geld erhalte.<br />
Außerdem sorgt diese Produktionsweise<br />
für eine große Corporate Identity,<br />
die Identifikation mit dem Betrieb.<br />
Verbesserungen müssen d<strong>an</strong>n nicht<br />
mehr von M<strong>an</strong>agerInnen entwickelt<br />
und von MitarbeiterInnen übernommen<br />
werden, jedeR selbst effektiviert<br />
die eigenen Arbeitsgänge best möglich<br />
und verbessert damit nicht unbedingt<br />
die Atmosphäre am Arbeitsplatz,<br />
aber <strong>auf</strong> jeden Fall die Profitrate.<br />
Die Debatte um die teilautonome<br />
Schule wiederum erinnert in einigen<br />
Punkten stark <strong>an</strong> die Entwicklung der<br />
Le<strong>an</strong> Production. Kompetenzen sollen<br />
nach unten verlagert werden, die<br />
Schule soll ihren Haushalt selbst verwalten.<br />
Viele sprechen hier nicht von<br />
Haushalts-, sondern von Schuldenverwaltung,<br />
weil bei fortschreitendem<br />
Sozialabbau die Schulen auch immer<br />
weniger Geld erhalten. Aber Not macht<br />
ja <strong>an</strong>geblich erfinderisch, und da sollen<br />
die Schulen selber sehen, wie sie<br />
mit dem nicht vorh<strong>an</strong>denen Geld auskommen.<br />
Der Bildungskommissionsbericht<br />
NRW, der Meilenstein in der Diskussion<br />
um die eigenver<strong>an</strong>twortliche Schule,<br />
schreibt hier<strong>zu</strong>:<br />
„Die Schulen sollen das Recht erhalten,<br />
sich <strong>zu</strong>sätzlich <strong>zu</strong>r Grundausstattung<br />
weitere Mittel <strong>zu</strong> erschließen. Dies<br />
können öffentliche Mittel aus dem regionalen<br />
Entwicklungsfonds sein, aber<br />
auch private Mittel, die <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
durch den Verk<strong>auf</strong> pädagogischer Leistungen<br />
<strong>auf</strong> dem<br />
Bildungsmarkt oder<br />
durch Sponsoring gewonnen<br />
werden.“<br />
Bildung ist also <strong>zu</strong> einem<br />
Markt geworden.<br />
An einigen Stellen<br />
spricht das Buch sogar<br />
von einem „freien Wettbewerb<br />
zwischen Schulen“.<br />
Das Grundrecht <strong>auf</strong><br />
Bildung wird also<br />
marktwirtschaftlichen Mech<strong>an</strong>ismen<br />
unterworfen werden. Das würde eine<br />
noch schlechtere, weil ungleichere Verteilung<br />
der Bildung und damit die Aufhebung<br />
des letzten Rests <strong>an</strong> Ch<strong>an</strong>cengleichheit<br />
<strong>zu</strong>r Folge haben. Der Staat<br />
zieht sich aus der Ver<strong>an</strong>twortung.<br />
Doch der Wirtschaft k<strong>an</strong>n das ja nur<br />
Recht sein. Wenn m<strong>an</strong> die Menschen<br />
früh dr<strong>an</strong> gewöhnt, dass sie sich durchbeißen<br />
müssen, d<strong>an</strong>n werden sie auch<br />
gute ArbeiterInnen. Nicht umsonst fordern<br />
auch der Bildungskommissionsbericht<br />
und <strong>an</strong>dere wirtschaftsliberale<br />
Fortschrittspädagogen die stärkere<br />
schulische Vermittlung von den oben<br />
gen<strong>an</strong>nten Schlüsselkompetenzen namens<br />
Teamfähigkeit,<br />
Ver<strong>an</strong>twortungsbewusstsein, soziales<br />
H<strong>an</strong>deln und so weiter. In der Bildungskommission<br />
saßen unter <strong>an</strong>deren Hilmar<br />
Kopper, damals noch Bundesb<strong>an</strong>kchef,<br />
ein Herr von einer Volkswagen-<br />
Stiftung und eine Dame der Bayer-AG.<br />
Im Zuge dieser Entwicklung der<br />
Schule deutet auch alles dar<strong>auf</strong> hin,<br />
dass die ohnehin schon lächerlich<br />
schlechte strukturelle Demokratie in<br />
der Schule wieder ausgehöhlt wird.<br />
Die vorh<strong>an</strong>dene Beset<strong>zu</strong>ng der<br />
Schulkonferenz ist aus<br />
SchülerInnensicht eine Farce. Wir sind<br />
in der Schule die größte Gruppe und<br />
wir sind die Betroffenen. Wir haben ein
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 39<br />
Viertel der Sitze. LehrerInnen haben<br />
doppelt so viele, was <strong>an</strong>gesichts der<br />
Tatsache, dass SchülerInnen und<br />
LehrerInnen m.E. eigentlich grundverschiedene,<br />
sogar entgegengesetzte<br />
Interessen haben, ein Witz ist.<br />
Eltern hingegen haben meiner Meinung<br />
nach sehr wenig in schulischer<br />
Mitwirkung <strong>zu</strong> suchen. Sie erziehen<br />
und deformieren uns Kinder schon privat<br />
genug, sind die<br />
AnsprechpartnerInnen für LehrerInnen<br />
minderjähriger SchülerInnen. Der<br />
Bildungskommissionsbericht hingegen<br />
fände es toll, die Schulkonferenz <strong>zu</strong><br />
25% von LehrerInnen, 25% von<br />
SchülerInnen und lächerlichen 50%<br />
von Eltern <strong>zu</strong> besetzen. Unter<br />
SchülerInnen ist das ein großer Lacherfolg.<br />
Ich habe noch keineN SchülerIn<br />
gesehen, der oder die dabei nicht gro-<br />
ße Augen gemacht hätte.<br />
Außerdem wünscht sich der Bildungskommissionsbericht<br />
eine Öffnung der<br />
schulischen Mitwirkung für das Umfeld<br />
der Schule. Das passt hervorragend <strong>zu</strong>r<br />
Schulbudgetierung im regionalen Umfeld:<br />
Schulen in reichen Stadtteilen<br />
können sich mehr leisten, weil sie von<br />
reichen Eltern und BürgerInnen mehr<br />
Geld kriegen, dafür sollen die<br />
BürgerInnen - im Zweifelsfall<br />
SponsorInnen mit starkem Interesse<br />
<strong>an</strong> der inhaltlichen und methodischen<br />
Ausrichtung der Schule - auch mitreden<br />
dürfen.<br />
Äußere Veränderungen k<strong>an</strong>n die<br />
Schule also mitvollziehen, wenn genügend<br />
Beschwerden vorh<strong>an</strong>den sind,<br />
wie schlecht die Schule doch sei. Dies<br />
ist ja im Moment auch der Fall, denn<br />
immer mehr Betriebe beschweren sich,<br />
dass Lehrlinge mit<br />
Hauptschulabschluss <strong>zu</strong> doof seien,<br />
und das Abitur ist auch viel <strong>zu</strong> leicht<br />
<strong>zu</strong> haben. „Mit dieser Schule läßt sich<br />
kein Wettbewerb gewinnen“, so wird<br />
der Sozialabbau und die St<strong>an</strong>dortdebatte<br />
auch <strong>auf</strong> den bisl<strong>an</strong>g von Bürgerrechten<br />
geschützten Bereich Bildung<br />
ausgedehnt.<br />
Auch wenn die Veränderungen im<br />
Schulwesen etwas l<strong>an</strong>gsamer verl<strong>auf</strong>en,<br />
als m<strong>an</strong>che sich das wünschen -<br />
die nächste Schulreform wird für die<br />
Wirtschaft <strong>zu</strong>friedenstellend verl<strong>auf</strong>en<br />
und die Schulautonomie mit sich bringen.<br />
Insgesamt werden also gesellschaftliche<br />
Widersprüche in der Schule stets<br />
reproduziert. Sie werden nicht bearbeitet<br />
und oder im Hinblick <strong>auf</strong> ihre<br />
Überwindung thematisiert. Insofern ist<br />
die Schule also offen für die äußeren<br />
Anforderungen der Zukunft. Sie hat<br />
kein eigenes veränderndes Potential,<br />
in dem Schülerinnen und Schüler ihre<br />
Zukunft - und damit die Zukunft der<br />
Gesellschaft - selbstbestimmt gestalten<br />
könnten.<br />
H<strong>an</strong>nes Hüfken
40 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Von der Reform <strong>zu</strong>r<br />
Deform Die Geschichte der gymnasialen<br />
Oberstufe<br />
50er und 60er Jahre<br />
Zu Beginn der BRD gab es ein sehr elitäres Schulsystem,<br />
welches den einzelnen SchülerInnen<br />
kaum Möglichkeiten bot, eigenen Interessen und<br />
Neigungen nach<strong>zu</strong>gehen. Im Dreigliedrigen<br />
Schulsystem (Gymnasium, Hauptschule, Gesamtschule)<br />
bestimmte die soziale Zugehörigkeit über<br />
die Schulform, <strong>auf</strong> welche mensch gehen konnte<br />
und damit über die Möglichkeiten, welche mensch<br />
in seinem späteren Leben hatte. Auf das Gymnasium<br />
gingen die Kinder aus sozial besser gestellten<br />
Familien, sie sollten das Abitur machen<br />
und später “auch mal was werden”.<br />
Die Oberstufe war, wie die Unterstufe,<br />
im Klassenverb<strong>an</strong>d org<strong>an</strong>isiert,<br />
d.h. dass die SchülerInnen<br />
nicht wählen konnten, welche Fächer<br />
sie belegen wollten, klassische<br />
Fächer (z.B. Deutsch, Mathe, Latein)<br />
wurden als wichtiger <strong>an</strong>gesehen als<br />
<strong>an</strong>dere. Das Gymnasium war so org<strong>an</strong>isiert,<br />
dass es eine Elite ausbilden<br />
sollte. Kinder von ArbeiterInnen<br />
oder QuereinsteigerInnen von<br />
Haupt- und Realschule hatten kaum<br />
eine Ch<strong>an</strong>ce, das Abitur <strong>zu</strong> erl<strong>an</strong>gen<br />
und damit ein Studium <strong>an</strong><strong>zu</strong>f<strong>an</strong>gen.<br />
1972<br />
In den 70er Jahren war ein relativ<br />
günstiges Klima für fortschrittliche<br />
Schulreformen. Durch die<br />
StudentInnen- und SchülerInnenbewegung<br />
war ein Bewusstsein für<br />
notwendige Reformen entst<strong>an</strong>den,<br />
welches bei der sozial-liberalen Koalition<br />
durchaus <strong>auf</strong> Gehör stieß. Ch<strong>an</strong>cengleichheit<br />
im Bildungssystem für alle soziale Gruppen<br />
wurde gefordert. Hin<strong>zu</strong> kam, dass die Wirtschaft<br />
ein Interesse <strong>an</strong> viel mehr hochqualifizierten<br />
StudienabgängerInnen (die natürlich vorher Abitur<br />
gemacht haben mußten) hatte. Es kam <strong>zu</strong><br />
einigen Bildungsreformen, die Koedukation wurde<br />
eingeführt, die Gesamtschule erfunden und<br />
die gymnasiale Oberstufe<br />
wurde reformiert. Alle Fächer<br />
wurden nun als gleichberechtigt<br />
<strong>an</strong>gesehen, die<br />
SchülerInnen konnten wählen,<br />
welche sie belegen wollten.<br />
Da<strong>zu</strong> wurde das Kurssystem<br />
eingeführt, besonderes<br />
Gewicht erhielten die<br />
Leistungskurse, zwei Kurse,<br />
die jedeR nach seinen/ihren<br />
Interessen wählen konnte.<br />
Die neue Oberstufe bot nun<br />
für viele Menschen die Mög-<br />
lichkeit, das Abitur <strong>zu</strong> erl<strong>an</strong>gen.<br />
Natürlich war diese Oberstufe<br />
keine Traumschule und<br />
hatte nach wie vor ihre<br />
Funktion in der bürgerlichen<br />
Gesellschaft. Druck durch<br />
Schulnoten, undemokratische<br />
Strukturen, Hierarchie
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 41<br />
etc. waren nicht abgeschafft. Aber<br />
trotzdem war diese Oberstufe die bisher<br />
fortschrittlichste mit den besten<br />
Möglichkeiten für den/die einzelneN,<br />
seinen/ihren Interessen nach<strong>zu</strong>gehen.<br />
1986<br />
Nach der Abi-Reform nun die erste<br />
Deform: die von Helmut Kohl 1982 bei<br />
seinem Dienst<strong>an</strong>tritt als Bundesk<strong>an</strong>zler<br />
verkündete geistig-moralische Wende<br />
machte auch vor dem Bildungssystem<br />
nicht halt. Nicht mehr größtmögliche<br />
Bildungsch<strong>an</strong>cen für alle und<br />
die freie Ausbildung eigener Neigungen<br />
und Interessen sollten das<br />
Bildungssystem bestimmen, sondern<br />
wieder Leistung und Elitenförderung.<br />
In der Oberstufe wurde die Gleichwertigkeit<br />
aller Fächer erstmals eingeschränkt.<br />
Der sogen<strong>an</strong>nte Pflichtbereich<br />
(bestehend aus den sogen<strong>an</strong>nten<br />
“Kernfächern” Mathe, Deutsch,<br />
Fremdsprache) wurde wieder stärker<br />
betont, außerdem wurde die Einteilung<br />
der Fächer in drei Bereiche eingeführt,<br />
die jeweils durch die Prüfungsfächer<br />
im Abitur abgedeckt werden mußten.<br />
Trotz größerer Proteste von<br />
SchülerInnen bundesweit wurde diese<br />
Abi-Deform so von der Kultusministerkonferenz<br />
(KMK, der<br />
Zusammenschluss aller für Schulpolitik<br />
ver<strong>an</strong>twortlichen Länderminister-<br />
Innen <strong>auf</strong> Bundesebene) beschlossen.<br />
Hin<strong>zu</strong> kamen Ende der 80er und Anf<strong>an</strong>g<br />
der 90er Jahre Einsparungen im<br />
Bildungssektor. Um Geld <strong>zu</strong> sparen<br />
wurden die Kursgrößen <strong>an</strong>gehoben.<br />
Dies hatte nicht nur den Nachteil, dass<br />
mensch jetzt mit mehr Leuten in einem<br />
Kurs <strong>lernen</strong> muss, auch die Wahlfreiheit<br />
wurde dadurch weiter eingeschränkt,<br />
da viele Kurse nun nicht<br />
mehr <strong>zu</strong>st<strong>an</strong>de kommen können, wenn<br />
gar nicht erst genug Menschen den<br />
Kurs belegen. An vielen Schulen wurden<br />
so immer weniger Fächer <strong>an</strong>geboten.<br />
Die 90er Jahre<br />
...waren auch keine schöne Zeit in der<br />
Bildungspolitik. Die meisten Debatten<br />
die geführt wurden, sind von Konservativen<br />
und der Wirtschaft <strong>an</strong>gestoßen<br />
worden mit dem Ziel einer weiteren<br />
Rücknahme von Bildungsreformen,<br />
weiterer Auslese und Elitenbildung und<br />
weiterer Einschränkung von Freiheiten<br />
<strong>zu</strong>gunsten sogen<strong>an</strong>nter “Allgemeinbildung”.<br />
Eine Debatte war, ob die Schulzeit<br />
bis <strong>zu</strong>m Abitur von 13 <strong>auf</strong> 12 Jahre<br />
gekürzt werden sollen. Eine weitere<br />
Debatte (oft damit verknüpft) war<br />
eine neue “Reform” der Oberstufe. So<br />
wurde gefordert, die Abiturprüfung in<br />
fünf statt bisher vier Fächern durch<strong>zu</strong>führen,<br />
darunter verpflichtend für<br />
alle Deutsch, Mathe und eine Fremdsprache.<br />
Die CDU wollte da<strong>zu</strong> noch das<br />
Zentralabitur für alle Länder einführen<br />
(das heißt, dass alle SchülerInnen eines<br />
Abitur-Jahrg<strong>an</strong>gs in einem Bundes-<br />
L<strong>an</strong>d mit den selben Aufgaben geprüft<br />
werden).<br />
Die schlimmsten Vorschläge wurden<br />
zwar abgeschmettert, was die KMK<br />
1995 beschlossen hat war aber dennoch<br />
ein weiterer Rückschritt. Die<br />
“Kernfächer” wurden erneut gestärkt,<br />
nun müssen Deutsch, Mathe und eine<br />
Fremdsprache bis <strong>zu</strong>m Abitur durchgängig<br />
belegt werden (früher konnten<br />
sie <strong>zu</strong>mindest <strong>zu</strong>m Teil abgewählt werden)<br />
und auch in die Durchschnittsnote<br />
eingebracht werden, die <strong>an</strong>deren<br />
Fächer wurden dadurch wieder geschwächt.<br />
Insbesondere Musik und<br />
Kunst wurden geschwächt, da diese<br />
nun nicht mehr in der Abiturprüfung<br />
für den sprachlich-künstlerischen Fächer-Bereich<br />
zählen und mensch sich<br />
<strong>zu</strong>sätzlich in einer Sprache prüfen lassen<br />
muss.<br />
Die Umset<strong>zu</strong>ng<br />
dieser Beschlüsse<br />
in Nordrhein-<br />
Westfalen hat<br />
1998 stattgefunden,<br />
bei dieser<br />
Umset<strong>zu</strong>ng hat
42 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
die rot-grüne L<strong>an</strong>desregierung d<strong>an</strong>n<br />
gleich noch ein paar weitere Veränderungen<br />
(im Rahmen ihrer Sparpolitik)<br />
vorgenommen. So wurden die Leistungskurse<br />
von sechs <strong>auf</strong> fünf Stunden<br />
gekürzt, die LKs setzen nun auch<br />
erst in der 12. Jahrg<strong>an</strong>gsstufe ein. Dadurch<br />
wird den SchülerInnen die Möglichkeit<br />
genommen, erstmal in Ruhe<br />
<strong>zu</strong> schauen, ob ihnen ein LK-Angebot<br />
<strong>zu</strong>sagt oder nicht.<br />
Und die Zukunft?<br />
Die verspricht auch<br />
nichts Gutes. Zur Zeit<br />
wird diskutiert, Elite-<br />
Klassen ein<strong>zu</strong>führen,<br />
die d<strong>an</strong>n in 12 statt 13<br />
Jahren Abitur machen.<br />
Dadurch wird <strong>zu</strong>m einen<br />
ein zwei-Klassen-<br />
Abitur eingeführt, <strong>zu</strong>m<br />
zweiten wird durch die<br />
Hintertür nun doch ein<br />
Schuljahr abgeschafft.<br />
Es ist nur eine Frage der<br />
Zeit, w<strong>an</strong>n es <strong>zu</strong>r Debatte<br />
kommt, doch für<br />
alle die Schulzeit <strong>zu</strong> verkürzen.<br />
Die Debatte um die Einführung<br />
eines Zentralabiturs<br />
ist auch nicht<br />
vom Tisch, die CDU<br />
macht regelmäßig Vorschläge in diese<br />
Richtung, die immer mehr Gehör finden.<br />
Die PISA-Studie hat hier weiteren<br />
Zunder geliefert.<br />
Die konservative Wende in der Bildungspolitik<br />
ist noch nicht <strong>zu</strong> Ende,<br />
machen wir uns auch im Bereich der<br />
gymnasialen Oberstufe <strong>auf</strong> neue Restriktionen<br />
gefasst.<br />
Joh<strong>an</strong>nes Bock
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 43<br />
Wir brauchen keine Zeugnisse!<br />
Noten machen häßlich<br />
Das Schlechte <strong>an</strong> der Schule ist irgendwie<br />
mystisch: Stellenweise macht Schule<br />
sogar Spaß, ist sie doch der Ort, <strong>an</strong><br />
dem Du alle Deine FreundInnen triffst,<br />
m<strong>an</strong>che LehrerInnen sind richtig nett und<br />
wenn sie's nicht sind, macht m<strong>an</strong> eben<br />
Scherze über sie oder k<strong>an</strong>n sich gemeinsam<br />
über sie <strong>auf</strong>regen. Selbst die Gänge<br />
und Klassenzimmer, der Kreidestaub und<br />
der Schiefer der Tafeln scheinen eine gemütliche<br />
Atmosphäre aus<strong>zu</strong>strahlen, so<br />
dass m<strong>an</strong> nach sechs Wochen Sommerferien<br />
froh ist, wieder dorthin <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>kehren,<br />
wo m<strong>an</strong> systematisch diszipliniert,<br />
getriezt, genervt, <strong>an</strong>gepaßt, <strong>zu</strong>rechtgestutzt<br />
und verdummt wird. Genau<br />
von dem zentralen Instrument<br />
dafür h<strong>an</strong>delt dieser Artikel:<br />
Den Noten.<br />
Der Sinn und Zweck der Benotung<br />
liegt im dumpfen Bereich<br />
des Selbstverständlichen: Na<br />
klar, die Firmen müssen doch<br />
wissen, wie gut der Mensch ist,<br />
den sie da einstellen, häufig tauchen<br />
auch schon mal die Argumente<br />
<strong>auf</strong>, SchülerInnen sollten<br />
ihre eigenen Schwächen erkennen<br />
und sie d<strong>an</strong>n korrigieren können<br />
oder daß m<strong>an</strong> <strong>auf</strong> die Leistungsgesellschaft<br />
in der Schule<br />
bereits vorbereitet werden müsse.<br />
Klar ist: Für die SchülerInnen<br />
ist das Erreichen einer guten Note<br />
enorm wichtig, entscheidet sich<br />
doch so, ob sie später <strong>zu</strong> den<br />
SozialhilfeempfängerInnen gehören oder<br />
die Ch<strong>an</strong>ce <strong>auf</strong> einen M<strong>an</strong>agerInnenjob<br />
samt Dienstwagen und Haus im Grünen<br />
haben werden. Und das alles wegen einer<br />
Zahl.<br />
Noten sind nicht objektiv<br />
Eine Note ist Bewertung eines Prüfungsergebnisses.<br />
Aber von der Vergleichbarkeit<br />
von Prüfungen in unterschiedlichen<br />
Klassen, bei unterschiedlichen<br />
LehrerInnen, <strong>an</strong> unterschiedlichen<br />
Schulen k<strong>an</strong>n keine Rede sein.<br />
Schließlich sind Noten immer auch<br />
abhängig von dem- oder derjenigen,<br />
der/die sie erteilt, von der jeweiligen<br />
Vorliebe für ein Geschlecht, Verhalten,<br />
Kleidung, Umg<strong>an</strong>gston der<br />
SchülerInnen - oder eben der Abneigung<br />
dagegen - , von der Stimmung<br />
der Lehrerin oder des Lehrers,<br />
vom pädagogischen Stil oder<br />
schlicht von Vorurteilen bzw. Vorwissen<br />
über den Schüler oder die Schülerin.<br />
Die eine Lehrerin bewertet<br />
Kommafehler in der Fr<strong>an</strong>zösischarbeit<br />
mit, ihr Kollege dagegen nicht,<br />
der eine Deutschlehrer mag es,<br />
wenn SchülerInnen persönliche Erfahrungen<br />
und Gefühle mit einfließen<br />
lassen, seine Kollegin hingegen<br />
setzt <strong>auf</strong> Objektivität und Nüchternheit.<br />
Am allerdeutlichsten wird dies<br />
in Fächern wie Musik, Kunst oder<br />
Sport: Wer will ein Kunstwerk objektiv<br />
bewerten und wie soll es "gerechte"<br />
Noten geben, wenn Menschen<br />
für die Erfüllung der vorgegebenen<br />
Aufgaben einfach ein un-
44 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
terschiedlich gutes Werkzeug - ihren<br />
Körper - haben?<br />
Noten rufen stures Pauken hervor<br />
Noten reduzieren <strong>an</strong>geeignetes Wissen<br />
und die Fähigkeit, dieses <strong>zu</strong> reproduzieren<br />
- d.h., in irgendeiner Weise<br />
nach<strong>zu</strong>weisen, daß "gelernt" wurde -<br />
<strong>auf</strong> eine Zahl. Die Individualität der<br />
Schülerin oder des Schülers wird unsichtbar.<br />
Dieser Zw<strong>an</strong>g, eine bestimmte<br />
Qualität (das Wissen) <strong>auf</strong> eine Qu<strong>an</strong>tität<br />
(die Note) um<strong>zu</strong>formen, bestimmt<br />
schon die Form der Aneignung des<br />
Wissens und damit auch seine Inhalte.<br />
Wissen wird in Details zerlegt, die<br />
entweder richtig oder falsch sein können,<br />
und nach<br />
dem prozentualen<br />
Gehalt der<br />
richtigen Aussagen<br />
wird in<br />
Tests die Note<br />
gegeben. Sinnvolles<br />
Lernen,<br />
das ein Problem<br />
in seiner Gesamtheit<br />
erfaßt<br />
statt nur immer<br />
einzelne Teilaspekte<br />
<strong>zu</strong> beleuchten<br />
und<br />
Lösungs<strong>an</strong>sätze<br />
erkennbar<br />
macht, wird<br />
diesem Schema<br />
ebenso entzogen<br />
wie vernetztes, abstraktes und<br />
dialektisches Denken. Noten fördern<br />
nicht das Verständnis für den Lerngegenst<strong>an</strong>d,<br />
sondern das Lernen für<br />
das Kurzzeitgedächtnis, weil immer nur<br />
für den nächsten Test oder die nächste<br />
Arbeit gelernt wird. Ziel des Lernens<br />
ist das Erreichen einer möglichst<br />
guten Note, nicht das Er<strong>lernen</strong> von<br />
sinnvollem Wissen oder Techniken. Sei<br />
mal ehrlich: Weißt Du noch was von<br />
dem, das Ihr vor zwei Jahren in Biologie<br />
durchgenommen habt?<br />
Noten verhindern wirkliches Lernen,<br />
das nur in einem <strong>an</strong>gstfreien Klima<br />
möglich ist - durch die Notengebung<br />
wird eine Prüfungssituation geschaffen,<br />
in der eine Streßsituation herrscht<br />
und die Angst vor einer schlechten<br />
Note die Ged<strong>an</strong>ken bestimmt. Noten<br />
bewerten nichts <strong>an</strong>deres als die jeweilige<br />
Tagesform der SchülerInnen (und<br />
wenn die mal fehlt, d<strong>an</strong>n gibt's ja immer<br />
noch Aspirin oder Speed), die Fähigkeit<br />
<strong>zu</strong>m Auswendig<strong>lernen</strong>, die<br />
Streßbelastbarkeit und die Fähigkeit,<br />
Emotionen wie Angst vor der Umgebung<br />
<strong>zu</strong> verstecken und sie <strong>zu</strong> verdrängen.<br />
Gute Noten haben den Effekt, motivierte<br />
SchülerInnen noch stärker <strong>zu</strong><br />
motivieren, aber<br />
schlechte Noten<br />
frustrieren oft unmotivierte<br />
SchülerInnen immer<br />
weiter - für<br />
viele ein Teufelskreis.<br />
Aufgrund ihres<br />
vorgeblich objektivenCharakters<br />
ziehen viele<br />
SchülerInnen aus<br />
den Noten einen<br />
großen Teil ihres<br />
Selbstwertgefühls:<br />
Gute Note - Du<br />
k<strong>an</strong>nst es;<br />
schlechte Note -<br />
Du bist nichts. So<br />
haben also<br />
LehrerInnen nicht nur direkten Zugriff<br />
<strong>auf</strong> die berufliche Zukunft der<br />
SchülerInnen, sondern auch <strong>auf</strong> das<br />
Selbstwertgefühl.<br />
Noten sichern die schulische<br />
Hierarchie ab<br />
Noten werden mitnichten nur für erbrachte<br />
oder nicht erbrachte Leistung<br />
gegeben - Noten sichern die Autorität<br />
der LehrerInnen. Sie sind das wichtigste<br />
Disziplinierungsmittel (neben Verweis<br />
etc.), das häufig gegen kritische<br />
SchülerInnen eingesetzt wird - <strong>zu</strong>min-
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 45<br />
dest haben LehrerInnen immer potentiell<br />
die Möglichkeit da<strong>zu</strong>. Dieses<br />
Machtverhältnis wird häufig durch den<br />
scheinbar objektiven Charakter der<br />
Noten vertuscht, es verliert dadurch<br />
aber keinesfalls seine Wirkung. Noten<br />
sichern die schulische Hierarchie ab.<br />
Gäbe es die Noten nicht, so würdest<br />
Du ein g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>deres Verhältnis <strong>zu</strong> Deinen<br />
LehrerInnen haben - um Deinen<br />
Respekt <strong>zu</strong> verdienen müßten sie<br />
schon fachlich was <strong>auf</strong> dem Kasten<br />
haben, die schlichte Macht über Dich<br />
und Deine Zukunft hätten sie ja nicht<br />
mehr. Eine <strong>an</strong>tiautoritäre, d.h. eine<br />
kritische Dist<strong>an</strong>z <strong>zu</strong> Autoritäten vermittelnde<br />
Erziehung ist mit Noten nicht<br />
möglich.<br />
Noten abschaffen - und was d<strong>an</strong>n?<br />
Kritisiert m<strong>an</strong> Noten, wird einem häufig<br />
die Forderung entgegengehalten,<br />
m<strong>an</strong> sollte doch Alternativen <strong>zu</strong>r Benotung<br />
<strong>auf</strong>zeigen. Noten existieren<br />
aber nicht im luftleeren Raum - durch<br />
sie soll die für unsere gesamte Gesellschaft<br />
elementare Praxis von Leistung<br />
und Zw<strong>an</strong>g unter Konkurrenzdruck in<br />
der Schule verinnerlicht und vermittelt<br />
werden. Die SchülerInnen <strong>lernen</strong><br />
etwas <strong>zu</strong> tun, dessen Sinn sie nicht<br />
einsehen und dessen Inhalt uninteress<strong>an</strong>t<br />
ist. Tätigkeiten sollen auch später<br />
im Beruf nicht mehr hinterfragt<br />
werden. Dieser Mech<strong>an</strong>ismus dient<br />
da<strong>zu</strong>, bestehende Herrschaftsverhältnisse<br />
<strong>zu</strong> erhalten und Kritik dar<strong>an</strong><br />
<strong>zu</strong> verhindern. Durch Noten wird<br />
massiv Auslese betrieben. Als "leistungsschwach"<br />
werden in der Schule<br />
diejenigen eingestuft, deren persönliche<br />
Vorausset<strong>zu</strong>ngen dem reibungslosen<br />
Funktionieren der Gesellschaft<br />
entgegenstehen. Es ist eben doch so -<br />
nicht für die Schule, für das Leben <strong>lernen</strong><br />
wir.<br />
Noten - egal, ob in Form von Zahlen<br />
oder "Worturteilen" - als notwendig <strong>zu</strong><br />
bezeichnen, heißt, Leistungsdruck,<br />
Konkurrenz und Ausbeutung als gottgegeben<br />
<strong>zu</strong> akzeptieren und <strong>zu</strong> unter-<br />
stützen.<br />
Dabei ist Lernen auch <strong>an</strong>ders möglich!<br />
Natürlich nicht innerhalb der bestehenden<br />
(gesellschaftlichen und schulischen)<br />
Strukturen - deshalb heiß Noten<br />
abschaffen: Gesellschaft verändern.<br />
Inhalte und Form des Unterrichts müssen<br />
geändert werden, damit selbstbestimmtes<br />
Lernen - ohne Notendruck<br />
- möglich wird. Es k<strong>an</strong>n keine Form von<br />
"demokratischen" Noten geben, z.B.<br />
als in Gruppendiskussion entwickelte<br />
ausformulierte Bewertungen, wie es<br />
einige AlternativpädagogInnen vorschlagen.<br />
Zw<strong>an</strong>g bleibt Zw<strong>an</strong>g, gleichgültig,<br />
wer ihn ausübt und wie er verschleiert<br />
wird.<br />
Vielleicht kommen Dir diese Worte jetzt<br />
etwas hart vor - weil eben Schule tatsächlich<br />
noch m<strong>an</strong>chmal Spaß macht.<br />
Wenn dem so ist, d<strong>an</strong>n aber nicht wegen,<br />
sondern trotz der Noten. Gäbe es<br />
nur das Schlechte <strong>an</strong> der Schule, gäbe<br />
es nicht noch ein paar idealistische<br />
LehrerInnen, die mal einen Film gukken<br />
oder mit der Klasse einen Spazierg<strong>an</strong>g<br />
machen etc., so gäbe es nicht<br />
nur weit mehr AlkoholikerInnen unter<br />
den SchülerInnen, sondern auch würde<br />
die Schule ob ihrer Unerträglichkeit<br />
schlichtweg <strong>zu</strong>sammenbrechen. Und<br />
Du hättest ein paar Sorgenfalten mehr<br />
im Gesicht - deshalb machen Noten<br />
häßlich.<br />
D<strong>an</strong>iel Loick
46 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Religionsunterricht abschaffen !<br />
Religionsunterricht ist das einzige Fach,<br />
in dem die Einseitigkeit der Lehrperson<br />
und die aktive Meinungsbeeinflussung<br />
der SchülerInnen nicht ein unerwünschtes<br />
Problem, sondern Konzept ist. Religionsunterricht<br />
dient der Missionierung.<br />
Das ist so im Grundgesetz und der daraus<br />
folgenden Gesetzgebung und<br />
Rechtsprechung klar geregelt. Schließlich<br />
fühlt sich der Staat dem Konkordat<br />
von 1933, das zwischen Vatik<strong>an</strong> und<br />
dem nationalsozialistischen Deutschl<strong>an</strong>d<br />
geschlossen wurde, verpflichtet. Religionsunterricht<br />
ist vollständig staatlich fin<strong>an</strong>ziert,<br />
doch die Inhalte und<br />
LehrerInnen bestimmen weitgehend die<br />
jeweiligen Großkirchen. Diese einseitige<br />
Bevor<strong>zu</strong>gung zweier gesellschaftlicher<br />
Kräfte in einem L<strong>an</strong>d<br />
k<strong>an</strong>n für <strong>auf</strong>geklärt <strong>denken</strong>de<br />
Menschen nicht akzeptabel<br />
sein.<br />
Die faktischen<br />
Einflussmöglichkeiten von<br />
ReligionslehrerInnen <strong>auf</strong><br />
SchülerInnen sind beschränkt.<br />
Vorh<strong>an</strong>den sind sie dennoch.<br />
Das finden viele halb so wild -<br />
schließlich können<br />
SchülerInnen (ab 14 Jahren)<br />
den Reli-Unterricht abwählen<br />
- <strong>zu</strong>mindest <strong>auf</strong> dem Papier. In der Praxis<br />
sieht es aber so aus, dass viele von<br />
der Reli-Abwahl absehen, weil ihnen die<br />
Eltern Streß machen, oder weil sie es<br />
sich nicht mit Reli-LehrerInnnen verderben<br />
wollen, die gleichzeitig noch ein <strong>an</strong>deres<br />
besonders wichtiges Fach unterrichten.<br />
Wesentlich übler sieht es für die aus,<br />
die später im Sozialbereich beruflich unterkommen<br />
möchten. Die Kirchen, Adenauers<br />
“Subsidaritätsprinzip” sei D<strong>an</strong>k,<br />
sind hier federführend. Auch wenn z.<br />
B. kirchliche Kr<strong>an</strong>kenhäuser oder Altenheime<br />
<strong>zu</strong> 100 Prozent öffentlich fin<strong>an</strong>ziert<br />
werden, hat die Kirche hier das<br />
alleinige Sagen. “Aha, mit 14 direkt den<br />
Religionsunterricht abgewählt und auch<br />
noch aus der Kirche ausgetreten? - Und<br />
da wollen Sie einE guteR<br />
Kr<strong>an</strong>kenpflegerln sein? Nee, ne, Gott be-<br />
wahre, Sie soll der Teufel holen...”<br />
Nichtsdestotrotz genießt Religionsunterricht<br />
eine gewisse Beliebtheit unter SchülerInnen.<br />
M<strong>an</strong>che nehmen gerne die guten Reli-Noten<br />
mit. Und nicht <strong>zu</strong>letzt gestalten viele engagierte<br />
Religionslehrerlnnen ihren Unterricht<br />
plural und interess<strong>an</strong>t. Knallharte Missionierung<br />
findet mensch fast nur noch im<br />
Grundschulbereich. Dass dies so ist, liegt<br />
nicht dar<strong>an</strong>, dass die Kirche ihr Privileg nicht<br />
wahrnehmen will, das sie so bevor<strong>zu</strong>gt. Es<br />
ist simpler Selbstschutz. Nur sol<strong>an</strong>ge der Reli-<br />
Unterricht ,,total harmlos“ oder ,,g<strong>an</strong>z interess<strong>an</strong>t”<br />
ist, k<strong>an</strong>n dieses Privileg gesellschaftlich<br />
gerechtfertigt und die Abmeldezahlen<br />
gering gehalten werden.<br />
Trotzdem ist die Zahl der Religionsunterrichts-VerweigerInnen<br />
ständig gestiegen.<br />
Deshalb gibt es in den meisten Bundesländern<br />
einen zw<strong>an</strong>gsweisen und<br />
l<strong>an</strong>gweiligen Ersat<strong>zu</strong>nterricht. Auch<br />
in NRW wird jetzt das Fach „praktische<br />
Philosophie“ als Strafmaßnahme<br />
für all diejenigen eingeführt, die<br />
nicht am Reli-Unterricht teilnehmen<br />
wollen.<br />
Bei der Kritik des Religionsunterrichtes<br />
darf eins nicht vergessen<br />
werden: Es geht dabei aber nicht<br />
nur um die Vermittlung christlicher<br />
Ideologie. Konfessioneller Religionsunterricht<br />
hat noch eine g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>dere Funktion:<br />
Er grenzt aus. Es wirkt eher amüs<strong>an</strong>t,<br />
dass KatholikInnen und Protest<strong>an</strong>tInnen ausein<strong>an</strong>der<br />
dividiert werden. Doch gibt es ja<br />
noch eine große Gruppe, die sowohl vom katholischen<br />
als auch vom ev<strong>an</strong>gelischen Unterricht<br />
ausgegrenzt wird: junge TürkInnen<br />
muslimischen Glaubens. Mit dem Religionsunterricht<br />
wird in der Schule also ein<br />
“türkInnenfreier Raum” geschaffen. Hier wird<br />
faktisch Rassismus betrieben, hier wird das<br />
umgesetzt, was Altk<strong>an</strong>zler Kohl meinte, wenn<br />
er sagte: “Türkinnen und Türken gehören<br />
nicht <strong>zu</strong>m abendländischen Kulturkreis.”<br />
Martin Budich
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 47<br />
Der verbotene Blick über den<br />
Tellerr<strong>an</strong>d<br />
“Die SV k<strong>an</strong>n im Rahmen des Auftrags der Schule<br />
schulpolitische, d.h. solche Bel<strong>an</strong>ge wahrnehmen,<br />
die die Schüler in ihrer durch den Besuch<br />
einer Schule und die Ausbildung gekennzeichneten<br />
spezifischen Situation unter Berücksichtigung<br />
des bildungspolitischen Gesamt<strong>zu</strong>sammenh<strong>an</strong>gs<br />
betreffen. ... Ein allgemeinpolitisches<br />
M<strong>an</strong>dat steht Schülervertretern und Schülervertretungen<br />
nicht <strong>zu</strong>.”<br />
So steht es im SV-Erlass des Kulusministeriums.<br />
Dieser Passus besagt also, dass SVen sich nur<br />
<strong>zu</strong> schulpolitischen bzw. schulspezifischen Problemen<br />
äußern dürfen, es sei denn, “die Schule”<br />
gibt ihnen den Auftrag, d.h. die Erlaubnis,<br />
die Schule im Zusammenh<strong>an</strong>g mit<br />
dem Rest der Welt <strong>zu</strong> sehen. Den Rest<br />
der Welt ohne direkten Schulbe<strong>zu</strong>g<br />
dürfen SchülerInnen-Vertretungen<br />
nicht beurteilen.<br />
Bis heute hat die Verwehrung des allgemeinpolitischen<br />
M<strong>an</strong>dates, also die<br />
Möglichkeit, sich <strong>zu</strong> allen gesellschaftlichen<br />
Themen äußern <strong>zu</strong> dürfen (und<br />
nicht nur <strong>zu</strong> schulpolitischen) eine<br />
Kontrollfunktion über SVen.<br />
Schulleitungen können SVen, die politische<br />
Positionen vertreten, die ihnen<br />
nicht in den Kram passen, einfach<br />
verbieten, z.B. ein Soli-Konzert<br />
für bei Atomtr<strong>an</strong>sporten verhaftete<br />
Menschen <strong>zu</strong> pl<strong>an</strong>en. Die SV ist also<br />
von der Schulleitung jedes Mal abhängig,<br />
wenn sie <strong>an</strong>dere Sachen macht,<br />
als <strong>an</strong> der Schulhofgestaltung oder<br />
der Pl<strong>an</strong>ung von Schulfesten mit<strong>zu</strong>wirken.<br />
Streng genommen dürfte eine<br />
SV noch einmal einen Antifa-Arbeitskreis gründen.<br />
Denn was hat Antifaschismus schon direkt<br />
mit Schule <strong>zu</strong> tun?<br />
Die Trennung zwischen allgemeinpolitischem<br />
und bildungspolitischem M<strong>an</strong>dat ist bewusst eingeführt<br />
worden. In den 70er Jahren schlossen<br />
sich viele SchülerInnen, denen die noch geringen<br />
Mitspracherechte der Schülermitverwaltung<br />
nicht ausreichten, außerschulischen<br />
SchülerInnengruppen <strong>an</strong>. Diese SchülerInnengruppen<br />
kritisierten nicht nur die Schule, son-<br />
dern stellten beim Blick über<br />
den Tellerr<strong>an</strong>d fest, dass der<br />
Rest der Welt auch nicht besser<br />
war. Sie schlossen sich<br />
den rebellierenden Studierenden<br />
<strong>an</strong> und kritisierten Schule<br />
im Zusammenh<strong>an</strong>g mit der<br />
Gesellschaft, in der sie lehrt.<br />
Als diese drohten, <strong>zu</strong> kritisch<br />
<strong>zu</strong> werden oder den Schulleitungen<br />
arg unliebsame Po-<br />
sitionen <strong>zu</strong> vertreten wurde es<br />
für die VertreterInnen der<br />
herrschenden Ordnung gefährlich.<br />
Sie ben<strong>an</strong>nten die<br />
SMV in SV um und stattete sie<br />
mit den Rechten aus, die SVen<br />
heute haben. Ein Großteil der<br />
außerschulischen<br />
SchülerInnenaktivistInnen<br />
versuchten nun, innerhalb der<br />
ihnen <strong>zu</strong>gest<strong>an</strong>denen Rechte
48 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
das beste draus <strong>zu</strong> machen - und verloren <strong>an</strong> Radikalität.<br />
Die kleine Gruppe SchülerInnen, die die SV-Erlasse<br />
für immer noch nicht ausreichend hielten, konnten<br />
getrost über<strong>hört</strong> werden. Sie waren nun nicht mehr<br />
so viel und deswegen nicht mehr gefährlich.<br />
Kritische SV-Arbeit ist seitdem schwieriger geworden.<br />
Wie soll SV-Arbeit auch kritisch sein, wenn mensch<br />
sich zwar beschweren darf, dass ein Lehrer Schülerinnen<br />
<strong>an</strong>macht ohne dabei patriachale Strukturen in dem<br />
Rest der Welt <strong>zu</strong> thematisieren? Wieso soll eine SV<br />
Demokratie-Defizite <strong>an</strong> der Schule (der Direx wird nicht<br />
gewählt, kein Stimmrecht in Fachkonferenzen, nur 1/<br />
6 bis ¼ der Stimmen in der Schulkonferenz ...) <strong>an</strong>pr<strong>an</strong>gern<br />
aber sich nicht für eine demokratischere Gesellschaft<br />
einsetzen dürfen (Wahlrecht für<br />
Migr<strong>an</strong>tInnen, Demokratisierung der Wirtschaft)? Wie<br />
soll eine SV eine Projektwoche gegen Rassismus <strong>an</strong><br />
der Schule machen ohne sich mit staatlichem Rassismus<br />
ausein<strong>an</strong>der<strong>zu</strong>setzen?<br />
Schule existiert nicht im luftleeren Raum. Sie produziert<br />
und reproduziert gesellschaftliche Widersprüche.<br />
Deswegen ist SchülerInnenpolitik ist nicht nur Schulpolitik<br />
- schließlich sind SchülerInnen ja auch nicht<br />
nur von schulpolitischen Entscheidungen betroffen: Jugendarbeitslosigkeit,<br />
Abschiebung, Rassismus, Gewalt<br />
gegen Homosexuelle, Sexismus, Armut, Umweltpolitik<br />
usw. sind Bereiche, die SchülerInnenr betreffen<br />
und <strong>zu</strong> denen sie sich deswegen auch äußern dürfen<br />
müssen!<br />
Sicherlich k<strong>an</strong>n mensch <strong>zu</strong> vielen Themen - gerade<br />
weil Schule ja Spiegelbild der Gesellschaft ist, <strong>auf</strong> die<br />
sie vorbereitet - irgendwie einen Zusammenh<strong>an</strong>g herstellen.<br />
Aber die Zeit, die sich eine SV dafür nimmt,<br />
möglichst unverfängliche Formulierungen für ihre coolen<br />
Aktionen <strong>zu</strong> überlegen, k<strong>an</strong>n sie nicht mehr nutzen,<br />
um <strong>an</strong> dem coolen Projekt weiter<strong>zu</strong>machen.<br />
Sarah Dellm<strong>an</strong>n
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 49<br />
Gymnasium ist asozial!<br />
Für die integrierte Gesamtschule als einzige Regelschule<br />
Um <strong>zu</strong> erläutern, warum die Integrierte<br />
Gesamtschule besser als das<br />
dreigliedrige Schulsystem ist, muss<br />
mensch erst einmal die Fehler und<br />
Mängel des herkömmlichen Schulsystems<br />
erkennen.<br />
Eines der <strong>auf</strong>fälligsten M<strong>an</strong>kos unseres<br />
Systems ist wohl die frühe Differenzierung<br />
<strong>auf</strong> die weiterführenden<br />
Schulen. Die allermeisten ExpertInnen<br />
sind der Meinung, dass nach vier<br />
Grundschuljahren keine Voraussagen<br />
über die <strong>zu</strong>künftige Entwicklung von<br />
SchülerInnen gemacht werden können.<br />
Die meisten <strong>an</strong>deren Industrienationen<br />
haben daraus die Konsequenz<br />
gezogen und verteilen die<br />
SchülerInnen erst nach sechs, acht<br />
oder noch mehr Jahren gemeinsamer<br />
Schulzeit <strong>auf</strong> die unterschiedlichen weiterführenden<br />
Schulen. Gute Beispiele<br />
hierfür sind Amerika, Jap<strong>an</strong>, Fr<strong>an</strong>kreich,<br />
Großbrit<strong>an</strong>nien und Italien.<br />
Doch sogar in diesen Ländern sind die<br />
Empfehlungen für die weiterführenden<br />
Schulen immer ungenau und höchst<br />
unsicher. In den Bundesländern der<br />
ehem. DDR <strong>zu</strong>m Beispiel, wo erst nach<br />
sechs Grundschuljahren differenziert<br />
wird, schaffen bis <strong>zu</strong> 73 % der nichtempfohlenen<br />
RealschülerInnen und bis<br />
<strong>zu</strong> 83 % (!!!) der nicht-empfohlenen<br />
GymnasiastInnen die Verset<strong>zu</strong>ng in die<br />
achte Klasse ohne Probleme.<br />
Die Einstufung in die Schultypen<br />
Ein zweites großes Problem ist die Einstufung<br />
der SchülerInnen in die drei<br />
Schultypen. Jede dieser drei Formen<br />
verl<strong>an</strong>gt nach einer/m „typischen<br />
SchülerIn“. Der Hauptschultyp soll in<br />
allen Fächern unterdurchschnittlich begabt,<br />
dafür aber praktisch ver<strong>an</strong>lagt<br />
sein. Der Realschultyp muss wohl all-<br />
gemein durchschnittlich begabt und<br />
technisch oder k<strong>auf</strong>männisch interessiert<br />
sein. Der Gymnasialtyp dagegen<br />
ist der absolute Überflieger in theoretischen<br />
Dingen, aber praktisch eine<br />
Null. JedeR von uns weiß, dass diese<br />
Vereinfachung der verschiedenen Persönlichkeiten<br />
absoluter Quatsch ist.<br />
Alle haben ihre Stärken und Schwächen<br />
in verschiedenen Fächern und<br />
keineR, der sein/ihr Mofa reparieren<br />
k<strong>an</strong>n, ist gleichzeitig eine Niete in<br />
Mathe und umgekehrt.<br />
All dies zeigt, dass Prognosen über die<br />
Eignung oder Nichteignung eines/r<br />
SchülerIn für diese oder jene Schule<br />
so sicher sind wie die Wettervorhersage<br />
für übernächste Woche.<br />
Sitzenbleiben ist sinnlos!<br />
Das nächste Problem liegt im<br />
dreigliedrigem System selbst. Alle wissen:<br />
Wer am Ende des Schuljahres<br />
zwei Fünfen hat, bleibt sitzen. Wer öfter<br />
mal sitzenbleibt, muss die Schule<br />
wechseln. Es klingt sehr simpel, doch<br />
diese Fakten beinhalten die Gründe für<br />
die unzähligen Geschichten der<br />
SchülerInnen über ihre Angst vor Klassenarbeiten<br />
und der Schule. Und außerdem<br />
- ist es notwendig, ein komplettes<br />
Jahr <strong>zu</strong> wiederholen nur weil<br />
mensch in zwei Fächern den Anforderungen<br />
nicht entsprochen hat? Die allermeisten<br />
von uns werden diese Frage<br />
wohl mit überzeugtem ,,Nein“ be<strong>an</strong>tworten<br />
können. Somit wäre die<br />
Sinnlosigkeit des Sitzenbleibens pädagogisch,<br />
bildungsökonomisch, psychologisch<br />
und volkswirtschaftlich<br />
deutlich bestätigt.
50 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
„Ch<strong>an</strong>cengleicheit heißt nicht,<br />
dass die Ch<strong>an</strong>cen für Reiche gleich<br />
gut und die für Arme gleich<br />
schlecht bleiben!“<br />
Hin<strong>zu</strong> kommt das Ungleichgewicht der<br />
sozialen Schichten in den einzelnen<br />
Schultypen. Einige Zahlen: Kinder aus<br />
Arbeiterfamilien besuchen <strong>zu</strong> fast 60%<br />
die Hauptschule, aber nur <strong>zu</strong> 10% ein<br />
Gymnasium. Kinder aus Beamtenoder<br />
Angestelltenfamilien besuchen <strong>zu</strong><br />
etwa 50% ein Gymnasium aber nur <strong>zu</strong><br />
ca. 18.% die Hauptschule. Erstaunlich,<br />
nicht wahr?!? Doch natürlich ist weder<br />
der Bildungsst<strong>an</strong>d der Eltern noch<br />
die soziale Schicht, in der mensch <strong>auf</strong>wächst<br />
entscheidend für seine/ihre<br />
Neigung und Interessen. Das zeigt uns,<br />
dass die Schulwahl nicht von Fähigkeiten<br />
und Neigungen, sondern von der<br />
Zugehörigkeit <strong>zu</strong> einer sozialen Schicht<br />
abhängig ist. Größere soziale Ungerechtigkeit<br />
ist kaum möglich. Außerdem<br />
k<strong>an</strong>n es so niemals <strong>zu</strong> sozialem<br />
Verständnis führen,<br />
denn HauptschülerInnen<br />
genauso wie<br />
Gymnasiastlnnen sind<br />
nur mit ihresgleichen<br />
<strong>zu</strong>sammen.<br />
Ch<strong>an</strong>cengleichheit !?<br />
In den 1960er Jahren<br />
wurde im Zuge der<br />
SchülerInnenbewegung<br />
und der Studierendenrevolte<br />
und der Forderung<br />
nach Bildung für<br />
alle mehrere Reformen<br />
beschlossen. Idee war,<br />
dass es eine Ch<strong>an</strong>cengleichheit<br />
für alle Schülerinnen und<br />
Schüler geben sollte, egal aus welcher<br />
sozialen Schicht m<strong>an</strong> herkam. So wurde<br />
z.B. das Bundes-Ausbildungs-<br />
Förderungs-Gesetz (BAFöG) verabschiedet,<br />
dass Studierenden, deren<br />
Eltern sich nicht das Studium ihrer Kinder<br />
leisten konnten, be<strong>an</strong>tragen konnten.<br />
Eine weitere Maßnahme <strong>zu</strong>r Verwirklichung<br />
der Ch<strong>an</strong>cengleichheit war<br />
die Einführung der Gesamtschule. Sie<br />
sollte die bestmögliche Förderung aller<br />
Schüler und Schülerinnen unabhängig<br />
von ihrer sozialen Herkunft sichern,<br />
Menschen mit Behinderung in eine<br />
„normale“ Schule gehen lassen und das<br />
Verständnis der verschiedenen sozialen<br />
Schichten und Kulturen fürein<strong>an</strong>der<br />
fördern.<br />
Von Ch<strong>an</strong>cengleichheit k<strong>an</strong>n im mehrgliedrigen<br />
Schulsystem keine Rede<br />
sein. Bereits nach der vierten Klasse<br />
wird entschieden, wer später die Ch<strong>an</strong>ce<br />
(keineswegs die Sicherheit!) hat,<br />
einen höher qualifizierten Beruf <strong>zu</strong> ergreifen<br />
und wer nicht. Das mehrgliedrige<br />
Schulsystem sichert Bildungsprivilegien<br />
für wenige - während die Elite<br />
das Gymnasium besucht, dürfen<br />
Real-, Haupt- und Sonderschule die<br />
„gescheiterten“ SchülerInnen einsammeln.<br />
Die brutale Aufgabe vor<strong>zu</strong>sortieren,<br />
wer später StraßenkehrerIn<br />
und wer M<strong>an</strong>agerIn wird, erfüllt die<br />
Schule ziemlich gut – und wenn <strong>zu</strong> viele<br />
das Abi machen und studieren wollen,<br />
wie derzeit, d<strong>an</strong>n schafft der Staat<br />
einfach mal eben das 13. Schuljahr ab<br />
oder verzinst das BAFÖG und verschärft<br />
so die Selektion.
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 51<br />
Die Idee der Integrierten Gesamtschule<br />
(IGS)<br />
Die Gesamtschule ist ein Schulsystem,<br />
in dem die Aufteilung nach der vierten<br />
Klasse nicht mehr existiert und alle<br />
SchülerInnen dieselbe Schulform besuchen.<br />
Somit wird der Idee, Ch<strong>an</strong>cengleichheit<br />
für alle <strong>zu</strong> gewährleisten, ein<br />
wenig nähergekommen.<br />
Das erste Hauptmerkmal der IGS ist<br />
der Kernunterricht. Kernunterricht ist<br />
der Unterricht der allen SchülerInnen<br />
<strong>zu</strong>sammen gegeben wird. Er soll den<br />
Aufbau von Freundschaften und der<br />
Klassengemeinschaft fördern und das<br />
Verständnis der Kinder aus verschiedenen<br />
sozialen Schichten fürein<strong>an</strong>der<br />
stärken. Wie viele und welche Fächer<br />
in jeder Stufe im Kernunterricht gegeben<br />
werden, ist von Schule <strong>zu</strong> Schule<br />
verschieden. Bis <strong>zu</strong>r 10 können z.B.<br />
Gesellschaftslehre, Kunst, Musik und<br />
Sport gemeinsam unterrichtet werden.<br />
Kursunterricht nennt mensch das<br />
nächste wichtige Merkmal der IGS. Es<br />
bedeutet, dass einige Fächer (z.B. Englisch<br />
und Mathe) mit verschiedenen<br />
Leistungs<strong>an</strong>sprüchen unterrichtet werden.<br />
Die leistungsstärkeren<br />
SchülerInnen besuchen die<br />
E(rweiterungs)-Kurse, die Leistungsschwächeren<br />
die G(rund)-Kurse. Das<br />
sorgt dafür, dass alle Schülerinnen ihren<br />
Fähigkeiten entsprechen gefördert<br />
werden können. So k<strong>an</strong>n eine Schülerin,<br />
die ihre Stärken in Mathe, ihre<br />
Schwächen in Deutsch und Englisch<br />
hat, ohne sitzen<strong>zu</strong>bleiben gefördert<br />
werden.<br />
Die Aufteilung heißt Differenzierung.<br />
Dabei muss mensch zwischen innerer<br />
und äußerer Differenzierung sowie<br />
Leistungs- und Neigungsdifferenzierung<br />
unterscheiden.<br />
Äußere Differenzierung ist das Aufteilen<br />
der SchülerInnen in verschieden<br />
<strong>an</strong>spruchsvolle Kurse, wie oben dargestellt.<br />
Innere Differenzierung bedeutet,<br />
dass nicht alle einer Klasse <strong>zu</strong>r gleichen<br />
Zeit das Gleiche <strong>lernen</strong> müssen.<br />
Die Klasse k<strong>an</strong>n in verschiedene Lern-<br />
gruppen <strong>auf</strong>geteilt werden, die verschiedene<br />
Aspekte eines Themas bearbeiten.<br />
Oft sind die Gruppen mit<br />
TeilnehmerInnen verschiedener Leistung,<br />
Herkunft und Interesse <strong>zu</strong>sammengesetzt<br />
und können sich so gegenseitig<br />
ergänzen und unterstützen.<br />
Häufig gibt es auch Lernkarteien, in denen<br />
z.B. Aufgaben gestellt werden, die<br />
alleine bearbeitet und kontrolliert werden<br />
können. Es k<strong>an</strong>n Zeit in den einzelnen<br />
Fächern für solche Freiarbeit bereitgestellt<br />
werden oder extra Stunden<br />
dafür eingepl<strong>an</strong>t werden, in denen die<br />
SchülerInnen nach einem selbst<strong>an</strong>gefertigten<br />
Wochenpl<strong>an</strong> frei arbeiten.<br />
So können Lücken<br />
ausgeglichen werden<br />
und Probleme<br />
mit dem Stoff mit<br />
Hilfe des/r Lehrers/in<br />
gelöst werden.Leistungsdifferenzierung<br />
ist<br />
das selbe wie äußere<br />
Differenzierung (s.o.).<br />
Neigungsdifferenzierung ist die Aufteilung<br />
der Schülerinnen nach ihren Interessen.<br />
Das ist auch schon in allen<br />
<strong>an</strong>deren Schulformen durchgesetztes<br />
Prinzip.<br />
Mensch k<strong>an</strong>n also nach der 6. und der<br />
8. Klasse wählen, welches <strong>zu</strong>sätzliche<br />
Fach er/sie noch <strong>lernen</strong> möchte. Dies<br />
nennt mensch d<strong>an</strong>n Wahlpflichtunterricht<br />
(WP). Fächer, die mensch<br />
häufig wählen k<strong>an</strong>n, sind z.B. 2. oder<br />
3. Fremdsprache, Technik, Arbeitslehre,<br />
Naturwissenschaften u.ä.. Das<br />
vierte Hauptmerkmal ist der Wahlunterricht.<br />
Dies sind Angebote <strong>an</strong> die<br />
Schülerinnen, <strong>auf</strong> die sie freiwillig eingehen<br />
können. Die Vielfalt dieser Angebote<br />
ist von Schule <strong>zu</strong> Schule verschieden<br />
und reicht im allgemeinen<br />
von Schulbücherei über verschiedenste<br />
Sportarten bis <strong>zu</strong> Bastel- und<br />
H<strong>an</strong>dwerkskursen. Dieses ermöglicht<br />
den SchülerInnen, neue Fertigkeiten <strong>zu</strong><br />
erwerben und mit SchülerInnen der<br />
g<strong>an</strong>zen Schule zw<strong>an</strong>glos <strong>zu</strong>sammen-
52 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
<strong>zu</strong>kommen. Wahlunterreicht oder<br />
Arbeitsgemeinschaften werden nicht<br />
benotet!<br />
Das fünfte und letzte Hauptmerkmal<br />
ist der G<strong>an</strong>ztagsbetrieb. Auch hier<br />
sind Dauer und Verpflichtung in jeder<br />
Schule <strong>an</strong>ders. Die G<strong>an</strong>ztagsschule<br />
geht <strong>auf</strong> die veränderten Lebensbedingungen<br />
der SchülerInnen<br />
ein und ermöglicht warmes, geregeltes<br />
Mittagessen in der Mensa,<br />
Haus<strong>auf</strong>gabenhilfe und sinnvolle<br />
Freizeitbeschäftigung in den Arbeitsgruppen<br />
für alle SchülerInnen.<br />
Konservative Einwände<br />
Dem Einw<strong>an</strong>d, dass die Gesamtschule<br />
Gleichmacherei betreibe, die<br />
Schwächeren mitgezogen und die<br />
Stärkeren gel<strong>an</strong>gweilt würden, liegt<br />
eine recht konservative Auffassung<br />
des Begriffs „Leistung“ <strong>zu</strong>grunde.<br />
Natürlich gibt es Menschen, die den<br />
Anforderungen, die die Schule <strong>an</strong> die<br />
Menschen stellt, besser gerecht werden<br />
als <strong>an</strong>dere. Doch Menschen haben<br />
Stärken und Schwächen - während<br />
die eine ihr Mofa reparieren<br />
k<strong>an</strong>n, k<strong>an</strong>n der <strong>an</strong>dere besser t<strong>an</strong>zen.<br />
Warum sollen diese Menschen<br />
sich nicht gegenseitig bei ihren<br />
Schwierigkeiten helfen? Das<br />
dreigliedrige Schulsystem setzt Menschen<br />
voraus, die im stetigen Konkurrenzkampf<br />
ihren Ellenbogen einsetzen<br />
müssen. Dies widerspricht<br />
einem Bild von solidarischem Lernen<br />
und Leben.<br />
Deshalb ist Gesamtschule gerade<br />
keine Gleichmacherei. Nur die Gesamtschule<br />
k<strong>an</strong>n den/die EinzelneN<br />
mit ihren/seinen individuellen Fähigkeiten<br />
und Bedürfnissen fördern.<br />
Dabei setzt sie einen Lernbegriff voraus,<br />
bei dem sich Menschen gegenseitig<br />
helfen und unterstützen, statt<br />
gegenein<strong>an</strong>der um Punkte und Noten<br />
<strong>zu</strong> ringen.<br />
M<strong>an</strong>che Leute behaupten, dass mit<br />
der Gesamtschule ein Niveauverlust<br />
drohe, weil alle das Abi bekämen<br />
und es d<strong>an</strong>n mit dem St<strong>an</strong>dort bergab<br />
ginge. Dieses Argument ordnet Bildung<br />
einzig und allein der wirtschaftlichen Verwertbarkeit<br />
unter. Unser Verständnis von<br />
Bildung jedoch ist es, dass der Staat Bildung<br />
für die BürgerInnen <strong>zu</strong> gewährleisten<br />
hat - g<strong>an</strong>z egal, was sie später damit<br />
<strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen können und wollen. Bildung<br />
und Wirtschaft müssen grundsätzlich<br />
den Bedürfnissen, Interessen, Neigungen<br />
und Anforderungen der Menschen<br />
genügen, nicht umgekehrt! Deshalb<br />
ist es auch egal, wenn g<strong>an</strong>z viele<br />
Leute studieren und Abi machen.<br />
Probleme<br />
Viele der <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gs gen<strong>an</strong>nten Probleme<br />
des dreigliedrigen Schulsystems können<br />
durch die IGS gelöst werden. Trotzdem<br />
ist die Integrierte Gesamtschule natürlich<br />
nicht der Weisheit letzter Schluss,<br />
denn auch in ihr existieren noch Frontalunterricht,<br />
Noten, die Autorität der<br />
LehrerInnen usw.<br />
Die größte Macke des IGS ist ihre Koexistenz<br />
neben dem dreigliedrigen System.<br />
Der Sinn der Gesamtschule, eine<br />
Schule für alle und damit eine grundlegende<br />
Ch<strong>an</strong>cengleichheit <strong>zu</strong> schaffen,<br />
wird so völlig ausgehöhlt: Eltern, die für<br />
ihr Kind eine bessere Bildung wollen,<br />
schicken ihr Kind natürlich <strong>auf</strong> eine Privatschule<br />
oder <strong>auf</strong> das Gymnasium. So<br />
wird die Idee des solidarischen Lernens,<br />
bei dem schwächere von stärkeren<br />
SchülerInnen profitieren, unmöglich gemacht.<br />
Deswegen fordern wir die Integrierte<br />
Gesamtschule als einzige Regelschule.<br />
Viele GegnerInnen der Integrierten Gesamtschule<br />
wenden ein, dass es „da so<br />
viel Gewalt gibt“. Statistisch gesehen<br />
mag das sogar stimmen. Doch die Gewalt<br />
<strong>an</strong> Gesamtschulen wird <strong>zu</strong>m groben<br />
Teil erst durch das mehrgliedrige<br />
Schulsystem erzeugt: Durch das Nebenein<strong>an</strong>der<br />
von Gymnasium und Gesamtschule<br />
werden Kinder aus „sozialen<br />
Brennpunkten“ <strong>auf</strong> die Gesamtschule abgeschoben.<br />
Diese k<strong>an</strong>n deshalb ihre<br />
Integrationsfunktion nicht in <strong>an</strong>gemes-
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 53<br />
sener Weise erfüllen.<br />
Klar: Wo<br />
es keine<br />
Migr<strong>an</strong>tIn-nen<br />
gibt, gibt es<br />
kaum ein Problem<br />
mit Rassismus,<br />
<strong>auf</strong> reinen<strong>Junge</strong>nschulen<br />
gibt es<br />
kein Problem<br />
mit blöder sexistischerAnmache<br />
und <strong>an</strong><br />
Schulen, die nur<br />
von Millionärskindern<br />
besucht<br />
werden, gibt es<br />
sicherlich kein<br />
Problem mit<br />
Diebstahl. Die<br />
Trennung führt<br />
aber nicht da<strong>zu</strong>,<br />
dass m<strong>an</strong> lernt,<br />
mitein<strong>an</strong>der<br />
um<strong>zu</strong>gehen und<br />
Vorurteile ab<strong>zu</strong>bauen,<br />
eher im<br />
Gegenteil. (Abgesehen<br />
davon<br />
ist Gewalt immer<br />
<strong>an</strong> Schulen<br />
präsent - nur,<br />
von der <strong>an</strong>deren<br />
Seite. SchülerInnenwerden<br />
in Schule<br />
systematisch<br />
getriezt, kaputt<br />
gemacht, geärgert,diszipliniert<br />
und <strong>zu</strong>rechtgestutzt,<br />
durch Noten,<br />
Prüfungen,<br />
LehrerInnen.<br />
Für uns ist auch das m<strong>an</strong>ifeste Gewalt<br />
- nur eben offiziell und g<strong>an</strong>z legal).<br />
Sparmaßnahmen<br />
Seit der Eröffnung der ersten Gesamt-<br />
schulen hat sich die Situation verschlechtert.<br />
Insbesondere in den<br />
1990er Jahren wurden derart massive<br />
Einsparungen im Bildungsbereich<br />
vorgenommen, so dass die grundsätzliche<br />
Idee der IGS mit der Realität<br />
kaum noch ähnlich ist: Durch den<br />
LehrerInnenm<strong>an</strong>gel ist der Nachmittagsunterricht<br />
nicht gedeckt, Wahlunterricht<br />
und Arbeitsgemeinschaften<br />
werden <strong>zu</strong>erst gekürzt, die Stunden,<br />
in denen betreut Haus<strong>auf</strong>gaben gemacht<br />
werden können, fallen weg, das<br />
Mittagessen ist von schlechter Qualität,<br />
personalintensive Konzepte wie die<br />
der Gruppenarbeit oder auch der<br />
Binnendifferenzierung werden <strong>zu</strong>rückgefahren.<br />
In Zeiten des massiven<br />
Sozialabbaus sind halt Schlagworte<br />
wie „Ch<strong>an</strong>cengleichheit“ und „solidarisches<br />
Lernen“ nicht mehr hip.<br />
Nichts desto trotz lohnt es sich für die<br />
Gesamtschule ein<strong>zu</strong>treten: Ist sie doch<br />
die einzige Schulform, die den Anspruch<br />
<strong>auf</strong> Ch<strong>an</strong>cengleichheit und solidarisches<br />
Lernen nicht <strong>auf</strong>gegeben<br />
hat.<br />
Pro Gesamtschule<br />
Die Gesamtschule ist sicherlich nicht<br />
das Nonplusultra. Auch in der Gesamtschule<br />
gibt es noch Noten, gibt es noch<br />
Autorität, Konkurrenz und Leistungsdruck.<br />
Lernen, wie wires uns vorstellen,<br />
ist auch in der Gesamtschule nicht<br />
möglich. Unter den bestehenden<br />
Schulformen jedoch erscheint uns die<br />
Gesamtschule als die<br />
unterstützenswerteste Schulform. Sie<br />
ist zwingende Vorausset<strong>zu</strong>ng für jede<br />
em<strong>an</strong>zipatorische weitergehende Reform.<br />
Deshalb treten wir entschieden<br />
für die Gesamtschule als einzige Regelschule<br />
in NRW und überall ein!<br />
Julia Lünig, Sarah Dellm<strong>an</strong>n
54 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Die Zukunft besetzen<br />
Tipps und Tricks für SVen<br />
Wenn ihr den Reader bis hierhin gelesen<br />
habt, d<strong>an</strong>n habt ihr vielleicht<br />
selber schon g<strong>an</strong>z viele Ideen gesammelt<br />
und wollt nun endlich etwas<br />
tun um Aufmerksamkeit <strong>zu</strong> erregen<br />
(oder um Spaß dabei <strong>zu</strong> haben<br />
natürlich). In diesem Kapitel<br />
sind deswegen Aktionstipps (und<br />
<strong>an</strong>dere nützliche Hinweise) <strong>auf</strong>gelistet,<br />
ihr könnt so nachlesen<br />
was alles <strong>zu</strong> beachten ist oder ihr<br />
findet vielleicht sogar noch ein<br />
paar neue Ideen. Auch wenn die<br />
g<strong>an</strong>ze Zeit von SVen die Rede ist,<br />
das meiste könnt ihr natürlich<br />
auch außerhalb der SV machen.<br />
Erkundigt euch vor den Aktionen<br />
(vor allem wenn sie außerhalb<br />
der Schule stattfinden) bitte noch<br />
einmal bei eurer Stadt oder Polizei<br />
nach neuen rechtlichen Vorschriften,<br />
die können sich nämlich<br />
immer ändern oder variieren,<br />
wir können daher keinerlei Haftung<br />
für fehlerhafte Aussagen<br />
und daraus folgende Konsequenzen<br />
übernehmen (das <strong>hört</strong> sich<br />
jetzt ziemlich dramatisch <strong>an</strong>, ist<br />
es aber gar nicht).<br />
Jetzt geht`s aber los:<br />
Ausstellung/W<strong>an</strong>dzeitungen:<br />
Wenn ihr ein bestimmtes Thema<br />
ausführlich/ öffentlich darstellen<br />
wollt, könnt ihr das in Form von einer<br />
Ausstellung oder einer themenorientierten<br />
W<strong>an</strong>dzeitung tun.<br />
Rechtlich gesehen ist das nicht besonders<br />
schwierig, ihr legt einfach<br />
ca. 4 Wochen vorher eurer<br />
Schulleitung ein grobes Konzept vor<br />
(in dem ihr Thema, Ort, Dauer, Anzahl<br />
der Stellwände nennt) und ihr<br />
könnt <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen. Wenn eure<br />
Schulleitung nett ist, geht das meist<br />
auch mit kürzerer Vorl<strong>auf</strong>zeit.<br />
Plakate:<br />
Plakatieren könnt ihr in der Stadt und in<br />
der Schule, in der Schule dürft ihr das<br />
grundsätzlich, soweit <strong>auf</strong> den Plakaten<br />
keine kommerzielle Werbung <strong>zu</strong> finden<br />
ist (wenn ihr nicht wollt, das eure Plakate<br />
von bösartigen LehrerInnen sofort wiederabgerissen<br />
werden,<br />
d a n n<br />
zeigt ihr<br />
sie am<br />
besten<br />
vorher<br />
d e r<br />
Schulleitung).<br />
Wollt ihr<br />
in der<br />
Stadt plakatieren,<br />
müsst ihr<br />
das 4<br />
Tage vorher<br />
beim<br />
O r d -<br />
nungsamt<br />
<strong>an</strong>melden oder nur mit Tesafilm kleben,<br />
weil das leicht wieder <strong>zu</strong> entfernen<br />
ist. Wenn ihr illegal plakatiert (was wir<br />
niemals unterstützen würden) solltet ihr<br />
Stromkästen schonen und über <strong>an</strong>dere<br />
Plakate drüber kleistern, sonst wird es<br />
wegen Sachbeschädigung ziemlich teuer.<br />
SV-Brett:<br />
Als SV habt ihr (nach SV-Erlass §1,9) das<br />
Recht <strong>auf</strong> ein SV-Brett, <strong>an</strong> dem ihr Notizen,<br />
Plakate und Neuigkeiten aller Art<br />
<strong>auf</strong>hängen könnt.<br />
Flugblätter:<br />
Verteilt ihr Zettel in der Schule, müsst<br />
ihr das gleiche beachten wie beim Plakatieren,<br />
in der Stadt könnt ihr sie einfach
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 55<br />
so verteilen. Tipps <strong>zu</strong>m Erstellen von<br />
Flugblättern findet ihr im „Tipps und<br />
Tricks-Reader“ der <strong>JungdemokratInnen</strong>/<strong>Junge</strong><br />
Linke.<br />
Unterschriften sammeln:<br />
Wenn ihr für die Unterschriften durch<br />
die Klassen gehen wollt, meldet es vorher<br />
bei der Schulleitung <strong>an</strong>, damit ihr<br />
erfahrt, in welchen Klassen Arbeiten<br />
geschrieben werden (wenn ihr aus <strong>an</strong>deren<br />
Gründen durch die Klassen geht<br />
ist es auch sinnvoll vorher nach<strong>zu</strong>fragen,<br />
schon allein um eine Antwort für<br />
genervte LehrerInnen <strong>zu</strong> haben, die<br />
nicht wollen, dass ihr heiliger Unterricht<br />
gestört wird).<br />
Konzert:<br />
Wenn ihr <strong>an</strong> eurer Schule ein Konzert<br />
ver<strong>an</strong>stalten wollt, müsst ihr das erst<br />
mal natürlich mit der Schulleitung und<br />
dem/der HausmeisterIn abklären. Meistens<br />
muss das Konzert d<strong>an</strong>n schon<br />
relativ früh enden, weil ihr sonst die<br />
Nachtruhe der NachbarInnen stört (die<br />
sollten sowieso vorher benachrichtigt<br />
werden). Es ist daher meistens nicht<br />
schlecht, in eine öffentliche Einrichtung<br />
aus<strong>zu</strong>weichen (ihr müsst euch da d<strong>an</strong>n<br />
nach den Vorschriften erkundigen).<br />
Grundsätzlich ist es sinnvoll die Kar-<br />
ten nicht teurer als 4,99 DM <strong>zu</strong> machen,<br />
weil ihr sonst theoretisch Abgaben<br />
<strong>an</strong> die Stadt zahlen müsst.<br />
Projekttage/-wochen:<br />
Dafür müsst ihr relativ viel Vorbereitung<br />
einpl<strong>an</strong>en, es ist also sinnvoll<br />
schon ca. 1 Jahr vorher einen Antrag<br />
<strong>an</strong> die Schulkonferenz <strong>zu</strong> stellen ( in<br />
dem Zeitrahmen, Motto, usw. <strong>an</strong>gegeben<br />
sind). Aufgrund des großen<br />
Org<strong>an</strong>isations<strong>auf</strong>w<strong>an</strong>des ist es meistens<br />
g<strong>an</strong>z gut nette LehrerInnen in<br />
die Vorbereitung ein<strong>zu</strong>beziehen (müsst<br />
ihr natürlich nicht tun).<br />
Podiumsdiskussion:<br />
Soll die Podiumsdiskussion in der Schule<br />
stattfinden, müsst ihr vorher einen<br />
Antrag über die Schulleitung <strong>an</strong> die<br />
Stadt <strong>zu</strong>r Raumnut<strong>zu</strong>ng stellen. In öffentlichen<br />
Gebäuden klärt ihr den<br />
rechtlichen Kram am besten mit dem/<br />
der LeiterIn. Es ist wichtig für eine Podiumsdiskussion<br />
eineN gut<br />
vorbereiteteN ModeratorIn <strong>zu</strong> haben<br />
und sich ein Konzept für den Abl<strong>auf</strong><br />
aus<strong>zu</strong><strong>denken</strong>. Die zentralen Fragen<br />
lasst ihr den Podiumsgästen am besten<br />
vorher <strong>zu</strong>kommen.<br />
Infostände:<br />
Wollt ihr <strong>an</strong> eurer<br />
Schule einen Infotisch<br />
<strong>auf</strong>stellen, klärt<br />
ihr das Rechtliche am<br />
besten vorher mit<br />
eurer Schulleitung.<br />
Soll der Infost<strong>an</strong>d in<br />
die Innenstadt,<br />
müsst ihr einen Antrag<br />
<strong>zu</strong>r Sondernut<strong>zu</strong>ng<br />
eines bestimmten<br />
Platzes <strong>an</strong><br />
das Ordnungsamt<br />
stellen. In diesem<br />
Antrag muss der Ort,<br />
die benötigte Fläche, die Zeit und der/<br />
die Ver<strong>an</strong>twortliche bezeichnet sein.
56 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Sportfest crashen:<br />
Ihr habt euch sicherlich auch schon mal<br />
über dieses ewig nervende Sportfest<br />
geärgert und über die widerliche Präsentation<br />
der Besten, Tollsten, Schnellsten,....<br />
Wenn ihr das diesmal ändern<br />
wollt und in der SV-Kasse etwas Geld<br />
übrig habt, d<strong>an</strong>n könntet ihr ja einfach<br />
mal die „schlechtesten“ 3 Plätze<br />
prämieren. Und wenn die Preise gut<br />
genug sind, könnt ihr ziemlich sicher<br />
sein, dass eure MitschülerInnen feststellen<br />
werden, dass es gar nicht so<br />
einfach ist am l<strong>an</strong>gsamsten die 100m<br />
<strong>zu</strong> bewältigen oder nur 1mm weit <strong>zu</strong><br />
springen.<br />
Noten-Abschaffen-Aktion:<br />
Da bei einer Noten-abschaffen-Aktion<br />
mit Zeugnisverbrennung eine g<strong>an</strong>ze<br />
Reihe von Org<strong>an</strong>isations<strong>auf</strong>gaben <strong>an</strong>fallen,<br />
ist es gut, möglichst l<strong>an</strong>gfristig<br />
<strong>zu</strong> pl<strong>an</strong>en. Als Termin bietet sich logischerweise<br />
der Zeugnistag <strong>an</strong>. Im Vorfeld<br />
ist es sinnvoll, ein Flugblatt <strong>zu</strong><br />
schreiben, das vor möglichst vielen<br />
Schulen in der Umgebung verteilt wird.<br />
Außerdem sollte der Termin samt Ort<br />
und Zeit in vielen Zeitschriften <strong>an</strong>gekündigt<br />
werden. Dies muss frühzeitig<br />
geschehen, da viele Zeitschriften nicht<br />
so häufig erscheinen und daher oft<br />
frühzeitig Redaktionsschluss haben.<br />
Die Zeugnisverbrennung muss d<strong>an</strong>n<br />
mindestens drei Tage vor dem Zeugnistag<br />
als politische Kundgebung (z.B.<br />
gegen Notendruck und<br />
Leistungswahn) <strong>an</strong>gemeldet<br />
werden.<br />
Da es in der Bundesrepublik<br />
verboten ist, offizielle Dokumente<br />
<strong>zu</strong> verbrennen und einige<br />
Leute ihr Zeugnis sicherlich<br />
behalten wollen (Urlaubsgeld<br />
von Oma, <strong>zu</strong>r Bewerbung<br />
für einen Ausbildungsplatz),<br />
ist es sinnvoll, Kopien<br />
(alter) Zeugnisse mit<strong>zu</strong>bringen.<br />
Der Effekt und die symbolische<br />
Wirkung leiden auch<br />
nicht ernsthaft darunter.<br />
Außerdem ist es wichtig vorher den<br />
org<strong>an</strong>isatorischen Kram gründlich <strong>zu</strong><br />
pl<strong>an</strong>en: Wo/Wie werden die Zeugnisse<br />
verbr<strong>an</strong>nt? Wer sagt was da<strong>zu</strong>? Gibt<br />
es einen Infotisch? Werden Plakate gedruckt?<br />
Wer kümmert sich darum, dass<br />
alle notwendigen Materialien da<br />
sind?....<br />
Anti-Noten-Frühstück:<br />
Um in eurer SV oder mit ein paar mehr<br />
Leuten gemütlich inhaltlich <strong>zu</strong> einem<br />
Thema <strong>zu</strong> diskutieren, könnt ihr auch<br />
mal <strong>zu</strong> einem Frühstück einladen. Ihr<br />
könnt d<strong>an</strong>n währenddessen z.B. über<br />
die Unsinnigkeit von Noten diskutieren<br />
und wenn ihr Lust habt, könnt ihr<br />
hinterher noch direkter <strong>an</strong> einem Text<br />
arbeiten. Damit beim Frühstück auch<br />
was inhaltliches rumkommt, ist es<br />
wichtig das gut vor<strong>zu</strong>bereiten und nicht<br />
zwischendurch <strong>zu</strong> vergessen, worum<br />
es eigentlich ging. Das gute <strong>an</strong> dieser<br />
Aktion ist, dass gar nicht wirklich viel<br />
schief gehen k<strong>an</strong>n, denn selbst wenn<br />
ihr vom Thema abschweift, die Ch<strong>an</strong>ce,<br />
dass es einfach ein netter Vormittag<br />
wird, ist ziemlich groß.<br />
Demonstrationen:<br />
Zu Demonstrationen <strong>auf</strong>rufen ist als SV<br />
etwas kritisch, weil jede SV nur ein<br />
bildungspolitisches M<strong>an</strong>dat hat (das<br />
bedeutet, dass ihr theoretisch nur <strong>zu</strong><br />
bildungspolitischen Themen etwas sagen<br />
dürft). Auf Demonstrationen hin-
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 57<br />
weisen dürft ihr aber. Wenn ihr <strong>zu</strong> einer<br />
Demo geht, die während der<br />
Schulzeit stattfindet, könnt ihr dafür<br />
bestraft werden.<br />
Wenn ihr selbst eine Demo org<strong>an</strong>isieren<br />
wollt, müsst<br />
ihr eine g<strong>an</strong>ze<br />
Menge beachten.AusführlicheInformationen<br />
gibt es<br />
im „Tipps<br />
und Tricks-<br />
Reader“,<br />
hier nur ein<br />
paar kurze<br />
Hinweise:<br />
Grundsätzlich<br />
müssen<br />
Demonstrationen<br />
48<br />
Stunden vor der<br />
öffentlichen Bek<strong>an</strong>ntgabe<br />
bei der<br />
<strong>zu</strong>ständigen Behörde<br />
( in der Regel Polizei<br />
oder Ordnungsamt) unter<br />
Angabe des Gegenst<strong>an</strong>des und einer<br />
ver<strong>an</strong>twortlichen Person <strong>an</strong>gemeldet<br />
werden. Außerdem braucht ihr pro 50<br />
TeilnehmerInnen eineN OrdnerIn (über<br />
18 Jahre). Dass es sinnvoll ist, vor der<br />
Demo <strong>auf</strong> alle möglichen Arten wie<br />
bekloppt <strong>zu</strong> werben ist so selbstverständlich<br />
wie offensichtlich.<br />
Öffentlichkeit:<br />
Bei einigen dieser Aktionen ist es sinnvoll<br />
die Presse ein<strong>zu</strong>laden, damit sie<br />
möglichst viel Gehör finden. Ihr müsst<br />
dabei beachten, dass bei Aktionen in<br />
der Schule grundsätzlich die<br />
Schulleitung gefragt werden muss.<br />
Da JournalistInnen häufig keine Zeit<br />
haben, großartig <strong>zu</strong> recherchieren und<br />
eigene Formulierungen <strong>zu</strong> finden,<br />
macht es Sinn, eine Pressemappe <strong>zu</strong><br />
erstellen, die d<strong>an</strong>n bei der Aktion/Ver<strong>an</strong>staltung<br />
<strong>an</strong> die JournalistInnen verteilt<br />
wird. In dieser sollten alle Pres-<br />
semitteilungen, das Flugblatt, Forderungen<br />
und sonstige Publikationen <strong>zu</strong>m<br />
Thema enthalten sein.<br />
Außerdem ist es g<strong>an</strong>z wichtig, das alle<br />
Ver<strong>an</strong>twortlichen sich mit<br />
dem Thema der Ver<strong>an</strong>staltung<br />
gut auskennen,<br />
damit<br />
niem<strong>an</strong>d vor den<br />
JournalistInnen<br />
rumstottert.<br />
Das wars<br />
erstmal. Es<br />
gibt sicherlich<br />
noch<br />
viel mehr<br />
Dinge, die<br />
ihr tun<br />
könnt und<br />
wenn ihr noch<br />
tolle Ideen<br />
habt, die beim<br />
nächsten Mal<br />
auch hier im Reader<br />
stehen sollen, d<strong>an</strong>n meldet<br />
euch einfach bei uns und<br />
erzählt davon. Viel Spaß bei allem was<br />
ihr tut,<br />
Carola Pohlen
58 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
Fight for your Right!<br />
Kaum <strong>zu</strong> glauben - auch SchülerInnen haben Rechte<br />
Die Schule ist ein sehr hierarchisch und<br />
undemokratisch org<strong>an</strong>isierter Raum, allerdings<br />
kein rechtsfreier. Auch wenn es<br />
oft so scheint, müssen sich<br />
SchülerInnen nicht alles bieten lassen<br />
und haben <strong>zu</strong>m Teil mehr Rechte, als<br />
sie und die LehrerInnen <strong>denken</strong>. Auf der<br />
<strong>an</strong>deren Seite ist es auch oft so, dass<br />
in den Gesetzestexten genau steht, <strong>auf</strong><br />
welche undemokratische Weise der<br />
Schulalltag <strong>zu</strong> org<strong>an</strong>isieren ist und welche<br />
Rechte SchülerInnen auch alle nicht<br />
haben. Ein genaues Wissen darüber und<br />
ein ständiges Einfordern der eigenen -<br />
<strong>zu</strong>m Teil durch die SchülerInnenbewegung<br />
erkämpften - Rechte k<strong>an</strong>n jedoch<br />
nicht schaden.<br />
Es gibt zwei wichtige Gesetzestexte für<br />
den Schulalltag, die Allgemeine<br />
Schulordnung (ASchO) und das<br />
Schulmitwirkungsgesetz (SchMG).<br />
In der ASchO werden die meisten Dinge<br />
des Schulalltags geregelt: Noten,<br />
Haus<strong>auf</strong>gaben, Strafen, Abschreiben,<br />
Klausuren, (unentschuldigtes) Fehlen<br />
und vieles mehr. Eine genaue Kenntnis<br />
lohnt sich, gegen die ASchO wird regelmäßig<br />
<strong>an</strong> allen Schulen verstoßen.<br />
Oft kennen die LehrerInnen selbst die<br />
Regelungen nicht so g<strong>an</strong>z genau und<br />
sind recht leicht durch das Zeigen des<br />
Gesetzestextes beeindruckt. Wobei der<br />
Text des Gesetzes sehr ungenau und<br />
unverständlich ist, mensch sollte daher<br />
eine ASchO mit Kommentar verwenden<br />
(am meisten - auch vor Gericht - wird<br />
die ASchO mit Kommentar von Pöttgen/<br />
Jehkul/Zaun aus dem Wingen Verlag<br />
Essen verwendet, der Kommentar hat<br />
für den Schulalltag praktisch Rechtswirkung).<br />
Hier ein paar beliebte Beispiele, wie täglich<br />
in der Schule gegen geltendes<br />
Schulrecht verstoßen wird. Es dürfen<br />
nur zwei Klassenarbeiten in einer Woche<br />
geschrieben werden (in der Sek. II<br />
allerdings drei Klausuren), drei Klassenarbeiten<br />
in einer Woche sind nur als<br />
g<strong>an</strong>z seltene Ausnahme <strong>zu</strong>lässig, die<br />
KlassenlehrerInnen haben <strong>zu</strong> koordinieren,<br />
dass es erst gar nicht <strong>zu</strong> solchen<br />
Ausnahmen kommt. An einem Tag dürfen<br />
gar nicht erst zwei Klassenarbeiten<br />
oder eine Klassenarbeit und ein Test geschrieben<br />
werden. (§22 ASchO)<br />
Tests dürfen nicht länger als 20 Minuten<br />
sein, sie dürfen nicht den Charakter<br />
einer Klassenarbeit haben. Dementsprechend<br />
darf sich der Test maximal<br />
nur <strong>auf</strong> den Stoff der letzten zwei Wochen<br />
beziehen und darf nicht mehr als<br />
eine mündliche Note zählen. (§22<br />
ASchO)<br />
Haus<strong>auf</strong>gaben werden in der Regel nicht<br />
zensiert, auch mündliche Haus<strong>auf</strong>gaben<br />
durch einen Test ab<strong>zu</strong>fragen und dadurch<br />
doch <strong>zu</strong> zensieren ist verboten.<br />
Auch hier müssen Abweichungen selten<br />
und begründet sein, wenn mensch<br />
<strong>zu</strong> Hause ein Referat vorbereitet k<strong>an</strong>n<br />
dieses natürlich schon benotet werden.<br />
Daraus ergibt sich auch, dass einmal<br />
Haus<strong>auf</strong>gaben nicht erledigen, nicht<br />
sofort mit einer fünf oder sechs bewertet<br />
werden darf. Erst wenn dieses regelmäßig<br />
geschieht, k<strong>an</strong>n sich dies negativ<br />
in der Zensur niederschlagen. (§23<br />
ASchO)<br />
Strafarbeiten, die nur <strong>zu</strong>r Disziplinierung<br />
dienen, dürfen nicht <strong>auf</strong>geben werden<br />
(insbesondere sinnloses Abschreiben<br />
von Buchseiten, Hausordnungen oder<br />
das Philosophieren darüber, warum<br />
mensch im Pausenhof nicht Rauchen<br />
darf). Haus<strong>auf</strong>gaben müssen immer aus<br />
dem Unterricht entstehen und didaktisch<br />
(also aus dem Unterrichtsstoff) begründbar<br />
sein, nur in begründeten Fällen<br />
dürfen bei unterschiedlichem Lernfortschritt<br />
einzelnen SchülerInnen unterschiedliche<br />
Haus<strong>auf</strong>gaben erteilt<br />
werden. (§23 ASchO)<br />
Insbesondere bei Bestrafungen wird oft<br />
gegen die Bestimmungen verstoßen. Ein<br />
Aufzählen der einzelnen Regelungen<br />
würde hier <strong>zu</strong> weit führen, ein Blick in
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 59<br />
den §13 der ASchO lohnt sich <strong>auf</strong> jeden<br />
Fall.<br />
Was also machen, wenn einE LehrerIn<br />
gegen die ASchO verstößt? Erstmal im<br />
Gespräch dar<strong>auf</strong> hinweisen, vielleicht<br />
weiß sie es ja nicht besser. Falls er/sie<br />
sich d<strong>an</strong>n weigert ein<strong>zu</strong>sehen, dass er/<br />
sie im Unrecht ist, ist das weitere Vorgehen<br />
recht gut <strong>zu</strong> überlegen. Zum einen,<br />
weil mensch sich durch ein ständiges<br />
Pochen <strong>auf</strong> unbeliebt machen und<br />
d<strong>an</strong>n entsprechend schlechtere Zensuren<br />
kassieren k<strong>an</strong>n. Das ist natürlich un<strong>zu</strong>lässig,<br />
aber einem Lehrer/einer Lehrerin<br />
auch sehr schwer nachweisbar.<br />
Zum zweiten, weil mensch sich durchaus<br />
überlegen sollte, ob es sich lohnt,<br />
wegen eines Tests, der 30 statt 20 Minuten<br />
gedauert hat, das Schulklima<br />
dauerhaft <strong>zu</strong> verpesten. Im Zweifelsfall<br />
gilt aber: “you’ve gotta fight for your<br />
right!”. Ansprechbar wären erstmal<br />
SchülerInnensprecherIn,<br />
KlassenlehrerIn oder SV-LehrerIn, mit<br />
diesen k<strong>an</strong>n gemeinsam überlegt werden,<br />
wie vor<strong>zu</strong>gehen ist. Vielleicht k<strong>an</strong>n<br />
ja in einem gemeinsamen Gespräch mit<br />
diesen und dem/der entsprechenden<br />
LehrerIn das Problem gelöst werden.<br />
Hilft das auch nichts, k<strong>an</strong>n mensch sich<br />
beim Direktor beschweren, will/k<strong>an</strong>n<br />
der einem auch nicht helfen, gibt es die<br />
Dienst<strong>auf</strong>sichtsbeschwerde. Wie solche<br />
Beschwerden ab<strong>zu</strong>l<strong>auf</strong>en haben, ist in<br />
§50 ASchO geregelt.<br />
Natürlich k<strong>an</strong>n mensch nicht dafür bestraft<br />
werden oder eine schlechte Note<br />
bekommen, wenn mensch sich weigert,<br />
etwas <strong>zu</strong> tun, was nicht durch die ASchO<br />
gedeckt ist. (Z.B. die Hausordnung nicht<br />
abschreiben.)<br />
Kurz <strong>zu</strong>m zweiten Gesetzestext, dem<br />
SchMG. Hier wird geregelt, wie die Mitsprache<br />
von SchülerInnen im<br />
Schulalltag aus<strong>zu</strong>sehen habe, was eine<br />
SchülerInnenvertretung (SV) darf und<br />
nicht darf (was leider eine g<strong>an</strong>ze Menge<br />
ist). Da<strong>zu</strong> gibt es den §12 im SchMG<br />
und einen eigenen SV-Erlaß, welcher<br />
sich im Anh<strong>an</strong>g <strong>zu</strong>m SchMG findet. Für<br />
alle, die SV-Arbeit machen, sind diese<br />
Paragraphen Pflichtlektüre! Interess<strong>an</strong>t<br />
für alle ist, dass die LehrerInnen nicht<br />
einfach <strong>zu</strong> bestimmen haben, was die<br />
SchülerInnen <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> haben. Zu Beginn<br />
des Halbjahres müssen die<br />
LehrerInnen der Klasse/dem Kurs vorstellen,<br />
welche verschiedenen Inhalte<br />
die Richtlinien vorschlagen und d<strong>an</strong>n<br />
wird gemeinsam überlegt, was davon<br />
gemacht wird und was nicht. (§12.4<br />
SchMG)<br />
Das SchMG regelt außerdem, was die<br />
Schulkonferenz (SchuKo) ist, wie sie<br />
sich <strong>zu</strong>sammensetzt und was sie darf.<br />
Die SchuKo ist das wichtigste Gremium<br />
in der Schule und setzt sich aus<br />
LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen<br />
<strong>zu</strong>sammen. Die LehrerInnen haben immer<br />
genau die Hälfte der Stimmen und<br />
können damit alles blockieren - es h<strong>an</strong>delt<br />
sich also um ein total undemokratisches<br />
Gremium und es ist für<br />
SchülerInnen schwer, etwas durch<strong>zu</strong>setzen!<br />
Mit geschickter Politik lassen sich<br />
aber oft einzelne Eltern oder<br />
LehrerInnen für die Anträge der<br />
SchülerInnen gewinnen. Dafür sollten<br />
SchuKos aber gut vorbereitet werden.<br />
Eine Möglichkeit, regelmäßige Verstöße<br />
in der Schule gegen die ASchO <strong>an</strong><strong>zu</strong>pr<strong>an</strong>gern,<br />
wäre <strong>zu</strong>m Beispiel, diese<br />
<strong>zu</strong> sammeln und mal in einer<br />
Schulkonferenz <strong>an</strong><strong>zu</strong>sprechen, verbunden<br />
mit dem Antrag, die Schulleitung<br />
möge endlich geltendes Schulrecht <strong>an</strong><br />
ihrer Schule durchsetzen. Die Situation<br />
ist d<strong>an</strong>n bestimmt wahnsinnig peinlich<br />
für den Direx, da auch Eltern mit am<br />
Tisch sitzen und die sicherlich gar nicht<br />
gerne hören, wenn <strong>an</strong> der Schule ihrer<br />
Kinder gegen die ASchO verstoßen wird<br />
und der Direx wird hoffentlich versuchen,<br />
nicht noch einmal bei einer<br />
Schulkonferenz in eine solche Situation<br />
gebracht <strong>zu</strong> werden.<br />
Joh<strong>an</strong>nes Bock
60 Hört <strong>auf</strong> <strong>zu</strong> <strong>lernen</strong> -<br />
und wer sind nun die<br />
jungdemokratInnenjunge<br />
linke?<br />
<strong>JungdemokratInnen</strong>/<strong>Junge</strong> Linke sind<br />
Kontakt:<br />
<strong>JungdemokratInnen</strong>/<strong>Junge</strong> Linke NRW,<br />
Herner Str. 79, 44791 Bochum, eMail:<br />
info@jungdemokratinnen.de<br />
www.jungdemokratinnen.de<br />
<strong>JungdemokratInnen</strong>/<strong>Junge</strong> Linke - Bundes-<br />
verb<strong>an</strong>d, Greifswalder Str. 4, 10409 Berlin,<br />
eMail: bgs@jdjl.org<br />
www.jdjl.org<br />
ein parteiunabhängiger Jugendver-<br />
b<strong>an</strong>d, in dem Jugendliche selbst-<br />
bestimmt Politik machen. Ob in der<br />
Bildungs- oder Drogenpolitik, in der<br />
Asyl- oder Sozialpolitik, wir treten für<br />
die Selbstbestimmung aller Men-<br />
schen ein. Das bedeutet für uns die<br />
radikale Demokratisierung aller Le-<br />
bensbereiche, denn Familie, Schule,<br />
Wirtschaft... sind demokratiefreie<br />
Zonen.<br />
Aber auch Themen wie Antifa oder<br />
Feminismus spielen bei uns eine<br />
wichtige Rolle. Dabei wird keine Linie<br />
vorgegeben, sondern die politische<br />
Arbeit wird vor Ort in Gruppen oder<br />
Arbeitskreisen gestaltet.<br />
Wir streiten uns leidenschaftlich gern<br />
mit <strong>an</strong>deren und uns selbst um das<br />
bessere Argument und geben <strong>zu</strong><br />
diesem Zweck nicht nur Materialien<br />
wie diesen Reader heraus, sondern<br />
bieten auch Seminare und Tages-<br />
ver<strong>an</strong>staltungen <strong>an</strong> und machen<br />
viele Aktionen und Ver<strong>an</strong>staltungen<br />
direkt vor Ort.
<strong>f<strong>an</strong>gt</strong> <strong>an</strong> <strong>zu</strong> <strong>denken</strong> ! 61