ZT | September 2010
Ausgabe 1 - 9/10 mit Petra Sinn, Prof. Dr. Wilhelm Schmid, Prof. Dr. Hugo Kehr, Andreas Buhr, Roland Spinola, Erich-Norbert Detroy, Dr. Helmut Fuchs und Kaspar Schattke
Ausgabe 1 - 9/10
mit Petra Sinn, Prof. Dr. Wilhelm Schmid, Prof. Dr. Hugo Kehr, Andreas Buhr, Roland Spinola, Erich-Norbert Detroy, Dr. Helmut Fuchs und Kaspar Schattke
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<strong>ZT</strong>-Magazin | Haben Sie 20 Minuten Zeit für Ihre Kinder?<br />
Die Positive Psychologie ist in<br />
der Psychologie eine relativ junge<br />
Teildisziplin, die jedoch tiefe<br />
Wurzeln hat. Formell begründet<br />
wurde sie 1998 durch Prof. Martin<br />
Seligman, dem damaligen Präsidenten<br />
der international bedeutenden<br />
American Psychological<br />
Association. Dieser Zweig beschäftigt<br />
sich mit den psychologischen<br />
Fragen des Lebens, die es<br />
lebenswerter machen, mit den<br />
Stärken und Ressourcen des Menschen<br />
und deren Förderung im<br />
täglichen Miteinander.<br />
In der psychologischen Diagnostik<br />
findet sich dieser Ansatz<br />
schon seit Längerem in Begriffen<br />
wie Potenzial-Entwicklung oder<br />
HRM Human Ressource Management.<br />
Das Paradigma der Positiven<br />
Psychologie steht im Kontrast<br />
zu eher konflikt- oder defizitorientierten<br />
Ansätzen, wie sie in<br />
der Psychologie, und speziell in<br />
der Diagnostik Tradition waren.<br />
Myers wies auf die interessante<br />
Tatsache hin, dass in der psychologischen<br />
Literatur der letzten 30<br />
Jahre 46.000 Artikel über Depressionen<br />
und nur gerade 400 über<br />
Freude zu finden sind. Eine Erklärung<br />
für dieses Ungleichgewicht<br />
finden wir in der politische Vergangenheit.<br />
Hat die Politik hier falsche Weichen<br />
gestellt?<br />
Es ist historisch erklärbar. Die<br />
Psychologie hat sich seit dem<br />
Zweiten Weltkrieg und im Kontext<br />
dieses Ereignisses haupt-<br />
Übersicht<br />
sächlich und nachvollziehbar mit<br />
negativen Aspekten menschlichen<br />
Daseins beispielsweise Ängsten,<br />
Depression, Ärger, Phobien,<br />
Burn-out, Bossing beschäftigt.<br />
Vernachlässigt wurde, dass auch<br />
positive Aspekte wie Flow, Stärke,<br />
Wachstum, Lebensfreude,<br />
Glück oder Kreativität zum Leben<br />
der Menschen gehören und damit<br />
wissenschaftlich berücksichtigt<br />
werden müssen.<br />
So ist Seligman überzeugt, dass<br />
nicht ein Krankheitsmodell zentral<br />
für die Prävention von mentaler<br />
Krankheit ist, sondern die Berücksichtigung<br />
und Förderung<br />
von menschlichen Stärken. Optimismus,<br />
Verantwortung oder Authentizität<br />
können wichtige Puffer<br />
gegen psychische Krankheiten<br />
sein wie der junge Zweig der<br />
PNI-Forschung belegt. Hier ist<br />
der Ansatzpunkt zur Mobilisierung<br />
einer neuen Wertediskussion.<br />
Bedeutet das, dass Sie auf dem<br />
Hintergrund der Erkenntnisse<br />
Seligmans dieses Programm<br />
entwickelt haben?<br />
Ja - und Prof. Willibald Ruch von<br />
der Uni Zürich um seine Arbeiten<br />
nicht zu vergessen. Die Positive<br />
Psychologie beschäftigt sich mit<br />
drei Fragestellungen.<br />
Sie fokussiert erstens auf die Ebene<br />
des positiven Erlebens. Dazu<br />
zählen positive Gefühle, Wohlbefinden,<br />
Glück, Flow (das<br />
vollständige Aufgehen in einer<br />
Aufgabe), Hoffnung oder Arbeits-<br />
und Lebenszufriedenheit. Zwei-<br />
tens rücken positive Eigenschaften<br />
in den Vordergrund. In welchen<br />
Bereichen können sich Menschen<br />
mit ihren besonderen Eigenschaften<br />
entwickeln, aufblühen<br />
und sich von der besten Seite<br />
zeigen? Mit solchen Fragen rücken<br />
der Charakter und die Tugenden<br />
wieder in den Blick der<br />
Psychologie.<br />
Drittens sind positive Institutionen<br />
ein Gegenstand der Forschung.<br />
Hier wird etwa untersucht,<br />
was Institutionen und Systeme<br />
- wie z.B. Familien auszeichnet,<br />
die Wachstum erlauben.<br />
Positive Psychologie fragt: Was<br />
sind die psychologischen Bedingungen<br />
für ein «gutes Leben?»<br />
Welches sind die Wege zum<br />
Glück? Damit bekommt die Charakterentwicklung<br />
von Heranwachsenden<br />
eine neue Verortung.<br />
Gerade die Charakterentwicklung<br />
war ja nach ihren Aussagen<br />
für Psychologen oder Pädagogen<br />
eine eher stiefkindliche<br />
behandelte Randkategorie.<br />
Werte und Tugenden sind der<br />
Baustoff<br />
für einen gelungenen Lebensentwurf<br />
und größere Lebenszufriedenheit.<br />
Darüber sind sich die<br />
Psychologen einig. Auf der Suche<br />
nach einem bejahenswerten Leben<br />
haben Lebensstilforscher im<br />
Kontext der sogenannten Positiven<br />
Psychologie nun einen fast<br />
vergessenen Hauptdarsteller re-<br />
aktiviert: den Charakter. Seine<br />
Tugenden und Stärken sind die<br />
großen Glücksbringer unseres<br />
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