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ANGEDACHT<br />
02<br />
20 Jahre Deutsche Einheit<br />
SIEHE, ICH HABE VOR DIR EINE TÜR AUFGETAN UND<br />
NIEMAND KANN SIE ZUSCHLIEßEN (OFFENBARUNG 3,8).<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
In diesem Jahr hatte ich im Sommer<br />
zweimal die Gelegenheit nach Polen<br />
zu reisen, einmal mit <strong>de</strong>r Ludwigsburger<br />
Pfarrerschaft im Juli und<br />
dann mit <strong>de</strong>r Familie im August. Es<br />
waren meine ersten Besuche in diesem<br />
Nachbarland überhaupt. Beson<strong>de</strong>rs<br />
eindrücklich empfand ich die<br />
offene Brücke in Görlitz über <strong>de</strong>n<br />
Fluss Neiße. Die viel zitierte „O<strong>de</strong>r-<br />
Neiße-Grenze“ war ja für mich, als<br />
west<strong>de</strong>utsch geprägter Mensch, immer<br />
gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r Welt.<br />
Im Geschichtsunterricht hatte ich<br />
gelernt: Die ehemaligen <strong>de</strong>utschen<br />
Ostgebiete waren seit 1945 von<br />
Deutschland abgetrennt und <strong>de</strong>m<br />
östlichen Nachbarn zugeschlagen<br />
wor<strong>de</strong>n. Doch weil ja auch schon<br />
das Land davor, die damalige DDR,<br />
bis 1989 ein ziemlich abgeriegeltes<br />
und fremdartiges Land war, wollte<br />
es meiner Phantasie lange Zeit<br />
nicht gelingen, noch weiter gen Osten<br />
zu reisen. Und nun stand ich also<br />
alleine auf dieser Brücke in<br />
Görlitz – hinter mir <strong>de</strong>r schwarze<br />
Bun<strong>de</strong>sadler und vor mir <strong>de</strong>r weiße,<br />
polnische Adler - und alles war offen.<br />
Kein Zaun mehr, keine Befestigungsanlagen,<br />
keine Grenzposten,<br />
son<strong>de</strong>rn eine offene Brücke, eine offene<br />
Tür ins Nachbarland, so wie<br />
nach Frankreich o<strong>de</strong>r in die<br />
Schweiz. Es waren Minuten, die<br />
mich sehr dankbar gestimmt haben.<br />
"Siehe, ich habe vor dir eine Tür<br />
aufgetan und niemand kann sie zuschließen."<br />
So lautet <strong>de</strong>r Monatsspruch aus<br />
<strong>de</strong>m Buch <strong>de</strong>r Offenbarung für <strong>de</strong>n<br />
Oktober 2010. Wahrscheinlich kein<br />
Zufall, son<strong>de</strong>rn bewusst ausgewählt,<br />
20 Jahre nach <strong>de</strong>m feierlichen<br />
Zusammenschluss <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>utschen Staaten und <strong>de</strong>r Öffnung<br />
Osteuropas. Denn trotz vieler<br />
menschlicher Bemühungen und Opfer,<br />
trotz unermüdlichen Freiheitsstrebens<br />
bekannter und unbekannter<br />
Menschen ist die friedliche Revolution<br />
ein unverfügbares und in<br />
seinem Verlauf auch unbegreifliches<br />
Ereignis gewesen, also nichts<br />
weniger als ein Wun<strong>de</strong>r.<br />
Niemand hat hinterher sagen können,<br />
er o<strong>de</strong>r sie habe es genauso<br />
kommen sehen, niemand hat hinterher<br />
sagen können, dieses Ereignis<br />
wäre sein Werk gewesen.<br />
Son<strong>de</strong>rn es war die Erfahrung eines<br />
ganzen Volkes, eines ganzen Kontinents.<br />
Und wür<strong>de</strong>n wir nicht heute<br />
im 21. Jahrhun<strong>de</strong>rt nach Christus<br />
leben, son<strong>de</strong>rn vielleicht zur Zeit<br />
<strong>de</strong>s Volkes Israel im Alten Testament,<br />
dann wäre die Vereinigung<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Staaten vielleicht in<br />
unser Glaubensbekenntnis, auf je<strong>de</strong>n<br />
Fall in unser religiöses Bewusstsein<br />
eingegangen. So heißt es<br />
etwa im 5. Buch Mose, Kapitel 26,<br />
in <strong>de</strong>m vielleicht ältesten biblischen<br />
Glaubensbekenntnis über-