FBW Jubilumsausgabe - Verein für Sozialarbeit
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„Mein Berg und ich –<br />
ich und mein Berg“<br />
Szene: Zwei Jugendliche in voller Klettersteigmontur, die sich durch eine<br />
Felswand inmitten südländischer Flora zum Gipfel hoch arbeiten – schwitzend<br />
in der warmen Junisonne, aber auch aus körperlich-emotionaler<br />
Anstrengung. Anna mit ihrer zaghaften und vorsichtigen Art, passende Klet-<br />
tergriffe und -tritte zu suchen, kann nun in der schützenden Kleingruppe<br />
ihre Gedanken aussprechen, die ihr an der Wand immer wieder durch den<br />
Kopf gehen: „Bin ich euch zu langsam? Nerve ich euch?“ Was sie dann im<br />
Laufe der Klettertour erlebt – dass die Gruppe zusammen bleibt, dass beim<br />
Lösen und Wiedereinhängen der Karabiner in die Drahtseilversicherungen<br />
aufeinander geachtet wird und dass sie auch schwierigere Kletterpassagen<br />
hinter sich lässt - bedeutet <strong>für</strong> Anna schon einen Teil der Antwort auf ihre<br />
Grundsatzfrage. Weitere Teile können wir auf unserem gemeinsamen Weg<br />
„nebenbei“ bereden, z.B. dass jede Person sowohl mit ihren Stärken wie<br />
auch Schwächen sein darf und dadurch etwas Wichtiges in unsere Bezieh-<br />
ungen hineinbringt.<br />
Solche theoretischen schönen Aussagen werden hier am Seil sofort erleb-<br />
und sogar greifbar, wenn die zweite Jugendliche in ihrer manchmal<br />
fluchtartigen Schnelligkeit durch Annas Unsicherheit gebremst und auf<br />
sich selber zurückgeworfen wird. Denn in den entstandenen Wartezeiten<br />
bekommt Tabea die gigantische Aussicht überhaupt erst richtig in den<br />
Blick oder entdeckt nach und nach, dass das Befühlen der verschiedenen<br />
Felsoberflächen mit ihren Händen und sogar ihrem ganzen Körper ein<br />
Genuss ist. Immer wieder sehen wir sie nun auf den glatten, schräg gestellten,<br />
von der Sonne erwärmten Felsplatten lümmelnd auf uns warten. Ihr<br />
Glucksen und manchmal Singen steckt Anna an und gemeinsam bezeichnen<br />
die beiden Jugendlichen die öfters am Steig zu entdeckenden Sand-<br />
uhren (ausgewaschene Felshöhlchen mit einer stehen gebliebenen Fels-<br />
säule) nun als ihre Lieblingsgriffe. Mit der letzten Herausforderung des<br />
Klettersteiges, dem Durchstieg eines Kamins, der uns auf das Gipfelplateau<br />
mit gigantischer Aussicht bringt, haben die beiden auch manche angst-<br />
besetzte Wege in ihrer „inneren Landschaft“ bewältigt: Für Tabea ist die<br />
sonst <strong>für</strong> sie eher unangenehme Verlangsamung zur intensiven Selbster-<br />
fahrung geworden und damit zu einer Möglichkeit, im Hier und Jetzt zu<br />
bleiben; und Anna entwickelt die Sicht, dass ihre (zunächst negativ<br />
bewerteten) Eigenschaften von anderen und auch von sich selbst als Berei-<br />
cherung wahrgenommen werden. Diese Szene aus einer mehrtägigen Klet-<br />
terfreizeit steht hier stellvertretend <strong>für</strong> die vielfältigen Lernerfahrungen, die<br />
die Teilnehmer unseres erlebnispädagogischen Kletterangebots machen.<br />
Die Kletterfreizeit<br />
setzt ungeahnte Gefühle<br />
und Kräfte frei<br />
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