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2012/3 - Rudolf-Steiner-Schule Schwabing

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typisch waldorf: „….wir können alle<br />

unseren Namen tanzen, wir tragen alle<br />

Birkenstock, wir sitzen auf selbstgeschnitzten<br />

Hockern, wir sind dumm“<br />

24 und einer deutlichen Abkoppelung von der Natur? Der Witz kanalisiert dieses Unbehagen an 25<br />

Ein in Bielefeld aufgewachsener Poetry Slammer veröffentlichte 2009 eine Sammlung von<br />

Kurzgeschichten unter dem Titel „Das Leben ist keine Waldorfschule“. Das Buch erschien in<br />

einem renommierten Jugendbuch-Verlag, der Autor gilt als der erste Poetry Slammer, dem ein<br />

derartiger Erfolg gelang. Diese Kurzgeschichten sind eine witzig verfasste Chronik des Scheiterns<br />

im und am Alltag. Der Autor erhielt einen Preis für den „kuriosesten Buchtitel“, denn<br />

inhaltlich hat diese Sammlung nichts mit den konkreten Waldorfschulen zu tun.<br />

Kann es aber sein, dass die Wahl des Titels zum Erfolg des Buches beigetragen hat? Sie<br />

schlägt zumindest in eine Kerbe, die in den Medien – vorwiegend in Comedy-Sendungen –<br />

gerne vertieft wird und in der öffentlichen Wahrnehmung inzwischen ein sattes Vorurteil gegenüber<br />

Waldorfschulen installiert hat: Über Waldorf wird gerne gescherzt, im Wald-Dorf leben<br />

Ökofreaks und Hippies, die immer Lieder singen, Bäume umarmen, ja, aus Waldorfschule wird<br />

die „Baumschule“ schlechthin, was immer das auch heißen mag….<br />

Waldorf, das heißt in Watte gepackt sein, sich der Leistungsgesellschaft entziehen, hier kommt<br />

man mit Socken-Stricken zum Abitur, da gehen die hin, die es sonst nicht schaffen, aber nur<br />

wenn sie es sich finanziell leisten können. Auch über den Unterricht weiß man viel zu erzählen<br />

(ohne ihn zu kennen): keiner lernt wirklich, alle tun, was sie wollen, es gibt keinen richtigen<br />

Unterricht und ganz besonders keinen mathematisch-naturwissenschaftlichen…<br />

Wer kann sich solche Freiheiten heutzutage leisten? Darauf folgt die nächste Spekulation:<br />

Waldorf, das heißt, jenseits der harten Realität leben, eine esoterisch angehauchte und geschlossene<br />

Gesellschaft zu sein, so etwas kann nicht mit rechten Dingen zugehen……<br />

Warum ist es eigentlich witzig, sich über Waldorf lustig zu machen?<br />

Auf meine Frage an eine Gymnasiastin, warum denn immer die Waldorfschule herhalten<br />

müsse, sagte sie völlig treffend: „weil ihr anders seid und Euch diesem ganzen Stress entzieht,<br />

das kann man einfach nicht tolerieren….“<br />

Der Witz ist psychologisch gesehen eine Technik des Unbewussten zur Einsparung von Kon-<br />

flikten und zum Zugewinn von Lust, die in erster Linie darin besteht, dass sich unangenehm<br />

Verdrängtes kurzzeitig lockern kann. Er wirkt gegen Andersdenkende (auch Minderheiten und<br />

Außenseiter) und verbindet Gleichgesinnte.<br />

(vgl. wikipedia, „der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ von Sigmund Freud, 1905)<br />

Insofern lässt sich der Blick wenden und auf die witzereißende Gesellschaft selbst lenken:<br />

Welche verdrängten Aspekte thematisieren eigentlich die kollektiven Spaßmacher? Was fehlt<br />

einer Gesellschaft, die sich am Anderssein der Waldorfpädagogik ergötzen will? Kann es sein,<br />

dass das lachende Publikum selbst Probleme hat mit der eigenen Einseitigkeit, dem ewigen<br />

Eingespanntsein in Sachzwänge und Leistungsanforderungen, einer fehlenden Spiritualität<br />

der eigenen Kultur und bringt das Publikum lachend wieder auf Linie.<br />

Sie können ihren Namen tanzen…...<br />

Irgendwann und irgendwie in die Welt gesetzt und tausendfach wiederholt, wird dieses fast<br />

zauberhafte Bild zur symbolischen Verdichtung dieser sehnsuchtsvollen und gleichzeitig<br />

verdrängenden Beziehung einer leistungsvernarrten Gesellschaft zu ihrem querdenkenden<br />

Pendant. Nehmen wir es als Bild und versuchen es zu deuten, dann lässt es sich auch als<br />

ein liebevolles Lob verstehen: Waldorfschüler können etwas, das andere nicht können, sie<br />

leben eine besondere Beziehung zu ihren individuellen Eigenschaften (Namen), sie vertrauen<br />

sich tanzend ihrer eigenen Energie an und sind Menschen, die sich (oder auch andere) in<br />

Bewegung setzen können, um in dieser Leichtigkeit des Seins diese Welt etwas erträglicher<br />

zu machen…… Tja, vielleicht ist das Leben halt doch eine Waldorfschule.<br />

GISEla MEInInG-SchOPF

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