2012/3 - Rudolf-Steiner-Schule Schwabing
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„WalKInG thROUh“<br />
Auch Theresa Ihrlers Stück beginnt mit dem Blick in den nun grün ausgeleuchteten Zuschauerraum.<br />
Quer durch die Theatergeschichte, durch Länder und Epochen spielen sich Theresa Ihrler und ihre<br />
Grillen zirpen, florale Lichtmuster kreisen auf dem Bühnenboden. Plötzlich tauchen zwischen den<br />
hochmotivierten Mitstreiter Joana Verbeek van Loewis und Lukas Martin. Dabei ist es gelungen,<br />
leeren Stuhlreihen wie aus der Zeit gefallen scheinende Figuren auf und beginnen rasant ein paar<br />
sehr elegante und zarte Mini-Übergänge zwischen den einzelnen Szenen zu bauen, die dem Abend<br />
Liebesverwirrungen aus dem Sommernachtstraum hin und her zu werfen. Wundersam verwandelt<br />
einen wirklich reibungslosen Drive verleihen.<br />
sich das Theater in den Shakespearschen Wald und die Fantasie, Verspieltheit und Spielfreude dieser<br />
In dieser Vielfalt und Sprunghaftigkeit kristallisieren sich aber doch Themenkreise heraus, die die<br />
Szene werden auch im weiteren Verlauf von „Walking Through“ nicht verloren gehen.<br />
Spielenden besonders beschäftigen zu scheinen. Aber auch ernstere Themen tauchen auf: Was<br />
Theresa Ihrler hat ihren Shakespeare gelesen. Die ganze Welt ist Bühne, das Leben ein Spiel und der<br />
bedeutet es, sich für eine Sache einzusetzen, wofür kämpften Gudrun Ensslin und die Revolutionäre<br />
Stoff aus dem die Träume sind, wird hier in einer sehr freien, unterhaltsamen und temporeichen Col-<br />
von Camus, kämpfe ich für das Richtige? Und auch der Tod findet in einem bestechenden Solo von<br />
lage über die Bühne gewirbelt. Wer sich auf lineares Erzähltheater eingestellt hatte, muss sich späte-<br />
Theresa Ihrler seinen Platz in dem Stück: Unter einem Fischernetz begraben singt sie allein „Komm,<br />
stens davon verabschieden, als Hermia sich das altmodische, beinah „historische“ Kleid vom Körper<br />
süßer Tod“. Dass ihre Stimme und auch die Töne dabei nicht perfekt sind, macht das Ganze noch viel<br />
reißt, darunter ihr stoffliches 21. Jahrhundert zum Vorschein kommt und nach der Shakespeare-<br />
echter und berührender.<br />
Szene per Video-Projektion munter mit einer jungen Mutter in (so scheint es) Australien geskyped<br />
Davor muss man sowieso den Hut ziehen: Die Energie und Lust, mit der Theresa Ihrler sich in das<br />
wird. Die Montage des Textes verlässt sich dabei auf aus dem Zusammenhang gerissene Worte als<br />
Geschehen wirft. Ohne Angst vor Peinlichkeiten heben sich die drei Darsteller mit ihrer Power über<br />
alleiniges Verbindungsmedium: Sprach nicht gerade eine alte Dame davon, wie sehr es sie störe,<br />
jeden Zweifel hinweg und gerade dass sie keine Gesangs- oder Sprechausbildung genossen haben<br />
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wenn ihr beim Einkaufen Kinder in den Weg kommen, habe ich da gerade Kinder gehört und schon<br />
ist man mitten in der russischen Revolution und bei Albert Camus, wo ein Attentat daran scheiterte,<br />
und man das auch merkt, macht den Abend so wunderbar ehrlich und sorgenlos – während gleichzeitig<br />
große Fragen verhandelt werden.<br />
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dass die Terroristin Angst hatte, mit der Bombe versehentlich auch Kinder zu töten.<br />
Dabei wird auch nicht gespart und tief in die Trickkiste des Theaters gegriffen, zahlreiche Kostüm-<br />
Diese Art der Textcollage mag einem auf den ersten Blick geradezu verwerflich unbesorgt erscheiwechsel<br />
und Umbauten finden statt, sogar ein eigentliches Theater No-Go verzeiht man dem Team:<br />
nen, erlaubt aber in ihrer Inhalt-Befreitheit die Entwicklung einer faszinierenden Assoziationskette.<br />
Die Baader-Meinhof-Damen ziehen an echten Zigaretten, die aber nicht brennen, sodass das „nur so<br />
tun als ob“ wirklich jedem Zuschauer ins Auge springt. Was sonst als absoluter Bruch mit der Illusion<br />
verteufelt wird, gerät hier zum charmanten, augenzwinkernden Detail: Hey, das hier ist Theater<br />
– natürlich tun wir nur so, wie Shakespeare eben sagte: Das ganze Leben ist eine Bühne, ein Spiel.<br />
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Dieses Augenzwinkern gewinnt die Collage übrigens immer dann besonders, wenn das Publikum<br />
mit einbezogen wird. Etwa, wenn Hermia sich vorwurfsvoll an die Zuschauer wendet, oder die<br />
Geigenspielern Elena sich nicht genug motiviert fühlt und „so nicht arbeiten“ kann. Die Krönung<br />
dieses Gestus gelingt aber Joana Verbeek von Loewis in einem improvisierten Monolog gegen<br />
Ende. Um eine Umbau-Pause zu überbrücken, stellt sie sich vor das Publikum und stellt auf sehr<br />
lustige und selbstironische Art und Weise das Gesamtgeschehen an sich in Frage. Spätestens zu<br />
diesem Zeitpunkt sollte auch jeder Collagen-Grantler mit der etwas hopsigen Struktur des Abends<br />
ausgesöhnt sein.<br />
Nach einem kurzen Ausflug in das Opern-Genre endet der Abend da, wo er begonnen hat: bei<br />
Shakespeare, dem Großmeister der Bühne. Die Moral von der Geschichte ist klar. Spielt um euer<br />
Leben, denn alles ist ein Spiel und wir sind nur Figuren auf einer Bühne namens Leben. Ein so naiver<br />
und frecher Blick auf das Leben ist beneidenswert, denn den drei hervorragenden Darstellern ist<br />
es an diesem Abend gelungen, uns wieder ein Stück Kind sein zu lassen und mit dem Theater den<br />
Alltag mit all seinen Herausforderungen und Problemen wieder etwas augenzwinkernder und<br />
spielerischer zu betrachten.<br />
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hannah SchOPF<br />
(Studentin der Dramaturgie an der August-Everding-Theaterakademie, München)