März 2010 (PDF) - an.schläge
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Von Power-Pop zu „found sound“<br />
Auf der Route von Calgary über M<strong>an</strong>chester nach Berlin mit Sonja Eism<strong>an</strong>n.<br />
40 <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> märz <strong>2010</strong><br />
Der Welt liebste Power-Pop-<br />
Zwillinge, Teg<strong>an</strong> & Sara, geben<br />
ihren vielen glühenden F<strong>an</strong>s<br />
endlich wieder neue Nahrung:<br />
Sainthood (Warner) ist das bereits<br />
sechste Studioalbum der queeren<br />
K<strong>an</strong>adierinnen mit dem bombensicheren<br />
Händchen für Ohrwurm-Melodien.<br />
Teg<strong>an</strong> und Sara Quin, vor knapp dreißig<br />
Jahren in Calgary geboren und mit bereits<br />
zehn Jahren Bühnenerfahrung auf<br />
den schmalen Buckeln, treiben hier, wieder<br />
mit Unterstützung von Chris Walla<br />
von Deathcab for Cutie als Produzenten,<br />
das weiter, was sie so perfekt beherrschen:<br />
Herzschmerz-Texte zu kraftvollen,<br />
ebenso rockigen wie poppigen Balladen,<br />
die sogar all jene bis auf die Knochen<br />
erweichen, die sonst bei der Erwähnung<br />
von „Ballade“ mit<br />
Übelkeits<strong>an</strong>fällen kämpfen. Fast noch<br />
ein wenig glatter und synthiepoppiger<br />
als die beiden überaus erfolgreichen<br />
Vorgängeralben „The Con“ und „So<br />
Jealous“, erscheint „Sainthood“ beim<br />
ersten Hören beinahe trivial, bis einen<br />
die Magie des abwechselnden, sehnsuchtsvollen<br />
Ges<strong>an</strong>gs der Schwestern<br />
d<strong>an</strong>n doch wieder kriegt.<br />
Auch aus K<strong>an</strong>ada, und zwar aus<br />
V<strong>an</strong>couver, kommt die Singer/Songwriterin<br />
Olivia Fetherstonhaugh, die sich<br />
für die Veröffentlichung ihres Debütalbums<br />
Dark Eyes (Mint) d<strong>an</strong>kenswerter<br />
Weise für den etwas weniger komplizierten<br />
Namen F<strong>an</strong>shaw entschieden<br />
hat. G<strong>an</strong>ze fünf Jahre hat sich die Musikerin,<br />
die sich in der Presseinfo auf<br />
Anais Nin als Inspirationsquelle beruft,<br />
für die neun Songs mit vagem Retro-<br />
Country-Flair und schmelzendem Ges<strong>an</strong>g<br />
Zeit gelassen – und <strong>an</strong> einigen<br />
Stücken <strong>an</strong>geblich sogar bis zu einem<br />
Jahr gefeilt. Es wird sich zeigen, ob sich<br />
die Geduldsarbeit der Perfektionistin<br />
tatsächlich gelohnt hat, wenn die zart<br />
verhaltenen Songs über traurige Lieben<br />
es schaffen, aus der Flut der Veröffentlichungen<br />
weiblicher Singer/Songwriter<br />
dauerhaft herauszustechen.<br />
Mit dem Hervorstechen haben<br />
Scream Club noch nie ein Problem gehabt<br />
– dafür sind die Bühnenoutfits<br />
und die Perform<strong>an</strong>ces des queeren Duos<br />
aus Olympia, Washington, das jetzt<br />
in Berlin residiert, einfach viel zu aufregend.<br />
Für ihre gemeinsame Remix-Platte<br />
(auf Rock Machine Records) mit Electrosexual,<br />
die eine Vorbotin des im<br />
Sommer erscheinenden neuen Albums<br />
ist, haben sich die beiden Electro-Rapperinnen<br />
für einen clubbigeren Sound<br />
entschieden, der weitgehend mit der<br />
Domin<strong>an</strong>z der spaßigen bis derben<br />
Raps, für die m<strong>an</strong> Cindy Wonderful und<br />
Sarah Adorable früher k<strong>an</strong>nte, bricht.<br />
Break You Nice ist mit seinen stampfenden<br />
Beats und schrillen Synths-Effekten<br />
fast Gay-Großraumdisko tauglich,<br />
und Screaming And Crying, die B-<br />
Seite, für die auch Shunda K. von Yo Majesty<br />
als Gast-Rapperin verpflichtet<br />
werden konnte, bewegt sich in Richtung<br />
einer Deep-Tr<strong>an</strong>ce-Hymne mit<br />
Spoken-Word-Einlagen.<br />
Optisch extravag<strong>an</strong>t gibt sich auch<br />
eine junge Künstlerin aus M<strong>an</strong>chester,<br />
die bekleidungstechnisch wie auch musikalisch<br />
den Blick zurück in die 1980er<br />
Jahre wirft. Julie Campbell aka Lonelady<br />
sieht sich auf ihrem in einer verfallenden<br />
Fabrikhalle aufgenommenen Debüt<br />
Nerve Up (Warp) von geografischen wie<br />
mentalen NachbarInnen wie Joy Division,<br />
The Fall oder ESG beeinflusst. Die individualistische<br />
Platte, fast komplett im<br />
Alleing<strong>an</strong>g eingespielt, ist mit ihrem<br />
kalt-metallischen Sound und dem<br />
scharfen, mark<strong>an</strong>ten Ges<strong>an</strong>g zu scheppernder<br />
Gitarre, Drums und Synth-<br />
Sounds aber nicht die x-te Emulation<br />
der Verg<strong>an</strong>genheit, sondern beweist<br />
sich im Gegenteil als ausreichend denkund<br />
merkwürdig, um für sich selbst zu<br />
bestehen.<br />
Zu guter Letzt noch der Hinweis<br />
auf eine neue Serie des stets so verdienstvoll<br />
um weibliche Artists bemühten<br />
Berliner Labels Monika Records:<br />
Nachdem dessen Betreiberin Gudrun<br />
Gut vor einigen Jahren bereits die Reihe<br />
„4 Women No Cry“ mit je vier internationalen<br />
Produzentinnen pro Platte aus<br />
der Taufe gehoben hat, agiert sie jetzt<br />
lokal und stellt in City Splits je zwei Musikerinnen<br />
aus einer Stadt vor. Den Anf<strong>an</strong>g<br />
machen zwei Wahl-Berlinerinnen:<br />
Theresa Stroetges aka Golden Diskó<br />
Ship mit ihrer melodiösen Rumpel-Raschel-Elektronik<br />
und Jasmina Maschina<br />
(eigentlich Jasmine Guffond aus Australien),<br />
die elektronische Improvisationselemente<br />
ebenso wie mel<strong>an</strong>cholisches<br />
Songwriting in ihre oft mit „found sound“-Quellen<br />
versetzten Tracks einfließen<br />
lässt. Auch beim nächsten Trip<br />
der City Splits bleibt es sp<strong>an</strong>nend – der<br />
führt nach L.A. und zeigt g<strong>an</strong>z sicher,<br />
dass die Klischees der männerdominierten<br />
Rock-City ausgedient haben. ❚