30.06.2013 Aufrufe

Work Life Balance überarb wiki Eichler

Work Life Balance überarb wiki Eichler

Work Life Balance überarb wiki Eichler

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong> und Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />

Inhalt<br />

1. Definition<br />

2. Methodologische Modelle der <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>- und <strong>Work</strong>-Family-Forschung<br />

3. Familiensoziologische Forschung<br />

4. Makoökonomische Forschung<br />

5. Betriebswirtschaftliche Forschung<br />

6. Forschung zur betrieblichen Personalpolitik<br />

7. <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-Dienstleistungsbranche<br />

8. Der Staat als Akteur im Feld der <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong><br />

9. International vergleichende Untersuchungen<br />

10. Geschlechterforschung<br />

10.1. Hierarchisierung und Dehierarchisierung der Geschlechter<br />

10.2. Caregiver Discrimination<br />

11. Kritik der Modelle und Paradigmen ‚Vereinbarkeit’ und ‚<strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>’<br />

11.1. Kritik der Begriffe<br />

11.2. Kritik an Zielsetzungen<br />

11.3. Kritik bezüglich Umsetzung und Umsetzbarkeit<br />

12. Literatur und weblinks<br />

1


1. Definition<br />

Unter <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong> (WLB) versteht man den Zustand oder das Ziel eines<br />

Gleichgewichts von Arbeit und Privatleben. Oft wird unter dem Schlagwort auch generell das<br />

Verhältnis von (Erwerbs-)arbeitsleben und Privat-, Freizeit- und Familienleben<br />

problematisiert.<br />

Was unter <strong>Balance</strong>, sowie unter <strong>Work</strong> und <strong>Life</strong> verstanden wird, ist uneinheitlich. Unter <strong>Work</strong><br />

wird meist Berufs- und Erwerbsarbeit gefasst, unter <strong>Life</strong> alle anderen Lebensäußerungen und<br />

-bereiche. ‚<strong>Life</strong>’ stellt insofern eine zunächst nur negativ definierte Restkategorie dar (‚Nicht-<br />

Erwerbsarbeit’). In manchen Fällen werden verschiedene <strong>Life</strong> Domains (Lebensbereiche)<br />

unterschieden, z.B. Familie, Soziales und Freizeit. Häufig genutzte Differenz- oder<br />

Gegensatzpaare der WLB sind Erwerbsarbeit und Familienarbeit (insb. Erziehungs- und<br />

Pflegearbeit), Arbeitszeit und Freizeit, Karriere und Kind. Eine allgemeine Definition<br />

unterscheidet Tätigkeiten, deren Zweck von sozialökonomischen Instanzen (Betrieb, Markt)<br />

vorgegeben sind von frei gewählten Tätigkeiten.<br />

Die Merkmale und Charakteristika einer mangelnden oder normativ idealen WLB sind Thema<br />

zahlreicher journalistischer, popularwissenschaftlicher und wissenschaftlicher Beiträge. Der<br />

Ausdruck hat ein weites Konnotationsfeld mit ökonomischen (insb. Arbeitszeiten,<br />

Arbeitsgestaltung, Personalwesen und Human Resource Management), rechtlichen (ins.<br />

Arbeits-, Sozial- und Familienrecht), soziologischen (insb. Arbeits-, Familien- und<br />

Geschlechtersoziologie, industrial relations-Forschung), psychologischen (Arbeits-, Betriebs-<br />

und Organisationspychologie, Persönlichkeitspsychologie) bis zu sozialphilosophischen<br />

(Verhältnis von Fremd- und Selbstbestimmung, Notwendigkeit und Freiheit, Lebenswelt und<br />

System) Aspekten. Programme und Debattenbeiträge kommen von staatlichen,<br />

wissenschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und betrieblichen Akteuren.<br />

2. Methodologische Modelle der <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>- und <strong>Work</strong>-Family-Forschung<br />

Ausgehend von der Annahme getrennter Lebensbereiche werden positive und negative<br />

Wechselwirkungen zwischen den Bereichen untersucht, wobei je nach Art und Richtung der<br />

Einwirkung zwischen positiver Wirkung (<strong>Work</strong>-to-Family-Förderung und Family-to-<strong>Work</strong>-<br />

Förderung) und negativer Wirkung (<strong>Work</strong>-to-Family-Konflikt und Family-to-<strong>Work</strong>-Konflikt)<br />

unterschieden wird. Konflikte werden zudem nach Art des Konflikts differenziert (etwa in<br />

Bezug auf Zeit, Beanspruchung und Rollenverhalten bzw. Rollenerwartung). Hypothesen für<br />

auftretende Wechselwirkungen werden in verschiedenen Modellen beschrieben:<br />

• das Segmentationsmodell einer unabhängigen Entwicklung der Bereiche,<br />

• das Kongruenzmodell bei dem bestimmte Variablen (etwa persönliche Eigenschaften)<br />

in verschiedenen Lebensbereichen ähnliche Wirkung zeigen,<br />

• das Identitätsmodell ohne Teilung der Lebensbereiche,<br />

• das Spillover-Modell, bei dem positive oder negative Entwicklungen (etwa in Bezug<br />

auf Sicherheit eigene Zufriedenheit, Fortbildung, Stärken oder Fähigkeiten, oder<br />

2


umgekehrt Überforderung, Stress, Unstimmigkeiten, mangelnde<br />

Konzentrationsfähigkeit, Verspätungen oder Absenzverhalten) sich in den<br />

verschiedenen Bereichen gegenseitig verstärken, eventuell kombiniert mit Crossover-<br />

Effekten auf andere Personen,<br />

• das Kompensationsmodell, in dem negative Entwicklungen in einem Bereich zu<br />

Bemühungen führen, sie durch positive Entwicklungen und Bedürfnisbefriedigung im<br />

anderen Bereich auszugleichen (etwa durch die Suche nach Herausforderungen im<br />

Privaten, wenn die Arbeit als eintönig empfunden wird, oder das Streben nach<br />

Anerkennung am Arbeitsplatz, wenn zu Hause wenig Wertschätzung erfahren wird),<br />

• das Ressource-Abfluss-Modell, bei dem Ressourcen für einen Bereich (etwa Einsatz<br />

von Zeit und Aufmerksamkeit) vom anderen Bereich abgezogen werden (siehe hierzu<br />

auch: Theorie der Ressourcenerhaltung).<br />

Sozioökonomische und psychologische Untersuchungen befassen sich unter anderem mit<br />

Wirkungen auf die Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit, auf die Gesundheit, auf die<br />

Paarbeziehung und auf das Wohlbefinden der Kinder, unter Einbeziehung von<br />

Bewältigungsstrategien und Unterstützungssystemen (support systems). Da die in den<br />

verschiedenen Modellen postulierten Wirkungen gleichzeitig auftreten können, werden<br />

zunehmend komplexere, integrative Modelle entwickelt. Beispielsweise wird ein möglicher<br />

Einfluss persönlicher Charakterzüge und des Geschlechts auf Art und Ausmaß der<br />

auftretenden Wechselwirkungseffekte berücksichtigt (Deutsches Jugendinstitut e.V./<br />

Abteilung Familie und Familienpolitik, April 2006; Klaus A. Schneewind: Family life and<br />

Professional <strong>Work</strong>: Conflict and Synergy (Fam<strong>Work</strong>) – Household labour, work-family<br />

linkages, and family life: A State of the Art Report. In: EU Research on Social Sciences and<br />

Humanities, EUR 21268).<br />

Der Grad der Trennung oder Entgrenzung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen<br />

unterscheidet sich historisch und kulturell. Laut Untersuchungen von Sylvia Schroll-Machl<br />

u.a. über Kulturstandards differenzieren insbesondere berufstätige Deutsche deutlich<br />

zwischen Berufs- und Privatleben (Alexander Thomas, Eva-Ulrike Kinast, Sylvia Schroll-<br />

Machl, Stefan Kammhuber: Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kooperation:<br />

Länder, Kulturen und interkulturelle Berufstätigkeit, Vandenhoeck & Ruprecht, 2003). In wie<br />

weit eine Entgrenzung eine wünschenswerte Chance oder ein Risiko darstellt, ist umstritten.<br />

Der Umgang mit den eigenen Energien und Ressourcen, gegebenenfalls auch eine<br />

Abgrenzung zu den Anforderungen der Erwerbs- und Produktionswelt, wird zunehmend als<br />

eine individuell zu leistende Aufgabe diskutiert (Kerstin Jürgens, G. Günter Voß: “Arbeit und<br />

Leben” als Leistung der Person. In: Gesellschaftliche Arbeitsteilung als Leistung der Person.<br />

Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 34/2007)).<br />

Die Diskussion und Forschung zur WLB löst im deutschsprachigen Raum die zur<br />

Vereinbarkeit von Familie und Beruf ab<br />

Unter der Vereinbarkeit von Familie und Beruf versteht man die Möglichkeit, sich zugleich<br />

Beruf und Karriere einerseits und dem Leben in der Familie und der Betreuung von Kindern<br />

und pflegebedürftigen Personen andererseits zu widmen, unter Berücksichtigung der<br />

Schwierigkeiten, die dabei auftreten können.<br />

Ursprünglich wurde die Vereinbarkeitsfrage als eine von Mutterschaft und Berufstätigkeit<br />

diskutiert und entwickelte sich erst später zu einer von Elternschaft und Berufstätigkeit.<br />

Aufgrund der Diskussion um den demographischen Wandel rückt inzwischen auch die<br />

Betreuung und Pflege älterer oder pflegebedürftiger Angehöriger stärker in den Fokus der<br />

3


Aufmerksamkeit. Seit den neuen, insbesondere arbeitssoziologischen Zeitdiagnosen um die<br />

Entgrenzung von Arbeit und Leben (s.Literatur) wird heute unter dem Stichwort <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<br />

<strong>Balance</strong> umfassender über das Verhältnis von Arbeit und Nicht-Arbeit diskutiert.<br />

3. Familiensoziologische Forschung<br />

Aus familiensoziologischer Perspektive kann man mit Birgit Pfau-Effinger fünf<br />

Familienmodelle unterscheiden. Sie typisiert 5 „geschlechterkulturelle Familienmodelle“<br />

(Pfau-Effinger, Birgit: Wandel der Geschlechterkultur und Geschlechterpolitiken in<br />

konservativen Wohlfahrtsstaaten – Deutschland, Österreich und Schweiz. 2005; Pfau-<br />

Effinger, Birgit: Kultur und Frauenerwerbstätigkeit in Europa. Theorie und Empirie des<br />

internationalen Vergleichs, Leske & Budrich, Opladen 2000. Zitiert nach: Vereinbarkeit von<br />

Erwerbsarbeit und Familie. In: Bundesamt für Statistik Regional Karten und Atlanten.<br />

Frauen- und Gleichstellungsatlas Schweiz. Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie)<br />

1. Familienökonomisches Modell – beide Eltern sind im eigenen landwirtschaftlichen oder<br />

kleingewerblichen Betrieb tätig.<br />

2. Traditionelles bürgerliches Modell, auch Hausfrauenehe, Versorgerehe, (männliches)<br />

Ernährermodell oder Einverdienermodell genannt – Rollenverteilung, bei der der Mann in<br />

Vollzeit berufstätig ist und die Frau die alleinige oder nahezu alleinige Verantwortung für die<br />

Familienarbeit hat.<br />

3. Modernisiertes bürgerliches Modell, auch Zuverdienermodell (bzw. Zuverdienerinmodell),<br />

Vereinbarkeitsmodell der Versorgerehe oder modernisiertes (männliches) Ernährermodell<br />

genannt – Rollenverteilung, bei der der Mann in Vollzeit berufstätig ist und die Frau in<br />

Teilzeit arbeitet und zugleich die alleinige oder nahezu alleinige Verantwortung für die<br />

Familienarbeit hat.<br />

4. Egalitär-erwerbsbezogenes Modell, auch Doppelversorgermodell mit externer<br />

Kinderbetreuung genannt – Rollenverteilung, bei der beide Eltern in Vollzeit erwerbstätig<br />

sind und vorwiegend externe Kinderbetreuung herangezogen wird.<br />

5. Egalitär-familienbezogenes Modell, auch Doppelversorger/Doppelbetreuer-Modell genannt<br />

– Rollenverteilung, bei der beide Eltern zu annähernd gleichen Teilen in Teilzeit erwerbstätig<br />

sind und sich die Verantwortung für die Familienarbeit partnerschaftlich teilen.<br />

Modelle mit umgekehrter Rollenverteilung sowie gleichgeschlechtliche<br />

Lebensgemeinschaften blieben unberücksichtigt. Die Modelle (4.) und (5.) werden auch<br />

allgemeiner als „partnerschaftliche Modelle“ oder „Doppelversorgermodelle“<br />

zusammengefasst. Die Unterscheidung der fünf Modelle wurde als Ausgangspunkt<br />

genommen für eine Typisierung von Ländern beziehungsweise von Wohlfahrtsregimen nach<br />

der Art, wie Geschlechterrollenmodelle reproduziert, verschärft oder verringert werden (Pfau-<br />

Effinger 2000, 2005) Als Kriterium hierfür wurde insbesondere die Nähe beziehungsweise<br />

Ferne zum männlichen Ernährermodell verwendet.( Jane Lewis/Ilona Ostner: Gender and the<br />

Evolution of European Social Policies, Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen,<br />

Arbeitspapier Nr. 4, 1994; zitiert nach: Teresa Kulawik: Wohlfahrtsstaaten und<br />

Geschlechterregime im internationalen Vergleich. In: gender...politik...online. Januar 2005,<br />

abgerufen am 17. Januar 2008 (PDF)). Bei der genannten Unterscheidung der<br />

Familienmodelle ist deutlich, dass die Realitäten in den Familien oft Abwandlungen,<br />

Mischformen oder zeitliche Abfolgen verschiedener Phasen bedeuten; zudem bezieht sich die<br />

4


hier aufgeführte Typisierung nur auf diejenige Familienform, in der zwei Eltern mit Kindern<br />

zusammen leben.<br />

Die Arbeitsteilung in der Partnerschaft ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen.<br />

Deutschen Studien zufolge wenden Frauen insgesamt wesentlich mehr Zeit für Haus- und<br />

Familienarbeit auf als Männer. Dabei ist eine deutliche geschlechtsspezifische Teilung nach<br />

Art der Arbeit zu beobachten Projekt (Familiale Arbeitsteilung in den Ländern der<br />

Europäischen Union: Länderstudie Deutschland, DFG-Projekt, Staatsinstitut für<br />

Familienforschung an der Universität Bamberg und Institut für Soziologie der Universität<br />

Würzburg. Kurzfassung des Projekts, siehe auch Dreizehn Stunden Unterschied – Neue<br />

Studie belegt Aufgabenteilung im Haushalt, FAZ, 5. Dezember 2001). Auch wenn einzelne<br />

Aufgaben an andere Personen oder Institutionen delegiert werden, liegt die Aufgabe der<br />

Organisation der Haus- und Familienarbeit nach wie vor mehrheitlich bei der Frau (Isolde<br />

Ludwig und Vanessa Schlevogt: Bessere Zeiten für erwerbstätige Mütter? Eine neue <strong>Balance</strong><br />

zwischen Arbeit und Privatleben als Zukunftsmodell für Frauen und Männer. Institut für<br />

Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main, 2002,<br />

abgerufen am 30. Juni 2007. Auch erschienen in: WSI Mitteilungen 3/2002).<br />

Mit zunehmender Chancengleichheit für beide Geschlechter haben auch Frauen zunehmend<br />

den Wunsch und die Erwartung einer finanziellen und beruflichen Unabhängigkeit. Diese<br />

Erwartung wird im Zusammenhang mit der hohen Scheidungsrate, den sich ändernden<br />

Regelungen zum Unterhalt und der Diskussion um eventuelle Änderungen der Witwen-<br />

/Witwerrente in verstärktem Maß auch von der Gesellschaft an sie herangetragen. Die<br />

Pluralisierung der Familienformen mit zunehmender Zahl von Patchwork- und<br />

Einelternfamilien erfordert gesellschaftliche Anpassungen, um eine finanzielle Überforderung<br />

der Unterhalt zahlenden Eltern beziehungsweise der Sozialsysteme zu vermeiden und<br />

zugleich allen Personen einen angemessenen Lebensunterhalt zu sichern. So wird es<br />

zunehmend als wichtig angesehen, dass alle arbeitsfähigen Personen ihren Lebensunterhalt<br />

mittel- und langfristig selbstverantwortlich erwirtschaften können. Eine Berufstätigkeit beider<br />

Partner dient nicht nur dem momentanen finanziellen Vorteil und dem Berufsinteresse,<br />

sondern ebenfalls der Zukunftssicherung. Dies bezieht sich auf die spätere Altersrente, aber<br />

auch auf Fälle von Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit oder Trennung, denn bei<br />

Erwerbstätigkeit beider Partner besteht eine geringere Abhängigkeit von staatlicher<br />

Unterstützung oder Unterhaltszahlungen. In vielen Familien ist es zudem ökonomisch kaum<br />

möglich, dass sich ein Elternteil ganz der Haus- und Familienarbeit widmet, da für eine<br />

zunehmende Zahl von Haushalten ein Erwerbseinkommen allein nicht mehr zum Unterhalt<br />

einer Familie ausreicht.<br />

Auch unter vielen Männern besteht heute der Wunsch nach einer Abkehr von der<br />

traditionellen Rollenverteilung. Besonders nach einer Trennung oder Scheidung kämpfen<br />

Väter vielfach um ihre Mitverantwortung in der Erziehung (Lebenskrise – Väter nach<br />

Trennung oder Scheidung: Bremer Sozialwissenschaftler stellt Untersuchungsergebnisse vor.<br />

In: Pressemitteilung Nr. 101. Institut für Geschlechter- und Generationenforschung,<br />

Universität Bremen, 7. Mai 2002). In Trennungsfällen verlieren Männer mit niedrigem<br />

Einkommens- und Bildungsniveau besonders häufig den Kontakt zu ihren Kindern<br />

Scheidung: Wer sozial schwach ist, sieht sein Kind nicht – Bremer Wissenschaftler befragten<br />

3800 Scheidungsväter nach ihren Erfahrungen. In: Pressemitteilung Nr. 209. Institut für<br />

Geschlechter- und Generationenforschung, Universität Bremen, 30. September 2002). Als<br />

Gründe dafür, dass Väter ihre Arbeitszeit relativ selten für die Familienarbeit reduzieren,<br />

nennt die Schweizer Initiative Avanti Papi finanzielle Nachteile aufgrund des<br />

Gehaltsunterschieds zwischen Männern und Frauen, fehlende Teilzeitstellen für höhere<br />

5


Positionen sowie wenig familienfreundliche Organisationsformen und Managementpraxen<br />

(http://www.avanti-papi.ch/).<br />

Eine Retraditionalisierung der Rollen findet Studien zufolge oft nach der Geburt des ersten<br />

Kindes statt. Selbst bei vorher weitgehend egalitärem Rollenverständnis beider Partner<br />

werden nach der Geburt vor allem die Auffassungen der Männer wieder traditioneller,<br />

während die der Frauen egalitär bleiben; dies führt oft zu Spannungen in der Partnerschaft<br />

(Martin R. Textor: Mutterwerdung – Mutterschaft. In: Das Online-Familienhandbuch. Letzte<br />

angegebene Änderung: 30. Dezember 2006). Für Deutschland werden dabei drei auslösende<br />

Momente hervorgehoben: „Erstens der berufliche Wiedereinstieg der Mutter als Armutsrisiko,<br />

zweitens die Koordination der beruflichen Entwicklung beider Elternteile als Überforderung<br />

und drittens geschlechtsspezifische Deutungen bei der Kinderbetreuung und Hausarbeit“<br />

(Rainer Volz, Paul M. Zulehner: Männer in Bewegung. 10 Jahre Männerentwicklung in<br />

Deutschland. (Studie des BMFSFJ). Nomos-Verlag 2009, 40). Dass Erwerbsmuster stark vom<br />

Geschlecht geprägt sind, zeigt sich u.a. in den Teilzeitquoten, die europaweit unter Männern<br />

weitaus geringer sind als unter Frauen (Eurostat Datenbank, „Beschäftigung“).<br />

In als „konservativ“ bezeichneten Ländern, in denen das traditionelle und das modernisierte<br />

bürgerliche Modell vorherrschen, geht es im gesellschaftlichen Diskurs wie auch in der<br />

individuellen Entscheidung stets auch um die Frage einer Beibehaltung oder eines Wandels<br />

einer kulturell verankerten Idealvorstellung einer Familie, in der die Mutter (oder der Vater)<br />

regelmäßig zumindest den halben Tag in der Familie verbringt. In Unterstützung traditioneller<br />

Modelle wird unter anderem für eine Anerkennung privater Arbeit in Form eines<br />

Erziehungsgehalts argumentiert, gegebenenfalls mit Unterstützung des Wiedereinstiegs für<br />

Berufsrückkehrer. Eine Variante egalitärer Modelle ist dadurch gekennzeichnet, dass Eltern<br />

zeitversetzt arbeiten und so – durch flexible Arbeitszeiten oder Zeitschichten – jeweils eine<br />

Person für die Kindererziehung Zeit hat.<br />

4. Makoökonomische Forschung<br />

Insbesondere auch durch die Human Resource-Debatte und das gestiegene Bildungsniveau<br />

von Frauen gilt eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote, insbesondere eine bessere Nutzung<br />

der Arbeitskraft gut ausgebildeter Frauen als wichtiger Faktor im nationalen Wettbewerb.<br />

Zugleich wird von den früh industrialisierten Staaten eine Steigerung der Geburtenrate aus<br />

bevölkerungspolitischen und demographischen Gründen für wünschenswert erachtet. Die<br />

beiden politischen Zielgrößen machen die sog. Vereinbarkeitsfrage in wirtschaftlichen und<br />

wirtschaftspolitischen Licht virulent.<br />

Vielen Veröffentlichungen zufolge (z.B. des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln) geht bei<br />

Frauen ein höheres Ausbildungs- und Einkommensniveau tendenziell mit geringerer<br />

Kinderzahl einher, während bei Männern ein umgekehrter Zusammenhang besteht. Aus<br />

ökonomischer Sicht wird dies u.a. durch höhere durch Elternschaft bedingte<br />

Opportunitätskosten (Einkommenseinbußen oder Verluste an Karrieremöglichkeiten) erklärt.<br />

Eine Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, welche diese Opportunitätskosten<br />

verringere, stelle eine Möglichkeit dar, die beiden Ziele zugleich zu verfolgen: eine Erhöhung<br />

der Zahl gut ausgebildeter Arbeitskräfte, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, sowie<br />

eine Erhöhung der Geburtenrate (Deutschland altert. Die demographische Herausforderung.<br />

Institut der deutschen Wirtschaft Köln).<br />

Als weitere erwartete Folgen einer besseren Vereinbarkeit nennt das BMFSFJ positive<br />

Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung, die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die<br />

6


Binnennachfrage, eine Senkung der Lohnnebenkosten und Einsparungen in der<br />

Sozialversicherung. Hingewiesen wird auch auf die Perspektive, ein Zuwachs an<br />

Frauenerwerbstätigkeit könne aufgrund der zu erwartenden Nachfrage nach mehr Service-<br />

Leistungen zu einem Zuwachs an Arbeitsplätzen führen, und dies vor allem im<br />

Dienstleistungssektor. Mit einer besseren Vereinbarkeit verknüpft sich zudem die Hoffnung<br />

auf eine Verringerung der Armut, wenngleich angemerkt wird, dass ein Arbeitsplatz kein<br />

Garant für Wohlstand darstelle, wie die Zahl der sog. <strong>Work</strong>ing Poor zeige.<br />

Volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analysen von Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit<br />

gelten als schwierig. Ein betriebswirtschaftlicher Nutzen familienfreundlicher Maßnahmen<br />

am Arbeitsplatz ist hingegen vielfach belegt (s.u.).<br />

Frauenverbände weisen darauf hin, dass das Sozialsystem gerade in wirtschaftlichen<br />

Krisenzeiten entlastet werde, wenn Frauen wesentlich zum Familienunterhalt beitrügen und<br />

nicht nur „hinzuverdienten“, da eine Familien durch eine eventuelle Arbeitslosigkeit einer<br />

Person noch nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sei.<br />

Laut einer im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellten Studie sind für eine bessere<br />

Vereinbarkeit von Familie und Beruf bestimmte Elemente entscheidend. Hervorgehoben<br />

werden: ein vor finanziellen Familienleistungen vorrangiger Ausbau der Dienstleistungen,<br />

eine verlässliche und selbstverständliche Versorgung mit qualitativ hochwertiger<br />

Kinderbetreuung, Elternzeit- und Lohnersatzregelungen, Regelungen zur Einkommenssteuer,<br />

eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die Stärkung des Marktes für familiennahe Dienstleistungen<br />

anhand von Dienstleistungsagenturen bei Absenkung der Abgaben auf diese Dienstleistungen<br />

sowie die Arbeitszeitgestaltung in Unternehmen (Eric Thode: Deutschland holt bei der<br />

Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf (http://www.bertelsmann-stiftung.de).<br />

5. Betriebswirtschaftliche Forschung<br />

Zunehmend wird hervorgehoben, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur<br />

unter dem Gesichtspunkt der Humanisierung der Arbeitswelt oder dem der<br />

Geschlechtergleichheit zu sehen sei, sondern dass diesbezügliche Investitionen für die<br />

Betriebe auch unter dem Gesichtspunkt der Kostenentwicklung lohnend sein könnten (z.B.<br />

Die Kosten-Nutzen Analyse familienfreundlicher Maßnahmen. In: ZeitZeichen,<br />

Informationsstelle Innovative Arbeitszeitmodelle; Beruf und Familie – ein gutes Doppel. In:<br />

Elternschaft und Beruf. Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee; Erste Runde der<br />

Anhörung der europäischen Sozialpartner zur Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und<br />

Familienleben, Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel;<br />

Stefanie Jordan: Weniger Arbeit für alle – Sind flexible Arbeitszeitsysteme die Lösung? In:<br />

ZEIT online; Helga Lukoschat/Nina Bessing: Führungskräfte und Familie. BMSFSJ 2006).<br />

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften ist der Überzeugung: „Flexible<br />

Arbeitsregelungen steigern die Produktivität, sorgen für höhere Zufriedenheit bei den<br />

ArbeitnehmerInnen und nützen dem guten Ruf des Unternehmens“. (Mitteilung der<br />

Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und<br />

Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Ein Fahrplan für die Gleichstellung von<br />

Frauen und Männern 2006–2010).<br />

Familienfreundliche Maßnahmen am Arbeitsplatz – etwa in Unternehmen und an öffentlichen<br />

Institutionen – stehen im Zusammenhang mit Personalwesen und Unternehmensstrategie.<br />

Insbesondere können sie die Arbeitszufriedenheit der Betroffenen und das Betriebsklima<br />

beeinflussen und stellen einen Teil der Organisationskultur dar, der unter Anderem auf die<br />

7


Eintritts- und Austrittsrate von Mitarbeitern Einfluss hat. Familienfreundlichkeit als<br />

wesentlicher Aspekt der Unternehmenskultur erfordert entsprechende Einstellungen und<br />

Verhaltensweisen von Geschäftsführungen und Führungskräften; die Umsetzung im Betrieb<br />

ist auf eine breite Beteiligung der Beschäftigten angewiesen.<br />

Zu den relevanten Themen rund um den familienfreundlichen Betrieb gehören unter anderem:<br />

- Planung vor Ausfallzeiten durch Mutterschutz oder Elternzeit zur Sicherstellung einer<br />

adäquaten Stellvertretung und zur Vorbereitung des Wiedereinstiegs; Mitarbeiter- und<br />

Beratungsgespräche über Chancen und Risiken familienbedingter Arbeitsfreistellungen;<br />

firmeninterne Weiterbildung während der Elternzeit; eventuelle Tätigkeit während der<br />

Betriebsfreistellung und abgestufte Teilzeit nach Erziehungsfreistellung als schrittweiser<br />

Wiedereinstieg;<br />

- Gestaltung der Arbeitszeiten über feste Vollzeit- und Halbtagsarbeit hinaus: Teilzeitarbeit<br />

und flexible Arbeitszeitmodelle, etwa durch Freistellungen mittels Zeitwertkonto, durch<br />

Funktionszeiten für einzelne Bereiche (zur Ersetzung oder Ergänzung von Kernzeiten) oder<br />

durch Vertrauensarbeitszeit; variable Wahl des Arbeitsorts und Telearbeit sofern für den<br />

Arbeitsplatz geeignet;<br />

- Angebot oder Vermittlung haushaltsnaher und familienunterstützender Dienstleistungen,<br />

insbesondere betriebseigene Kinderbetreuung für Kleinstkinder, Verlängerung der<br />

Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen, betriebliche Kinderbetreuung in den<br />

Schulferien, ergänzt durch die Möglichkeit, im Bedarfsfall ein Kind mit in den Betrieb zu<br />

nehmen;<br />

- Gewährung arbeitsfreier Tage oder Hilfe bei der Vermittlung externer Betreuung bei<br />

Krankheit von Kindern oder Angehörigen (in Deutschland besteht ein Anspruch auf<br />

Freistellung bei Krankheit eines Kindes);<br />

- Kinderbonuszeiten in Form bezahlter Arbeitsstundengutschriften für Beschäftigte mit<br />

Kindern oder in Form zusätzlicher Urlaubstage pro Kind.<br />

6. Forschung zur betrieblichen Personalpolitik<br />

Maßnahmen zur Familienfreundlichkeit werden unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung<br />

auch daraufhin betrachtet, inwieweit sie vor allem auf Frauen zielen oder ob sie von Männern<br />

und Frauen in vergleichbarem Maße in Anspruch genommen werden. Nach einer Darstellung<br />

von Prognos kommt es bei väterorientierten Maßnahmen vor allem auf die innerbetrieblichen<br />

Kommunikation der Maßnahmen und ihre Legitimation an, sowie auf eine Sensibilisierung<br />

von Belegschaft und Führungskräften für das Thema (Väterfreundliche Maßnahmen im<br />

Unternehmen. Ansatzpunkte – Erfolgsfaktoren – Praxisbeispiele. Prognos AG, im Auftrag des<br />

Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend). Als Gründe für eine<br />

wachsende Bedeutung einer väterorientierten Personalpolitik wird hervorgehoben, dass neben<br />

dem sich wandelnden Rollenverständnis auf Seiten der Männer bzw. Väter zu einer aktiveren<br />

Vaterschaft …zunehmend Überlastungssituationen entstünden, die aus veränderten<br />

Anforderungen der Partnerinnen an eine engagierte Vaterschaft und ein egalitäres<br />

Partnerschaftsverhältnis resultieren. Der normative Druck auf Väter habe sich zudem<br />

insgesamt gesellschaftlich erhöht (ebd.).<br />

8


In Personalpolitik und Organisationsentwicklung stellt das Thema familienfreundlicher<br />

Betrieb einen wichtigen Aspekt der Personalentwicklung dar, insbesondere im Hinblick auf<br />

die Mitarbeitermotivation. Zudem wird es zunehmend auch mit der betrieblichen<br />

Gesundheitsförderung in Zusammenhang gestellt. Gewerkschaften haben sich seit längerem<br />

dem Vereinbarkeitsthema angenommen (vgl. z.B. IG Metall, Handbuch „Gute Arbeit“, 2007).<br />

Als Hemmnis gegenüber betrieblichen <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong> <strong>Balance</strong>-Maßnahmen werden aus der Sicht<br />

der Unternehmen häufig hohe Kosten, organisatorischer Aufwand und mangelnde<br />

Kapazitäten angegeben (Jenny Czurlok: Erfolgsfaktor <strong>Work</strong> <strong>Life</strong> <strong>Balance</strong> –<br />

Gestaltungsmaßnahmen zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben als neue<br />

Herausforderung für Unternehmen. In: Pilotstudie in der europäischen Metropolregion<br />

Nürnberg). Beim Aufbau betrieblicher Betreuungsangebote werden bürokratische Hürden<br />

hervorgehoben (Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Die Sicht der Unternehmen, DIHK<br />

Unternehmensbarometer)..Obwohl Unternehmen in zunehmendem Maße solche Angebote<br />

bereitstellen, bleibt die tatsächliche Nutzung von Unterstützungsangeboten und<br />

Flexibilisierungsmaßnahmen oft sehr niedrig. Unter dem Gesichtspunkt der<br />

Organisationskultur wird die Vermutung geäußert, dass familienfreundliche Angebote in<br />

Unternehmen desto mehr genutzt würden, je stärker nicht der zeitliche Einsatz, sondern<br />

fachliche und besonders auch soziale Kompetenzen die Karriere bestimmten.<br />

Zur Förderung einer familienbewussten oder geschlechtergerechten Unternehmenskultur<br />

achten inzwischen einige Organisationen bei der Beurteilung von Führungskräften darauf, ob<br />

die diese berechtigte familiäre Verpflichtungen der Mitarbeiter bei der Zeit- und<br />

Arbeitsorganisation berücksichtigen. Beispielsweise ist im Beurteilungsvordruck der Stadt<br />

Hamburg explizit die Achtung auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Anforderung an<br />

Führungskräfte vermerkt (Anhang zum Beurteilungsvordruck P 10.110 2004-05. Personalamt,<br />

Senat der Freien und Hansestadt Hamburg). Der Deutsche Verein für öffentliche und private<br />

Fürsorge empfahl im Oktober 2009, die Führungskräftebeurteilung um eine Beurteilung der<br />

Rücksichtnahme des jeweiligen Vorgesetzten auf familiäre Belange zu erweitern, da so ein<br />

Anreiz zur familiengerechten Führung gesetzt werde, der sich auch für die Vorgesetzten selbst<br />

auszahle (Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Vereinbarkeit von Familien- und<br />

Erwerbsleben).<br />

Generell scheint unter Personalverantwortlichen in Deutschland verbal die Akzeptanz von<br />

Vätern in Auszeit und Teilzeit zu wachsen. In einer repräsentativen Umfrage des Instituts für<br />

Demoskopie Allensbach von 2008 befürworten 61 % der befragten Personalverantwortlichen<br />

die Unterbrechung der Berufstätigkeit durch Väter (2006: 48 %) und 65 % bewerteten die<br />

Verringerung der Arbeitszeit durch Väter positiv (2006: 59 %) (Das neue Elterngeld.<br />

Umsetzung in der betrieblichen Praxis. BMFSFJ, August 2008). Zugleich gelten lange<br />

Arbeitszeiten vielfach als Zeichen für Engagement, Erfolg und Loyalität. Laut einer unter<br />

Betriebs- und Personalräten sowie familienorientierten Männern durchgeführten Studie des<br />

Instituts für anwendungsorientierte Innovations- und Zukunftsforschung (IAIZ) dominiert in<br />

der Organisationskultur eine „Anwesenheitskultur“ mit Vollzeitmentalität und Präsenzpflicht<br />

Peter Döge, Cornelia Behnke et al, Auch Männer haben ein Vereinbarkeitsproblem. Ansätze<br />

zur Unterstützung familienorientierter Männer auf betrieblicher Ebene – Pilotstudie<br />

(Endbericht), Institut für anwendungsorientierte Innovations- und Zukunftsforschung (IAIZ)<br />

e. V., Berlin, August 2004). Die Beurteilung von Angestellten in Bezug auf Motivation sei<br />

auch an die Präsenz gekoppelt. Gerade auch Männern werden, selbst in den skandinavischen<br />

Staaten, Hindernisse bezüglich der Inanspruchnahme von Elternzeit in den Weg gestellt.<br />

Wenn Teilzeit oder Elternzeit als mangelnde Motivation ausgelegt werden, sind sie für die<br />

Karriere problematisch; dabei spielt vorrangig die Einstellung des Vorgesetzten eine<br />

9


entscheidende Rolle. Durch Vorurteile unter Vorgesetzten und Kollegen kann eine prinzipiell<br />

vereinbarkeitsfreundliche Leitlinie eines Unternehmens informell untergraben werden. In<br />

anderen Fällen kann Familienengagement auch zu Bewunderung und Wertschätzung führen<br />

(ebd.).<br />

In einigen Untersuchungen wird die Familienzeit als Bildung von Schlüsselkompetenzen wie<br />

zum Beispiel Sozialkompetenz beurteilt, die sich womöglich langfristig auch positiv auf die<br />

berufliche Entwicklung auswirken könne (Die Grenzen der Alternativen. Männliche Kader<br />

zwischen Familie und Beruf. Nr. 274, Neue Zürcher Zeitung, 23. November 2005). Die<br />

Studien sind von der These getragen, dass Eltern sich Belastbarkeit, Organisationsfähigkeit,<br />

Flexibilität und Verantwortungsbewusstsein aneigneten. Zum Zweck der Erfassung derartiger<br />

Kompetenzen bei Personalauswahl und Berufsberatung führt die Fachstelle UND seit 2002<br />

ein Instrument zur Erfassung von Schlüsselkompetenzen (IESKO) (Elisabeth Häni: Vom<br />

Laufbahnhindernis zum beruflichen Erfolgsfaktor? (PDF)); Bernadette Kadishi:<br />

Personalauswahl – systematisch und ganzheitlich. In: Panorama 2/2002. (PDF)).<br />

Messverfahren und -instrumente zur Erfassung von Sozialkompetenzen sind allerdings<br />

umstritten.<br />

In wieweit Teilzeit zu einer größeren Zufriedenheit mit dem erreichten Gleichgewicht<br />

zwischen Arbeit und Familie führt, kann von verschiedenen Faktoren abhängen. Einzelne<br />

unter Frauen durchgeführte Studien deuten darauf hin, dass gerade in Tätigkeiten mit hohem<br />

Anforderungsprofil Befürchtungen über mögliche Stigmatisierung und negative<br />

Auswirkungen auf die Karriere durch Teilzeitarbeit schwer ins Gewicht fallen (Lindy<br />

Fursman und Veronica Jacobsen: <strong>Work</strong> and Family <strong>Balance</strong>: An Economic View. In: New<br />

Zealand Treasury <strong>Work</strong>ing Paper 26/03. (PDF)).<br />

In Bezug auf Führungskräfte wird oft von einer Unteilbarkeit von Führungsverantwortung<br />

ausgegangen (Die Grenzen der Alternativen. Männliche Kader zwischen Familie und Beruf.<br />

Neue Zürcher Zeitung, 23. November 2005). Dabei besteht nach Umfrageergebnissen unter<br />

Führungskräften durchaus ein Wunsch nach Teilzeitarbeit, beispielsweise in Form reduzierter<br />

Vollzeit mit flexiblem Arbeitszeitkonto (Petra Notz, Frauen, Manager, Paare. Wer managt die<br />

Familie?, München/Mering 2001). In einer im mittleren Management durchgeführten<br />

Tübinger Studie kritisierten Befragte, dass mögliche Auswirkungen von Teilzeit oder<br />

Elternzeit auf die Karriere nicht offengelegt würden ebd.). In einer Studie zweier<br />

amerikanischer Wirtschaftsinstitutionen gaben Männer und Frauen mehrheitlich an, eine<br />

Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub oder Arbeitsflexibilisierung würde ihre Karriere<br />

gefährden (Eva Buchhorn: Frauen im Management – Die ausgebremste Karriere. In: managermagazin.de.<br />

26. Juni 2002). Als Karrierehindernis nannten Frauen familiäre und persönliche<br />

Verpflichtungen allerdings erst an vierter Stelle.<br />

Den Ergebnissen eines Hamburger Modellversuchs zufolge ist Job-Sharing zumindest in<br />

einem Teil der Führungspositionen durchaus realisierbar. Dem Nachteil höherer Kosten für<br />

Schulungen und Sozialabgaben stünden dabei Vorteile im Hinblick auf Vertretung und<br />

Flexibilität sowie vielfach auch in der Kompetenz und Produktivität gegenüber. Bei einer<br />

teilweisen Trennung von Fach- und Leitungsaufgaben könne die Führung selbst bei<br />

reduzierter Arbeitszeit in einer Hand bleiben. Wichtig seien die Transparenz von<br />

Zuständigkeiten, eine gegenseitige Akzeptanz, Teamorientierung und Bereitschaft zur<br />

Flexibilität seitens der Job-Sharer Ute Schoenefeldt: „Jetzt ist die Praxis dran!“ Teilzeit und<br />

Jobsharing – (k)ein Thema für Führungskräfte. BMFSFJ, Erfolgsfaktor Familie).<br />

In männerdominierten Bereichen wie dem der Ingenieure und Naturwissenschaftler<br />

10


assoziieren allerdings befragte Personalverantwortliche eine Arbeit in Teilzeit vielfach mit<br />

einer Tätigkeit als Sekretärin oder Mitarbeiterin in der Produktion, nicht mit einer Tätigkeit in<br />

gehobener Position. Jedoch können Personen, die bereits eine leitende Stelle besetzen,<br />

gegebenenfalls individuelle Regelungen zur Arbeit als Führungskraft in Teilzeit aushandeln.<br />

Allerdings arbeiten diese Teilzeitführungskräfte meist weit mehr als die vertraglich<br />

vereinbarte Zeit (VDI-Bericht Ingenieurinnen und Ingenieure im Spannungsfeld zwischen<br />

Beruf, Karriere und Familie).<br />

Generell gilt, dass familienfreundliche Leitlinien im Unternehmen nicht garantieren, dass die<br />

Praxis auf allen Ebenen des Unternehmens dieser Vorgabe entspricht Selbst in Unternehmen,<br />

die ein Zertifikat als familienfreundlicher Betrieb erhalten haben, können sich Mitarbeiter, die<br />

nach Mutterschutz oder Elternzeit an ihren Arbeitsplatz zurückkehren oder in Teilzeit arbeiten<br />

wollen, vor massive Probleme gestellt sehen. Der Konflikt kann dabei bis zu gerichtlichen<br />

Klagen wegen Diskriminierung gehen. (Jana Schulze: Schwangere ausgebootet. In:<br />

Frankfurter Rundschau online. 26. Januar 2008; Erste 500.000-Euro-Klage wegen<br />

Diskriminierung. In: Arbeit und Arbeitsrecht).<br />

7. <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-Dienstleistungsbranche<br />

Rund um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat sich eine Dienstleistungsbranche<br />

etabliert, die Einzelpersonen, Familien, Unternehmen und Institutionen bei der Vereinbarkeit<br />

von Beruf und Familie bzw. in WLB-Fragen berät und unterstützt.<br />

Als Berufsverband der <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-Beratungsbranche setzt sich die 1996 gegründete (bis 2003<br />

unter dem Namen „Alliance for <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong> Professionals“ geführte) Alliance for <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong><br />

Progress (AWLP) für Effizienz im <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong> Management ein, unter anderem durch neue<br />

Studiengänge, Qualitätsstandards und Preise – seit 1996 durch den <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong> Innovative<br />

Excellence Award für Organisationen und den <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong> Rising Star für herausragende<br />

professionelle Leistungen von Personen in der Dienstleistungsbranche, ferner durch<br />

Sponsoring des Rosabeth Moss Kanter-Preises für Forschungsarbeiten zum Thema „Arbeit<br />

und Familie“.<br />

Beispiele für WLB-Dienstleistungsunternehmen sind das Kompetenzzentrum <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong><br />

GmbH Wettersteinstr. 16, 82049 Pullach i.I. (http://www.work-life.de); forschung &<br />

beratung, Köslinstraße 55, D - 53123 Bonn und pme Familienservice GmbH, Flottwellstr. 4-<br />

5, 10785 Berlin (http://www.familienservice.de)<br />

Eine Vielzahl von nicht-kommerziell ausgerichteten Verbänden, Vereinen und Projekten<br />

widmen sich – teilweise mit öffentlicher Förderung – ebenfalls der Thematik.<br />

Einzelne Frauenverbände nehmen sich, neben frauenspezifischen Themen, auch der Thematik<br />

der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen und des Diversity<br />

Management an. Dies gilt beispielsweise für den 1930 gegründeten und in über 100 Ländern<br />

vertretenen Verband der Business and Professional Women (BPW) und das 1984 gegründete<br />

Netzwerk European Women’s Management Development International Network (EWMD)<br />

mit Fokus auf Führungskräfte.<br />

Einige Interessenverbände verstehen sich jeweils als Forum und autonome Lobby für<br />

berufstätige Eltern, so etwa der Verband berufstätiger Mütter e.V. (VBM) für berufstätige<br />

11


Mütter in Deutschland [198] und der Verein Vaeter e.V für Männer, die Elternzeit nehmen<br />

oder ihre Arbeitszeit zugunsten der Kindererziehung flexibilisieren wollen. Andere Initiativen<br />

befassen sich mit eltern- oder familienspezifischen Themen im Allgemeinen und führen das<br />

Vereinbarkeitsthema als ein Thema unter vielen, beispielsweise das 2005 gegründete, vom<br />

Deutschen Familienverband unterstützte Netzwerk mamifest für als „High Potential Mums“<br />

bezeichnete Mütter.<br />

8. Der Staat als Akteur im Feld der <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong><br />

In Deutschland fördern die Bundes- und Landesregierungen, die Gewerkschaften und<br />

Wirtschaftsverbände Projekte und Initiativen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das<br />

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlicht Informationen<br />

zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Informationen für Unternehmen sind dabei<br />

in dem 2006 zusammen mit der DIHK initiierten Programm „Erfolgsfaktor Familie“<br />

gebündelt, mit einer Netzwerkplattform, in der Erfahrungen unter Unternehmen (Stand 2008:<br />

ca. 2000) ausgetauscht werden können (http://www.erfolgsfaktor-familie.de/. Der Newsletter<br />

„Erfolgsfaktor Familie“ berichtet sechsmal im Jahr rund um das Thema familienbewusste<br />

Personalpolitik). Das Programm ist durch Bundes- und ESF-Mittel gefördert. Die<br />

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung führt zu diesem Thema ebenfalls ein<br />

unabhängiges Informationsangebot. Die Initiative berufundfamilie bietet neben dem audit<br />

berufundfamilie auch eine alphabetisch und thematisch geordnete Liste relevanter<br />

Maßnahmen und verwandter Aspekte. Der DGB führt ein Projekt Vereinbarkeit von Familie<br />

und Beruf gestalten; ebenso haben die Einzelgewerkschaften zahlreiche Initiativen und<br />

Projekte auf diesem Themenfeld. Der Verbund für Unternehmen und Familie e. V.<br />

unterstützt familienorientiertes Personalmanagement in den Mitgliedsunternehmen durch<br />

Beratung, Qualifizierung, Fachveranstaltungen und Informationen. Das Projekt<br />

MittelstandundFamilie, initiiert durch die bundesweite Initiative Allianz für die Familie, eine<br />

Kooperation der Bundesregierung mit den Gewerkschaften und den Spitzenverbänden der<br />

deutschen Wirtschaft, führt eine Infoline und eine Datenbank mit dem Ziel, Arbeitgeber bei<br />

der familienfreundlichen Gestaltung von kleinen und mittelständischen Betrieben zu<br />

unterstützen. Auch Ministerien der deutschen Landesregierungen fördern Initiativen zur<br />

Vereinbarkeit. Das vom Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des<br />

Landes Nordrhein-Westfalen geförderte Projekt fast-4ward (Mai 2003 bis Dezember 2004)<br />

stellte für Eltern sowie für Arbeitgeber umfangreiche Informationssammlung und ein<br />

Diskussionsforum zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie zur Verfügung;<br />

Informationen aus fast-4ward wurden im September 2006 in das Portal femity integriert.<br />

Projekte und Maßnahmen zur Vereinbarkeit waren auch Inhalt des Programms <strong>Balance</strong>-<br />

Familie-Beruf von FrauenOnline Niedersachsen und der Vernetzungsstelle für<br />

Gleichberechtigung, Frauenbeauftragte und Gleichstellungsbeauftragte in Zusammenarbeit<br />

mit dem niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit mit<br />

Laufzeit von Mai 2006 bis Juli 2007. Die Initiative ZeitZeichen in Rheinland-Pfalz sowie die<br />

Industrie- und Handelskammer (IHK) Hochrhein-Bodensee informieren insbesondere über<br />

Kostenvorteile in familienfreundlichen Betrieben. Das „Programm für betriebliche<br />

Kinderbetreuung“ des Europäischen Sozialfonds mit einer Laufzeit von 2008 bis 2011 sah<br />

zunächst eine Förderung betrieblicher Kinderbetreuung nur für Betriebe mit bis zu 1000<br />

Mitarbeitern vor, soll aber auf größere Betriebe und Universitäten ausgeweitet werden<br />

(Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist Topthema in der Bevölkerung. BMFSFJ).<br />

9. International vergleichende Untersuchungen<br />

12


Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist Thema länderübergreifender Studien. Prominent<br />

die Studien der OECD 2002-2005: Babies and Bosses, Reconciling <strong>Work</strong> and Family <strong>Life</strong>.<br />

Vol. 1-4), die auch zu einer Reihe von Empfehlungen führten: Babies and Bosses: OECD<br />

Recommendations to help families balance work and family life. OECD, 2004 und 2005.<br />

Die Vereinbarkeit hat einen Einfluss auf die Karriere- und Familienplanung und dadurch auf<br />

die demografische Entwicklung, insbesondere die Altersverteilung: OECD-Analysen deuten<br />

auf eine mögliche Steigerung der Geburtenrate durch finanzielle Unterstützung von Familien<br />

mit Kindern sowie durch Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Trends and<br />

Determinants of Fertility Rates. The Role of Policies, Social, Employment and Migration<br />

<strong>Work</strong>ing Paper No 27, OECD, 2005).<br />

• Die Verfügbarkeit, Qualität und Kosten der Kinderbetreuung haben Einfluss auf die<br />

Entscheidung der Eltern, ob und wie viel Betreuungszeit in Anspruch genommen wird<br />

und somit für den Beruf zur Verfügung steht. So ist etwa in Dänemark, wo diese<br />

Faktoren für Eltern günstig sind und Eltern angeben, Vertrauen in die Qualität der<br />

Kinderbetreuung zu haben, die Mehrzahl der Frauen in Vollzeit berufstätig (Family-<br />

Friendly Policy Can Generate a Range of Benefits to Society. OECD, 2002, 46).<br />

• Umgekehrt führen zum Beispiel in den Niederlanden hohe Betreuungskosten für<br />

Kleinkinder dazu, dass Mütter mehrerer Kinder oft in Teilzeit arbeiten oder ihren<br />

Beruf ganz aufgeben (ebd.). Darüber hinaus haben Öffnungszeiten und Flexibilität von<br />

Betreuungseinrichtungen einen Einfluss darauf, ob die Vereinbarkeit von Familie und<br />

Beruf im Einzelfall tatsächlich gelingt.<br />

• Vielfach, so etwa in Australien, Dänemark und den Niederlanden, erfahren Väter<br />

berufliche Nachteile, wenn sie familienbedingte Ansprüche geltend machen wollen;<br />

dies festigt laut OECD-Studie bestehende Rollenmodelle in der Arbeitswelt und<br />

behindert die Gleichstellung von Mann und Frau auf dem Arbeitsmarkt (ebd.).<br />

• Probleme bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf treten bis weit über das<br />

Kleinkindalter hinaus auf. Laut eines OECD-Reports wird diesem Umstand noch<br />

kaum Rechnung getragen; allerdings sehen aus diesem Grunde die Niederlande für<br />

alle Eltern ein Anrecht auf eine Mitentscheidung über die Arbeitszeit vor (ebd.).<br />

• Wenn Eltern sich genötigt sehen, länger zu arbeiten als sie es sich wünschen, kann in<br />

einigen Fällen die Partnerschaft zerbrechen oder die Kindesentwicklung negativ<br />

beeinflusst werden (OECD 2002).<br />

10. Geschlechterforschung<br />

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gilt als ein zentrales Element der Gleichstellung der<br />

Geschlechter (ILO stellt zweiten globalen Bericht zu Diskriminierung bei der Arbeit vor. In:<br />

Entwicklungspolitik Online, www.epo.de; Entschließung des Rates und der im Rat<br />

Vereinigten Minister für Beschäftigung und Sozialpolitik vom 29. Juni 2000 über eine<br />

ausgewogene Teilhabe von Frauen und Männern am Berufs- und Familienleben. In: Amtsblatt<br />

Nr. C 218 vom 31. Juli 2000 auch im Sinne des Gender Mainstreaming (Gender<br />

Mainstreaming. Europäische Kommission) Es wird erwartet, dass familienfreundliche<br />

Maßnahmen Ausfallzeiten verkürzen, Doppelbelastungen verringern können und dadurch<br />

Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen und familienbezogene Gehaltsnachteile,<br />

insbesondere Unterschiede zwischen Frauen mit Kindern und Frauen ohne Kindern,<br />

verkleinern können.<br />

13


Manche Konstruktion der <strong>Balance</strong> von Beruf und Familie könne jedoch auch einer<br />

Hierarchisierung von Arbeit in Männer- und Frauenarbeit Vorschub leisten. So heißt es im<br />

Fünften Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten<br />

Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau:„Der Ausschuss<br />

befürchtet, dass Maßnahmen zur Vereinbarung von Familie und Beruf stereotypen<br />

Erwartungen von Frauen und Männern Vorschub geben.“ (Fünfter Bericht der<br />

Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung<br />

jeder Form von Diskriminierung der Frau. 19. November 2002, S. 126.)<br />

Insbesondere deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass ein Anspruch auf eine sehr lange,<br />

nur Müttern zustehende Arbeitsfreistellung die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt<br />

verschlechtern kann; andererseits lassen sich entsprechende Nachteile zumindest teilweise<br />

kompensieren, indem Arbeitgebern Vorteile beim beruflichen Wiedereintritt von Müttern<br />

zugestanden werden.[236] Selbst prinzipiell Männern und Frauen gleichermaßen zustehende<br />

Rechte können ungleiche Wirkung auf die Beschäftigungsfähigkeit (employability) von<br />

Männern und Frauen zeigen, sofern sie in der Praxis häufiger von Frauen in Anspruch<br />

genommen werden.<br />

Familienpflichten kollidieren oft mit normativen Erwartungen am Arbeitsplatz: „Da das<br />

männlich geprägte Berufsverständnis und die moderne Arbeitsorganisation voraussetzen, dass<br />

Arbeitende dem Betrieb vollständig zur Verfügung stehen – auch über die betrieblichen<br />

Arbeitszeiten hinaus: für Überstunden und Schichtarbeit, Weiterbildung und Dienstreisen, –<br />

wird Arbeitskräften, die potentiell eine Erwerbsunterbrechung und zeitweilige Teilzeitarbeit<br />

in Anspruch nehmen, auch schon vor einer Familiengründung nur eingeschränktes<br />

Engagement unterstellt“ (Birgit Geissler: Hierarchie und Differenz – Die (Un-)Vereinbarkeit<br />

von Familie und Beruf und die soziale Konstruktion der Geschlechterhierarchie im Beruf).<br />

Da in der Rollenverteilung bei Hausarbeit und der Kindererziehung Frauen meist mehr Zeit<br />

für Haus- und Familienarbeit aufwenden (Gender Datenreport des BMFSFJ. Kapitel 5.6<br />

Praxis geschlechterdifferenzierter Arbeitsteilung) zeigt diese Einschätzung insbesondere für<br />

Frauen Wirkung: so gelten Frauen mitunter unterschiedslos als „mit einem prinzipiellen<br />

Makel häuslicher und mütterlicher Verpflichtung behaftet“ (Gudrun-A. Knapp, Segregation in<br />

Bewegung. Einige Überlegungen zum ‚Gendering‘ von Arbeit und Arbeitvermögen, in: Karin<br />

Hausen/Gertraude Krell (Hg.): Frauenerwerbsarbeit. Forschungen zu Geschichte und<br />

Gegenwart, München 1993, S. 33), mit entsprechenden Auswirkungen auf Einstellung und<br />

Beförderung von Frauen bei gleicher Qualifikation. Dies gilt insbesondere auch für hohe<br />

Positionen (Frauen in Führungspositionen – Karriere mit Hindernissen. In: IAB Kurzbericht,<br />

Nr. 9. 6. Juni 2006). So wird festgestellt, gerade für hochqualifizierte Tätigkeiten habe sich<br />

gegenüber Frauen das „Ethos der umfassenden zeitlichen und räumlichen Verfügbarkeit […]<br />

als überaus wirksames Ausgrenzungsinstrument erwiesen“.( E. Brumlop/Hornung,<br />

Betriebliche Frauenförderung. Aufbrechen von Arbeitsmarktbarrieren oder Verfestigung<br />

traditioneller Rollenmuster? In: P. Beckmann/G. Engelbrech (Hgg.): Arbeitsmarkt für Frauen<br />

2000 – ein Schritt vor oder ein Schritt zurück, Beiträge zur Arbeitsmarkt- und<br />

Berufsforschung Nr. 179, Nürnberg, S. 712–726, 1994. Zitiert nach: Jörg Flecker: Sachzwang<br />

Flexibilisierung? – Unternehmensreorganisation und flexible Beschäftigungsformen. In:<br />

FORBA-Schriftenreihe Nr. 2/99. Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt, Wien, 1999,<br />

abgerufen am 13. Juli 2007 (PDF). S. 16).<br />

Bezüglich eines organisatorischen Wandels, der auch für Führungskräfte eine<br />

Arbeitszeitflexibilisierung, individueller Arbeitszeitgestaltung und Arbeit in Teilzeit<br />

ermöglichen würde, wird in einem Beitrag zur Dokumentation zum Thema „Arbeiten ohne<br />

14


Ende“ der Gewerkschaft IG Metall festgestellt:„Das stärkste Hindernis für den<br />

organisatorischen Wandel bildet das alte Leitbild männlicher, unteilbarer Führungskraft, das<br />

nach wie vor im Top-Management der meisten Unternehmen fest verankert ist. Es (v)erklärt<br />

die erfolgreiche Managerkarriere als Opferfest des Privatlebens – und regelt ganz nebenbei<br />

den Zutritt ins Allerheiligste der Macht: Frauen haben draußen zu bleiben oder ihre<br />

Zeitwünsche an der Garderobe abzugeben; die Männer haben gezähmte Partnerinnen<br />

vorzuweisen, die selbst das Managerleben aushalten und mit absichern.“ (Ulf Kadritzke:<br />

Hochqualifizierte Angestellte und Manager unter Druck – Anspruch und Wirklichkeit<br />

flexibler Zeitorganisation. In: IG Metall, Thema „Arbeit ohne Ende“. ).<br />

Laut eines unter Leitung des WSI erstellten Berichts besteht ein enger Zusammenhang<br />

zwischen familiärer Arbeitsteilung, geschlechtsspezifischen Karrierechancen und<br />

vorherrschenden Arbeitsverhältnissen. Die Konzipierung von Männer- und Fraueneinkommen<br />

als „Familienernährerlöhne“ beziehungsweise als „Zuverdienste“ und die Norm einer<br />

Arbeitszeit, die mit der Sorge für Kinder und Haushalt schwer vereinbar sei, unterstellten und<br />

unterstützten die Familienform des Ernährermodells. Auch die familiäre Arbeitsteilung (mit<br />

primärer Zuständigkeit der Frau für Familienarbeit) und bestehende Karrierenachteile von<br />

Frauen verstärkten sich wechselseitig(Bericht zur Berufs- und Einkommenssituation von<br />

Frauen und Männern, im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und<br />

Jugend. Juli 2001, S. 115).<br />

Männliche Arbeitnehmer, die sich der Kindererziehung widmen, können Anforderungen an<br />

Mobilität, Flexibilität oder Verfügbarkeit nicht in gleichem Maße gerecht werden wie<br />

diejenigen, die das Hausfrauenmodell praktizieren. Für Männer wirkt nach wie vor das<br />

Hausfrauenmodell karrierefördernd. In diesem Fall gelten Kinder auch als Motivator für<br />

berufliches Engagement und als räumlicher und emotionaler Stabilitätsfaktor (Thomas<br />

Gesterkamp: Abschied vom Zahl-Vater? Die Veränderung der Männerrolle in der Familie).<br />

Wenn Väter aufgrund ihres Einsatzes für die Familie ihr berufliches Engagement verringern,<br />

verhalten sie sich konträr zum traditionell erwarteten Rollenmuster und riskieren soziale<br />

Ausgrenzung (ebd.). In einer 2008 veröffentlichten Studie des VDI innerhalb des<br />

männerdominierten Berufsbereichs der Ingenieure wurde festgestellt, dass in Deutschland in<br />

diesem Berufszweig die Familienfreundlichkeit von Unternehmen immer noch als Thema von<br />

Frauen gilt (VDI-Bericht Ingenieurinnen und Ingenieure im Spannungsfeld zwischen Beruf,<br />

Karriere und Familie). Zudem sei „die totale Verfügbarkeit der Person für das Unternehmen<br />

gegen Ende des 20. Jahrhundert in vielen Unternehmen unausgesprochen zur Bedingung für<br />

die Übernahme von Spitzenpositionen geworden“,[100] und dies setze eine Organisation des<br />

Privatlebens in Form des Alleinernährermodells voraus (Yvonne Haffner, Bärbel Könekamp,<br />

Beate Krais: Arbeitswelt in Bewegung. Chancengleichheit in technischen und<br />

naturwissenschaftlichen Berufen als Impuls für Unternehmen. Hrsg.: BMBF 2006. S. 38.).<br />

10.1. Hierarchisierung und Dehierarchisierung der Geschlechter<br />

Für den Prozess der Geschlechter-Hierarchisierung gelten zwei Phasen als kritisch: die Phase<br />

von Berufswahl und Ausbildung, und die der Familiengründung, bei der – jedenfalls in<br />

Westdeutschland – oftmals eine Traditionalisierung der Geschlechterrollen in der Familie und<br />

ein Umbruch im Bezug zur Erwerbsarbeit stattfindet (Birgit Geissler: Hierarchie und<br />

Differenz – Die (Un-)Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die soziale Konstruktion der<br />

Geschlechterhierarchie im Beruf) Nach Geißler trage zudem auch die subjektive Bewertung<br />

des Berufs durch Frauen, die dem Inhalt der beruflichen Tätigkeit vor finanziellen und<br />

machtbezogenen Aspekten Vorrang gäben, zu einer Hierarchisierung nach Geschlechtern bei<br />

(ebd.). Gegebenenfalls resultiert ein Karriereknick aufgrund der Synchronizität von<br />

15


entscheidenden Jahren für die Karriere mit den Jahren der Familiengründung. Langfristig<br />

entstehen darüber hinaus vielfach – trotz der Anrechnung von Jahren der Kindererziehung –<br />

nachteilige Auswirkungen auf Rentenansprüche.<br />

Eine Flexibilisierung der Berufsbiografie nach Lebensphasen, Weiterbildung während der<br />

Familienpause und eine Berücksichtigung von in dieser Zeit gewonnenen Kompetenzen, etwa<br />

im Sinne von Human- und Sozialkompetenz, könnten Eltern bei der Kompensation<br />

familienbedingter Karrierenachteile unterstützen. Zeitlich entzerrte Phasen von<br />

Karrierebildung und Familiengründung, bei der Unterbrechungen nicht in die<br />

karriereintensive Phase der ersten Berufsjahre fallen, sondern früher oder später stattfinden,<br />

könnten sich eventuell weniger negativ auswirken (Juliane Achatz/Jutta<br />

Allmendinger/Kathrin Dressel/Corinna Kleinert: Mütter sitzen selten im Chefsessel, FRonline,<br />

22. Juni 2007). Positive Wirkungen flexiblerer Modelle auf die Gleichstellung werden<br />

erwartet, falls die Möglichkeiten ebenfalls von Männern genutzt werden und die Auszeiten<br />

nicht nur für Kinderbetreuung, sondern auch beispielsweise für Bildung und soziale Arbeit<br />

verwendet werden können (Frauen in Führungspositionen – Karriere mit Hindernissen. In:<br />

IAB Kurzbericht, Nr. 9. 6. Juni 2006). Dabei werden zudem Forderungen laut, auch<br />

Ausbildung verstärkt in Teilzeit zu ermöglichen.<br />

Laut Gender Datenreport hat sich bezüglich der Menge an Zeit, die für bezahlte und für<br />

unbezahlte Arbeit aufgewendet wird, in den zehn Jahren zwischen 1991/1992 und 2001/2002<br />

„eine gewisse Angleichung“ zwischen Frauen und Männern vollzogen: Frauen wandten für<br />

unbezahlte Arbeit weniger Zeit auf als zuvor, und Männer verringerten stärker als Frauen die<br />

Zeit für bezahlte Arbeit (Gender Datenreport, BMFSFJ, 2005. Abschnitt 5.6 Praxis<br />

geschlechterdifferenzierter Arbeitsteilung)<br />

Eine Förderung einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird bisweilen als<br />

Alternative gegenüber anderen Maßnahmen der Gleichstellungspolitik genannt.<br />

Beispielsweise wird die Ansicht vertreten, dass Angebote der Kinderbetreuung und flexible<br />

Arbeitszeiten eine Quotenregelung überflüssig machten. Andere meinen, eine tatsächliche<br />

Gleichstellung erfordere dennoch den stärkeren politischen Druck einer Quotenregelung<br />

(Quotenregelung für Frauen in Aufsichtsräten. In: Compliance-Magazine.de. 9. Mai 2008).<br />

10.2. Caregiver Discrimination<br />

Eine Ungleichbehandlung aufgrund von Fürsorgepflichten wird im englischen unter den<br />

Begriff caregiver discrimination oder auch die Bezeichnung family responsibilities<br />

discrimination gefasst.<br />

Die U.S.-amerikanische Equal Employment Opportunity Commission (EEOC) gab am 23.<br />

Mai 2007 Richtlinien bezüglich gesetzeswidriger Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern<br />

mit familialen Betreuungspflichten heraus. Darin wird festgestellt, dass die Enforcement of<br />

Equal Opportunities Gesetze eine Diskriminierung betreuender Personen an sich zwar nicht<br />

verbieten, dass aber Arbeitnehmer, die Kinder erziehen, Behinderte betreuen oder<br />

Pflegebedürftige versorgen, unter Umständen berufliche Nachteile aufgrund ihrer<br />

Pflegeverpflichtungen erfahren, die unter dem Title VII des Civil Rights Act von 1964 oder<br />

dem Americans with Disabilities Act (ADA) von 1990 als gesetzeswidrig einzustufen sind.<br />

Insbesondere eine Diskriminierung aufgrund der Betreuung behinderter Personen ist generell<br />

unzulässig (Enforcement guidance: Unlawful disparate treatment of workers with caregiving<br />

responsibilities. 23. Mai 2007) So heißt es in der Einleitung: „Although the federal EEO laws<br />

do not prohibit discrimination against caregivers per se, there are circumstances in which<br />

16


discrimination against caregivers might constitute unlawful disparate treatment.“[253]<br />

(übersetzt: Obwohl die bundesweiten EEO Gesetze eine Benachteiligung von Personen mit<br />

Fürsorgepflichten nicht per se verbieten, gibt es Umstände, in denen eine Ungleichbehandlung<br />

von Personen mit Fürsorgepflichten eine gesetzeswidrige Ungleichbehandlung darstellt.).<br />

Siehe hierzu auch: Politische Entwicklungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den<br />

USA.<br />

In mehreren Staaten der USA wurde erwogen, gesetzlich gegen family responsibilities<br />

discrimination anzugehen und beispielsweise Kriterien wie Familienstand oder Elternschaft<br />

(family status, family responsabilities, parenthood, parental status, marital or family status,<br />

familial status, caregiver status) in Antidiskriminierungsrichtlinien aufzunehmen oder es<br />

Arbeitgebern zu verbieten, Fragen zu diesen Bereichen zu stellen. In einzelnen Staaten der<br />

USA sind diese Vorschriften gesetzlich verankert worden.<br />

Auf europäischer Ebene ist es zulässig, die berufliche Eingliederung von Personen mit<br />

Fürsorgepflichten besonders zu fördern. So erlaubt die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie in<br />

Artikel 6 den Mitgliedstaaten, vorzusehen, „dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters<br />

keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen<br />

des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus<br />

den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind,<br />

gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich<br />

sind“; derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen: „die<br />

Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen<br />

Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der<br />

Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von<br />

Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern […]“<br />

(Richtlinie 2000/78/EG).<br />

11. Kritik der Modelle und Paradigmen ‚Vereinbarkeit’ und ‚<strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>’<br />

Kritik an einer Vereinbarung von Familie und Beruf beziehungsweise zu dem Ansatz einer<br />

WLB bezieht sich auf den Begriff und die Problemstellung, oder auch auf inhaltliche Aspekte<br />

wie Zielsetzung, Modelle, Maßnahmen und Finanzierung.<br />

11.1. Kritik der Begriffe<br />

Man kann zwei wichtige Positionen der Begriffskritik ausmachen. Eine kritisiert den<br />

Terminus <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>, die andere hält ihn für eine der Tendenz nach positive<br />

Modernisierung gegenüber dem Vereinbarkeitsparadigma.<br />

Bettina Dausien weist zunächst darauf hin, dass das „Vereinbarkeitsproblem“ bereits seit den<br />

70ern Thema in der Frauenforschung war. Die aktuellen Diskussionen hält sie entsprechend<br />

für historisch wenig reflektiert. Damals wurde, so Dausien, im feministischen Kontext das<br />

Verhältnis des Systems kapitalistischer Produktion einerseits zum gesellschaftlich, familiär<br />

organisierten System der Reproduktion andererseits diskutiert. "Heute heißt es freilich -<br />

eleganter und leichter - `<strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>´ und ob sich dahinter tatsächlich eine<br />

vergleichbare Problembeschreibung verbirgt", hält sie für fraglich. Insgesamt hält sie den<br />

Ausdruck WLB für Analysen der Geschlechterforschung in Bezug auf Bildungs- und<br />

Karrierewege von Frauen aus folgenden Gründen wenig brauchbar (Dausien, Bettina 2006:<br />

17


Machen Frauen Karriere? Gedanken zum Diskurs über Geschlecht, Beruf und „<strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<br />

<strong>Balance</strong>“. In Schlüter, Anne (Hrsg.): Bildungs- und Karrierewege von Frauen. Wissen -<br />

Erfahrungen – biographisches Lernen. Opladen: Verlag Barbara Budrich, 54-74):<br />

• Der Begriff "<strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>" ist geschlechtsneutral und nimmt dem Diskurs so<br />

die Schärfe der Geschlechterfrage.<br />

• Der Begriff neutralisiert zudem soziale Klassenunterschiede und Hierarchien, wird<br />

aber letztlich vor allem im Kontext hochqualifizierter Berufe und höherer betrieblicher<br />

Positionen angewandt.<br />

• Der Begriff personalisiert und suggeriert auf diese Weise, dass es um ein Problem der<br />

individuellen Lebensführung geht. Der Begriff wird aber vor allem für betriebliche<br />

Strategien der Personalentwicklung verwendet.<br />

• Und schließlich verdeckt der Begriff die strukturellen gesellschaftlichen<br />

Widersprüche, die hinter dem Problem lebbarer Arbeits-Zeit-Verhältnisse stehen.<br />

Stattdessen verspricht er Lösungen in Form einer individuell erreichbaren "<strong>Balance</strong>".<br />

Karin Jurczyk hingegen kritisiert den Begriff der Vereinbarkeit von Arbeit und Leben und<br />

bevorzugt den Begriff der <strong>Balance</strong>, da er ein besseres Verständnis davon vermittele, dass es<br />

nicht um die Vereinbarkeit von zwei starren Polen gehe, sondern um das immer wieder<br />

prekäre austarieren verschiedener Anforderungen und Dynamiken. Karin Jurczyk 2005:<br />

<strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong> und geschlechtergerechte Arbeitsteilung. In: Hartmut Seifert (Hrsg.):<br />

Flexible Zeiten in der Arbeitswelt. Campus Frankfurt 2005).<br />

11.2. Kritik an Zielsetzungen<br />

Kritiker wie auch Befürworter der Entwicklung der deutschen Familienpolitik unterstreichen<br />

die wirtschaftlich und bevölkerungspolitisch motivierte Begründung des Engagements für<br />

Vereinbarkeit und <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>. Die Kritik hinterfragt die Zwecke ökonomisches und<br />

demographisches Wachstum sowie Vollbeschäftigung, hinter der Gleichheit (insb.<br />

Geschlechtergleichheit), individuelle Selbstverwirklichung und ein gelingendes Leben zurück<br />

gestellt würden. Die Maßnahmen zielten letztlich weder auf die Überwindung<br />

geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung und die Gleichstellung von Frauen, noch auf eine<br />

Verbesserung der alltäglichen Lebensverhältnisse von Frauen, Müttern und Kindern (Daniel<br />

Kreutz: Mit dem „Mythos Demografie“ zur Renaissance der Bevölkerungspolitik. In:<br />

Sozialistische Zeitung SoZ, linksnet.de. 27. April 2006).<br />

Die Philosophin und Theologin Andrea Günter sieht in der Intensität der in Deutschland<br />

geführten Debatte um die Vereinbarkeit eine Verdeckung anderer Themen, insbesondere einer<br />

Ratlosigkeit im Hinblick auf die allgemeine Entwicklung der Geschlechterbeziehungen und<br />

der Gesellschaft (Andrea Günter: Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Ein Zwischenruf).<br />

Das Konzept der Vereinbarkeit wird von der arbeitskritischen Gruppe Krisis in ihrem<br />

Manifest gegen die Arbeit als eine „erbärmliche bürgerliche Vision“ bezeichnet, die die<br />

Trennung der sozialen Sphären in (Erwerbs-)Arbeit und Privathaushalt aufrechterhalte,<br />

geschlechtsbezogene Rollenzuteilungen nicht aufhebe und nur für eine Minderheit von<br />

Besserverdienenden, die Haushalt und Kinderbetreuung an schlecht bezahlte, weibliche<br />

Angestellte delegieren könnten, überhaupt lebbar sei (Kapitel 7. „Arbeit ist patriarchale<br />

Herrschaft“. In: Manifest gegen die Arbeit, ger.anarchopedia.org. Version vom 9. Juni 2006).<br />

11.3. Kritik bezüglich Umsetzung und Umsetzbarkeit<br />

18


Maßnahmen wie das Elterngeld und der geplante Ausbau von Krippenplätzen sind vor allem<br />

im Hinblick auf Finanzierung, den Einfluss des Staates auf elterliche Entscheidungen und die<br />

Frage einer sozialen Gerechtigkeit kritisiert worden.<br />

Oft wird hervorgehoben, die Hauptverantwortung für die Familie und für ihre Vereinbarung<br />

mit dem Beruf liege bei den Eltern. Kritiker unterstreichen dabei, dass Familien damit<br />

zunehmend unter Druck gerieten – durch einen zunehmenden finanziellen Druck, durch<br />

wachsende Anforderungen an Eltern in allen Aspekten der Kindererziehung, durch fehlende<br />

Kinderfreundlichkeit und durch eine Zunahme der Komplexität des Alltags in der modernen<br />

Gesellschaft – und dass die Gesellschaft als Ganzes einen zu geringen Anteil an dieser<br />

Belastung trage.<br />

In Deutschland wird das Konzept der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter den<br />

gegenwärtigen Bedingungen bisweilen als unrealistisch bezeichnet (Kerstin Jürgens: Die<br />

Schimäre der Vereinbarkeit. Familienleben und flexibilisierte Arbeitszeiten, Zeitschrift für<br />

Soziologie der Erziehung und Sozialisation Nr. 23 (3/2003), S. 251-267). Eine<br />

Flexibilisierung der Arbeitszeit hätte in der Praxis oft eine Leistungsintensivierung am<br />

Arbeitsplatz und eine noch stringentere Unterordnung des Privaten zur Folge ebd.). Auch ein<br />

Modell, bei der beide Eltern ihre Arbeitszeit je halbieren, um sich bei der Kinderbetreuung<br />

abzulösen, sei wegen des hohen Einkommensverlusts vor allem für untere<br />

Einkommensgruppen und bei unterschiedlich hohem Einkommen der Partner „keine wirkliche<br />

Alternative zur traditionellen Aufgabenteilung“ (ebd.).<br />

In Deutschland sei, so Eichhorst und Thode, durch die im 21. Jahrhundert stattgefundenen<br />

Reformen in der Arbeitsmarkt-, Steuer- und Transfer-, Bildungs- und Betreuungspolitik eine<br />

widersprüchliche Übergangssituation bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />

entstanden (Werner Eichhorst, Eric Thode: Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Wie<br />

konsistent sind die Reformen? (Abstract). In: IZA Discussion Paper No. 4294. 21. Juli 2009).<br />

Das Ehegattensplitting, der geringe finanzielle Anreiz für Beschäftigungsverhältnisse<br />

oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze von 400 Euro und die Ausgestaltung der<br />

Transferleistungen böten gegensätzliche finanzielle Anreize. Sie wirkten zugleich für und<br />

gegen eine individuelle Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit. Die existierenden<br />

Regelungen seien stark von vorangehenden politischen Entwicklungen und gegenläufigen<br />

politischen Präferenzen geprägt (ebd.).<br />

19


12. Literatur und weblinks<br />

Literatur<br />

• Bernhard Badura (Hrsg.): Wettbewerbsfaktor <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>. Springer, Berlin<br />

2004. ISBN 3-540-40310-8<br />

• Ralf Dederichs: <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong> bei Arbeitsgelegenheiten/Ein-Euro-Jobs. unveröff.<br />

Masterthesis an der Universität Koblenz-Landau. postgradualer Studiengang<br />

Gesundheitsmanagement. Fachbereich: Mathematik/Naturwissenschaften. Koblenz 2010<br />

• Adelheid Susanne Esslinger: Erfolgreiche Umsetzung von <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong> in<br />

Organisationen. Strategien, Konzepte, Maßnahmen. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden<br />

2007. ISBN 978-3-8350-0546-4<br />

• Kerstin Freier: <strong>Work</strong> <strong>Life</strong> <strong>Balance</strong> Zielgruppenanalyse am Beispiel eines deutschen<br />

Automobilkonzerns. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-631-54364-1<br />

• Michael Kastner (Hrsg.): Die Zukunft der <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>. Wie lassen sich Beruf<br />

und Familie, Arbeit und Freizeit miteinander vereinbaren? Asanger, Kröning 2004. ISBN 3-<br />

89334-421-7<br />

• Melanie Klimpel, Tina Schütte: <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>. Eine empirische Erhebung.<br />

Hampp, München 2006. ISBN 3-86618-058-6<br />

• Harald Rost: <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>. Neue Aufgaben für eine zukunftsorientierte<br />

Personalpolitik. Budrich, Opladen 2004. ISBN 3-89334-454-3<br />

• Arlie Russell Hochschild: Keine Zeit: <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>, wenn die Firma zum<br />

Zuhause wird und zu Hause nur Arbeit wartet. Leske + Budrich, Opladen 2002. ISBN 3-<br />

8100-3620-X<br />

• Ruth Stock-Homburg: Personalmanagement: Theorien - Konzepte - Instrumente. 2.<br />

Auflage, Gabler Verlag, Wiesbaden 2010, ISBN 9783834919861<br />

• Ruth Stock-Homburg, Birgitta Wolff (Hrsg.): Handbuch Strategisches<br />

Personalmanagement, Gabler Verlag, Wiesbaden 2010 (in Druck)<br />

• Günther Vedder (Hrsg.): Die Vielfalt der <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>. Hampp, München 2008.<br />

ISBN 978-3-86618-236-3<br />

• Michalk, Silke / Nieder, Peter (Michalk FH Lausitz/Nieder: HSU Hamburg):<br />

Erfolgsfaktor <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong> 2007. Wiley-VCH, Weinheim<br />

• Mischau, Anina; Oechsle, Mechtild Soziologinnen, Uni Bielefeld) (Hrsg.) (2005):<br />

Arbeitszeit - Familienzeit - Lebenszeit: Verlieren wir die <strong>Balance</strong>? Schwerpunktheft 5,<br />

Zeitschrift für Familienforschung. Wiesbaden<br />

• Mechthild Oechsle: WLB. In: Ruth Becker / Beate Kortendiek: Handbuch Frauen- und<br />

Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie 238ff.<br />

20


• Wettbewerbsfaktor <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>. Zahlen, Daten, Analysen aus allen Branchen<br />

der Wirtschaft [betriebliche Strategien zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben].<br />

Berlin [u.a.], Springer, 2004<br />

• <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>. neue Aufgaben für eine zukunftsorientierte Personalpolitik ;<br />

Informationsmodul: Familienfreundliche Maßnahmen ; Weiterbildungsmodul für<br />

Führungskräfte zum Thema: "Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit" ; ein<br />

Forschungsprojekt. Bamberg, Staatsinst. für Familienforschung an der Univ. Bamberg, 2001<br />

• Mareike Baumann: <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong> – ein Überblick. In: Sozioökonomische<br />

Arbeitsforschung : das Individuum im Spannungsfeld von Arbeit und Nicht-Arbeit / Kerstin<br />

Wüstner (Hrsg.), 19-48<br />

• <strong>Life</strong> <strong>Balance</strong> und Selbststeuerungskompetenzen : eine Untersuchung mit<br />

Implikationen für Coaching und Beratung / Alexandra Strehlau. Saarbrücken VDM Verl.<br />

Müller, 2008<br />

• <strong>Work</strong> <strong>Life</strong> <strong>Balance</strong> Expert Group (Hrsg): <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong> : Leistung und Liebe<br />

leben / Frankfurt/M. : Redline Wirtschaft 2004<br />

• Kaes, B. (2004). <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong> <strong>Balance</strong> Management in Switzerland: Developing and<br />

Testing a New Conceptual Framework. Dissertation, Universität St. Gallen, Nr. 2982.<br />

Bamberg: Difo-Druck GmbH<br />

• Kodz, J., Harper, H.& Dench, S. (2002). <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong> <strong>Balance</strong>: Beyond the Rhetoric.<br />

Brighton: The Institute for Employment Studies<br />

• Melanie Zeder. Die diskursive Konstruktion von „<strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>“ in Schweizer<br />

Printmedien. Bachelorarbeit Uni St.Gallen 2006<br />

Weblinks<br />

• Familienorientierte Arbeitszeitmuster – Neue Wege zu Wachstum und Beschäftigung.<br />

BMSFSJ, Juni 2005, abgerufen am 7. Dezember 2008.<br />

• Führungskräfte und Familie. Wie Unternehmen <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong> fördern können,<br />

BMFSFJ, Stand: Sommer 2004, Nachdruck: November 2006. Abgerufen am 7. Dezember<br />

2008.<br />

• Alexander Wegener, Inge Lippert: Studie Familie und Arbeitswelt.<br />

Rahmenbedingungen und Unternehmensstrategien in Großbritannien, Frankreich und<br />

Dänemark, Berlin, 30. Juli 2004. Abgerufen am 7. Dezember 2008.<br />

• <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>: Ein weltweites Problem, Ergebnisse der IriS-Studie, Vocatus<br />

Presseinformation, 5. Februar 2007, (PDF, 50 KB) (Version aus dem Internet Archive vom<br />

29. September 2007, da Original nicht mehr verfügbar)<br />

• Andreas Schmitz: <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong>-<strong>Balance</strong>. Der tägliche <strong>Balance</strong>-Akt, managermagazin.de,<br />

28. Mai 2008. Abgerufen am 7. Dezember 2008.<br />

21


• Ruth Stock-Homburg: <strong>Work</strong>-<strong>Life</strong> <strong>Balance</strong> Monitor<br />

• Bloom, Nick & Kretschmer, Tobias & Van Reenen, John, 2006. "<strong>Work</strong>-life balance:<br />

the links with management practices and productivity ," http://eprints.lse.ac.uk/<br />

•<br />

http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationslis<br />

te,did=29834.html<br />

• http://www.bildungsserver.de/innovationsportal/<br />

• http://www.erfolgsfaktor-familie.de/<br />

• http://www.familienservice.de/<br />

• http://www.work-and-life.de/<br />

• www.wolibax.de<br />

22

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!