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Inspiration – Mond und Sonne<br />
Der erfolgreiche Schweizer Autor Alain Claude Sulzer hat für den Geschäfts-<br />
bericht der Bank Sarasin 2011 eine «unbeschränkte Vollmacht», eine Carte<br />
blanche erhalten. Wie setzt er «Kontrast(e)», das Leitthema der diesjährigen<br />
Geschäftsberichtstrilogie literarisch um? Lesen Sie sein Essay, das die Nach-<br />
haltigkeit eines kurzen musikalischen Momentes der Filmgeschichte be-<br />
schreibt und auch den ökonomischen Erfolg des Komponisten nicht auslässt.<br />
Anders als in der ersten Hollywoodver�lmung der «Lustigen<br />
Witwe» von 1925 musste man in der 1934 entstandenen zweiten<br />
Filmversion nicht mehr auf Sprache und Gesang verzichten.<br />
Nicht ein einsamer Klavierspieler hinter oder vor der Leinwand,<br />
sondern eine zum Klingen gebrachte Tonspur erfüllte den<br />
Raum. Die Musik hatte ihren Weg in den Kinosaal gefunden.<br />
Noch immer aber gab es keine Farben. Erst nach dem Welterfolg<br />
des Farb�lms «Vom Winde verweht» (1939) begann man<br />
sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass bewegte Bilder auf<br />
einer Leinwand bunt zu sein hätten, bunter als das Leben oder<br />
jedenfalls andersfarbig als das, was man bislang gesehen hatte.<br />
Obwohl das, was wir bei Lubitsch sehen, nur zweifarbig ist –<br />
oder als zweifarbig bezeichnet wird (tatsächlich gibt es unzählig<br />
viele Graustufen zwischen Schwarz und Weiss) –, sollte<br />
man sich darüber im Klaren sein, dass auch zu Zeiten des<br />
Schwarzweissfilms die Regisseure, Kostüm- und Bühnenbildner<br />
grössten Wert auf die Farbigkeit der Kostüme und Dekorationen<br />
legten. Obwohl sie natürlich wussten, dass die Bilder,<br />
die sie für den Kinosaal produzierten, stets «schwarzweiss»<br />
bleiben würden, wurde kein Film zweifarbig ausgestattet. Die<br />
vielen Mitwirkenden entwarfen und produzierten in Farbe,<br />
nicht nur, weil ihr Auge nichts anderes sah, sondern auch, weil<br />
sie aus Erfahrung wussten, dass ein rotes Kleid auf einem<br />
«schwarz-weissen» Zelluloidstreifen anders wirken würde als<br />
ein grünes. Was wir in Schwarzweissfilmen sehen, ist demnach<br />
nichts anderes als die Verwandlung von Farben in Kontraste,<br />
die zwischen Schwarz und Weiss irrlichtern. Keiner wusste<br />
das besser als der Sohn des Berliner Damenschneiders Lubitsch,<br />
der selbst gelernter Stoffhändler war.<br />
SCHWARZ WEISS<br />
Wie Bewegung Kontraste aufhebt<br />
Auf eine der zentralen Szenen des Films «The merry widow» legte der als<br />
autokratischer Perfektionist bekannte Regisseur Ernst Lubitsch bei den<br />
Dreharbeiten besonderen Wert. Gemeint ist diejenige Szene, in der sich auf<br />
wechselnden Tanzflächen Hunderte von Paaren im Walzerschritt über das Parkett<br />
bewegen. Ein magischer und nachhaltiger Moment der Filmgeschichte.<br />
TEXT_Alain Claude Sulzer<br />
Was die Mehrheit der heutigen Zuschauer als Mangel empfindet,<br />
genügte dem damaligen Publikum vollauf. Es hatte ja eben<br />
noch ein einsamer Klavierspieler zufriedengestellt; mühelos ersetzte<br />
er ein ganzes Orchester. Doch die Zeit schritt voran. Und<br />
mit ihr Franz Lehars 1905 uraufgeführte Operette, die ihn<br />
zum Millionär gemacht hatte. Erst war sie Bühnenwerk, dann<br />
Stummfilm, dann begann der Ton anzuschwellen und eines<br />
Tages würden die Paare in Farbe über die Leinwand wirbeln.<br />
Fast wie im Leben.<br />
Der Kinobesucher von 1934 kolorierte nicht, was farblos oder<br />
besser: unfarbig vor seinem Auge ablief. Er nahm, was er sah,<br />
als das hin, was er sah, und fragte sich nicht, wo denn die Farbe<br />
blieb. Er fragte sich nicht, wie die Traumwelt entstand. Er<br />
begnügte sich mit einem Spektrum zwischen der unbunten<br />
Farbempfindung Schwarz und der unbunten Farbempfindung<br />
Helligkeit; zwei «Farben», die man nicht mischen kann. Anders<br />
als bei Farben ergibt sich ihre Wirkung allein durch die<br />
Abstufungen zwischen Hell und Dunkel, mithin in einem<br />
Reich der Zwischentöne und Schatten, der Übergänge und<br />
Nuancen. Wären die Kontraste nicht unendlich vielfältig,<br />
sähe man gar nichts ausser einer weissen und einer schwarzen<br />
Fläche oder schwarzen Flecken auf weissem Hintergrund. So<br />
aber sind die Kontraste Verbindungswege zwischen unendlich<br />
vielen Möglichkeiten der Abbildung und der Auslegung der<br />
sichtbaren Welt, hinter der das Unsichtbare (und nicht immer<br />
Messbare) als Möglichkeit stets offen bleibt.<br />
Selbst in den geschickt hintereinander kopierten Walzerszenen<br />
in ständig wechselnden Interieurs, in denen sich Schwarz und<br />
12 Sarasin Nachhaltigkeitsbericht 2011