EU-Recht und nationales Verfassungsrecht - Europawissenschaften ...
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Prof. Dr. Martin Nettesheim – FIDE-Bericht 2002 – www.nettesheim.org<br />
die Gemeinschaften mit Inkrafttreten des Maastricht-Vertrages in dem neuen Verband<br />
Europäische Union auf; der Vertrag bewirkte eine Verschmelzung der bis dahin rechtlich<br />
selbstständigen drei Europäischen Gemeinschaften. Es ist seither nur noch die europäische<br />
Union, die Handlungsträger ist, wenngleich auf der Gr<strong>und</strong>lage von Kompetenznormen, die<br />
ihren Ursprung in verschiedenen Verträgen haben. Dieser Sichtweise zufolge ist <strong>Recht</strong>sträger<br />
<strong>und</strong> Zurechnungssubjekt allein die Europäische Union, dies gilt selbst dann, wenn sie unter<br />
dem Namen Europäische Gemeinschaft handelt. Diese Sichtweise kommt nicht umhin, der<br />
Europäischen Union nach innen <strong>Recht</strong>ssubjektivität zuzuschreiben; sie muß ihr auch<br />
Völkerrechtssubjektivität jedenfalls in den Bereichen zuschreiben, in denen die Verträge<br />
(namentlich der EGV) dies ausdrücklich oder implizit vorsehen. Insofern empfiehlt es sich,<br />
sämtliche <strong>Recht</strong>sakte des einen Verbandes als Unionsrecht zu bezeichnen. Für die<br />
Mitgliedstaaten bedeutet dies, dass sie nur noch dem einen Verband Europäische Union<br />
angehören können; eine parallele Mitgliedschaft in verschiedenen Verbänden, etwa den<br />
Europäischen Gemeinschaften, ist ausgeschlossen.<br />
Teilweise lehnt man aber auch die Fusionsthese ab <strong>und</strong> ist der Auffassung, dass mit dem<br />
Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht ein gestufter bzw. gegliederter Verband entstanden<br />
ist, in dem die Europäische Union als <strong>Recht</strong>sträger mehrere Glieder, die europäischen<br />
Gemeinschaften, umschließt. 49 Diesem <strong>Recht</strong>sverständnis zufolge agieren auf europäischer<br />
Ebene gegenwärtig vier <strong>Recht</strong>ssubjekte, die die jeweils in den Verträgen zugewiesenen<br />
Kompetenzen in eigener Verantwortung wahrnehmen. Dem ausdrücklichen Wortlaut der<br />
Verträge zufolge ist der Beitritt allein zur Europäischen Union zulässig; dieser Beitritt schließt<br />
dann automatisch <strong>und</strong> ohne weitere rechtliche Schritte die Mitgliedschaft in den Gliedern ein.<br />
Dieser Sichtweise zufolge ist zwischen dem vom Verband "Europäische Union" gesetzten<br />
<strong>Recht</strong> („Unionsrecht“) <strong>und</strong> dem von den Europäischen Gemeinschaften erlassenen <strong>Recht</strong><br />
(„Gemeinschaftsrecht“) zu unterscheiden. Überwiegend gehen die Vertreter dieser Positionen<br />
davon aus, dass der Europäischen Union keine Völkerrechtssubjektivität zukomme; sie kann<br />
danach zwar nach innen rechtssetzend tätig werden, nicht aber nach außen rechtliche<br />
Bindungen eingehen.<br />
Einer dritten, in Deutschland vereinzelt vertretenen Sichtweise zufolge ist zwischen den<br />
fortbestehenden Europäischen Gemeinschaften <strong>und</strong> dem durch den Maastricht-Vertrag neu<br />
errichteten Bereich der Europäischen Union zu unterschieden. Einige Anhänger dieser<br />
Position gehen davon aus, dass seither vier oder fünf Organisationen nebeneinander stehen<br />
<strong>und</strong> vom Unionsvertrag „tempelartig“ überdacht werden. Die radikaleren Vertreter dieser<br />
Sichtweise wollen einen strikten Grenzstrich zwischen dem Bereich der Europäischen<br />
Gemeinschaften <strong>und</strong> der Sphäre der <strong>EU</strong> ziehen. Dieser Sichtweise zufolge sollen die<br />
Europäischen Gemeinschaften <strong>und</strong> der Bereich der Europäischen Union weitgehend<br />
zusammenhanglos nebeneinander stehen. 50 Die Europäische Union ist danach kein Verband<br />
mit mitgliedschaftlicher Struktur, sondern lediglich eine Form der mitgliedstaatlichen<br />
intergouvernementalen Zusammenarbeit. <strong>Recht</strong>sakte, die in diesem Bereich ergehen, sind<br />
48 So Bogdandy, Armin von/Nettesheim, Martin, Die Verschmelzung der Europäischen Gemeinschaften in der<br />
Europäischen Union, 48 NJW 1995, S. 2324 ff.; Dies., Die Europäische Union: Ein einheitlicher Verband mit<br />
eigener <strong>Recht</strong>sordnung, 31 EuR 1996, S. 3 ff.<br />
49 So Dörr, Oliver, Zur <strong>Recht</strong>snatur der Europäischen Union, 30 EuR 1995, S. 334.<br />
50 So Pechstein, Matthias/Koenig, Christian, Die Europäische Union,3. Aufl. 2000, S. 54 ff.