EU-Recht und nationales Verfassungsrecht - Europawissenschaften ...
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44<br />
Prof. Dr. Martin Nettesheim – FIDE-Bericht 2002 – www.nettesheim.org<br />
Verfassungsgebung werden darin nicht ausgeschlossen. Die in Art. 20 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 GG<br />
niedergelegten Gr<strong>und</strong>sätze verlangen lediglich, das demokratische Prinzip dahin zu<br />
verwirklichen, dass alle Staatsgewalt (bzw. im europäischen Kontext: alle Hoheitsgewalt)<br />
vom Volke ausgeht. Der in Art. 79 Abs. 3 GG in Bezug genommene Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG<br />
verlangt, dass die Staatsgewalt vom Volke „in Wahlen <strong>und</strong> Abstimmungen“ ausgeübt wird 154 .<br />
Ein etwa europaweites Referendum ist daher nach deutschem <strong>Verfassungsrecht</strong> de lege<br />
ferenda denkbar.<br />
II 3. Der Prozeß der Verfassungsgebung: Praktische Vorbereitungen für die<br />
Regierungskonferenz 2004<br />
Die deutschen Vorbereitungen für die Regierungskonferenz 2004 stehen in einem<br />
Spannungsfeld, an dessen einem Pol der Wunsch steht, an den wesentlichen Strukturen des<br />
Vertragsänderungsverfahrens nach Art. 48 <strong>EU</strong>V festzuhalten <strong>und</strong> insbesondere die<br />
mitgliedstaatliche Vetoposition zu bewahren; den entgegengesetzten Pol bildet der Wunsch<br />
vieler europäischer Politiker 155 , die Regierungskonferenz 2004 im Rahmen der<br />
Zukunftsdiskussion 156 in einen echten Schritt in Richtung europäischer Verfassungsgebung<br />
münden zu lassen. Der vom Europäischen Rat von Laeken einberufene Konvent wird<br />
teilweise als Verkörperung der verfassungsgebenden Gewalt in Europa angesehen <strong>und</strong> so<br />
ideell enorm aufgewertet. 157 Im folgenden soll auf Aspekte der Vorbereitung der<br />
Regierungskonferenz von deutscher Seite eingegangen werden, insbesondere auf die<br />
Organisation der Zukunftsdebatte (a) <strong>und</strong> die Kernthemen <strong>und</strong> Vorschläge der führenden<br />
politischen Gruppen (b).<br />
Wirkmächtigkeit dann eben nicht abhängig von gegebenenfalls vorher bestehenden rechtlichen Ordnungen. Eine<br />
solche Position würde aber natürlich vollkommen an den gegenwärtigen Realitäten vorbeigehen. Nach dem<br />
gegenwärtigen Diskussionsstand soll sich die zu errichtende europäische Ordnung nicht vollständig selbst tragen,<br />
sondern eben nur Teilverfassung im System einer europäischen Verfassungsgesamtheit sein (s.o.).Das heißt<br />
natürlichauch, dass sie den nationalen Verfassungen, mit denen sie eine Gesamtheit bilden soll, auch gemäß ist.<br />
154<br />
Vgl. nur Dreier, Horst, Art. 20 (Demokratie), in Ders. (Hrsg.), Gr<strong>und</strong>gesetz, Kommentar, Bd. II 1998, Rdn.<br />
100 m.w.N.<br />
155<br />
Überblick auch über die europäische Diskussion bei Fritz-Vannahme, Joachim, Nizza ist nur der Anfang – Als<br />
nächstes schreibt Europa seine Verfassung, Die ZEIT vom 7. Dez. 2000, Nr. 50, S. 3¸ Guérot, Ulrike, Eine<br />
Verfassung für Europa, Internationale Politik 2001, S. 28.<br />
156<br />
Mit der gemeinsamen Erklärung von Kommission, Parlament, schwedischer <strong>und</strong> belgischer Präsidentschaft<br />
vom 7. März 2001 “zur Eröffnung der Debatte über die künftige Entwicklung der Europäischen Union” wurde<br />
die Diskusson formal eröffnet (im Internet zu finden unter http://europa.eu.int/futurum/documents). Die<br />
Diskussion in den Mitgliedstaaten hat sodann wesentliche Vorgaben durch die Mitteilung der Kommission über<br />
bestimmte Modalitäten der Debatte über die Zukunft der <strong>EU</strong> vom 25. April 2001 (KOM (2001) 178 endg.)<br />
erhalten: Die Kommission schlägt darin einen dreistufigen Diskussionsprozess vor, nämlich einen offenen (1.<br />
Stufe), sodann strukturierten (2. Stufe) Denkprozess, “der der Regierungskonferenz (3. Stufe) vorangehen soll”.<br />
Zugleich fordert die Komission die Mitgliedstaaten darin auf, die Debatten transparent <strong>und</strong> interaktiv zu<br />
organisieren. Zur Gemeinschaftsmethode: Mitteilung der Kommission über die Zukunft der Europäischen Union<br />
- Europäisches Regieren: Erneuerung der Gemeinschaftsmethode, zu finden im Internet etwa unter<br />
www.auswaertiges-amt.de (<strong>EU</strong>-Politik, Aktuelles, Zukunft, Debatte).<br />
157<br />
Zum Konventsverfahren als Betätigung der verfassungsgebenden Gewalt allgemein Böckenförde, Ernst-<br />
Wolfgang, Die Verfassungsgebende Gewalt des Volkes, Ein Grenzbegriff des <strong>Verfassungsrecht</strong>s, in Ders. Staat,<br />
Verfassung, Demokratie, S. 90, 102; Zu konkreten Verbesserungsvorschlägen im Vergleich zum<br />
Gr<strong>und</strong>rechtekonvent: Dix, Wolfgang, Gr<strong>und</strong>rechtecharta <strong>und</strong> Konvent - auf neuen Wegen zur Reform der <strong>EU</strong>?,<br />
in 24 integration 2001, S. 34, 40.