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EU-Recht und nationales Verfassungsrecht - Europawissenschaften ...

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34<br />

Prof. Dr. Martin Nettesheim – FIDE-Bericht 2002 – www.nettesheim.org<br />

Europäischen Union entsprechend dem deutschen B<strong>und</strong>esstaatsmodell, sondern allein die<br />

Orientierung am föderativen Prinzip als einem allgemeinen Strukturprinzip 99 . Auch hier wird<br />

sich der Gehalt nur im Spannungsfeld zwischen Mindeststandard <strong>und</strong> unionsspezifischer<br />

Verwirklichung ermitteln lassen. Die Aufnahme der „föderativen Gr<strong>und</strong>sätze“ dient dabei vor<br />

allem der Abwehr europäischer Einheitsstaatlichkeit. Ihr darf aber kein rechtlicher Gehalt<br />

verliehen werden, der es verhindert, dass der rechtliche <strong>und</strong> tatsächliche Zusammenhalt der<br />

<strong>EU</strong> beeinträchtigt würde. Die „föderativen Gr<strong>und</strong>sätze“ umfassen dementsprechend im<br />

einzelnen die in der Union tatsächlich verwirklichten Strukturen (Unionstreue, Aufteilung der<br />

Hoheitsgewalt, klare Kollisionsregeln, Verschränkung der <strong>Recht</strong>sordnungen,<br />

Unionsaufsicht) 100 .<br />

Ausgesprochen unbestimmt erscheint Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auch im Hinblick auf den von<br />

ihm geforderten „im wesentlichen vergleichbaren Gr<strong>und</strong>rechtsschutz“ 101 . Eine Analyse von<br />

gerichtlichen Entscheidungen, etwa der Bananenmarktentscheidung des BVerfG, zeigt, dass<br />

es praktisch kaum möglich ist, den Gr<strong>und</strong>rechtsschutz verschiedener Gr<strong>und</strong>rechtsordnungen<br />

„im wesentlichen“ zu vergleichen. Allein kann es um die Frage gehen, wann ein Einschreiten<br />

des BVerfG angesichts der Hoheitsausübung in der Union geboten erscheint, letztlich also um<br />

die Frage des verfassungsrechtlich verankerten Mindeststandards 102 .<br />

Die absoluten Grenzen weiterer Integrationsschritte ergeben sich aus der sogenannten<br />

„Bestandssicherungsklausel“ des Art. 23 Abs.1 S. 3 103 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG 104 . Bei diesen<br />

Grenzen handelt es sich im Kern um die Verfassungsidentität Deutschlands 105 . Die<br />

Vorschriften der Art. 23 Abs. 1 S. 3, 79 Abs. 3 GG können damit inhaltlich in gewisser Weise<br />

als deutsches verfassungsrechtliches Pendant zu Art. 6 Abs. 3 <strong>EU</strong>V verstanden werden (dazu<br />

unten II 1 a). Die Kritik an Art. 23 GG geht davon aus, dieser verstoße in einer weiten Lesart<br />

selbst gegen Art. 79 Abs. 3 GG <strong>und</strong> sei daher verfassungskonform eng auszulegen 106 oder<br />

hätte sogar zu seiner Wirksamkeit als „Verfassungsneuschaffung“ eines zustimmenden<br />

Votums „des Volkes als des „Subjekts der Verfassungsgebenden Gewalt“ bedurft, um die<br />

99<br />

Heckel, Katharina, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftbildung, 1998; Zu einer<br />

möglichen politisch-inhaltlichen Konkretisierung des föderalen Prinzips vergl. Ammon, Günther u.a.(Hrsg.),<br />

Föderalismus <strong>und</strong> Zentralismus: Europas Zukunft zwischen dem deutschen <strong>und</strong> dem französischen Modell, 1996.<br />

100<br />

Im einzelnen Zuleeg, Manfred, Die föderativen Gr<strong>und</strong>sätze der Europäischen Union, 53 NJW 2000, S. 2847.<br />

101<br />

Vgl Kischel, Uwe, Der unabdingbare gr<strong>und</strong>rechtliche Mindeststandard in der Europäischen Union, Zur<br />

Auslegung des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG, 39 Der Staat 2000, S. 523.<br />

102<br />

Nettesheim, Martin, Die Bananenmarktentscheidung des BVerfG: Europarecht <strong>und</strong> nationaler<br />

Mindestgr<strong>und</strong>rechtsstandard, 23 JURA 2001, S. 686, 691; zum Maßstab Nettesheim, Martin, 21 NVwZ (Im<br />

Erscheinen).<br />

103<br />

„Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong><br />

vergleichbare Regelungen, durch diie dieses Gr<strong>und</strong>gesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder<br />

solche Änderungen oder Ergänzungen ernöglicht werden, gilt Art. 79 Abs. 2 <strong>und</strong> 3.“<br />

104<br />

„Eine Änderung dieses Gr<strong>und</strong>gesetzes, durch welche die Gliederung des B<strong>und</strong>es in Länder, die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Art. 1 <strong>und</strong> 20 niedergelegten Gr<strong>und</strong>sätze [Schutz<br />

der Menschenwürde, demokratischer <strong>und</strong> sozialer B<strong>und</strong>esstaat, demokratisches Prinzip, <strong>Recht</strong>sstaat,<br />

Gr<strong>und</strong>rechtsgewähr]berührt werden, ist unzulässig.“<br />

105<br />

Zur Verfassungsidentität Kirchhof, Paul, Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, in:<br />

Isensee, Josef/Kirchhof, Paul, HdBStR I, § 19, S. 775.<br />

106<br />

Fabio, Udo di, Der neue Art. 23 des Gr<strong>und</strong>gesetzes, Positivierung vollzogenen Verfassungswandels oder<br />

Verfassungsneuschöpfung?, 32 Der Staat 1993, S. 191.

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