EU-Recht und nationales Verfassungsrecht - Europawissenschaften ...
EU-Recht und nationales Verfassungsrecht - Europawissenschaften ...
EU-Recht und nationales Verfassungsrecht - Europawissenschaften ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
48<br />
Prof. Dr. Martin Nettesheim – FIDE-Bericht 2002 – www.nettesheim.org<br />
die Zielsetzungen des Konvents besteht allerdings keine Einigkeit; überwiegend hält man es<br />
nicht für sinnvoll, dass der Konvent bereits einen Verfassungsvertrag vorlegt. Gering sind<br />
auch die Erwartungen, dass es kurzfristig zum Abschluß eines derartigen Vertrages kommt. 167<br />
Umstritten ist auch die Entwicklung in längerer Perspektive. Die Kernthemen der Diskussion<br />
sind insoweit die Kompetenzordnung, das institutionelle Gefüge <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>rechte in<br />
der Union. Die bestehenden Positionen sollen im folgenden, gegliedert nach<br />
Parteizugehörigkeit, kurz vorgestellt werden, zunächst jene der gegenwärtigen<br />
Regierungsparteien, sodann jene der gegenwärtigen Oppositionsparteien:<br />
Die Regierungsparteien: Die SPD hat auf ihrem B<strong>und</strong>esparteitag in Nürnberg vom 19. bis<br />
23. November 2001 den europapolitischen Leitantrag (“Verantwortung für Europa”) des SPD-<br />
Vorsitzenden <strong>und</strong> B<strong>und</strong>eskanzlers Schröder mit großer Mehrheit angenommen 168 . Danach<br />
will die SPD in allgemeinen Worten “ein europäisches System der Gewaltenteilung zwischen<br />
EP, Rat <strong>und</strong> Kommission schaffen, welches den Gr<strong>und</strong>sätzen von demokratischer Legitimität,<br />
Effizienz <strong>und</strong> Transparenz entspricht” 169 . Diese Formulierung wurde vom europapolitischen<br />
Sprecher der SPD-Fraktion Gloser näher spezifiziert: Nach Gloser gehe es dabei vorrangig<br />
um den “Ausbau der Europäischen Kommission zu einer starken Exekutive”, die “Stärkung<br />
des Europäischen Parlaments durch die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens <strong>und</strong> die<br />
Übertragung der vollen Budgethoheit” <strong>und</strong> den “Ausbau des Rates zu einer europäischen<br />
Staatenkammer” 170 . Rat <strong>und</strong> Europäisches Parlament sollten nach Gloser “zu einem<br />
Zweikammernsystem umgebaut werden” 171 . Um dem vor allem französischen Vorwurf eines<br />
europäischen Föderalismus nach deutschem Vorbild zu begegnen, kommt nach Gloser für<br />
eine Übergangszeit ein “öffentlich tagender Rat der Europaminister” in Betracht, “dem eine<br />
Koordinierungsfunktion zukäme” 172 .Bereits 2004 solle der Kommissionspräsident zudem<br />
direkt vom EP gewählt werden 173 .<br />
Auf im wesentlichen gleicher Linie liegt die Rede von B<strong>und</strong>espräsident Johannes Rau, die<br />
dieser am 4. April 2001 vor dem EP gehalten hat 174 : Er schlägt darin die Schaffung einer<br />
europäischen Verfassung vor, die sich in drei Abschnitten gliedert: Die Charta der<br />
Gr<strong>und</strong>rechte als ersten Abschnitt, kompetenzabgrenzende Regeln als zweiten Abschnitt <strong>und</strong><br />
Regeln über das institutionelle Gefüge als dritten Abschnitt. Ohne den deutschen<br />
167 So geht Aussenminister Joschka Fischer von einem “langfristige[n] Zeitraum, weit jenseits der laufenden<br />
Regierungskonferenz” aus. Der europapolitische Sprecher der SPD-B<strong>und</strong>estagsfraktion, Günter Gloser, hält in<br />
der FAZ vom 27.8.2001 eine “umfassende Parlamentarisierung des institutionellen Gefüges der <strong>EU</strong> im Rahmen<br />
der Regierungskonferenz 2004 [für] unwahrscheinlich”. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin visiert in ihrer<br />
Rede vor der Humboldt-Universität vom 19. Okt. 2000 (Rd. 47) eine Regierungkonferenz 2004 oder sogar früher<br />
an, ohne aber konkret einen Verfassungsvertrag zu erwarten.<br />
168 Zu finden unter www.spd.de; dazu Kreile, Michael, Zur nationalen Geb<strong>und</strong>enheit europapolitischer Visionen:<br />
Das Schröder-Papier <strong>und</strong> die Jospin-Rede, 24 integration 2001, S. 250.<br />
169 Vgl. den Leitantrag S. 16, ähnlich: Regierungserklärung von B<strong>und</strong>eskanzler Schröder im Deutschen<br />
B<strong>und</strong>estag am 18 Oktober 2001 (14/195).<br />
170 In: Die europäische Integration voranbringen: Zum europapolitischen Leitantrag der SPD, in: 24 integration,<br />
2001, S. 303-307.<br />
171 Gloser, Günter <strong>und</strong> Roth, Michael, <strong>Verfassungsrecht</strong> ist Parlamentsrecht: Eine starke europäische<br />
Gemeinschaft braucht starke Volksvertretungen, in FAZ vom 27. August 2001, S. 8.<br />
172 Ibid.<br />
173 Ibid.<br />
174 Zu finden im Internet unter www.europarl.eu.int.