EU-Recht und nationales Verfassungsrecht - Europawissenschaften ...
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38<br />
Prof. Dr. Martin Nettesheim – FIDE-Bericht 2002 – www.nettesheim.org<br />
Unabhängig von diesen Fragen der erforderlichen Mehrheiten zeichnet sich der Art. 23 GG<br />
vor allem durch die besonderen Kompensationsregeln für den B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> den B<strong>und</strong>esrat<br />
nach den Absätzen 2 ff aus. Die Bestimmungen der Absätze 2 <strong>und</strong> 3 fordern eine besonders<br />
frühe Beteiligung des B<strong>und</strong>estages, um zu vermeiden, dass dieser nach Unterschrift unter den<br />
Vertrag de facto nur noch bejahend zustimmen kann. Jedoch werden die<br />
Beteiligungsmöglichkeiten überwiegend als uneffektiv eingeschätzt. Nach Abs. 3 hat die<br />
B<strong>und</strong>esregierung die Stellungnahmen des B<strong>und</strong>estages nach dessen frühestmöglicher<br />
Unterrichtung (Abs. 2 S. 2) lediglich zu „berücksichtigen“ 130 .<br />
Darüber hinaus fordert Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG für das Zustimmungsgesetz in jedem Fall die<br />
Billigung des B<strong>und</strong>esrates 131 . Das Verfahren folgt den Regeln des Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG 132 .<br />
In diesen Bestimmungen drückt sich die Besorgnis der Länder aus, ihre Kompetenzen im<br />
Zuge fortschreitender Integration zu verlieren. Der B<strong>und</strong>esrat ist daher nicht nur zu beteiligen,<br />
soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte, sondern vor<br />
allem auch, wenn die Länder innerstaatlich zuständig wären (Abs. 4) 133 . Absatz 5 gibt je nach<br />
Zuständigkeitsverteilung gestufte Beteiligungsformen des B<strong>und</strong>esrates vor (Berücksichtigung<br />
(Abs. 5 S. 1) <strong>und</strong> maßgebliche Berücksichtigung (Abs. 5 S. 2 <strong>und</strong> 3) der Stellungnahme des<br />
B<strong>und</strong>esrates). Abs. 6 ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen die Wahrnehmung der<br />
unionalen <strong>Recht</strong>e des B<strong>und</strong>es durch einen Vertreter der Länder.<br />
Aus Sicht der Länder <strong>und</strong> überzeugter B<strong>und</strong>esratsföderalisten ist die Vorschrift bis heute eine<br />
Enttäuschung 134 . Erst kürzlich etwa hat Josef Isensee deutlich gemacht, dass Art. 23 GG die<br />
im Unionsrecht angelegte Mediatisierung der Länder nicht kompensieren könne 135 . Art. 23<br />
GG bedeute keine Stärkung 136 , sondern eine Schwächung der Länder. Nach Art. 23 Abs. 2 GG<br />
wirkten die Länder lediglich „durch den B<strong>und</strong>esrat“ mit 137 . Der B<strong>und</strong>esrat sei aber ein<br />
B<strong>und</strong>esorgan. Verschoben würden daher nicht die Gewichte zwischen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern,<br />
130<br />
Vgl. insoweit auch die Regelungen des <strong>EU</strong>ZBBG; zur Wahrnehmung der <strong>Recht</strong>e des B<strong>und</strong>estages Art. 45<br />
GG; zsfd. zum ganzen Scholz, Rupert, Art. 23, in Maunz, Theodor/Dürig, Günter, Gr<strong>und</strong>gesetz, Kommentar, Bd.<br />
III, Rdn. 112 ff; vertiefend Hansmeyer, Sandra, Die Mitwirkung des Deutschen B<strong>und</strong>estages an der europäischen<br />
<strong>Recht</strong>ssetzung, 2001; zu den aktuellen Entwicklungen Sterzing, Christian, Tidow, Stefan, Die Kontrolle der<br />
deutschen Europapolitik durch den <strong>EU</strong>-Ausschuss des B<strong>und</strong>estags - Bilanz <strong>und</strong> Reformpotenziale, 24 integration<br />
2001, S. 274.<br />
131<br />
Es handelt sich daher immer um ein „Zustimmungsgesetz“ nach Art. 77 IIa GG.<br />
132<br />
Die Einzelheiten sind im <strong>EU</strong>ZBLG <strong>und</strong> in der B<strong>und</strong>-Länder-Vereinbarung (BLV) näher geregelt. Zur internen<br />
Europakammer des B<strong>und</strong>esrates vgl. Art. 52 III GG; Zsfd. zum ganzen Scholz, Rupert, Art. 23, in Maunz,<br />
Theodor/Dürig, Günter, Gr<strong>und</strong>gesetz, Kommentar, Bd. III, Rdn. 120 ff; Pernice, Ingolf, Art. 23, in Dreier, Horst,<br />
Gr<strong>und</strong>gesetzkommentar, Bd. II, 1998, Rdn. 104; vertiefend Paul, Michael, Die Mitwirkung der B<strong>und</strong>esländer an<br />
der <strong>Recht</strong>ssetzung der Europäischen Gemeinschaften de lege lata <strong>und</strong> de lege ferenda, 1996; im Lichte der<br />
Entstehungsgeschichte Lang, Ruth, Die Mitwirkungsrechte des B<strong>und</strong>esrates <strong>und</strong> des B<strong>und</strong>estages in<br />
Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997.<br />
133<br />
Zur Kompetenzverteilung im Bereich der Gestzgebung vgl. Art. 30, 70 ff. GG.<br />
134<br />
Vgl. schon etwa Breuer, Rüdiger, Die Sackgasse des neuen Europaartikels (Art. 23 GG), 13 NVwZ 1994, S.<br />
417.<br />
135<br />
Hierzu <strong>und</strong> zum folgenden Isensee, Josef, Der B<strong>und</strong>esstaat - Bestand <strong>und</strong> Entwicklung, in Badura, Peter <strong>und</strong><br />
Dreier, Horst (Hrsg.), Festsschrift 50 Jahre B<strong>und</strong>esverfassungsgreicht, Bd. II, S. 719, 764 ff.<br />
136<br />
So aber etwa Schwarze, Jürgen, Das Staatsrecht in Europa, 48 JZ 1993, S. 585; Ossenbühl, Fritz, Maastricht<br />
un das Gr<strong>und</strong>gesetz - eine verfassungsrechtliche Wende?, 108 DVBl. 1993, S. 629.<br />
137<br />
A.A. etwa Pernice, Ingolf, Art. 23, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grunsgesetz, Kommentar, 1998, Rz. 99, 107, der<br />
den Schwerpunkt des Absatzes II nicht im Sinne eines „die Länder wirken durch den B<strong>und</strong>esrat mit“ setzt,<br />
sondern im Sinne eines „die Länder wirken durch den B<strong>und</strong>esrat mit“.