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EU-Recht und nationales Verfassungsrecht - Europawissenschaften ...

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42<br />

Prof. Dr. Martin Nettesheim – FIDE-Bericht 2002 – www.nettesheim.org<br />

schwach. Man mag an den Gehalt derartiger Ideen glauben, dem Berichterstatter fällt dies aber<br />

schwer.<br />

cc) Vertragsfortschreibung <strong>und</strong> Plebiszit<br />

Ein dritter Problemkreis dreht sich um Fragen des positiven <strong>Recht</strong>s. Über die Mitwirkung des<br />

Bürgers im Prozeß der Vertragsänderung oder im Verfahren der Schaffung einer formalen<br />

europäischen Verfassung schweigt Art. 23 GG. Bei allen Unterschieden, die der Art. 23 GG<br />

insoweit zu anderen Vorschriften des Gr<strong>und</strong>gesetzes aufweist - in einem weicht er nicht von<br />

ihnen ab: Die Mitwirkung an der Fortentwicklung der <strong>EU</strong> geschieht „durch Gesetz“ (Abs. 1 S.<br />

2), also durch die Entscheidung repräsentativer Organe. Die Mitwirkung der deutschen Bürger<br />

vollzieht sich mittelbar, in einer dem Gr<strong>und</strong>gesetz typischen repräsentativ-demokratischen<br />

Weise 145 . Das Handeln durch Gesetz ist trotz der Formulierung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG 146<br />

in der gr<strong>und</strong>gesetzlichen Ordnung die Regel, unmittelbare Demokratie durch Abstimmungen<br />

hingegen die seltene Ausnahme 147 . Indem die Fortschreibung der europäischen Verfassung in<br />

die Hände repräsentativ entscheidender Organe gelegt wird, entscheidet sich das Gr<strong>und</strong>gesetz<br />

hier für genau jenen Weg, den es auch in anderen Bereichen geht.<br />

Wenn Art. 23 GG anordnet, dass die Fortschreibung der Verträge innerstaatlich durch Gesetz<br />

zu erfolgen hat, so behandelt die Bestimmung Fragen der europäischen Verfassungsgebung<br />

wie andere wichtige völkerrechtliche Vertragsschlüsse: Die gr<strong>und</strong>gesetzlichen Vorschriften<br />

über die Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen 148 fordern für diese Zustimmung,<br />

genauso wie es Art. 23 GG für die Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union<br />

tut, die gesetzliche Form. So bestimmt etwa Art. 59 Abs. 2 GG, die allgemeine<br />

Ratifizierungsvorschrift des Gr<strong>und</strong>gesetzes für völkerrechtliche Verträge, dass die<br />

Zustimmung zu einem völkerrechtlichen Vertrag „der Form eines B<strong>und</strong>esgesetzes“ bedarf.<br />

Hinsichtlich der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen gibt es<br />

die Spezialvorschrift des Art. 24 I GG, die, wiederum ähnlich dem Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG, die<br />

Übertragung „durch Gesetz“ vorschreibt <strong>und</strong> dies in den Spezialvorschriften der folgenden<br />

Absätze auch nicht irgendwelchen Sonderregelungen unterwirft. Man kann also sagen, dass<br />

sich Art. 23 GG nicht nur inmitten der für das deutsche Staats- <strong>und</strong> Verfassungsleben<br />

typischen repräsentativ-demokratischen Verfahrensstrukturen bewegt, sondern auch, dass er<br />

145<br />

Zur Repräsentativdemokratie nur Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Demokratische Willensbildung <strong>und</strong><br />

Repräsentation, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.), HdBStR, Bd. II (2.Aufl.), 1998, S. 29 ff.<br />

146<br />

„[...] vom Volke in Wahlen <strong>und</strong> Abstimmungen [.....] ausgeübt [...]“<br />

147<br />

Vgl. die die Neugliederung des B<strong>und</strong>esgebiets <strong>und</strong> einiger Länder betreffenden Vorschriften der Art. 29 <strong>und</strong><br />

118 GG; Zusammenfassend Krause, Peter, <strong>Verfassungsrecht</strong>liche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie, in:<br />

Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.), HdBStR Bd. II, 2. Aufl. 1998, § 39, S. 313 mwN. A.A. aber etwa<br />

Bleckmann, Albert, Die Zulässigkeit des Volksentscheides nach dem Gr<strong>und</strong>gesetz, in JZ 1978, S. 217 ff; Pieroth,<br />

Art. 20, in Jarras/Pieroth, GG, 5. Aufl. 200, Rdn 7. In jüngerer Zeit hat die Diskussion durch die Einführung von<br />

Vorschriften über direkte demokratische Beteiligung in vielen Landesverfassungen an Dynamik gewonnen (vgl.<br />

Hartmann, Bernd J., Volksgesetzgebung in Ländern <strong>und</strong> Kommunen, 116 DVBl. 2001, S. 776; Huber, Peter M.,<br />

Die Vorgaben des Gr<strong>und</strong>gesetzes für kommunale Bürgerbegehren <strong>und</strong> Bürgerentscheide, 126 AöR 2001, S. 165,<br />

183ff, 202). Aber auch auf B<strong>und</strong>esebene wird verstärkt über die Einführung von Elementen direkter Demokratie<br />

nachgedacht (vgl. etwa Koalitionsvereinbarung vom 20.10.1998, IX.13 (S. 50) (zitiert bei Hartmann)).<br />

148<br />

Also jene Erklärung, die im Völkerrecht „Ratifikation“ genannt wird, vgl. insoweit Art. 14 der Wiener<br />

Vertragsrechtskonvention (WVRK) von 1969.

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