23.10.2012 Aufrufe

6H@A:E>DH - Asklepios

6H@A:E>DH - Asklepios

6H@A:E>DH - Asklepios

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Management<br />

Notaufnahme: Alltag zwischen Leben und Tod<br />

Bestsellerautor begleitete Rettungssanitäter und Ärzte in der Klinik Nord<br />

Sellin: »Die Erlebnisse in der Notaufnahme haben mich verändert.«<br />

die schnittstelle von Leben und tod<br />

ist alltag in der notaufnahme. Verzweiflung,<br />

angst und hoffnung liegen oft nur<br />

eine zimmertür auseinander. Über mehrere<br />

Monate hat der hamburger Bestsellerautor<br />

fred sellin rettungssanitäter, Ärzte<br />

und Krankenschwestern in der asklepios<br />

Klinik nord in hamburg begleitet. dabei<br />

sprach er auch mit Patienten, deren Leben<br />

plötzlich aus dem gleichgewicht geraten<br />

ist. entstanden ist ein spannender insidereport,<br />

verdichtet zu sieben tagen emotionen<br />

und schicksal, der unter die haut<br />

geht.<br />

Herr Sellin, wie ist die Idee zu diesem Buch<br />

entstanden?<br />

fred sellin: Das Thema hat mich schon<br />

seit Jahren beschäftigt. Wenn ich einen<br />

RTW auf der Straße sehe, frage ich mich:<br />

Was ist da passiert, was für ein Schicksal<br />

steckt dahinter? Ich wollte auch wissen,<br />

wie es weitergeht, wenn man die 112<br />

anruft. Die Zentrale Notaufnahme (ZNA)<br />

Klinik Nord, des größten Krankenhauses<br />

in Hamburg, schien mir der ideale Ort für<br />

eine Recherche.<br />

Wie wurden Sie vom Team in der ZNA<br />

aufgenommen?<br />

Erst wollte ich die Arbeit nur beobachten<br />

und mir dabei Notizen machen. Doch<br />

ich merkte sehr<br />

schnell, dass es so nicht<br />

funktioniert. Also hab‘ ich gesagt: »Lasst<br />

mich doch mithelfen!« Ich wollte am eigenen<br />

Leib fühlen, wie es ist, was die Arbeit<br />

bedeutet, was sie aus einem macht.<br />

Die Schwestern und Pfleger haben mich<br />

gewissermaßen angelernt, mir alles erklärt.<br />

Alle, auch die Ärzte, waren hilfsbereit,<br />

freundlich und offen zu mir. So habe ich<br />

dann also Blutdruck gemessen, Patienten<br />

Wasser gebracht, sie zum Röntgen geschoben<br />

und vieles mehr. Fünf Monate lang.<br />

Acht bis neun Stunden Schicht, Schlafen,<br />

das Erlebte aufschreiben und dann wieder<br />

zum Dienst. Das war hart. Mein Biorhythmus<br />

geriet völlig durcheinander. Ich war<br />

immer müde.<br />

Was hat Sie am meisten beeindruckt?<br />

Wie die ZNA-ler mit den Patienten umgingen.<br />

Mit welcher Hingabe und Ernsthaftigkeit<br />

sie sich um jeden kümmerten und<br />

nie die Contenance verloren, selbst wenn<br />

einer mal unverschämt wurde.<br />

Ich erinnere mich noch gut an eine<br />

Nachtschicht. Ein Mann war in einer Fabrikhalle<br />

acht Meter in die Tiefe gestürzt<br />

und lag nun halbtot im Schockraum. Ich<br />

sehe sie noch vor mir, die müden Gesichter<br />

der Ärzte und Schwestern. Und plötzlich<br />

waren sie hellwach, jeder Handgriff saß.<br />

Alle waren sie davon erfüllt, dieses Men-<br />

schenleben zu retten. Ein Außenstehender<br />

kann überhaupt nicht ermessen, was da geleistet<br />

wird. Tag für Tag.<br />

Gab es einen Punkt, an dem Sie es nicht<br />

mehr ausgehalten haben?<br />

Das war der Tag, als sich<br />

einer unserer Patienten umgebracht<br />

hat. Er war nachts betrunken<br />

eingeliefert worden, kam in<br />

den Ausnüchterungsraum. Als<br />

er wieder klarer war, habe ich mit<br />

ihm lange über seine Probleme gesprochen.<br />

Er war seit Jahren alkoholkrank.<br />

Seine Ehefrau hat ihn<br />

dann abgeholt. Kurz darauf wurde<br />

eine ältere Patientin mit einem Nervenzusammenbruch<br />

eingeliefert: seine<br />

Mutter. Sie hatte gerade erfahren, dass<br />

er sich zu Hause erschossen hatte. Ich<br />

war fertig, fragte mich, ob ich seinen Tod<br />

hätte verhindern können. Ich wollte nur<br />

noch weg. Aber dann habe ich mir gesagt:<br />

Die ZNA-Mitarbeiter müssen solche Situationen<br />

auch durchstehen, denen geht es<br />

jetzt nicht besser. Also blieb ich.<br />

Hat sich Ihr Bild vom »Mythos« Notaufnahme<br />

verändert, Ihr Blick auf die Mitarbeiter?<br />

Die Erlebnisse in der Notaufnahme<br />

haben mich verändert. Ich sehe die Arbeit<br />

der Ärzte, Schwestern und Pfleger jetzt mit<br />

anderen Augen. Aber auch meine Sicht auf<br />

vieles im Leben hat sich verändert. Man vergisst<br />

so schnell, wie wichtig Gesundheit ist.<br />

Wenn es einem gut geht, nimmt man das<br />

als selbstverständlich hin. Dabei kann in<br />

nur einer Sekunde das ganze Leben plötzlich<br />

aus den Fugen geraten.<br />

Das Gespräch führte Mathias Eberenz<br />

Der Autor<br />

Fred Sellin, Jahrgang 1964, studierte nach<br />

dem Abitur Journalistik, arbeitete anschließend<br />

als Redakteur und Reporter bei verschiedenen<br />

Tages- und Wochenzeitungen.<br />

Jetzt lebt er als freier Autor in Hamburg. Von<br />

ihm sind unter anderem Biografien über Heinz<br />

Rühmann, Boris Becker, die Klitschko-Brüder<br />

(als Co-Autor) sowie zwei Enthüllungsbücher<br />

über Kriminalität in Deutschland erschienen.<br />

Fred Sellin: Notaufnahme – Alltag zwischen<br />

Leben und Tod, 352 Seiten, C. Bertelsmann,<br />

16,95 Euro<br />

ASKLEPIOS intern 33/2007

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!