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Management<br />
Notaufnahme: Alltag zwischen Leben und Tod<br />
Bestsellerautor begleitete Rettungssanitäter und Ärzte in der Klinik Nord<br />
Sellin: »Die Erlebnisse in der Notaufnahme haben mich verändert.«<br />
die schnittstelle von Leben und tod<br />
ist alltag in der notaufnahme. Verzweiflung,<br />
angst und hoffnung liegen oft nur<br />
eine zimmertür auseinander. Über mehrere<br />
Monate hat der hamburger Bestsellerautor<br />
fred sellin rettungssanitäter, Ärzte<br />
und Krankenschwestern in der asklepios<br />
Klinik nord in hamburg begleitet. dabei<br />
sprach er auch mit Patienten, deren Leben<br />
plötzlich aus dem gleichgewicht geraten<br />
ist. entstanden ist ein spannender insidereport,<br />
verdichtet zu sieben tagen emotionen<br />
und schicksal, der unter die haut<br />
geht.<br />
Herr Sellin, wie ist die Idee zu diesem Buch<br />
entstanden?<br />
fred sellin: Das Thema hat mich schon<br />
seit Jahren beschäftigt. Wenn ich einen<br />
RTW auf der Straße sehe, frage ich mich:<br />
Was ist da passiert, was für ein Schicksal<br />
steckt dahinter? Ich wollte auch wissen,<br />
wie es weitergeht, wenn man die 112<br />
anruft. Die Zentrale Notaufnahme (ZNA)<br />
Klinik Nord, des größten Krankenhauses<br />
in Hamburg, schien mir der ideale Ort für<br />
eine Recherche.<br />
Wie wurden Sie vom Team in der ZNA<br />
aufgenommen?<br />
Erst wollte ich die Arbeit nur beobachten<br />
und mir dabei Notizen machen. Doch<br />
ich merkte sehr<br />
schnell, dass es so nicht<br />
funktioniert. Also hab‘ ich gesagt: »Lasst<br />
mich doch mithelfen!« Ich wollte am eigenen<br />
Leib fühlen, wie es ist, was die Arbeit<br />
bedeutet, was sie aus einem macht.<br />
Die Schwestern und Pfleger haben mich<br />
gewissermaßen angelernt, mir alles erklärt.<br />
Alle, auch die Ärzte, waren hilfsbereit,<br />
freundlich und offen zu mir. So habe ich<br />
dann also Blutdruck gemessen, Patienten<br />
Wasser gebracht, sie zum Röntgen geschoben<br />
und vieles mehr. Fünf Monate lang.<br />
Acht bis neun Stunden Schicht, Schlafen,<br />
das Erlebte aufschreiben und dann wieder<br />
zum Dienst. Das war hart. Mein Biorhythmus<br />
geriet völlig durcheinander. Ich war<br />
immer müde.<br />
Was hat Sie am meisten beeindruckt?<br />
Wie die ZNA-ler mit den Patienten umgingen.<br />
Mit welcher Hingabe und Ernsthaftigkeit<br />
sie sich um jeden kümmerten und<br />
nie die Contenance verloren, selbst wenn<br />
einer mal unverschämt wurde.<br />
Ich erinnere mich noch gut an eine<br />
Nachtschicht. Ein Mann war in einer Fabrikhalle<br />
acht Meter in die Tiefe gestürzt<br />
und lag nun halbtot im Schockraum. Ich<br />
sehe sie noch vor mir, die müden Gesichter<br />
der Ärzte und Schwestern. Und plötzlich<br />
waren sie hellwach, jeder Handgriff saß.<br />
Alle waren sie davon erfüllt, dieses Men-<br />
schenleben zu retten. Ein Außenstehender<br />
kann überhaupt nicht ermessen, was da geleistet<br />
wird. Tag für Tag.<br />
Gab es einen Punkt, an dem Sie es nicht<br />
mehr ausgehalten haben?<br />
Das war der Tag, als sich<br />
einer unserer Patienten umgebracht<br />
hat. Er war nachts betrunken<br />
eingeliefert worden, kam in<br />
den Ausnüchterungsraum. Als<br />
er wieder klarer war, habe ich mit<br />
ihm lange über seine Probleme gesprochen.<br />
Er war seit Jahren alkoholkrank.<br />
Seine Ehefrau hat ihn<br />
dann abgeholt. Kurz darauf wurde<br />
eine ältere Patientin mit einem Nervenzusammenbruch<br />
eingeliefert: seine<br />
Mutter. Sie hatte gerade erfahren, dass<br />
er sich zu Hause erschossen hatte. Ich<br />
war fertig, fragte mich, ob ich seinen Tod<br />
hätte verhindern können. Ich wollte nur<br />
noch weg. Aber dann habe ich mir gesagt:<br />
Die ZNA-Mitarbeiter müssen solche Situationen<br />
auch durchstehen, denen geht es<br />
jetzt nicht besser. Also blieb ich.<br />
Hat sich Ihr Bild vom »Mythos« Notaufnahme<br />
verändert, Ihr Blick auf die Mitarbeiter?<br />
Die Erlebnisse in der Notaufnahme<br />
haben mich verändert. Ich sehe die Arbeit<br />
der Ärzte, Schwestern und Pfleger jetzt mit<br />
anderen Augen. Aber auch meine Sicht auf<br />
vieles im Leben hat sich verändert. Man vergisst<br />
so schnell, wie wichtig Gesundheit ist.<br />
Wenn es einem gut geht, nimmt man das<br />
als selbstverständlich hin. Dabei kann in<br />
nur einer Sekunde das ganze Leben plötzlich<br />
aus den Fugen geraten.<br />
Das Gespräch führte Mathias Eberenz<br />
Der Autor<br />
Fred Sellin, Jahrgang 1964, studierte nach<br />
dem Abitur Journalistik, arbeitete anschließend<br />
als Redakteur und Reporter bei verschiedenen<br />
Tages- und Wochenzeitungen.<br />
Jetzt lebt er als freier Autor in Hamburg. Von<br />
ihm sind unter anderem Biografien über Heinz<br />
Rühmann, Boris Becker, die Klitschko-Brüder<br />
(als Co-Autor) sowie zwei Enthüllungsbücher<br />
über Kriminalität in Deutschland erschienen.<br />
Fred Sellin: Notaufnahme – Alltag zwischen<br />
Leben und Tod, 352 Seiten, C. Bertelsmann,<br />
16,95 Euro<br />
ASKLEPIOS intern 33/2007