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Individuelle Trauer im Film

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Werk „Studien zur Geschichte des Todes <strong>im</strong> Abendland“ 15 verfolgt Phillipe Ariès die sich <strong>im</strong><br />

Laufe der Zeit ändernden Einstellungen zum Tod <strong>im</strong> westlichen Kulturkreis. Dabei macht er<br />

<strong>im</strong> 19. Jahrhundert einen Wandel aus: vom Tod, als einem bis dahin akzeptierten und<br />

integrierten Bestandteil des Lebens, hin zu einer Einstellung, die den Tod anderer nicht mehr<br />

so bereitwillig hinn<strong>im</strong>mt. Die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung hat inzwischen dazu<br />

geführt, dass sich der Schauplatz des Sterbens (wie <strong>im</strong> Übrigen auch der des anderen Pols, der<br />

Geburt) <strong>im</strong> 20. Jahrhundert hinter die Mauern der Krankenhäuser verlagert hat. Sterben und<br />

Tod finden nun nicht mehr in einem gesellschaftlichen und familiären Alltag statt, sondern<br />

vollziehen sich von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt in darauf spezialisierten<br />

Institutionen. Fortschritte in verschiedenen Bereichen der kulturellen Entwicklung (Agrar-,<br />

Wirtschafts-, Sozialsektor etc.) und lebensverlängernde Maßnahmen haben dazu geführt, dass<br />

der Prozess des Sterbens sowohl <strong>im</strong>mer später <strong>im</strong> Leben eines Menschen beginnt als auch<br />

länger dauert. Dieses von Gerhard Schmied als „langes Sterben“ und „seltenes Sterben“ 16<br />

bezeichnete Charakteristikum des Sterbens in der Moderne hat zur Folge, dass in der<br />

westlichen Gesellschaft die Angst vor dem Tod nicht stets präsent ist. „Die Indifferenz<br />

gegenüber dem Tod wird dann aufgebrochen, wenn jemand mit dem Tod direkt konfrontiert<br />

wird, sei dies in der Form, dass er den Tod eines nahen Angehörigen miterlebt oder dass er<br />

selbst längere Zeit in Lebensgefahr schwebt.“ 17 Der gesellschaftlichen Verdrängung des<br />

Todes entspricht dann häufig eine weitgehende Unsicherheit, wie mit dem Phänomen<br />

umgegangen werden soll, da eine „ars moriendi“ 18 fehlt. Weiter hat die gesellschaftliche<br />

Ausdifferenzierung und Säkularisierung <strong>im</strong> Verlauf des Zivilisationsprozesses bewirkt, dass<br />

der Rückhalt durch gesellschaftliche Bezugssysteme schwächer geworden ist. „Ein<br />

Informalisierungsschub <strong>im</strong> Rahmen dieses Prozesses hat dazu geführt, dass eine ganze Reihe<br />

herkömmlicher Verhaltensroutinen, darunter auch der Gebrauch ritueller Floskeln, in den<br />

Krisensituationen des menschlichen Lebens für viele Menschen suspekt und zum Teil<br />

peinlich geworden ist.“ 19<br />

15 Ariès, Philippe: Studien zur Geschichte des Todes <strong>im</strong> Abendland. München 1976. Vgl. hierzu auch den<br />

Beitrag von Thomas Macho „Tod und <strong>Trauer</strong> <strong>im</strong> kulturwissenschaftlichen Vergleich“ in: Assmann, Jan: Der Tod<br />

als Thema der Kulturtheorie. Todesbilder und Totenriten <strong>im</strong> Alten Ägypten. Frankfurt/M. 2000, S. 89-112.<br />

16 Schmied, Gerhard: Sterben und <strong>Trauer</strong>n in der modernen Gesellschaft. Opladen 1985.<br />

17 Schmied, S. 79.<br />

18 Vgl. hierzu: Laager Jacques (Hg.): Ars moriendi. Die Kunst, gut zu leben und gut zu sterben. Texte von Cicero<br />

bis Luther. Zürich 1996.<br />

19 Elias, Norbert: Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen. 7. Aufl. Frankfurt/M. 1991, S. 45.<br />

Vgl. hierzu auch Mischke, Marianne: Der Umgang mit dem Tod. Vom Wandel in der abendländischen<br />

Geschichte. Berlin 1996, S. 15: „Wenn die Menschen in der heutigen Gesellschaft überhaupt von Sterben und<br />

Tod sprechen wollen, dann müssen sie nicht nur das kollektive Tabu, ihre eigenen Ängste und<br />

Verdrängungstendenzen überwinden, sondern auch ihr sprachliches Unvermögen, das in dem Mangel an in<br />

Sprache zurückfließende Erfahrung begründet ist.“

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