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Bürgerschaftliches Engagement

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Schwerpunkt <strong>Bürgerschaftliches</strong> <strong>Engagement</strong><br />

Belege, wie die Bildung von Migrant/innen verbessert<br />

werden kann (sirius: 2013).<br />

Welche Fähigkeiten brauchen also junge Leute, und<br />

welche Fähigkeiten helfen uns, eine Art von Gleichheit<br />

der Ergebnisse sicherzustellen?<br />

Ich möchte nicht argumentieren, dass Basiskenntnisse<br />

in Bezug auf Lesen, Schreiben und Rechnen unwichtig<br />

sind: Sie sind wesentlich für unser heutiges Leben. Aber<br />

gerade in diesen Bereichen haben wir in vielen Ländern<br />

Bildungsstrukturen und Routinen, welche den Charakter<br />

der Selektion in jeder Stufe des Bildungsprozesses<br />

betonen. Leistung und Qualifizierung richten sich nach<br />

den Eintrittsanforderungen für die nächste Stufe, sogar<br />

dann, wenn viele der Beteiligten nicht danach streben, in<br />

die nächste Stufe aufzusteigen. Das bedeutet, dass jene,<br />

die nicht mit den notwendigen Qualifikationen für die<br />

nächste Ebene abschließen, als Versager gekennzeichnet<br />

werden, und das System schafft eine Gesellschaft, in<br />

der sich viele Menschen selbst als unfähig ansehen, das<br />

nächsthöhere Bildungsniveau zu erreichen. Der akademische<br />

Weg wird daher besonders wertgeschätzt, der<br />

Berufsweg hingegen wird allenfalls zum Trostpreis. Oftmals<br />

wird Bildung immer noch als ein Prozess der Übertragung<br />

angesehen: Junge Menschen werden mit „Fakten“<br />

gefüttert, die sie angeblich benötigen. Die Lehrkraft<br />

besitzt das Wissen, und ihre oder seine Aufgabe ist es,<br />

sicherzustellen, dass dieses in den Köpfen der Lernenden<br />

erfolgreich reproduziert wird.<br />

Es gibt viele andere wichtige Fertigkeiten neben jenen,<br />

die direkt am Arbeitsmarkt benötigt werden. Alle jungen<br />

Menschen müssen Fähigkeiten und Kompetenzen im<br />

persönlichen Bereich wie Gesundheit und Fitness und<br />

der Führung von Beziehungen aufbauen, ebenso wie moralische<br />

und soziale Werte und die Fähigkeit, ein aktiver<br />

Bürger, eine aktive Bürgerin zu sein. Sie müssen lernen,<br />

mit ihren Finanzen umzugehen und Umweltbewusstsein<br />

zu entwickeln. Blendet man reine Nützlichkeitserwägungen<br />

aus, so lässt sich argumentieren, dass Bildung ihnen<br />

auch helfen kann, Verständnis und Wertschätzung für<br />

unsere Kultur und für menschliche Leistungen im Allgemeinen<br />

zu entwickeln.<br />

Dies sind Kompetenzen des lebensbegleitenden Lernens,<br />

welche in unsere Kultur eingebettet und ständig<br />

durch Übung aktualisiert werden sollen, sowohl im formellen<br />

als auch im informellen Bereich. Sie sind es, die<br />

unser Leben ausmachen.<br />

Immer wieder gibt es ökonomische Krisen, ausgelöst<br />

durch exzessive Kreditnahme und leichtsinnige Kreditgewährung.<br />

Exzessive Kreditnahme durch Einzelpersonen<br />

und kommerzielle Institutionen ist in vielen Fällen das<br />

Resultat davon, dass den Menschen die Möglichkeit geboten<br />

wird, scheinbar „leichtes Geld“ ausborgen zu können,<br />

unter Konditionen, die nicht erläutert werden, von<br />

Institutionen, die bereits eine Versicherung abgeschlossen<br />

haben, im Falle, dass das verborgte Kapital nicht wieder<br />

eingebracht werden kann.<br />

Dies deutet an, dass wir Schulen und Einrichtungen<br />

brauchen, die junge Menschen darin unterrichten, wie die<br />

private Finanzgebarung funktioniert: Warum Geld geborgt<br />

werden kann und von wem; warum dies angeboten wird;<br />

12 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2013 · NR. 248<br />

was zurückgezahlt werden kann; wofür es Sinn macht,<br />

Geld zu leihen. Dies wäre ein konkretes und sehr praktisches<br />

Beispiel dafür, wie Bildung dazu beitragen kann, zu<br />

verhindern, dass so eine Krise wiederkehrt.<br />

Noch besser, aber vielleicht etwas unwahrscheinlicher,<br />

wäre es, dass unsere Banker/innen nach einem Kurs über<br />

die Ethik und Moral von Bankgeschäften strenge, verpflichtende<br />

Tests zu absolvieren hätten, wonach nur die<br />

Erfolgreichsten eine Lizenz bekommen, um am Finanzmarkt<br />

handeln zu können.<br />

Der Bereich des sozialen Lernens, der Bürger/innenbildung,<br />

ist von besonderer Bedeutung und Wichtigkeit<br />

und ich möchte den Vortrag mit einem Resümee aus meiner<br />

derzeitigen Forschung abschließen, indem ich eine<br />

Art der Bürger/innenbildung vorschlagen möchte, die<br />

dienlich sein könnte.<br />

Ich untersuche momentan, wie junge Menschen im<br />

Alter von 12 bis 19 Jahren ihre Identitäten konstruieren,<br />

als Mitglieder ihrer Herkunftsländer und als Europäer/<br />

innen. Ich habe in den letzten Jahren viele Länder besucht,<br />

die der Europäischen Union beigetreten sind oder<br />

sich gerade dafür bewerben, und mit vielen Gruppen von<br />

jungen Menschen darüber gesprochen, was es heißt, ein/e<br />

Bürger/in dieses Landes oder ein/e Europäer/in zu sein.<br />

Diese Identitätsbegriffe werden konstruiert – sie werden<br />

als Beschreibungen gebildet, um mit anderen teilen zu<br />

können, wer man „ist“, welche Identität man hat.<br />

Wir konstruieren unsere Identitäten bedingt, das heißt<br />

wir tun dies unter gewissen Umständen beziehungsweise<br />

in einem bestimmten Kontext, abhängig davon, mit wem<br />

wir sprechen, wann wir sprechen, und worüber wir sprechen.<br />

Dies sind soziale Konstruktionen, die in einem sozialen<br />

Umfeld stattfinden.<br />

Nehmen wir zum Beispiel einen jungen Mann in einer<br />

kleinen Stadt in Nordengland: Er würde sich selbst je nach<br />

Kontext unterschiedlich beschreiben: als Brite, als britischer<br />

Muslim, als Mensch mit pakistanischer Herkunft,<br />

als britischer Pakistani, als sunnitischer Muslim, oder aus<br />

Bradford, zum Beispiel. Seine Antwort hängt davon ab,<br />

ob er mit einem Freund spricht, mit einem/einer Journalist/in,<br />

einem/einer Polizeibeamten/in oder einem/einer<br />

Forscher/in. Die Selbstbeschreibung könnte von aktuellen<br />

Geschehnissen in Großbritannien abhängen oder von<br />

lokalen Ereignissen oder von Ereignissen irgendwo in der<br />

Welt. Keine seiner Beschreibungen ist unwahr, aber jede<br />

stellt eine Selektion von einem Repertoire an möglichen<br />

Antworten dar.<br />

Ich war nicht auf der Suche nach einer definitiven Antwort,<br />

wer diese Menschen „sind“, aber ich wollte zuhören<br />

wie sie die verschiedenen Möglichkeiten untereinander<br />

diskutieren. Ich organisierte Fokusgruppen mit rund<br />

sechs Personen aus derselben Klasse, welche miteinander<br />

über dieses Thema sprachen. Ich forschte nach sozialen<br />

Konstruktionen, welche im sozialen Kontext artikuliert<br />

werden. Ein Interview wäre dafür ungeeignet, weil es<br />

nur ein einfacher Dialog zwischen einem Mitglied dieser<br />

Gruppe und mir, dem außen stehenden Forscher, wäre. In<br />

so einer Fokusgruppe beginne ich die Diskussion so, wie<br />

ich denke, dass sie zum Ergebnis führen wird, lasse dann<br />

aber die Gruppe so gut es geht alleine, damit die Mitglieder

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