Bürgerschaftliches Engagement
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Zweifel an der<br />
Demokratie? 1<br />
Gerhard Bisovsky<br />
Schwerpunkt<br />
Der Sprung des Österreichers Felix Baumgartner aus 39<br />
Kilometer Höhe am 14. Oktober 2012 war zwar ein Sprung<br />
aus einem Ballon und nicht ein „Sprung aus dem Weltall“,<br />
wie oft zu lesen war. Zweifelsohne handelte es sich aber<br />
um eine beeindruckende menschliche Leistung und vor<br />
allem um ein Ereignis für die Medien. Felix Baumgartner<br />
ließ aber nicht nur mit seinem Sprung aufhorchen,<br />
sondern auch mit einer Bemerkung zur Demokratie. Als<br />
er von Journalist/innen der „Kleinen Zeitung“ gefragt<br />
wurde, ob er sich eine politische Karriere vorstellen können,<br />
antwortete er mit „Nein“ und argumentierte so: „Du<br />
kannst in einer Demokratie nichts bewegen. Wir würden<br />
eine gemäßigte Diktatur brauchen, wo es ein paar Leute<br />
aus der Privatwirtschaft gibt, die sich wirklich auskennen“<br />
(Kleine Zeitung vom 27.10.2012).<br />
Diese Meinung soll nicht überbewertet werden und<br />
sie kann keineswegs dazu herhalten, Österreich nun<br />
als Land der Befürworter von Diktaturen hinzustellen.<br />
Allerdings befremdet es einigermaßen, wenn in einem<br />
Land, das in seiner jüngeren Zeitgeschichte von zwei Diktaturen<br />
regiert wurde (dem Austrofaschismus von 1933<br />
bis 1938 und dem Nationalsozialismus von 1938-1945),<br />
die Demokratie in Frage gestellt wird.<br />
Baumgartner steht mit seiner Meinung jedenfalls<br />
nicht alleine da. „Spiegel Online“ berichtete am 8. April<br />
2013 von der Jahrestagung des Instituts für Neues Ökonomisches<br />
Denken in Hongkong. 2 Das Institute for New<br />
Economic Thinking (inet) 3 versteht sich als Think-Tank<br />
und will einen Beitrag für eine „bessere Welt für alle“ leisten.<br />
inet geht es darum, für eine jüngere Generation von<br />
Ökonomen Bedingungen zu schaffen, damit diese neue<br />
Wege beschreiten kann. Dieser offene und vorurteilsfreie<br />
Zugang zu Themen, Aufgabenstellungen und Herausforderungen<br />
beinhaltet jedoch auch einen Rückgriff auf das<br />
Konzept der „politischen Meritokratie“, der von einzelnen<br />
Wissenschaftlern gemacht wird. Daniel A. Bell, Professor<br />
an der Jiatong-Universität in Shanghai und Professor für<br />
politische Theorie sowie Direktor des Zentrums für vergleichende<br />
und internationale politische Philosophie an<br />
der Tsinghua-Universität in Peking, behauptet, dass Demokratie<br />
ein mit Mängeln behaftetes politisches System<br />
sei. Diesem Umstand könne, so Bell, mit einer politischen<br />
Meritokratie begegnet werden, welche die Selektion der<br />
besten politischen Führungskräfte gewährleiste und damit<br />
zu besseren politischen Entscheidungen beitragen<br />
würde. Bell ist vom Auswahlprozess der politischen Eliten<br />
in China beeindruckt, führt in seinen Beiträgen in<br />
der „Huffington Post“ allerdings auch Verbesserungsvorschläge<br />
an. Abschließend merkt er an, dass Meritokratie<br />
Schwerpunkt <strong>Bürgerschaftliches</strong> <strong>Engagement</strong><br />
inkompatibel sei mit einem Mehr-Parteien-System. 4<br />
Das System „ein Mensch – eine Stimme“ habe sich, so<br />
Bell, nicht bewährt, es sei aber zu einem quasi heiligen,<br />
unantastbaren Prinzip geworden. Bell beklagt, dass der<br />
Vorschlag von John Stuart Mill, dass gebildete Menschen<br />
bei Wahlen mehr Stimmung zur Verfügung haben sollten,<br />
heute nicht diskutierbar sei. „Spiegel Online“ zitiert<br />
in dem Bericht über die Hongkong-Konferenz den Wirtschaftsnobelpreisträger<br />
2001, Michael Spence, als Befürworter<br />
eines „wohlwollend autoritären“ Systems. 5<br />
Der österreichische Journalist und bekennende Wirtschaftsliberale<br />
Christian Ortner spricht in seinem gleichnamigen<br />
Büchlein von einer „Prolokratie“ und prangert<br />
die angeblichen Souveräne „Kevin“ und „Jessica“ 6 an, die<br />
ungebildet und meist auch noch Empfänger von Sozialhilfen<br />
seien. Deren Wahlverhalten führe letzten Endes<br />
dazu, dass Politiker gewählt würden, die nicht kompetent<br />
seien und den Fortbestand des bestehenden Systems garantieren,<br />
was wiederum Vorteile für Sozialhilfeempfänger<br />
schaffe. So werde der Staat in die Pleite geführt. Ortner<br />
spricht sich zwar gegen Monarchien und Diktaturen<br />
aus, beide hätten in Österreich historisch versagt, doch<br />
zeigt er, den tschechischen Außenminister Karel Schwarzenberg<br />
zitierend, Sympathien für eine „parlamentarische<br />
Monarchie“. Ortner lässt auch den österreichischen<br />
liberalen Ökonomen und Nobelpreisträger Friedrich<br />
August von Hajek zu Wort kommen, der sich vorstellen<br />
konnte, dass das Wahlrecht nicht für alle gültig sein müsse.<br />
Hajek zitiert er damit, dass „Staatsangestellte“ oder<br />
„alle Empfänger von öffentlichen Unterstützungen ausgeschlossen<br />
wären“ (Ortner: 2012, S. 87).<br />
Die Entscheidungsschwäche, die vielen europäischen<br />
Regierungen gerade in der noch andauernden Wirtschafts-<br />
und Finanzkrise vorgeworfen wurde und wird,<br />
1 Überarbeitete Fassung eines Beitrages beim Colloque Européen der<br />
Association des Universités Populaires de France (AUPF) vom 24. bis<br />
25.11.2012 in Valence (Drôme).<br />
2 http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/oekonomen-undsozialwissenschaftler-zweifeln-an-der-demokratie-a-892991-druck.html<br />
[2013-04-27].<br />
3 http://ineteconomics.org/.<br />
4 Vgl. dazu: Daniel A. Bell: Political meritocracy is a good thing (part 1).<br />
The case of China. Ders.: Political meritocracy is a good thing (part 2).<br />
Improving meritocracy in China. Beide Beiträge unter http://www.<br />
huffingtonpost.com/daniel-a-bell/ [2013-04-27].<br />
5 Wie Fußnote 2.<br />
6 Der Vorname Kevin deutet auf das so bezeichnete Phänomen des<br />
„Kevinismus“ , also auf modische Namensgebungen, die sich häufig in<br />
Unterschichtfamilien finden, ,hin. Folgt man einer Masterarbeit an der<br />
Universität Oldenburg, so ordnen Lehrer Kinder mit solchen häufigen<br />
und modischen Vornamen den Unterschichten zu und beurteilen sie<br />
auch schlechter (Vgl. Julia Isabell Kube (2009): Vornamensforschung,<br />
Fragebogenuntersuchung bei Lehrerinnen und Lehrern, ob Vorurteile<br />
bezüglich spezifischer Vornamen von Grundschülern und davon<br />
abgeleitete erwartete spezifische Persönlichkeitsmerkmale vorliegen.<br />
Oldenburg, Univ., Master-Arb.)<br />
DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2013 · NR. 248 — 27