Bürgerschaftliches Engagement
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ist, dass rechtskonservative Politiker/innen diese Form<br />
der sozialen Segmentierung für ihre politische Strategie<br />
nutzen und als Lösung die Ausgrenzung anderer Gruppen<br />
proklamieren (Ebd.:, S. 193). Religiöse und kulturelle<br />
Faktoren werden im Zuge sozialer Konflikte häufig miteinander<br />
verwoben und politisch instrumentalisiert.<br />
Durch die Lockerung der sozialen Identitäten hat sich<br />
die Tendenz breit gemacht, sich selber eine persönliche<br />
Identität zu schaffen, wobei allerdings vermieden wird,<br />
sich festzulegen. Das Individuum bleibt gleichsam ein<br />
lebenslängliches „Identitätsprojekt“ und ist als „Spaziergänger“<br />
bzw. „Wanderer“ zwischen verschiedenen Identitäten<br />
unterwegs (Ebd.:, S. 194).<br />
Bibouche und Held machen den Rückzug ins Private<br />
und die soziale Abkapselung als weiteren Trend aus. Alle<br />
Missstände werden auf die Anonymität, die Entfremdung<br />
und Kälte der Gesellschaft zurückgeführt. Sie sprechen<br />
zudem von einer weit verbreiteten „Politikverleugnung“<br />
(nicht „Politikverdrossenheit“). Die Menschen sind nicht<br />
unpolitisch, allerdings lässt sich der Wechsel zwischen<br />
den Identitäten schlecht damit vereinbaren, sich politisch<br />
zu deklarieren (Ebd.:, S. 194-197).<br />
Helga Bilden sieht die Entwicklung zum vielstimmigen,<br />
heterogenen Individuum als Folge „einer gesellschaftlichen<br />
Umbruchperiode […], deren Tragweite der<br />
des Umbruchs von der feudalen zur kapitalistisch-industriellen<br />
Gesellschaft am Ende des 18. Jahrhunderts ähnelt“<br />
(Bilden: 2007, S. 98).<br />
Nimmt man diese Erkenntnisse der Politischen Psychologie<br />
ernst, so muss man davon ausgehen, dass sich<br />
die Konsequenzen der globalen Entwicklungen regional<br />
sehr unterschiedlich darstellen. Es gibt regional spezifische<br />
Gruppenzugehörigkeiten und Identitäten und damit sehr<br />
verschiedene Ansatzpunkte für politische Bildungsarbeit.<br />
Um sich diesen regionalen Rahmenbedingungen im<br />
Zuge der Planungsarbeit anzunähern, können folgende<br />
Überlegungen hilfreich sein, wobei die folgende Auflistung<br />
keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt:<br />
• wie weit ist die Region vom nächstliegenden urban geprägten<br />
Raum entfernt (laut Lebensministerium sind<br />
damit Gemeinden mit mehr als 30.000 Einwohner/<br />
innen gemeint; www.lebensministerium.at ),<br />
• welche Strukturen der Daseinsvorsorge sind gegeben<br />
(Nahversorgung, Gesundheitsversorgung, öffentlicher<br />
Verkehr usw.),<br />
• wie ist die Wirtschaftsstruktur beschaffen („Monokultur“,<br />
Durchmischung der Branchen),<br />
• welche Chancen und Möglichkeiten bietet der Arbeitsmarkt<br />
in der Region,<br />
• wie sieht der Bildungstand der Bevölkerung aus (Anteil<br />
der Menschen mit höherer Ausbildung, Anteil der<br />
Menschen maximal mit Pflichtschulabschluss),<br />
• handelt es sich um eine Abwanderungs- oder Zuwanderungsregion,<br />
• welche Einkommenssituation herrscht vor,<br />
• wie ist die Vereinsstruktur vor Ort beschaffen und wie<br />
hoch der Grad der Einbindung der Menschen,<br />
• wie sieht die politische Machtverteilung aus,<br />
• wie hoch ist der Anteil an Migrant/innen in der Bevölkerung<br />
und woher kommen diese?<br />
Schwerpunkt <strong>Bürgerschaftliches</strong> <strong>Engagement</strong><br />
All diese exemplarischen Überlegungen prägen die Fragen,<br />
die für die Menschen einer Region relevant sind,<br />
geben Auskunft über mögliche Gruppenzugehörigkeiten<br />
und politische Stimmungen. Daraus leiten sich gänzlich<br />
unterschiedliche Lebenswelten ab, auf die die politische<br />
Bildungsarbeit eingehen und aufbauen muss.<br />
„Lebensweltlicher Bezug“ in der politischen<br />
Bildungsarbeit am Beispiel „Kommt zusammen!<br />
Kirche, Moschee, Synagoge“<br />
Saalfelden (ca. 17.000 Einwohner/innen) hat einen Migrant/innenanteil<br />
von etwas mehr als 15 Prozent. Zu den<br />
größten Gruppen zählen u.a. Menschen aus der Türkei<br />
und aus Serbien. Die Stadt ist eine von drei Gemeinden<br />
im Land Salzburg mit einem muslimischen Gebetsraum,<br />
eine von zwei Salzburger Gemeinden mit einem Minarett<br />
und hat zudem eine von 16 Serbisch-Orthodoxen Kirchen<br />
österreichweit. Durch die Wahrzeichen ihrer Religionen<br />
sind diese Kulturen im Stadtbild präsenter als andernorts.<br />
Diese Sichtbarkeit des „Fremden“ ist Quelle von Vorurteilen<br />
und lässt sich für Abgrenzungstendenzen instrumentalisieren.<br />
Mit der Veranstaltung „Kommt zusammen!“<br />
bot sich für die politische Bildungsarbeit die Möglichkeit,<br />
den Blick ganz bewusst auf diese religiösen Orte und die<br />
Menschen, mit denen sie verbunden werden, zu richten.<br />
Ziel war es, durch das gegenseitige Kennerlernen Vorurteilen<br />
die Basis zu entziehen.<br />
Ausgangspunkt und Zentrum der Veranstaltung bildete<br />
eine Ausstellung des Fotokünstlers Jochen Gewecke<br />
aus Stuttgart, der religiöse Gebäude und Innenräume<br />
fotografiert und in den religiösen Räumlichkeiten der jeweils<br />
anderen Glaubensgemeinschaft ausstellt. Das sollte<br />
neugierig machen auf die Kultur und die Religion der anderen<br />
und die bis dahin weitgehend unbekannten Räume<br />
für alle öffnen. So waren konkret Bilder aus Moscheen<br />
in den drei christlichen Kirchen (katholisch, evangelisch<br />
und serbisch-orthodox) zu sehen, die Bilder der Kirchen<br />
in der Moschee. Ergänzend wurde ein Zyklus zur Synagoge<br />
(Saalfelden hat keine Synagoge, diese befindet sich<br />
in Salzburg) auf die drei Kirchen und die Moschee aufgeteilt.<br />
Im Rahmen eines Ausstellungsbesuchs wurden alle<br />
vier religiösen Orte besucht.<br />
Immer alle und nie allein<br />
Zentral für das Gelingen von politischen Bildungsveranstaltungen<br />
ist die Planung und Durchführung unter<br />
Einbeziehung möglichst aller Akteur/innen. Im konkreten<br />
Fall waren alle Erwachsenenbildungsträger (Volkshochschule,<br />
Bildungszentrum, Bildungswerke) sowie die<br />
drei Pfarrer der drei christlichen Kirchen, der Vorbeter<br />
der Moschee und ein Vorstandsmitglied des Türkischen<br />
Kulturvereins eingebunden.<br />
Die Vernissage wurde von allen religiösen Akteuren<br />
gemeinsam und gleichberechtigt geplant und gestaltet,<br />
sodass sichergestellt war, dass sich alle mit der Veranstaltung<br />
identifizieren konnten. Die Bildungsakteur/innen<br />
schufen dafür die Rahmenbedingungen, organisierten<br />
einen Vortrag zum Thema „Europa, wie hast du’s mit der<br />
Religion?“ und übernahmen die Koordination und die<br />
Organisation des Gesamtprogrammes.<br />
DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2013 · NR. 248 — 25