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Bürgerschaftliches Engagement

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Schwerpunkt <strong>Bürgerschaftliches</strong> <strong>Engagement</strong><br />

Um dies zu erkennen, muss man nicht nach Griechenland<br />

oder Spanien reisen, auch wer in Österreich oder<br />

Deutschland und andernorts mit offenen Augen, Ohren<br />

und Herzen durch die Städte und Dörfer reist, wird bestehende<br />

Ungleichheiten und Armutsverhältnisse nicht<br />

übersehen können.<br />

Hörbar werden – sichtbar werden<br />

Während sich Europa im Zuge der Sparpolitik von einer<br />

nachhaltigen Entwicklung einer Politik des Sozialen,<br />

die allen die umfassende Teilhabe ermöglichen würde,<br />

also immer weiter entfernt, machen Betroffene ihrem Ärger<br />

Luft und zeigen ihr Elend deutlich. Sie erheben ihre<br />

Stimme und nutzen all jene Möglichkeiten, die seit dem<br />

Formulieren einer „Mobilisierung aller Akteur/innen“ in<br />

die Soziale Agenda der eu zumindest teilweise geschaffen<br />

wurden, um politische Mitsprache und Teilhabechancen<br />

von Menschen mit Armutserfahrungen zu stärken.<br />

Dazu gehören die jährlichen Treffen von Menschen<br />

mit Armutserfahrungen in Brüssel genauso wie zahlreiche<br />

Partizipationsprojekte, darunter viele nationale und<br />

regionale Initiativen, die u.a. vom European Anti Poverty<br />

Network (eapn) und seinen Mitgliedsnetzwerken in 26<br />

europäischen Ländern umgesetzt werden. Den meisten<br />

dieser Projekte geht es dabei weniger um eindeutige Definitionen<br />

und die „richtigen“ Antworten im Hinblick auf<br />

Partizipation, sondern vor allem um Aufmerksamkeit für<br />

sozialpolitische Notwendigkeiten und die vielfältigen<br />

Möglichkeiten, mit denen die gesellschaftliche, ökonomische,<br />

politische und kulturelle Teilhabe von Menschen<br />

mit Armutserfahrungen gestärkt werden kann. Darüber<br />

hinaus möchten sie die Einsicht nähren, dass effektive und<br />

nachhaltige Lösungen nur unter Beteiligung von Menschen<br />

mit Armutserfahrungen entwickelt werden können.<br />

Zu den konkreten Projekten, die in den verschiedenen<br />

Ländern in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang<br />

umgesetzt wurden gehören zum Beispiel:<br />

• ein umfassender Konsultationsprozess mit Menschen<br />

mit Armutserfahrungen, der unter dem Slogan „Get<br />

heard“ in Großbritannien durchgeführt wurde,<br />

• ein in Portugal umgesetztes Projekt zur Etablierung<br />

notwendiger Strukturen einer Kultur der politischen<br />

Beteiligung von Menschen mit Armutserfahrungen<br />

auf lokaler Ebene und<br />

• die in Norwegen regelmäßig im Vorfeld der Parlamentswahlen<br />

stattfindenden Hearings mit von Armut<br />

Betroffenen.<br />

In Belgien werden seit vielen Jahren sogenannte Erfahrungsexpert/innen<br />

für die Mitarbeit in Behörden und<br />

sozialen Organisationen ausgebildet und in den Niederlanden<br />

ist seit langem für alle sozialen Institutionen<br />

– auch auf Gemeindeebene – ein Klient/innen-Beirat gesetzlich<br />

vorgesehen.<br />

Auch in Österreich werden Anliegen und Lösungsvorschläge<br />

über Selbsthilfeorganisationen von Menschen<br />

mit Armutserfahrungen durch öffentliche Straßenaktionen,<br />

nationale Treffen und rund um Forum-Theaterprojekte,<br />

die sich u.a. im Projekt „Sichtbar werden“ der<br />

Armutskonferenz vernetzen, zunehmend in die Öffentlichkeit<br />

gebracht. 3<br />

18 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2013 · NR. 248<br />

Gehört werden und mitentscheiden<br />

Information, Konsultation, Partizipation und schließlich<br />

Mit-Entscheidung gelten als zentrale Elemente<br />

ernsthafter Beteiligungsprojekte und -strukturen. Damit<br />

kommen auch die eigenen Strukturen und Arbeitsweisen<br />

sozialer Organisationen und Armutsnetzwerke auf den<br />

Prüfstand.<br />

Als vorbildlich kann hier die Organisationsentwicklung<br />

des jungen ungarischen Armutsnetzwerks (hapn)<br />

beschrieben werden. Das hapn wurde 2004 als zivilgesellschaftliches<br />

Bündnis sozialer Organisation, die sich<br />

gegen Armut und soziale Ausgrenzung engagieren, von<br />

Sozialarbeiter/innen gegründet. Von Anfang an stand die<br />

Partizipation von Betroffenen als wichtiges Prinzip und<br />

Ziel fest, Details der Umsetzung jedoch waren zunächst<br />

unklar, zumal in Ungarn kaum einschlägige Selbstorganisationen<br />

oder Selbsthilfegruppen bestehen.<br />

Im Zuge nationaler Vorbereitungstreffen für die ungarischen<br />

Delegierten an den Europäischen Treffen von<br />

Menschen mit Armutserfahrungen bildete sich eine<br />

Gruppe von Menschen, die von Armut betroffen sind,<br />

die sich aktiv an der Netzwerkarbeit beteiligten. 2006<br />

wurde dann beschlossen, jene strukturellen Rahmenbedingungen<br />

zu schaffen, die es für eine nachhaltige Beteiligung<br />

von Betroffenen an der Netzwerkarbeit braucht.<br />

Damit begann die Transformation des ungarischen Koordinationsteams,<br />

das bis dahin aus Funktionär/innen<br />

bzw. Mitarbeiter/innen sozialer Organisationen und der<br />

Wohlfahrtsverbände bestanden hatte. Die Anzahl der<br />

Teammitglieder wurde verdoppelt und zur Hälfte mit<br />

Menschen mit Armutserfahrungen besetzt. Auch die regionale<br />

Arbeit des ungarischen Netzwerks wird seither<br />

von einem Tandem aus je einer von Armut betroffenen<br />

Person und einem/r professionell in der Sozialarbeit tätigen<br />

Mitarbeiter/in einer Mitgliedsorganisation besetzt.<br />

Das Funktionieren des Modells wird unter anderem<br />

durch die bestehende Kontinuität im <strong>Engagement</strong> der<br />

beteiligten Menschen mit Armutserfahrungen belegt. Im<br />

Koordinationsteam mitzuarbeiten, bedeute für sie eine<br />

Entwicklungschance, erzählt Zoltanne Szvoboda. „Es ist<br />

eine Möglichkeit, Träume wahr werden zu lassen“ und<br />

„zu Diamanten zu werden, indem wir uns gegenseitig polieren.“<br />

Die Zusammenarbeit im Tandem mit einer „Professionalistin“<br />

beschreibt sie mit dem Bild einer Waage,<br />

die es beständig in Balance zu halten gelte.<br />

Inzwischen haben einige der Mitarbeiter/innen im<br />

Koordinationsteam bereits eigene Organisationen gegründet<br />

und geben damit den neu erworbenen Vorsprung<br />

an Informationen, Beziehungen und Wissen an andere<br />

weiter. Auch für das Netzwerk selbst ist es zu Wissenszuwachs<br />

und zur Erweiterung des bisherigen Horizonts gekommen<br />

und die Organisation hat an Glaubwürdigkeit<br />

und Stärke gewonnen.<br />

„Es war ein Sprung ins kalte Wasser“, berichtet das<br />

ungarische Koordinationspaar Izabelle Marton und<br />

Zoltanne Szvoboda, aber dies „hat viel zu unserem ganz<br />

speziellen Image beigetragen und zu einer bewussten<br />

und zielgerichteten Förderung der aktiven Teilhabe von<br />

Menschen mit Armutserfahrungen in unserer internen<br />

und externen Arbeit.“<br />

3 Einige der genannten<br />

sowie weitere Projekt<br />

werden in mittlerweile<br />

zwei eapn-Publikationen<br />

im Detail vorgestellt:<br />

eapn (Hrsg.) (2008):<br />

Small steps – big changes.<br />

Building participation<br />

of people experiencing<br />

poverty. Brüssel; eapn<br />

(Hrsg.) (2011): Breaking<br />

barriers – driving<br />

change. Case studies of<br />

building participation<br />

of people experiencing<br />

poverty. Brüssel. Beide<br />

Veröffentlichungen<br />

stehen auf der Website<br />

http://www.eapn.eu zum<br />

Download zur Verfügung.<br />

Vgl. eapn (2008): S. 10.

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