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Fokus<br />
Automobilindustrie<br />
Schlüsselindustrie<br />
für Ungarn<br />
Vor den Toren der Stadt Kecskemét wurde vor kurzem mit den Erdarbeiten<br />
begonnen, wo in zwei Jahren und für 800 Millionen Euro der Produktionsstandort<br />
von Mercedes-Benz entstehen soll (ausführlicher Bericht<br />
auf Seite 15). Ist ab 2012 die Produktion der vier Nachfolgemodelle der<br />
heutigen A- und B-Kompaktklasse auf eine geplante Stückzahl von hunderttausend<br />
Wagen im Jahr hochgefahren, wird der Stuttgarter Premiumhersteller<br />
den durch die bisherigen Großinvestoren, vor allem durch Audi, Suzuki,<br />
GM-Opel und Ford, geprägten ungarischen Automobilbau weiter stärken.<br />
Bis zur Jahrtausendwende stammte<br />
ein Drittel aller Investitionen „auf<br />
der grünen Wiese“ in Ungarn von<br />
diesen vier Unternehmen. Dieser Technologietransfer,<br />
der in der Hoffnung auf neue<br />
Aufnahmemärkte erfolgte, diente auch<br />
dem ungarischen Automobilbau. Allgemein<br />
formuliert trugen diese und in andere<br />
(Spitzentechnologie-)Branchen getätigten<br />
Investitionen zum Stand der Technik,<br />
zur Managementkultur und generell<br />
zu den Modernisierungsbestrebungen der<br />
ungarischen Wirtschaftspolitik bei – wie<br />
der Wirtschaftsforscher Miklós Losoncz<br />
in seiner aktuellen Studie feststellt (Losoncz<br />
Miklós: A válság és a külföldi működő<br />
tőke Magyarországon). Bis zum Jahresende<br />
2008 erreichte das Gesamtvolumen des<br />
in Ungarn investierten Auslandskapitals<br />
63 Milliarden Euro, auf die Einwohnerzahl<br />
bezogen ist das die höchste Pro-Kopf-<br />
Quote unter den neuen Mitgliedsstaaten<br />
der Europäischen Union. Mit der Wende<br />
brach der alte, überwiegend auf Busse<br />
und Lastkraftwagen konzentrierte Nutzfahrzeugbau<br />
zusammen und wurde primär<br />
durch die mit dem westlichen PKW-<br />
Bau verzahnte Montage und Zulieferung<br />
ersetzt. Heute stellt der Automobilbau<br />
16 Prozent der ungarischen Industrieproduktion<br />
und beschäftigt einschließlich der<br />
Zulieferer 60.000 Arbeitnehmer, wobei 95<br />
Prozent der Produktion dieses Wirtschaftszweiges<br />
exportiert wird, was einem Viertel<br />
aller ungarischen Ausfuhren entspricht.<br />
Die weltweite Rezession im Automobilbau<br />
hat auch die Branche in Ungarn sehr<br />
empfindlich getroffen. Besonders dramatisch<br />
scheint der Rückgang im Automobilhandel<br />
im Inland zu sein: Die Verkaufsstatistiken<br />
belegen, dass in der ersten Hälfte<br />
des laufenden Jahres der Absatz von Neuwagen<br />
in Ungarn auf die Hälfte einbrach.<br />
Nach den Berechnungen des Verbandes<br />
der Ungarischen Fahrzeugimporteure werden<br />
nach 160.000 Fahrzeugen im Jahr<br />
2008 und 177.000 Fahrzeugen im Jahr<br />
2007 in diesem Jahr bestenfalls ca. 80.000<br />
Neuwagen an Kunden ausgeliefert werden.<br />
Die Lage ist jedoch nicht so einfach – stellt<br />
die Publikation „Cégautó“ der ungarischen<br />
Wirtschaftswochenzeitung HVG unter<br />
Berufung auf Analysten fest. „Der Rückgang<br />
ist eher eine nationale als eine internationale<br />
Entwicklung“ – wird das BeratungsunternehmenPricewaterhouseCoopers<br />
von der Zeitschrift zitiert und Gábor<br />
Gablini, Präs<strong>ide</strong>nt des ungarischen Landesverbandes<br />
der Kraftfahrzeug-Markenhändler,<br />
drückt es so aus: „Der ungarische<br />
Automarkt hat seine Reserven bereits vor<br />
der Krise aufgezehrt… und die Fahrzeugfinanzierung<br />
funktionierte seit vier Jahren<br />
so wie die zusammengebrochene Hypothekenfinanzierung<br />
in den USA“.<br />
Insgesamt betrachtet hatte der Maschinenbau<br />
in Ungarn in den ersten vier<br />
Monaten des Jahres – je nach Wirtschaftszweig<br />
– Einbußen von 30 bis 50 Prozent<br />
hinzunehmen, die Ausfuhr von Fahrzeugen<br />
ist um 27 Prozent auf 367 Milliarden<br />
Forint gegenüber dem Vergleichszeitraum<br />
des Vorjahres gesunken – werden die Zahlen<br />
des Statistischen Zentralamtes KSH<br />
von der Wochenschrift Figyelő zitiert. Die<br />
Regierung bietet – wie vielerorts in der<br />
Welt – einen Rettungsanker: Das Hauptziel<br />
des auf mehrere Jahre angelegten Rettungsplans<br />
besteht darin, dem Verlust von<br />
Arbeitsplätzen Einhalt zu gebieten, die einheimischen<br />
Zulieferer zu stärken, Investitionsvorhaben<br />
einschließlich der Berufsausbildung<br />
zu fördern. Obwohl die ungarische<br />
Regierung eine „Abwrackprämie“<br />
nach deutschem oder slowakischen Modell<br />
– mit der Begründung, dass dadurch nicht<br />
die einheimischen Fahrzeughersteller<br />
unterstützt würden – verwarf, erklärte Sándor<br />
Mester, Fachstaatssekretär des Wirtschaftsressorts,<br />
der Tageszeitung Népszava<br />
gegenüber, dass „… von den 16 Milliarden<br />
Forint, die zur Linderung der Krise vorgesehen<br />
sind, auch etwas der Automobilindustrie<br />
zukommen wird“. Zu den Instrumenten<br />
für Investitionsanreize gehört auch<br />
die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren<br />
sowie der Ausschreibungen für Forschung<br />
und Entwicklung.<br />
Die weltweite Rezession traf die Automobilindustrie<br />
in Ungarn auch deshalb<br />
zu einem ungünstigen Zeitpunkt, weil<br />
die Produktion von Jahr zu Jahr dynamisch<br />
anstieg. Die 1991 gegründete Magyar<br />
Suzuki Corp. steigerte ihre Produktion<br />
in 15 Jahren auf das Fünfzehnfache<br />
und schloss das Jahr 2008 mit dem besten<br />
Ergebnis seit seiner Gründung ab. Dabei<br />
rollten etwa 280.000 Fahrzeuge von den<br />
Bändern, was einem Anstieg von 21 Prozent<br />
gegenüber dem Vorjahr entspricht.<br />
Der japanische Automobilhersteller stockte<br />
zur Stärkung seiner Absatzzahlen in Europa<br />
und zur Etablierung einer den europäischen<br />
Anforderungen besser angepassten<br />
Modellpalette – im Rahmen des Programms<br />
Europäische Renaissance für Suzuki<br />
– die Produktionskapazitäten im Werk<br />
Esztergom auf 300.000 Fahrzeuge im Jahr<br />
auf und brachte der Reihe nach den neuen<br />
Swift, den SX4 sowie den Splash als<br />
Modelle heraus, sodass seine Investitionen<br />
in Ungarn bei insgesamt über 300 Milliarden<br />
Forint liegen. Eine besonders wichtige<br />
Komponente der Investitionsstrategie des<br />
Unternehmens ist, dass die Produkte im<br />
Interesse der Zollfreiheit in den EU-Ländern<br />
als „europäische Produkte“ eingestuft<br />
werden, sodass der Anteil der ungarischen<br />
und europäischen Zulieferungen 1994 60<br />
Prozent erreicht hat.<br />
Der andere Schlüsselakteur im Automobilbau<br />
GM-Opel – der 1991 in<br />
Szentgotthárd mit der Montage der ersten<br />
Generation des Opel Astra und dem<br />
Motorenbau in Ungarn startete – baute in<br />
den vergangenen anderthalb Jahrzehnten<br />
durch eine Investition von rund 700 Mil-<br />
lionen Euro knapp 6 Millionen Motoren.<br />
Im Produktionsstandort, der inzwischen<br />
in General Motors Powertrain umbenannt<br />
wurde, wurde die PKW-Fertigung bereits<br />
1998 eingestellt (das Produktionszentrum<br />
für Mitteleuropa wurde im polnischen<br />
Gliwice aufgebaut), andererseits wurde die<br />
Fertigung von Motoren und Zylinderköpfen<br />
weiter aufgestockt und durch Automatikgetriebe<br />
ergänzt. Im Rekordjahr 1999<br />
wurden 511.000 Vierzylindermotoren mit<br />
1,6 und 1,8 Liter Hubraum für die Modelle<br />
von Opel, Saab und Vauxhall sowie<br />
20.000 Allison-Nutzfahrzeuggetriebe produziert.<br />
Die heutigen Kapazitäten lassen<br />
ohne weitere Investitionen eine Jahresproduktion<br />
von bis zu 630.000 Stück pro<br />
Jahr zu, wobei das deshalb von Bedeutung<br />
ist, weil es parallel mit dem Eigentümerwechsel<br />
bei Opel auch Gerüchte gibt, dass<br />
der neue Eigentümer, die österreichischkanadische<br />
Magna, auch eine Erweiterung<br />
des Standortes Szentgotthárd erwäge.<br />
Audi Hungaria hat das vergangene Jahr<br />
– nunmehr zum 13. Mal in Folge – ebenfalls<br />
mit einem Rekordergebnis abgeschlossen:<br />
2008 haben 1,9 Millionen Motoren<br />
und mehr als 60.000 Fahrzeuge der Modelle<br />
Die Regierung betrachtet die Automobilindustrie<br />
einschließlich der auslandischen<br />
Direktinvestitionen nach wie<br />
vor als Schwerpunktaufgabe<br />
Audi TT sowie A3 Cabriolet das Werk verlassen.<br />
Mit dieser Leistung verwies der Audi-<br />
Standort Győr das Kamingo-Motorenwerk<br />
von Toyota auf die Plätze und wurde<br />
zum weltgrößten Motorenwerk. Mit einer<br />
Gesamtinvestition von bisher 3,6 Milliarden<br />
Euro wurde allein im vergangenen Jahr<br />
die Serienfertigung von 13 neuen Motorentypen<br />
aufgenommen, darunter ein 12-Zylinder-Dieselaggregat<br />
mit 500 PS, und kürzlich<br />
wurde auch ein sparsamer Dieselmotor<br />
mit 1,6 Liter Hubraum eingeführt. Im<br />
Laufe der Jahre wurde am Standort bereits<br />
ein eigenes Werkzeugbau- beziehungsweise<br />
Motorenentwicklungszentrum geschaffen.<br />
Letzteres hat die Aufgabe, die erforderlichen<br />
Anpassungen für die Serienfertigung<br />
der in <strong>Deutsch</strong>land entwickelten Basismotoren<br />
auszuarbeiten beziehungsweise bereits<br />
produzierte Baureihen zu modernisieren. Im<br />
Entwicklungszentrum arbeiten 70 Ingenieure,<br />
doch durch die Einbindung der Lehrkräfte<br />
und der Studenten der Győrer István-<br />
Széchenyi-Universität und der TU Budapest<br />
nimmt der Hersteller auch externe Forschungsressourcen<br />
in Anspruch.<br />
Die Hauptfrage ist natürlich, wie es mit<br />
der Automobilindustrie in Ungarn weitergeht,<br />
wenn die schlechten Zeiten vorbei<br />
sind? Soviel ist sicher, dass die Regierung<br />
diesen Wirtschaftszweig einschließlich<br />
der ausländischen Direktinvestitionen<br />
nach wie vor als Schwerpunktaufgabe<br />
betrachtet. Das wird dadurch deutlich,<br />
dass der Staat die Errichtung des<br />
Mercedes-Werks in Kecskemét selbst<br />
unter den derzeitigen eingeschränkten<br />
wirtschaftlichen Verhältnissen großzügig<br />
mit 111,5 Millionen Euro unterstützt.<br />
Darüber hinaus umfassen die staatlichen<br />
Subventionen – sowohl als Geldzuschuss<br />
als auch in Form von Körperschaftsteuer-Vergünstigungen<br />
– knapp 30 Milliarden<br />
Forint und Mercedes-Benz Hungary<br />
kann sogar mit weiteren 214 Millionen<br />
Forint rechnen, die es für den<br />
Bau einer Anbindung an das staatliche<br />
Eisenbahnnetz erhält. All dies wird auch<br />
deshalb gewährt, weil man sich in Folge<br />
der Ansiedlung von Mercedes zusätzliche<br />
Investitionen von etwa 2 Milliarden<br />
Euro im Zeitraum von 3 bis 4 Jahren<br />
und 10.000 bis 12.000 neue Arbeitsplätze<br />
erhofft, weiterhin wird erwartet,<br />
dass kleine und mittelständische ungarische<br />
Unternehmen zu Zulieferern bei<br />
Mercedes werden können.<br />
György Heimer<br />
6 2009 | 4 Wirtschaft in Ungarn Wirtschaft in Ungarn 2009 | 4 7<br />
Fokus