Scientia Halensis 2 (2007) - Martin-Luther-Universität Halle ...

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26 F ORSCHUNG SCIENTIA HALENSIS 2/07 Unangefochten Spitze Von den erfolgreichsten Wesen der Welt G ERALD MORITZ Auf der Dreiländertagung der Deutschen Gesellschaft für allgemeine und angewandte Entomologie (DGaaE), der Schweizerischen Entomologischen (SEG) und der Österreichischen Entomologischen Gesellschaft Ende Februar dieses Jahres in Innsbruck wurde der Verfasser des Beitrags dank des Vertrauens der fast eintausend Mitglieder zählenden Gesellschaft erneut (erstmals bei der Entomologen-Tagung in Halle vor vier Jahren, siehe Universitätszeitung April 2003, Seite 3) zum Präsidenten gewählt. Über 350 Teilnehmer waren zu dieser Tagung nach Halle gekommen. Bereits in der Eröffnungsrede des alten und neuen Präsidenten wurden die herausragende Bedeutung der Insekten im Kreislauf der Natur und ihr Einfluss auf den Menschen und seine Kultur herausgestellt. Die Insekten sind die erfolgreichsten Kreaturen auf der Erde und machen mehr als die Hälfte aller Arten aus. Sie sind hochgradig adaptiv und erobern so gut wie alle Lebensräume. Insekten sind nützlich, sie kontrollieren die Vegetation der Erde und stabilisieren ein Millionen Jahre altes Gleichgewicht und dienen so dem Stoffkreislauf der Erde. Als wichtigste Bestäuber sorgen sie darüber hinaus für den Fortbestand und die Vermehrung zahlreicher höherer Pfl anzen. Diese Eigenschaft kann gar nicht hoch genug geschätzt werden – sichern die Insekten doch indirekt damit den Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre und ein Drittel der Weltnahrung. Außerdem stellen Insekten eine wertvolle Quelle für neue medizinische Wirkstoffe dar und produzieren eine Reihe sehr interessanter chemischer Substanzen, die als Antibiotika, Fungizide oder Cytostatika (oftmals chemotherapeutisch eingesetzte Substanzen gegen Krebs, da sie Zellwachstum und vor allem Zellteilung hemmen) wirken oder der Bioluminiszenz (die Fähigkeit, mit Hilfe von Symbionten Licht zu erzeugen) dienen können. »Nebenbei« helfen ihre Gene, die menschliche Genese zu entschlüsseln und zu verstehen. Insekten sind aber auch Glieder in der Nahrungskette zahlreicher Organismen und folglich für deren Fortbestand unverzichtbar. Globale Klimaveränderungen führen zu Ver- Kopf einer Drohne der Honigbiene (Fotos [3]: Gerald Moritz) Forschungsprojekte der halleschen Entomologen ... ... beschäftigen sich mit der Honigbiene (Prof. Dr. Robin Moritz – siehe scientia halensis 1/06, Seite 28/29: »Anarchie im Bienenstaat. ›Capensis Kalamität‹ beeinträchtigt Imkerei im Norden Südafrikas«), mit Wanderheuschrecken (Prof. Dr. Hans- Jörg Ferenz – siehe scientia halensis 1/06, Seite 13/14: »Vater werden ist recht schwer ... Zur Paarungsstrategie von Wanderheuschrecken«) und mit Fransenflüglern (Prof. Dr. Gerald Moritz – siehe scientia halensis 1/06, Seite 17/18: »Thripse – Globetrotter im Auftrag des Bösen. Weltweiter Pflanzentransfer begünstigt der Verbreitung von Viren«). änderungen der Flora und damit zu massiven Veränderungen der Fauna. Gerade nach einem sehr warmen Sommer – wie er uns wieder bevorzustehen scheint – und einem so milden Winter, wie es der vergangene war, ist das Verhalten und vermutlich massenhafte Auftreten von Mücken, Wespen oder Fliegenpopulationen von größtem Interesse: Lokale, bislang unbedeutende Arten erlangen einen hohen phyto-, zoo- oder humanpathologischen Status oder das Auftreten neuer, invasiver Arten führt zu nicht kalkulierbaren Konsequenzen. Die unmittelbaren Folgen sind häu- Kopf einer Wanderheuschrecke (Foto: Hans-Jörg Ferenz) Fransenflügler infizieren zahlreiche Pflanzen mit Viren, die oftmals eine Vermarktung des Finalprodukts verhindern. Ein kalifornischer Farmer zeigt dies eindrucksvoll an Paprikaschoten, die mit Tospoviren infiziert sind. fi g sehr ernstzunehmende Erkrankungen von Pfl anzen, Tieren und Menschen. Mit modern hergestellten Insektiziden versucht man diese Bedrohungen zu dämmen, wobei aufgrund der enormen Anpassungsfähigkeit und des Reproduktionserfolges der Insekten ein nicht endender Wettlauf begonnen hat, in dem uns die Insekten immer einen Schritt voraus sind. Milliarden von Insekten – kleiner als ein Pantoffeltierchen oder fast so groß wie ein Handball – verkörpern über Millionen von Jahren optimale Lösungen für das Problem Leben. Mit welcher Euphorie hofft man schon heute darauf, eines Tages einige Arten Lösungen im Kampf gegen Allergien, Krebs oder Viren präsentieren zu können! Fünf Fachkollegien der DFG, in denen die DGaaE seit 2007 das Vorschlagsrecht ausüben kann: 201-03 Spezielle Zoologie, Morphologie 203-02 Evolution, Biodiversität, Anthropologie 203-05 Ökologie der Tiere und Ökosystemforschung 207-04 Ökologie von Agrarlandschaften 207-06 Phytomedizin Die Biowissenschaften lassen in diesem Jahrhundert aus ihrem strukturell-funktionellen Kontext und dem Wissen aus Genetik und Molekularbiologie revolutionäre Entwicklungen erwarten. Die Menschen werden begreifen müssen, dass das Spektrum des wissenschaftlichen Fortschritts sich wandelt und dass die Entomologie in diesem Wandel einen festen Platz einnimmt. Das zeigt sich klar auch darin, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft ab 2007 der DGaaE das Vorschlagsrecht für DFG-Gutachter in nunmehr fünf Fachkollegien einräumt. ■ rechte Seite: Kopf und Thorax eines nur 2 mm großen Fransenflüglers (Echinothrips americanus)
SCIENTIA HALENSIS 2/07 F ORSCHUNG Prof. Dr. Gerald Moritz, Jahrgang 1954, studierte 1974–1978 Chemie und Biologie an der Hochschule Köthen. Dort lehrte und forschte er bis 1986 (Promotion [Zoologie] 1981) und wechselte dann an die Universität Potsdam, Bereich Zoologie (Habilitation 1991). 1994 wurde er zum Professor für Entwicklungsbiologie an das Institut für Biologie – Bereich Entwicklungsbiologie – der MLU berufen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Entomologie. Seit 2003 ist er Präsident der DGaaE. Telefon: 0345 55-26430, E-Mail: gerald.moritz@zoologie.uni-halle.de 27
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