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Scientia Halensis 2 (2007) - Martin-Luther-Universität Halle ...

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Caspar David Friedrich: »Lebensstufen«, um 1835 (Leipzig, Museum der bildenden Künste)<br />

wie die Geisteswissenschaftler verantwortlich.<br />

In gewisser Weise sind die Naturwissenschaftler<br />

nicht selten sogar geisteswissenschaftlicher<br />

als Geisteswissenschaftler naturwissenschaftlich.<br />

Der Spezialist tritt seine Herrschaft an.<br />

V ERBINDUNG WEIT ENTFERNT<br />

Weiter denn je ist die Gegenwart von einer<br />

Verbindung der Kulturen entfernt. Gebildete<br />

Gespräche oder Gespräche unter Gebildeten<br />

beziehen sich nur selten auf naturwissenschaftliche<br />

Themen; sich in Physik oder Mathematik<br />

nicht auszukennen, gilt nicht als peinlich, sondern<br />

eher als chic. Die Spezialisierung und zunehmende<br />

Indifferenz von Naturforschern gegenüber<br />

historischen und thematischen Aspekten<br />

ihrer Wissenschaft einerseits, die Betonung<br />

des spezifi sch Geistigen und das Desinteresse<br />

an der Natur und ihrer wissenschaftlichen<br />

Erforschung bei Geisteswissenschaftlern andererseits<br />

haben einem allgemeinen Bildungsbegriff<br />

entgegengestanden.<br />

Moderne Bücher zum Begriff und den Inhalt<br />

der Bildung manifestieren diese unbefriedigende<br />

Situation. Das Buch von DIETRICH<br />

SCHWANITZ Bildung: alles, was man wissen<br />

muß (1999) ist ein charakteristisches Beispiel<br />

geisteswissenschaftlich-literarischer Einseitigkeit.<br />

Ein konträrer Standpunkt wird von ERNST<br />

PETER FISCHER in seiner Monographie Die<br />

andere Bildung: Was man von den Naturwissenschaften<br />

wissen sollte (2001) vertreten.<br />

B ILDUNGSKRITIK IN DER GEGENWART<br />

Entscheidend für das Auseinanderfallen der<br />

verschiedenen Kulturen und vor allem von<br />

Naturwissenschaft und Bildung ist zudem<br />

die Wandlung der Bildung selbst. Bildung<br />

ist in sich fragwürdig geworden; FRIEDRICH<br />

NIETZSCHEs fundamentale Bildungskritik,<br />

demonstriert an den Erscheinungen des ›Bildungsphilisters‹,<br />

der ›journalistischen Bildung‹<br />

und ›mikrologischen Gelehrsamkeit‹, hat die<br />

Skepsis gegenüber der Bildung der Gegenwart<br />

vorweggenommen.<br />

N ATUR IM GEIST – GEIST IN DER NATUR<br />

Ohne Zweifel besitzt diese Entwicklung auch<br />

eine individualpsychologische, eine emotionale<br />

Grundlage; die wenigsten Menschen können<br />

sich für die Betrachtung und Erforschung der<br />

Natur ebenso begeistern – emotional und nicht<br />

nur intellektuell – wie für die Betrachtung<br />

und Erforschung der menschlichen Psyche,<br />

der sozialen Welt, der Werke der Kunst und<br />

Literatur. In dieser individuellen Disposition<br />

liegen tiefe Grenzen einer Verbindung der vier<br />

Kulturen.<br />

Bildung zielt schließlich nicht nur auf theoretisches<br />

Wissen und künstlerische Produktivität,<br />

sondern auch und vor allem auf das Verhalten<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Notwendig für eine Veränderung,<br />

für eine integrierte Bildung des<br />

Natur- und Geistwissens, des<br />

Ästhetischen und des Lebens ist<br />

die Erkenntnis des Geistes in der<br />

Natur und der Natur im Geist, der<br />

Wissenschaft in den Künsten wie<br />

der Künste in den Wissenschaften<br />

sowie ihrer Verbindung mit dem<br />

realen Leben, mit der Haltung und<br />

Lebensweise des Menschen.<br />

(Dietrich v. Engelhardt, <strong>2007</strong>)<br />

des Menschen – auf den überzeugenden Umgang<br />

mit Geburt und Tod, mit Gesundheit<br />

und Krankheit und nicht zuletzt auch mit der<br />

unbelebten und besonders belebten Natur. Die<br />

Umwelt des Menschen ist auch seine Mitwelt;<br />

Lebenskunst meint auch Sterbekunst, Kunst<br />

des Krankseins und Kunst des Beistands. ■<br />

7<br />

J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong>

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