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www . stadtgespraeche-rostock .de - Stadtgespräche Rostock

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ninistischen Geschichtstheorie geprägt. Diese wur<strong>de</strong> uns so<br />

nachhaltig vermittelt, dass sie bei mir nach wie vor sehr verankert<br />

ist. Bei manchen Themen, wie <strong>de</strong>r Französisch-Bürgerlichen<br />

Revolution, ist dieser Ansatz für mich durchaus sinnvoll.<br />

Bei an<strong>de</strong>ren Themen komme ich ins Schwanken, auch weil es<br />

heute hun<strong>de</strong>rt Möglichkeiten und Ansätze, aber kein vergleichbares<br />

festes Grun<strong>de</strong>rklärungsmuster mehr gibt.<br />

<strong>Stadtgespräche</strong>: Ihre Schil<strong>de</strong>rungen klingen so, als wären die<br />

Lehrer in <strong>de</strong>n so genannten I<strong>de</strong>ologiefächern nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong><br />

doch ziemlich allein gelassen wor<strong>de</strong>n. Gab es keine Anleitungen,<br />

Weiterbildungen etc. - an <strong>de</strong>n Schulen o<strong>de</strong>r schulübergreifend?<br />

Kathrin Wagner: Als ich 1990 in <strong>de</strong>n Schuldienst ging, wur<strong>de</strong>n<br />

wir von Weiterbildungen im methodisch-didaktischen Bereich<br />

überschwemmt. Das war auch eine Art Offenbarung für<br />

mich, da ich bis dahin ja nur Frontalunterricht kannte. Erst in<br />

dieser Zeit wur<strong>de</strong> mir klar, was Bildung eigentlich sein und erreichen<br />

kann. Aber während im didaktischen Bereich sehr viel<br />

angeboten wur<strong>de</strong>, hat offenbar niemand verstan<strong>de</strong>n, wie <strong>de</strong>sorientiert<br />

wir in <strong>de</strong>n Gesellschaftswissenschaften waren – da ist<br />

in keiner Weise etwas passiert.<br />

<strong>Stadtgespräche</strong>: Das war sicher für ältere Kollegen noch schwieriger<br />

- ?<br />

Kathrin Wagner: Einige wenige <strong>de</strong>r älteren Kollegen haben<br />

weitergemacht wie bisher. Das heißt nicht, dass sie das Thema<br />

DDR wie früher behan<strong>de</strong>lten, son<strong>de</strong>rn dass sie es so weit wie<br />

möglich aus <strong>de</strong>m Schulstoff verdrängen.<br />

<strong>Stadtgespräche</strong>: Das Geschichtsverständnis dieser Kollegen ist<br />

im Grun<strong>de</strong> gleich geblieben?<br />

Kathrin Wagner: Ja, manche haben das nach wie vor ganz<br />

stark. Den mühsamen Weg <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Stalinismus<br />

in <strong>de</strong>r Sowjetunion und <strong>de</strong>r DDR, mit <strong>de</strong>m Agieren<br />

<strong>de</strong>r Sowjetunion in Osteuropa sind nicht alle gegangen. Ich erlebe<br />

da noch oft viel Unwissen o<strong>de</strong>r Verklärung. Ich selbst hab<br />

mir sehr viel im Selbstlernprozess angeeignet, aber ich kam ja<br />

auch aus <strong>de</strong>m Studium und war gewohnt, mir vieles selbst zu<br />

erarbeiten. Ich <strong>de</strong>nke Kollegen, die schon voll im Unterrichtsalltag<br />

steckten, haben sich nicht so tiefgründig mit all <strong>de</strong>n neuen<br />

Erkenntnissen beschäftigt.<br />

<strong>Stadtgespräche</strong>: Wur<strong>de</strong>n damals viele Geschichts- und Staatsbürgerkun<strong>de</strong>lehrer<br />

entlassen und Stellen mit west<strong>de</strong>utschen Kollegen<br />

besetzt?<br />

Kathrin Wagner: Es gab Entlassungen mit <strong>de</strong>m Hintergrund<br />

„Staatssicherheit“ und es gab west<strong>de</strong>utsche Lehrer, die in <strong>de</strong>n<br />

Osten gekommen sind, mit so genanntem Dschungelzuschlag.<br />

Ehemalige Staatsbürgerkun<strong>de</strong>lehrer haben umgeschult auf an<strong>de</strong>re<br />

Fächer, wur<strong>de</strong>n aber nicht entlassen.<br />

<strong>Stadtgespräche</strong>: Wenn Sie die damalige Zeit aus <strong>de</strong>r Distanz<br />

von 20 Jahren betrachten - was hätte damals besser laufen kön-<br />

nen? Hätte es stärkere Anleitung für Lehrer in <strong>de</strong>n Geisteswissenschaften<br />

gebraucht?<br />

Kathrin Wagner: Ich <strong>de</strong>nke schon, dass wir nach wie vor ein<br />

Stück weit schwimmen. Ich zehre heute noch von meinem Literaturstudium<br />

- eine gute fachliche Ausbildung ist einfach die<br />

Grundlage. Und in bestimmten fachlichen Dingen <strong>de</strong>r neueren<br />

Geschichte bin ich überhaupt nicht umfassend ausgebil<strong>de</strong>t.<br />

Themen wie „Geschichte <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik“ musste ich mir<br />

alleine erarbeiten und ich kann da auch nicht fünf Bücher lesen,<br />

son<strong>de</strong>rn nehme mir eins. Auch zu Themen <strong>de</strong>r politischen<br />

Bildung, wie z.B. zum Verhältnis von Kapitalismus und Demokratie,<br />

hätte ich gern so eine Art Grundlagenstudium.<br />

<strong>Stadtgespräche</strong>: Wie wirkt sich Ihr beruflicher Wer<strong>de</strong>gang auf<br />

Ihr heutiges Lehrersein aus?<br />

Kathrin Wagner: Durch die prägen<strong>de</strong> Erfahrung <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong>zeit<br />

und die mühsame eigene Aufarbeitung <strong>de</strong>s Stalinismus hat<br />

sich ein ganz an<strong>de</strong>rer Zugang dazu entwickelt, was ich meinen<br />

Schülern als Geschichte <strong>de</strong>s 20./21. Jahrhun<strong>de</strong>rts vermitteln<br />

will. Ich merke immer wie<strong>de</strong>r meine starke Sensibilisierung für<br />

die Erfahrung, als Mensch in einer Diktatur zu leben. Deshalb<br />

lege ich bei <strong>de</strong>n Themen wie NS-Diktatur o<strong>de</strong>r stalinistische<br />

Strukturen in <strong>de</strong>r DDR sehr viel Wert darauf, auf <strong>de</strong>r Basis eigener<br />

Erfahrungen zu vermitteln, welche eingeschränkten Verhaltensalternativen<br />

die Persönlichkeit innerhalb einer Diktatur<br />

hat. Und genau <strong>de</strong>shalb möchte ich meinen Schülern auch eine<br />

gewisse Wertschätzung gegenüber <strong>de</strong>m heutigen <strong>de</strong>mokratischen<br />

System beibringen.<br />

<strong>Stadtgespräche</strong>: Es geht Ihnen also weniger um das Vermitteln<br />

historischer Fakten son<strong>de</strong>rn eher um Wertevermittlung?<br />

Kathrin Wagner: Ich <strong>de</strong>nke, dass Unterricht ganz viel mit Erziehung<br />

und Ausbildung grundlegen<strong>de</strong>r menschlicher Verhaltensweisen<br />

zu tun hat. Die Schüler sollen lernen, klar <strong>de</strong>nkend<br />

und selbst bestimmt zu entschei<strong>de</strong>n und nicht nur Rad im Getriebe<br />

eines Systems zu sein, sich nicht in irgen<strong>de</strong>iner Weise<br />

schuldig zu machen. Mir wird immer wie<strong>de</strong>r klar, wie schnell<br />

wir in <strong>de</strong>r DDR auch zu Tätern wer<strong>de</strong>n konnten. Ich habe mal<br />

an einer Weiterbildung teilgenommen, in <strong>de</strong>r wir uns selbst als<br />

DDR-Lehrer einmal kritisch betrachten sollten, uns selbst in<br />

das Verhaltensmuster Täter-Opfer-Mitläufer einsortieren sollten.<br />

Die meisten Kollegen haben sich selbst als Mitläufer betrachtet,<br />

während ich eher die Gefahr sehe, zum Täter gewor<strong>de</strong>n<br />

zu sein, z.B. durch die Manipulation o<strong>de</strong>r die Vereinnahmung<br />

von Schülern. Und ich wür<strong>de</strong> mir wünschen, dass meine<br />

Schüler aus meinen Erfahrungen lernen und sie selbst nicht<br />

machen müssen.<br />

Zumal ich mich mit meinen eigenen Diktaturerfahrungen ja<br />

immer wie<strong>de</strong>r auseinan<strong>de</strong>rsetzen muss, in literarischen Texten<br />

und in Geschichte natürlich sowieso. Dabei versuche ich immer<br />

auch, meine eigene Geschichte aufzuarbeiten. Dazu gehört<br />

auch die Erkenntnis, wie gut ich selbst in diesem System funktioniert<br />

habe – was mir ver<strong>de</strong>utlicht, wie perfekt Diktaturen

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