0.38 __ //// INTERVIEW Das hat man laufen lassen. Deutschland ist Mittäter: Unter Gerhard Schrö<strong>de</strong>r (SPD) wären wir selbst fällig gewesen, haben wir die Vorgaben nicht erfüllt. <strong>Stadtgespräche</strong>: Nun haben also viele gemogelt, immer mehr Geld muss in die Märkte gepumpt wer<strong>de</strong>n. Wie lange kann so etwas gut gehen – und wer wird das am En<strong>de</strong> bezahlen? Sven Giegold: Letzteres ist wohl die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Frage. Zurückgeschaut: Etwa 20 Jahre lang sind die Märkte <strong>de</strong>reguliert wor<strong>de</strong>n. Ein Teil <strong>de</strong>r Leute konnte sich die Taschen gut vollstopfen. Die Profiteure <strong>de</strong>r Deregulierung haben nun zwar auch Geld verloren, aber die können sich das locker leisten – die Masse <strong>de</strong>r Bevölkerung nicht. Wir for<strong>de</strong>rn hier Gerechtigkeit mit einer Art Lastenausgleich. Es kann nicht sein, dass <strong>de</strong>r Staat sich endlos verschul<strong>de</strong>t und dann einfach weiter wie bisher macht. <strong>Stadtgespräche</strong>: Weiter wie bisher wird es ja nicht geben. Mit Sicherheit wer<strong>de</strong>n wir doch enorme Steuererhöhungen bekommen. Sven Giegold: Sie haben völlig Recht. Erklären Sie das einmal CDU o<strong>de</strong>r FDP, da hat man die ökonomische Logik noch nicht verstan<strong>de</strong>n. Es gibt drei Möglichkeiten für die Zukunft: massives Sparen, heftige Steuererhöhung o<strong>de</strong>r noch höhere Verschuldung – letzteres ist nach <strong>de</strong>r Krise kaum noch möglich. <strong>Stadtgespräche</strong>: Wie soll <strong>de</strong>r Lastenausgleich funktionieren? Sven Giegold: Der Bund hat die Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen wie einer Notsituation, die Abführung eines bestimmen Anteils <strong>de</strong>s Vermögens zu for<strong>de</strong>rn. <strong>Stadtgespräche</strong>: Könnte das nicht wie<strong>de</strong>r Vermögen<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m Land treiben? Sven Giegold: Absolut. Das Problem ist jedoch nicht, dass Leute real wegziehen, son<strong>de</strong>rn dass sie ihr Geld außer Lan<strong>de</strong>s schaffen und <strong>de</strong>r Fiskus hat keine Zahlen. Hier wird sich etwas än<strong>de</strong>rn. Zwar sind die Steueroasen zum Informationsaustausch bereit, bisher jedoch nur in Einzelfällen. Wir for<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n automatischen Abgleich. Wenn man Gerechtigkeit will, muss man die Steueroasen schließen. Das wird übrigens mein Hauptarbeitsgebiet sein, wenn ich ins Europaparlament gewählt wer<strong>de</strong>. <strong>Stadtgespräche</strong>: Auch zum Thema Steuerflucht: Wie kann ein Bürger, beispielsweise ein ehemaliger Postchef, diverse Millionen ins Ausland schaffen, ohne dass es <strong>de</strong>r Fiskus merkt? Viele Bürger haben <strong>de</strong>n Eindruck: Kleinstunternehmer wer<strong>de</strong>n bei Steuerprüfungen tagelang drangsaliert, müssen je<strong>de</strong>n Bleistift nachweisen und begrün<strong>de</strong>n können. Bei <strong>de</strong>n Wohlhaben<strong>de</strong>n verschwin<strong>de</strong>n die Millionen und irgendwie riecht das ein wenig nach System. Was kann man da än<strong>de</strong>rn? Sven Giegold: Die Finanzämter in Deutschland sind personell schlecht aufgestellt. Steuerprüfungen sind manchmal Bestandteil <strong>de</strong>s inner<strong>de</strong>utschen Standortwettbewerbs. Die Län<strong>de</strong>r müssen die Kosten für die Einkommenssteuererhebung tragen, die Gel<strong>de</strong>r gehen aber erst einmal an <strong>de</strong>n Bund. Das führt dazu, dass die Län<strong>de</strong>r zu wenige gut qualifizierte Steuerbeamte einstellen. Obwohl diese sich rechnen: Je<strong>de</strong>r zusätzliche Steuerbeamte bringt eine knappe Million Euro! Deshalb brauchen wir eine Bun<strong>de</strong>ssteuerverwaltung. 65 Milliar<strong>de</strong>n Euro – drei Prozent <strong>de</strong>s Bruttoinlandprodukts (BIP) - gehen Deutschland allein durch buchhalterische Gewinnverlagerung ins Ausland jährlich verloren, schätzt das Bun<strong>de</strong>sfinanzministerium. Was <strong>de</strong>n Anschein <strong>de</strong>r Ungleichbehandlung zwischen <strong>de</strong>n Einkommensklassen angeht, dazu kann ich nichts sagen, außer: Leute mit gutem Einkommen sind grundsätzlich steuerlich ganz gut beraten. Dadurch mag es vielleicht eher gelingen, Steuerbeamte zu täuschen. <strong>Stadtgespräche</strong>: Wie wollen Sie in das Gesamtsystem Gerechtigkeit bekommen? Sven Giegold: Zuerst muss dafür gesorgt wer<strong>de</strong>n, dass alle die Steuern zahlen, die sie zu entrichten haben. Steueroasen und - schlupflöcher müssen geschlossen wer<strong>de</strong>n. Hierfür brauchen wir gemeinsame soziale und steuerliche Regeln (wie Min<strong>de</strong>ststeuersätze) für <strong>de</strong>n EU-Raum. Die Effizienz <strong>de</strong>r Steuererhebung ist zu verbessern. Umweltfeindliche Steuersubventionen, davon gibt es eine ganze Menge, müssen weg. Mehr Gerechtigkeit wollen wir auch mit etwas höherer Erbschaftssteuer und einer Form von Vermögensbesteuerung erreichen. Wir for<strong>de</strong>rn aber keine Spitzensteuersätze von 60 Prozent, wie die Linke. Es sind maßvolle Korrekturen vorzunehmen. Auch gleiche Bildungschancen gehören zur Gerechtigkeit. Deshalb muss Deutschland mehr Geld in diesem Bereich investieren. Hier geben wir ein Prozent <strong>de</strong>s BIPs weniger aus als die wichtigsten Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>. <strong>Stadtgespräche</strong>: Da gleiten Sie doch mit FDP-Chef Guido Westerwelle auf einer Woge. Er for<strong>de</strong>rt auch mehr Geld für die Bildung. Sven Giegold: Ja, das ist ja sehr schön. Noch besser wäre es, wenn die FDP dies dann auch in <strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn, in <strong>de</strong>nen sie mitregiert, durchsetzt. <strong>Stadtgespräche</strong>: Wie kommen wir <strong>de</strong>nn jetzt aus <strong>de</strong>r Krise raus? Sven Giegold: Unser Weg: <strong>de</strong>r „Green New Deal“. Investitionsprogramme müssen so eingesetzt wer<strong>de</strong>n, dass gleichzeitig die großen ökologischen Fragen gelöst wer<strong>de</strong>n. Das heißt: Das Geld muss in erneuerbaren Energien, Energieeffizienz, beson<strong>de</strong>rs auch im für Deutschland wichtigen Automobilbau, und in die Bildung gesteckt wer<strong>de</strong>n. Das ist dann tatsächlich nachhaltig. Damit kann wie<strong>de</strong>r wirtschaftliche Dynamik für die Zukunft erreicht wer<strong>de</strong>n. Nicht das Gießkannenprinzip bei <strong>de</strong>r Mittelverteilung, wie es die Große Koalition gera<strong>de</strong> betreibt, ist die Krisenlösung. ¬
FOTO: TOM MAERCKER