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Die Rezeption der „Winterreise“ von Franz Schubert in der Moderne ...

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

wahrzunehmen im Stande sei und die Außenwelt schließlich mit ich-eigenen Projektionen<br />

überziehe. 23 <strong>Die</strong>ser Gedankengang ist bis auf das Wort „paradox“ folgerichtig und<br />

nachvollziehbar. Warum sollte e<strong>in</strong>e solche Konstellation paradox se<strong>in</strong>? Wendet man sich<br />

wie<strong>der</strong> Hegels Theorien zu und überlegt, wie sich hier Selbstbewusstse<strong>in</strong> konstituiert, so klärt<br />

sich das zunächst paradox Ersche<strong>in</strong>ende auf. Das Subjekt kann nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weise zu sich<br />

f<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es fähig ist, sich e<strong>in</strong> negatives Gegenüber zu setzen und sich <strong>von</strong> diesem zu<br />

differenzieren. Aus <strong>der</strong> Erfahrung <strong>der</strong> Negativität konstituiert sich die eigene Identität. Wird<br />

die Außenwelt aus dem Erfahrungsraum ausgeschlossen, gel<strong>in</strong>gt ke<strong>in</strong> Gang durch die<br />

Negativität mehr, wird ke<strong>in</strong> selbstbewusstes Ich mehr durch Differenzerfahrung erschlossen.<br />

E<strong>in</strong> solipsistisches, vere<strong>in</strong>zeltes Individuum bleibt zurück, das sich selbst fremd ist und dies <strong>in</strong><br />

umso gesteigertem Maße wird, desto weniger e<strong>in</strong>e reale negative Gegenübersetzung ihm die<br />

Überw<strong>in</strong>dung dieser Differenz ermöglicht. So überzieht <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er schließlich die<br />

Außenwelt mit eigenen Projektionen, schafft sich e<strong>in</strong>e Welt des immerwährenden W<strong>in</strong>ters, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> sich se<strong>in</strong> eigenes Fühlen und Denken bildlich darstellt. Doch gerade diese Konstellation<br />

beschreibt die solipsistische Vere<strong>in</strong>samung beson<strong>der</strong>s e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich. Für Georg Lukács ist die<br />

„selbst geschaffene Umwelt für den Menschen ke<strong>in</strong> Vaterhaus mehr, son<strong>der</strong>n Kerker.“ 24<br />

E<strong>in</strong>geschlossen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Welt <strong>der</strong> Fremdprojektionen kommt es zu <strong>der</strong> „Entfremdung des<br />

Menschen <strong>von</strong> se<strong>in</strong>en Gebilden“ 25 und somit auch <strong>von</strong> sich selbst.<br />

C S<strong>in</strong>n- und Zielkonfiguration<br />

Nun ist zu überlegen, welchen S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>e Reise o<strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung durch e<strong>in</strong>e solche Landschaft<br />

haben kann, o<strong>der</strong> viel pauschaler gefragt, welchen S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>e Wan<strong>der</strong>ung überhaupt hat. Im<br />

Folgenden sollen drei divergente S<strong>in</strong>nkonnotationen diskutiert werden und aufgrund dessen<br />

die Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Bedeutungsstruktur <strong>der</strong> Reisemetapher <strong>in</strong> <strong>der</strong> W<strong>in</strong>terreise Müllers<br />

erschlossen werden.<br />

Teleologie<br />

Geht man <strong>von</strong> Reisen, auch literarischen, <strong>der</strong> Goethezeit aus, so dienen diese immer e<strong>in</strong>em<br />

höheren Ziel wie dem <strong>der</strong> Bildung. <strong>Die</strong>sen Reisen ist e<strong>in</strong>e Teleologie eigen, die das Wan<strong>der</strong>n<br />

konstituiert und ihm S<strong>in</strong>n gibt. In <strong>der</strong> Romantik wird „das Wan<strong>der</strong>n zum lyrischen<br />

23 Vgl.: Zenk, Mart<strong>in</strong>: <strong>Die</strong> romantische Erfahrung <strong>der</strong> Fremde <strong>in</strong> <strong>Schubert</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong>, S. 144.<br />

24 Lukásc, Georg: Theorie des Romans, S. 55.<br />

25 Lukásc, Georg: Theorie des Romans, S. 55.<br />

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