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Die Rezeption der „Winterreise“ von Franz Schubert in der Moderne ...

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Der stürmische Morgen<br />

„Der stürmische Morgen“, <strong>der</strong> signifikanter Weise nur den Wan<strong>der</strong>er, nicht aber die<br />

Menschen, die dort <strong>in</strong> ihren „Betten schnarchen“, tangiert, sche<strong>in</strong>t durch die erweitertete<br />

W<strong>in</strong>dmetapher <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Lied 2, tonal h<strong>in</strong>gegen auch mit Nr.1 zu korrespondieren,<br />

da beide <strong>in</strong> d-moll stehen. <strong>Die</strong>s ist <strong>von</strong> Müllers Textvorlage her leicht ersichtlich. Der <strong>in</strong><br />

„Gute Nacht“ aus dem Dorf „vertriebene“, mit dem <strong>der</strong> W<strong>in</strong>d gleich e<strong>in</strong>er „Wetterfahne“<br />

spielt, während die Menschen im Dorf unberührt, vom Sturm nicht ergriffen, schlafen,<br />

ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> allen drei Lie<strong>der</strong>n als auf sich alle<strong>in</strong>e gestellt. Er nimmt Abstand <strong>von</strong> den<br />

schlafenden Zeitgenossen, wählt das Exil freiwillig, da er nicht mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong><br />

übrigen Gesellschaftsmitglie<strong>der</strong> konform geht. Damit gibt er auch die Geborgenheit <strong>der</strong><br />

menschlichen Geme<strong>in</strong>schaft auf, setzt sich dem W<strong>in</strong>d aus, doch sagt er selbst, dass ihm die<br />

Welt <strong>der</strong> Stürme lieber ist, wahrer ersche<strong>in</strong>t („Als noch die Stürme tobten, war ich so elend<br />

nicht.“) als jene Ruhe, die durch Handlungsunfähigkeit und Resignation erkauft se<strong>in</strong> mag. <strong>Die</strong><br />

Konsequenz ist <strong>der</strong> Versuch, <strong>der</strong> Welt mutig entgegenzutreten. Dem Hörer schlägt daher e<strong>in</strong><br />

akustisches Kont<strong>in</strong>uum des Dauerregens entgegen. <strong>Die</strong> prasselnden Trommelwirbel, <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> Regenbleche, die rauschenden Streicherklänge - sie alle bieten die Grundlage für<br />

e<strong>in</strong>e vom Sturm „zerrissene“ Umdeutung des <strong>Schubert</strong>schen Orig<strong>in</strong>als. Gleich zu Beg<strong>in</strong>n<br />

dehnt Zen<strong>der</strong> das Vorspiel durch das Zerreißen <strong>der</strong> Melodiel<strong>in</strong>ie. Selbst <strong>der</strong> W<strong>in</strong>d kann nicht<br />

ungestört wehen. Dem entsprechen die E<strong>in</strong>fügungen <strong>von</strong> Pausen <strong>in</strong> die S<strong>in</strong>gstimme, die Worte<br />

zerteilen, Sprachfetzen durch den Raum wehen lassen und durch ihr Auftreten die<br />

rhythmischen Fügungen außer Kraft setzten und auf diese Weise immer wie<strong>der</strong> nach dem<br />

E<strong>in</strong>schub <strong>von</strong> zusätzlichen Takten verlangen. <strong>Die</strong> Sprach- und Kommunikationsfähigkeit<br />

leidet unter dem aufbrausenden W<strong>in</strong>d, <strong>der</strong> das S<strong>in</strong>nverständnis zu kolportieren sucht. Dem<br />

Hörer weht er <strong>in</strong> den Takten 14f. <strong>in</strong> 32stel-Sechstolen <strong>in</strong> den Holzbläsern, gespielt mit<br />

Flatterzunge, entgegen, was e<strong>in</strong>e Verstärkung <strong>von</strong> <strong>der</strong> durch <strong>Schubert</strong> angelegten<br />

Triolenbewegung darstellt. <strong>Die</strong> Glissandi <strong>der</strong> Streicher und die Wirbel <strong>der</strong> Pauken verstärken<br />

diesen Ausdruck. Der Sturm steigert sich <strong>in</strong> den folgenden Takten, wird durch dynamische<br />

Bewegungen <strong>von</strong> forte bis piano unterstützt und führt zur permanenten Unterbrechung des<br />

Sprach- und Melodieflusses. So sehr <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er auf den Sturm gehofft und die Ruhe <strong>der</strong><br />

schnarchenden Menschen verachtet hat, so wird doch hier auch gerade durch Zen<strong>der</strong>s<br />

Interpretation deutlich, dass er dem Sturm alle<strong>in</strong>e nicht standhalten kann, dass se<strong>in</strong>e Worte<br />

verweht werden, er sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt nicht mehr zu artikulieren vermag.<br />

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