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Die Rezeption der „Winterreise“ von Franz Schubert in der Moderne ...

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

entgegengestellt, die mit ihren Nonolenschlägen drängend wirken und das Metrum des<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Orchesters als verschleppt empf<strong>in</strong>den lassen. Wenngleich das Orchester als Bühnenorchester<br />

präsent ist, entzieht sich <strong>der</strong> warme Streicherklang doch durch die gegensätzliche Wirkung<br />

<strong>der</strong> Holzbalkenschläge. <strong>Die</strong> m<strong>in</strong>imale Besetzung zeigt die Vere<strong>in</strong>samung des Wan<strong>der</strong>ers, <strong>der</strong><br />

Titel „E<strong>in</strong>samkeit“ f<strong>in</strong>det Nie<strong>der</strong>schlag <strong>in</strong> <strong>der</strong> Besetzung und <strong>der</strong> Abwesenheit <strong>der</strong> Musiker,<br />

ihrem Entzug <strong>von</strong> <strong>der</strong> Bühne. Schließlich entzieht sich auch <strong>der</strong> Streicherklang, und die <strong>von</strong><br />

Zen<strong>der</strong> e<strong>in</strong>gefügte „Zwischenaktmusik“, die e<strong>in</strong>e Brücke zwischen den beiden Abteilungen<br />

<strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> schlägt, konstituiert sich e<strong>in</strong>zig aus den repetierenden Achtelnoten, welche<br />

bereits für den Beg<strong>in</strong>n <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong>s <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> elementar waren. Bestehend aus<br />

Generalpause, Wan<strong>der</strong>rhythmus und e<strong>in</strong>er weiteren Generalpause, wird die<br />

„Zwischenaktmusik“ zur sprechenden, auskomponierten Stille. Symbolisiert die E<strong>in</strong>samkeit<br />

des Wan<strong>der</strong>ers, Solipsie. „Als noch die Stürme tobten, war ich so elend nicht.“ So endet das<br />

Lied Nr. 12 – aber die Stürme toben nicht mehr, das Subjekt kann sich nicht mehr <strong>in</strong> den<br />

revolutionären Wirren ausdrücken, muss wegen <strong>der</strong> Zensur schweigen, o<strong>der</strong> ist mit den<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> komplexerwerdenden Gesellschaft überfor<strong>der</strong>t. Ohne Halt ist das<br />

vere<strong>in</strong>zelte Subjekt auf sich zurückgeworfen. Was bleibt, ist e<strong>in</strong> ewig sich repetieren<strong>der</strong><br />

Kreislauf e<strong>in</strong>er uns<strong>in</strong>nigen, aber nicht zu durchbrechenden Wan<strong>der</strong>bewegung. „<strong>Die</strong><br />

Entfremdung des Individuums wird zu e<strong>in</strong>em zentralen Gehalt“ <strong>der</strong> <strong>„W<strong>in</strong>terreise“</strong> Zen<strong>der</strong>s,<br />

<strong>der</strong> sich „<strong>in</strong> <strong>der</strong> Polarität <strong>von</strong> Nähe und Ferne zum <strong>Schubert</strong>schen Klangbild“ 234 und <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

An- und Abwesenheit <strong>der</strong> Musiker spiegelt. <strong>Die</strong> Unmöglichkeit <strong>der</strong> Erfüllung <strong>der</strong><br />

angestrebten subjektiven Wünsche <strong>in</strong> <strong>der</strong> objektiven Sphäre treibt das Ich, den Menschen <strong>in</strong><br />

diese unaufhörliche Wan<strong>der</strong>schaft. 235 <strong>Die</strong>se Konfiguration stellt sich <strong>in</strong> Zen<strong>der</strong>s<br />

„Zwischenaktmusik“ dar. Zen<strong>der</strong> verlangt, dass am Ende <strong>von</strong> Nr. 12 und am Beg<strong>in</strong>n <strong>von</strong> Nr.<br />

13 ke<strong>in</strong>e Bewegung stattf<strong>in</strong>det. Alle externen Musiker sollen regungslos auf ihrem Platz<br />

verharren. <strong>Die</strong> Suspendierung <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>bewegung ruft e<strong>in</strong>en resignativen Charakter hervor.<br />

<strong>Die</strong> „Erstarrung“ <strong>der</strong> Musiker vers<strong>in</strong>nbildlicht dies. Am Beg<strong>in</strong>n <strong>von</strong> Nr. 13 ist diese<br />

Erstarrung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Erregung <strong>der</strong> Musik nun diametral entgegengesetzt. <strong>Die</strong> Hoffnung des<br />

drängenden Herzens aber ist vergeblich, was die Starre <strong>der</strong> Musiker vers<strong>in</strong>nbildlicht. Doch<br />

nun kehren die Spieler zum Orchester zurück. Das Herannahen <strong>der</strong> Post ersche<strong>in</strong>t durch das<br />

Herannahen des Horns und dessen Signal akustisch und visuell, die Musiker nehmen erneut<br />

die Plätze im Bühnenorchester e<strong>in</strong> und verbleiben dort bis zum 24. Lied, bei dem alle Bläser<br />

den Raum nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verlassen und die letzten Takte auch schon außerhalb des Raumes<br />

spielen können. Zen<strong>der</strong>s Interpretation kommt aus dem Nichts und verkl<strong>in</strong>gt im Nichts. Der<br />

234 Revers, Peter: „Schnee du weißt <strong>von</strong> me<strong>in</strong>em Sehnen“, S. 107.<br />

235 Vgl. Schmid Noerr, Gunzel<strong>in</strong>: Der Wan<strong>der</strong>er über dem Abgrund, S. 90.<br />

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