28.10.2013 Aufrufe

Die Rezeption der „Winterreise“ von Franz Schubert in der Moderne ...

Die Rezeption der „Winterreise“ von Franz Schubert in der Moderne ...

Die Rezeption der „Winterreise“ von Franz Schubert in der Moderne ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

den folgenden Takten sche<strong>in</strong>t Zen<strong>der</strong> zu dem gewohnten <strong>Schubert</strong>schen Klangbild<br />

zurückkehren zu wollen, doch weist die erneute Überhöhung mittels <strong>der</strong> volkstümlichen<br />

Instrumentation (Akkordeon, Gitarre, Harfe) bereits auf e<strong>in</strong>en weiteren Realitätse<strong>in</strong>bruch <strong>in</strong><br />

die „Idylle“ h<strong>in</strong>. Der Wan<strong>der</strong>er liebt das Wan<strong>der</strong>n nicht, und auch die fügende Allmacht<br />

Gottes kann ihm als Begründung für se<strong>in</strong> Leid nicht genügen. Erneut bricht Zen<strong>der</strong> den<br />

musikalischen Fluss (T.141). <strong>Die</strong> melodiöse Artikulation <strong>der</strong> Sängerstimme versagt. <strong>Die</strong><br />

gesprochene Deklamation mit Verstärkung im Fortissimo wird unterstrichen <strong>von</strong> massivem<br />

Schlagwerke<strong>in</strong>satz (hängende Zischbecken, 2 Metallblöcke, 3 Tom-Toms, Pauke mit<br />

Holzschlägel), dem Staccatospiel <strong>der</strong> Holzbläser und <strong>der</strong> „harten, geräuschhaften“<br />

Artikulation <strong>der</strong> Streicher, die alle Striche „extrem am Steg“ ausführen. In Takt 147 for<strong>der</strong>t<br />

Zen<strong>der</strong> das Auflegen e<strong>in</strong>er schweren Metallkette auf die Pauke, so dass diese bei jedem<br />

folgenden Schlag zu rasseln beg<strong>in</strong>nt. Vielleicht e<strong>in</strong> akustisches Zeichen dafür, dass „die Liebe<br />

(des Wan<strong>der</strong>ers) ke<strong>in</strong>e Lust zum Wan<strong>der</strong>n zeigt, son<strong>der</strong>n im Gegenteil mit aller Gewalt an das<br />

Mädchen gekettet bleibt,“ 237 aber auch trotzige Auflehnung gegen die Fesseln, die ihm<br />

Gesellschaft und Leben auferlegen, spiegelt. Das Rasseln <strong>der</strong> Ketten ersche<strong>in</strong>t als lautliche<br />

Ausgestaltung e<strong>in</strong>es Protestwilligen, <strong>der</strong> sich zu befreien sucht, dessen Bürden jedoch <strong>von</strong><br />

solcher Immanenz geprägt s<strong>in</strong>d, dass e<strong>in</strong> Entkommen unmöglich sche<strong>in</strong>t. <strong>Die</strong>s wird auch<br />

durch die E<strong>in</strong>würfe <strong>der</strong> Piccoloflöten <strong>in</strong> Takt 150f. deutlich, die die Melodie zum Text „die<br />

Liebe liebt das wan<strong>der</strong>n“ höhnisch verfremdet aufgreifen und den Wan<strong>der</strong>er auszupfeifen<br />

sche<strong>in</strong>en. <strong>Die</strong>ser zweiten Collage folgt die Vorbereitung auf die sich anschließende Dur-<br />

Wendung, die Zen<strong>der</strong>, <strong>in</strong> Anlehnung an den Beg<strong>in</strong>n, <strong>der</strong> noch als „heile Welt“ erschien, mit<br />

dem Klang des Streichquartetts beg<strong>in</strong>nen lässt (T.177). In den 16 Takten zwischen <strong>der</strong> 3. und<br />

4. Strophe lässt Zen<strong>der</strong> e<strong>in</strong> „leuchtendes Klangfeld entstehen.“ 238 Beg<strong>in</strong>nend mit arpeggierten<br />

Harfenakkorden, die den Wan<strong>der</strong>rhythmus <strong>der</strong> repetierenden Achtel wie<strong>der</strong> aufgreifen, setzen<br />

zunächst die Streicher <strong>in</strong> dichter Folge e<strong>in</strong>, dann mit dem selben abwärtsgerichteten<br />

Skalenmotiv, welches erneut dem Liedthema entlehnt sche<strong>in</strong>t, auch die Holzbläser. Durch die<br />

Pizzicati <strong>der</strong> Streicher und das Leggiero-Spiel <strong>der</strong> Bläser, die sich ausnahmslos im<br />

dynamischen Rahmen <strong>von</strong> Pianissimo und Pianopianissimo bewegen, entsteht e<strong>in</strong> klangliches<br />

Bild, „e<strong>in</strong>e impressionistisch flirrende Klanglandschaft, die <strong>in</strong> sich zu ruhen und außerhalb<br />

<strong>der</strong> Zeit zu stehen sche<strong>in</strong>t.“ 239 Es hat den Ansche<strong>in</strong>, als ob Zen<strong>der</strong> die „himmlischen Längen“<br />

<strong>Schubert</strong>s, die auch beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en späten Klaviersonaten zu spüren s<strong>in</strong>d, imitiere, e<strong>in</strong><br />

237 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S.75.<br />

238 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S.77.<br />

239 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musikhistorie für das Musikleben, S.77.<br />

64

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!