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Die Rezeption der „Winterreise“ von Franz Schubert in der Moderne ...

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

defekten Tonträger vermittelt.“ 257 <strong>Die</strong> emphatische Wirkung des aufwärtsstrebenden<br />

Dreiklangs wird somit, ebenso wie <strong>der</strong> Mut des stürmenden und drängenden Subjekts,<br />

gebrochen. So verfährt Zen<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gestaltungsweise nur folgerichtig, wenn er das Lied im<br />

Sturm verwehen lässt, die Melodieelemente des <strong>Schubert</strong>schen Nachspiels aufbricht und, sie<br />

<strong>in</strong> col legno- und pizzicato-Klängen auflösend, <strong>der</strong> revolutionären Textaussage ihre<br />

Illusionshaftigkeit vor Augen führt. <strong>Die</strong> beständigen Taktbrüche tun hierzu ihr Übriges.<br />

Der Leiermann<br />

Zen<strong>der</strong> formuliert die Intention se<strong>in</strong>er Interpretation des „Leiermanns“ wie folgt:<br />

„Wird bei <strong>Schubert</strong> die W<strong>in</strong>terreise im zweiten Teil zunehmend zu e<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem<br />

Tod, <strong>der</strong> Abschied <strong>von</strong> <strong>der</strong> Geliebten zu e<strong>in</strong>em Abschied vom Leben überhaupt, so zwang dies zu e<strong>in</strong>er<br />

beson<strong>der</strong>en Strategie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gestaltung des Schlusses. <strong>Die</strong> am Anfang trotz aller Verfremdung noch<br />

e<strong>in</strong>deutige Beziehung zum historischen Orig<strong>in</strong>al wird <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Bearbeitung immer labiler, die `heile<br />

Welt´ <strong>der</strong> Tradition verschw<strong>in</strong>det immer mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e nicht rückholbare Ferne. [...] Beim `Leiermann`<br />

endlich verschw<strong>in</strong>det außer <strong>der</strong> zeitlich metrischen Orientierung auch noch die harmonisch-räumliche<br />

Stabilität, <strong>in</strong>dem durch immer neu h<strong>in</strong>zugefügte Unterqu<strong>in</strong>ten (abgeleitet aus dem 4. Takt des <strong>Schubert</strong>-<br />

Liedes) die Gestalten ihre Standfestigkeit verlieren und am Schluss gleichsam `<strong>in</strong> die Erde s<strong>in</strong>ken`.“ 258<br />

Konnte man diese tendenziell sich steigernde Zerglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Schubert</strong>schen Vorlage schon<br />

<strong>in</strong> den Lie<strong>der</strong>n 18, 19 und 22 wahrnehmen, so lässt Zen<strong>der</strong> den Zyklus <strong>in</strong> Leere und<br />

Vere<strong>in</strong>samung enden. Der Klang erstirbt, entzieht sich optisch (Abgang <strong>der</strong> Musiker) und<br />

akustisch (Ausdünnung des Satzes). <strong>Die</strong>s wird durch die Rücktransposition <strong>in</strong> die<br />

Orig<strong>in</strong>altonart h-Moll unterstützt, die sich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Ausgangstonart d-Moll une<strong>in</strong>holbar<br />

entfernt (vgl. Kapitel VI.3.A. – Zyklusbildung und Tonartendisposition) und somit die<br />

zyklische <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Spiralgestalt umgebogen hat (vgl. Kapitel II.3.C. – S<strong>in</strong>n und<br />

Zielkonfiguration). „Abgeleitet aus den leeren Qu<strong>in</strong>ten des <strong>Schubert</strong>-Lieds baut Zen<strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

aus hoher Lage absteigendes Qu<strong>in</strong>tfeld <strong>von</strong> gis´´´(Picc) bis zum Kontra d (Fag) mit h als<br />

Mittelpunkt auf.“ 259 <strong>Die</strong>ses Qu<strong>in</strong>tfeld f<strong>in</strong>det sich erneut im <strong>von</strong> Zen<strong>der</strong> frei h<strong>in</strong>zugefügten<br />

Nachspiel, wo es aber „alle chromatischen Töne enthält und so e<strong>in</strong> gespreiztes Cluster<br />

bildet,“ 260 <strong>der</strong> sich durch die Abgänge <strong>der</strong> Musiker und das Ausdünnen des Satzes allmählich<br />

auflöst, den Wan<strong>der</strong>er ebenso im Nichts verschw<strong>in</strong>den lässt wie er zu Beg<strong>in</strong>n aus dem Nichts<br />

erschienen war. <strong>Die</strong> Konturen, die sich anfänglich verschärften, verblassen nun.<br />

<strong>Die</strong> volkstümliche Instrumentenauswahl, die den Gesang zunächst begleitet und sich auf<br />

Klar<strong>in</strong>ette, Sopransaxophon, Akkordeon, Gitarre, Viol<strong>in</strong>en und Bratschen beschränkt,<br />

257 Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme, S. 152.<br />

258 Zen<strong>der</strong>, Hans: Notizen zu me<strong>in</strong>er komponierten Interpretation <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>s W<strong>in</strong>terreise, S. 222-223.<br />

259 Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme?, S. 149.<br />

260 Gruhn, Wilfried: Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> verlorenen Wärme?, S. 149.<br />

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