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Die Rezeption der „Winterreise“ von Franz Schubert in der Moderne ...

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Zen<strong>der</strong> versteht die Urschrift als Basis für alle sich aus ihr formierenden differenten Lesarten,<br />

die e<strong>in</strong>malig und <strong>in</strong>dividuell s<strong>in</strong>d aber dem Werk <strong>in</strong> je<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Auslegung die<br />

Möglichkeit zur lebendigen Entfaltung bietet. 122<br />

<strong>Die</strong> Zeichen des Notentextes s<strong>in</strong>d also als zu <strong>in</strong>terpretierende Symbolschichten zu verstehen.<br />

Der Interpret kann „zwischen unendlich vielen Lesemöglichkeiten“ 123 wählen. Doch wie<br />

entstehen diese Lesarten?<br />

Grundlegend besteht e<strong>in</strong> „Mangel an Bestimmtheit.“ 124 Vergleicht man dies mit dem<br />

zeichentheoretischen Modell Saussures, zeigt sich die Divergenz <strong>von</strong> Signifikat und<br />

Signifikant. Bezeichnendes und Bezeichnetes lassen sich nicht zweifelsfrei zuordnen. <strong>Die</strong><br />

Arbitrarität des Zeichens wirft somit zum e<strong>in</strong>en die Krisenerfahrung <strong>der</strong> Unmöglichkeit des<br />

unfehlbaren sprachlichen Ausdrucks auf, <strong>der</strong> vor Augen führt, dass Sprachakte missl<strong>in</strong>gen<br />

können, zum an<strong>der</strong>en die Erfahrung <strong>der</strong> Interpretationsfreiheit, die dem Werk immer neue<br />

Perspektiven und Lesarten eröffnet. „Während <strong>in</strong> <strong>der</strong> ternären Zeichenstruktur seit <strong>der</strong> Stoa<br />

das Bezeichnende und das Bezeichnete durch e<strong>in</strong>e Konjunktur verbunden s<strong>in</strong>d, die e<strong>in</strong>en<br />

nicht-arbiträren Zusammenhang zwischen Sprache und Welt herstellt, [...] wird die<br />

Anordnung <strong>der</strong> Zeichen b<strong>in</strong>är, weil man sie seit Port Royal durch die Verb<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>es<br />

Bezeichnenden und e<strong>in</strong>es Bezeichneten def<strong>in</strong>iert“ 125 , die sich arbiträr zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verhalten.<br />

Auch <strong>der</strong> Komponist erstellt daher <strong>in</strong> gewisser Weise durch die Verschriftlichung se<strong>in</strong>er<br />

musikalischen Vorstellungen bereits e<strong>in</strong>e Interpretation. <strong>Die</strong> Zeichen können nie exakt die<br />

Autor<strong>in</strong>tention wie<strong>der</strong>geben. „Das Formgeben selbst ist also schon e<strong>in</strong>e Interpretation durch<br />

den Komponisten“ 126 . In ähnlicher Weise äußert sich auch Ferruccio Busoni <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

„Entwurf“: „Jede Notation ist schon Transkription e<strong>in</strong>es abstrakten E<strong>in</strong>falls. Mit dem<br />

Augenblick, da die Fe<strong>der</strong> sich se<strong>in</strong>er bemächtigt, verliert <strong>der</strong> Gedanke se<strong>in</strong>e<br />

Orig<strong>in</strong>algestalt.“ 127 Aus dieser Feststellung folgert Zen<strong>der</strong>, dass, falls bereits die Schrift des<br />

Autors Darstellung sei, das Tun des Interpreten zur Interpretation zweiter Ordnung werde, zur<br />

„Darstellung <strong>der</strong> Darstellung“. 128 Der „Leser“ o<strong>der</strong> Interpret ist nun vor die Aufgabe gestellt<br />

122 Vgl.: Zen<strong>der</strong>, Hans: Gedanken über die Bedeutung <strong>der</strong> schriftlichen Aufzeichnung für die Musik, S. 201.<br />

123 Zen<strong>der</strong>, Hans: Musikalische Interpretation und Übersetzungsarbeit, S. 226.<br />

124 Cadenbach, Ra<strong>in</strong>er: Der implizite Hörer?, S. 153.<br />

125 Gebauer, Gunter/ Wulf, Christoph: Uns<strong>in</strong>nliche Ähnlichkeit: zur Sprachanthropologie W. Benjam<strong>in</strong>s, S. 375f.<br />

126 Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 216.<br />

127 Busoni, Ferruccio: Entwurf e<strong>in</strong>er neuen Ästhetik <strong>der</strong> Tonkunst, S. 22.<br />

128 Vgl. Zen<strong>der</strong>, Hans: Interpretation – Schrift – Komposition, S. 216-217.<br />

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