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Die Rezeption der „Winterreise“ von Franz Schubert in der Moderne ...

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Müllers offenbart folglich wesentlich existentiellere Züge, als dies den vorangehenden<br />

„W<strong>in</strong>terreisen“ zuzuschreiben gewesen wäre.<br />

A <strong>Die</strong> real lokale Entfremdung<br />

Der Wan<strong>der</strong>er zieht durch e<strong>in</strong>e kalte, unwirtliche W<strong>in</strong>terlandschaft, durch e<strong>in</strong>en Locus<br />

Desertus, vielleicht auch e<strong>in</strong>en Locus Terribilis, e<strong>in</strong>en schrecklichen o<strong>der</strong> gar unheimlichen<br />

Ort. Unheimlich auch deshalb, weil ihm die e<strong>in</strong>zelnen Naturphänomene ke<strong>in</strong>en verb<strong>in</strong>dlichen<br />

S<strong>in</strong>nzusammenhang erschließen. Was sagt ihm die Stimme <strong>der</strong> Natur, die sich ihm „im<br />

heulenden Sturm, im Rauschen des L<strong>in</strong>denbaums, im krachenden Eis, im Flackern des<br />

Irrlichts“ 12 und an<strong>der</strong>en onomatopoetischen Bil<strong>der</strong>n zeigt? Interessant ist, dass<br />

Unheimlichkeit und Fremdse<strong>in</strong> für Freud <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em engen semantischen Bezug stehen. In<br />

se<strong>in</strong>em Aufsatz über das „Unheimliche“ legt er diese Beobachtung dar.<br />

<strong>Die</strong> Provenienz des Unheimlichen aus heimatlichen Strukturen<br />

Zunächst klärt Freud die volksläufige Bedeutung des Begriffs „unheimlich“ auf. Er stellt fest,<br />

das Wort „unheimlich“ stehe offenbar dem Heimlichen, Heimischen und Vertrauten divergent<br />

gegenüber und <strong>der</strong> Schluss liege nahe, etwas habe eben darum e<strong>in</strong>e unheimliche Wirkung,<br />

weil es nicht bekannt und vertraut sei. 13 Von dieser Begriffsdef<strong>in</strong>ition nimmt Freud jedoch im<br />

Folgenden Abstand. Er bestimmt die Konnotation des Wortes schließlich mehr im<br />

Schlegelschen S<strong>in</strong>n als all Jenes, das geheim o<strong>der</strong> verborgen bleiben solle, aber dennoch<br />

hervorgetreten sei. Der Begriff des „Unheimlichen“ stelle nämlich ke<strong>in</strong>en Gegensatz zum<br />

„Heimischen“ dar, son<strong>der</strong>n gehe vielmehr aus diesem hervor. 14 Daher folgert Freud, dass<br />

„heimlich e<strong>in</strong> Wort [ist], das se<strong>in</strong>e Bedeutung nach e<strong>in</strong>er Ambivalenz h<strong>in</strong> entwickelt, bis es<br />

endlich mit se<strong>in</strong>em Gegensatz unheimlich zusammenfällt. Unheimlich ist irgendwie e<strong>in</strong>e Art<br />

<strong>von</strong> heimlich.“ 15<br />

<strong>Die</strong>ser Ansatz <strong>der</strong> Ambivalenz des Heimatbegriffes, <strong>der</strong> gleichzeitig „Unheimlichkeit“<br />

respektive „Un-Heimischkeit“ zum Ausdruck br<strong>in</strong>gt, lässt sich auch auf <strong>der</strong> Hegelschen<br />

Ästhetik basierend aufbauen. „Das Fremde tritt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em verhüllenden Dunkel <strong>der</strong><br />

aufgehellten und normativen Schönheit [...] als etwas Bedrohliches, sie <strong>in</strong> ihren Grenzen<br />

irritierendes gegenüber. Zugleich differiert es <strong>von</strong> <strong>der</strong> verlockenden Ferne: <strong>der</strong><br />

12 Drux, Rudolf: Des Dichters W<strong>in</strong>terreise, S. 236.<br />

13 Vgl. Freud, Siegmund: Das Unheimliche, S. 231.<br />

14 Vgl. Freud, Siegmund: Das Unheimliche, S. 236.<br />

15 Freud, Siegmund: Das Unheimliche, S. 237.<br />

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