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Die Rezeption der „Winterreise“ von Franz Schubert in der Moderne ...

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MAGISTERARBEIT –ZENDERS WINTERREISE– JANINE CHRISTGEN<br />

- JANINE CHRISTGEN<br />

Der Wegweiser<br />

Wenngleich <strong>der</strong> Titel die Assoziation <strong>von</strong> Orientierung aufzublenden sche<strong>in</strong>t, so ist es doch<br />

viel eher das Gegenteil, welches <strong>in</strong> diesem Lied zum Ausdruck gebracht wird und es <strong>in</strong> die<br />

Nähe <strong>der</strong> Lie<strong>der</strong> „Irrlicht“ und „Täuschung“ rückt. Mit diesen geme<strong>in</strong> ist ihm auch <strong>der</strong><br />

resignative Zwang zur Wan<strong>der</strong>schaft. <strong>Schubert</strong> sucht die Unmöglichkeit des Entr<strong>in</strong>nens aus<br />

<strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>schaft durch se<strong>in</strong>e vielfach analysierte und <strong>in</strong> Harmonielehren immer wie<strong>der</strong><br />

beispielhaft verwiesenen harmonischen W<strong>in</strong>dungen und Irrwege aufzuzeigen. <strong>Die</strong> Reaktionen<br />

auf diese Vorgaben <strong>Schubert</strong>s fallen bei Zen<strong>der</strong> jedoch weniger <strong>in</strong>s Gewicht. Er konzentriert<br />

sich auf die Hervorhebung des Wan<strong>der</strong>motivs und die Notenwertprolongation. Auf diese<br />

Weise versucht er e<strong>in</strong>mal mehr die Divergenz zwischen Außen- und Innenwelt darzustellen.<br />

Dem Ruhebedürfnis, welches Ausdruck <strong>in</strong> <strong>der</strong> Augmentation <strong>der</strong> Notenwerte f<strong>in</strong>det, wird <strong>der</strong><br />

repetierende Achtelrhythmus des stetigen „Wan<strong>der</strong>n-müssens“ entgegengesetzt. <strong>Die</strong><br />

Trostlosigkeit und Ausweglosigkeit zeigt sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Orchesterbesetzung, die sich<br />

zunächst ausschließlich aus tiefen Streichern und Bläsern speist und somit e<strong>in</strong>e melancholisch<br />

funerale Anmutung gew<strong>in</strong>nt. Der Maggioreteil (T. 22f.) erhellt den dunklen Satz, gibt <strong>der</strong><br />

illusionären Weltentflohenheit des Dur e<strong>in</strong>en lyrisch choralhaften Ton. <strong>Die</strong> pulsierende<br />

Achtelbewegung setzt dabei im gesamten Lied nicht aus. Sie läuft wie e<strong>in</strong> Perpetuum Mobile<br />

auch gegen die zur Erstarrung führenden Prolongationen an. <strong>Die</strong> Notenwerte verlieren nach<br />

und nach ihre Kraft des dynamischen Flusses. Gerade ab Takt 55 ist die zunehmende<br />

Verlängerung <strong>der</strong> Notenwerte markant. Zen<strong>der</strong> adaptiert dieses Vorgehen zwar <strong>von</strong> <strong>Schubert</strong>,<br />

zentriert den Gedanken des Verlustes kle<strong>in</strong>er Notenwerte und das Erstarren aber durch die<br />

Ausdünnung des Orchesters. <strong>Die</strong> Abwechslung <strong>der</strong> Klangfarben <strong>in</strong>nerhalb dieser stereotypen<br />

Repetitionen kritisiert Nonnenmann wie folgt:<br />

„Er (Zen<strong>der</strong>) nimmt ihnen ihre unerträgliche Monotonie, mit <strong>der</strong> <strong>Schubert</strong> den unausweichlich letzten<br />

Gang e<strong>in</strong>es jeden Menschen darzustellen suchte.“ 251<br />

Sicherlich belebt <strong>der</strong> Klangfarbenwechsel die Repetitionen, aber er verdeutlicht auch die<br />

Unmöglichkeit des Entr<strong>in</strong>nens, <strong>in</strong>dem sich ke<strong>in</strong> Musiker (<strong>der</strong> Sänger e<strong>in</strong>geschlossen) dem<br />

Achtelrhythmus zu entziehen vermag. Zen<strong>der</strong> führt die Prolongation <strong>der</strong> Notenwerte<br />

konsequent zu Ende, dehnt die Notenwerte <strong>in</strong> den letzten Takten über die Vorgaben h<strong>in</strong>aus.<br />

Nach dem Verschw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> repetierenden Achtelbewegung, welche <strong>in</strong> Takt 77 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Viertelrepetition mündete, lässt Zen<strong>der</strong> das Lied <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vierschlagnote des Akkordeons<br />

verkl<strong>in</strong>gen. Vielleicht ist dies bereits e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis darauf, dass auch Zen<strong>der</strong> den e<strong>in</strong>zigen<br />

251 Nonnenmann, Ra<strong>in</strong>er: Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Musiktheorie für das Musikleben, S. 80.<br />

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